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CLARA und WILLIAM STERN
Die Kindersprache
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"Ein und dasselbe Wort vertritt bald einen ganzen Satz, bald bezeichnet es ein Objekt, dann wieder die mit oder am Objekt auszuführende Tätigkeit, endlich nur einen affektmäßigen Ausruf. So kommt es, daß mehrere Wörter unter verschiedenen Kategorien zwei- oder dreimal genannt werden mußten."

Sprachgeschichte unserer Tochter

Erstes Lebensjahr

In den ersten Lebenstagen des Kindes war der Hauptlaut, den es beim Schreien äußerte:  ähä. 

Von der siebten Woche an brachte das gesättigte Kind zuweilen Töne des Behagens hervor, etwa wie  kräkrä;  mit zwei Monaten ließ sie den Vergnügungslaut  erre erre  hören.

Vom 11 Wochen alten Kind wurde notiert: Das Lallen wird jetzt immer anhaltender und ist stets ein Zeichen großen Wohlbehagens. Meist setzt es nach Beendigung des Trinkens ein und dauert oft 10 - 15 Minuten. Die Laute sind viel zahlreicher und differenzierter geworden; die Hauptrolle spielt immer noch  erre erre,  zuweilen  ekche ekche  gesprochen (ch wie in doch).

Sehr merkwürdig ist folgende Beobachtung, die wir mit Sicherheit seit Anfang der 11. Woche gemacht haben. Sagt man dem Kind, wenn es gut gelaunt ist,  erre erre  vor, so reagiert es häufig darauf, indem es die sonst unwillkürlich und mühelos hervorgebrachten Silben mit augenscheinlicher, oft sekundenlang dauernder Mühewaltung herausbringt. Die Anstrengung treibt dem Kind Röte ins Gesiht. Zufall ist ausgeschlossen, da der Versuch oft gelang, ohne daß das Kind vorher oder nachher von selbst Laute ausgestoßen hätte. Es machte durchaus den Eindruck einer gewollten und gelungenen Nachahmung. Eine Woche später gelang das gleiche mit den Silben  kräkraä,  die sie seit mehreren Wochen nicht mehr gelallt hatte.

Um diese Zeit läßt die Ausdauer und Intensität des Lallens nach; wir beobachten überhaupt ein periodisches Auf- und Niederwogen der Lalltendenz, wobei jede Periode einige Wochen dauert. An den Höhepunkten ist das Jauchzen und Krähen weithin hörbar und ertönt selbst im Dunkeln, namentlich abends nach der letzten Nährung.

Fünf Monate darauf notierten wir wiederum die Nachahmung ihr vertrauter Laute, diesmal schon in größerer Differenzierung. So wurde die Silbe  hä  (kurz und scharf herausgestoßen) bei einmaligem Vorsagen einmal, bei zweimaligem zweimal und bei vielmaligen vielmal nachgesprochen. Die Verdoppelung wurde am häufigsten richtig getroffen, aber auch da zuweilen vorgebracht, wo nur einmal  hä  vorgesagt worden war. Ferner beobachteten wir unzweifelhaft die Nachahmung eines vom Kind oft und gern ausgestoßenen rollenden Gurgellautes, etwa  rrrr. 

Mit 8 Monaten wurde nun auch die Nachahmung einer ihr bisher fremden Lautverbindung konstatiert. Sie hatte seit einer Woche den tonlosen p-Laut gebildet; nun sprachen wir ihr  papa  vor, worauf jedesmal der erwähnte p-Laut erklang. Einmal als dies wieder geschehen war, hörten wir 5 bis 10 Minuten später aus dem Wagen heraustönend  papapa.  Als nun der Versuch mit dem Vorsprechen wiederholt wurde, erfolgte oft und ziemlich mühelos das Nachsprechen der Silben.

Zuweilen werden die Nachahmungen zu einer Art primitiver Unterhaltung, die dem Kind sehr viel Freude macht. HILDE hatte schon früher oft den Vergnügungslaut  ä  oder  a  ausgestoßen. Wenn die Mutter sie nun damit ansprache, reagierte sie sofort ebenso, und diese "eintönige" Konservation setzte sich mehrere Minuten lang fort, nur öfter durch ein Jauchzen des Kindes unterbrochen.

