ra-2Revolution 
 
ULRICH LINSE
Landauers Ermordung

Unter Kolbenschlägen und den Schlägen des Majors sank Landauer zusammen. Er stand jedoch wieder auf und wollte zu reden anfangen. Da rief ein Vizewachtmeister: "Geht mal weg!" Unter Lachen und freudiger Zustimmung der Begleitmannschaften gab der Vizewachtmeister zwei Schüsse ab, von denen einer Landauer in den Kopf traf. Landauer atmete immer noch. Da sagte der Vizewachtmeister: "Das Aas hat zwei Leben, der kann nicht kaputt gehen!" Ein Sergeant vom Leibregiment, der sich noch immer in Stadelheim befindet, rief: "Ziehen wir ihm doch den Mantel runter" und wollte auf den Ring hin, den Landauer am Finger trug. Ich sagte dem Sergeanten, er möge Landauer den Ring lassen. Der Mantel wurde ihm jedoch von dem Sergeanten ausgezogen. Da Landauer immer noch lebte, legte man ihn auf den Bauch. Unter dem Ruf: "Geht zurück, dann lassen wir ihm noch eine durch!" schoß der Vizewachtmeister Landauer in den Rücken, daß es ihm das Herz herausriß und er vom Boden wegschnellte. Da Landauer immer noch zuckte, trat ihn der Vizewachtmeister mit den Füßen zu Tode. Dann wurde ihm alles heruntergerissen und seine Leiche zwei Tage lang ins Waschhaus geworfen."

Dokument 1
Telegramme an die bayerische Staatsregierung in Bamberg, die sich für (den in Wirklichkeit bereits ermordeten) Landauer einsetzen / 19. 5. 1919

Quelle: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Abt. II (= geheimes Staatsarchiv), Akten des Ministeriums des Äußeren (MA), Nr. 99902

a) "wir bitten im interesse des rechtes niemanden, der nicht von ordentlichem gericht todeswürdigen verbrechens überführt ist, erschieszen lassen zu wollen. in besonderheit nicht landauer, der immer jede anwendung der gewalt in wort und schrift zurückgewiesen hat = die liga zur beförderung der humanitaet i a professor albert einstein professor georg nicolai dr helene stoecker arthur holitscher julius kaliski dr adolf grabowski +"

b) "wir unterstützen telegram der deutschen liga fuer voelkerbund todesurteil gegen gustav landauer nicht zu vollstrecken - bund neues vaterland +"

c) "frauenausschusz fuer dauerhaften frieden ersucht dringend leben von landauer zu schonen der jahrzehntelang im sinne tolstois gegen blutige gewalt kaempfte seine reine idealitaet steht auszer frage auch da wo er geirrt haben sollte = helene stoecker

d) "hiesigen zeitungsnachrichten zufolge droht gustav landauer erschieszung, wir wissen, dasz landauer einen befehl zur toetung von von geiseln nie gegeben haben kann, und bitten beschwoerend, das leben dieses hochbedeutenden schriftstellers und reinen menschen unter allen umstaenden zu erhalten = politischer rat geistiter arbeit = kurt hiller rudolf leonhard *"

Dokument 2
Landauer angeblich auf der Flucht erschossen
Quelle: wie 1, Material vom 4./5. Mai 1919

a) Militärisches Ministerium, 4. 5. 1919, Morgenmeldung: A. O. K. Armeeoberkommando / Möhl, 9:15 Uhr vormittags

... Gustav Landauer soll nach einer Meldung bei einem Fluchtversuch erschossen worden sein ...

b) An die Reichskanzlei Berlin, Bamberg, 5. Mai 1919 Betreff: Aktion gegen die Münchner Räteregierung, Telegram; Eilt!

