Nicolai HartmannDie Zukunft des KapitalismusWerttheorie und Ethik | |||
Der Formalismus in der Ethik [2/3]
I. Materiale Wertethik und Güter bzw. Zweckethik 1. Güter und Werte So wenig wie die Farbennamen auf bloße Eigenschaften von körperlichen Dingen gehen - wenn auch in der natürliche Weltanschauung die Farbenerscheinungen meist nur so weit genauer beachtet werden, als sie als Unterscheidungsmittel verschiedener körperdinglicher Einheiten fungieren -, so wenig gehen auch die Namen für Werte auf die bloßen Eigenschaften der dinglich gegebenen Einheiten, die wir Güter nennen (1). Wie ich mir ein Rot auch als bloßes extensives Quale z. B. in einer reinen Spektralfarbe zur Gegebenheit bringen kann, ohne es als Belag einer körperlichen Oberfläche, ja nur als Fläche oder als ein Raumartiges überhaupt aufzufassen, so sind mir auch Werte, wie angenehm, reizend, lieblich, aber auch freundlich, vornehm, edel, prinzipiell zugänglich, ohne daß ich sie mir hierbei als Eigenschaften von Dingen oder Menschen vorstelle. Versuchen wir das zunächst in Bezug auf die einfachsten Werte aus der Sphäre des sinnlich Angenehmen zu erweisen, d. h. da, wo die Bindung der Wertqualität an ihre dinglichen Träger wohl noch die denkbar innigste ist. Eine jede wohlschmeckende Frucht hat auch ihre besondere Art des Wohlgeschmackes. Es verhält sich also durchaus nicht so, daß ein und derselbe Wohlgeschmack nur mit den mannigfachen Empfindungen verschmölze, die z. B. die Kirsche, die Aprikose, der Pfirsich beim Schmecken oder beim Sehen oder beim Tasten bereitet. Der Wohlgeschmack ist in jedem dieser Fälle vom anderen qualitativ verschieden; und weder die mit ihm jeweilig verbundenen Komplexe von Geschmacks-, Tast- und Gesichtsempfindungen, noch auch die mannigfachen in der Wahrnehmung jener Früchte zur Erscheinung kommenden Eigenschaften derselben sind es, die jene qualitative Verschiedenheit des Wohlgeschmacks erst zur Differenzierung bringen. Die Wertqualitäten, die das "sinnlich Angenehme" in diesen Fällen besitzt, sind echte Qualitäten des Wertes selbst. Daß wir sie in dem Maße, als wir die Kunst und die Fähigkeit haben, sie zu erfassen, ohne Hinblick auf das optische, taktile oder durch eine andere Sinnesfunktion außer dem Schmecken gegebene Bild der Frucht zu unterscheiden vermögen, ist ohne Zweifel; wie schwierig es auch z. B. sein mag, ohne jede Mitwirkung z. B. des Geruches eine solche Unterscheidung dann zu vollziehen, wenn wir an diese Mitwirkung gewöhnt sind. Für den Ungeübten mag es bereits schwierig sein, im Dunkeln Rot- und Weißwein zu unterscheiden. Aber diese und eine Menge ähnlicher Tatsachen, wie z. B. die mangelnde Unterscheidungskraft der Wohlgeschmäcke bei Ausschaltung der Geruchsempfindung, zeigen nur die sehr mannigfach abgestufte Geübtheit der betreffenden Menschen und ihre besondere Gewöhnung an eine Art der Aufnahme und der Fassung der betreffenden Wohlgeschmäcke. Was aber schon in dieser Sphäre gilt, das gilt in viel höherem Maße in Wertbereichen außerhalb der Sphäre des sinnlich Angenehmen. Denn in dieser Sphäre sind die Werte ohne Zweifel am innigsten an den Wechsel unserer Zustände und gleichzeitig an die besonderen Dinge gebunden, die uns diese Zustände bereiten. Es ist wohl begreiflich, daß auch darum die Sprache meist keine besonderen Namen für diese Wertqualitäten selbst ausgebildet hat, sondern sie entweder nur nach ihren dinglichen Trägern (z. B. das Angenehme des Rosengeruches) oder nach ihrer Empfindungsgrundlage (z. B. das Angenehme des Süßen, das Unangenehme des Bitteren) unterscheidet. Ganz gewiß sind z. B. die ästhetischen Werte, die den Worten: lieblich, reizend, erhaben, schön usw. entsprechen, nicht bloße Begriffsworte, die in den gemeinsamen Eigenschaften von Dingen ihre Erfüllung fänden, die Träger dieser Werte sind. Das zeigt schon die Tatsache, daß uns, suchen wir uns solcher "gemeinsamer Eigenschaften" zu bemächtigen, im Grunde nichts in der Hand bleibt. Erst wo wir bereits die Dinge unter einen anderen Begriff stellen, der kein Wertbegriff ist, also etwa nach den gemeinsamen Eigenschaften lieblicher Vasen oder Blumen oder edler Pferde fragen, besteht die Aussicht, solche gemeinsamen Eigenschaften anzugeben. Werte solcher Art sind also nicht definierbar. Trotz ihrer zweifellosen "Gegenständlichkeit" müssen wir sie uns bereits an den Dingen zur Gegebenheit gebracht haben, um die betreffenden Dinge als "schön", als "lieblich", als "reizend" zu bezeichnen. Jedes dieser Worte faßt eine qualitativ abgestufte Reihe von Werterscheinungen zur Einheit eines Wertbegriffs zusammen, nicht aber wertindifferente Eigenschaften, die uns nur durch ihr konstantes Zusammensein den Schein eines selbständigen Wertgegenstandes vortäuschen. Das gilt aber auch für Werte, die der ethischen Sphäre angehören. Daß ein Mensch oder eine Handlung "vornehm" ist oder "gemein", "mutig" oder "feige", "rein" oder "schuldig", "gut" oder "böse", das wird uns nicht erst durch konstante Merkmale an diesen Dingen und Vorgängen, die wir angeben könnten, gewiß, noch besteht es gar in solchen. Es genügt unter Umständen eine einzige Handlung oder ein einziger Mensch, damit wir in ihm das Wesen dieser Werte erfassen können. Dagegen führt ein jeder Versuch, ein gemeinsames Merkmal außerhalb der Sphäre der Werte selbst z. B. für die Guten und Bösen aufzustellen, nicht nur in einen Irrtum der Erkenntnis im theoretischen Sinne, sondern auch in eine sittliche Täuschung schwerster Art. Wo immer man gut oder böse an ein solches, außerhalb des Wertbereichs selbst stehendes Kennzeichen gebunden wähnte, seien es aufweisbar leibliche oder seelische Anlagen und Eigenschaften der Menschen, sei es Zugehörigkeit zu einem Stand oder einer Partei und demgemäß von "den Guten und Gerechten" oder "den Bösen und Ungerechten" wie von einer objektiv bestimm- und definierbaren Klasse sprach, da verfiel man notwendig irgendeiner Art des "Pharisäertums", der mögliche Träger des "Guten" und ihre gemeinsamen Merkmale (als bloßer Träger) für die betreffenden Werte selbst nahm und für das Wesen der Werte, für die sie doch nur als