Inzwischen ist das Lallen immer mannigfaltiger geworden; wir notierten u. a. Silben ähnlich wie  da pa ja neinei  und ein Gemecker wie  ääää. 

Als ihr der Vater einmal einen sehr hohen Ton vorpfiff, ließ HILDE in Nachahmung einen sehr hohen Quietschton hören; sie gab sich anscheinend Mühe, recht hoch zu antworten.

In den letzten Monaten des ersten Lebensjahres begann das Sprachverständnis und kurz vor Abschluß des Jahres das sinnvolle Sprechen einzelner Worte. Das hierhergehörige Material befindet sich in der ersten Zusammenstellung.


Zweites Lebensjahr

A. Wortschatz und Sprachverständnis des 5/4jährigen Kindes

Da die beiden Funktionen des Sprachverständnisses und des Sprachgebrauhs nacheinander beginnen, so beherrscht in den frühen Stadien die erste Funktion einen beträchtlich weiteren Umkreis als die zweite. Wir trennen daher in der Darstellung beide Leistungen.

Zuerst werden die zahlreichen Worte und Sätzchen registriert, die das 5/4jährige Kind um jene Zeit zwar verstand, aber noch nicht selber sprach. "Verstehen" bedeutet hier natürlich noch nichts anderes als: mit der eingelernte Reaktion beantworten.

Es folgen die wenigen Worte, die das Kind damals bereits verständnisvoll selbst gebrauchte; die Erläuterungen mußten hier zum Teil ziemlich ausführlich sein, weil gerade die ersten Wortbedeutungen viele Phasen durchlaufen, ehe sie sich einigermaßen stabilisieren. Die Worte haben entweder substantivischen oder interjektionalen Charakter.

I. Verstandene Worte und Sätze
Worte und Sätze Verstanden seit
[Jahr;Monat]
Reaktion des Kindes
Mach mal hop hop! 0;9 läßt die Puppe tanzen
Mach mal bitte bitte! 0;10½ klappt die Hände zusammen
Mach mal bimbim! 0;10½ läutet mit den Glöckchen,
klappert mit der Klapper
Mach mal quietsch quietsch! 0;10½ drückt die Gummipuppe,
daß sie quietscht
Mach mal ziep ziep! 1;0 zieht sich an den Haaren
Wo ist denn die Hilde? 0;10 Anregungen zu einem neckischen Versteckspiel,
bei welchem H. die Hände vor die Augen hält
und wieder fortnimmt.
Wer bin ich denn? 1;0 antwortet der fragenden Mutter:  mama 
Nun komm doch! 1;1 Das liegende Kind versucht sich aufzurichten.
Mach plansch plansch! 1;1 plantscht vergnügt im Badewasser
Beiß ordentlich! 1;1 beißt und zerrt an einem Gummiring
Nun juchze mal! 1;1 beginnt fröhlich zu jauchzen
Gib einen Kuss! 1;1 macht eine schmatzende Kußbewegung in die Luft
Wickel wackel! 1;2 wackelt mit dem Körper hin und her
Frisier mal dein Ziep-Ziep! 1;2 fährt mir ihrem kleinen Kamm
in den Haaren herum
Wo ist denn die Zunge? 1;2 zeigt sie
Mach mal patsch patsch! 1;2 klatscht in die Hände oder auf ihr Körperchen
Hau mal dein Muckenköpfchen! 1;2 schlägt ihren Kopf
Wie groß ist denn das Kind? 1;2 hebt beide Arme hoch