Nach Meldung aus München ist Landauer bei Fluchtversuch erschossen worden. - Ministerpräsident Johannes Hoffmann

c) "An den Staatskommissar der bayerischen Regierung Dr. Ewinger
- Ich habe das Ermittlungsverfahren wegen der auf der Flucht erfolgten Erschießung der spartakistischen Führer Rudolf Egelhofer und Gustav Landauer angeordnet ...

v. Oven
Generalleutnant.
"

Dokument 3
Die Gefangennahme Landauers am 1. Mai 1919
Quelle: Berliner Tagblatt vom 2. 6. 1919
"Aus den letzten Tagen Landauers ...
Der "Freiheit" werden von einer Sozialdemokratin, die in den letzten Lebenstagen mit Landauer zusammen bei der Witwe Kurt Eisners wohnte, Mitteilungen über die Beziehungen Landauers zur Münchner Räteregierung gemacht. Aus diesen Mitteilungen sei folgendes wiedergegeben: ... Als der Einzug der Regierungstruppen drohte, wurde Landauer von Freunden die Beihilfe zur Flucht angeboten. Landauer lehnte das ab. Als er verhaftet wurde (die Soldaten fanden ihn in der Bibliothek Eisners am Schreibtisch sitzend), sagte er noch: "Es ist am besten so, nun muß ja meine Sache geklärt werden." Die aufgeregten Soldaten wollten ihn bereits am Kreuzhof, nicht weit von Großhadern erschießen, Freunde setzten sich aber für ihn ein. Er wurde nach Starnberg transportiert."

Dokument 4
Die Ermordung Landauers am 2. Mai 1919

a) Quelle: Neue Zeitung vom 13. 5. 1919
"Wie Gustav Landauer ums Leben kam.
Als Landauer ins Stadelheimer Gefängnis eingeliefert wurde, sagte er zu den Soldaten: "Jetzt gehts in den Tod, man muß den Kopf hochhalten." Das war die angebliche Aufreizung. Er wurde zum wachhabenden Offizier gebracht (ein Leutnant vom Korps Epp) und nach kurzem Verhör sollte er zur Zelle geführt werden. Auf dem Weg dahin wurde er von den Begleitmannschaften mit dem Kolben erschlagen. Um einen Fluchtversuch vorzutäuschen, gaben die Soldaten hierauf noch mehrere Schüsse ab."

b) Quelle: Neue Zeitung vom 22. 5. 1919
"Die Ermordung Landauers.
An die Staatsanwaltschaft des standrechtliche Gerichts! Die über die Ermordung Landauers in der "Neuen Zeitung" gegebene Darstellung ist bis jetzt unwidersprochen geblieben. Es muß daher angenommen werden, daß sie den Tatsachen entspricht.

Nachdem uns neuerdings Einzelheiten über die geradezu viehische Hinschlachtung Landauers ohne standrechtliche Aburteilung mitgeteilt wurden, müssen wir an die Staatsanwaltschaft das Verlangen stellen, öffentlich bekannt zu geben, wie weit der Fall bis jetzt aufgeklärt ist und ob sie überhaupt schon Schritte unternommen hat, die Täter festzustellen.

Desgleichen müssen wir Aufklärung verlangen über die ebenfalls auf dem Transport erfolgte Erschießung Joseph Sontheimers.

Von der Regierung aber müssen wir fordern, daß zur Durchführung dieser Untersuchungen ein Vertreter der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei herangezogen wird."

c) Quelle: Neue Zeitung vom 3. 6. 1919
"Ein Kapitel Bestialitäten. - Einzelheiten zur Ermordung Landauers.

Von Augenzeugen erhalten wir folgende Schilderung über die schaudervoll tierische Hinschlachtung Landauers:

Es war am 2. Mai. Ich stand noch als Wache vor dem großen Tor zum Stadelheimer Gefängnis. Gegen 13:45 Uhr. Unter Schreien: "Der Landauer, der Landauer!" brachte ein Trupp bayerischer und württembergischer Soldaten Gustav Landauer. Auf dem Gang vor dem Aufnahmezimmer versetzte ein Offizier - es soll Leutnant Geisler gewesen sein - dem Gefangenen einen Schlag ins Gesicht. Die Soldaten riefen inzwischen: "Der Hetzer, der muß weg. Erschlagts ihn." Landauer wurde dann mit Gewehrkolben an der Küche vorbei in den ersten Hof rechts hinausgestoßen. Landauer sagte zu den Soldaten: "Ich bin kein Hetzer. Ihr wißt selbst nicht, wie verhetzt ihr seid!" Im Hof begegnete der Gruppe ein Major in Zivil, der mit einer schlegelartigen Keule auf Landauer einschlug. Unter Kolbenschlägen und den Schlägen des Majors sank Landauer zusammen. Er stand jedoch wieder auf und wollte zu reden anfangen. Da rief ein Vizewachtmeister: "Geht mal weg!" Unter Lachen und freudiger Zustimmung der Begleitmannschaften gab der Vizewachtmeister zwei Schüsse ab, von denen einer Landauer in den Kopf traf. Landauer atmete immer noch. Da sagte der Vizewachtmeister: "Das Aas hat zwei Leben, der kann nicht kaputt gehen!"