Träger fungieren. Der Satz JESU: "Niemand ist gut außer Gott allein" (zu dessen Wesen die Güte gehört) scheint nur den Sinn zu haben, diesen Tatbestand gegen die "Guten und Gerechten" zu erhärten. Er will nicht sagen, daß niemand gut sei in dem Sinne: es könne niemand Eigenschaften haben, die gute Eigenschaften sind. Er will nur sagen, daß "gut" selbst nie in der begrifflich angebbaren Eigenschaft eines Menschen bestehe, wie das all jene anzunehmen scheinen, die die Guten und Bösen wie Böcke und Lämmer nach angebbaren realen, der Vorstellungssphäre angehörigen Merkmalen sondern wollten, was gewissermaßen die ewig kategoriale Form des Pharisäismus ausmacht. Wo wir einen Wert mit Recht aussagen, da genügt es nie, ihn aus Merkmalen und Eigenschaften, die nicht selbst der Sphäre der Werterscheinungen angehören, erst erschließen zu wollen (2); er muß immer selbst anschaulich gegeben sein oder auf eine solche Art der Gegebenheit zurückgehen. So sinnlos es ist, nach den gemeinsamen Eigenschaften aller blauen oder roten Dinge zu fragen, da ja nur die einzige Antwort möglich wäre: sie besteht darin, daß sie eben blau und rot sind, so sinnlos ist es auch, nach den gemeinsamen Eigenschaften guter oder böser Handlungen, Gesinnungen, Menschen usw. zu fragen. Aus dem Gesagten geht hervor, daß es echte und wahre Wertqualitäten gibt, die einen eigenen Bereich von Gegenständen darstellen, die ihre besonderen Verhältnisse und Zusammenhänge haben und schon als Wert qualitäten z. B. höher und niedriger usw. sein können. Ist das aber der Fall, so kann zwischen ihnen auch eine Ordnung und eine Rangordnung obwalten, die vom Dasein einer Güterwelt, in der sie zur Erscheinung kommen, desgleichen von der Bewegung und Veränderung dieser Güterwelt in der Geschichte ganz unabhängig und für deren Erfahrung "a priori" ist. Aber man könnte einwenden: Was wir zeigten, ist nur, daß die Werte keine Eigenschaften der Dinge sind, oder wenigstens usprünglich keine solchen; wohl aber müßte man sie als Kräfte ansehen oder als Fähigkeiten oder als in den Dingen gelegene Dispositionen, durch in fühlenden und begehrenden Subjekten sie es gewisse Gefühlszustände, sei es Begehrungen kausiert werden. Auch bei KANT finden sich Stellen, wo er dieser zuerst von JOHN LOCKE vertretenen Theorie zuzuneigen scheint; wäre sie richtig, so müßte allerdings alle Erfahrung von den Werten von solcher Wirkung dieser "Kräfte", von der Aktualisierung dieser "Fähigkeiten", von der Erregung dieser "Dispositionen" abhängen (3); Verhältnisse zwischen den Werten z. B. nach hoch und niedrig müßten dann aus den realen Verknüpfungen dieser Kräfte und Fähigkeiten, bzw. realen Dispositionen folgen. In diesem Falle hätte KANT jedenfalls darin recht, daß jede materiale Ethik notwendig empirisch induktiv sein müßte; hingen doch alle Urteile über Werte von jenen Wirkungen ab, welche die Dinge vermöge dieser Kräfte, Fähigkeiten, Dispositionen auf uns als Wesen einer bestimmten realen Naturorganisation ausüben; und erst recht alle Urteile über die Verhältnisse der Werte. Denn da man kaum geneigt sein dürfte, auch "höhere" und "niedrigere" Kräfte und Fähigkeiten anzunehmen, müßte man diesen Unterschied entweder auf die jeweilige Größe dieser Kräfte (etwa einer besonderen Wertenergie oder auf die Summe irgendwelcher in einem Ding gelegenen Elementarkräfte) zurückführen oder ihn ganz ins Subjekt verlegen, so daß z. B. die höheren Werte diejenigen wären, die Begehrungen von einem stärkeren Grad der Dringlichkeit erregen. (4) Aber so grundirrig diese Theorie für die Farben und ihre Ordnung ist - für die sie LOCKE gleichfalls annahm -, so irrig auch für die Werte. Vergebens frägt man sich, worin in aller Welt denn jene "Kräfte", "Fähigkeiten", "Dispositionen" bestehen sollen. Sind damit besondere "Wertkräfte" gemeint oder sollen diese Kräfte dieselben sein, die auch die Naturwissenschaft den Dingen zuschreibt, wie Adhäsionskraft, Kohäsion, Gewicht usw. ? Es ist klar, daß im ersten Fall eine pure qualitas occulta eingeführt wäre, ein X, das seine ganze Bedeutung erst durch die "Wirkung" erhielte, die es vermeintlich "erklären" soll - etwa wie die vis dormitiva [Einschläferungsmacht - wp] des MOLIÉRE. Fassen wir die Werte aber als bloße spezielle Fälle und Wirkungen, welche irgendwelche Naturkräfte auf begehrende und fühlende reale Wesen haben - denn im Wirken der Dinge aufeinander sheinen doch jene Kräfte nicht zu bestehen, da die Naturwissenschaft ohne sie auskommt -, so ist auch die These verlassen. Dann sind die Werte nicht solche Kräfte, sondern sie sind eben jene Wirkungen, die Begehrungen und Gefühle selbst. Das aber führt zu einem ganz anderen Typus der Werttheorien. (5) Für die Annahme dunkler "Fähigkeiten" und "Dispositionen" gilt dasselbe. Werte sind klare fühlbare Phänomene, nicht dunkle Xe, die selbst nur ihren Sinn durch jene wohlbekannten Phänomene finden. Wohl können wir vorläufig, wenn wir den Wert des Prozesses auf ein fühlbares Wertdatum hin, das wir an jenem Prozeß vorfinden, voraussetzen, die noch nicht völlig analysierte Ursache dieses Prozesses - nicht seines Wertes - sprachlich ungenau als "Wert" bezeichnen. So reden wir etwa von einem verschiedenen "Nährwert" der Speisen, der Kohlenhydrate, der Fette, des Eiweiß usw. Aber hier handelt es sich nicht um besondere dunkle "Fähigkeiten", "Kräfte", "Dispositionen", sondern um chemisch bestimmte Stoffe und Energien (im Sinne der Chemie und Physik); den Wert der Ernährung setzen wir dabei voraus, desgleichen den Wert der "Nahrung", der uns in der Befriedigung des Hungers unmittelbar gegeben ist - und sich vom Wert der Befriedigung des Hungers selbst und erst recht von der damit etwa (nicht immer) verbundenen Lust scharf scheidet. Erst dann mag die weitere Frage ergehen, durch welche chemische Eigenschaften ein bestimmter Körper für ein bestimmtes Lebewesen, z. B. den Menschen, normaler Beschaffenheit hinsichtlich Verdauung und Stoffwechsel usw. diesen Wert der Nahrung (für andere Tiere ist vielleicht derselbe Körper "Gift") und durch welche Quanten dieses Stoffes er welche Größe dieses Wertes