II. Gesprochene Worte
Worte und Sätze Verstanden seit
[Jahr;Monat]
Gesprochen seit
[Jahr;Monat]
Reaktion des Kindes
 didda  = tiktak 0;10 0;10½ Zuerst bezeugte H. Verständnis für das von uns gesprochene "Tiktak", indem sie sich nach der auf dem Kamin stehenden Uhr hindrehte. Sie sprache es zum erstenmal mit Verständnis beim Horchen auf das Ticken dieser Uhr und bezeichnete nur den akustischen Eindruck mit dem Wort. - Bedeutungswandel. bald hieß auch die gesehene Standuhr, ohne daß sie tickte,  didda;  dann wurden die Taschenuhren so benannt. Später genügte der Anblick der väterlichen Uhrkette, um das Wort auszulösen; endlich (O, 11½) suchte H. die  didda,  ohne sie zu sehen und zu hören, beim Vater an der entsprechenden Stelle des zugeknöpften Jacketts. Seit 1; 0 wurde auch die abgebildete Uhr im Bilderbuch  didda  genannt.
 papa, mama  1;0-1 1;0 Seit 0;10 sprach H. die Worte nach, zunächst noch ohne Verständnis. Seit 1;0 erfolgte auf die Frage "Wer bin ich denn?" die Antwort  mama,  gleichförmig bei Mutter, Vater und Kindermädchen.  papa  bereitete 1;1 noch Schwierigkeiten beim Nachsprechen, wurde seit 1;1½ spontan und auf Fragen gebraucht und gerient nun in Konflikt mit dem Wort  mama,  das allmählich in den Hintergrund gedrängt wurde. Die Mutter wurde nun auch meist  papa  gerufen. Es folgte eine Epoche, in der beide Benennungen in fortwährender Verwechslung nebeneinander bestanden. (1; 1½ wurde notiert: als heut der Vater plötzklich vor das Kind trat und fragte: "Wer bin ich denn?" antwortete H. mit sichtlichem Zögern und Überlegen:  pa-ma)  Der Kampf um die Oberherrschaft und die Irrungen währten noch monatelang; vorübergehend schien Klärung einzutreten (1; 2½), dann begannen wieder die Verwechslungen. Noch 1;4½ wurde notiert, daß der Vater oft  mama  genannt wird.
 hilde dedda  = Berta   0;11½ Hilde, des Kindes eigener Name, und Berta, der Name des Kindermädchens wurden seit 0;11½ nachgesprochen, doch zunächst noch nicht sinnvoll gebraucht.  dedda  wurde allmählich zu  betta.  Das Wort  hilde  kam besonders häufig in den Lallmonologen des Kindes vor; seltsamerweise wurde es auch mit freudigem Ausdruck gesprochen, wenn man ihr etwas zum Essen näherte, z. B. beim Anblick eines Plätzchens. Wie dieser Zusammenhang entstanden ist, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen.
 puppe  0;11½ 0;11½  puppe  wurde anfangs zu fast allen Spielobjekten gesagt, zu richtigen Puppen ebenso wie zum Stoffkaninchen und zur Stoffkatze, dagegen nicht zu ihrem Glöckchen, das wohl durch sein völlig abweichendes Format der Assoziation mit dem Wort widerstand.
 bu, buä  1;11 0;11  bu  ist Nachahmung unseres "bums" oder "plumps", geäußert beim Herunterfallen, bzw. Werfen von Gegenständen, oder wenn das sich das Kind im Wegen heftig nach hinten warf. Aus dem  bu  wurde allmählich  buä  und dieses Wort fand 0;11½ ungemein häufige Anwendung bei fast allem, was  plötzlich  in Erscheinung trat. Beim Gasanstecken ertönte  buä,  aber auch beim Gasausdrehen; ja sogar als das Kind mit Röntgenstrahlen in einer ihm wenig angenehmen Lage photographiert wurde, sagte es  buä,  als das Surren des Apparats plötzlich aufhörte. Gegen Ende des 12. Monats verschwand das  buä  langsam, ertönte nur noch beim abendlichen Gasausdrehen. Und als bei Ortsveränderung (1;½) das Gasausdrehen wegfiel, hörte auch das  buä  endgültig auf.
 baba  1;0 1;½  baba  sagte H. öfters, wenn sie etwas in den Mund nahm, was ihr nicht schmeckte, z. B. ein Band oder dgl. Auch folgte  baba,  wenn man "pfui" sagte, da das Kind diese Zusammensetzung oft gehört hat. 1;1 brauchte sie das Wort schelmisch beim Mundauswaschen; 1;6, wenn man dem satten Kind die Neige in der schon zurückgewiesenen Flasche nochmal anbot.