Ein Sergeant vom Leibregiment, der sich noch immer in Stadelheim befindet, rief: "Ziehen wir ihm doch den Mantel runter" und wollte auf den Ring hin, den Landauer am Finger trug. Ich sagte dem Sergeanten, er möge Landauer den Ring lassen. Der Mantel wurde ihm jedoch von dem Sergeanten ausgezogen.

Da Landauer immer noch lebte, legte man ihn auf den Bauch. Unter dem Ruf: "Geht zurück, dann lassen wir ihm noch eine durch!" schoß der Vizewachtmeister Landauer in den Rücken, daß es ihm das Herz herausriß und er vom Boden wegschnellte. Da Landauer immer noch zuckte, trat ihn der Vizewachtmeister mit den Füßen zu Tode. Dann wurde ihm alles heruntergerissen und seine Leiche zwei Tage lang ins Waschhaus geworfen.

Wir haben bereits vor kurzem bei der zuständigen Gerichtsbehörde öffentlich angefragt, ob die Ahndung dieses bestialischen Mordes bereits in die Wege geleitet ist, sind aber bis jetzt auf taube Ohren gestoßen.

Wir müssen heute die Regierung Hoffmann öffentlich befragen, was sie bis jetzt getan hat, um die Schuldigen festzunehmen, um sie einer Verurteilung zuzuführen."

d) Quelle: Ernst Toller - Briefe, Dramen, Gedichte, Reinbeck 1961, Seite 194f
Brief Ernst Tollers an Maximilian Harden aus dem Jahr 1920

An Maximilian Harden
Niederschönfeld 1920

In meinem Gefängnis lebt ein Kamerad, der in den letzten Stunden vor Landauers Ermordung sein Gefährte war. Mit Gustav Landauer hat die deutsche Revolution einen ihrer reinsten Menschen, einen ihrer größten Geister verloren. Aber wer kennt heute in Deutschland Gustav Landauers schöpferisches Werk, wer kennt seine Bücher über Shakespeare, Hölderlin, Whitman?

Ein Zeuge, an dessen Glaubwürdigkeit ich nicht zweifle, berichtet mir, daß die letzten Worte Gustav Landauers, die er seinen Folterern, seinen Mördern zurief, lautet: "Erschlagts mich doch! Daß ihr Menschen seid ..."

Und was ist mit den Mördern in der deutschen Republik geschehen? Freiherr von Gagern, der Landauer mit der Reitpeitsche ins Gesicht schlug, wurde freigesprochen, der Soldat, der schoß, wegen Diebstahls von Landauers Uhr zu einigen Wochen Gefängnis verurteilt.

Mein Kamerad erzählt:
Es war am Abend des 1. Mai 1919, als im Amtsgericht Starnberg, wo die nach dem Einzug der weißen Garden verhafteten Arbeiterräte von Starnberg untergebracht waren, großer Lärm und Spektakel vermuten ließ, daß wieder ein Schwerverbrecher eingeliefert worden sei. Es war dies, wie wir nach einiger Zeit erfahren konnten, unser Genosse Landauer.

Wir wurden nach dem Gefängnis von Stadelheim transportiert. Als wir nach Stadelheim kommen, ist der Teufel los. Rufe wie "Den Landauer, den Landauer bringens? Schlagt sie tot, die Hunde!" wurden laut. Von einer Rotte Soldaten in die Mitte genommen, vorwärts geschoben und gestoßen, kamen wir vo das Aufnahmezimmer.

Hier wurde Landauer ein heftiger Stoß oder Schlag versetzt, daß ihm seine Gläser herunterfielen. Dann ging die Schieberei wieder los. Unsere Personalien wurden nicht aufgenommen, und wir kamen vor die Tür zum Hof des Frauengefängnisses.

