F. M. MüllerG. RunzeO. GruppeC. Hermann | |||
(1819 - 1897) Philosophische Grammatik [ 3 / 3 ]
Die Stellung der Philologie als einer philosophischen Hilfswissenschaft Die Natur der philosophischen Grammatik war von Anfang an bestimmt worden als die einer Grenzwissenschaft zwischen Philosophie und Philologie. Daher steht sie sowohl mit dem einen als mit dem anderen dieser beiden Gebiete in einem bestimmten organischen Zusammenhang. Zuerst aber war das philosophische Element nur als Mittel und Form aufgefaßt worden für die Gestaltung des philologischen als seines Zweckes und Inhaltes und es war insofern diese letztere Wissenschaft diejenige in welche der Schwerpunkt des ganzen Interesses selbst fiel. Zugleich aber war von Anfang an als Prinzip dieses festgehalten worden, alles rein Systematische oder im spezifischen Sinne Technische der Philosophie zurücktreten zu lassen oder als nicht vorhanden zu betrachten, nur den reinen und einfachen Begriff des Philosophischen aber als ordnendes Gesetz auf den empirisch gegebenen Stoff in Anwendung zu bringen. Dieses letztere war insbesondere darum erfordert, weil es keinen bestimmten systematisch philosophischen Standpunkt gab, der sowohl an sich selbst als unbedingt wahr hätte anerkannt noch der auch ohne Gefahr und Schaden für die Bearbeitung des vorliegenden Gegenstandes hätte mit Recht zu Grunde gelegt werden mögen. Die innere oder systematische Wahrheit der Philosophie selbst ist eine noch nicht gefundene, sondern eine nur möglicherweise noch erst aufzufindende. Höchstens das System KANTs schien eine bestimmte allgemein feststehende Basis philosophischer Wahrheit in sich darzubieten; umso weniger aber konnte diese in sich selbst noch unfertige Wissenschaft der Philosohie nach Außen hin eine dikatorisch eingreifende Gewaltstellung einzunehmen beanspruchen. Nahe verwandt aber waren beide Gebiete, die Philosophie und die Philologie namentlich insofern, als sie an dem innerlich Geistigsten des ganzen menschlichen Lebens, dem Denken und der Sprache, ihren Gegenstand hatten; mindestens schien in Bezug auf die erstere nur diejenige Begriffsbestimmung ihres Charakters die wahre, durch welche die Aufgabe und das Spezifische derselben vorzugsweise und zunächst in die Untersuchung dieses rein innerlichsten Instrumentes unseres Erkennen, unter Anschluß an die Kantische Grundmeinung, verlegt wurde. Sprache und Denken aber war in der Wirklichkeit dasselbe; die Wissenschaft welche von dem ersteren handelte, die Philologie daher stand mit der von dem letzteren oder doch der ihrer inneren Wahrheit nach zunächst hierauf wurzelnden der Philosophie in der nächsten und fast unlösbaren Verschwisterung; nur in der Sprache hat das Denken selbst die natürliche Wurzel seines Entstehens und die erscheinende Wahrheit seines Begriffes; daher bildet die Erkenntnisbestimmung von jener an und für sich für die von diesem die Voraussetzung und die Grundlage. Die Untersuchung des Denkvermögens nach seiner Stellung zur Wirklichkeit oder nach dem in ihm liegenden Anspruch auf Wahrheit des Erkennens bildet die erste und Hauptaufgabe der Philosophie, insofern dieselbe dem Kantischen Vorbild getreu eine ihrem Prinzipe nach kritische oder selbstbewußt vernünftige, die Untersuchung des Mittels der Erkenntnis von dem Zweck desselben absondernde und die Prüfung des ersteren seiner wirklichen Anwendung auf den letzteren voranstellende ist. Die reine Natur dieses gedankenmäßigen oder geistig selbstbewußten Mittels des Erkennens aber ist die Sprache und es befindet sich darum die Wissenschaft von der letzteren, die Philologie, zu der von jenem ersteren, der Philosophie in dem Verhältnis einer einleitenden oder begründeten Hilfswissenschaft, ähnlich als sich etwa die Mathematik zu der Naturwissenschaft oder die Geographie zu der von der Geschichte in einem solchen befindet; denn wie die Mathematik die reinen Grundformen aller wirklichen Verhältnisse in der Natur oder wie der Erdkörper die entscheidenden Bedingungen für den ganzen Verlauf der Geschichte in sich enthält, ebenso ist die Bewegung alles unseres wirklichen oder angewandten Denkens gebunden an die Formen oder Bedingungen, mit denen dasselbe auf dem empirischen Boden der Sprache steht. Daher ist das verknüpfende Band des Bedürfens zwischen Philosophie und Philologie und nicht bloß eine einseitiges, sondern