cr-4Schriften zur Logik und Erkenntnislehre    
 
GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ
(1646 -1716)
Von der Sprache im Allgemeinen

"...denn es würde zu viel Zeit erfordern, wenn man alles erklären und an die Stelle der einzelnen Termini immer ihre Definition setzen wollte."

1. Es ist bekannt, daß die Sprache ein Spiegel des Verstandes, und daß die Völker, wenn sie den Verstand hochschwingen, auch zugleich die Sprache wohl ausüben, welches der Griechen, Römer und Araber Beispiele sind.

5. Es ist aber bei dem Gebrauch der Sprache auch dieses sonderlich zu betrachten, daß die Worte nicht nur der Gedanken, sondern auch der Dinge Zeichen seien, und daß wir Zeichen nötig haben, nicht nur unsere Meinung anderen anzudeuten, sondern auch unsern Gedanken selbst zu helfen. Denn gleich wie man in großen Handels-Städten, auch im Spiel und sonsten nicht allezeit Geld zahlet, sondern sich an dessen Statt Zettel oder Marken bis zur letzten Abrechnung oder Zahlung bedient; also tut auch der Verstand mit den Bildnissen der Dinge, zumal wenn er viel zu denken hat, daß er nehmlich Zeichen dafür braucht, damit er nicht nötig habe, die Sache jedesmal so oft sie vorkommt, von neuen zu bedenken. Daher wenn er sie einmal wohl gefaßt, begnügt er sich hernach oft, nicht nur in äußerlichen Reden, sondern auch in den Gedanken und innerlichen Selbstgespräch das Wort an die Stelle der Sache zu setzen.

6. Und gleichwie ein Rechenmeister, der keine Zahl schreiben wollte, deren Halt er nicht zugleich bedächte und gleichsam an den Fingern abzählte, wie man die Uhr zählt, nimmer mit der Rechnung fertig werden würde: Also wenn man in Reden und auch selbst im Gedenken kein Wort sprechen wollte, ohne sich ein eigentliches Bildnis von dessen Bedeutung zu machen, würde man überaus langsam sprechen oder vielmehr verstummmen müssen, auch den Lauf der Gedanken notwendig hemmen und also im Reden und Denken nicht weit kommen.

7. Daher braucht man oft die Worte als Ziffern oder als Rechenpfennige anstatt der Bildnisse und Sachen, bis man stufenweise zum Fazit schreitet und beim Vernunftschluß zur Sache selbst gelangt. Woraus erscheint, wie ein Großes daran gelegen, daß die Worte als Vorbild und gleichsam als Wechselzettel des Verstandes wohl gefaßt und unterschieden, zulänglich, häufig, leichtfließend und angenehm seien.

* * *
Philatelethes: Da Gott den Menschen zu einem geselligen Geschöpf bestimmt hat, hat er ihm nicht nur den Wunsch gegeben und ihn in die Notwendigkeit versetzt, mit seinesgleichen zu leben, sondern ihm auch das Vermögen der Sprache verliehen, die das große Hilfsmittel und das gemeinsame Band dieser Gesellschaft sein sollte. Das ist der Ursprung der Worte, welche dazu dienen, die  Ideen  zu vertreten und sogar zu erklären.

Theophilus: Ich freue mich daß Sie nicht der Ansicht des HOBBES sind, der nicht zugeben wollte, daß der Mensch für die Gesellschaft gemacht sei, indem er sich vorstellte, daß man nur durch die Notwendigkeit und durch die Bosheit von seinesgleichen dazu gezwungen worden sei. Er erwog aber nicht, daß die besten von jeder Bosheit freien Menschen sich, um ihren Zweck besser zu erreichen, vereinigen würden, wie die Vögel sich zusammenscharen, um in Gesellschaft besser zu reisen, und wie die Biber sich zu Hunderten vereinigen, um große Dämme zu bauen, was ein kleine Zahl dieser Tiere nicht zustande bringen könnte.

