Theologische Ansicht II-33
Man muß nur den Märchenton dieser Sätze tief genug empfinden, um sich mit einer Antwort nicht aufzuhalten. Auch die verschämte theologische Erklärung, der Ursprung des Lebens sowie die Anlage zur Sprache stamme von der Schöpfung her und habe sich dann aus dem gelegten Keime weiter entwickelt, führt nicht weiter. In neuer Zeit hat man für den Ursprung des Lebens - auch HELMHOLTZ hat das leider unterschrieben - die unfreiwillig komische Erklärung versucht, die ersten mikroskopischen Organismen seien aus dem Weltraum mit einem Meteor auf die Erde gekommen. Das Meteor ist wahrhaftig wie der große Unbekannte, auf den sich jeder Spitzbube beruft. Das Altertum war natürlich klüger, wie überall da, wo erst das Christentum das Denkvermögen schwächte; PLATON blieb wenigstens innerhalb der Wirklichkeitswelt, als er die Sprache durch die Onomatopöie, die Schallnachahmung, entstehen ließ. Der glaubhaften Schallnachahmungen gibt es aber in den lebendigen Sprachen so wenige, daß dieser Ausspruch längst nicht mehr ernst genommen wird. Etwas Zuverlässiges, auf Erfahrung Begründetes läßt sich natürlich nicht über den Ursprung der Sprache wissen. Induktion ist also ausgeschlossen. Deduktion aus Begriffen führt nur zu Tautologien. Wollen wir uns also den Ursprung der Sprache dennoch vorstellen, so müssen wir es metaphorisch, bildlich tun, und wir werden dabei mehr gewinnen als durch kühne Behauptungen. Ich will die Hauptbegriffe vorläufig in ihrem landläufigen Sinne nehmen und hoffen, daß wir am Schlusse dieser Überlegung zu dieser Landläufigkeit wieder ein Fragezeichen setzen müssen. Was das Wachstum (Erhaltung und Fortpflanzung) der Organismen ausmacht, das wird wohl ihre Entstehung veranlaßt haben. Bildlich gesprochen: Nahrung ist Wachstum. Und ich kann mir lustig ausdenken, daß die Abzweigung des Tierreichs vom Pflanzenreich damals erfolgte, als so ein parasitischer Organismus (Pflanze) sich vor Hunger und Neid umstülpte, die Nahrung umschließend festhielt, also einen Magen bildete und dann gezwungen war, Gliedmaßen aus sich herauszusenden, um diesem Magen die Nahrung zuzuführen, die er nicht mehr parasitisch saugen konnte. Und noch früher mag sich das Leben vom leblosen Stoff abgegrenzt haben, als an ein fähigeres Molekül Nahrung herantrat. Ich weiß, daß diese Fiktion nichts erklärt; die "Fähigkeit" des Moleküls enthält schon wieder die Frage nach dem Ursprung des Lebens. Aber die Frage wird durch das Bild wohl vereinfacht. Was ist es nun, was das Wachstum der Sprache ausmacht? Was ist die geistige Nahrung der Sprache? Wenn ich ganz genau unterscheide zwischen dem sprunghaften Wachstum unserer Wirklichkeitskenntnisse (welche Sachbeobachtungen sind und immer der Sprache, ihrem Wort, vorangehen) und dem organischen Wachstum der Sprache selbst, das heißt dem der Naturgesetze, der Begriffe, der Schlüsse, kurz des menschlichen Geschwätzes, dann komme ich zu der Wahrnehmung, daß die Sprache seit Menschengedenken (und Menschengedenken ist wieder nur Sprache) allein gewachsen ist und noch heute wächst durch Übertragen eines fertigen Wortes auf einen unfertigen Eindruck, durch Vergleichung also, durch diesen ewigen Akt des á-peu-près, durch dieses ewige Umschreiben und Bildlichreden, das die künstlerische Kraft und die logische Schwäche der Sprache ausmacht. Die zwei oder die hundert "Bedeutungen" eines Wortes oder Begriffes sind ebenso viele Metaphern oder Bilder, und da wir heute durchaus von keinem Worte eine Urbedeutung kennen, da die erste Etymologie unendliche Jahre hinter unserer Kenntnis von ihr zurückliegt, so