trägt. Völlig irrig und verwirrend aber ist es, zu sagen, der Nährwert bestehe in jenen besonderen chemischen Substanzen, bzw. in der Anwesenheit solcher Substanzen in verschiedenen Größenverhältnissen in einer Speise. Man verwechsle doch nicht die Tatsache, daß es Dispositionen zu Werten, schärfer zu Trägern von Werten, z. B. zu Trägern des Wertes "Nahrung", in den Dingen und Körpern gibt, mit der ganz anderen Behauptung, der Wert dieser Dinge sei selbst nichts als eine bestimmte Disposition oder Fähigkeit! Alle Werte (auch die Werte "gut" und "böse") sind materiale Qualitäten, die eine bestimmte Ordnung nach "hoch" und "nieder" zu einander haben; und dies unabhängig von der Seinsform, in die sie eingehen, ob sie z. B. als pure gegenständliche Qualitäten oder als Glieder von Wertverhalten (z. B. Angenehm- oder Schönsein von etwas) oder als Teilmomente in Gütern oder als Wert, den "ein Ding hat", vor uns stehen. Die damit statuierte letzte Unabhängigkeit des Seins der Werte von Dingen, Gütern, Sachverhalten kommt in einer Reiche von Tatsachen scharf zur Erscheinung. Wir kennen ein Stadium der Werterfassung, wo uns der Wert einer Sache bereits sehr klar und evident gegeben ist, ohne daß uns die Träger dieses Wertes gegeben sind. So ist uns z. B. ein Mensch peinlich und abstoßend oder angenehm und sympathisch, ohne daß wir noch anzugeben vermögen, woran das liegt; so erfassen wir ein Gedicht oder ein anderes Kunstwerk längst als "schön", als "häßlich", als "vornehm" oder "gemein", ohne im entferntesten zu wissen, an welchen Eigenschaften des betreffenden Bildinhaltes das liegt; so ist auch eine Gegend, ein Zimmer "freundlich" und "peinlich", ebenso der Aufenthalt in einem Raum, ohne daß uns die Träger dieser Werte bekannt sind. Das gilt gleichmäßig für physisch und psychisch Reales. Weder die Erfahrung des Wertes noch der Grad der Adäquation und die Evidenz (Adäquation im vollen Sinn plus Evidenz ist die "Selbstgegebenheit" seiner) erweist sich von der Erfahrung der Träger dieser Werte irgendwie abhängig. Auch die Bedeutung des Gegenstandes, "was" er in dieser Hinsicht ist (ob z. B. ein Mensch mehr "Künstler" oder "Philosoph" ist), mag beliebig schwanken, ohne daß uns dabei sein Wert mitschwankt. In solchen Fällen offenbart sich sehr klar, wie unabhängig im Sein die Werte von ihren Trägern sind. Es gilt dies sowohl für die Dinge, wie für die Sachverhalte. Die Werte der Weine unterscheiden setzt eine Kenntnis (etwa nach Zusammensetzung, Herkunft von dieser oder jener Traube, Kelterungsart) in keinem Sinn voraus. Aber auch die "Wertverhalte" sind nicht etwa bloße Werte von Sachverhalten. Die Erfassung der Sachverhalte ist nicht die Bedingung, unter der sie uns gegeben werden. Daß ein bestimmter Tag im August des vorigen Jahres "herrlich war", das kann mir gegeben sein, ohne daß mir mitgegeben ist, daß mich damals ein Freund besuchte, der mir besonders teuer ist. Ja, es ist uns, als sei sogar die Wertnuance eines Gegenstandes (sei es, daß er erinnert, erwartet, vorgestellt oder wahrgenommen ist) sowohl das Primärste, was uns von ihm zugeht, als auch der Wert des jeweiligen Ganzen, dessen Glied oder Teil er ist, gleichsam das "Medium", in dem er erst seinen Bildinhalt oder seine (begriffliche) Bedeutung voll entwickelt. Sein Wert schreitet ihm gleichsam voran; er ist der erste "Bote" seiner besonderen Natur. Wo er selbst noch undeutlich und unklar ist, kann jener bereits deutlich und klar sein. Bei jeder Milieuerfassung erfassen wir z. B. zugleich zunächst das unanalysierte Ganze und an diesem Ganzen seinen Wert; im Wert des Ganzen aber wieder Teilwerte, in die sich dann die einzelnen Bildgegenstände "hineinstellen". Doch sehen wir hiervon ab; es bedarf noch eingehender Untersuchungen, wie sich z. B. bei einfachen Farben, Tönen und Kombinationen solcher, der sogenannte Gefühlswert in der Fundierung der Gegebenheit zu den übrigen Eigenschaften oder besser Merkmalen der betreffenden Inhalte stellt. Hier ist uns nur von Wichtigkeit die mögliche Unabhängigkeit der Werterfassung von den Wertträgern. Dasselbe gilt natürlich auch von den Wertrelationen. Das Höhersein an Wert einer Sache vor der anderen, können wir erfassen, ohne eine der Genauigkeit und dem Deutlichkeitsgrade dieser Erfassung entsprechende Kenntnis der Sachen selbst zu haben; und ohne dabei die Sache, mit der wir die gegenwärtige vergleichen, anders als bloß "gemeint" im Bewußtsein zu haben. (6) Es ist damit auch klar, daß die Wertqualitäten sich nicht mit den Sachen verändern. So wenig die Farbe Blau rot wird, wen sich eine blaue Kugel rot färbt, so wenig werden die Werte und ihre Ordnung dadurch tangiert, daß sich ihre Träger im Wert ändern. Nahrung bleibt Nahrung, Gift bleibt Gift, welche Körper auch für diese oder jene Organisation vielleicht zugleich giftig und nahrhaft sind. Der Wert der Freundschaft wird nicht angefochten dadurch, daß sich mein Freund als falsch erweist und mich verrät. Auch die scharfe qualitative Verschiedenheit der Wertqualitäten wird nicht angefochten dadurch, daß es häufig sehr schwierig ist, zu entscheiden, welcher der qualitativ verschiedenen Werte einer Sache zukommt. (7) Wie verhalten sich nun aber die Wertqualitäten und Wertverhalte zu den Dingen und Gütern? Die Werte sind durchaus nicht erst als Güter verschieden von den Gefühlszuständen und Begehrungen, die wir angesichts ihrer erleben. Sie sind es bereits als einfachste Qualitäten. Abgesehen von ihrer völlig irrigen Lehre vom "Ding" als einer bloßen "Ordnung der Abfolge der Erscheinungen" irren die positivistischen Philosophen auch gegenüber unserer Frage, wenn sie den Wert in dasselbe Verhältnis zu den aktuellen Begehrungen und Gefühlen stellen, wie das Ding zu seinen Erscheinungen. Werte sind schon als Wertphänomene (gleichgültig, ob "Erscheinung" oder "wirklich") echte Gegenstände, die von allen Gefühls zuständen verschieden sind; auch ein völlig beziehungsloses "angenehm" ist von der Lust an ihm verschieden, und schon in einem einzigen Fall. In einem einzigen einfachen Fall einer Lust am Angenehmen - nicht erst in einer Folge von Fällen - vermögen wir die Lust und das Angenehmsein zu scheiden. Es wäre auch wohl schwer zu sagen, worin sich Güter von den Werten noch unterscheiden sollten, wenn bereits die Werte Analoga zu den "Dingen" darstellen sollen, wie z. B. CORNELIUS annimmt. (8) Sind sie dann Dinge zweiten Grades? Und was bedeutet das? Und andererseits ist gegen diese Auffassung zu sagen: so wenig uns in der Wahrnehmung der natürlichen Weltanschauung "zunächst" Inhalten von Empfindungen "gegeben" sind, sondern vielmehr Dinge, diese "Inhalte" aber nur so weit und sofern, als sie das Ding als solches als Träger dieser Bedeutung und in den besonderen Erscheinungsweisen, die zur Struktur der dinglichen Einheit wesensnotwendig gehören, kenntlich machen, so wenig ist uns in der natürlichen Werterfahrung "zunächst" die pure Wertqualität gegeben, sondern diese auch nur sofern und soweit, als sie das Gut als ein Gut dieser bestimmten Art kenntlich macht un in den besonderen Nuancen, die zur Struktur des Gutes als eines Ganzen gehören. Ein jedes "Gut" stellt bereits eine kleine "Hierarchie" (9) von Werten dar; und die Wertqualitäten, die in es eingehen, sind unbeschaet ihrer qualitativen Identität in ihrem fühlbaren Sosein noch verschieden gefärbt. So durchläuft ein Kunstwerk z. B. - unbeschadet seiner objektiven Identität als dieses "Gut" - mit den wechselnden Vorzugsregeln zwischen den ästhetischen Elementarwerten - ganz verschiedene "Auffassungen" in der Geschichte und ganz verschiedene Wertaspekte bietet es den verschiedenen Epochen dar; gleichwohl sind diese Wertaspekte durch seine konkrete Natur als dieses Gut und den inneren Aufbau seiner Werte immer mitbedingt. Man kann sie niemals in eine bloße "Summe" einfacher Wertqualitäten aufteilen. Daß diese "Aspekte" - dieser Anfühlbarkeitsgehalt seiner Werte aber bloßer "Aspekt" oder so gearteter "Gehalt" ist, das hebt sich erst heraus, wenn wir in einem besonderen Akt unser fühlendes Verhalten zu ihm beachten und darauf hinblicken, was uns in ihm aus seiner Wertganzheit "gegeben" ist; im schärferen Maß aber erst, wenn wir im Wechsel der Aspekte und solcher Gehalte die unmittelbare Identifizierung des in ihnen erfaßten Gutes erleben; so z. B., wenn wir die Güterwelt des klassischen Altertums in ihrem historisch so verschiedenen "Wertaspekten" uns klar machen. Das Gut verhält sich zur Wert qualität so, wie sich das Ding zu den Qualitäten verhält, die seine "Eigenschaften" erfüllen. Damit ist schon gesagt, daß wir zwischen Gütern d. h. "Wertdingen" und bloßen Werten, die Dinge "haben", die Dingen "zukommen" d. h. "Dingwerten", unterscheiden müssen. Die Güter sind nicht etwa fundiert auf die Dinge, so daß Etwas zunächst Ding sein müßte, um "Gut" sein zu können. Vielmehr stellt das Gut eine "dinghafte" Einheit von Wertqualitäten, bzw. Wertverhalten dar, die in einem bestimmten Grundwert fundiert ist. Die Dinghaftigkeit, nicht aber "das" Ding ist im Gut gegenwärtig. (So ist, handelt es sich um ein "materielles" Gut, in ihm wohl das Phänomen der Materialität, nicht aber die Materie gegenwärtig.) Ein natürliches Ding der Wahrnehmung mag Träger irgendwelcher Werte sein und insofern ein wertvolles Ding; sofern aber seine Einheit als "Ding" nicht selbst durch die Einheit einer Wertqualität konstituiert ist, sondern sich der Wert nur zufällig an ihm findet, ist es noch kein "Gut". Es mag in disem Fall eine "Sache" heißen, ein Wort, mit dem wir Dinge bezeichnen, sofern sie Gegenstände einer in einem Wert fundierten erlebten Beziehung auf ein Verfügenkönnen durch eine Willensmacht sind. So setzt der Begriff des Eigentums weder bloße Dinge noch schon Güter, sondern "Sachen" voraus. Das Gut hingegen ist ein Wertding. Die Verschiedenheit der Ding- und der Gütereinheiten tritt darin scharf hervor, daß z. B. ein Gut zerstörbar ist, ohne daß das Ding mit zerstört wird, das denselben realen Gegenstand darstellt, z. B. ein Kunstwerk (Bild), dessen Farben verbleichen. Auch kann ein Ding geteilt werden, während derselbe reale Gegenstand als "Gut" hierdurch nicht geteilt, sondern vernichtet wird oder aber auch hierdurch nicht tangiert wird - wenn die Teilung für seinen Gutscharakter Unwesentliches trifft. So ist auch die Veränderung der Güter nicht identischen mit der Veränderung derselben realen Gegenstände als Dinge und umgekehrt. Erst in den Gütern werden Werte "wirklich". Sie sind es noch nicht in wertvollen Dingen. Im Gut aber ist der Wert objektiv (was er immer ist) und wirklich zugleich. Mit jedem neuen Gut erfolgt ein wahres Wertwachstum der wirklichen Welt. Wertqualitäten sind hiergegen "ideale Objekte", wie auch die Farben und Tonqualitäten solche sind. Es ist also das Gesagte auch so auszudrücken: Güter und Dinge sind von gleicher Ursprünglichkeit der Gegebenheit. Mit diesem Satz weisen wir ein Doppeltes zurück. Einmal jeden Versuch, das Wesen des Dinges selbst, die Dinghaftigkeit auf einen Wert, alle Dingeinheiten aber auf Gütereinheiten zurückzuführen. Ein solcher Versuch ist überall da gemacht worden, wo man die Dingeinheit auf eine Einheit einer bloß "ökonomischen" Zusammenfassung von Inhalten der Empfindung (ERNST MACH) oder auf die Einheit einer "Brauchbarkeit", "Beherrschbarkeit" und dgl. zurückführte (z. B. HENRI BERGSON) oder auch, wo man das Ding als eine bloße "Forderung" nach Anerkennung (mit oder ohne einen eingefühlten Gefühlsgehalt) auffassen zu dürfen meinte. Nach diesen Theorien wäre alle bloße Materie der Anschauung - unabhängig von Werten bestimmter Art - überhaupt noch nicht dinglich gestaltet und würde es erst durch Zusammenfassungen, die bereits durch Werte geleitet sind. Das Ding wäre selbst eine bloße Werteinheit. Hier ist aber - anderer Irrungen nicht zu gedenken - offensichtlich verwechselt, was zu den besonderen Einheits bildungen der Dinge in der natürlichen Weltanschauung führt, mit dem Wesen dieser Einheitsform: der Dingheit. Für das Verständlichmachen der ersteren können allerdings die Werte herangezogen werden. Niemals aber für die letztere. Vom Standpunkt der Ursprünglichkeit der Genese aus gesehen scheint uns vielmehr die Sache so zu