Phil.: Ganz recht und um diese Geselligkeit besser zu pflegen, sind die Organe des Menschen von Natur in der Art geformt, daß sie fähig sind,  artikulierte  Laute zu bilden, die wir Worte nennen.

Theo.: Was die Organe betrifft, so sind die der Affen, wie es scheint, ebenso fähig, als die unsern, Worte zu bilden, und doch findet man nicht, daß sie hierzu irgendwelche Anstalten machen. Es muß ihnen also hierfür etwas fehlen, was nicht in die Sinne fällt.

Ich glaube, daß wir ohne den Wunsch uns verständlich zu machen, in der Tat niemals die Sprache gebildet haben würden; ist sie aber einmal ausgebildet, sie dient sie dem Menschen auch dann, wenn er für sich allein denkt, sowohl dadurch, daß ihm die Worte Mittel an die Hand geben, sich abstrakter Gedanken zu erinnern, als auch durch die Förderung, die man beim Nachdenken durch den Gebrauch von Charakteren und tauben Gedanken findet; denn es würde zu viel Zeit erfordern, wenn man alles erklären und an die Stelle der einzelnen Termini immer ihre Definition setzen wollte.

Die allgemeinen Ausdrücke dienen nicht allein der Vervollkommnung der Sprachen, sondern sind sogar für ihre wesentliche Struktur notwendig. Denn wenn man unter den besonderen Dingen die individuellen Dinge versteht, so würde es unmöglich sein zu sprechen, wenn es nur Eigennamen und keine  Appelativa  (1), d.h. wenn es nur Worte für die Individuen gäbe. Denn diese kehren in jedem Moment neu wieder, sofern es sich um individuelle Beschaffenheiten und vor allem um individuelle Handlungen handelt, die dasjenige sind, was man am häufigsten bezeichnet. Es ist sicher, daß alle Eigennamen oder individuellen Bezeichnungen ursprüngliche Appelativa oder allgemeine Worte gewesen sind.

Phil.: Es wird, um dem Ursprunge unserer Begriffe und Erkenntnisse näher zu kommen, nützlich sein, darauf zu achten, wie die Worte, welche man zum Ausdruck für den Sinnen ganz entrückte Handlungen und Begriffe anwendet, ihren Ursprung aus den sinnlichen Vorstellungen ziehen, um alsdann in abstrusere Bedeutungen umgewandelt zu werden.

Theo.: Dies liegt daran, daß unsere Bedürfnisse uns gezwungen haben, die natürliche Ordnung der Ideen zu verlassen; denn diese Ordnung wäre allen Intelligenzien überhaupt gemeinsam und müßte von uns befolgt werden, wenn wir nicht auf unsere besonderen Zwecke Rücksicht nähmen. Wir haben uns also dem anpassen müssen, was Gelegenheiten und Zufälle, denen unser Geschlecht einmal unterworfen ist, uns geliefert haben, und diese Ordnung gibt nicht den Ursprung der Begriffe, sondern sozusagen die Geschichte unserer Entdeckungen.

Phil.: Sehr richtig, und zwar kann uns die Analyse der Worte an den Namen eben diese Verknüpfung kennen lehren, die die Analyse der Begriffe aus dem von Ihnen angeführten Grunde nicht geben kann. So sind die Ausdrücke: "vorstellen", "begreifen", "anhänglich sein", "erfassen", "einer Sache satt sein", "Unruhe", "Ruhe" sämtlich von den Wirkungen sinnlicher Dinge entlehnt und auf bestimmte Modi des Denkens übertragen. Das Wort "Geist" (pneuma, spiritus) ist seiner ersten Bedeutung nach soviel wie Wind (im Deutschen: Wut, Zorn) und das Wort "Engel" bedeutet Bote. Daraus können wir abnehmen, welche Art von Begriffen  diejenigen  hatten, die jene Sprache zuerst redeten, und wie die Natur den Menschen den Ursprung und Anfang aller ihrer Erkenntnisse durch Worte selbst unbewußterweise darbot.

