![]() |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Die Kindersprache [2/2]
Sprachgeschichte unserer Tochter Erstes Lebensjahr In den ersten Lebenstagen des Kindes war der Hauptlaut, den es beim Schreien äußerte: ähä. Von der siebten Woche an brachte das gesättigte Kind zuweilen Töne des Behagens hervor, etwa wie kräkrä; mit zwei Monaten ließ sie den Vergnügungslaut erre erre hören. Vom 11 Wochen alten Kind wurde notiert: Das Lallen wird jetzt immer anhaltender und ist stets ein Zeichen großen Wohlbehagens. Meist setzt es nach Beendigung des Trinkens ein und dauert oft 10 - 15 Minuten. Die Laute sind viel zahlreicher und differenzierter geworden; die Hauptrolle spielt immer noch erre erre, zuweilen ekche ekche gesprochen (ch wie in doch). Sehr merkwürdig ist folgende Beobachtung, die wir mit Sicherheit seit Anfang der 11. Woche gemacht haben. Sagt man dem Kind, wenn es gut gelaunt ist, erre erre vor, so reagiert es häufig darauf, indem es die sonst unwillkürlich und mühelos hervorgebrachten Silben mit augenscheinlicher, oft sekundenlang dauernder Mühewaltung herausbringt. Die Anstrengung treibt dem Kind Röte ins Gesiht. Zufall ist ausgeschlossen, da der Versuch oft gelang, ohne daß das Kind vorher oder nachher von selbst Laute ausgestoßen hätte. Es machte durchaus den Eindruck einer gewollten und gelungenen Nachahmung. Eine Woche später gelang das gleiche mit den Silben kräkraä, die sie seit mehreren Wochen nicht mehr gelallt hatte. Um diese Zeit läßt die Ausdauer und Intensität des Lallens nach; wir beobachten überhaupt ein periodisches Auf- und Niederwogen der Lalltendenz, wobei jede Periode einige Wochen dauert. An den Höhepunkten ist das Jauchzen und Krähen weithin hörbar und ertönt selbst im Dunkeln, namentlich abends nach der letzten Nährung. Fünf Monate darauf notierten wir wiederum die Nachahmung ihr vertrauter Laute, diesmal schon in größerer Differenzierung. So wurde die Silbe hä (kurz und scharf herausgestoßen) bei einmaligem Vorsagen einmal, bei zweimaligem zweimal und bei vielmaligen vielmal nachgesprochen. Die Verdoppelung wurde am häufigsten richtig getroffen, aber auch da zuweilen vorgebracht, wo nur einmal hä vorgesagt worden war. Ferner beobachteten wir unzweifelhaft die Nachahmung eines vom Kind oft und gern ausgestoßenen rollenden Gurgellautes, etwa rrrr. Mit 8 Monaten wurde nun auch die Nachahmung einer ihr bisher fremden Lautverbindung konstatiert. Sie hatte seit einer Woche den tonlosen p-Laut gebildet; nun sprachen wir ihr papa vor, worauf jedesmal der erwähnte p-Laut erklang. Einmal als dies wieder geschehen war, hörten wir 5 bis 10 Minuten später aus dem Wagen heraustönend papapa. Als nun der Versuch mit dem Vorsprechen wiederholt wurde, erfolgte oft und ziemlich mühelos das Nachsprechen der Silben. Zuweilen werden die Nachahmungen zu einer Art primitiver Unterhaltung, die dem Kind sehr viel Freude macht. HILDE hatte schon früher oft den Vergnügungslaut ä oder a ausgestoßen. Wenn die Mutter sie nun damit ansprache, reagierte sie sofort ebenso, und diese "eintönige" Konservation setzte sich mehrere Minuten lang fort, nur öfter durch ein Jauchzen des Kindes unterbrochen. Inzwischen ist das Lallen immer mannigfaltiger geworden; wir notierten u. a. Silben ähnlich wie da pa ja neinei und ein Gemecker wie ääää. Als ihr der Vater einmal einen sehr hohen Ton vorpfiff, ließ HILDE in Nachahmung einen sehr hohen Quietschton hören; sie gab sich anscheinend Mühe, recht hoch zu antworten. In den letzten Monaten des ersten Lebensjahres begann das Sprachverständnis und kurz vor Abschluß des Jahres das sinnvolle Sprechen einzelner Worte. Das hierhergehörige Material befindet sich in der ersten Zusammenstellung. A. Wortschatz und Sprachverständnis des 5/4jährigen Kindes Da die beiden Funktionen des Sprachverständnisses und des Sprachgebrauhs nacheinander beginnen, so beherrscht in den frühen Stadien die erste Funktion einen beträchtlich weiteren Umkreis als die zweite. Wir trennen daher in der Darstellung beide Leistungen. Zuerst werden die zahlreichen Worte und Sätzchen registriert, die das 5/4jährige Kind um jene Zeit zwar verstand, aber noch nicht selber sprach. "Verstehen" bedeutet hier natürlich noch nichts anderes als: mit der eingelernte Reaktion beantworten. Es folgen die wenigen Worte, die das Kind damals bereits verständnisvoll selbst gebrauchte; die Erläuterungen mußten hier zum Teil ziemlich ausführlich sein, weil gerade die ersten Wortbedeutungen viele Phasen durchlaufen, ehe sie sich einigermaßen stabilisieren. Die Worte haben entweder substantivischen oder interjektionalen Charakter.