liegen, daß in der natürlichen Weltanschauung die realen Gegenstände "zunächst" weder als pure Dinge noch als pure Güter gegeben sind, sondern als "Sachen", d. h. als Dinge, soweit und sofern sie wertvoll sind (und zwar wesentlich nützlich sind); daß aber von dieser Mitte - gleichsam - aus dann die Zusammenfassungen zu puren Dingen (mit geflissentlichem Absehen von allen Werten) und zu puren Gütern (mit geflissentlichem Absehen von aller bloßen Dingnatur begänne. (10) Aber ebenso ist durch das Gesagt zurückgewiesen, die "Güter" als bloße "wertvolle Dinge" anzusehen. Denn eben das ist für die Güter wesentlich, daß hier der Wert nicht auf das Ding nur aufgebaut erscheint, sondern daß sie gleichsam völlig durchdrungen sind von Wert und daß die Einheit eine Wertes bereits die Zusammengefaßtheit aller anderen im Gut vorfindlichen Qualitäten - sowohl der übrigen Wertqualitäten als derjenigen Qualitäten, die keine solche darstellen, Farben, Formen z. B., wo es sich um materielle Güter handelt - leitet. Die Gütereinheit ist fundiert auf einen bestimmten Wert, der im Gut gleichsam die "Stelle" der Dinghaftigkeit ausfüllt (nicht etwa "vertritt"). Es könnten darum in einer Welt der gleichen Qualitäten die Dinge ganz anders sein, als sie sind, und doch die Güterwelt dieselbe. Niemals und auf keinem Gebiet von Gütern ist daher die natürliche Dingwelt für die Gestaltung der Güterwelt irgendwie bestimmend oder auch nur beschränkend. Die Welt ist so ursprünglich ein "Gut", wie sie ein "Ding" ist. Auch alle Entwicklung der Güterwelt ist niemals eine bloße Fortsetzung der Entwicklung der natürlichen Dinge; oder durch deren "Entwicklungsrichtung" bestimmt. Dagegen ist jede Bildung einer Güterwelt - wie immer sie erfolge - durch irgendeine Rangordnung der Werte bereits geleitet, wie z. B. die Bildung der Kunst einer bestimmten Epoche. Sowohl in der Rangordnung der Güter untereinander, als in jedem einzelnen Gut spiegelt sich insofern die herrschende Rangordnung. Diese Rangordnung der Werte bestimmt zwar durchaus nicht eindeutig die betreffende Güterwelt. Aber sie steckt ihr einen Spielraum des Möglichen ab, außerhalb dessen eine Bildung von Gütern nicht erfolgen kann. Sie ist insofern der betreffenden Güterwelt gegenüber a priori. Welche Güter faktisch gebildet werden, das hängt von der hierfür aufgewandten Energie, von den Fähigkeiten der Menschen, die sie bilden, von "Material" (11) und "Technik" und von tausend Zufällen ab. Aber niemals läßt sich aus diesen Faktoren allein - ohne Zuhilfenahme jener anerkannten Rangordnung der Werte als Qualitäten und einer abzielenden Tätigkeit auf sie - die Bildung der Güterwelt verständlich machen. Die vorhandenen Güter stehen bereits unter der Herrschaft dieser Rangordnung. Sie ist nicht von ihnen abstrahiert oder eine Folge ihrer. Gleichwohl ist diese Rangordnung der Werte eine materiale Rangordnung, eine Ordnung der Wert qualitäten. Sofern sie nicht die absolute Rangordnung ist, sondern nur eine "herrschende", stellt sie sich in denjenigen Vorzugsregeln zwischen den Wertqualitäten dar, welche die Epoche beseelen. Systeme solcher nennen wir in der Sphäre der ästhetischen Werte einen "Stil", in der Sphäre der praktischen eine "Moral" (12). Auch diese Systeme zeigen wieder eine Entfaltung und eine Entwicklung. Aber diese Entwicklung ist von der Entwicklung der Güterwelt selbst völlig verschieden und unabhängig von ihr variabel. Aus dem Gesagten geht klar hervor, worauf es uns hier ankommt: einmal der von KANT richtig und treffend hervorgehobene (hier verallgemeinerte) Satz: "Daß keine philosophische Wertlehre (sei sie Ethik oder Ästhetik usw.) Güter und noch weniger Dinge voraussetzen darf". Aber es geht auch klar hervor, daß es sehr wohl möglich ist, eine materiale Wertreihe und eine Ordnung in ihr aufzufinden, die von der Güterwelt und ihren wechselnden Gestaltungen völlig unabhängig und ihr gegenüber a priori ist; daß mithin der Schluß von der ersten großen Einsicht KANTs auf den Satz, es gebe hinsichtlich nichtsittlicher (und nichtästhetischer) Werte überhaupt keinen von "Erfahrung" (im Sinne der Induktion) unabhängigen Gehalt ihres Wesens und ihrer Rangordnung, für sittliche und ästhetische aber nur eine formale Gesetzmäßigkeit, die von allen Werten als materialen Qualitäten absehe, ein völlig irriger ist. zu den übrigen Werten und zu den Gütern. Daß auch der von KANT gemachte Versuch, die Bedeutungen der Wertworte "gut" und "böse" auf das zurückzuführen, was Inhalt eines Sollens ist (sei es eines idealen Sollens, des "Sollseins", sei es eines imperativischen Sollens, des "Seinsollens") oder zu zeigen, daß es ohne ein Sollen ein "gut" und "böse" gar nicht gäbe, verfehlt ist; daß es ebensowenig angeht, diese Werte auf die bloße "Gesetzmäßigkeit" eines Aktes (des Wollens), schärfer auf die Übereinstimmung des Vollzuges mit einem Gesetz, d. h. auf das "Rechte" zurückzuführen, das soll später eingehend gezeigt werden. (13) Hier ist die Frage, welche Besonderheit die Werte "gut" und "böse" gegenüber den übrigen Werten haben und wie sie mit diesen wesenhaft verknüpft sind. Mit Recht scheidet KANT scharf das "gut" und "böse" von allen übrigen Werten und erst recht von den Gütern und Übeln. Er sagt: "Die deutsche Sprache hat das Glück, die Ausdrücke zu besitzen, welche diese Verschiedenheit nicht übersehen lassen. Für das, was die Lateiner mit einem einzigen Wort benennen können, hat sie zwei sehr verschiedene Begriffe und auch ebenso verschiedene Ausdrücke. Für bonum das Gute und das Wohl, für malum das Böse und das Übel." "Das Gute oder Böse aber bedeutet jederzeit eine "Beziehung auf den Willen, sofern dieser durch das Vernunftgesetz bestimmt wird, sich etwas zu seinem Objekt zu machen." (Kritik der praktischen Vernunft, Erster Teil, 1. Buch, II. Hauptstück) Aber weder gilt sein Versuch, die Wert natur von "gut" und "böse" ganz zu leugnen, um sie durch "gesetzmäßig" und "gesetzwidrig" zu ersetzen, noch gilt jene vollständige Beziehungslosigkeit, in die KANT das Gute und Böse zu den übrigen Werten bringt. Freilich: wären Werte nur die Folge von Wirkungen der Dinge