Theo.: Es ist gut, diese Analogie der sinnlichen und unsinnlichen Dinge in Betracht zu ziehen, die den Tropen als Grundlage gedient hat; ein Zusammenhang, den man besser verstehen wird, wenn man ein sich sehr weit erstreckendes Beispiel, wie den Gebrauch der Präpositionen:  zu, mit, von, vor, in , außer, durch, für, über, gegen,  in Betracht zieht. Sie alle sind vom Ort, von der Entfernung und von der Bewegung hergenommen und nachher auf alle Arten von Veränderungen, Ordnungen, Folgen, Verschiedenheiten, Übereinstimmungen übertragen worden.


Von den allgemeinen Ausdrücken

Phil.: Obgleich es nur besondere Dinge gibt, so besteht der größte Teil der Wörter nichtsdestoweniger in allgemeinen Ausdrücken, weil es unmöglich ist, daß jede besondere Sache einen besonderen Namen für sich haben kann, abgesehen davon, daß hierfür ein wunderbares Gedächtnis nötig wäre. - Und wie sollte man die sinnlich nicht mehr unterscheidbares Teile der Dinge, z.B. des Wassers, des Feuers benennen? Zudem wären die besonderen Namen unnütz, weil der Hauptzweck der Sprache darin besteht, im Geiste dessen, der mich hört, eine Idee, die der meinen ähnlich ist, zu erwecken. Also genügt die Ähnlichkeit, welche durch die allgemeinen Ausdrücke bezeichnet wird.

Theo.: Diese Bemerkungen sind gut. Aber ich möchte hinzufügen, daß die Eigennamen gewöhnlich Appelativa sind, d.h. ursprünglich allgemeine Ausdrücke gewesen sind, wie  Brutus, Caesar, Augustus, Capito, Bucephalus, Alpen, Brenner  oder  Pyrenäen,  denn man weiß, daß der erste Brutus diesen Namen von seinem anscheinenden Stumpfsinn hatte, daß Capito, wie auch Bucephalus  Dickkopf  bedeutet, daß LENTULUS, PISO und CICERO ursprünglich Namen waren, die man Leuten gab, die speziell gewisse Gemüsearten zogen.

Demnach möchte ich zu behaupten wagen, daß fast alle Worte ursprünglich Gemeinausdrücke sind, weil es sehr selten vorkommen wird, daß man, um dies oder jenes Individuum zu bezeichnen, ohne Grund ausdrücklich einen eigenen Namen erfindet. Man kann also sagen, daß die Namen der Individuen Gattungsnamen waren, die man vorzugsweise oder unterschiedlich irgendeinem Individuum beilegte, wie man den Namen  Dickkopf  in der ganzen Stadt demjenigen gab, der von allen dicken Köpfen den größten und auffallendsten hatte. Es ist uns, so paradox dies auch erscheinen mag, unmöglich, die Individuen zu erkennen oder die Individualität irgend einer Sache genau zu bestimmen, ohne die Sache selber festzuhalten, denn alle Umstände können wiederkehren; die kleinsten Unterschiede sind uns unmerklich; Ort und Zeit, weit entfernt, für sich bestimmend zu sein, müssen vielmehr selbst durch die Dinge, die sie enthalten, bestimmt werden. Das Bemerkenswerte hierbei ist, daß die Individualität die Unendlichkeit in sich schließt, und daß nur derjenige, der das Unendliche zu begreifen imstande ist, die Erkenntnis des Prinzips der Individuation dieser oder jener Sache besitzen kann; was eine Folge des wechselseitigen Einflusses ist, den alle Dinge des Weltalls aufeinander ausüben.


Von Worten und vom Wortgebrauch

Wir sind darüber vollkommen einig, daß sich von unsern einfachen Ideen keine Nominaldefinitionen geben lassen, und so können wird denn den Geschmack der Ananas aus der Schilderung von Reisenden nicht kennenlernen. - Wenngleich die einfachen Ideen nicht definierbar sind, so sind sie nichtsdestoweniger doch die am wenigsten zweifelhaften; denn die Erfahrung leistet mehr als die Definition.