B. Sprachverständnis und Wortschaftz des 1 ½ jährigen Kindes

Auch jetzt noch ist der Vorsprung des Verständnisses vor dem Selbstsprechen so groß, daß eine Scheidung notwendig ist. Besonders deutlich zeigt sich dies in der Fähigkeit, mehrere Vorstellungen synthetisch zu vereinigen. Sätze, wie "Halte den Fuß an die Nase" werden von 1; 4 ½ an verstanden; dagegen stellen sich erst einen Monat später geringe Spuren eigener zweigliedriger Satzbildung ein.

Innerhalb der gesprochenen Worte lassen sich jetzt schon drei Kategorien deutlich unterscheiden, indem zu den Ausrufen und Objektsbezeichnungen nun auch Ausdrücke für Tätigkeiten kommen.

I. Sprachverständnis
Worte und Sätze Verstanden seit
[Jahr;Monat]
Reaktion des Kindes
Mach ritsche ratsche! 1;2½ zerreißt Papier
Hier zieh aus! 1;3 zieht den Strumpf aus
Wo sind denn die Blumen! 1;3 zeigt hin
Wie schmeckt's denn? 1;3 drückt sich auf die Brust (zuerst nur eine mechanische Reaktion)
Wo sind denn die Bäume? 1;3½ Antwort "da da" und Hinaufblicken
Wo ist die Nase? 1;3½ zeigt die Nase
Wo sind die Guckerchen? 1;4 zeigt die Augen
gib mir! 1;3 Hilde gibt gehorsam Dinge fort, die sei nicht in den Mund nehmen soll.
Lies! 1;4 hält die Zeitung mit beiden Händen und "liest" in unverständlichen Lauten.
Komm zu mir 1;4 steckt die Arme dem Auffordernden entgegen
Gleich kommt Berta
mit der Suppe!
1;4½ dreht sich aufgeregt nach der Richtung aus der das Mädchen zu kommen pflegt.
Sieh mal wer da kommt! 1;4½ dreht sich ausschauend um
Gib mir ein Küßchen! 1;4½ nähert ihren Mund unserem Gesicht und läßt sich küssen.
Halt mal den Fuß an die Nase! 1;4½ wird richtig ausgeführt
Laß die Puppe "bitte, bitte" machen! 1;5 bewegt die Hände der Puppe gegeneinander
Wisch den Mund ab! 1;5 Aufforderung wird richtig befolgt
Wo ist das Wasser? 1;5 zeigt das Gewünschte
Wo ist das Ohr? 1;6 wird gezeigt