ein wechselseitiges oder es hat wenn zuerst jenes Element für die Gestaltung vn diesem als Basis genommen worden war, weiterhin das letztere selbst dem ersteren den Dank zurückzugeben oder die Basis für eine neue und vernunftgemäß richtigere Gestaltung desselben zu bilden. Das allgemeine an die Spitze gestellte Prinzip eines organischen Zusammenhanges von Philosophie und Philologie aber dürfte teils für Viele überhaupt etwas Paradoxes an sich tragen, teils dürfte insbesondere von dem einseitigen oder spezifischen Standpunkt der einen dieser beiden wissenschaftlichen Seiten aus dasselbe vielleicht um nichts weniger perhorresziert (verabscheut) werden als von demjenigen der anderen. Denn der gegenwärtigen Verfassung beider Gebiete nach ist allerdings fast jede Spur eines inneren oder wesenhaften Zusammenhanges zwischen ihnen verloren; die Philosophie, welche gegenwärtig durchaus wieder auf die Abwege der metaphysisch- naturwissenschaftlichen, religiös- theologischen und subjektiv- anthropologischen Spekulationsbestrebungen geraten ist, wird es belächeln, wenn ihr gesagt wird, daß sie sich zuerst um die Sprache gleich als um das wert- und willenlose Werkzeug für ihre ganzen auf das Weite und Unendliche gerichteten Bestrebungen zu kümmern habe, ebenso als es einem die Waffe schwingenden Krieger niedrig erscheinen muß, sich um das mechanische Verfahren des Handwerkers der sie geschmiedet, zu befragen. Nichtsdestoweniger ist doch die Art wie dieser letztere verfahren, für den Vollzug des eigenen Geschäftes von jenem oder den Erfolg und die Wirkung der durch ihn ausgeführten Schläge in hohem Grade wichtig und entscheiden und es ist daher auch oft in alten Zeiten der beste Waffenschmied der tapferste Krieger, der geschickteste Büchsenmacher der sicherste Schütze, der trefflichste Orgelbauer der feinste Spieler gewesen, weil überall die genaue Kenntnis des Werkzeuges mit der rechten Erreichung des Zieles im genauesten Verbande steht. Alle anderen Anwendungsformen des Denkens aber sind ungleich weniger und es ist überhaupt keines von ihnen in einer so spezifischen Weise an die Beachtung der Sprache oder an die systematische Reflexion auf dieselbe gebunden als gerade dasjenige der Philosophie; denn jedes andere Gebiet des Erkennens hat einen festen empirischen Boden auf welchem es wurzelt und dessen konkrete unwandelbare und eigentümlich beschaffene Natur einen heilsamen und notwendigen disziplinarischen Einfluß auf die Bewegung des abstrakten seine Erkenntnis zum Gegenstand habenden Denkens ausübt. Die Philosophie dagegen, insofern sie etwas mehr sein soll, als eine bloße methodische Form der Bearbeitung anderer bereits gegebener Gegenstände und Stoffe des Wissens oder als sie auf den Namen und Charakter einer eigenen nur in sich ihren Zweck habenden oder sich auf eigentümliche nur ihr selbst angehörende Ziele des Erkennens richtenden Wissenschaft Anspruch erhebt, steht ohne einen solchen festgegründeten Boden oder ohne eine in sich selbst reichhaltige unendliche und bestimmte Basis der Bearbeitung da, welche allein das Kennzeichen und die Vorbedingung einer jeden wahren und echten Wissenschaft bildet und sie ist insofern der Gefahr des fortwährenden Irrens und gegenstandlosen Umhertappens auf dem Gebiet des Erkennens unterworfen. Zwar ist von vielen Seiten eben in dieses unendliche Suchen oder in diesen fortwährend sich erneuernden Wechsel ihrer Systeme und Gestaltungen das Eigentümliche und Spezifische der Philosophie selbst vor der Natur aller anderen Wissenschaften gesetzt worden. Die Philosophie ist in diesem Falle nach der einen Ansicht die Wissenschaft vom Absoluten, nach der anderen die vom Nichts, oder nach jener die höchste nach dieser überhaupt keine Wissenschaft. Nie aber können sich bloße Einbildungen als Erkenntnisse geben. Einen gewissen empirischen Boden muß jede Wissenschaft aufweisen können, weil nur durch diesen überhaupt ein geordneter und Jedermann offen stehender Eingang in sie möglich erscheint, außerdem aber sie ein bloßes Eigentum weniger durch zufällige und exzeptionelle Geistesrichtung verbundener Adepten bildet. Insofern es daher eine Wissenschaft des reinen, d.i. gegenstandslosen oder sich auf kein bestimmtes wirkliches Objekt hinrichtenden Gedankens geben sol, als die sich die Philosophie darzustellen liebt, so wird für eine solche überall