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MAX HORKHEIMER
Materialismus und Metaphysik

"Die Metaphysik verspricht sich als Erfolg ihrer Beschäftigung mit dem Rätsel  des Daseins, mit dem Ganzen  der Welt, mit dem Leben,  dem Ansich  oder auch sonst immer die Richtung ihrer Frage beschreiben mag, die Möglichkeit, positive Konsequenzen für das Handeln zu ziehen. Das Sein, zu dem sie vorstößt, muß eine Verfassung haben, deren Kenntnis für die menschliche Lebensführung entscheidend ist, es muß eine diesem Sein angemessene Haltung geben. Das Bestreben, sein persönliches Leben in allen Teilen vom Einblick in die letzten Gründe abhängig zu machen, kennzeichnet den Metaphysiker."

"Nicht bloß dort, wo der religiöse Ursprung des Abhängigkeitsverhältnisses noch in der Befehlsform bewahrt ist, sondern auch in allen Fällen, wo überhaupt die Übereinstimmung eines Daseins mit seinem in der Metaphysik entdeckten Grund für wertvoll gehalten wird, gilt die zugrundeliegende Wirklichkeit als normativ. Das Wesen, dem die Metaphysiker den emphatischen Namen eines Wirklichen geben, enthält bei ihnen auch die Regel für die sich entscheidende Existenz. Die materialistische These schließt ihrer Natur nach solche Folgerungen aus. Das Prinzip, welches sie als Wirklichkeit bezeichnet, taugt nicht zur Normgebung. Die Materie ist ansich sinnlos, aus ihren Qualitäten folgt keine Maxime für die Lebensgestaltung: weder im Sinn eines Gebots noch eines Musterbildes."

"Die Forderung einer allgemeinen Durchführung der bürgerlichen Gerechtigkeitsidee muß dazu führen, die Gesellschaft des freien Tausches, durch deren Vorstellung diese Idee ursprünglich ihren Inhalt gewann, zu kritisieren und aufzuheben. Der Nachweis des Widerspruchs zwischen dem Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft und ihrem Dasein bringt die einseitige Bestimmung der Gerechtigkeit durch die Freiheit und der Freiheit durch die bloße Negation ins Bewußtsein und definiert die Gerechtigkeit positiv durch den Grundriß einer vernünftigen Gesellschaft."

Aus seiner Erforschung der philosophischen Anschauungen, welche in Europa seit der Antike aufgetreten sind, hat DILTHEY die Einsicht gewonnen, daß alle metaphysischen Versuche die Aufstellung eines einheitlichen allgemeingültigen Systems bezwecken, ohne daß ihnen bis heute ein Schritt vorwärts in dieser Richtung gelungen wäre. Wenn er selbst es unternimmt, Typen der Weltanschauung zu sondern, so hebt er darum auch den subjektiven Charakter der von ihm getroffenen Einteilung hervor. Die Überzeugung von der Unmöglichkeit jenes allgemeingültigen Systems vernichtet auch den metaphysischen Anspruch, welchen die Ordnung der einzelnen Systeme selbst erheben könnte.

Die Aussagen, in deren Zusammenhang DILTHEYs Typologie erst Bedeutung gewinnt, zielen freilich, ebenso wie die in ihr geordneten metaphysischen Systeme, auf das Ganze des Seins. Entsprechend seiner Überzeugung von der Konstanz der Menschennatur und der Selbigkeit der Welt sieht DILTHEY die Weltanschauungen und die Systeme, in welchen sie Gestalt gewinnen, als verschiedene Antworten auf das eine Rätsel des Daseins aus dem "Leben" hervorgehen. Und wie die Philosophie im Unterschied von der wissenschaftlichen Forschung steht auf dieses "Rätsel des Lebens ... auf dieses Ganze, in sich Verschlungene, Geheimnisvolle" gerichtet ist (1), so betrachtet auch DILTHEY selbst das Problem, was ich in der Welt soll, wozu ich in ihr bin, was in ihr mein Ende sein wird, als dasjenige, welches "mich am meisten angeht" (2). Die drei von ihm aufgestellten Kennzeichen des philosophischen, in Wahrheit metaphysischen Geistes: Selbstbesinnung, d. h. die konsequente und radikale Frage gegenüber den subjektiven und objektiven Gegebenheiten; die Einordnung alles Erkennbaren in einen einheitlichen Zusammenhang; das Streben nach einer Begründung der Allgemeingültigkeit der Erkenntnis durch den Rückgang auf ihre letzten Rechtsgründe, treffen aus seine eigenen Bestrebungen zu. Wenn er es auch vermieden hat, seine Anschauung in einem metaphysischen System wirklich auszuführen, so verfolgt die Analyse der Weltanschauungen doch nicht bloß die Absicht, einzelne für die Theorie der Geschichte wichtige Elemente klar herauszustellen, sondern seine Arbeit soll ebenso wie Religion und ursprüngliche Metaphysik zu einer "Bedeutung und Sinn des Ganzen" (3) führen. Jedes System verstrickt sich zwar nach DILTHEY in Antinomien, und erst das historische Bewußtsein "zerbricht die letzten Ketten, die Philosophie und Naturforschung nicht zerreißen konnten". Aber dieses befreiende Bewußtsein
    "rettet zugleich dem Menschen die Einheit der Seele, den Blick in einem obgleich unergründlichen, doch der Lebendigkeit unseres Wesens offenbaren Zusammenhang der Dinge. Getrost mögen wir in jeder dieser Weltanschauungen einen Teil der Wahrheit verehren. Und wenn der Lauf unseres Lebens uns nur einzelne Seiten des unergründlichen Zusammenhangs nahebringt - wenn die Wahrheit der Weltanschauung, die diese Seite ausspricht, uns lebendig ergreift, dann mögen wir uns dem ruhig überlassen: die Wahrheit ist in ihnen allen gegenwärtig" (4).
In der historischen und psychologischen Typologie der Weltanschauungen, wie sie DILTHEY und JASPERS unternommen haben, kommt die Kritik des liberalen Bürgertums an der Absolutheit seines eigenen Denkens zum Ausdruck. Die Gleichordnung der verschiedenen metaphysischen Ideen und das Bewußtsein ihrer durchgängigen geschichtlichen Bedingtheit bedeuten eine starke Unbefangenheit gegenüber der Macht ursprünglich von ihm selbst verewigter Kategorien, wenngleich die Systeme nicht durch die Erkenntnis ihrer gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen und ihrer gesellschaftlichen Funktion, sondern mit Hilfe selbst wieder hypostasierter [einem Wort wird reale Existenz unterstellt - wp] Begriffe von  Mensch, Leben, Persönlichkeit, schöpferischer Entwicklung  als abhängig begriffen wurden. Bei dieser teilweisen Befreiung von den bestimmten Inhalten der Vergangenheit umkleideten sich nun die Formen der Weltanschauung in ihrem Wandel mit dem Glanz eines metaphysischen Prozesses.
    "Was alles an weltanschaulichen Einstellungen, Weltbildern, Strebungen, Gedanken in Menschenköpfen entstanden ist, kann nicht absolut nichtig sein. Es war einmal als Kraft da und kehrt zu allermeist auf typische Weise einmal wieder ... solche Gedanken mögen falsch, unsinnig, täuschend sein, die menschliche Seele hat eine Artung, die sich in solchen Gedanken ausdrückt. Sie erlebt und bewegt in sich etwas auf eine Weise, daß jene Objektivierung dafür als treffender Ausdruck, als Offenbarung und selbstverständlich anerkannt wurde und wird." (5)
In Ermangelung des Glaubens an die unbeschränkte Gültigkeit eines ausgeführten Systems wurde die Reihe der kulturellen Gestaltungen, ihr Rhythmus, ihre Abhängigkeit voneinander, ihre Ähnlichkeiten zum Bildungsgut gemacht; als solches löste die Geistesgeschichte die früheren Systeme und Schulen in der Herrschaft ab. Der Unterschied lag wesentlich in der Gleichgültigkeit gegenüber dem bestimmten Inhalt der Ideen selbst. Mit der schwindenden Aussicht, die Wirklichkeit im Rahmen der bestehenden Ordnung vernünftig, d. h. den Bedürfnissen der Allgemeinheit angemessen, zu gestalten, wurden die Unterschiede zwischen den einzelnen Konstruktionen der besten Welt, welche die früheren Systeme als das vernünftige Wesen der empirischen entworfen hatten, mehr und mehr belanglos. Die unüberbrückbare Kluft zwischen Wirklichkeit und Vernunft brachte den Versuch sie philosophisch ineinszusetzen, ja sie durch den Begriff der Aufgabe aufeinanader zu beziehen, in Verruf. Der ungebrochene Harmoniegedanke gehört der liberalistischen Phase an. Er entspricht einer durch die Vielzahl selbständiger Unternehmer gekennzeichneten Volkswirtschaft. Das Bild der Zusammenstimmung ihrer Interessen zum reibungslosen Funktionieren des Ganzen wird auf die Gesamtgesellschaft, d. h. auf die verschiedenen Gesellschaftsklassen übertragen. Die monopolistische Phase behält die Leugnung der Klassengegensätze bei, doch wird der Kampf auf dem Weltmarkt zwischen wenigen Machtgruppen so sehr zum Hauptthema der Epoche, daß von hier aus anstelle der Übereinstimmung zwischen den Einzelexistenzen Begriffe wie die  Tragik, der Heroismus, das Schicksal  als zentrale geschichtsphilosophische Kategorien erscheinen. Die materiellen Interessen der einzelnen gelten als belanglos, als etwas, das weniger zu erfüllen als zu überwinden ist. Doch pflecht die Philosophie der Gegenwart die auf den Entwurf rationaler Systeme gerichteten Anstrengungen der Vergangenheit nicht einfach zu verneinen. Sie verherrlicht die Schöpferkraft und Größe ihrer Autoren, die ästhetischen Qualitäten der "gewachsenen" Einheit ihrer Werke, die trotz der Widersprüche zwischen den Systemen angeblich in jedem sich ausdrückende Wahrheit und fördert so die Bewunderung und Ehrfurcht vor den Gestalten der Vergangenheit, den formalen Glauben an Größe, Persönlichkeit und Führertum; durch diese biologistische und historizistische Einebnung der Unterschiede vernichtet sie freilich den schlichten Anspruch auf eine inhaltliche Geltung der Lehren. Sie setzt anstelle der sachlichen Prüfung der alten Systeme die hingebungsvolle Einfühlung und Beschreibung und rettet durch diese Erhebung der Geistesgeschichte zu einer neuen Metaphysik die "Einheit der Seele", verschließt sich aber damit den Zugang zu wichtigen Gegenständen der geistesgeschichtlichen Betrachtung selbst.

Indem die Lehre von den Weltanschauungen eine metaphysisches Interesse verfolgt, zentriert sie die von ihr dargestellten Denkgebilde wesentlich um gleichgerichtete Absichten. Der die Geschichte der Philosophie durchziehende Gegensatz zwischen den zwei gedanklichen Verhaltensweisen, welcher von der heutigen geschichtlichen Situation aus als der entscheidende erscheint, der Gegensatz zwischen Materialismus und Idealismus, wird in der heutigen philosophischen Literatur daher keineswegs begriffen. Er gilt als ein Streit zwei metaphysischer Richtungen und pflegt ohne große Schwierigkeiten von der modernen philosophischen Problematik her entschieden zu werden. Das Mißverständnis ist vor allem durch die Verkennung der materialistischen Theorie und Praxis bedingt. Wenn auch die meisten philosophischen Vertreter des Materialismus an die metaphysischen Fragestellungen anknüpfen und den idealistischen Thesen eigene entgegensetzen, so verbaut sich doch eine Behandlung dieser Gedankenrichtung, welche sie hauptsächlich als eine Antwort auf metaphysische Fragen nimmt, das Verständnis ihrer gegenwärtigen wichtigsten Eigentümlichkeiten.

