W. BeckerJ. FröbelC. Frantzvon Treitschke | |||
(1808-1881) Charakter und Geist der politischen Parteien [2/3]
II. Arten der Parteien. Namen. Mischungen Nicht immer kann man aus dem Namen der Partei mit Sicherheit auf ihren Charakter schließen. Manche Namen sind durch den Zufall oder die Laune gegeben worden. Die JAKOBINER erhielten ihren Namen vom Versammlungsort ihres Vereins, die Linke und die Rechte in unseren repräsentativen Versammlungen von den Plätzen, wo sie sitzen. Zuweilen haben dieselben Namen an verschiedenen Orten einen ganz verschiedenen Sinn oder wechseln sogar in demselben Land ihre Bedeutung in verschiedenen Zeiten. Die Whigs und die Tories bedeuteten etwas ganz anderes in England und in Amerika. Vor 1778 hießen die Vertreter der einzelstaatlichen Souveränität in Amerika Föderalisten im Gegensatz zu den unionistisch gesinnten Antiföderalisten. Nach 1778 nannte man die Unionisten Föderalisten. Die amerikanische Partei der Demokraten ist mit den europäischen Demokraten keineswegs gleichartig; und die Fortschrittspartei bedeutet in Preußen und in Bayern nicht dasselbe. In Spanien wurden in den Zwanzigerjahren die Liberalen die "Schwarzen" genannt; heute bedeuten die Schwarzen in den meisten Ländern die klerikale Partei. Viele Parteinamen sind anfänglich aus Spott- und Schimpfwörtern entstanden. So wurden die Geusen (Bettler) in den Niederlanden, die Rundköpfe in der englischen Revolution, die Sansculotten (Ohnehosen) in der französischen und selbst die Whigs (Molken [Lieblingsgetränk der westschottischen Bauern - wp]) und Tories (Räuber) anfangs von ihren Feinden so benannt. Zuweilen nahm dann später die Partei den Namen, den die Gegner zu ihrem Schimpf erdacht hatten, ihnen zum Trotz freiwillig an und suchte ihn dadurch ehrbar zu machen. Die Farbe ist ein treffliches Parteizeichen, weil sie nach der einen Seite verbindet und nach der anderen unterscheidet. Daher dient die Farbe auch als Erkennungszeichen und Parteinamen. In Konstantinopel haben sich so die Grünen und die Blauen, in England die weiße und die rote Rose bekämpft. In unserer Zeit stehen die Schwarzen (Klerikalen) und die Roten (wilde Revolutionäre) auf zwei entgegengesetzten Extremen, die sich aber gelegentlich auch nach Art der Extreme wieder berühren und verbinden. Offenbar sind die Parteinahmen die richtigsten, welche den Charakter der Partei bezeichnen. Das ist in minderem Grade der Fall, wenn nur die Person angedeutet wird, um welche sich die Parteien scharen, wie z. B. die dynastischen Parteien der Jakobiten in England, der Bonapartisten und Orleanisten in Frankreich, der Karlisten ins Spanien, der Welfen in Hannover, der Mazzinisten in Italien. Auch die Bezeichnung nach dem Gegenstand, um den sich die Parteien streiten, hat oft noch weniger einen politischen als einen wirtschaftlichen Charakter, wie z. B. die Schutzzöllner und Freihändler in Westeuropa oder die Hörner und Klauen in der Schweiz nach dem Allmendstreit über Hornvieh und Ziegen. In höherem Grad bezeichnen ist der Parteiname, wenn er ihre politische Richtung klar macht. BURCKHARDT (1) hat die feine Beobachtung gemacht, daß die politischen Parteinamen zuerst wieder in Italien, in der Periode der Renaissance in Schwung gekommen sind. Es entspricht das dem wieder erwachten politischen Gedanken. Wie die Namen, so dienen auch die Symbole zur Bezeichnung der Partei und zur Stärkung des Parteigefühls. In der Macht des Symbols über die Menschen offenbart sich die sichtbar gewordene Macht der Idee. Um ihre Fahne scharen sich die Parteien und die Fahnenehre hat nicht bloß im Heer, sie hat auch für die Partei eine große Bedeutung. Die Farbe übt auch hier dann eine Wirkung aus, wenn sie den Namen der Partei nicht bestimmt. In Bändern, Sträußchen, Kokarden, zuweilen in der ganzen Kleidung zeigt sich die Farbe der Partei. Oft dienen auch