kein anderer faßbarer empirischer Boden aufgefunden werden mögen, als derjenige, den die Sprache in sich darbietet, da diese allein die natürliche Zucht und Ordnung des freien, bloß mit sich umgehenden und von sich allein aus a priori konstruierenden Denkens sein kann. Für andere empirische Wissenschaften ist das Denken ein Werkzeug, dessen Natur und Vortrefflichkeit sich durch die fortwährende Anwendung oder Beziehung auf den wirklichen Stoff derselben ganz von selbst erprobt und das durch diesen sogar in gewisser Weise immer geschärft, gereinigt und weiter gebildet wird. Die Philosophie dagegen, das sie einen solchen festen und wirklichen Stoff nicht besitzt, ist den mannigfachen Ausartungen, Verletzungen und Gefahren in Folge der zuchtlosen und durch nichts Anderes kontrollierten Benutzung jenes Werkzeuges unterworfen, vor welchen sie sich überall nur durch die genau anschließende Beachtung der eigenen Natur desselben zu schützen vermag. Die Handhabung des Spatens oder des Pflugschares lernt sich von selbst und es droht dem Körper dessen der sie führt, von ihnen überall keine Gefahr; die kriegerische Waffe dagegen, mit der bloß in der Luft gefochten wird oder die sich den Gegenstand, den sie treffen soll, erst mühsam und unter Schwierigkeiten zu suchen hat, ist für den, der sie führt, ein weit gefahrbringenderes Instrument, welches in seiner Handhabung erst kunstmäßig und durch genaue Erkenntnis der eigenen Natur desselben erlernt werden muß. Auch die Philosophie aber ist wesentlich immer im Suchen nach ihrem Stoffe begriffen gewesen und hat sich bei Verfehlung desselben oft selbst in den größten Schaden gebracht. Dieses letztere hat sich insbesondere gezeigt bei dem jüngsten unter den neueren philosophischen Systemen, dem HEGELschen. Jeder Lufthieb des Denkens hat hier wie bei der Einbildung des kindischen Spieles einen wirklichen Mann - nach der Behauptung - zu Boden gestreckt oder es ist alle bloße Begriffsevolution durch sich selbst eine Erkenntnis des Seins gewesen. Daher hat auch kein System so sehr den Zusammenhang des Denkens mit der Sprache und den in dieser liegenden Bedingungen seines richtigen Gebrauches vernachlässigt als eben jenes, das darum als abschreckendes Beispiel für jeden prinzipienlosen und unkritischen Gebrauch des Denkens zu den Zwecken der Philosophie gelten kann. Die ganze Meinung aber in den Begriffen als solchen, die doch zunächst bloß in der Gestalt von Worten gegeben sind und bloß durch den Gebrauch von diesen in ihrer Begrenzung unter einander erkannt und geschieden werden, etwas Bestimmtes und wirklich Gegenständliches zu besitzen, oder das Verfahren, von ihnen nach Analogie der äußeren Dinge oder gleichsam der chemischen Ursubstanzen des Wirklichen, einem Sein, Nichtsein, Seinkönnen usw. zu reden, ist ein durchaus falsches, eingebildetes und verfehltes. Zwar bezeichnen alle diese Begriffe immer irgend etwas, das sich an den Dingen vorfindet und es ist insofern zu jeder Zeit ihre Materie eine auch außer uns oder im objektiven Dasein gegebene; nichtsdestoweniger sind doch sie als solche niemals Substanzen, sondern bloß Inhärenzen oder bloß etwas durch uns von einem vorzugsweise subjektiven Gesetz mit einander Begrenztes, wobei auch immer zwischen den einzelnen Sprachen durchaus charakteristische Artverschiedenheiten stattfinden. Das zunächst Gegebene bei dem Begriff ist überall das Wort und der konkrete Gebrauch, welcher von diesem innerhalb der Sprache oder in seiner Zusammensetzung mit anderen Worten gemacht wird. Die Bestimmung und Begrenzung des Sprachgebrauches daher ist die empirische Basis, von welcher alle fernerweite das Interesse der Konsequenz und Sicherheit im Auge habende Gebrauchsandwendung der Begriffe auszugehen hat. Bei anderen Wissenschaften ist die Notwendigkeit der strikten Observanz und des genauen Zusammenhanges des Denkens mit dem Sprachgebrauch eine bei Weitem weniger dringende und unumgängliche als bei der Philosophie. Technische Ausdrücke insbesondere sich zu bilden ist jeder anderen Wissenschaft nach hervortretendem Bedürfnis unbenommen; denn je spezieller sich oft das Denken auf einem bestimmten Gebiete des Wissens einrichtet, um so weniger ausreichend werden dann die allgemeinen in der gewöhnlichen Sprache gegebenen Begriffe für die Erschöpfung alles einzelnen hierin liegenden Inhaltes erfunden. Der