DILTHEY selbst sieht im Materialismus eine Metaphysik und zwar eine Lehre über das Verhältnis des Weltgrundes zur Welt und der Seele zum Leib (6). Er ist darin nur der herrschenden philosophischen Auffassung gefolgt. Diese sieht schon seit mehreren Jahrzehnten im Materialismus vorwiegend nicht den Gegensatz gegen den Idealismus, sondern gegen den Spiritualismus. Materialismus und Spiritualismus werden beide als "realistische" Antworten auf die Frage nach dem Wesen der Welt einem im Sinn der Bewußtseinsphilosophie verstandenen Idealismus gegenübergestellt (7). Die gesellschaftlichen Wurzeln dieser Terminologie mögen in der Zweifrontstellung des französischen Bürgertums während des 19. Jahrhunderts gegen Feudalität und Proletariat zu suchen sein. Der Materialismus wird dabei auf die einfache Behauptung zurückgeführt, alles Wirkliche sei Materie und ihre Bewegung. Ob sich der betreffende Philosoph dann selbst zu einem idealistischen oder zu einer realistischen Standpunkt bekennt, die materialistische Behauptung wird auf jeden Fall rasch verworfen. Sofern sie nicht dazu zwingt, in einen Widerspruch mit dem primitivsten Verstand selbst, als bloßen Schein zu erklären, ist sie darauf angewiesen, es durch gekünstelte Hypothesen und fragwürdige Hinweise auf zukünftige Entdeckungen der Wissenschaft aus materiellen Vorgängen abzuleiten. Den Ausführungen über Materialismus pflegt daher sogleich eine denkbar einfache Widerlegung zu folgen, die er nach seinem Historiker F. A. LANGE "nicht parieren kann". "Das Bewußtsein läßt sich aus stofflichen Bewegungen nicht erklären." (8)

In der deutschen Literatur ist dieses Argument seit dem Materialismusstreit von 1854 unermüdlich wiederholt worden.
    "Es scheint zwar bei oberflächlicher Betrachtung, als könnten uns durch die Kenntnis der materiellen Vorgänge im Gehirn gewisse geistige Vorgänge und Anlagen verständlich werden ... Das geringste Nachdenken lehrt jedoch, daß dies eine Täuschung ist",
heißt es in der berühmten Ignorabimus-Rede von DUBOIS-REYMOND (9).
    "Dem Materialisten muß der psychologische Raum zu einem bloßen Phänomen werden, wobei stets unbegreiflich bleiben wird, wie ein solches Phänomen jemals entstehen konnte." (10)

    "Es spricht freilich vieles dafür, daß sich bei jeder Freude und überhaupt bei jedem Vorgang in unserem Bewußtsein ein mit diesem eng verbundener unwahrnehmbarer Atombewegungsvorgang in unserem Großhirn abspielt. Aber die Freude ist nicht dieser Bewegungsvorgang, sondern sie hängt nur auf irgendeine Weise mit ihm zusammen. Die materilistische Lehre, daß alle seelischen Vorgänge, z. B. auch die Gefühle, materielle Bewegungsvorgänge sind, ist demnach falsch." (11)

    "Dem unmittelbaren Erleben gegenüber, das uns die fundamentale Verschiedenheit zwischen physischer und psychischer Realität von Schritt zu Schritt aufnötigt, wird die materialistische Behauptung immer paradox bleiben ... Aber ebensowenig ist eine Ableitung möglich ..." (12)

    "So vermögen dann alle diese (materialistischen) Argumente nichts an der Tatsache zu ändern, daß die von uns erlebten psychischen Vorgänge etwas von allem Materiellen vollkommen Verschiedenes sind." (13)

    "In Wirklichkeit versagt die Theorie schon beim ersten Schritt. Wie aus raumzeitlichen Nervenprozessen ein Bewußtseinsprozeß wird, wie auch nur der einfachste Empfindungsinhalt wirklich entsteht, kann sie nicht nur nicht nachweisen, sondern auch nicht prinzipiell verständlich machen. Zwischen dem einen und dem anderen liegt ein vollständig  irrationaler Hiatus,  den kein verfolgbar durchgehendes Band überbrückt." (14)

    "Gerade aber das Hervorgehen auch nur des geringsten Schimmers von geistiger Lebendigkeit aus rein stofflicher Bewegung ist etwas Denkunmögliches, da sich eine solche Erzeugung des Geistigen aus Stofflichem nur behaupten, aber nicht verstehen läßt ... Tatsächlich ist auch der Materialismus meistens gar kein konsequenter Monismus, sondern in irgendeiner Verhüllung oder Erschleichung wird neben der bloßen Materie ein zweites Prinzip eingeführt, aus welchem sich dann die geistigen Erscheinungen leichter ableiten lassen." (15)
JASPERS erklärt gegen den von ihm als Positivismus bezeichneten Materialismus:
    "Wenn ich nichts bin als die in erkennbaren Kausalzusammenhängen stehende Natur, so ist es nicht nur unbegreiflich, daß ich sie erkenne und daß ich aus der Erkenntnis in sie eingreife, sondern absurd, daß ich mich rechtfertige." (16)
Der Materialismus erscheint demnach als ein offenkundiger, höchst einfach widerlegbarer Irrtum der Metaphysik. Der fortgesetzte Versuch, geistige Vorgänge als materielle hinzustellen, wäre in der Tat gerade so unsinnig wie die Behauptung,  Äpfel  seien "eine Art von Birnen oder Hunde eine Art von Katzen" (17). Unter diesen Umständen hat ERICH ADICKES nicht bloß sein eigenes, sondern das Urteil aller derjenigen, die sich in der gegenwärtigen philosophischen Literatur über den Materialismus orientieren, ausgesprochen. Der Materialismus scheidet "wegen seiner Flachheit und prinzipiellen Unzulänglichkeit selbstverständlich ohne weiteres aus." (18)

Die durch alle Gegensätze und Wandlungen der Philosophie der Philosophie in den letzten Jahrzehnten unveränderte Wiederholung derselben Argumente gegen eine so schwache These hängt mit dem geschichtlichen Kampf zusammen, der gegen verhaßte Behauptungen, Wertungen, Forderungen ausgefochten wird. Das Wort  Materialismus  bezeichnet ja nicht bloß jene fragwürdige Aussage über die Totalität der Wirklichkeit, sondern eine ganze Reihe von Gedanken und praktischen Verhaltensweisen. Diese erscheinen in einigen materialistischen Theorien und in einem großen Teil der übrigen philosophischen Literatur und in einem großen Teil der übrigen philosophischen Literatur als Folgen jener These über die Gesamtverfassung der Welt. Wäre die grundlegende Behauptung zerstört, so müßte, zumindest bei den klar denkenden Materialisten, nach der herrschenden Ansicht eine andere Metaphysik, sei es eine andere "realistische" Spielart, etwa der Spiritualismus, gegenwärtig Existenzphilosophie genannt, oder ein ausgesprochener Idealismus ihre Stelle einnehmen. Mag der Materialismus gegenüber den anderen möglichen Auffassungen vom Weltganzen als noch so unzulänglich erscheinen, seine allgemeinste, die Welt überhaupt betreffende These wird auch im Kampf gegen ihn als grundlegend für bestimmte praktische Konsequenzen, ja für eine einheitliche Lebensgestaltung genommen, ebenso wie die idealistische Metaphysik als die sinngemäße Voraussetzung einer idealistischen Handlungsweise gilt. Ein etwa vorhandener Gegensatz zwischen dem vom Beobachter erschlossenen Sinn des Handelns und der vom Handelnden selbst vertretenen materialistischen These, die mangelnde Einheitlichkeit wird dann als logischer Widerspruch kritisiert. Was beim Idealismus zutrifft, wird also auch vom Materialismus vorausgesetzt, daß nämlich
    "auf der Grundlage eines Weltbildes die Fragen nach Bedeutung und Sinn der Welt entschieden und hieraus Ideal, höchstes Gut, oberste Grundsätze für die Lebensführung abgeleitet werden." (19)
Diese Struktur von Weltanschauungen, insofern sie "eine vollständige Auflösung des Lebensrätsels zu geben unternehmen" (20), scheint in der Tat einer ganzen Reihe materialistischer Systembildungen anzuhaften; bei genauerer Analyse zeigt sich aber, daß die inhaltliche Fassung der materialistischen Theorie diese einheitliche Struktur sprengt. Die Kritik dieses Komplexes von Ansichten und Verhaltensweisen durch die Bestreitung der materialistischen These über die Gesamtverfassung der Welt, von welcher man ihn als abhängig ansieht, bliebe auch dann mißverständlich, wenn die bestrittene These jeweils eine genauere Interpretation erfahren würde, als es zu geschehen pflegt.

Die Metaphysik verspricht sich als Erfolg ihrer Beschäftigung mit dem "Rätsel" des Daseins, mit dem "Ganzen" der Welt, mit dem "Leben", dem "Ansich" oder auch sonst immer die Richtung ihrer Frage beschreiben mag, die Möglichkeit, positive Konsequenzen für das Handeln zu ziehen. Das Sein, zu dem sie vorstößt, muß eine Verfassung haben, deren Kenntnis für die menschliche Lebensführung entscheidend ist, es muß eine diesem Sein angemessene Haltung geben. Das Bestreben, sein persönliches Leben in allen Teilen vom Einblick in die letzten Gründe abhängig zu machen, kennzeichnet den Metaphysiker, egal ob das, was er erblickt, ihn zu höchster weltlicher Aktivität, Gleichmut oder Askese bestimmt, gleichgültig auch, ob sich die Forderung als für alle Zeiten und Menschen identisch oder als differenziert und wandelbar darstellt.

Der metaphysische Glaube, daß die Gestaltung des individuellen Lebens aus dem zu entdeckenden Sein begründbar ist, spricht sich am deutlichsten in den direkt theologischen Systemen aus. Gott kann ein bestimmtes Verhalten von den Menschen fordern, die, welche ihm zuwiderhandeln, in Sünde verfallen. Die theologischen Systeme sind mit sich selbst einig, nur ein persönliches Wesen kann Forderungen stellen, nur ein bewußter Wille so eindeutig sein, daß sich die Richtigkeit eines Lebens an ihm messen läßt. Die über ihre Beziehung zur Theologie unklare Metaphysik pflegt die Übereinstimmung des individuellen Lebens mit der Forderung des Absoluten nicht als Gehorsam, sondern als Angemessenheit, Echtheit, Eigentlichkeit oder überhaupt als philosophische Weisheit anzusehen. Wenn der Dogmatismus das Unbedingte, das er im Unterschied zu den von KANT ausgehenden idealistischen Strömungen als "Sein" zu erkennen meint, nicht naiv zugleich als  summum bonum [größtes Gut - wp] betrachtet, so erscheint es doch in den meisten seiner Systeme zumindest als primär wertbehaftet; das eigene Sein zu bewahren oder zu dem, was man ist, zu werden, gilt dann als ethische Maxime. Soweit jene idealistischen Strömungen das Unbedingte nicht als Sein, sondern als Gesetzgebung, Tathandlung oder doch als Inbegriff von freien Akten entdecken, fordern sie zugleich die Achtung vor dem Sinn dieser Akte, eine Anpassung des empirischen Menschenlebens in den intelligiblen Grund der Persönlichkeit, bis zu dem die Philosophie vorstößt. Aber nicht bloß dort, wo der religiöse Ursprung des Abhängigkeitsverhältnisses noch in der Befehlsform bewahrt ist, sondern auch in allen Fällen, wo überhaupt die Übereinstimmung eines Daseins mit seinem in der Metaphysik entdeckten Grund für wertvoll gehalten wird, gilt die zugrundeliegende Wirklichkeit als normativ. Das Wesen, dem die Metaphysiker "den emphatischen Namen eines Wirklichen" (21) geben, enthält bei ihnen auch die Regel für die sich entscheidende Existenz.

Die materialistische These schließt ihrer Natur nach solche Folgerungen aus. Das Prinzip, welches sie als Wirklichkeit bezeichnet, taugt nicht zur Normgebung. Die Materie ist ansich sinnlos, aus ihren Qualitäten folgt keine Maxime für die Lebensgestaltung: weder im Sinn eines Gebots noch eines Musterbildes. Nicht als ob ihre genaue Kenntnis für den Handelnden ohne Vorteil wäre: der Materialist wird sich je nach seinen Zielen der Struktur der Wirklichkeit auf das Eingehendste zu versichern trachten, aber sogleich diese Ziele im gesellschaftlichen Gesamtprozeß immer auch durch die jeweilige wissenschaftliche Erkenntnis der Wirklichkeit wie überhaupt durch den Stand der Produktivkräfte mitbedingt sind, folgen sie doch nicht aus der Wissenschaft. Die Erkenntnis, welche immer schon aufgrund einer bestimmten Praxis und bestimmter Zielsetzungen erworben wird, steht zwar in einer Wechselwirkung mit den Handlungen der Menschen, sie ist an der Gestaltung der äußeren und inneren Wirklichkeit beteiligt, liefert aber keine Vorbilder, Maximen, Anweisungen für ein wahrhaftes Leben, sondern Mittel dazu und ist daher nicht Aufschwung, sondern Theorie. Wenn MAX SCHELER im Anschluß an PLATON die metaphysische Haltung mit Recht als den "Versuch des Menschen, sich selber als natürliches, fertiges Sein zu transzendieren, sich selbst zu vergöttern oder Gott ähnlich zu werden" (22) beschreibt, so ist die Wirklichkeit, welcher der Materialist sich zu bemächtigen sucht, das Gegenteil einer göttlichen, und sein Bestreben geht vielmehr dahin, sie nach ihm als sich nach ihr zu richten.