II. Wortschatz
1. Objekte
Wort Gesprochen seit
[Jahr;Monat]
Erläuterungen
 wauwau  = Hund 1;2 zuerst für den grauen Stoffhund, darauf für die graue Stoffkatze und für den kleinen Gummihund. Bald auch zu lebendigen Hunden, seit 1;3 auch beim bloßen Hören von Hundegebell und beim Anblick abgebildeter Hunde.
 ala  = Paula 1;3½ Name der Köchin
 muh  = Kuh 1;3½ Zuerst nur für die Kuh im Bilderbuch; einen Monat später sieht sie zum erstemal eine wirkliche Kuh und nennt sie  muh  oder  mau. 
 pip-pip  = Vögel 1;4 Schon vorher hatte sie unser vorgesagtes  pip-pip  fälschlich  pap-pap  nachgesprochen; der i-Laut gelang erst seit 1;4. Das Wort wird für Vögel und Insekten gebraucht.
 kikiki  = Hahn 1;4½ Zuerst Nachahmung des Krähens, dann auch Bezeichnung des Tieres. 1;5 nennt sie ein kleines schwarzes Bild eines Hahnes spontan so.
 Gagack  = Gänse 1;4½-5 Nachahmung des Geschnatters und unseres vorgesagten Quack-Quack
 mamau  = Baum, Bäume 1;5 Die merkwürdige Verstümmlung entstand bei dem Versuch unser "Baum" nachzusprechen und hielt sich lange. 1;4½ hatten wir einmal  münde  für Bäume gehört.
 brr brr  = Pferd 1;4½ Für wirkliche und abgebildete Pferde; seit 1;4½ auch beim bloßen Hören des Getrappels.
 mitze  = Katze 1;5 Für lebendige, abgebildete und Spielzeug-Katzen
 putput  = Hühner 1;5  
 änte  = Hände 1;5 Das Wort wurde merkwürdigerweise lange Zeit nur gebraucht als Ausdruck für: auf den Arm genommen werden. Sagten wir zu dem im Wagen sitzenden Kind: "nun komm doch!", so antwortete es, sich vorbeugend,  änte,  was zweifellos einen Appell an unsere Hände bedeutete.
 auge  1;5½-6  
 bildä  = Bild 1;5½ Hauptsächlich für ein großes Wandbild
 lampe  1;6 für richtige und abgebildete Lampen, Leuchter und Kronen
 didelideli  1;6 Für das Glöckchen einer abgebildeten Kuh
 lalala  1;6 für richtige und abgebildete Klaviere und Flügel
2. Tätigkeiten
 ei-schei  = eins, zwei 1;3 beim Laufen lernen in Nachahmung unseres "eins zwei", das wir beim Füßchensetzen zählten. Auf die Frage: "Willst du mal laufen?" antwortete sie:  eischei.  Das Wort kulminiert um 1;5.
 essa  = essen 1;3½ wurde verlangend und konstatierend gebraucht
 atzatz  = knapsen 1;3½ wenn Hilde spielend ein kleines Portemonnaie zuknapste, sagten wir "knaps"; daraus entstand ihr vielgebrauchtes  atzatz. 
 pieke-pieke  1;5½ Hilde sagte es, wenn sie mit ihrem Finger auf ihren Körper piekte.
3. Injektionen
 ss-ss  = horch horch 1;2½ Hilde hob den Zeigefinger in die Höhe, wenn sie die Uhr, Musik oder ein Geräusch hört und sagte lauschend  ss-ss. 
 bau,  später  butz 
das frühere  buä 
1;3 Nachahmung unseres "bautz". Es wurde beim Auffallen von Gegenständen, meist von selbstgeworfenen, auch beim Schlagen der Kirchenuhr geäußert.
 dada  = knapsen 1;3½ Mit hinzeigender Gebärde auf unsere Fragen: "Wo ist denn das und das?"
 bä bä  oder  da da  = spazierengehen 1;2½ Es wurde gerufen, wenn sie hinausgetragen wurde, wenn die Eltern fortgingen, auch schon, wenn erst die Vorbereitungen zum Ausgang getroffen wurden.
 Kickä  = Kuckuck 1;4 Primitives Spiel; Hilde rief es, wenn sie sich hinter einem Tuch versteckte, oder wenn wir dies taten.
 tsche tsche  = etsch etsch 1;4½ Die Laute mit der dazugehörigen drolligen Fingerbewegung wurden ohne Verständnis der Bedeutung, lediglich als Spiel angewendet.
 mon  1;4½ Guten Morgen
 op hop  = knapsen 1;4½ Beim Werfen eines Balles und anderer Dinge
ei ei = spazierengehen 1;4½ Bei Liebkosungen und Streicheln der Puppe
 kille kille  1;4½ In Nachahmung des ihr oft vorgespielten Kinderspiels "Da hast'n Taler, geht auf den Markt --- kille kille."
 hier hier  = horch horch 1;4½ Wenn sie die leere Flasche oder sonstige Gegenstände hinreichte
 bitte bitte 
das frühere  buä 
1;4 Zuerst um etwas zu erlangen; seit 1;6 auch, wenn sie wollte, daß man etwas won ihr Gereichtes nehmen sollte.
 ssi ssi  = hepsi 1;5½ Fingiertes Nießen beim Blumenriechen
 au aua  1;5½ Beim Stoßen, Fallen, Kratzen etc., nicht nur als wirkliche Schmerzreaktion, sondern auch als bloße Scherzreaktion. Seit 1;6 auch als Zeichen der Verneinung und des Unwillens; unwillkommene Dinge, die sie statt der verlangten bekam, wies sie mit energischer Abwehr und lauten  aua  zurück.
 so  1;5½ Gleichsam quittierend gebraucht, wenn etwas erledigt ist. ALs sich Hilde einmal damit unterhielt, eine Kommodentür immer wieder zu öffnen und zu schließen, sagte sie jedesmal beim Zuschlagen  so! 
 das das  1;6 Beim Bilderansehn sagte sie es, indem sie auf jedes Bild mit dem Finger tippte. Nachahmung unseres: das ist dies, das ist jenes.
 alle  = fertig 1;5½ Wenn die Flasche leergetrunken, der Teller leergegessen ist, usw.
4. Erste Sätzchen
 eba papa wauwau  1;5½ Nachahmung der einfachen Erzählung der Mutter
 da sieh wauwau  1;5½ Sie zeigt die Tiersilhouetten.
 dada papa!  1;5½ Auf die Büste des Aristoteles zeigend.