Da die Menschen verschiedene Arten gemischter Modi willkürlich bilden, so hat dies zur Folge, daß man in der einen Sprache Worte findet, für die es in einer anderen Sprache nichts Entsprechendes gibt. Es gibt keine Worte in andern Sprachen welche dem bei den Römern gebräuchlichen Wort  versura  (Anleihe zur Tilgung einer Schuld, wodurch man nur den Gläubiger wechselt) oder dem Ausdruck  corban  (corbanum, ursprünglich: Vertragsopfer, Opferkasse der Priester, usw.) entsprechen, dessen sich die Juden bedienten. Man übersetzt dreist "Fuß", und "Pfund", aber die Ideen, die der Römer mit ihnen verband, waren von den unsrigen sehr verschieden.

Theo.: Was die Namen und die Gebräuche der Menschen betrifft, so ist ihre Bemerkung gut, aber sie ändert nichts an den Wissenschaften und an der Natur der Dinge. Wer eine allgemeine Grammatik schreiben wollte, würde allerdings gut tun, nicht bloß das Wesen der Sprachen, sondern auch ihre tatsächliche Existenz ins Auge zu fassen und die Grammatiken mehrerer Sprachen zu vergleichen. Indessen kommt es in der Wissenschaft selbst, sofern man sie losgelöst von ihrer Geschichte oder ihrem wirklichen Dasein betrachtet, nicht darauf an, ob die Völker sich dem Vernunftgebot gefügt haben oder nicht.

Phil.: Es scheint, daß oft das Wesen der gemischten Modi, die Sie nicht für willkürlich halten, lediglich durch den Namen erhalten wird: so würden wir z.B. ohne den Namen "Triumph" kaum eine Vorstellung von dem haben, was bei den Römern bei dieser Gelegenheit vor sich ging.

Theo.: Ich gebe zu, daß der Name dazu dient, die Aufmerksamkeit auf die Dinge zu lenken und die Erinnerung an sie, sowie ihre wirkliche Erkenntnis zu bewahren, aber dies hat mit der Frage, um die es sich hier handelt, nichts zu tun und macht die Wesenheiten nicht zu Namenswesen.

Phil.: Wenn wir von einem "Pferde" oder von "Eisen" reden, so betrachten wir sie als Dinge, die uns die ursprünglichen Musterbilder unserer Ideen darbieten. Wenn wir dagegen von den gemischten Modi oder wenigstens von den wichtigsten dieser Modi, nämlich von den moralischen Wesenheiten, wie von der "Gerechtigkeit", der "Dankbarkeit" sprechen, so nehmen wir an, daß ihre ursprünglichen Musterbilder sich in unserm Geiste befinden. Darum sprechen wir vom  Begriff  der Gerechtigkeit und der Mäßigkeit, nicht aber redet man von dem Begriff eines Pferdes und eines Steines.

Theo.: Die Musterbilder der Ideen sind in dem einen Fall ebenso real, wie in dem andern: denn die geistigen Eigenschaften sind nicht weniger real, als die des Körpers. Man kann freilich die Gerechtigkeit sehen, wie man ein Pferd sieht, aber man begreift sie darum nicht weniger, oder vielmehr man begreift sie besser, und sie ist in den Handlungen ebenso enthalten, wie das Gerade und Schiefe in den Bewegungen, gleichviel, ob man sie beachtet oder nicht.

Um ihnen zu zeigen, daß die Menschen, und zwar gerade diejenigen, die in den menschlichen Dingen am fähigsten und erfahrendsten sind, hierin meiner Meinung sind, brauche ich mich nur der Autorität der römischen Juristen zu bedienen, denen alle andern folgen: denn diese nennen jene gemischten Modi oder moralischen Wesenheiten  Sachen  und insbesondere  unkörperliche Sachen  (res incorporales).

Phil.: Es ist noch zu bemerken, daß man die Namen der gemischten Modi  früher  als ihre Ideen kennen lernt, sofern erst der Namen erkennen läßt, daß diese Idee bemerkt zu werden verdient.