hat kein Wort jemals andere als metaphorische Bedeutungen. Wir sind an diesen Gebrauch so gewöhnt, daß wir es nicht einmal als einen Mangel empfinden, wenn wir sogar die allerdringendsten Begriffe, solche, die auch Tiere haben dürften, mit widerstreitenden Worten aus fast entgegengesetzten Sphären bildlich benennen. Wenn wir in einer fremden Sprache nur ein seltenes Wort umschreiben müssen, schämen wir uns und empfinden das als Unvermögen. Wir empfinden es aber nicht als Metapher, wir sind ganz unverschämt, wenn wir die Zeit mit räumlichen Ausdrücken (lang, kurz), wenn wir die Tonhöhe mit Raum- oder Farbenbegriffen (tief, hell) umschreiben; dies ist noch in unseren gealterten Sprachen nachweisbar. Unsere Sprache wächst durch Metaphern. Und zwar kann man sagen, daß jede Metapher zuerst bewußt gebraucht wird und in den Organismus der Sprache, als Zuwachs, erst dann eingetreten ist, wenn man sie nicht mehr als Metapher fühlt. So wäre es also eine bloße Annahme, daß die Metapher, die das Wachstum der Sprache ausmacht, auch ihren Ursprung veranlaßt hat. Dabei kann ich mir aber für jetzt noch nichts denken. Es klingt nach etwas, ist aber noch Geschwätz. Der Satz, daß die Metapher die Sprache geschaffen habe, wird aber denkbar, faßbar, ja aufklärend, wenn ich nun wiederhole, daß die Metapher auch zwischen Raum-, Zeit- und Schallbegriffen vermittelt. Wer im fremden Lande, dessen Sprache er nicht kennt, "groß" sagen will, wird die Arme weit öffnen; das ist eine ganz natürliche Geste. (Es ist natürlich, daß das Tier sie nicht hat.) Wer dort "klein" sagen will, wird die Handflächen nahe zusammenlegen. Wie nun, wenn auch der ganze Stimmapparat sich gern an der Gestikulation beteiligte? Wie, wenn Stimmritze und Mund sich eng zusammenschlösse, also "i" sagte, um einen kleinen Raum nachzuahmen, Stimmritze und Mund sich öffnete "o" machte, um großen Raum nachzuahmen? Wie, wenn das bereits eine Metapher wäre? Wenn dann der Laut vom Raum auf die Zeit, auf Farben usw. übertragen würde? Ich gestehe, daß mir mit dieser Hypothese doch etwas für die Frage nach dem Sprachursprung gewonnen scheint. Und wenn PLATON auch natürlich nicht im Traume an eine solche Auffassung seiner Onomatopöie (Wortbildung) gedacht hat, so könnte man eine Urmetapher auch recht gut Onomatopöie nennen. Denn - wie ich sonst zeige unsere angeblichen Klangnachahmungen, soweit sie der wirklichen Sprache angehören und nicht Scherze sind, sind nicht papageienhafte Nachahmungen artikulierter, in Mit- und Selbstlauter geschiedener Naturlaute, sondern metaphorische Nachahmungen (z.B. von Melodien durch Silben), welche uns so geläufig geworden sind, daß wir unsere metaphorische Onomatopöie in den Naturlaut hineinhören. Der Kuckuck singt nicht "k" oder etwas k-ähnliches, nicht "u" oder etwas u-ähnliches. Und doch hören wir ihn "Kuckuck" singen und glauben ihm durch seinen Namen seinen Ruf nachzuahmen. Nun muß ich mich aber davor hüten, selbst ein Wortdiener zu werden und zu glauben, ich hätte mit der Metapher von der Metapher etwas Wirkliches erklärt. Es ist ein Wort, das ich durch meine hypothetische Beobachtung habe wachsen lassen. Das ist alles. Und doch wieder nicht alles. Es muß doch hinter dem Raum unserer Sprache etwas Raumverwandtes in der Wirklichkeitswelt stecken, wenn der Sprachapparat, da er Raumvorstellungen bildlich machen will, selbst zum Raumbilde wird. Und so mag auch hinter dem Drang zu so kühnen Metaphern (wie Übertragung des Raumes auf die Zeit, von der Farbe auf den Schall) ein Zwang stecken, der in den unentschleierten Verhältnissen der Wirklichkeitswelt