Soweit die Materialisten solche abschließenden Sätze wie den, daß alles Wirkliche Materie ist, formuliert haben, erfüllen diese in ihren Lehren daher eine ganz andere Funktion als bei ihren Gegnern; sie enthalten den allgemeinsten und leersten Abzug aus ihren Erfahrungen, keineswegs ein Gesetz für ihr Handeln. Für die Mehrzahl der nichtmaterialistischen Richtungen werden die Einsichten umso bedeutsamer und folgenschwerer, je allgemeiner, umfassender, abschließender, prinzipieller sie sind; für die Materialisten gilt zwar nicht das gerade Gegenteil - dies ist nur beim extremen und daher selbst metaphysischen Nominalismus der Fall -, sondern der Grad, in dem allgemeine Gesichtspunkte für eine Handlung ausschlaggebend werden, hängt jeweils von der konkreten Situation des Handelns ab. Die Bekämpfung irgendeiner allgemeinen philosophischen These als der für die materialistische Verhaltensweise ausschlaggebenden geht daher an der Eigenart des materialistischen Denkens vorbei. Die These ist so wenig maßgebend für die inhaltlichen Entscheidungen, daß z. B. einflußreiche Materialisten der Aufklärung, allen voran DIDEROT, zeitlebens über diese allgemeinen Dinge schwanken konnten, ohne daß deshalb der Charakter ihrer praktischen Stellungnahme im geringsten verändert worden wäre. Nach den Materialisten kann sich zwar die Erkenntnis großer, über die Gegenwart hinausweisender Tendenzen in der Praxis ebensowohl bewähren wie die Erkenntnis von Einzelheiten, ja, sie stehen der These, daß die Wissenschaft sich in der bloßen Konstatierung von "Tatsachen" erschöpft, sehr kritisch gegenüber, aber jene alles überhaupt umspannenden Urteile sind nach ihnen wegen ihrer weiten Entfernung von der Praxis, aus der sie gewonnen wurden, stets fragwürdig und nicht sehr von Belang. In den metaphysischen Systemen pflegen die Akzente umgekehrt verteilt zu sein; die besonderen Erkenntnisse werden dort gewöhnlich bloß als Beispiele der allgemeinen verstanden. Wenn bei den Materialisten ein Irrtum umso verzeihlicher erscheint, je weiter er von den ihnen jeweils praktisch wichtigen Umständen abliegt, so bringen ihre Gegner gewöhnlich einen umso größeren Ernst auf, je mehr es um Prinzipielles geht. Prinzipielles kann, wie gesagt, auch für die Materialisten von höchster Bedeutung werden, aber der Grund für diese Bedeutung folgt nicht aus der Natur des Prinzipiellen als solchem, er liegt nicht allein in der Theorie, sondern ergibt sich aus den Aufgaben, die in der betreffenden Epoche von der Theorie zu bewältigen sind. So kann etwa die Kritik eines religiösen Glaubenssatzes im Komplex er materialistischen Ansichten zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort eine entscheidende Rolle spielen, während sie unter anderen Umständen belanglos ist; so besitzt in der Gegenwart die Erkenntnis der gesamtgesellschaftlichen Bewegungstendenzen eine konstitutive Bedeutung für die materialistische Theorie, während im 18. Jahrhundert die Probleme des gesellschaftlichen Ganzen gegenüber den erkenntnistheoretischen, naturwissenschaftlichen und rein politischen Fragen noch zurücktraten. Den "Zusammenhang dieses Einen, Unbeantwortbaren, des Großen, Unbekannten" (23), den die Metaphysik gewöhnlich im Auge hat, pflegt die materialistische Theorie freilich weder als Ausgang noch als Ziel zu nehmen.

Wenn nun eine an metaphysischen Fragen orientierte Behandlung des Materialismus verfehlt ist, so darf doch das Verhältnis des Materialismus zur Metaphysik keineswegs etwa als das der prinzipiellen Gleichgültigkeit angesehen werden. Aus dem bisher Gesagten folgt bereits, daß die materialistischen Anschauungen mit dem Gedanken einer absoluten Forderung unverträglich sind. Diese Forderung kann sinnvoll freilich nur durch den Glauben an ein absolutes Bewußtsein begründet werden. Sie ist in der neueren Metaphysik sowohl durch die Berufung auf eine bestimmte Seinsverfassung (SPINOZA), auf die Wurzeln des Denkens (deutscher Idealismus), auf "das Wesen des Menschen" (religiöser Sozialismus) wie auch auf eine Reihe anderer Prinzipien erhoben worden. Sie schließt je nach der gesellschaftliche Situation, von der aus sie verkündet wird, die verschiedensten rückschrittlichen oder fortschrittlichen Inhalte ein. Immer übt sie die Funktion aus, menschliche, geschichtliche, partikulare Zweck mit dem Schein der Ewigkeit zu umkleiden, sie zu einem den geschichtlichen Veränderungen selbst nicht Unterworfenen und daher Unbedingten in Beziehung zu setzen. Ihre notwendige Verbindung mit der Annahme eines absoluten Bewußtseins wird zwar gegenwärtig durch die philosophischen Versuche, den Forderungscharakter deskriptiv in der Tiefe der Phänomene selbst aufzuweisen, verhüllt; doch haben alle Denkrichtungen, soweit eine absolute, an jeden einzelnen ergehende Forderung in ihnen eine motivierende Rolle spielt, wegen dieser Verbindung einen idealistischen Charakter. Der Kampf zwischen Materialismus und Metaphysik erscheint heute auch um dieser Problematik willen vor allem als Gegensatz zwischen Materialismus und Idealismus.

In der bisherigen Geschichte ist die religiöse und metaphysische Begründung irgendwelcher Forderungen immer durch den Kampf gesellschaftlicher Gruppen bedingt worden. Sowohl die herrschenden wie die beherrschten Klassen haben ihre Ansprüche nicht bloß als Ausdruck ihrer besonderen Bedürfnisse und Wünsche, sondern zugleich als allgemeinverbindliche, in transzendenten Instanzen verankerte Postulate, als dem ewigen Wesen der Welt und des Menschen angemessene Grundsätze verkündet. Die Lage der Beherrschten hat es freilich, zumindest in der neueren Zeit, mit sich gebracht, daß sie ihre Forderungen vielfach nicht unmittelbar verabsolutierten, sondern daß sie die vorhandene Wirklichkeit als seinen Widerspruch zu den von den Herrschenden selbst als gültig behaupteten Prinzipien hinstellten. Indem sie die universale Durchführung der moralischen Prinzipien, mittels welcher die bestehende Ordnung begründet wurd, forderten, veränderten sie damit zugleich die Bedeutung dieser Prinzipien, ohne daß ihre neue metaphysische Begründung notwendig geworden wäre. Die Forderung nach einer Anwendung des Christentums in den Bauernkriegen enthielt einen dem damaligen Inhalt des Christentums gegenüber veränderten Sinn. Ebenso muß die Forderung einer allgemeinen Durchführung der bürgerlichen Gerechtigkeitsidee dazu führen, die Gesellschaft des freien Tausches, durch deren Vorstellung diese Idee ursprünglich ihren Inhalt gewann, zu kritisieren und aufzuheben. Der Nachweis des Widerspruchs zwischen dem Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft und ihrem Dasein bringt die einseitige Bestimmung der Gerechtigkeit durch die Freiheit und der Freiheit durch die bloße Negation ins Bewußtsein und definiert die Gerechtigkeit positiv durch den Grundriß einer vernünftigen Gesellschaft. Im Zusammenhang mit diesem Umschlag des Begriffs der  Gerechtigkeit  wird dieses ursprünglich als ewig behauptete Prinzip in seiner geschichtlichen Entstehung erkannt und als durch die Verhältnisse der Klassengesellschaft bedingter, von bestimmten Menschen hervorgebrachter Gedanke verstanden. In der Gegenwart hat sich daher der Kampf um eine bessere Ordnung von der übernatürlichen Begründung gelöst. Die zu ihm gehörige Theorie ist materialistisch.

Zwischen dem Idealismus der herrschenden und der gegen die Herrschaft kämpfenden Schichten besteht aber noch ein anderer Unterschied. Der Hinweis auf eine absolute Forderung hat nur einen Sinn, sofern das Handeln der Menschen nach ihren innerweltlichen Interessen entweder einer Korrektur oder zumindest einer Rechtfertigung bedarf. Während die Beherrschten durch diesen Hinweis das Recht auf eine nur durch den Stand der Produktivkräfte begrenzte Triebbefriedigung der Allgemeinheit zu begründen suchten, war es den Herrschenden um die Motivierung der Einschränkung dieses Rechts zu tun. Ganz gewiß ist diese Einschränkung im Lauf der Geschichte nicht bloß dort mit religiösen und metaphysischen Argumenten verfochten worden, wo sie der Entwicklung hinderlich, sondern auch, wo sie für die Steigerung der gesamtmenschlichen Kräfte notwendig und fruchtbar war. Das Auftreten einer irrationalen Begründung besagt noch nichts gegen die Rationalität des Begründeten. Jedenfalls versucht der Materialismus, an die Stelle der Rechtfertigung des Handelns die Erklärung durch das geschichtliche Verständnis der Handelnden zu setzen. Er sieht in dieser Rechtfertigung immer eine Jllusion. Wenn die Mehrzahl der Menschen bis jetzt auch ein sehr starkes Bedürfnis danach hegt, wenn sie sich bei wichtigen Entscheidungen nicht bloß auf die Gefühle der Empörung, des Mitleids, der Liebe, der Solidarität berufen mag, sondern ihre Triebkräfte durch eine Kennzeichnung als "sittliche" zu einer absoluten Weltordnung in Beziehung setzt, so ist damit noch keineswegs die vernünftige Erfüllbarkeit dieses Bedürfnisses erwiesen. Das Leben der meisten Menschen ist so elend, der Entbehrungen und Demütigungen so zahlreiche, Anstrengungen und Erfolge stehen meist in einem so ungeheuerlichen Mißverhältnis, daß die Hoffnung, diese irdische Ordnung möchte nicht die einzig wirkliche sein, nur zu begreiflich ist. Indem der Idealismus diese Hoffnung nicht als das, was sie ist, erklärt, sondern sie zu rationalisieren strebt, wird er zum Mittel, den durch Natur und gesellschaftliche Verhältnisse erzwungenen Triebverzicht zu verklären. Kein Philosoph hat tiefer eingesehen, daß die Annahme einer transzendenten Ordnung nur auf die Hoffnung der Menschen zu begründen ist, als KANT. Der Schluß, "daß etwas  ist (was den letzten möglichen Zweck bestimmt), weil etwas geschehen soll (24), ist nach ihm eine unausweichliche Konsequenz. Indem er aber diese Hoffnung, die auf Glückseligkeit geht ("denn alles Hoffen geht auf Glückseligkeit" (25) nicht bloß konstatiert, sondern philosophisch unterbaut hat, näherte sich seine ursprünglich aufklärerische Vernunftanalyse beträchtlich dem von ihm bekämpften System einer dogmatischen Metaphysik.

Wenn aus dem Anspruch auf Glück, den das wirkliche Leben bis zum Tod nicht gehalten hat, zuletzt bloß die Hoffnung, aber nicht die Erfüllung hervorgeht, so konnte die Veränderung der das Unglück bedingenden Verhältnisse zum Ziel des materialistischen Denkens werden. Je nach der geschichtlichen Lage gewann dieses Ziel eine andere Gestalt. Angesichts der Entwicklung der Produktivkräfte im Altertum waren auch die materialistischen Philosophen dem Leiden gegenüber auf die Ausbildung innerer Praktiken angewiesen; Seelenruhe ist die Auskunft in einer Not, vor der die äußeren Mittel versagen. Der Materialismus des frühen Bürgertums zielte dagegen auf die Vermehrung der Naturerkenntnis und die Gewinnung neuer Kräfte zur Beherrschung von Natur und Menschen. Das Elend der Gegenwart aber ist an die gesellschaftliche Struktur geknüpft. Darum bildet die Theorie der Gesellschaft den Inhalt des heutigen Materialismus.