B. Sprachverständnis und Wortschaftz des 1 ½ jährigen Kindes Auch jetzt noch ist der Vorsprung des Verständnisses vor dem Selbstsprechen so groß, daß eine Scheidung notwendig ist. Besonders deutlich zeigt sich dies in der Fähigkeit, mehrere Vorstellungen synthetisch zu vereinigen. Sätze, wie "Halte den Fuß an die Nase" werden von 1; 4 ½ an verstanden; dagegen stellen sich erst einen Monat später geringe Spuren eigener zweigliedriger Satzbildung ein. Innerhalb der gesprochenen Worte lassen sich jetzt schon drei Kategorien deutlich unterscheiden, indem zu den Ausrufen und Objektsbezeichnungen nun auch Ausdrücke für Tätigkeiten kommen.
C. Wortschatz und Satzbildung des 1 Jahr 8 Monate alten Kindes I. Wortschatz Nur zwei Monate sind seit der letzten Zusammenstellung verflossen; doch haben diese einen rapiden Fortschritt gebracht. Eine Registrierung des Verstandenen ist nicht mehr möglich, da das Kind so ziemlich alles, was in seinem Interessenkreis gehört, versteht. Um den Status praesens vollständig zu geben, sind nicht nur die neuerworbenen Wörter genannt, sondern auch (in Klammer) die schon früher dagewesenen. Die beherrschten Wortkategorien sind im wesentlichen noch immer die drei: substantivische, verbale, interjektionale. Die Substantiva bezeichnen durchweg Konkretes, doch sind die Gebiete des Lebens, denen sie angehören, schon sehr viel mannigfaltiger geworden. Ihre Zahl hat sich innerhalb zweier Monate mehr als verdreifacht (sie steigt von 23 auf 73). Am meisten charakteristische ist aber für diese Phase das Anwachsen der Tätigkeits bezeichnungen, die, vor zwei Monaten nur in vier Exemplaren existierend, jetzt in fünffacher Zahl (21) vorhanden sind. Die Sprache des Kindes ist ins "Aktions"stadium getreten. Dagegen zeigen die interjektionalen Ausdrücke nicht einmal Verdopplung (sie steigen von 17 auf 28); ihre Höhezeit ist bald überschritten. - Die Einteilung in Wortklassen geht übrigens oft genug nicht ohne Schwierigkeit oder gar Gewaltsamkeit ab; denn immer noch wohnt den Wörtern eine große Vieldeutigkeit inne. Ein und dasselbe Wort vertritt bald einen ganzen Satz, bald bezeichnet es ein Objekt, dann wieder die mit oder am Objekt auszuführende Tätigkeit, endlich nur einen affektmäßigen Ausruf. So kommt es, daß mehrere Wörter unter verschiedenen Kategorien zwei- oder dreimal genannt werden mußten. (Vgl. naße, ziepzieps, mamau u. a.). Zählt man diese mehrfach wiederkehrenden Worte nur einmal, so enthält der Wortschaftz etwa 116 verschiedene Ausdrücke. - a) Personen (Früher schon genannt: papa, mama, hilde, betta.) Neuerwerbungen: nante = Tante (1; 7 ½); Zuerst wurden abgebildete Frauen so genannt, wohl, weil ihr die Photographie einer Tante mit diesem Wort gezeigt worden war. kind (1; 7½); Ebenfalls zuerst für Abbildungen kleiner Kinder angewandt, z. B. für das Jesuskind auf dem Sixtinabild. Ferner: anna; onkel = Onkel (1;7) b) Tiere: (Früher schon genannt; wauwau, mitze, gagack, muh, pip-pip, brr brr, kiki.) Neu: nickel = Kaninchen und Hase, lediglich für abgebildete Tiere (1; 6½). c) Körperteile (Früher schon genannt: auge, fuß, fieße) Neuerwerbungen: naße (1; 6); Sonderbarerweise nannte das Kind 1; 7 zweimal an einem Tag die Stiefelspitzen "naße", indem sie daran zupfte, wie an unseren Nasen. Auch das Taschentuch wird naße genannt. 