andere Zeichen zu Symbolen und Parteizeichen, wie im Mittelalter die Pfauenfeder zur Bezeichnung der österreichischen, die bourbonischen Lilien zu der der französischen Partei in der Schweiz. Eichenzweige und Efeublätter sind oft zu Parteizeichen gewählt worden. Kreuz und Halbmond haben auch die großen Religionsparteien des Mittelalters geschieden. Je nichtiger die Ursachen sind, welche die Parteien scheiden und je weniger politische Prinzipien und Ziele ihre Bildung bestimmen, umso weniger kann von politischen Parteien im eigentlichen Sinne gesprochen werden. Die praktische Politik wird freilich oft genötigt, auch solche Parteien zu berücksichtigen, die heute entstehen und morgen wieder vergehen, denn nicht selten durchkreuzen sie die Wege der politischen Parteien, bringen Verwirrung in deren Reihen und hindern deren Fortschritt. Vielleicht wird so eine Partei durch einen bloßen persönlichen Streit zweier Führer für den Augenblick gespalten, ohne einen Gegensatz der Grundsätze. Oder der vorübergehende Streit über eine Straßenanlage, eine Eisenbahn, den Zollansatz für einen einzelnen Handelsartikel ruft eine zuweilen erhitzte Parteiung hervor, welche sich durch verschiedene politische Parteien hindurch verzweigt und sonstige Parteigenossen entzweit und Parteigegner zusammenführt. Aber für die Wissenschaft ist es nicht ratsam, sich um derartige Parteien zu kümmern, die keinen Grundsätzen folgen und keine Dauer haben. Für die Wissenschaft sind nur die grundsätzlichen Parteien von Interesse, weil nur in ihnen ein dauerndes Gesetz zu erkennen ist. Je nach den verschiedenen Graden der Reinheit der politischen Parteibildung unterscheiden wir folgende sechs Stufen: A. Religiös-politische Mischparteien Am tiefsten steht die Mischung und Trübung des politischen Geistes mit der religiös-konfessionellen Parteiung, weil hier der Staat und die Politik nicht zu voller Geltung gelangen, sondern durch die Einwirkung kirchlicher Tendenzen beeinflußt werden. Während des Mittelalters hatte die Parteibildung größtenteils diesen religiös-politischen Charakter. Die Kämpfe der islamischen Welt mit der christlichen, der Lateiner und der Griechen und nach der Kirchenreform der Katholiken und der Protestanten beherrschten das ganze Parteileben während vieler Jahrhunderte. Die Kämpfe der hochkirchlichen Partei mit den Presbyterianern und Puritanern bewegten noch die englische Geschichte des 17. Jahrhunderts, die der Liguisten und Hugenotten die von Frankreich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Erst die neue Zeit, welche sorgfältiger zwischen Religion und Politik, Kirche und Staat unterscheidet, trennt auch die religiösen von den politischen Parteien schärfer. Aber noch ragen aus dem Mittelalter in die neue Zeit die katholisch-ultramontane und die protestantisch-orthodoxe Partei hinein und verderben durch ihre hierarchischen und konfessionellen Vorurteile und Tendenzen die Klarheit und Reinheit der politischen Gegensätze. Die wichtige ultramontane Partei bedarf einer näheren Betrachtung, damit ihre Eigenschaften und Wirkungen erkannt werden. An ihr wird zugleich die ganze Gattung dieser Mischparteien klar werden. B. Auf verschiedene Länder, Nationen oder Stämme gestützte Parteien. Diese zweite Stufe der politischen Parteibildung ruht zwar auf weltlich-staatlichem Boden; sie ist auch politischer Prinzipien fähig und strebt politische Ziele an. Aber diese Parteien sind doch für das Staatsleben eher gefährlich als förderlich. Ihre Unterlage nämlich ist in sich zu fest, zu stark, zu mächtig; sie ist für sich ein relatives Ganzes. Daher wird die Partei, die sich auf diese Unterlage stützt, gereizt, sich ebenfalls für ein Ganzes zu halten und statt als beweglicher Teil im Staatsleben zu wirken, den Staat selber zu zertrennen und auf ihrer Unterlage einen neuen selbständigen Staat zu errichten