liegt. Sprache ist Metapher; aber die Metapher deckt irgendwie die Welt. An dieser Vorstellung vom Ursprung der Sprache wird nichts geändert durch die Überzeugung, daß ein einzelner Mensch die Sprache nie in sich entwickelt hätte, daß die Sprache wesentlich etwas zwischen Menschen, daß sie Gesellschaftsprodukt ist, daß der Monolog etwas Krankes ist. Im Gegenteil: So wie die Umschreibung (in einer mangelhaft gesprochenen Sprache) erst durch die Berührung des Menschen mit einer fremden Nation nötig wird, so mag die Metapher der Ursprache, die Uronomatopöie, die metaphorische Nachahmung durch den Schall, eben auch durch den Drang entstanden sein, sich einander mitzuteilen, in einer Zeit, wo jeder fremd unter Fremden war. Daß der Hörer der metaphorischen Schallnachahmung (das heißt der räumlichen Sprachapparatsnachahmung) den Sprecher verstand, ist nicht so merkwürdig, wie man glauben sollte. Die Sprache mag eben mit den deutlichsten Onomatopöien begonnen haben, den damals deutlichsten. Denn es können hunderttausend Jahre verflossen sein, bevor man "Kuckuck" als Onomatopöie empfand. Und wir gehen gewiß nicht fehl, wenn wir uns die furchtbarsten Leidenschaften und Aufregungen als die Hebammen der ersten Schallnachahmungen denken. Blitz, Donner, Tod, Mord, Hunger, Frost, Liebe, Kind: in dieser Gegend muß sich die werdende Sprache bewegt haben, nicht in den legendären Sprachwurzeln. Daß die Sprache gewiß als ein Gesellschaftsprodukt, also als ein Mitteilungsmittel entstanden ist, das kennzeichnet eben, was den Kern dieser Gedanken ausmacht: Daß sie nie und nimmer sich über ihren Ursprung erheben kann, daß sie in ewig fortschreitenden Bildern bis zur Höhe eines künstlerischen Mittels wachsen, als Erkenntnismittel aber stets unfruchtbar bleiben muß, immer nur bereit, das Wirkliche gesellig zu beschwatzen. Eine der drolligsten Metaphern ist die deutsche Übersetzung, von Onomatopöie: "Lautmalerei". Daß der Schall zum Sprachmittel gewählt wurde, möchte man gern damit erklären, daß das Gehör derjenige Sinn sei, der das Gefühl am meisten errege, wie wir denn auch durch Töne stärkere Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten erfahren (Harmonien und Dissonanzen) als durch Farben usw. Es ist aber viel einfacher zu erklären, wenn wir dabei bleiben, daß Sprache von Anfang an metaphorische Onomatopöie war. Unsere Stimmwerkzeuge können aber unzählige Töne, so wie wir sie brauchen, viel schneller, bequemer und selbständiger (ohne fremde Werkzeuge) hergeben, als wenn wir z.B. Lichteindrücke, also eine Augensprache, schaffen wollten, wobei freilich noch dahinter steckt, daß sich unsere Sprachwerkzeuge nicht so gebildet hätten, wenn eben nicht eine Ding-Verwandtschaft zwischen Wirklichkeitsverhältnissen und dem Schall bestände. "Die Musik ist die Welt noch einmal." - Von der Uronomatopöie ist ganz gewiß keine einzige mehr auf historische Zeit gekommen. Es ist Selbsttäuschung, wenn wir Worte wie z.B. Donner, Blitz, sanft, hart usw. für Onomatopöien halten. Das ist aber ganz gleichgültig, wenn wir uns ganz klar gemacht haben, daß auch die ersten Onomatopöien nur metaphorisch waren. Die metaphorische Schallnachahmung ist als sprachbildend fast nicht mehr lebendig; nur hin und wieder wie in cri-cri, froufrou, wo wir genau feststellen können, daß diese scheinbar so deutliche Schallnachahmung doch nur bildlich, metaphorisch, fast konventionell ist, weil doch die Feder nicht cri, die Seide nicht frou macht. Die Metapher ohne Nachahmung ist der Sprache einzige Möglichkeit des Wachstums geblieben. Zur Sprachwissenschaft, Stuttgart/Berlin 1906 |