auf unsere sinnlichen Gefühlszustände, so könnten auch "gut" und "böse" keine Werte sein; und noch weniger könnte das Recht, etwas "gut" und "böse" zu nennen, von seinem Verhältnis zu den übrigen Werten bedingt sein. Für Vernunftwesen, für Gott, gäbe es dann überhaupt keine "Werte", da diese eben ganz vom Dasein eines sinnlich fühlenden Wesens abhängig wären; natürlich auch keine "höheren" und "niedrigeren" Werte. Auch müßte man - wollte man nicht in die Behauptung verfallen, "gut" und "böse" seien bloße technische Werte zum Wert des sinnlich Angenehmen - dann allerdings auch sagen: daß ein Wollen diesen oder jenen materialen Wert, sei es ein positiver, sei es ein negativer, zu realisieren tendeirt, das kann es niemals sittlich gut oder sittlich schlecht machen. Das Gutsein oder Bösesein wäre völlig unabhängig von aller materialen Wertrealisierung. Das ist in der Tat die Behauptung KANTs. Ob wir Edles oder Gemeines, ob Wohl oder Leid, ob Nutzen oder Schaden zu realisieren suchen, das ist für das Gut- oder Bösesein des Wollens ganz gleichgültig; denn die Bedeutung der Worte "gut" und "böse" erschöpfe sich vollständig in der gesetzmäßigen oder gesetzwidrigen Form, nach der wir die Setzung einer Wertmaterie der anderen angliedern. Lassen wir die Ungeheuerlichkeit dieser Behauptung, die vergißt, daß die Zwecke des Teufels nicht minder "systematisch" sind wie die Zwecke Gottes, zunächst beiseite. Dann ist es ein erster Irrtum KANTs, zu leugnen, es seien "gut" und "böse" materiale Werte. Es sind aber - sucht man nicht zu konstruieren - klar fühlbare materiale Werte eigener Art. Definierbar ist natürlich hier nichts, wie bei allen letzten Wertphänomenen. Wir können hier nur auffordern, genau hinzusehen, was wir im Fühlen eines Bösen und Guten unmittelbar erleben. (14) Wohl aber können wir nach den Bedingungen des Erscheinens dieser letzten materialen Werte fragen, desgleichen nach ihren wesensnotwendigen Trägern und ihrem Rang; auch nach der Eigenart der Reaktion bei ihrer Gegebenheit. Stellen wir diese Frage zur Untersuchung. Dann ist es sicher richtig, wenn KANT sagt, daß die Realisierung eines bestimmten materialen Wertes niemals ansich gut oder böse ist. Gäbe es unter den materialen Werten keine Rangordnung, die in ihrem Wesen selbst gegründet ist - nicht in den Dingen, die sie zufällig tragen -, so müßte es dabei bleiben. Es gibt aber eben eine solche. besteht sie, so erscheint uns sehr klar, welche Beziehung "gut" und "böse" zu den übrigen Werten überhaupt hat. Der Wert "gut" - im absoluten Sinn - ist dann derjenige Wert, der wesensgesetzmäßig am Akt der Realisierung desjenigen Wertes erscheint, der (für die Erkenntnisstufe des ihn realisierenden Wesens) der höchste ist; der Wert "böse" aber derjenige, der am Akt der Realisierung des niedrigsten erscheint. Relativ gut und böse aber ist der Wert, der am Akt erscheint, der auf die Realisierung eines - vom jeweiligen Wertausgangspunkt angesehen - höheren Wertes gerichtet ist. Das heißt aber, da uns das Höhersein eines Wertes im Akt des "Vorziehens" (15) gegeben ist - das Niedrigsein im Akt des "Nachsetzens" -: Sittlich gut ist der wertrealisierende Akt, der seiner intendierten Wertmaterie nach mit dem Wert übereinstimmt, der "vorgezogen" ist und dem widerstreitet, der "nachgesetzt" ist; böse aber ist der Akt, der seiner intendierten Wertmaterie anch dem vorgezogenen Wert widerstreitet und mit dem nachgesetzten Wert übereinstimmt. In dieser Übereinstimmung und diesem Widerstreit besteht nicht etwa "gut" und "böse"; wohl aber sind sie wesensnotwendige Kriterien für ihr Sein. Der Wert "gut" ist aber in zweiter Linie derjenige Wert, der am realisierenden Akt haftet, der innerhalb der höheren (bzw. höchsten) Wertstufe den positiven Wert, im Unterschied vom negativen Wert, realisiert; der Wert "böse", der an dem den negativen Wert realisierenden Akt haftet. (16) Der Zusammenhang des "gut" und "böse" mit den übrigen Werten, den KANT leugnet, besteht also; und damit auch die Möglichkeit einer materialen Ethik, die aufgrund der Rangordnung der übrigen Werte zu bestimmen vermag, welche Art von Wertrealisierung "gut" und "böse" sind. Für jede materiale Wertsphäre, über welche die Erkenntnis eines Wesens verfügt, gibt es eine ganz bestimmte materiale Ethik, in der die sachentsprechenden Vorzugsgesetze zwischen den materialen Werten aufzuweisen sind. Sie ist von folgenden Axiomen getragen:
2. Die Nichtexistenz eines positiven Wertes ist selbst ein negativer Wert. 3. Die Existenz eines negativen Wertes ist selbst ein negativer Wert. 4. Die Nichtexistenz eines negativen Wertes ist selbst ein positiver Wert. II. 1. Gut ist der Wert in der Sphäre des Wollens, der an der Realisierung eines positiven Wertes haftet. 2. Böse ist der Wert in der Sphäre des Wollens, der an der Realisierung eines negatien Wertes haftet. 3. Gut ist der Wert, der in der Sphäre des Wollens an der Realisierung eines höheren (höchsten) Wertes haftet. III. Das Kriterium für "gut" und "böse" besteht in dieser Sphäre in der Übereinstimmung des in der Realisierung intendierten Wertes mit dem Vorzugswert, bzw. im Widerstreit mit dem Nachsetzungswert. Entschieden zurückzuweisen ist aber die Behauptung KANTs, gut und böse hafte ursprünglich nur an den Akten des Willens. Was vielmehr allein ursprünglich "gut" und "böse" vor und unabhängig von allen einzelnen Akten trägt, das ist die "Person", das Sein der Person selbst, so daß wir vom Standpunkt der Träger aus geradezu definieren können: "Gut" und "Böse" sind Personwerte. Es ist einerseits klar, daß jede Rückführung des "gut" und "böse" auf die Erfüllung einer bloßen Gesetzmäßigkeit des Sollens diese Einsicht sofort unmöglich macht. Denn es hat keinen Sinn zu sagen, das Sein der Person sei "Erfüllung einer Gesetzmäßigkeit", sei "normgemäß", sei "richtig" oder "unrichtig". Wenn KANT den Willensakt als den ursprünglichen Träger des gut und böse ansieht, so ist dies auch eine Folge davon, daß er gut und böse nicht als materiale Werte gelten läßt und sie außerdem auf die Gesetzmäßigkeit eines Aktes (bzw. Gesetzwidrigkeit) zurückzuführen