Die praktischen Anforderungen wirken auf Inhalt und Form der materialistischen Theorie zurück. Während die idealistische Lehre ihre verschiedenen Systeme als versuchte Antworten auf die ewig gleiche Frage, das ewig gleiche Rätsel versteht, und es liebt, von einem Gespräch der Philosophen über die Jahrtausende hinweg zu reden, weil sie ja immer dasselbe Thema haben, gehört es zur materialistischen Ansicht, daß sie wesentlich durch die jeweils zu bewältigenden Aufgaben bestimmt ist.
    "Die größte Bedeutung der Philosophie liegt darin, daß wir die vorausgeschauten Wirkungen zu unserem Vorteil nutzen und aufgrund unserer Erkenntnis nach dem Maß unserer Kräfte und Tüchtigkeit absichtlich zur Förderung des menschlichen Lebens herbeiführen können. Denn die bloße Überwindung von Schwierigkeiten oder Entdeckungen verborgener Wahrheiten sind nicht so großer Mühe, wie sie von der Philosophie aufzuwenden ist, wert; und vollends bräuchte niemand seine Weisheit anderen mitzuteilen, sofern er damit nichts weiter zu erreichen hofft ... alle Spekulation geht am Ende auf eine Handlung oder Leistung aus." (26)
Das Thema des physikalischen Materialismus im 17. Jahrhundert ließ noch die abschlußhafte Gleichung von Wirklichkeit und Körper zu. Heute führt die Erforschung des gesellschaftlichen Prozesses auf die Wechselwirkung zwischen Menschen und Natur und entfaltet seine für die kulturellen Verhältnisse bestimmende Rolle. Jene Gleichung wird damit keineswegs für ungültig erklärt, sondern ihrer Genesis und Gestalt nach als abhängig von den Aufgaben des frühen Bürgertums erkannt. Die Lehre von der fundamentalen geschichtlichen Rolle der ökonomischen Verhältnisse gilt nunmehr als Kennzeichen der materialistischen Ansicht, und mit diesem neuen Inhalt ist es auch unmöglich geworden, irgendeinem obersten Prinzip als Prinzip eine abschlußhafte Gestalt zu geben. Wenn die Menschen mit der Natur auch sich selbst und alle ihre Verhältnisse verändern, dann tritt an die Stelle der philosophischen Ontologie und Anthropologie
    "eine Zusammenfassung der allgemeinsten Resultate, die sich aus der Betrachtung der historischen Entwicklung der Menschen abstrahieren lassen." (27)
Die Möglichkeit, mit Hilfe dieser Resultate Entwicklungstendenzen, welche über die unmittelbare Gegenwart hinausweisen, zu erkennen, berechtigt nicht dazu, die Zusammenfassung einfach auf die Zukunft zu übertragen. Während alle Metaphysik die einsicht auf die Zukunft zu übertragen. Während alle Metaphysik die Einsicht in ein Wesenhaftens in dem Sinne erstrebt, daß in ihm auch der Kern der Zukunft vorweggenommen ist - was sie entdeckt, muß nie bloß der Vergangenheit, sondern immer auch zugleich der Zukunft zugrunde liegen, - abstrahiert der gegenwärtige Materialismus nicht durch die Konstruktion überwölbender Begriffe vom Unterschied der zeitlichen Dimensionen. Selbst die Möglichkeit, aus der Betrachtung der Menschen in der Vergangenheit bestimmte allgemeine Züge zu gewinnen, führt nicht zu ihrer Hypostasierung als übergeschichtliche Momente. Die Gesellschaft, von der das Sein des Menschen mit abhängt, ist ein unvergleichbares, sich fortwährend umstrukturierendes Ganzes, und die Ähnlichkeit menschlicher Züge in den bisherigen Geschichtsepochen ermöglich zwar sehr wohl Begriffsbildungen, die für das Verständnis gegenwärtiger sozialer Bewegungen entscheidend sind, gestattet aber keineswegs, sie als Grund der Gesamtgeschichte zu deuten. Das Verständnis der Gegenwart ist umso idealistischer, je mehr es sich an einer von genauer psychologischer Kenntnis bewußt absehenden Aufstellung sogenannter "Urelemente menschlichen Seins" anstatt an den ökonomischen Ursachen der materiellen Not orientiert.

Ist die materialistische Theorie eine Seite der Anstrengungen zur Verbesserung der menschlichen Verhältnisse, so steht sie damit ohne weiteres zu allen Versuchen, welche die gesellschaftlichen Probleme von untergeordneter Bedeutung erscheinen lassen, in Widerspruch. Nicht bloß der jüngst aufgetretene Spiritalismus, welcher das Individuum monadologisch hypostasiert und damit die Gestaltung der ökonomischen Grundlagen entwertet, sondern alle Bestrebungen, das Gewicht der Einsicht in die irdische Ordnung zu vermindern, indem man den Blick auf eine vorgeblich wesenhaftere lenkt, rufen die materialistische Kritik immer wieder hervor. Vor allem sieht der Materialismus in jeder Art von Philosophie, welche die unbegründbare Hoffnung zu rechtfertigen unternimmt oder ihre Unbegründbarkeit auch nur verschleiert, einen Betrug an den Menschen. Bei allem Optimismus, den er im Hinblick auf die Veränderung der Verhältnisse aufzubringen vermag, bei aller Einschätzung des Glücks, das aus der Arbeit an der Veränderung und aus der Solidarität hervorgeht, trägt er also einen pessimistischen Zug an sich. Das vergangene Unrecht ist nicht wieder gutzumachen. Die Leiden der verflossenen Geschlechter finden keinen Ausgleich. Aber während in den idealistischen Strömungen der Pessimismus sich heute auf die irdische Gegenwart und Zukunft, d. h. auf die Unmöglichkeit des künftigen Glücks der Allgemeinheit zu beziehen und als Fatalismus oder Strömung des Untergangs zu äußern pflegt, trifft die dem Materialismus innewohnende Trauer die vergangenen Geschehnisse. Allgemeine Vermutungen,
    "ob die Erdbevölkerung als Ganzes nicht unter den bisherigen Grundsätzen eine Vermehrungstendenz erreicht hat, die den durch Technik, Wissenschaft und Wirtschaftsfortschritt überhaupt möglichen Erweiterungen des Nahrungsmittelspielraums unangemessen ist" (28),
Gedanken an ein bereits überschrittenes Optimum der technischen Produktivität ansich, die pessimistischen Vorstellungen von einer Dekadenz der Menschheit, einer "Peripetie ihres Gesamtlebens und Alterns" (29), sind dem Materialismus fremd. Sie spiegeln die Verlegenheit einer die Kräfte hemmenden Gesellschaftsform als Ohnmacht der Menschheit wider.

Die Behauptung einer absoluten Ordnung und einer absoluten Forderung setzt immer den Anspruch auf ein Wissen vom Ganzen, von der Totalität, vom Unendlichen voraus. Ist unser Wissen wirklich unabgeschlossen, besteht eine unaufhebbare Spannung zwischen Begriff und Sein, so darf kein Satz die Würde vollendeter Erkenntnis in Anspruch nehmen. Wissen vom Unendlichen muß selbst unendlich sein. Eine Erkenntnis, die sich selbst für unvollendet hält, ist keine Erkenntnis des Absoluten. Deshalb hat die Metaphysik die Tendenz in sich, die ganze Welt als Vernunftprodukt zu betrachten. Denn vollendet, erkennt die Vernunft nur sich selbst. Das immanente Motiv, das den deutschen Idealismus beherrscht und schon in der Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft ausgesprochen wird, daß nämlich "in der Erkenntnis a priori den Objekten nichts beigelegt werden kann, als was das denkende Subjekt aus sich selbst herausnimmt" (30) oder mit anderen Worten, daß die Vernunft nur von sich selbst eine absolute Erkenntnis gewinnen kann, ist das Geheimnis der Metaphysik überhaupt. Auf der Empiriokritizismus ist ihr darin beizuzählen: er behauptet die Empfindungen als das wahre, selbständige, unbedingte Sein, weil das Wissen von ihnen eine unmittelbares, d. h. auf sich selbst bezogenes Wissen ist. Wenn die modernste Metaphysik auch ausdrücklich "die Festigkeit eines endgültigen Wissens vom Sein" (31) in Frage stellt, so behält sie doch das absolute Bewußtsein als bewegten Widerschein des Innersten der Existenz. Wissen und Gewußtes sind in der echten Metaphysik identisch, das Dasein, von dem sie spricht, "ist konstituiert durch Erschlossenheit, d. h. Verstehen" (32). Einzig hierdurch läßt sich die Möglichkeit der neuesten wie der alten Metaphysik begründen, wie vorsichtig jene auch immer die Identität von Subjekt und Objekt fassen mag.

Der Materialismus besitzt dagegen in der Erkenntnis von der unaufhebbaren Spannung zwischen Begriff und Gegenstand einen kritischen Selbstschutz vor dem Glauben an die Unendlichkeit des Geistes. Diese Spannung bleibt nicht überall die gleiche. Die Wissenschaft ist ein Inbegriff von Versuchen, sie auf die verschiedenste Weise zu überwinden. Von dem Augenblick an, wo sie den Anteil des Subjekts an der Bildung der Begriffe mit in Rechnung stellt, nimmt sie das Bewußtsein ihrer Dialektik in sich auf. Ein dialektischer Prozeß ist dadurch gekennzeichnet, daß er sich nicht als Wirkung aus einzelnen gleichbleibenden Faktoren begreifen läßt; seine Momente verändern sich vielmehr fortwährend gegenseitig in ihm selbst, so daß sie nicht einmal radikal voneinander zu unterscheiden sind. So ist die Entwicklung des menschlichen Charakters zwar sowohl durch die ökonomische Situation wie auch durch die individuellen Kräfte des bestimmten Individuums bedingt. Beide Momente bestimmen sich aber fortwährend selbst, so daß in der Gesamtentwicklung keines von ihnen als wirkender Faktor darzustellen ist, ohne das andere mit in diese Darstellung hineinzunehmen. Ähnliches gilt für die Wissenschaft als realen Prozeß. Ihre Begriffe sind gewiß durch die Objekte bedingt, gleichzeitig aber auch durch die subjektiven Faktoren der Forschung, wie durch die Methoden und die Richtung des theoretischen Interesses. Trotz der Notwendigkeit für die Wissenschaft, den subjektiven Anteil fortwährend zu bestimmen und dadurch die Differenz zu überwinden, läßt sich nie das Subjekt vom Objekt vollkommen reinlich scheiden oder, was dasselbe heißt, Wissen und Gegenstand radikal zur Deckung bringen, es sei denn in der begrifflosen Empfindung, wo sie unmittelbar identisch sind. Die theoretische Aktivität der Menschen, ebenso wie die praktische, ist nicht die unabhängige Erkenntnis eines festen Gegenstands, sondern ein Produkt der sich verändernden Realität. Sogar in einer frei sich selbst bestimmenden Gesellschaft müßte die wenn auch noch so allmählich sich verändernde Natur einen der Identität widerstrebenden Faktor bilden. Die Physik ist ein Abstraktionsprodukt handelnder Menschen, sie läßt sich auf eine künftige Erfahrung immer nur als vielfach bedingte Hypothese, nie als Spiegelung eines angeblichen Wesens der Naturgeschichte beziehen.