Theo.: Die Bemerkung ist gut, obgleich allerdings heutzutage die Kinder mit Hilfe der Namenverzeichnisse nicht nur die Namen der Modi, sondern auch die der Substanzen  vor  den Dingen, ja sogar die Namen der Substanzen früher als die der Modi lernen.

Phil.: Die Sprachen sind  vor  den Wissenschaften gebildet worden, und das unwissende, ungelehrte Volk hat die Dinge unter gewisse Arten gebracht.

Theo.: Allerdings, aber die Gelehrten berichtigen die populären Begriffe.

Phil.: Ohne uns weiter mit dem Streite über die wirklichen Wesenheiten zu unterhalten, genügt es, den  Zweck der Sprache  und den Gebrauch der Worte festzuhalten, welcher darin besteht: unsere Gedanken abgekürzt auszudrücken. Wenn ich jemand von einer Art Vögel sprechen will, die drei bis vier Fuß hoch sind, deren Haut mit einem Mittelding von Federn und Haaren bedeckt ist, die von dunkelbrauner Farbe und ohne Flügel sind, statt dieser aber zwei oder drei kleine Äste, ähnlich wie Pfriemenkrautzweige, besitzen, welchen ihnen bis unten hin hangen, die lange und dicke Beine, Füße mit nur drei Krallen und keinen Schwanz haben, so bin ich genötigt, diese Beschreibung zu geben, um mich dadurch andern verständlich zu machen.

Sagt man mir aber, daß der Name dieses Tieres  Kasuar  ist, so kann ich mich dann dieses Namens bedienen, um im Gespräch jene ganz zusammengesetzte Idee zu bezeichnen. -  Wir  können in diesem Falle ohne Nachteil für die Sache aus unserer Idee einige Merkmale fortlassen; wenn aber die Natur solche Merkmale fortläßt, so ist es fraglich, ob dann die Art noch bestehen bleibt. Wenn es z.B. einen Körper gäbe, der alle Eigenschaften des Goldes, ausgenommen die Dehnbarkeit, hätte, würde es Gold sein? Dies zu entscheiden, hängt von den Menschen ab: sie sind es also, welche die Arten der Dinge bestimmen.

Theo.: Keineswegs. Vielmehr würden sie in einem solchen Falle nur den Namen bestimmen.

Phil.: Nehmen wir als Beispiel ein Werk der Kunst, dessen innerer Bau uns bekannt ist. Eine Uhr, die nur die Stunden zeigt, und eine Uhr, die schlägt, sind für diejenigen, die zu ihrer Bezeichnung nur  einen  Namen haben, von derselben Art; für den indes, der zur Bezeichnung der ersteren das Wort  Zeigeruhr,  zur Bezeichnung der letzteren das Wort  Schlaguhr  besitzt, sind beide,  in Hinsicht auf ihn  verschiedene Arten.

Also ist es der Name und nicht die innere Einrichtung, was eine neue Art ausmacht, sonst würde es zu viele Arten geben. Es gibt Uhren mit vier Rädern und andere mit fünf; einige haben Schnüre und Spindeln und andere nicht; in einigen geht die Unruh frei, in andern wird sie durch eine Spiralfeder und in noch andern durch Schweineborsten in Bewegung gesetzt. Aber genügt einer dieser Umstände, um einen spezifischen Unterschied zu begründen? Ich sage: nein, solange diese Uhren im Namen übereinkommen.

Theo.: Und ich möchte diese Frage doch bejahen; denn ohne mich bei den Namen aufzuhalten, möchte ich die Verschiedenheiten des Werkes und vor allem den Unterschied der Unruh in Erwägung ziehen. Denn seitdem man bei dieser eine Springfeder anwendet, die die Schwingungen nach den eignen regelt, und sie hierdurch gleichmäßiger macht, haben sich die Taschenuhren ganz umgewandelt und sind unvergleichlich richtiger geworden.