C. Wortschatz und Satzbildung
des 1 Jahr 8 Monate alten Kindes


I. Wortschatz

Nur zwei Monate sind seit der letzten Zusammenstellung verflossen; doch haben diese einen rapiden Fortschritt gebracht. Eine Registrierung des Verstandenen ist nicht mehr möglich, da das Kind so ziemlich alles, was in seinem Interessenkreis gehört, versteht.

Um den Status praesens vollständig zu geben, sind nicht nur die neuerworbenen Wörter genannt, sondern auch (in Klammer) die schon früher dagewesenen.

Die beherrschten Wortkategorien sind im wesentlichen noch immer die drei: substantivische, verbale, interjektionale.

Die  Substantiva  bezeichnen durchweg Konkretes, doch sind die Gebiete des Lebens, denen sie angehören, schon sehr viel mannigfaltiger geworden. Ihre Zahl hat sich innerhalb zweier Monate mehr als verdreifacht (sie steigt von 23 auf 73).

Am meisten charakteristische ist aber für diese Phase das Anwachsen der  Tätigkeits bezeichnungen, die, vor zwei Monaten nur in vier Exemplaren existierend, jetzt in fünffacher Zahl (21) vorhanden sind. Die Sprache des Kindes ist ins "Aktions"stadium getreten.

Dagegen zeigen die  interjektionalen  Ausdrücke nicht einmal Verdopplung (sie steigen von 17 auf 28); ihre Höhezeit ist bald überschritten. -

Die Einteilung in Wortklassen geht übrigens oft genug nicht ohne Schwierigkeit oder gar Gewaltsamkeit ab; denn immer noch wohnt den Wörtern eine große Vieldeutigkeit inne. Ein und dasselbe Wort vertritt bald einen ganzen Satz, bald bezeichnet es ein Objekt, dann wieder die mit oder am Objekt auszuführende Tätigkeit, endlich nur einen affektmäßigen Ausruf. So kommt es, daß mehrere Wörter unter verschiedenen Kategorien zwei- oder dreimal genannt werden mußten. (Vgl.  naße, ziepzieps, mamau  u. a.).

Zählt man diese mehrfach wiederkehrenden Worte nur einmal, so enthält der Wortschaftz etwa 116 verschiedene Ausdrücke. -


1. Substantiva

a)  Personen 
(Früher schon genannt:  papa, mama, hilde, betta.) 

Neuerwerbungen:
 nante  = Tante (1; 7 ½); Zuerst wurden abgebildete Frauen so genannt, wohl, weil ihr die Photographie einer Tante mit diesem Wort gezeigt worden war.

 kind  (1; 7½); Ebenfalls zuerst für Abbildungen kleiner Kinder angewandt, z. B. für das Jesuskind auf dem Sixtinabild.

Ferner:  anna; onkel  = Onkel (1;7)

b)  Tiere: 
(Früher schon genannt;  wauwau, mitze, gagack, muh, pip-pip, brr brr, kiki.) 

Neu:  nickel  = Kaninchen und Hase, lediglich für abgebildete Tiere (1; 6½).

c)  Körperteile 
(Früher schon genannt:  auge, fuß, fieße) 

Neuerwerbungen:
 naße  (1; 6); Sonderbarerweise nannte das Kind 1; 7 zweimal an einem Tag die Stiefelspitzen "naße", indem sie daran zupfte, wie an unseren Nasen. Auch das Taschentuch wird  naße  genannt. 1; 8½ rief sie, wenn sie die Nase geputzt haben wollte:  naße-tasche! 