1; 8½ rief sie, wenn sie die Nase geputzt haben wollte: naße-tasche! Ferner: ziepzieps = Haare (1; 7½), ohr (1; 7½), mund (1; 7½), ahm = Arm (1; 7½), ant = Hand, bein (1; 8) guckele = Auge (1;8) d) Kleidungsstücke etc. Neuerwerbungen: hute oder otte = Hut (1;6) pichel = Lätzchen, naße = Taschentuch (1; 6 nur verlangend geäußert), mitze = Mütze (1; 6½), irze oder otze = Schürze (1; 6½), antze = Handtuch (1; 7), nat oder nap = Knopf (1; 7½), schuä = Schuhe (1; 7½, fürher wurden Schuhe auch fieße genannt), kaje = Kragen und Vorhemdchen (1; 7½) e) Nahrungsmittel etc. Neuerwerbungen: milß = Milch; fasche = Flasche; (1; 6) nannte sie alle Flaschen (auch abgebildete Bierflaschen) milß; von 1; 6½ an wurden umgekehrt alle Flaschen (auch die Milchflasche) fasche genannt. Ferner: apfe = Apfel (1; 6½, feisch = Fleisch (1; 6½) ei (1; 6½), mieße = Gemüse (1; 7½), pot = Kompott, kuchel = Kuchen (1; 7½) f) Spielsachen (Früher: puppe, bildä) Neuerwerbungen, alle um 1; 7: miele = Mühle, ball, buch, mann (aus Holz), bär (aus Holz), beiße = Gummibeißer, kulle = Garnrolle, dalä = Taler, Geld. g) Sonstige Gegenstände (Früher: didda, lalala, mamau, lampe) Neuerwerbungen: psi = Blume (1; 7); Ursprünglich Nachahmung unseres fingierten Nießens. Bald wurden alle Blumen, auch gemalte, gestickte, gedruckte, stilisierte, so genannt. natz oder aps = Knaps (1; 7); So hieß allerlei, was "Knaps"-Geräusche verursachen kann: Portemonnaie, Zuckerdose, Schere, Etui usw. rrr = Nähmaschine oder Kaffeemühle (1; 7); Nicht direkte Onomatopöie, sondern Nachahmung der von uns zur Bezeichnung jenes Geräusches vorgemachten Laute. lalansch = Badewanne (1; 7); Nachahmung unseres plansch plansch talj = Stall (1; 7½); Viereckiges Holzgestell, in das sie öfter gesetzt wurde. feur = Feuer (1; 7); Zuerst Bezeichnung für die Ofenfeuerung, dann bald verallgemeinert auf Spiritusflamme und brennende Streichhölzer. Ferner: bett, auch bitt (1; 6), stülj = Stühlchen und Stuhl (1; 6½), tir = Tür (1; 6½), bösche, später bitze = Bürste (1; 6½), ziepzieps = Kamm (1; 7½), schlüchel = Schlüssel (1; 6½) und Löffel (1; 7½), wasche = Waschschüssel (1; 7½), lies = Zeitung (1; 7½) (Früher schon genannt: ei-schei = laufen, essä, pieke pieke. Die Interjektionen kille kille und ssi ssi sind allmählich zu verb-artign Bezeichnungen = kitzeln und nießen objektiviert worden.) Neuerwerbungen: tatei = zum Schlafen hinlegen (1; 6); Ausdruck des Kindermädchens "tatei machen". anzie (1; 7); Wurde gleichmäßig für die beiden entgegengesetzten Begriffe anziehn und ausziehn verwandt. backe backe = in die Hände klatschen (1; 7); Das bekannte Kinderlied "Backe backe