Hier wurde Landauer, nachdem er etwas über den verfluchten Militarismus gesagt hatte, von einem der Soldaten wieder ein heftiger Schlag mit der Hand ins Gesicht versetzt. Worauf Landauer erklärte, er meine auch den Militarismus der roten Armee. Hier soll ein Offizier gerufen haben: "Halt, Landauer wird sofort erschossen!"

Ich sah nur, nachdem wir bis in die Mitte des Hofes gedrängt worden waren, wie ein großer starker Mann unseren Genossen Landauer mit umgekehrter Reitpeitsche ins Gesicht schlug, worauf Landauer mit der Hand vor dem Gesicht stürzte. In diesem Augenblick kam ein Soldat an uns drei Arbeiterräte heran und sagte, wir sollten ihm folgen. Da krachte ein Schuß, dem, als wir durch das Tor von dem kleineren Hof in den größeren Hof gingen, ein zweiter folgte. Ich hörte, wie der Führer der Begleitmannschaft (welcher nebenbei bemerkt, anständig war) noch sagte: bis hierher hätte er seinen Auftrag erfüllt - nun sei er aber machtlos gewesen.

Wir drei wurden von jenem Soldaten und einem Aufseher durch eine Pforte außen an der Mauer von Stadelheim wieder nach dem Aufnahmezimmer geführt, wo unsere Personalien aufgenommen wurden. Als wir bei dem Gang durch den Neubau durch den kleinen Hof mußten, lag unser Genosse Landauer tot in dessen Mitte. Einer der Soldaten sagte: "Da liegt er jetzt, euer Spezi."

e) Quelle: Münchner neueste Nachrichten, Nr. 215 vom 4. 6. 1919
Gustav Landauers Ende.
Das Organ der Münchner Unabhängigen, die "Neue Zeitung" veröffentlich über das Ende Gustav Landauers, der am 2. Mai in Stadelheim den Tod fand, die Schilderung angeblicher Augenzeugen, die unter genauer Angabe von Einzelheiten, zum Teil mit Namensnennung der Beteiligten, ein so krasses Bild der angeblichen Mißhandlungen Landauers entrollt, daß sie vorerst als kaum glaubwürdig erscheint. Das Blatt fragt die Regierung Hoffmann, was sie bis jetzt getan hat, um die Schuldigen festzunehmen und sie einer Verurteilung zuzuführen. Diese Frage ist berechtigt, wenn die Vorfälle, wie sie die angeblichen Augenzeugen schildern, sich tatsächlich ereignet haben sollten. Es ist dringend geboten, daß von zuständiger Stelle darüber in irgendeiner Form Klarheit geschaffen wird, ob die Darstellung der "Neuen Zeitung" zutrifft oder nicht. Diese Aufklärung liegt nicht zum mindesten im Interesse der Truppen, die München befreit haben, und der Regierung, in deren Auftrag sie die Befreiung ausgeführt haben."

f) Quelle: Münchner Neueste Nachrichten Nr. 219 vom 6. 6. 1919
Das Schicksal Gustav Landauers
Gegenüber der Darstellung der "Neuen Zeitung" über das Ende Gustav Landauers, die wir als kaum glaubwürdig bezeichnet haben, wird nun halbamtlich folgende Erklärung veröffentlich:

"Das Ermittlungsverfahren wegen Tötung Gustav Landauers wurde von Generalleutnant v. Oven in seiner Eigenschaft als Gerichtsherr angeordnet, sobald dem Generalkommando der Verdacht bekannt wurde, daß Landauer durch strafbare Handlungen ums Leben gekommen sei. Die Anordnung des Ermittlungsverfahrens wird seitdem mit allem Nachdruck geführt. Bisher wurden allein 68 Personen vernommen, ohne daß eine genügend zuverlässige Feststellung der Täter möglich war.

Die Schwierigkeit bestand vor allem darin, Zeugen des Vorfalls zu ermitteln.