Phil.: Außer den Worten, welche dazu dienen, die Ideen zu  benennen,  hat man solche nötig, welche den  Zusammenhang  der Ideen oder der Sätze bezeichnen. "Das ist", "das ist nicht" sind die allgemeinen Zeichen der Bejahung oder der Verneinung. Außer den einzelnen Satzteilen aber verbindet der Geist auch ganze Urteile oder Sätze, indem er hierfür Worte gebraucht, die den Zusammenhang der verschiedenen Bejahungen und Verneinungen ausdrücken, und die man  Partikel  zu nennen pflegt. Damit also die Schlußfolgerungen methodische Folgerichtigkeit haben, braucht man Ausdrücke, welche den  Zusammenhang,  die Einschränkung, den Unterschied, den Gegensatz, den  Nachdruck  usw. anzeigen.

Theo.: Es scheint mir, daß die Partikeln nicht nur die Teile der  Rede,  noch auch lediglich die Teile eines  Satzes  miteinander verknüpfen, sondern auch die Teile der  Idee  selbst, sofern diese sich auf verschiedene Arten aus der Kombination anderer Ideen ergibt. Und zwar wird diese letztere Verknüpfung durch die Präpositionen bezeichnet, während man die Adverbien auf der Bejahung und Verneinung, die im Verbum ausgedrückt wird, und die Konjunktionen auf die Verbindung verschiedener Bejahungen oder Verneinungen von Einfluß sind.

Die Lehre von den Partikeln ist wichtig, und ich wünschte, daß man sie mehr im Einzelnen bearbeitete. Denn nichts würde geeigneter sein, die verschiedenen Formen des Verstandes erkennbar zu machen. Die Geschlechter bedeuten für die philosophische Grammatik nichts, die Kasus aber entsprechen den Präpositionen, und oft steckt die Präposition im Worte selbst und ist gleichsam in ihm aufgegangen, während andere Partikeln in den Flexionen der Verba gesteckt sind.

Man sucht die Partikeln gewöhnlich mehr durch Beispiele und Synonyme zu erklären, als durch deutliche Begriffe. Auch kann man für sie nicht immer eine allgemeine oder formelle Bedeutung finden, die allen Beispielen Genüge leisten könnte. Aber dessen ungeachtet könnte man immer alle Anwendungen eines Wortes auf eine bestimmte Zahl von Bedeutungen zurückführen.

Phil.: In der Tat übertrifft die Zahl der Bedeutungen die der Partikeln beträchtlich. Im Englischen hat die Partikel  but  sehr verschiedene Bedeutungen:

1) wenn ich sage:  but to say no more,  so bedeutet das: "aber um nicht mehr zu sagen", als wenn diese Partikel bezeichnete, daß der Geist auf seinem Wege, bevor er ihn durchmessen, innehält. Aber wenn ich sage:

2)  I saw but two planets,  d.h. "ich sah nur zwei Planeten", so schränkt der Geist das, was er sagen will, auf das, was er bezeichnet, mit Ausschluß alles übrigen ein. Und wenn ich sage:

3)  you pray, but it is not, that God would bring you to the true religion, but that he would confirm you in your own,  d.h. "ihr betet zu Gott, aber nicht, daß er euch zur Erkenntnis der wahren Religion bringe, sondern daß er euch in euerer eigenen Religion befestige", so bezeichnet das erste dieser  but  (=aber) eine Annahme des Geistes, die anders ist, als sie sein sollte, während das zweite  but  (=sondern) anzeigt, daß der Geist zwischen dem folgenden und dem vorausgehenden Satze einen direkten Gegensatz macht.

 All animals have sense, but a dog is an animal, 
d.h. "alle Tiere haben Empfindungen, nun ist aber der Hund ein Tier". Hier bezeichnet die Partikel die Verbindung des Untersatzes mit dem Obersatze.

Theo.: Um die Partikeln richtig zu erklären, genügt es jedoch nicht, eine abstrakte Erklärung von ihnen zu geben, wie wir es eben getan haben, sondern man muß zu einer Umschreibung schreiten, die an ihre Stelle gesetzt werden kann. Versuchen wir in unseren vier Beispielen uns dem zu nähern.

