Max KriegUwe Spörl/td> | |||
Jenseits von Grund und Ordnung - I I -
IV. Es soll und muß jedem selbst überlassen bleiben, sich durch Skepsis und Mystik durchzubeißen, nachzudenken, nachzufühlen, mitzudenken und mitzufühlen, was LANDAUER sagen wollte. Der Sinn dieses Nachworts kann nicht in einer doch immer nur annähernd möglichen Wiedergabe des Inhalts liegen. Einige Schwerpunkte sollen jedoch herausgestellt werden. LANDAUER stellt die gewonnenen Erkenntnisse in einen geschichtsphilosophischen Zusammenhang, der zugleich auch anzeigt, für wen im Weltprozeß LANDAUER Partei ergreift:
Als zweite Zeugen gelten für LANDAUER die Nominalisten des Mittelalters bis hin zu dem "letzten großen Nominalisten MAX STIRNER"(28). "Die Abstrakta", schrieb LANDAUER, "waren nach seiner glänzenden Darstellung aufgeblasener Nichtigkeiten, die Sammelnamen nur der Ausdruck für eine Summe von Einzelwesen."(29) Doch habe die Stirnersche Besessenheit ihrerseits darin bestanden, "das konkrete Einzelwesen ... auf den entlehrten Stuhl Gottes"(30) zu setzen. Für LANDAUER ist dagegen auch das isolierte Individuum eine Nichtigkeit, es sei jetzt wieder "Zeit zu der Einsicht, daß es keinerlei Individuum, sondern nur Zusammengehörigkeiten und Gemeinschaften gibt."(31) LANDAUERs "neue Mystik", seine "neue starke Aktion", von der wir gesprochen hatten, haben durch die eben genannten Zeugen ihre feste Verankerung in der Geschichte. LANDAUER ist weit entfernt davon, diesen Rückgriff in die Vergangenheit für einen Makel zu halten, denn sein Geschichtsmodell verläßt bewußt jenes Fortschrittsdenken, das für Liberalismus und Marxismus gleichermaßen gültig ist. "...Vergangenheit, Gegenwart, und Zukunft und ebenso Hier und Dort (sind) nur ein einzig-einer Strom ... Es gibt dann für diese Welt, die uns so notwendig und darum wahrhaft ist, nicht eine Ursache, die am einen Ende gewesen ist, und nicht die Wirkung, die am anderen Ende gegenwärtig ist..."(32) Die LANDAUERsche (und die MAUTHNERsche) Philosophie führt uns weg von "dieser Welt", wie sie uns mit den kümmerlichen Mitteln unserer Sprache und Vernunft gegeben ist. Aber LANDAUER sagt nun nicht etwa, die Welt sei absolut unzugänglich oder es käme darauf an, bessere Erkenntniswerkzeuge zu ersinnen: "Bisher fiel alles auseinander in ein armes schwächliches aktives Ich und eine unnahbar starre, leblose passive Welt. Bisher haben wir uns begnügt, die Welt in den Menschengeist, besser gesagt in den Hirngeist zu verwandeln; verwandeln wir uns jetzt in den Weltgeist."(33) Die Emphase (Nachdrücklichkeit), die in diesem Passus wie in dem LANDAUERschen Werk insgesamt vorherrscht, mag in einer Zeit, deren Gedanken- und Vorstellungshaushalt von kritischem Rationalismus einerseits und Marxismus andererseits bestimmt wird, als emotionale Eskapade eines romantischen Schwärmers vorkommen. Skepsis und Mystik enthüllt dagegen dem Leser, der bei der Lektüre nicht nur seine eigenen (Vor)urteile bestätigt sehen will, etwas anderes: Diejenigen, die im Namen von Wissenschaftlichkeit, Fortschritt, Vernunft, etc. über LANDAUER mit einer lässigen Handbewegung hinweggehen, sind dieselben, denen seinerzeit der LANDAUERsche Kampf galt. LANDAUER hat sich entschieden gewehrt, seine Vorstellungen wissenschaftlich, d.h. im Sinne des überkommenen Wissenschaftsbetriebes zu begründen und zu ordnen, d.h. sie in ein System zu kleiden: "Ein System entsteht, wenn einer findet, die Welt sei der Ausdruck eines Gedankens, meist einer Moral; vor welch schönem Gedanken der Autor dann systematisch seine Notdurft verrichtet."