Landauer wurde in Stadelheim eingeliefert, während das Gefecht in Giesing in vollem Gange war, wo von seiten der Angehörigen der Räteregierung mit den krassesten Mitteln gekämpft wurde. Frauen beteiligten sich mit der Waffe am Kampf, Kinder schleppten Munition herbei, im Rücken der Regierungstruppen lebte ein meuchlings geführter Kampf wieder auf, Dum-Dum-Geschosse wurden verwendet, auf die Verwundeten der Regierungstruppen wurde geschossen, während in den Reihen der roten Armee eine Frau die Aufstellung eines Maschinengewehrs mit der Genfer Flagge deckte: Auswüchse im Kampf, die die Erbitterung der Regierungstruppen zum äußersten reizen mußten. In und bei Stadelheim waren Mannschaften der verschiedensten Truppenteile. Teils lagen sie dort in Reserve oder waren zur Verteidigung des Gefängnisses gegen etwaige Angriffe bestimmt, teils kamen sie nur vorübergehend dahin, um Meldungen zu überbringen oder Gefangene abzuliefern.

Die Ermittlung von Zeugen erfordert unter diesen Umständen Zeit. Bisher wurden die meisten Zeugen bei den Vernehmungen ermittelt. Ein Versuch, durch den Aktionsausschuß der Sozialdemokratischen Partei die Namen von Zeugen zu erfahren, hatte bis jetzt kein Ergebnis. Landauer wurde mit drei in Starnberg verhafteten Arbeiterräten durch 5 Mann eines bayrischen Freikorps in Stadelheim eingeliefert. Aus den bisherigen Vernehmungen steht fest: Landauer bekam im Parterregang, rechts vom Eingang, einen Schlag ins Gesicht, weil er einen abfälligen Ausdruck über Militarismus gebrauchte; tatsächlich, meinte er, wie er dann sagte, den Militarismus der Roten Armee. Es ist nicht erwiesen, ob ein Offizier oder Mann Landauer geschlagen hat. Einer der Arbeiterräte hat z. B. mit Bestimmtheit behauptet, daß ein Offizier hier nicht in Frage kommt.

Gleich am Gefängniseingang hatte sich um Landauer eine größere Menge Soldaten angesammelt - von Zeugen auf 30-50 Mann geschätzt -, die in großer Erregung und Erbitterung in Landauer einen der Hauptschuldigen an dem Unglück, das Bayern getroffen hat, zu erblicken glaubten. Sie umdrängten Landauer mit drohenden Rufen. Ein Offizier versuchte, wie von mehreren Zeugen bekundet wird, die Leute zu beruhigen, sie drängten aber nach, als Landauer in den Hof geführt, den sogenannten Frauenspazierhof; bis dahin ist nach Aussage der meisten Zeugen keine weitere Mißhandlung vorgekommen. Die Vorfälle in diesem zweiten Hof, in dem Landauer erschossen worden ist, sind, da die Aussagen der bis jetzt vernommenen Zeugen sich vielfach widersprechen und voneinander abweichen, noch nicht so geklärt, daß darüber eine abschließende Darstellung gegeben werden kann. Landauer wurde hier von einem früheren Offizier, er sich an dem Unternehmen gegen die Rote Armee beteiligte, geschlagen, als er etwas zu den Soldaten sagen wollte. Nach Aussagen aller Zeugen mit Ausnahme eines einzigen hat er mit einer Reitpeitsche, nicht mit einem Knüttel geschlagen. Dieser Tatbestand wurde am 10. Mai der Staatsanwaltschaft übergeben, weil der betreffende Offizier nicht unter Militärgerichtsbarkeit steht.

Keiner der bisher vernommenen Zeugen konnte angeben, daß unter Lächeln und freudiger Zustimmung der Begleitmannschaft auf Landauer geschossen worden sei. Nach Zeugenaussagen, insbesondere nach Angabe der drei Arbeiterräte, hat sich das Begleitkommando sehr anständig benommen und versuchte Landauer zu schützen; es sei aber gegenüber der wie rasend sich gebärdenden Menge machtlos gewesen. Unrichtig ist nach den bisherigen Feststellungen, daß ein Vizewachtmeister die Schüsse auf Landauer abgegeben hat. Vielmehr ist nach den bisherigen Ermittlungen erwiesen, daß zwei Infanteristen mit Gewehr oder Karabiner und daß ein Mann, der als Kavallerist, als Sergeant, als Vizewachtmeister und als Offiziersstellvertreter bezeichnet wurde, mit der Pistole einen Schuß auf Landauer abgegeben hat. Es ist richtig, daß ein jetzt als Hilfsaufseher in Stadelheim ansässiger Sergeant Landauer den Mantel ausgezogen hat. Der Mantel soll in Stadelheim abgeliefert worden sein. Ermittlungen darüber sind noch nicht abgeschlossen. Davon, daß Landauer alles heruntergerissen wurde, hat kein Zeuge etwas angegeben. Festgestellt ist nur, daß Landauer die Uhr abgenommen wurde. Der Besitzer der Uhr wurde bereits ermittelt, die Uhr ist in den Händen des Gerichts.