Im ersten will man sagen: Zunächst soll nur hiervon die Rede sein und nichts mehr  (non più);  im zweiten: Ich sah nur zwei Planeten und nicht mehr; im dritten: Ihr bittet Gott nur darum, nämlich in euerer Religion befestigt zu werden, und um nicht mehr; im vierten ist es, als ob man sagte: Alle Tiere haben Empfindungen, das allein hat man in Betracht zu ziehen und braucht nicht mehr. Der Hund ist ein Tier, also hat er Empfindungen.

Somit bezeichnen alle diese Beispiele Einschränkungen und ein  non plus ultra,  sei es in den Dingen, sei es in der Rede. Auch bedeutet  but  ein Ende, eine Grenze unserer Laufbahn: als wollte man sagen: Halt, da sind wir.  But, Bute  ist ein altes deutsches Wort, welches etwas Festes, einen Standort bedeutet.  Beuten  (beiten), ein veraltetes Wort, welches sich noch in einigen Kirchengesängen findet, heißt  verweilen. 

Phil.: Ich will noch hinzufügen, daß oft Partikeln, sei es allgemein, sei es nur in einer bestimmten Konstruktion, den Sinn eines ganzen Satzes in sich schließen.

Theo.: Soll dieser Sinn indes ein vollständiger sein, so liegt hierbei, glaube ich, eine Art Ellipse vor. Denn wenn man "aber" sagt, ohne etwas anderes hinzuzufügen, so ist dies eine Ellipse, als sagte man etwa: "aber wir wollen erst abwarten und uns nicht vergeblich mit solchen Hoffnungen schmeicheln". - Ich glaube, daß die Sprachen der beste Spiegel des menschlichen Geistes sind und daß eine genaue Analyse der Wortbedeutungen besser als alles andere die Verrichtungen des Verstandes erkennen lassen würde.

Theo.: Die Worte sind ebensowohl Merkzeichen (notae) für uns, wie auch die Zahlzeichen oder die albebraischen Zeichen für die andern sind, und der Gebrauch der Worte als Zeichen findet sowohl dann statt, wenn es sich darum handelt, die allgemeinen Vorschriften auf praktische oder Einzelfälle anzuwenden, als wenn es sich darum handelt, diese Vorschriften zu finden oder auf ihre Richtigkeit zu überprüfen: der erstere Gebrauch der Zeichen ist der Bürgerliche und der zweite der philosophische.

Phil.: Nun ist es besonders in folgenden Fällen schwer, die Idee, die jedes Wort bezeichnet, zu erkennen und zu behalten:

1) wenn diese Ideen sehr zusammengesetzt sind (bei den meisten moralischen Begriffen);

2) wenn aus ihnen durch Zusammensetzung eine neue entsteht, ohne daß die einzelnen Bestandteile einen natürlichen Zusammenhang untereinander besitzen, sodaß es also in der Natur kein festes Maß oder Muster gibt, um sie zu berichtigen oder zu regeln;

3) wenn das Muster nicht leicht zu erkennen ist;

4) wenn die Bedeutung des Wortes und die reale Wesenheit nicht genau dasselbe sind.

Der zuerst das Wort "brusquer" erfand, hat darunter verstanden, was er für gut fand, ohne daß die, welche sich desselben wie er bedienten, sich von dem genauen Sinn dessen, was er eigentlich sagen wollte, unterrichtet hätten und ohne daß er ihnen irgendein feststehendes Musterbild für das Wort gezeigt hätte.

Der allgemeine Gebrauch regelt für die gewöhnliche Unterhaltung den Sinn der Worte hinlänglich. Doch gibt es hier keinen genauen Maßstab, und man streitet täglich darüber, welche Bedeutung der Eigentümlichkeit der Sprache am meisten entspricht. Wir sprechen von "Ruhm" und doch gibt es wenige, welche das gleiche bei diesem Worte denken. In dem Munde vieler sind dies bloße Laute, oder die Bedeutung ist zum mindesten sehr unbestimmt.