(34) V. Die Frage nach der Aktualität des Textes zu beantworten, fällt bei Skepsis und Mystik zugegebenermaßen besonders schwer. Setzt man einmal voraus, daß hinter dem Anspruch auf Aktualität, bei dem, der ihn stellt, nicht ein bloßes pragmatisches Verwertungs- oder Anwendungsinteresse besteht, sondern ein Wunsch nach einer inneren Beziehung und Verbundenheit, so bleibt immer noch die Schwierigkeit, das Dilemma sozusagen, sowohl eine bloße Nacherzählung - die dem Text doch nie gerecht werden könnte - als auch eine treffliche Verallgemeinerung - die dem Text doch immer Gewalt antun müßte - zu vermeiden. Es mag Texte geben, die so allgemein gehalten sind, daß sich kaum Widerspruch regt hinsichtlich ihrer Gültigkeit für lange Zeit, wo die Aktualität sozusagen auf der Hand liegt. Demgegenüber gibt es Schriften, die von vornherein so individuell angelegt sind, daß sich jedes Reden über sie fast von selbst verbietet, da es wie eine Ausbeutung oder gar Vergewaltigung anmuten würde. Die Tatsache, daß Skepsis und Mystik zwischen diesen beiden (vielleicht) künstlichen Extremen liegt, behebt das Problem keineswegs. Einfacher scheint sich sagen zu lassen, was diese Aktualität nicht oder was sie nicht nur ist. Weder eine im Rahmen des Wissenschaftsbetriebs sich herausschälende noch eine von direkt politischem Interessen bestimmte Aktualität kann m.E. das Entscheidende sein; und das nicht so sehr deswegen, weil in beiden Fällen in der Regel der Zufall herrscht, also bestimmt, was nun gerade aktuell sein soll und was nicht, sondern weil beide Bereiche funktional-zentralistisch aufgebaut sind und Gesetzen gehorchen, die in der Regel dem freien autonomen Einzelnen direkt im Wege stehen. Es mag verlockend oder geboten erscheinen, die Sprachkritik MAUTHNERs und LANDAUERs auf mögliche Auswirkungen auf die heutige Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie hin zu überprüfen. Eine solche historisch-philologische Analyse würde an dieser Stelle jedoch zu weit führen; so wichtig und interessant sie auch sein mag, liegt sie für die Intention dieses Nachwortes doch eher am Rande. Die individuellen Erfahrungen, mit denen der Einzelne Skepsis und Mystik begegnet, werden je nach der geistigen und politischen Herkunft verschieden sein. Ebenso dürften die Schwerpunkte, das was einem am meisten bedeutet, wechseln. Die folgenden abschließenden Bemerkungen werden dementsprechend individuell ausgeprägt sein. In Skepsis und Mystik hat GUSTAV LANDAUER einem Denken den Grund entrissen, das in Vernunft und Systematik sein Heil sah. Er hat aufgezeigt, daß die Ordnung, die diesen Denksystemen und ihren (einzel)-wissenschaftlichen Ausprägungen zukommt, dem Aberglauben religiösen Ursprungs, über den sie sich kritisch erheben zu können glaubten, um nichts nachsteht. Mit diesen Denksystemen steht und fällt ein bestimmter Begriff von Erfahrung und Erkenntnis. LANDAUER stellt sich bewußt außerhalb der vielen (Schein-)Alternativen, um die in der Geschichte der Philosophie so erbittert gerungen worden ist - sei es nun das mittelalterliche Nominalismus -Realismus -Problem oder der moderne Materialismus -Idealismus -Streit. Daß dies alles keine bloß philosophischen Plänkeleien sind, wird daraus ersichtlich, daß es LANDAUER - im Einklang mit MAUTHNER - mit dem Problem der Sprache verknüpft und darüberhinaus die Bedeutung aufzeigt, die sich daraus für die Frage nach dem Handeln ergibt. Ohne dem alteingesessenen (Schein-)Gegensatz Theorie-Praxis zu verfallen, läßt LANDAUER die Skepsis - wenn man so will eine bestimmte theoretische Grundhaltung - in Aktion - in eine praktische Bewältigung, fast möchte man sagen Be-Weltigung - münden. Der Begriff der Mystik, der von LANDAUER in diesem Zusammenhang eingeführt wird, steht in seiner Wortbedeutung für etwas, das nicht bloße Betrachtung (contemplatio, theoria), das aber auch nicht direkt Zweck-Mittel-orientierte praktische