oder doch die Einheit des Staates und seine Ordnung durch partikularistische Bestrebungen zu erschüttern. Schon der große WASHINGTON hat die Warnung ausgesprochen: "Man hüte sich Parteien nach geographischen Abteilungen zu bezeichnen." Als in Amerika eine südstaatliche Partei der nordstaatlich in räumlich getrennter Stellung entgegentrat, war die Sezession und damit der Bürgerkrieg vorbereitet. Die Bildung einer "süddeutschen Fraktion" im gesamtdeutschen Zollparlament ist ebenso ein Attentat auf die verfassungsmäßige Zollunion und ein Hindernis der politischen Einigung Deutschlands. Sowohl wenn sich ganze Länder als auch wenn sich die verschiedenen Nationen, die zu einem Staat verbunden sind, als Parteien voneinander trennen, so liegt die Gefahr nahe, daß jene Länder und diese Nationen den alten Staat zerreißen und neue Staaten bilden. So lange eine englische und eine schottische Partei einander bekämpften, war das Großbrittanische Reich noch in Gefahr, daß England und Schottland wieder auseinandergehen und die irische Partei hat unter O'CONNEL die Repealbewegung hervorgerufen. Für den Verband von Gesamtösterreich ist nichts gefährlicher als das Auseinandertreiben der verschiedenen Nationen als politische Parteien. Wenn in Ungarn die Kroaten den Magyaren, in Böhmen die Tschechen den Deutschen als Partei entgegentreten, so wird die Einheit der beiden Reichshälften ernstlich bedroht. Weniger gefährlich für die Existenz des Staates sind die Stämme als Grundlagen politischer Parteien, weil die Stämme doch durch die nationale Zusammengehörigkeit mit dem Staat verbunden sind. Aber die partikularistische Richtung der Stämme wird doch sehr verstärkt, sobald sie einander als Parteien entgegentreten und die Staatseinheit und Rechtsgemeinschaft werden leicht durch so eine Spaltung geschädigt. Für die Einheit des preußischen Staates wäre es keineswegs ersprießlich, wenn den Ostpreußen die Rheinländer, den Altpreußen die Neupreußen als politische Partei entgegentreten wollten. In Bayern hat sich der Gegensatz der Altbayern, der Franke, der Schwaben und der Pfälzer auch in der Parteibildung zuweilen fühlbar gemacht. Ebenso in der Schweiz die Parteiung der Berner und der Zürcher. C. Ständische Parteien. Auch die Unterlage der Stände hat ihre Bedenken. Die Stände sind freilich nicht wie die Stämme und Nationen auch räumlich getrennt und kein Stand fühlt sich allein stark genug, einen Staat für sich zu bilden. Die ständischen Parteien bedrohen daher nicht mehr die Existenz des Staates. Aber der Gegensatz der Stände ist doch ganz abgesehen von aller Parteibildung so stark, daß seine Verbindung mit der politischen Parteiung die verschiedenen Schichten und Klassen der Nation dauernder und heftiger entzweit, als es für die Einheit des Staates und die Gleichheit des Rechts zuträglich ist. Soweit die mittelalterlichen Parteien nicht religiös und konfessionell bestimmt wurden, waren sie ständische Parteien: Klerus, Adel und Bürger. Patrizier und Plebejer traten sich zugleich als Parteien feindlich entgegen und lähmten durch ihren Widerstreit oft die gemeinsame Entwicklung der Länder und Städte. Auch heute noch erscheint dem modernen Staatsgefühl die zähe Eigenart der Junkerpartei wie ein fremdartiges Gebilde im nicht mehr ständisch gegliederten Volkskörper; und wenn eine neue Arbeiterpartei sich zu sammeln beginnt, so stört und trübt auch sie die Reinheit der politischen Parteibildung. Damit die Staatseinheit vor Zwiespalt und Lähmung gesichert und die Gemeinschaft aller gewahrt bleibe, müssen die politischen Parteien die Provinzen, die Nationalitäten, die Stämme und die Stände des einen Staates durchkreuzen und auch einzelne Glieder aller dieser Gegensätze kraft des politischen Gedankens und Strebens miteinander verbinden. D. Verfassungsparteien. Es ist ein politischer Fortschritt, wenn sich