sucht. Person ist ihm ein Wesen X erst dadurch, daß es Vollzieher einer selbst unpersönlichen Vernunfttätigkeit ist, an erster Stelle der praktischen. Der Wert der Person bestimmt sich ihm daher erst nach dem Wert ihres Willens, nicht dieser nach dem Wert der Person. (17) In zweiter Linie aber sind Träger der spezifisch sittlichen Werte auch noch nicht einzelne konkrete Akte der Person, sondern die Richtungen ihres sittlichen "Könnens": des Könnens im Hinblick auf das Realisierenkönnen der durch die letzten Wertqualitätenarten differenzierten Gebiete des idealen Sollens, die als mit dem sittlichen Wert behaftet gedacht, "Tugenden" und "Laster" heißen. (18) Dieses "Können" aber (das mit allen bloß dispositionellen "Anlagen" nichts zu tun hat, für dessen spezifische Richtungen es aber auch wieder "Dispositionen" und "Anlagen", "Könnensanlagen" gibt) geht aller Idee der Pflicht voran als eine Bedingung ihrer Möglichkeit. Was nicht in der Spannweite des "Könnens" eines Wesens liegt, das kann zwar als Forderung des idealen Sollens noch an es ergehen; es kann aber niemals "Imperativ" für es sein und seine "Pflicht" heißen. (19) Erst in dritter Linie sind Träger des "gut" und "böse" die Akte einer Person, darunter auch die Akte des Wollens und Handelns. Vom Handeln als einem besonderen Träger der sittlichen Werte wird später die Rede sein. Hier sei nur hervorgehoben, daß es wieder eine durch nichts begründete Einseitigkeit der Kantischen Konstruktion ist, wenn er unter den Akten die Willens akte allein nennt. Es gibt eine Fülle von Akten, die durchaus keine Willensakte sind, aber gleichwohl Träger sittlicher Werte. Solche sind z. B. das Verzeihen, das Befehlen, das Gehorchen, das Versprechen und noch viele andere. Mit dem Gesagten ist der Wesensunterschied von "gut" und "böse" von allen materialen Werten, die in Gütern und Übeln liegen können, aufs schärfste abgetrennt. Denn die Person ist weder selbst ein Ding, noch trägt sie das Wesen der Dinghaftigkeit in sich, wie dies allen Wertdingen wesentlich ist. Als die konkrete Einheit aller nur möglichen Akte steht sie der ganzen Sphäre möglicher "Gegenstände" (seien sie Gegenstände der inneren oder der äußeren Wahrnehmung, d. h. seien sie psychische oder physische) gegenüber: erst recht also der gesamten dinghaften Sphäre, die ein Teil jener ist. Sie existiert nur im Vollzug ihrer Akte. (20) Aus dem Gesagten ist zu ersehen, wie völlig unbegründet die Alternative ist, die KANT bezüglich der Bedeutung der Worte "gut" und "böse" annehmen zu dürfen meint. "Wenn der Begriff des Guten nicht von einem vorhergehenden praktischen Gesetze abgeleitet werden, sondern diesem vielmehr zum Grund dienen soll, so kann er nur der Begriff von etwas sein, dessen Existenz Lust verheißt und so die Kausalität des Subjekts zur Hervorbringung desselben, d. h. das Begehrungsvermögen bestimmt. Weil es nun unmöglich ist, a priori einzusehen, welche Vorstellung mit Lust, welche hingegen mit Unlust werde begleitet sein, so käme es lediglich auf Erfahrung an, es auszumachen, was unmittelbar gut oder böse sei." (1. Teil, I. Buch, II. Hauptstück der Kritik der praktischen Vernunft) Nur die ganz unbegründete Voraussetzung, es gingen alle materialen Werte auf Kausalbeziehungen der Dinge auf unsere (wie das Folgende lehrt) noch dazu sinnlichen Gefühlszustände zurück, macht die Ansetzung dieser Alternative möglich. Erst diese Voraussetzung ist es, die ihn zu jenem "Paradox der Methode" führt: "daß nämlich der Begriff des Guten und Bösen nicht vor dem moralischen Gesetz (dem er dem Anschein nach sogar zugrunde gelegt werden müßte), sondern nur (wie hier auch geschieht) nach demselben und durch dasselbe bestimmt werden müsse." Ich sagte: auch darin besteht ein zweifelloses Verdienst der Ethik KANTs, daß KANT jede Form der Ethik zurückweist, welche die Werte gut und böse als Bestimmungen gewisser Zwecke ansieht oder doch im Verhältnis einer Person, einer Handlung, eines Wollens zur irgendeinem Zweck oder "Endzwecke" die konstituierende Bedingung für deren sinnvolle Anwendung sieht. Wären die materialen Werte erst aus irgendwelchen Zweckinhalten herauszuschälen oder gar etwas nur wertvoll, sofern es sich als Mittel zu irgendeinem Zweck auffassen läßt, so würde auch jeder Versuch einer materialen Wertethik von vornherein verwerflich. Dies schon aus dem einen Grund, weil dieser Zweck (z. B. Wohlfahrt der Gemeinschaft) selbst keinerlei "sittlichen Wert" mehr beanspruchen könnte, da ja dieser erst durch den Hinblick auf ihn entspringen und sein Sinn allein darin gegründet würde, ein Mittel zu bezeichnen, das diesem Zweck dient. Ob aber KANT auch darin recht hat, daß alle materialen Werte nur in der Beziehung auf ein zwecksetzendes Wollen existieren, das kann nur eine genaue Analyse über das Verhältnis des Zweckbegriffs zum Begriff des Wertes lehren. (siehe besonders Kritik der praktischen Vernunft Teil 1, Buch II, Haupstück I.) Wo wir von "Zweck" sprechen, da ist weder notwendig ein Hinblick auf ein Streben (21) gegeben, noch kann überall, wo Streben (in irgendeiner Form) vorliegt, von Zwecken die Rede sein. "Zweck" ist im formalsten Sinn nur irgendein "Inhalt" - eines möglichen Denkens, Vorstellens, Wahrnehmens -, der als zu realisierend gegeben ist, gleichgültig durch was, durch wen usw. Was immer zu dieser Realisierung oder besser zur Realität des Inhaltes des Zwecks im logischen Verhältnis einer Bedingung bzw. eines Grundes zu ihm als Folge steht, das ist im formalen Sinn "Mittel" für den "Zweck". Weder eine zeitliche Verschiedenheit von Mittel und Zweck, noch gar, daß dieses Realisierende ein "Streben", "Wollen", kurz überhaupt etwas "Geistiges" sei, liegt in der Natur dieses Verhältnisses. Auch keinerlei Hinblick auf eine bstimmte Zwecktätigkeit ist eingeschlossen, wo wir einer Sache einen "Zweck" zuschreiben oder Bestandteile ihrer als "zweckmäßig" für ihren Zweck bestimmen. Nur das ist allerdings wesentlich für den Zweck, daß der betreffende Inhalt zur Sphäre der (ideellen oder anschaulichen) Bildinhalte gehört (im Unterschied von bildlosen "Werten") und daß er als "zu