Tätigkeit darstellt. Sicher ist dies der Punkt, über den sich am wenigsten sagen, schreiben läßt. Die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Wortstamms, von dem sich das Wort Mystik herleitet, besagt gerade, daß die nach außen gerichteten Sinnesorgane gewissermaßen abgeschaltet werden. Mystik ist demzufolge eine Versenkung in sich und eine innere Begegnung zugleich. Die Vorstellung, daß in diesem Prozeß einer Versenkung in sich und einer inneren Begegnung der Mensch zum "Medium der Welt, aktiv und passiv in einem" (35) wird, scheint schwer nachvollziehbar und läßt sich auch wohl nur dadurch nachvollziehen, daß man sie wirklich vollzieht, also erlebt und nicht nur im nachhinein vorstellt. Zu glauben, daß die LANDAUERsche Mystik weltfremder Spuk wäre, verbietet sich, wenn man den Optimismus vermerkt, er ihr innewohnt. Die Gewißheit der Neuschöpfung der Welt durchzieht die LANDAUERsche Vorstellung von Mystik. Ob dieser Optimismus gerechtfertigt ist, muß natürlich der je verschiedenen individuellen Einschätzungen vorbehalten bleiben. Fest steht jedoch, daß LANDAUERs fordernde und aufmunternde Frage "wollen wir nicht Träumer sein? Fliegende? Freie? Künstler?"(36) ebenso wie sein "...wenn das Wort getötet ist: was soll dann noch stehen bleiben? Und was hinwiederum soll dann nicht versucht werden?"(37) um ein Vielfaches freudiger zu stimmen vermag als der graue an Arbeit, Erfolg und Wachstum orientiert Fortschrittsoptimismus einer Welt, die alles einem Wandel zu unterwerfen bereit ist, nur nicht ihren Grund und ihre Ordnung bzw. das was sie dafür hält. Die Gegenfrage, wo denn bei LANDAUER Grund und Ordnung zu finden seien bzw. wie sie in seiner Vision einer neuen Welt aussähen, entlarvt sich als ein Denken, das ohne beides - Grund und Ordnung - nicht auszukommen glaubt, und bestärkt - "jetzt gerade" - jene Haltung mit der LANDAUER der alten Welt zum Trotz und sich selbst und den Seinen zur Aufmunterung zurief: "Denn da, wo nichts mehr feststeht und kein Grund mehr ist, da werden wir unsere Pfähle einrammen."(38) Diesen Optimismus hinsichtlich der Neuschöpfung der Welt entspricht eine existenzielle Erfahrung der Unmöglichkeit von Leben in der alten Welt. Die Spannung, die sich daraus für den, der sie einmal am eigenen Leibe verspürt hat, ergibt, hat GUSTAV LANDAUER mit unübertrefflicher Klarheit und Kürze formuliert, als er in Bezug auf die Ketzer, Sektierer und Mystiker von denen sprach, "die leidenschaftlich nach Ruhe begehrten, aber durch nichts beruhigt werden konnten."(39) Fast sechzig Jahre nach der Ermordung Gustav LANDAUERs lastet diese Spannung, das Suchen nach Ruhe und doch keine Ruhe finden können mehr denn je auf dem, der sie einmal verspürt hat und den sie nicht mehr loszulassen scheint.
GUSTAV LANDAUER, Skepsis und Mystik, Köln 1923, und vorliegende Ausgabe, Seite 46 MEISTER ECKHARTs Mystische Schriften, in unsere Sprache übertragen von Gustav LANDAUER, Berlin 1920 und Wetzlar 1978, Seite 8 MEISTER ECKHARTS Mystische Schriften, Berlin 1920 und Wetzlar 1978, Seite 7 GUSTAV LANDAUER, Skepsis und Mystik, Köln 1923, Seite 12 GUSTAV LANDAUER, Skepsis und Mystik, Köln 1923, Seite 13 GUSTAV LANDAUER, Skepsis und Mystik, Köln 1923, Seite 13 GUSTAV LANDAUER, Skepsis und Mystik, Köln 1923, Seite 13 GUSTAV LANDAUER, Skepsis und Mystik, Köln 1923, Seite 10 GUSTAV LANDAUER, Skepsis und Mystik, Köln 1923, Seite 9 GUSTAV LANDAUER, Skepsis und Mystik, Köln 1923, Seite 63 GUSTAV LANDAUER, Skepsis und Mystik, Köln 1923, Seite 9 GUSTAV LANDAUER, Skepsis und Mystik, Köln 1923, Seite 2 GUSTAV LANDAUER Skepsis und Mystik, Köln 1923, Seite 3 GUSTAV LANDAUER, Skepsis und Mystik, Köln 1923, Seite 3 GUSTAV LANDAUER, Skepsis und Mystik, Köln 1923, Seite 46 |