Ferner:  ziepzieps  = Haare (1; 7½),  ohr  (1; 7½),  mund  (1; 7½),  ahm  = Arm (1; 7½),  ant  = Hand,  bein  (1; 8)  guckele  = Auge (1;8)

d)  Kleidungsstücke  etc.
Neuerwerbungen:
 hute  oder  otte  = Hut (1;6)  pichel  = Lätzchen,  naße  = Taschentuch (1; 6 nur verlangend geäußert),  mitze  = Mütze (1; 6½),  irze  oder  otze  = Schürze (1; 6½),  antze  = Handtuch (1; 7),  nat  oder  nap  = Knopf (1; 7½),  schuä  = Schuhe (1; 7½, fürher wurden Schuhe auch  fieße  genannt),  kaje  = Kragen und Vorhemdchen (1; 7½)

e)  Nahrungsmittel  etc.

Neuerwerbungen:
 milß  = Milch;  fasche  = Flasche; (1; 6) nannte sie alle Flaschen (auch abgebildete Bierflaschen)  milß;  von 1; 6½ an wurden umgekehrt alle Flaschen (auch die Milchflasche)  fasche  genannt.

Ferner:  apfe  = Apfel (1; 6½,  feisch  = Fleisch (1; 6½)  ei  (1; 6½),  mieße  = Gemüse (1; 7½),  pot  = Kompott,  kuchel  = Kuchen (1; 7½)

f)  Spielsachen 
(Früher:  puppe, bildä) 

Neuerwerbungen, alle um 1; 7:
 miele  = Mühle,  ball, buch, mann  (aus Holz),  bär  (aus Holz),  beiße  = Gummibeißer,  kulle  = Garnrolle,  dalä  = Taler, Geld.

g)  Sonstige Gegenstände 
(Früher:  didda, lalala, mamau, lampe) 

Neuerwerbungen:  psi  = Blume (1; 7); Ursprünglich Nachahmung unseres fingierten Nießens. Bald wurden alle Blumen, auch gemalte, gestickte, gedruckte, stilisierte, so genannt.

 natz  oder  aps  = Knaps (1; 7); So hieß allerlei, was "Knaps"-Geräusche verursachen kann: Portemonnaie, Zuckerdose, Schere, Etui usw.

 rrr  = Nähmaschine oder Kaffeemühle (1; 7); Nicht direkte Onomatopöie, sondern Nachahmung der von uns zur Bezeichnung jenes Geräusches vorgemachten Laute.

 lalansch  = Badewanne (1; 7); Nachahmung unseres plansch plansch

 talj  = Stall (1; 7½); Viereckiges Holzgestell, in das sie öfter gesetzt wurde.

 feur  = Feuer (1; 7); Zuerst Bezeichnung für die Ofenfeuerung, dann bald verallgemeinert auf Spiritusflamme und brennende Streichhölzer.

Ferner:
 bett,  auch  bitt  (1; 6),  stülj  = Stühlchen und Stuhl (1; 6½),  tir  = Tür (1; 6½),  bösche,  später  bitze  = Bürste (1; 6½),  ziepzieps  = Kamm (1; 7½),  schlüchel  = Schlüssel (1; 6½) und Löffel (1; 7½),  wasche  = Waschschüssel (1; 7½),  lies  = Zeitung (1; 7½)


2. Verben und verb-ähnliche Worte

(Früher schon genannt:  ei-schei  = laufen,  essä, pieke pieke.  Die Interjektionen  kille kille  und  ssi ssi  sind allmählich zu verb-artign Bezeichnungen = kitzeln und nießen objektiviert worden.)