die Parteibildung von der Unterlage eines geschlossenen Landes oder Volksteils ablöst und sich nach bestimmten Verfassungsprinzipien zu scheiden beginnt; denn nun bestimmt der politische Gedanke und nicht mehr die bloße Überlieferung der Rasse und des Berufs die Einigung der Gleichgesinnten aus verschiedenen Gegenden und Ständen und trennt dieselben in freier Weise von den politischen Gegnern. Von der Art ist der Gegensatz der Royalisten und der Republikaner, der Aristokraten und der Demokraten, der Konstitutionellen und der Feudalen, der Unitarier und der Föderalisten (Konföderierten), der Nationalpartei und der Partikularisten, der Zentralisten und der Dezentralisten und dgl. Zuweilen lehnen sich diese Parteie auch an die älteren ständischen Gegensätze an, wenn z. B. die Aristokraten und die Feudalen gewöhnlich im Adel und der Junkerschaft, die Konstitutionellen vornehmlich in den gebildeten Bürgerschaften, die Demokraten in den unteren Massen ihren hauptsächlichen Anhang finden. Aber sie sind doch nicht mehr an die Schranken des Standes gebunden; die politische Meinung greift auch in andere Stände und Klassen über und zieht die Gesinnungsgenossen herbei. Im Grunde haben aber diese Verfassungsparteien doch nur eine vorübergehende und eher noch staatsrechtliche als politische Bedeutung. Sie entstehen während der Kämpfe über Umgestaltung oder Anwendung der Verfassung und hören auf, wenn diese Kämpfe zu einem festen Abschluß gelangt sind, wenn die alte Verfassung durch eine neue ersetzt oder die Durchführung eines früher strittigen Verfassungsgrundsatzes entschieden ist. Von da an bestimmt das Staatrecht die Folge und nicht mehr der Parteikampf. Weil die politischen Kämpfe, welche die zivilisierte Welt während des letzten Jahrhunderts bewegen, vorzugsweise Verfassungskämpfe sind, so haben auch die Verfassungsparteien in unserer Zeit eine so große Bedeutung gewonnen. Dennoch arbeiten diese staatsrechtlichen Parteien ihrer Natur nach selber auf ihren Untergang hin. Sobald ihr Ziel erreicht und das Verfassungsrecht in ihrem Sinne gestaltet ist, so haben sie nichts mehr zu schaffen. Sie streben danach, als politische Partei unterzugehen, indem sie als staatsrechtliche Macht auferstehn. Sie wollen nicht das Staatsleben als bloße Parteien begleiten, sondern im Staatskörper eine dem Ganzen entsprechende feste Gestalt erhalten. Indem die moderne Repräsentativverfassung dem Königtum, der Aristokratie und den demokratischen Volksklassen eine bestimmte Rechtsstellung einräumt, können diese verschiedenen Mächte ihre Gesinnung und ihren Willen in den gesicherten Formen verfassungsmäßiger Organe, im Kabinett, im Ober- und Unterhaus äußern und haben nicht nötig, als politische Parteien miteinander zu streiten. Ihre Prinzipien sind nicht politische Parteiprinzipien, sondern Verfassungsgesetze; ihre Stärke liegt nicht in der wechselnden Parteigruppierung; sondern im festen Verfassungsrecht. E. Regierungs- und Oppositionspartei. Weniger staatsrechtlich als politisch ist der Gegensatz der Regierungs- und der Oppositionspartei. Aber wenn man denselben im Sinne des englischen Sprachgebrauchs versteht, so bedeutet er keinen Gegensatz des politischen Prinzips und Charakters, sondern ledigliche die Tatsache, daß die eine Partei gegenwärtig zur Macht gelangt ist und die Regierungsämter besitzt und daß die andere nicht im Amt ist. In England spaltet sich die mächtige Aristokratie, welche unter dem Schirm des königlichen Namens in Wahrheit das Reich regiert, seit der Revolution in zwei große politische Parteien, früher Whigs und Tories, jetzt eher Liberale und Konservative genannt. Beide sind regierungsfähig und bald besetzt die eine, bald die andere das Kabinett, in welchem zugleich die Führung der Parlamentsmehrheiten und die politische Regierung konzentriert ist. Jede dieser beiden Parteien wird