Kuchen". hoppe hoppe heite = hopsen auf dem Schoß (1; 7); Das Kinderlied "hoppe hoppe Reiter". atze atze = ritsche ratsche machen, zerreißen; Namentlich von Papier gesagt (1; 7). Verstanden wurde unser "mach ritsche ratsche" schon fünf Monate vorher. tinke = trinken (1; 8); Das Wort wurde 1; 9 öfter durch Assimilation korrumpiert zu = kinke. ging ging = klingeln, klingling machen maumau = baumeln, bimbaum machen. offe = offen machen (1; 7½); So sagte das Kindermädchen beim Aufknöpfen von Kleidungsstücken. Ferner: lalala = Klavierspielen (1; 7½), lies (Aufforderung zum Lesen 1; 7½), enne enne = rennen (1; 7½), sitze = hinsetzen (1; 7½), wasche wasche = waschen, lalansch = plansch plansch, waschen (1; ½), ziepzieps = frisieren (1; 7½). (Die früher genannten sind auch jetzt noch fast alle vorhanden. Aus ss ss (= horch horch) ist hoss geworden, aus kilä (beim Versteckspielen) kuckuck oder kikik, aua wird nur noch scherzhaft gebraucht, bitte wurde um 1; 7 herum zu bitä, bitei, butei verstümmelt) Neuerwerbungen: dei dei butz! (1; 7); Unser "1, 2, 3 butz" beim Gasausdrehen. du du du! (1; ½); scherzhaftes Drohen mit erhobenem Finger. Sie schalt sich selbst so, wenn sie unartig war. sia! = sieh mal (1; 8); Ruf des Erstaunens (z. B. wenn sie Vögelchen auf dem Fensterbrett sitzen sah) und des Stolzes (z. B. wenn sie allein ihr Stühlchen schob oder die Tasse hielt). ach ach!; Ausruf freudigen Erstaunens, z. B. beim Anschauen von Bildern. danke!; 1; 6 wurde das Wort zunächst ähnde gesprochen, aber ganz im Tonfall unseres "danke". Dann verschwand es eine Zeitlang und tauchte 1; 7 als danke wieder auf. Anwendung noch rein automatisch, als Antwort auf unsere Frage: "wie sagt man?" tag! auch n'gag = guten Tag! (1; 6½); Zuerst sagte sie es zu ihrem Spiegelbild, dann auch zu uns, indem sie unsere Hand faßt und fassen will. Als richtige Begrüßung nach Abwesenheit wurde das Wort noch nicht verstanden. maumau = bimbaum; Wurde gesprochen, wenn sie Glocken läuten hörte. Die Silbe "baum" in unserer Bezeichnung bimbaum ruft also beim Kind dieselbe sprachliche Reaktion hervor, wie das Substantiv Baum. ein! = herein!; wenn jemand klopft feu feu = pfui pfui (1; 7½) szoß = auf den Schoß! (1; 8); Ausdruck des Verlangens, auf den Schoß genommen zu werden. und (1; 6); Wenn die Mutter erzählte: "Und dann kommt ein Kiki und eine Muh, und - - ?" so fuhr HILDE fort: "und pieppiep - und wauwau." ja, nein; Wurden seit 1; 6½ gebraucht, meist mit den entsprechenden Kopfbewegungen. Zuerst wurden sie im Sinn noch nicht deutlich unterschieden (z. B.: "Soll ich hauen? - ja!"), bald aber war der Gebrauch eindeutig. (Beispiel: "Soll ich die Papiermütze der Hilde aufsetzen?" - Hilde (unwillig) nein! - "Soll ich sie dem Vater aufsetzen?" - ja!). - Beide Worte wurden lediglich volitional gebraucht, noch nicht konstatierend. ![]() LITERATUR - Clara und William Stern, Die Kindersprache - eine psychologische und sprachtheoretische Untersuchung, Leipzig 1907 |