Im kantischen Begriff einer unendlichen Aufgabe ist etwas von dieser Erkenntnis enthalten, aber er unterscheidet sich von der dialektischen Auffassung unter anderem dadurch, daß als Erfüllung der Aufgabe ein rein intellektueller und geradliniger Progressus erscheint, der zwar nie die Entfernung vom Ziel überwindet, aber dafür das Ziel, nämlich die Totalität, "soweit wir sie erstreben und postulieren dürfen" (33), in Wahrheit schon voraussetzt. Die Subjekt-Objekt-Relation ist aber im Gegensatz zu dieser Lehre nicht durch das Bild zweier konstanter, begrifflich völlig durchleuchteter und sich einander nähernder Größen zu beschreiben, vielmehr stecken in den von uns als objektiv bezeichneten subjektive und in den sogenannten subjektiven auch objektive Faktoren, und zwar so, daß wir zum historischen Verständnis einer bestimmten Theorie das Ineinanderspielen beider, als menschlicher und außermenschlicher, individueller und klassenmäßiger, methodologischer und gegenständlicher Momente darzustellen haben, ohne jedes dieser Momente von den anderen in seiner Wirksamkeit restlos isolieren zu können. Für das Zusammenspiel der bei den einzelnen Theorien zu berücksichtigenden Kräfte gibt es keine allgemeine Formel, sie ist in jedem Fall selbst zu erforschen. Wenn man auch die Naturforschung, die sich im Lauf der bürgerlichen Gesellschaft in einer theoretischen Vereinheitlichung und Technik bestätigt, ganz mit Recht als Annäherung der Wissenschaft an die Realität beschreiben mag, so wird andererseits das Bewußtsein, daß sowohl diese Beschreibung wie die in ihr verwendeten Kategorien mit der Arbeit und Interessenrichtung der gegenwärtigen Menschen zusammenhängen, zwar der Wahrheit jener Feststellung keinen Abbruch tun, aber verhindern, daß etwa die Begriffe  Annäherung  und  Realität  zu einem die Gesamtgeschichte überwölbenden Schema gebraucht und zum Gedanken eines unendlichen Progressus oder Regressus verewigt werden. Bei KANT selbst ist dieser Gedanke vorwiegend noch kritisch gefaßt und bedeutet zunächst nichts anderes als den Mangel einer bestimmten Grenze für die Erforschung ineinandergreifender Bedingungen. Seine Idee eines intuitiven Verstandes führt jedoch, obgleich dieser "ein Problem ist" (34) , notwendig zu jener Vorstellung eines geradlinigen Erkenntnisprozesses, denn wenn es auch nur denkbar ist, daß einem solchen "intellectus archetypus" ein "uns unerkennbarer, übersinnlicher Realgrund für die Natur" gegeben wäre und er "das Naturganze als System" (35), so, daß keine Korrektur mehr möglich wäre, also unmittelbar, vor sich hätte, dann kann freilich die ordnende Wissenschaft auf ihrem Weg stehen bleiben, ja auch einmal einige Schritte nach rückwärts tun, aber das, was sie zu erkennen strebt, ist durch die menschlichen Begebenheiten, zu denen sie selbst mit hinzugehört, nicht veränderlich, es ist der Zeit nicht unterworfen. Nach KANT ist ja die für uns Menschen bestehende Notwendigkeit, daß wir zeitlich, d. h. nacheinander wahrnehmen, nicht in den Dingen ansich begründet, sondern gleichsam eine Gebrechlichkeit des endlichen Subjekts.
    "Die Zeit ist ... lediglich eine subjektive Bedingung unserer menschlichen Anschauungen ..., und ansich, außerhalb des Subjekts, nichts." (36)
Sogar ich selbst bin nach KANT in Wahrheit nicht in der Zeit, denn wenn
    "ich selbst oder ein anderes Wesen mich ohne diese Bedingung der Sinnlichkeit anschauen könnte, so würden eben dieselben Bestimmungen, die wir uns jetzt als Veränderungen vorstellen, eine Erkenntnis geben, in welcher die Vorstellung der Zeit, mithin auch der Veränderung, gar nicht vorkäme ... Die Zeit ist darum nicht etwas ansich, auch keine den Dingen objektiv anhängende Bestimmung." (37)
Diese Lehren KANTs stehen dem dialektischen Begriff der Erkenntnis als eines nur im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Dynamik zu bestimmenden unselbständigen Prozesses entgegen. Natürlich müssen Begriffe wie  Theorie  und  Erkenntnis  jeweils eine klare Bedeutung haben, nur aufgrund von wenn auch groben Aufweisen oder Definitionen lassen sie sich verstehen und anwenden. Aber der dialektische Materialismus begreift solche Bedeutungen als im Zusammenhang der gegenwärtigen Situation gebildete Abstraktionen aus dem Material der Vergangenheit und nicht als feste, unveränderliche, der Zukunft zugrundeliegende Elemente. Die wissenschaftlichen Gedanken der Menschen, ebenso wie die von der Wissenschaft erkannte und zu erkennende Natur werden zwar auch künftig als Momente der historischen Dynamik eine Rolle spielen. Aber da sie ebensosehr vom Gesamtprozeß her bestimmt und verändert werden, wie sie ihn als Produktivkräfte bestimmen und verändern, so kann die Anwendung der im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Situation gebildeten Definitionen, d. h. die gegenwärtige Bedeutung dieser Begriffe, einmal sinnlos werden, und das Bild eines ausschließlich durch die einfachen Größen Erkenntnis und Gegenstand konstruierten unendlichen Prozesses erscheint daher als Verabsolutierung abstrakter Bedeutungen. Die Verabsolutierung zeigt sich als die andere Seite der übertriebenen Relativierung der Wissenschaft durch manche kantianische und viele andere idealistische Strömungen. Die Verlegung der Zeitlichkeit in das erkennende Subjekt oder in den Grund der Existenz raubt der Wissenschaft die Möglichkeit, die Subjekte selbst als in die Geschichte einbezogen zu erkennen, oder sie setzt die historische Erkenntnis als "bloß" empirische und die Sachen selbst gar nicht betreffende herab. Um ihr überhaupt die Wüde der Wahrheit zu verleihen, hat KANT diese bloß auf "Erscheinungen" beschränkte Wissenschaft dann durch den Gedanken der unendlichen Aufgabe auf die Totalität oder auf das "Ansich" der Dinge bezogen.

Wenn sich aber, wie es notwendig ist, die kritische Analyse nicht bloß auf die wissenschaftliche, sondern auch auf die philosophische Arbeit richtet, dann verfällt ihr zwar die dogmatische Unterscheidung von Erscheinung und Ding-ansich, ebenso wie die ihr entsprechende von wissenschaftlichen und philosophischen Begriffen, aber die Erkenntnis tritt dafür selbst als geschichtliches Phänomen hervor. Im Gegensatz zu manchen weltanschaulichen Folgerungen des Kritizismus führt daher die konsequente Anwendung der kantischen Kritik zur Ausbildung der dialektischen Methode. HEGEL hat sie entfaltet, aber zugleich als in seinem eigenen System zum Abschluß gekommen betrachtet. Deshalb wird sie bei ihm nicht auf das Wissen der Gegenwart, sondern nur auf die vergangenen Theorien wirklich angewandt. HEGEL ist darin Idealist, daß er sein System absolut setzt, doch er hat das gedankliche Werkzeug geschaffen, um diese Verkehrtheit zu überwinden. Die richtige Anwendung der Methode bedeutet nicht einfach, daß nun das HEGELsche System oder überhaupt die in der Gegenwart herrschenden Anschauungen, genau so zu behandeln wären, wie HEGEL die vergangenen behandelt hat, vielmehr verlieren sie alle den Stufencharakter zum Absoluten hin, den bei HEGEL auch die früheren Lehren wegen seines Glaubens, daß die Dialektik bei ihm ihren Abschluß gefundent hat, noch an sich tragen. Indem FEUERBACH, MARX und ENGELS die Dialektik aus ihrer idealistischen Gestalt lösten, gewann der Materialismus das Bewußtsein der sich fortwährend verändernden und doch nicht aufhebbaren Spannung seines eigenen Denkens zur Realität und damit den ihm eigenen Begriff der Erkenntnis. Selbstverständlich leugnet er also nicht das Denken. Auch den Materialisten des 17. und 18. Jahrhunderts lag dies fern. Aber er faßte es im Gegensatz zum Idealismus immer als das Denken bestimmter Menschen in einer bestimmten Zeit. Er bestreitet seine Autonomie.

Wenn der Materialismus die soeben bezeichnete abstrakte Vorstellung der Dialektik entwickelt, ja wenn er sich überhaupt auf sein Verhältnis zu diesen allgemeinen Fragen besinnt, entspringt dies weniger einer ihm selbst innewohnenden Dynamik als dem Bedürfnis der Kritik, welche die Metaphysik durch ihre gesellschaftliche Funktion hervorruft. Es geht ihm nicht um Weltanschauung, auch nicht um die Seele der Menschen, sondern um die Änderung der bestimmten Verhältnisse, unter denen die Menschen leiden und ihre Seele freilich verkümmern muß. Dieses Interesse selbst läßt sich zwar historisch und psychologisch begreifen, aber nicht allgemein begründen. Es gibt weittragende Formulierungen, die für den Materialismus äußerst wichtig sind. Jene abstrakten Formulierungen dagegen, zu welchem ihm die idealistische Themastellung den kritischen Anlaß gibt, haben bloß mittelbare Bedeutung. Die Metaphysik erklärt das Allerallgemeinste, z. B. die Elemente, welche allen Menschen aller Zeiten, aller Orte, aller Gesellschaftschichten, ja womöglich allem Dasein eigen sind, zum "Konkreten". Sie überbietet sich im Hervorbringen immer neuer Lehren, immer neuer Entwürfe, um dieses Letzte, Ursprüngliche, Konkrete zu entdecken und auf es hinzuweisen. Der Materialismus ist in solchen Entwürfen verhältnismäßig unproduktiv, weil er sich wenig von ihnen für seine Aufgaben verspricht. Während der Idealismus wegen der selbständigen Bedeutung, die das Geistige für ihn besitzt, sich damit beschäftigt, "die eigenen Voraussetzungen ständig von Neuem in Frage zu stellen", ist die Prüfung der eigenen Voraussetzungen im Materialismus durch wirkliche Schwierigkeiten, in welche die von ihnen abhängige Theorie gerät, motiviert. Er ist in diesen Fragen viel weniger "radikal" als die idealistische Philosophie.

Dies kommt auch im Gegensatz gegen sie selbst zum Ausdruck. Nicht die Systeme als Ganze werden von ihm angegriffen, sondern die Behauptung eines ursprünglichen Sinnes des Geschehens. Diese liegt nicht bloß bei ausgeführten Sinndeutungen, sondern schon überall dort vor, wo von einer ursprünglichen und maßgeblichen Struktur der Welt oder des Menschen die Rede ist, gleichgültig ob diese Struktur als "Gegenstand" oder als Geflecht von aller Gegenständlichkeit vorhergehenden Akten gelten soll. Eine so gerartete Anthropologie muß notwendig davon absehen, daß die Richtung der Abstraktion oder des entdeckenden Verfahrens, mittels welcher die Kenntnis der grundlegenden Strukturen jeweils gewonnen wird, selbst einer bestimmten geschichtlichen Situation angehört, d. h. das Produkt eines dialektischen, niemals in sauber voneinander getrennte subjektive und objektive Elemente zu zerfällenden Prozesses ist; sonst könnte sich ihr Ergebnis nicht als unmittelbare Einsicht in den Grund der Existenz anstatt als seine dieses Spannungscharakters bewußte Theorie verstehen. Die an diese Hypostasierung von Erkenntnissen notwendig gebundene Behauptung eines erfüllten oder zu erfüllenden Sinnes oder Seins und die von ihr abhängigen Züge der Systeme stehen zum Materialismus in einem Gegensatz. Viele sogenannte materialistische Lehren tragen solche Züge an sich, besonders jene, welche mit der Behauptung der Ursprünglichkeit der Materie eine Verehrung der Natur oder des Natürlichen verbinden, gleichsam als ob das Ursprüngliche oder Selbständige ansich besonderen Respekt verdiente. (38)

Andererseits enthalten viele idealistische Systeme wertvolle materiale Erkenntnisse, welche trotz der weltanschaulichen Absichten ihrer Urheber wichtige Elemente des wissenschaftlichen Fortschritts darstellen. Die Dialektik selbst ist idealistischer Herkunft. Manche Entwürfe der modernen Metaphysik haben als Modelle zur Beurteilung der gegenwärtigen Menschen, als "Hypothesen", wie DILTHEY selbst die Systeme der Vergangenheit bezeichnet (39), höchste Bedeutung. Der idealistische Zug eines Werkes kommt häufig in scheinbaren Kleinigkeiten zum Ausdruck: etwa in der Anwendung eines der Idee autonomer Erkenntnis zugeordneten Pathos, in der Wichtigkeit, mit welcher längst vergangene Philosophen und ihre Probleme, der Unwichtigkeit, mit welcher die reale Not der Gegenwart und ihre Ursachen behandelt werden. Die Bedeutung, welche die Hervorhebung dieser feinen Unterschiede des Denkens, ja überhaupt die Unterscheidung zwischen Materialismus und Idealismus hat, ist nicht systematisch zu begründen, sondern ergibt sich erst im Zusammenhang mit der Rolle dieser Strömungen in der Gegenwart. Nicht daß der Idealismus fälschlich den Geist unendlich setzt, sondern daß er damit auch die Veränderung der materiellen Existenzbedingungen der Menschen zu etwas Sekundärem stempelt, läßt diese intellektuellen Differenzen so stark hervortreten.