Regierungspartei, wenn ihre Führer in das Kabinett berufen werden und besetzt die Bänke der Opposition, wenn ihre Führer die Ministerien niederlegen oder entlassen werden. Deshalb wird auch die englische Regierung unbedenklich als Parteiregierung bezeichnet. In Deutschland und in Frankreich dagegen haben die Worte Regierungs- oder ministerielle Partei und Oppositionspartei einen völlig verschiedenen Sinn. Hier heißt Regierungspartei nicht die Partei, welche zur Zeit regiert, sondern die der jeweiligen Regierung dienende Partei der Regierten und Oppositionspartei heißt nicht die Partei, welche im Parlament in der Minderheit und deshalb außerhalb der Regierung ist, sondern die Partei, welche fortwährend geneigt ist, der Regierung zu widersprechen, die sich in der Oppositionsrolle gefällt. Die Regierungspartei in diesem Sinn hält zur Regierung, wenn diese reaktionär verfährt und unterstützt sie, wenn sie reformatorisch eingreift. Sie folgt den Schwenkungen der Regierung und dem Systemwechsel. Diese Partei besteht meistens aus Leuten, welche durch ihr persönliches Interesse auf den geneigten Willen der Regierung angewiesen sind, die von ihrer Gunst Lebensunterhalt oder Beförderung erhoffen und von ihrer Ungnade für ihre Stellung oder Wirtschaft fürchten. Zu ihr gehören aber auch manche Personen, deren Autoritätsbedürfnis besonders ausgebildet ist und die von Natur aus immer geneigt sind, den jeweiligen Machthabern dienstbar zu sein. Eine derartige Partei kann unter Umständen wohl einer Regierung nützlich sein, weil ihre Stimmen immerhin ins Gewicht fallen und sie berufen ist, gegen die reizbare Oppositionslust anderer die Waage zu halten. Aber wehe der Regierung, welche sich in gefährlichen Momenten auf diese in sich haltlose Partei verläßt. Ihre Stütze schwankt und bricht in dem Augenblick, wenn die Regierung, welche ihr bisher Halt gegeben hat, sich selber an ihr halten will. Da sie keine innere Kraft hat, so kann sie auch nicht andern Kraft verleihen; da sie ihre Impulse von der jeweiligen Regierung empfängt, so gerät auch sie ins Schwanken, wenn die Regierung schwankt. Indem sie vor allen Dingen entschlossen ist, den in der Macht befindlichen Ministern zu dienen, so bereitet sie sich auf den Abfall vor, wenn es ihr wahrscheinlich wird, daß die derzeitigen Minister ihrem Sturz nahe sind und verläßt die Fahne der alten geschlagenen Führer, um den Trommeln der Sieger zu folgen. Diese Partei genießt daher selbst bei den Ministern, welche sie gelegentlich benutzen, nur geringe Achtung und die Nation betrachtet sie mit Geringschätzung. Sie verdient kaum den Namen einer politischen Partei, weil sie keine politische Überzeugung hat. Sie ist ein Anhängsel der Machthaber ohne sittlichen Wert und ohne politische Würde. Sie ist gewöhnlich auch der Korruption zugänglich und geneigt, ihre Dienste zu verhandeln und ihre Treue zu verraten. In einer männlichen Nation mit einem entwickelten politischen Parteileben kann sich daher eine solche Regierungspartei nicht halten. Sie wird von den anderen politischen Parteien verdrängt oder zerrieben. Wenn wir sie in den alten Monarchien des Kontinents noch finden, zuweilen im Anschluß an hergebrachte Hofparteien, so ist das ein Rest der früheren noch unentwickelten Gebundenheit des öffentlichen Lebens. Der Regierungspartei in diesem verwerflichen Sinne gegenüber steht die Oppositionspartei, welche nicht minder verwerflich ist, wenn ihr politisches Lebensprinzip Opposition gegen jede Regierung heißt, wenn sie nicht deshalb die Politik der Regierung bekämpft, weil sie dieselbe für ungerecht und schädlich hält, sondern deshalb, weil es die Politik der Regierung ist. Ist jene Regierungspartei über die Maßen der Autorität willfährig und gefügig, so ist diese Oppositionspartei schlechthin im Übermaß widerspenstig und gehässig. Jene geht als Gefolge immer