Der ganze Vorfall ist tief beklagenswert. Er findet zum Teil wenigstens eine Erklärung - nicht Entschuldigung - in der Erbitterung und Erregung der Soldaten gegenüber der Kampfesweise der Roten Armee. Das Generalkommando wird, wie in diesem so auch in allen anderen zu seiner Kenntnis gebrachten Fällen, rücksichtslos gegen jeden vorgehen, der sich gegen die Gesetze verfehlt hat."

g) Quelle: Aus der Darstellung des bayerischen Justizministerium über politische Morde, Auszug aus einem nichtveröffentlichten Bericht des Reichsjustziministeriums an den Reichstag vom Dezember 1923. - E. J. Gumbel, Gustav Landauers Ende, in "Die Weltbühne" 20. Jhg. (1924/25), Seite 191-193

Gustav Landauers Ende.
... Eine größere Anzahl von Erschießungen wurden in den ersten Maitagen 1919 in dem Strafvollstreckungsgefängnis Stadelheim vorgenommen, das vielen der gegen München eingesetzten Regierungstruppen als Gefangenensammelstelle diente. Von den hier einschlägigen Fällen konnte am besten die Erschießung des Schriftstellers Gustav Landauer geklärt werden, der während der Räterepublik Volksbeauftragter für Volksaufklärung war.