Und wenn es schon schwierig ist, den Sinn der Ausdrücke der Menschen unserer Zeit zu verstehen, so ist die Schwierigkeit noch viel größer, die alten Bücher zu verstehen.

Theo.: Ohne hier von manchen alten Büchern der Perser, Armenier, der Kopten und Brahmanen zu reden, die man mit der Zeit aus der Verborgenheit ziehen wird, um keine Aufklärung zu vernachlässigen, die das Altertum uns durch die Überlieferung der Lehrmeinungen und durch die Geschichte der Tatsachen geben kann. Und wenn es kein altes Buch mehr zu prüfen geben wird, so werden die Sprachen an die Stelle der Bücher treten, denn sie sind die ältesten Denkmale des menschlichen Geschlechts.

Ich will hier nicht reden von dem Ursprung der Völker, den man mittels begründeter Etymologien, welche die Sprachvergleichung am besten liefern kann, erkennen wird.

Phil.: Um zu schließen: so dienen die Worte

1) unsere Gedanken verständlich zu machen

2) um dies mit möglichster Leichtigkeit zu tun

3) um uns in die Erkenntnis der Dinge einzuführen.

Man fehlt in dem ersten Punkt, wenn man mit dem Wort keine bestimmte und feststehende oder keine allgemein ausgenommene und andern verständliche Idee verbindet. Man fehlt gegen die Leichtigkeit des Ausdruckes, wenn man sehr verwickelte Ideen hat, ohne für sie genaue Namen zu haben, ein Fehler, der oft den Sprachen selbst, die keine Bezeichnungen haben, oft aber auch dem Menschen zur Last fällt, der sie nicht kennt. Man hat alsdann große Umschreibungen nötig. Wenn aber die Ideen, die durch die Worte bezeichnet werden, mit der Wirklichkeit nicht zusammenstimmen, so fehlt man im dritten Punkt.

1) Wer die Ausdrücke ohne die Ideen hat, ist wie einer, der nur ein Verzeichnis von Büchern hätte.

2) Wer sehr zusammengesetzte Ideen hat, wärem einem Menschen zu vergleichen, der eine Menge von Büchern in losen Blättern ohne Titel hätte und der das Buch nicht anders geben könnte, als indem er die Blätter eines nach dem andern reicht.

3) Wer sich im Gebrauch der Zeichen nicht gleichbleibt, wäre wie ein Kaufmann, der verschiedene Dinge unter demselben Namen verkaufte.

4) Wer mit den allgemein angenommenen Worten besondere ihm eigentümliche Ideen verknüpft, kann die andern durch die Einsicht, die er etwa haben mag, nicht aufklären.

5) Wer Ideen von Substanzen, die niemals gewesen sind, im Kopfe hat, kann in den realen Erkenntnissen keine Fortschritte machen.

Der erste wird umsonst von der "Tarantel" oder der "christlichen Liebe" sprechen, der zweite wird neue Tiere sehen, ohne sie den andern auf leichte Art kenntlich machen zu können. Der dritte wird den "Körper" bald für das Solide nehmen, bald für das, was nur Ausdehnung besitzt, und unter der "Genügsamkeit" wird er bald die Tugend, bald das Laster bezeichnen, das diesem Ausdruck nahe steht. Der vierte wird einem "Maulesel" den Namen Pferd geben, und der, den alle Welt einen "Verschwender" nennt, wird ihm als freigebig gelten, und der fünfte wird auf die Autorität des HERODOT in der Tatarei ein Volk von Einäugigen suchen.

Ich hatte die Absicht zu schließen, doch erinnere ich mich noch eines letzten Mißbrauches, welcher der der figürlichen Ausdrücke oder Anspielungen ist.
LITERATUR, G. W. Leibniz, Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, Bd. 2 und 3, Hamburg 1966
    Anmerkungen
    1) Appelativum: Nomen, das ein zu Benennendes als Vertreter einer Klasse von Dingen, Personen, Vorgängen usw. begreift.