mit der Regierung, diese tritt ihr auf allen Wegen und bei jedem Schritt mißtrauisch und feindlich entgegen. Beides sind daher ungesunde Erscheinungen des öffentlichen Lebens. Zuweilen findet eine solche Oppositionspartei ebenso beim Volke Gunst wie die Regierungspartei bei den Machthabern. Aber ihre negativen Eigenschaften haben nur den Schein der Gemeinnützigkeit und der Volkssorge. Das bewegende Moment ist zwar nicht, wie bei jener Regierungspartei der Eigennutz, aber der Eigenwille, die trotzige Bestreitung und Hemmung aller Staatsautorität, der staatswidrige Geist der Anarchie. Sie verdient daher die Gunst einer politisch reifen Nation ebensowenig, als jene Regierungspartei die einer ausgezeichneten Regierung. Wenn wir in den deutschen Kammern der Zwanziger- und der Dreißigerjahre auch solche Oppositionsparteien, sich regen und die Volksgunst erwerben gesehen haben, so war das eben ein Zeichen eines noch unreifen Staatslebens. Damals war noch in großen Kreisen der Bevölkerung der Glaube verbreitet, nur wer Opposition mache und nur so lange er es tue, könne ein Patriot sein und ein warmes Herz für das Volk haben. Man kann aus der Verbreitung eines so gefährlichen Irrtums auf den moralischen Mißkredit zurückschließen, in welchen die Regierungen geraten waren, sicher nicht ohne ihre Schuld. Wenn die Führer der bisherigen Opposition damals in die Regierung berufen wurden, so machte sie schon der Eintritt in die Macht verdächtig oder verhaßt. F. Rein politische Parteien. Die höchste und reinste Form der politischen Parteibildung sind unzweifelhaft die Parteien, welche nur durch politische Prinzipien (nicht religiöse, ständische, staatsrechtliche und sachliche Gegensätze) bestimmt werden und zugleich das öffentliche Leben fortdauernd in freier Weise begleiten. WACHSMUTH in seiner "Geschichte der politischen Parteiungen" (I. Seite 32) hat behauptet: "Was in der Geschichte des menschlichen Geschlechts als Grundgesetz der Weltordnung gelten muß, daß im Großen und Ganzen ein Fortschritt zum Besseren stattfindet, daran hat die Geschichte der politischen Parteiungen keinen Anteil. Gut und schlecht, wie sie schon vor Alters waren, sind sie bis auf diesen Tag geblieben." Ich denke, daß auch in der Geschichte der Parteien der Fortschritt zum Bessern wohl wahrzunehmen sei. Freilich ist die Grundlage, auf der zuletzt alle Parteien beruhen, die menschliche Natur wesentlich dieselbe geblieben; und wenn einmal die menschlichen Leidenschaften entzündet sind, so ist der heutige Mensch so wenig davor sicher, in die äußerste Brutalität und Barbarei zu versinken, wie der Mensch vor tausend und zweitausend Jahren. Die französische Nation erhob im achtzehnten Jahrhundert den Anspruch, an der Spitze der europäischen Zivilisation zu stehen und trotzdem befleckte die Pariser Bevölkerung die Ehre dieser Zivilisation in der Erhitzung des Revolutionsfiebers mit den wilden Greueln der Septembermorde. Dennoch ist wie der Krieg, so der Kampf der Parteien im Großen und Ganzen infolge der Kulturentwicklung der Nationen weniger roh und grausam geworden, als er zuvor gewesen war; und trotz aller einzelnen Greueltaten, welche auch unser Jahrhundert noch schänden, hat doch der Fortschritt des humanen Geistes auch den Haß der Parteien ermäßigt. Den größten Fortschritt aber sehe ich darin, daß je eine höhere Parteiform die frühere verdrängt hat, daß die politischen Parteien sich allmählich losgemacht haben von der Mischung mit anderen Gegensätzen, daß sie mit der Zeit prinzipieller, bewußter und freier geworden sind. Es ist demnach ein Fortschritt, wenn die alten geschlechtermäßig fortgeerbten englischen Parteien der Whigs und Tories in unserer Zeit sich in die reiner politischen Parteien der Liberalen und der Konservativen um- und fortgebildet haben.
1) JACOB BURCKHARDT, Geschichte der Renaissance, Seite 86 |