vorliegende Stoff aber gibt aus sich selbst immer die bestimmten und untrüglichen Kennzeichen für die Begrenzung der neugebildeten hierauf Bezug habenden Begriffe an die Hand, deren Natur daher vielfach mehr die von bloßen Namen als von wirklichen logischen Charakterbestimmungen zu sein pflegt. Nur in Folge einer durchaus falsch übertragenen Analogie aber hat auch das philosophische Denken das nämliche Recht der Erschaffung einer eigenen von dem Gebrauche der gewöhnlichen Rede abweichenden Terminologie oder Kunstsprache usurpieren und oft im weiten Umfange ausbeuten zu dürfen geglaubt. Diese Kunstsprache aber ist keineswegs eine einfache allgemein anerkannte und für den gemeinsamen Gebrauch dieser Wissenschaft geltende, sondern vielmehr eine mannigfache, in unzählige einzelne Idiome oder Mundarten nach den verschiedenen Sekten oder Schulen der philosophischen Systeme zersplitterte gewesen. Ein Naturforscher, der eine neue Pflanze, ein Astronom, der einen neuen Stern entdeckt, hat das Recht für diese von ihm aufgefundene Sache einen eigenen Namen oder technischen Ausdruck festzustellen, der sodann auch von allen anderen willig adoptiert zu werden oder in die betreffende technische Gelehrtensprache überzugehen pflegt, obgleich hier auf die bloße Art der Benennung da die Sache oder der Gegenstand als solcher in unzweifelhafter Begrenzung vorliegt, überall nichts ankommen kann. Mit dem Entdecken und der Feststellung neuer Begriffe aber hat es jedenfalls eine ganz andere Bewandtnis als mit demjenigen neuer Gegenstände der sachlichen Wirklichkeit; denn für den Begriff als solchen gibt es an und für sich keine andere feststehende und unzweifelhaft sichere Begrenzung als das Wort und der Gebrauch welcher von diesem nach der allgemeinen Regel der Sprache gemacht zu werden pflegt. Auf allen empirischen Gebieten ist die Sache, welche den neuen Stoff für die Begriffe des Denkens bildet, früher vorhanden und unabhängig von ihrer durch uns erfolgenden Benennung; bei dem reinen oder philosophischen Denken aber ist diese letztere oder das Wort selbst die unverbrüchliche Basis von welcher alle neue Begriffs- oder Gedankenbildung auszugehen hat. Welches daher auch die Natur und der Stoff oder Gegenstand dieser philosophischen oder rein im Gedanken selbst begründeten Wissenschaft sein möge, so muß doch unter allen Umständen die Erkenntnis und Bearbeitung jener ihrer untrennbaren Grundlage, der Sprache, als das wichtigste und vornehmste aller zu ihr gehörenden Geschäfte erscheinen. Nur der Standpunkt und das Prinzip einer solchen Bearbeitung aber war es, das hier zugleich als systematischer Eingang in die Philosophie festgestellt werden sollte. Auf der anderen Seite aber hat auch die Wissenschaft der Philologie durchaus keine Ursache, den Zusammenhang und die Gemeinschaft mit der Philosophie als etwas Ungehöriges und Fremdes von sich abzuweisen. Überhaupt nur in dem Zusammenwirken der einzelnen Wissenschaften unter einander besteht das Fruchtbringende und Berechtigte einer jeden unter ihnen bei sich selbst. Der reine, sich nur auf Ermittlung des Einzelnen seiner selbst wegen richtende Empirismus der Philologie, ist ebenso etwas Falsches und eine Ausartung der Wissenschaft als die bloße abstrakte, sich nur auf das Allgemeine oder Absolute erstreckende Spekulation der Philosophie. Das Gemeinsame beider Wissenschaften ist gegeben in der Beschäftigung oder ordnungsgemäßen Bearbeitung der Formen und Erscheinungen des Denkens, obgleich für die Philosophie dieses wesentlich nur Vorbedingung und Mittel, für die Philologie dagegen selbsteigener Zweck oder Gegenstand ist. Die philosophische Grammatik ist die Grenze in welcher sich beide Gebiete mit einander berühren und von welcher aus daher ebensowohl in die höheren oder entfernteren Regionen des philosophischen Erkennens der Weg fortgesetzt werden mag. Insbesondere endlich ist auch für die Philosophie der fortgesetzte Zusammenhang mit dem antiken oder klassischen Element von Gewicht; auch in der ganzen neueren Philosophie steht sich eine doppelte klassische und romantische oder an das Altertum und das Mittelalter anknüpfende Richtung oder Schule gegenüber; gerade für die Philosophie aber ist vorzugsweise nur das klassische, d.i. spezifisch im Gedanken gegründete oder streng und einfach verstandesmäßige Element das heilsame und wahre. |