Der Materialismus fordert die Vereinigung von Philosophie und Wissenschaft. Er anerkennt zwar arbeitstechnische Unterschiede zwischen allgemeineren philosophischen und einzelwissenschaftlichen Aufgaben, ebenso wie Unterschiede zwischen den Methoden der Forschung und der Darstellung, aber nicht zwischen denen der Wissenschaft überhaupt und der Philosophie als solcher. Dies bedeutet keineswegs, daß die einzelnen gegenwärtigen Wissenschaften oder gar ihr eigenes Bewußtsein von sich selbst, ihre Wissenschaftstheorie als der heute höchste Grad an Einsicht hinzunehmen wären. Infolge der bestehenden Verhältnisse ist vielmehr der herrschende Wissenschaftsbetrieb von wichtigen Einsichten abgeschnitten und bewahrt eine veraltete Form. Die Beurteilung, wie weit die Gesamtstruktur und Beschaffenheit der einzelnen Wissenschaften der realisierbaren Erkenntnis entsprechen, ist selbst ein kompliziertes theoretisches Problem. Es kann nicht ein für allemal entschieden werden. Weil im 17. und 18. Jahrhundert die gesamte Wissenschaft auf der mechanischen Naturlehre beruhte, ja sich fast in ihr erschöpfte, ließ der damalige Materialismus als einziges Wissen von der Wirklichkeit die mathematisch-mechanische Naturwissenschaft gelten. Seine Erkenntnis- und Methodenlehre entsprach dieser Überzeugung. Schon der physikalische Materialismus der VOGT und HAECKEL im 19. Jahrhundert hat jedoch das Bestreben, Philosophie und positive Wissenschaft zu vereinigen, praktisch aufgegeben, indem zu ihrer Zeit die mechanische Naturlehre keineswegs mehr mit dem Inhalt der Wissenschaft zusammenfiel, sondern gegenüber den Gesellschaftswissenschaften stark an aktueller Bedeutung verloren hatte. Sie wurden nun auch für die Methodologie entscheidend. Der haeckelsche rein naturwissenschaftliche Monismus ist daher ein Pseudo-Materialismus, was sich auch in seiner weltanschaulichen, von der geschichtlichen Praxis ablenkenden Funktion kundgibt. Wenn aber MAX SCHELER den Materialismus im Jahr 1926 noch "zu der Reihe der Auffassungen, die den Erkenntniswert der mechanischen Naturlehre überschätzen", rechnet, und behauptet, daß er die "siebenfache Relativität der formal-mechanischen Natur- und Seelenbetrachtung übersah und den Mechanismus darum zu einem  Ding-ansich  machte" (40), so hat er offenbar den Sinn der materialistischen Forderung der Vereinigung von Wissenschaft und Philosophie vollständig mißverstanden. Dieser ist das genaue Gegenteil der Verabsolutierung bestimmter Wissensinhalte und fordert vielmehr, daß jede Erkenntnis zwar keineswegs als bloß willkürliches Zeugnis, aber doch als Vorstellung bestimmter Menschen in einem bestimmten geschichtlichen Augenblick genommen wird, eine Vorstellung, die freilich vom Produkt zur Produktivkraft werden kann. Keineswegs ist der Materialismus auf eine bestimmte Auffassung von  Materie  festgelegt, vielmehr entscheidet darüber keine andere Instanz als die fortschreitende Naturwissenschaft selbst. Ihre Ergebnisse sind nicht bloß im Hinblick auf die ihrem zukünftigen Gang immanenten Korrekturen relativ, sondern auch insofern, als die Physik zwar die allgemeinsten Formeln für die Erfahrung einer bestimmten Gesellschaft über das raum-zeitliche Geschehen gewinnt, aber stets den nie restols zu entziffernden Stempel ihrer subjektiven Herkunft an sich trägt.

Durch diesen Begriff der Wissenschaft unterscheidet sich der Materialismus vom Positivismus und Empiriokritizismus des 19. Jahrhunderts. Der Umstand, daß der Positivismus seit seinem Entstehen in der Aufklärung bei TURGOT und d'ALEMBERT (41) "le dogme général de l'invariabilité des lois naturelles" [das allgemeine Dogma der Unveränderlichkeit der Naturgesetze - wp] (42) enthielt und zwar die Abhängigkeit des Handelns von der jeweiligen Kenntnis der natürlichen Ordnung, aber nicht die Abhängigkeit sowohl der Ordnung wie ihrer Kenntnis von der Aktivität der Menschen ins Bewußtsein hob, mußte ihn notwendig dazu führen, die Wissenschaft selbst bei allem Glauben an ihren Fortschritt unhistorisch zu fassen. Dieser Mangel bliebe bestehen, selbst wenn der besonders im Empiriokritizismus ausgebildete, aber für den gesamten Positivismus maßgebliche Glaube an die Zusammensetzbarkeit der Welt aus Elementen, als deren "vorläufig" (43) letzte die Empfindungen gelten, etwa durch eine modernere Auffassung abgelöst werden sollte. ERNST MACHs Ansicht unterscheidet sich trotz seiner weitgehend pragmatischen Auffassung der Wissenschaft im Hinblick auf die Ungeschichtlichkeit der Erkenntnis nur wenig von der kantischen. Auch nach ihm ist "der ganze Zeitverlauf nur an Bedingungen unserer Sinnlichkeit gebunden (44). Daraus folgt zwar nicht, wie manche materialistische Autoren meinen, daß es vor den Menschen keine Natur gegeben hat, d. h. der Widerspruch gegen die Naturgeschichte. In diesem subjektiv entworfenen Zeitschema muß die Gattung  Mensch  keineswegs die ersten Stellen besetzen, sondern sie kann sehr wohl hinter einer unbegrenzt langen Vorgeschichte eingeordnet werden. Doch verhindert dann die Behauptung der Subjektivität der Zeit die Gleichsetzung des erkennenden Subjekts mit den endlichen Menschen. Auch der Empiriokritizismus deckt sich insofern mit der idealistischen Metaphysik als er ein von der Zeit unabhängiges Subjekt voraussetzt. Deshalb trifft die materialistische Kritik mit ihrem Hinweis eine entscheidende Schwäche dieser Lehre.

Aber es besteht noch ein weiterer Unterschied zwischen allen materialistischen und positivistischen Richtungen. Dieser tritt zwar gerade in den Arbeiten MACHs nicht sehr deutlich hervor, weil er persönlich, ohne daß freilich sein subjektivistischer Standpunkt die Notwendigkeit dazu enthielte, von der neuen Bescheidenheit der Wissenschaftler vor der Spekulation frei gewesen ist (45). Der Positivismus ist nämlich stolz darauf, daß er sich nicht um das "Wesen" der Dinge, sondern nur um die Erscheinungen, also darum, was uns tatsächlich von ihnen gegeben ist, bekümmert.
    "alle guten Köpfe erkennen jetzt, daß unsere wirklichen Studien streng auf die Analyse der Phänomene bezogen sind, um ihre eigentlichen Gesetze, d. h. ihre ständige Beziehungsnachfolge oder Ähnlichkeit, zu entdecken, aber in keinster Weise ihre innere Natur, weder deren Ursache noch ihre erste oder endgültige und auch nicht ihre wesentliche Produktionsweise." (46)
Auch JOHN STUART MILL definiert in seiner Logik die Körper "als die  verborgene  äußereliche Ursache, auf welche wir unsere Empfindungen beziehen". Nach seiner Ansicht kennen wir von der Natur des Körpers und des Geistes
    "zufolge der besten jetzt existierenden Lehre nichts, als die Gefühle, welche der erstere erregt und die der letztere erfährt". "Ein Körper ist das geheimnisvolle Etwas, das den Geist zu fühlen anregt, der Geist ist das mysteriöse Etwas, das fühlt und denkt." (47)
Durch diese Lehre von der notwendigen Beschränkung der Wissenschaft auf Erscheinungen oder vielmehr durch eine Herabsetzung der erkannten Welt zu einem "nur" Äußeren schließt der Positivismus grundsätzlich seinen Frieden mit jeder Art von Aberglauben. Er bringt die sich in der Lebenspraxis bewährende Theorie um ihren Ernst. Übersteigert die nichtpositivistische Metaphysik die Idee ihrer eigenen Erkenntnis, indem sie sinngemäß ihre Autonomie behaupten muß, so setzt der Positivismus die nach seiner Ansicht allein mögliche Erkenntnis zu einer Sammlung äußerlicher Daten herab. Den Widerspruch zwischen der metaphysischen Kennzeichnung der erkannten Wirklichkeit als Erscheinung und Äußeres einerseits und andererseits seiner angeblichen Vorsicht, in welcher jene undialektische Trennung freilich schon enthalten ist, pflegt er außerdem zu übersehen.
    "Das Wahre nicht zu wissen und nur das Erscheinen des Zeitlichen und Zufälligen - nur das  Eitle  zu erkennen, diese  Eitelkeit  ist es, welche sich in der Philosophie breitgemacht hat und in unseren Zeiten noch breit macht und das große Wort führt." (48)
Was HEGEL gegen die Aufklärung einwendet, richtet sich heute vor allem gegen die freilich in der Aufklärung entstandene positivistische Philosophie. Er selbst hat keineswegs, wie es in dieser Formulierung scheinen könnte, Wahrheit und Wissen vom Zeitlichen voneinander getrennt, sondern im Gegenteil - darin liegt seine größte Tiefe - das Wissen vom Zeitlichen als Zeitlichem zum eigentlichen Inhalt der Philosophie gemacht. Sein Idealismus besteht freilich in dem Glauben,
    "daß eben diese Bezeichnung von Etwas als einem Endlichen oder Beschränkten den Beweis von der  wirklichen Gegenwart  des Unendlichen, Unbeschränkten enthält, daß das Wissen von einer Grenze nur sein kann, insofern das Unbegrenzte  diesseits  im Bewußtsein ist." (49)
Doch HEGEL ist der echten Aufklärung trotz seiner Gegnerschaft gegen sie dadurch verwandter als der Positivismus, daß er kein der menschlichen Erkenntnis grundsätzlich unzugängliches Gebiet für die bloße Ahnung freigibt. Der Positivismus dagegen ist sich seiner Duldsamkeit in dieser Hinsicht wohl bewußt, ja er hat die Bedeutung seines Namens ausdrücklich auch als Gegensatz gegen das "Negative", d. h. gegen die Verneinung solcher Ahnungen verstanden wissen wollen. Die gesunde Philosophie, sagt COMTE, beseitigte zwar die notwendig unlösbaren Fragen, aber sie ist dabei unparteiischer und duldsamer als ihre Gegner, sie untersucht die Bedingungen der Dauer und des Niedergangs vergangener Glaubenssysteme,
    "ohne jemals eine absolute Negation auszusprechen. . . kennzeichnet es nicht nur das gründliche Urteil der verschiedenen Systeme des Monotheismus, die heutzutage in Umlauf sind, sondern auch die polytheistischen und sogar den Fetischglauben, daß immer auf die entsprechenden Phasen der jeweiligen Evolution bezogen wird." (50)
Das historische Verständnis jener Vorstellungen bedeutet hier zugleich die Anerkennung des dem Wissen prinzipiell unzugänglichen, in die historische Dialektik nicht einbezogenen Gebietes, auf das sie sich beziehen.