Am Morgen des 2. Mai 1919 erhielt der Vizewachtmeister Ernst Steppe des Freikorps Weilheim den Befehl, mit den Kanonieren Heilbronner, Meichelböck, Insam und Marchand den Landauer nebst drei Starnberger Arbeiterräten in einem Lastkraftwagen nach Stadelheim zu verbringen. In Stadelheim befanden sich damals außer einer neutralen, vom Infanterieleibregiment gestellten Wache die Regimentsbefehlstelle des 1. bayerischen Schützenregiments, eine Wache der Regierungstruppen unter dem Befehl des zugleich mit dem Nachschub des ersten Schützenregiments betrauten Leutnants Christian Heuser, ferner sonstige Mannschaften vom Freikorps Epp, eine württembergische Kavalleriepatrouille unter Leutnant Freiherr v. Cotta, Leute vom Korps Lützow und Detachement Liftl, sowie Kraftfahrer und Nachrichtenpersonal. Als Landauer bei seiner Ankunft in Stadelheim von Angehörigen dieser Truppenteile, die in größerer Anzahl vor dem Truppeneingang standen, erkannt wurde, entstand unter den Soldaten Unruhe, und es fielen Rufe, man solle Landauer erschlagen oder erschießen. Zu Tätlichkeiten kam es aber zunächst nicht. Der Zug mit den Gefangenen traf im rechten Seiteneingang auf Leutnant Heuser, der auf die Meldung Steppes hin anordnete, daß die Gefangenen in den Neubau verbracht werden sollten. Auf dem Weg dahin, der unter der Führung eines Oberaufsehers angetreten wurde, wurden die drei Arbeiterräte von Insam, Meichelböck und Marchand geführt. Ihnen folgte Landauer, von Steppe und Heilbronner begleitet. Obwol Leutnant Heuser bei der Entgegennahme der Meldung Steppes auf den die Gefangenen umdrängenden Soldatenhaufen beruhigend eingesprochen hatte, wurden noch im rechten Seiteneingang erneut Vorwürfe und Verwünschungen laut. Als Landauer sich dagegen zu rechtfertigen suchte und dabei von dem "schweinischen Militarismus" sprach, erhielt er, ohne daß er ausreden konnte, einen Schlag ins Gesicht. Ob der Schlag von einem Offizier oder einem Mann geführt wurde, ist zweifelhaft. Leutnant Heuser kommt jedenfalls als Täter nicht in Betracht. Ohne daß es zu weiteren Tätiglichkeiten der ständig nachdrängenden Soldaten kam, war der Transport schon nahezu an die in den sogenannten Kirchenhof führende Tür gelangt, als plötzlich, wie die Begleitmannschaften übereinstimmend bekunden, ein Offizier von hinten nachkam und dem Zug zurief: "Halt! der Landauer wird sofort erschossen." Um die gleiche Zeit erschien der durch seine Kleidung (Sportanzug) auffallende Gutsbesitzer und Major a. D. Freiherr von Gagern, der sich als Führer einer freiwilligen Patrouille an dem Unternehmen gegen München beteiligt hatte. Er fragte Landauer, wer er sei, und schlug ihm, als dieser seinen Namen nannte, mit der Reitpeitsche unter gleichzeitigen Beschimpfungen ins Gesicht. Dies war das Zeichen für eine allgemeine Mißhandlung, in deren Verlauf auch der zur Patrouille des Freiherrn v. Cotta gehörige Ulan Eugen Digele, der schon vom Gefängniseingang her Landauer gefolgt war und ihm schon im vorderen Gang bei der Begegnung mit Leutnant Heuser den Hut heruntergenommen hatte, dem Festgenommenen einige Peitschenschläge versetzte. Die Bemühungen Steppes und Heilbronners, Landauer zu schützen, waren angesichts der Übermacht vergeblich. Während dieser Mißhandlungen gab ein Mann, der plötzlich mit angeschlagenem Gewehr aufgetaucht war, unter dem Ruf: "Jetzt erschieß' ich ihn!" auf nächste Entfernung einen Schuß in die linke Schläfe Landauers ab. Weil Landauer aber noch Lebenszeichen von sich gab, feuerte Digele mit seiner Armeepistole einen weiteren Schuß in die rechte Schläfe ab. Ein zum Wachkommando des Infanterie-Leibregiments gehöriger Sergeant zog nunmehr Landauer den Mantel aus. Dabei kam Landauer auf das Gesicht zu liegen, und weil man glaubte, er habe nochmals ein Lebenszeichen von sich gegeben, wurde ihm noch ein dritter Schuß mit einem Karabiner oder Gewehr in den Rücken versetzt. Jeder der drei Schüsse war für sich allein tödlich. Nachdem der Tod Landauers eingetreten war, nahm ein unerkannt gebliebener Soldat Uhr und Kette weg, gab aber auf Verlangen des Digele diesem die Uhr. Ein weiterer Mann versuchte, Landauer den Ring vom Finger zu streifen, wurde daran aber durch das Eingreifen weiterer Soldaten gehindert. Der Mantel und nach der Ermittlung Digeles auch die Uhr wurden an die Angehörigen Landauers zurückgegeben. Die Persönlichkeit des Offiziers, der die Erschießung angeordnet hatte, konnte, obwohl nahezu hundert Personen in Ermittlungsverfahren vernommen waren, ebensowenig wie die Soldaten, die den ersten und dritten Schuß abgegeben haben, ermittelt werden. Digele hatte sich am 19. März 1920 vor dem Gericht des Auflösungsstabes 56 (29. Division) in Freiburg Breisgau wegen der Anklage eines Verbrechens des Totschlags, eines Vergehens der Körperverletzung und der Hehlerei zu verantworten. Das Gericht hielt für erwiesen, daß ein Offizier die sofortige Erschießung Landauers angeordnet hatte und Digele daher annehmen durfte, daß der erste Schütze in Aussübung eines rechtmäßigen Befehls gehandelt und die Tötung im Sinne dieses Befehls gelegen habe. Es sprach ihn daher von der Anklage des Totschlags frei, verurteilte ihn aber wegen eines Vergehens der gefährlichen Körperverletzung und eines Vergehens der Hehlerei zur Gesamtgefängnisstrafe von fünf Wochen. Gegen Freiherrn v. Gagern wurde durch Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 13. September 1919 wegen der an Landauer begangenen Mißhandlung eine Geldstrafe von 500 Mark (damals gleich 80 Goldmark) festgesetzt. Daß er an der Erschießung irgendwie beteiligt gewesen wäre, hat sich nicht nachweisen lassen.
LITERATUR - Ulrich Linse, Gustav Landauer und die Revolutionszeit 1918-1919, Berlin 1974