Neuerwerbungen:

 tatei  = zum Schlafen hinlegen (1; 6); Ausdruck des Kindermädchens "tatei machen".

 anzie  (1; 7); Wurde gleichmäßig für die beiden entgegengesetzten Begriffe anziehn und ausziehn verwandt.

 backe backe  = in die Hände klatschen (1; 7); Das bekannte Kinderlied "Backe backe Kuchen".

 hoppe hoppe heite  = hopsen auf dem Schoß (1; 7); Das Kinderlied "hoppe hoppe Reiter".

 atze atze  = ritsche ratsche machen, zerreißen; Namentlich von Papier gesagt (1; 7). Verstanden wurde unser "mach ritsche ratsche" schon fünf Monate vorher.

 tinke  = trinken (1; 8); Das Wort wurde 1; 9 öfter durch Assimilation korrumpiert zu =  kinke. 

 ging ging  = klingeln, klingling machen

 maumau  = baumeln, bimbaum machen.

 offe  = offen machen (1; 7½); So sagte das Kindermädchen beim Aufknöpfen von Kleidungsstücken.

Ferner:  lalala  = Klavierspielen (1; 7½),  lies  (Aufforderung zum Lesen 1; 7½),  enne enne  = rennen (1; 7½),  sitze  = hinsetzen (1; 7½),  wasche wasche  = waschen,  lalansch  = plansch plansch, waschen (1; ½),  ziepzieps  = frisieren (1; 7½).


3. Interjektionen

(Die früher genannten sind auch jetzt noch fast alle vorhanden. Aus  ss ss  (= horch horch) ist  hoss  geworden, aus  kilä  (beim Versteckspielen)  kuckuck  oder  kikik, aua  wird nur noch scherzhaft gebraucht,  bitte  wurde um 1; 7 herum zu  bitä, bitei, butei  verstümmelt)

Neuerwerbungen:
 dei dei butz!  (1; 7); Unser "1, 2, 3 butz" beim Gasausdrehen.

 du du du!  (1; ½); scherzhaftes Drohen mit erhobenem Finger. Sie schalt sich selbst so, wenn sie unartig war.

 sia!  = sieh mal (1; 8); Ruf des Erstaunens (z. B. wenn sie Vögelchen auf dem Fensterbrett sitzen sah) und des Stolzes (z. B. wenn sie allein ihr Stühlchen schob oder die Tasse hielt).

 ach ach!;  Ausruf freudigen Erstaunens, z. B. beim Anschauen von Bildern.

 danke!;  1; 6 wurde das Wort zunächst  ähnde  gesprochen, aber ganz im Tonfall unseres "danke". Dann verschwand es eine Zeitlang und tauchte 1; 7 als  danke  wieder auf. Anwendung noch rein automatisch, als Antwort auf unsere Frage: "wie sagt man?"

 tag!  auch  n'gag  = guten Tag! (1; 6½); Zuerst sagte sie es zu ihrem Spiegelbild, dann auch zu uns, indem sie unsere Hand faßt und fassen will. Als richtige Begrüßung nach Abwesenheit wurde das Wort noch nicht verstanden.

 maumau  = bimbaum; Wurde gesprochen, wenn sie Glocken läuten hörte. Die Silbe "baum" in unserer Bezeichnung bimbaum ruft also beim Kind dieselbe sprachliche Reaktion hervor, wie das Substantiv Baum.

 ein!  = herein!; wenn jemand klopft

 feu feu  = pfui pfui (1; 7½)

 szoß  = auf den Schoß! (1; 8); Ausdruck des Verlangens, auf den Schoß genommen zu werden.


4. Sonstige Worte

 und  (1; 6); Wenn die Mutter erzählte:  "Und  dann kommt ein Kiki  und  eine Muh, und - - ?" so fuhr HILDE fort:  "und pieppiep - und wauwau." 

 ja, nein;  Wurden seit 1; 6½ gebraucht, meist mit den entsprechenden Kopfbewegungen. Zuerst wurden sie im Sinn noch nicht deutlich unterschieden (z. B.: "Soll ich hauen? -  ja!"),  bald aber war der Gebrauch eindeutig. (Beispiel: "Soll ich die Papiermütze der Hilde aufsetzen?" - Hilde (unwillig)  nein!  - "Soll ich sie dem Vater aufsetzen?" - ja!). - Beide Worte wurden lediglich volitional gebraucht, noch nicht konstatierend.



LITERATUR - Clara und William Stern, Die Kindersprache - eine psychologische und sprachtheoretische Untersuchung, Leipzig 1907