Auch der Materialismus sucht alle geistigen Gestaltungen historisch zu begreifen. Aber aus seiner Einsicht, daß es kein unendliches Wissen geben kann, folgt für ihn nicht die Unparteilichkeit gegenüber dem jeweiligen Anspruch des endlichen, es doch zu sein. Mit der Erkenntnis der Beschränktheit des Denkens sind keine Gebiete gesetzt, auf die es nicht anzuwenden wäre; diese positivistische Meinung ist vielmehr selbst ein Widerspruch. Daß wir nicht alles wissen, heißt ganz und gar nicht, daß das, was wir wissen, das Unwesentliche, und das, was wir nicht wissen, das Wesentliche ist. Diese Fehlurteile, durch die der Positivismus bewußt seinen Frieden mit dem Aberglauben und seinen Unfrieden mit dem Materialismus gemacht hat, lassen BERGSONs Erniedrigung des theoretischen Denkens und die Entstehung der modernen intuitionistischen Metaphysik als Folge der positivistischen Philosophie erscheinen. Der Positivismus ist in Wirklichkeit der Intuitionsmetaphysik viel verwandter als dem Materialismus, mit dem ihn diese fälschlicherweise zusammenzubringen pflegt. Wenn auch seit der Jahrhunderwende der Positivismus gegenüber der herrschenden Metaphysik als nicht "konkret", in Wahrheit nicht spiritualistisch genug erscheint, handelt es sich doch bei beiden um zwei verschiedene Phasen einer die natürliche Erkenntnis entwertenden, abstrakte begriffliche Strukturen hypostasierenden Philosophie. Begründet doch BERGSON, wie die Lebensphilosophie überhaupt, seine Metaphysik der  durée [Dauer - wp] auf die Behauptung einer unmittelbaren, durch Introspektion festzustellenden Begebenheit, nur daß diese Gegebenheit bei BERGSON nicht aus voneinander abgehohenen Elementen, sondern im lebendigen, durch Intuition zu erfassenden Fluß des Lebens bestehen soll. Die Metaphysik der Elemente, die Interpretation der Wirklichkeit als Inbegriff ursprünglich isolierter Gegebenheiten, das Dogma von der Unwandelbarkeit der Naturgesetze, der Glaube an die Möglichkeit eines abschließenden Systems sind die speziellen metaphysischen Thesen des Positivismus, die subjektivistische Behauptung der unmittelbaren, ursprünglichen, theoriefreien Gegebenheiten als wahrer Wirklichkeit hat er mit dem Intuitionismus ebenso gemeinsam wie das Beiwort "nur", durch das beide die auf rationelle Voraussicht gerichtete, von ihnen freilich mechanistisch mißverstandene Theorie beschränken möchten. Im Kampf gegen den Materialismus sind sie daher miteinander ganz einig. Ja, wenn die Wehrlosigkeit dieser Philosophie vor allen supranaturalistischen Strömungen besonders kraß in ihrer Ohnmacht vor Spiritismus und Okkultismus, diesen kruden Formen des Aberglaubens, zum Ausdruck kommt, so hat BERGSON darin noch einen Vorzug vor COMTE. Die inhaltliche Metaphysik besetzt ja mit ihren eigenen Spekulationen die transzendenten Gebiete, so daß sie, wie COMTE ihr vorwirft, gegen die herrschenden Lehren vom Jenseits "n'a jamais pu 1etre que critique" [sie konnten niemals kritisch sein - wp] (51). BERGSON muß daher erst ausdrücklich versichern, die Transexistenz des Bewußtseins sei "so wahrscheinlich, daß die Beweislast bei dem liegt, der leugnet und nicht bei dem der behauptet" und die echte Philosophie führe uns "Stück für Stück zu einem Zustand, der praktisch eine Gewißheit darstellt" (52). COMTE dagegen ist kraft seiner Gleichsetzung der Wirklichkeit mit subjektiven Gegebenheiten, mit bloßen Erscheinungen von vornherein gegenüber allen behaupteten Erlebnissen und Erfahrungen des Übersinnlichen grundsätzlich machtlos. In der Gegenwart ist die mehr positivistische und die mehr intuitionistische Spielart dieser durch die Konsequenz des Okkultismus gekennzeichneten Philosophie kaum noch zu unterscheiden. Nach HANS DRIESCH ist es klar, daß seine Lehre "allem  Okkulten  nicht nur nicht widerspricht, sondern ihm geradezu den Weg bereitet". (53) BERGSON scheut sich nicht, in seinem neuesten Buch zu versichern, "daß, wenn die Wirklichkeit der  telepathischen Manifestationen,  die in tausenden von übereinstimmenden Erklärungen gesammelt wurden, in Frage gestellt werden soll, es wohl das menschliche Zeugnis im allgemeinen ist, das in den Augen der Wissenschaft nicht existieren kann" und er hält es gar nicht für unmöglich, "daß ein Schimmer dieser unbekannten Welt für die Augen unseres Körpers sichtbar wird". (54) Ja er erwägt ernsthaft, daß von solchen Nachrichten aus der anderen Welt eine völlige Umwandlung der Menschheit ausgehen könnte. Die Vernachlässigung des theoretischen Faktors zugunsten der bloßen unmittelbaren Gegebenheit bringt die Wissenschaft völlig um ihre aufklärende Wirkung.
    "Wo die Empfindung in ihrer angeblichen Selbständigkeit als Kriterium der Wirklichkeit gilt, da kann die Unterscheidung zwischen Natur und Spuk ins Schwanken kommen." (55)
Die Nachfolger COMTEs, besonders die Empiriokritizisten und die logistische Schule, haben ihre Terminologie so verfeinert, daß der Unterschied zwischen den bloßen Erscheinungen, mit denen sich die Wissenschaft zu beschäftigen hat, und dem Wesentlichen nicht mehr in ihr vorkommt. Aber die Entwertung der Theorie macht sich auf die verschiedenste Weise geltend, so z. B. wenn WITTGENSTEIN in seinem übrigens hervorragenden  Tractatus Logico-Philosophicus (56) erklärt:
    "Wir fühlen, daß selbst wenn alle  möglichen  wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort. ... Es gibt Unaussprechliches. Dies  zeigt  sich, es ist das Mystische."
Auch der Materialismus glaubt, wie oben dargelegt, keineswegs, daß die Lebensprobleme rein theoretisch lösbar sind, aber es ist nach ihm auch undenkbar, daß auf andere Weise der "Sinn des Lebens nach langen Zweifeln klar" (57) werden könnte. Es gibt weder "das Mystische", noch den "Sinn des Lebens".

Der Materialismus hat mit der positivistischen Lehre gemein, daß er als wirklich nur anerkennt, was sich in sinnlicher Erfahrung ausweist. Seit seinem Entstehen enthält er den Sensualismus in sich. "Was wir im Geist schauen, nimmt alles seinen Ausgang von den sinnlichen Wahrnehmungen ...", sagt EPIKUR (58).
    "Wenn du alle sinnlichen Wahrnehmungen verwirfst, so wirst du auch nichts mehr haben, worauf du dich bei deinem Urteil über diejenigen beziehen könntes, von denen du behauptest, daß sie falsch sind." (59)
Diese erkenntnistheoretische Lehre hat der Materialismus während seiner Geschichte beibehalten. Sie dient ihm als kritische Waffe gegen dogmatische Begriffe. Jede Behauptung bedarf der Bewährung in sinnlicher Erfahrung. Aber der Materialismus verabsolutiert den Sensualismus nicht. Die Forderung des Ausweises jeder Existenz durch die Sinnlichkeit bedeutet nicht, daß diese selbst sich im historischen Prozeß nicht verändert oder gar ihre Elemente als die festen Bausteine der Welt zu betrachten sind. Wenn der Aufweis durch sinnliche Erfahrungen jeweils notwendig mit zur Begründung von Existenzialurteilen gehört, so sind die sinnlichen Erfahrungen noch lange nicht identisch mit den konstanten Elementen der Welt. Abgesehen davon, daß die Theorie stets mehr ist als bloße Sinnlichkeit und sich nicht restlos auf Empfindungen zurückführen läßt, aj, daß nach der neuesten Entwicklung der Psychologie die Empfindungen weit entfernt davon, die elementaren Bestandteile der Welt oder auch nur des psychischen Lebens zu sein, vielmehr selbst erst durch einen komplizierten Abstraktionsprozeß jeweils aus der Destruktion gestalteter psychischer Gebilde als Derivate zu gewinnen sind (60), darf die Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit keineswegs verewigt werden. Sie ebenso wie die Beziehung des "Subjekts" zu den "Gegebenheiten" ist bedingt und veränderlich. Schon innerhalb der Gegenwart gibt es den Widerstreit zwischen den Konstatierungen der einzelnen Subjekte, und dieser ist keineswegs bloß durch Majorität, sondern mit Hilfe der Theorie zu schlichten. Sinnliche Erlebnisse bilden die Grundlage der Erkenntnis, überall sind wir auf sie angewiesen, aber die Entstehung und die Bedingungen der Erkenntnis sind nicht zugleich die Entstehung und die Bedingungen der Welt.

Wenn die positivistischen mit fast allen anderen philosophischen Strömungen gegen den Materialismus zusammenstimmen, so hängt dies freilich nicht bloß mit den soeben besprochenen Unterschieden, sondern auch mit der materialistischen Lehre von der Lust zusammen. Daß die Handlungen dem Materialismus nach nicht notwendig aus einer letzten absoluten These folgen, wurde zu zeigen versucht. Der Materialist wird zwar zur Begründung seiner Entscheidungen jeweils auf mehr oder weniger allgemeine Sachverhalte verweisen, aber er sieht nicht davon ab, daß auch unter der Voraussetzung der von ihm angeführten Bestimmungsgründe nur bei ähnlichen psychischen Situationen ähnliche Entscheidungen zu erwarten sind. Diese Situationen haben selbst ihre gesellschaftlichen und individuellen Bedingungen, sie sind geschichtlich geworden, und daher läßt sich aus der Gültigkeit einer bestimmten Erkenntnis ohne Berücksichtigung der tatsächlichen psychischen Verfasssung keineswegs ein bestimmtes Handeln als notwendig herleiten. Diese materialistische Ansicht hat nicht bloß die negative Bedeutung der Ablehnung einer metaphysisch zu begründenden Moral, sondern ist von den Materialisten stets so verstanden worden, daß das Streben der Menschen nach ihrem Glück als eine natürliche, keiner Rechtfertigung bedürftige Tatsache anzuerkennen ist. Inwiefern nur eine naive, ökonomistische Psychologie dieses Streben nach Glück bloß im Sinn einer Befriedigung grobmaterieller Bedürfnisse verstehen kann, ist in dieser Zeitschrift durch die Arbeiten von ERICH FROMM eingehend dargelegt worden. Die Struktur der Bedürfnisse in den verschiedenen Gesellschaftsformen, bei den einzelnen sozialen Gruppen wie bei den Individuen, ist veränderlich und nur im Hinblick auf eine bestimmte Zeit und eine konkrete Situation darzustellen. Die bekannten und unbekannten Kämpfer mit materialistischer Gesinnung, welche seit Jahrtausenden um der verschiedensten Ziele willen, zumeist aber aus Solidarität mit den leidenden Menschen, Freiheit und Leben verloren haben, beweisen, daß die Sorge um das eigene leibliche Wohl mit dieser Denkrichtung nicht enger verknüpft ist als mit jeder anderen. Durch die Ablehnung der Jllusionen einer idealistischen Metaphysik waren sie jeder Aussicht auf einen individuellen Lohn in der Ewigkeit, also eines wichtigen egoistischen Antriebs, der sonst in Wirksamkeit ist, beraubt. Die immer wiederholten Versuche, aus ihrer reinen Hingabe an die Interessen der Menschheit einen Widerspruch zu der von ihnen bekundeten materialistischen Überzeugung zu konstruieren, entbehren jedes philosophischen Rechts. Wegen der zu solchen Mißverständnissen führenden einfachen Psychologie, welche den meisten um eine absolute Moral besorgten Lehren zugrunde liegt, sagt heute der Materialismus richtiger, daß alle Menschen nach Glück, nicht daß sie nach Lust streben. Auch haben sie ja weniger ihre Lust, als das, was ihnen Lust macht, im Auge; jeder ist auch bei den einfachen Dingen, wie HEGEL es von den sogenannten geistigen sagt, gewohnt, "sich um die Sache, nicht zum Vergnügen, d. h. mit der beständigen Reflexion der Beziehung auf sich als Einzelnen, sondern als Sache ..." (61) zu bekümmern. Der Materialismus lehnt es jedoch ab, deswegen einen Unterschied zwischen Glück und Lust zu machen, weil die Befriedigung der Lust, im Gegensatz zu "höheren" Motiven, der Begründung, Entschuldigung oder Rechtfertigung bedürfte. Diese Rechtfertigung kann in einer bestimmten Gesellschaft für bestimmte Handlungen durchaus zweckmäßig sein, aber dann nur im Hinblick auf eine selbst gesetzte oder sonst vorhandene Autorität, nicht aufgrund einer unbedingten Ordnung. Daß die Menschen durch "elementare Lust- und Unlustreaktionen" bestimmt sind, ist vielleicht keine sehr treffende psychologische Beschreibung, aber doch ein guter Hinweis auf jenen Tatbestand, über den sich der Materialismus im Gegensatz zur idealistischen Geisteshaltung nicht empört. Obgleich auch einzelne sonst idealistische Philosophen, z. B. HEGEL, hier mit dem Materialismus ganz übereinstimmen, wirkt dieser Punkt in Verbindung mit dem Mangel einer Sinndeutung der Welt wohl als ein Motiv dafür, daß untereinander ganz entgegengesetzte Richtungen den Materialismus immer wieder auf die offenkundig unhaltbare metaphysische These von der ausschließlichen Wirklichkeit der Materie bringen, um ihn dann mit leichter Mühe zu widerlegen.

Der Materialismus der Gegenwart ist nicht vornehmlich durch die formalen Züge, welche gegenüber der idealistischen Metaphysik hervorzuheben sind, gekennzeichnet, sondern durch seinen Inhalt: die ökonomische Theorie der Gesellschaft. Erst aufgrund der Abstraktion jener Formen aus diesem Inhalt treten sie an den vergangenen Ansichten als heute wichtige Kennzeichen hervor. Die verschiedenen materialistischen Lehren sind daher keine Beispiele einer feststehenden Idee. Die ökonomische Theorie der Gesellschaft und der Geschichte ist nicht aus rein theoretischen Motiven, sondern aus dem Bedürfnis entstanden, die gegenwärtige Gesellschaft zu begreifen; denn diese Gesellschaft ist dazu gelangt, eine immer größere Anzahl Menschen von dem aufgrund des allgemeinen Reichtums an wirtschaftlichen Kräften möglichen Glück abzusperren. Im Zusammenhang damit bildet sich auch die Vorstellung einer besseren Wirklichkeit, welche aus der heute herrschenden hervorgeht, und dieser Übergang wird zum Thema der gegenwärtigen Theorie und Praxis. An Idealen fehlt es dem Materialismus daher nicht. Sie bestimmen sich im Zusammenhang mit den Bedürfnissen der Allgemeinheit und werden gemessen an dem, was mit den vorhandenen menschlichen Kräften in sichtbarer Zukunft möglich ist. Aber der Materialismus verzichtet darauf, diese Ideale der Geschichte, und damit auch der Gegenwart, als von den Menschen unabhängige Ideen zugrunde zu legen. Dieses Bestreben des Idealismus tut der Geschichte mehr Ehre an als der Idee. Die Ideale können zu bewegenden Kräften werden, soweit nämlich die Menschen darangehen, sie aus bloßen, wenn auch begründeten Vorstellungen zur Wirklichkeit zu machen. Aber die Geschichte selbst hat darum bis jetzt nicht aufgehört, ein Inbegriff von Kämpfen zu sein. Selbst im Hinblick darauf, daß es gelingen mag, die Ideale zu verwirklichen, verzichtet der Materialismus darauf, "das, was geschehen ist und geschieht, dieses Einmalige, Zufällige und Momentane ... auf einen wert- und sinnvollen Zusammenhang" (62) zurückzubeziehen, wie es die Geistesgeschichte tut. Er wird daher von dieser, wie von der Metaphysik überhaupt, kaum verstanden werden können.
LITERATUR: Max Horkheimer, Materialismus und Metaphysik, Zeitschrift für Sozialforschung, Jahrgang II, Paris 1933, Heft 1
    Anmerkungen
    1) WILHELM DILTHEY, Weltanschauungslehre, Schriften, Bd. VIII, Seite 206/7
    2) DILTHEY, a. a. O.
    3) DILTHEY, a. a. O., Seite 82
    4) DILTHEY, a. a. O., Seite 223, vgl. Seite 271.
    5) KARL JASPERS, Psychologie der Weltanschauungen, 1919, Seite 4.
    6) Vgl. DILTHEY a. a. O. Seite 97f
    7) Vgl. z. B. LUDWIG BÜCHNER, Am Sterbelager des Jahrhunderts, Gießen 1898, Seite 134; RAOUL RICHTER, Einführung in die Philosophie, Leipzig und Berlin 1920, Seite 67f; HERMANN COHEN, Schriften zur Philosophie und Zeitgeschichte, Bd. 2, Berlin 1928, Seite 382 und viele andere.
    8) F. A. LANGE, Geschichte des Materialismus, Iserlohn 1877, Bd. 2, Seite 3.
    9) Reden von EMILE DUBOIS-REYMOND, Leipzig 1886, Seite 123
    10) OSWALD KÜLPE, Die Realisierung, Leipzig 1923, Bd. 3, Seite 148.
    11) ERICH BECHER, Erkenntnistheorie und Metaphysik, in: Die Philosophie in ihren Einzelgebieten, Berlin 1925, Seite 354/55.
    12) WILHELM WINDELBAND, Einleitung in die Philosophie, Tübingen, Seite 125
    13) WILHELM JERUSALEM, Einleitung in die Philosophie, Wien und Leipzig 1923, Seite 114
    14) NICOLAI HARTMANN, Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, Berlin und Leipzig 1921, Seite 100.
    15) MAX ADLER, Lehrbuch der materialistischen Geschichtsauffassung, Berlin 1930, Seite 78/79
    16) KARL JASPERS, Philosophie, Bd. 1, Berlin 1932, Seite 221.
    17) WINDELBAND, a. a. O.
    18) ERICH ADICKES, in: Die deutsche Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Bd. 2, Leipzig 1921, Seite 20.
    19) DILTHEY, a. a. O., Seite 82
    20) DILTHEY, a. a. O.
    21) HEGEL, Enzyklopädie a. a. O., § 6
    22) MAX SCHELER, Vom Ewigen im Menschen, Leipzig 1921, Seite 100
    23) DILTHEY, a. a. O., Seite 207
    24) KANT, Kritik der reinen Vernunft, Kanon der reinen Vernunft, zweites Hauptstück.
    25) KANT, ebd.
    26) THOMAS HOBBES, Grundzüge der Philosophie, Lehre vom Körper (übersetzt von Frischeisen-Köhler) Leipzig 1915, Seite 31.
    27) MARX-ENGELS, Die deutsche Ideologie, Gesamtausgabe, Bd. 5, Seite 16, Berlin 1932.
    28) MAX SCHELER, Die Wissensformen und die Gesellschaft, Leipzig 1926, Seite 166.
    29) SCHELER, a. a. O., Seite 167
    30) KANT, Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur zweiten Auflage.
    31) KARL JASPERS, Philosophie, Bd. 2, Berlin 1932, Seite 260.
    32) MARTIN HEIDEGGER, Sein und Zeit, in "Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung", Bd. 8, Halle 1927, Seite 230.
    33) Vgl. HERMANN COHEN, Logik der reinen Erkenntnis, zweite Auflage, Berlin 1914, Seite 532/33
    34) KANT, Kr. d. r. V., zweite Auflage (Ausgabe B), Seite 344
    35) KANT, Kr. d. r. V., zweite Auflage (Ausgabe B), Seite 351/52
    36) KANT, Kr. d. r. V., zweite Auflage (Ausgabe B), Seite 51
    37) KANT, Kr. d. r. V., zweite Auflage (Ausgabe B), Seite 54 und Anmerkung
    38) Häufig erscheint dieser Pantheismus freilich als leicht ablösbare Form, so wenn der tapfere VANINI "Natura, quae Deus est" [Die Natur ist Gott. - wp] sagt, und in Klammern hinzufügt "enim principium motus" [in Bezug auf das Prinzip der Bewegung - wp] (De admirandis naturae reginae deaeque mortalium arcanis, libri quattuor, Paris 1616, Seite 366).
    39) DILTHEY, a. a. O., Seite 97
    40) MAX SCHELER, Die Wissensformen und die Gesellschaft, a. a. O., Seite 299f.
    41) Vgl. den Aufsatz von GEORG MISCH, Zur Entstehung des französischen Positivismus, Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 14.
    42) AUGUSTE COMTE, Discours sur l'esprit positif, Paris 1909, Seite 22
    43) Vgl. ERNST MACH, "Die Analyse der Empfindungen", neunte Auflage, Jena 1922, Seite 24, und "Erkenntnis und Irrtum", vierte Auflage, Leipzig 1920, Seite 275.
    44) ERNST MACH, Die Analyse der Empfindungen, a. a. O., Seite 270.
    45) Siehe zu dieser Bescheidenheit u. a. HENRI POINCARE in der aufschlußreichen Sammlung "Le Matérialisme actuel", Paris 1918, Seite 50/51.
    46) COMTE, Cours de philosophie positive, fünfte Auflage, Paris 1893, Bd. 2, Seite 338.
    47) JOHN STUART MILL, System der deduktiven und induktiven Logik (übersetzt von SCHIEL, Braunschweig 1862, erster Teil, Seite 74/76.
    48) HEGELs Anrede an seine Zuhörer bei der Eröffnung seiner Vorlesungen in Berlin am 22. Oktober 1818, Werke, vollständige Ausgabe, Bd. VI, Berlin 1843, Seite XXXIX.
    49) HEGEL, Enzyklopädie, a. a. O., § 60.
    50) COMTE, Discours sur l'esprit positif, a. a. O., Seite 52.
    51) COMTE, Discours, a. a. O., Seite 51
    52) BERGSON, L'1ame et le corps, in der schon erwähnten Sammlung "Le Matérialisme actuel", Seite 47/48.
    53) HANS DRIESCH, Philosophie des Organischen, Leipzig 1921, Seite 387
    54) BERGSON, Les deux sources de la morale et de la religion, Paris 1932, Seite 342.
    55) COHEN, Logik der reinen Erkennenis, zweite Auflage, Berlin 1914, Seite 495.
    56) WITTGENSTEIN, Tractatus Logico-Philosophicus, London 1922, Seite 186
    57) WITTGENSTEIN, a. a. O.
    58) Die Nachsokratiker, übersetzt von NESTLE, Jena 1923, Bd. 1, Seite 183
    59) Nachsokratiker, a. a. O., Seite 213.
    60) Vgl. hierzu z. B. HANS CORNELIUS, Transzendentale Systematik, München 1916, Seite 154: "An die Stelle der Vereinigung eines zuvor Getrennten in der  Synopsis [Zusammenfassung - wp] des Mannigfaltigen durch den Sinn  tritt die Trennung der Teile vermöge der Unterscheidung innerhalb des unmittelbar gegebenen Ganzen des Bewußtseinsverlaufs ..."; KOFFKA, Psychologie, in: Die Philosophie in ihren Einzelwissenschaften, Berlin 1925, Seite 548: "Die Empfindungen, die der Psychologie solange zugrunde lagen, sind ... nicht Ausgangspunkte, sondern Endpunkte einer Entwicklung, letzte Erzeugnisse des Isolierungsprozesses, der die natürlichen Grenzgegebenheiten aufspaltete, Einzelgebilde, dafür in einer Durchgestaltung, die sie als natürliche Glieder des Ausgangsganzen nicht besitzen. ... Die Empfindungen sind als gewiß Kunstprodukte ..."; WERTHEIMER, Über Gestalttheorie, im "Symposion", Bd. 1, Heft 1: Man sieht, "daß das, was primitiv ist, was eigentlich zugrunde liegt, was voran liegt, mit unserem  Spätderivat, des Mannigfaltigen durch den Sinn  mit unserem Kulturprodukt von Empfindungen, wenig zu tun hat." Dies sind nur zufällig ausgewählte Stellen aus relativ späten Arbeiten. Vgl. vor allem KOFFKA, "Zur Psychologie der Wahrnehmung", in: "Geisteswissenschaften", 1914, sowie die gesamte gestalttheoretische Literatur, wo im Gegensatz zur bloß philosophischen Ablehnung der psychischen Elementenlehre strenge Nachweise für die Unselbständigkeit der Empfindungen in experimentellen Arbeiten verstreut zu finden sind.
    61) HEGEL, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. II, Jubiläumsausgabe, Bd. 18, Seite 465.
    62) DILTHEY, Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Gesammelte Schriften, Bd. 7, Seite 3