realisierend" gegeben ist. Das heißt nicht etwa, daß er nicht zugleich real sein könnte. Die Beziehung auf die Zukunft ist dem Zweck nicht wesentlich. Auch ein reales Gebilde kann diesen und jenen Zweck "haben" (der wieder in ihm selbst oder außer ihm gelegen sein kann). Aber gleichwohl muß jener Inhalt in der Gegebenheitsweise eines Ideal-sein-sollenden vor Augen stehen, sofern er Inhalt eines "Zweckes" sein soll. Dieses "zu" realisierend steht also nicht im Gegensatz zum Realisierten; sondern nur zu allen Inhalten, die außerhalb er gesamten Sphäre des Seinsollens und Nichtseinsollens nur als seiende oder nichtseiende Gegenstände überhaupt betrachtet werden. Das "Seinsollen von etwas" bzw. das "Nichtseinsollen von etwas", d. h. ein Seinsollensverhalt ist also fundierend für jede Anwendung des Zweckbegriffs. Die oft gehörte Behauptung, der Begriff des Zweckes werde ursprünglich nur in der Sphäre des "Psychischen" oder gar des "menschlichen Willenslebens" anschaulich erfüllt und es sei nur eine "anthropomorphe Analogie", ihn auch außerhalb dieser beiden Sphären anzuwenden, entbehrt jedes Grundes. Auch wenn es eine Sphäre innerer Wahrnehmung mit psychischen Gegenständen gar nicht gäbe, könnte von Zwecken sinnvoll gesprochen werden. Dies ist übrigens auch KANTs richtige Meinung. Er bestimmt das Zweckmäßige in formalstem Sinne als "alles, dessen Idee den Grund seiner Realität bildet". Auch hierin steckt nichts von jenen falschen Beschränkungen seines Erscheinens. Doch liegt hierin bereits ein Hinblick auf die Kausalität des Zweckhaften, die nicht in seinem Wesen liegt. Auch da, wo wir es als ausgeschlossen wissen, daß die "Idee der Grund der Realität" ist, können wir sinnvoll von "Zwecken" reden. Wo immer wir nun von Willenszwecken (oder wo von menschlichen Willenszwecken) reden, da haben wir durchaus nur eine besondere Anwendung der Idee des Zwecks vor uns; nicht aber ihr ursprünglichstes und alleiniges Daseins- und Erscheinungsgebiet. Was das, als zu realisierend, weil als (ideal)seinsollend Gegebene zu realisieren tendiert, das ist hier eben das Wollen, der Mensch usw. Reden wir davon, daß "der Wille sich Zwecke setzt", daß "wir uns diesen Zweck setzen" - und in analoger Weise -, so betrifft jenes "Setzen" niemals die Zweck natur im betreffenden Zweck, sondern immer nur dies, daß dieser bestimmte Inhalt im Unterschied zu anderen der durch uns zu realisierende Zweck wird. Dies wird klar, wenn wir die Tatsache beachten, daß es nur und ausschließlich eine ganz bestimmte Stufe unseres Strebenslebens ist, auf dem der Zweck zur Erscheinung kommt. Nicht in allem Streben ist ein Zweck und ein Zweckinhalt gegeben. Von Zwecken ist zunächst überall da keine Rede, wo das Phänomen vorliert, daß "Etwas in uns aufstrebt". Wir erleben hier die Strebensbewegung in einem Fall ganz schlicht, ohne noch ein "Weg von einem Zustand" und ein "Hin zu etwas" mitzuerleben; so z. B. im Falle eines puren "Bewegungsdranges", in dem uns auch das Bewegen in keinem Sinn zu einem "Ziel", zu einem "Ers trebten" wird; noch weniger ein Ziel der Bewegung selbst gegeben ist. Es ist - sage ich - hierbei auch nicht nötig, daß der Ausgangszustand zuerst als irgendwie "unlustvoll" oder "unbefriedigend" erfaßt ist oder auch nur als irgendwie gesonderter erlebt ist, damit es zu diesem auf unser Ich hin gerichteten (nicht von ihm ausgehenden) "Aufstreben" komme. Es gibt einen Typus von Fällen, wo uns erst jene beginnende Unruhe des Aufstrebens bestimmt, auf unseren Zustand, sekundär seine objektiven Bedingungen, z. B. die dumpfe Lust oder die beginnende Dunkelheit eines Zimmers, hinzublicken und jenen Zustand und seine unlustvolle Natur bemerken läßt. Eine zweite Form, die bereits nach ihrem Ausgangspunkt hin schärfer bestimmt ist, ist ein Streben, das von vornherein durch ein "weg von" einem bestimmten als solchen erfaßten Zustand charakterisiert ist; nennen wir es das "Weg-" oder "Fortstreben", das aber von einem "Widerstreben" gegen jenen Zustand, in dem dieser schon als Objekt des "Wider" gegeben ist, deutlich unterschieden ist. Auch dieses "Weg-" und "Fortstreben" hat in seiner Anfangsbewegung noch keinerlei "Zielbestimmtheit". Es "findet" gleichsam nur eine "unterwegs" - ohne ursprünglich darauf gerichtet zu sein. Ein ganz neuer Typus ist da gegeben, wo das Streben - obzwar gleichfalls nicht vom Ich ausgehend, sondern an es herankommend - von vornherein eine deutliche "Richtung" aufweist; und zwar weder einen "Bildinhalt" (sei er bedeutungsmäßiger, sei er anschaulicher Natur, wie "Nahrung" oder diese "wahrgenommene Frucht") noch eine Wertmaterie, z. B. ein eigentümlich nuanciertes Angenehmes, geschweige gar eine Vorstellung solcher Inhalte. In den Tatbeständen, die wir gerne in die impersonale Form kleiden: "Es hungert mich", "es dürstet mich", liegt der Fall ziemlich klar vor. Solche "Richtungen" kommen dem Streben ganz ursprünglich zu. Es ist also durchaus nicht so, daß alles Streben erst durch eine sogenannten Ziel-"Vorstellung" "Richtung" erhält; das Streben selbst hat innere Richtungs unterschiede phänomenaler Natur; es ist nicht immer dasselbe Streben (eine gleichartige Bewegung), die sich erst durch die Mannigfaltigkeit der Vorstellungsinhalte zerlegte und differenzierte. Diese verbreitete Annahme ist eine völlig grundlose Konstruktion. Die Strebenserlebnisse dieses Typus sind vielmehr ganz unabhängig von solchen Vorstellungsinhalten durch ihre "Richtung" scharf bestimmt. Sie kommt uns scharf und klar zu gesondertem Bewußtsein, wo das Streben auf einen Wert hintrifft, der seiner Richtung entspricht oder ihm widerstreitet. Indem wir im ersten Fall die "Erfüllung" des Strebens, im zweiten den Widerstreit zu seiner "Richtung" erleben, hebt sich uns nun auch die "Richtung" scharf ab. Eine Identität der Gerichtetheit kann auch in einer Mehrheit gleichzeitiger oder sukzessiver Strebungserlebnisse vorliegen, die ganz verschieden Bild inhalte besitzen. Eine Richtung solcher Art ist eben nicht an erster Stelle eine Richtung auf einen besonderen Bild- oder Bedeutungsinhalt, sondern sie ist eine Wertrichtung, d. h. ein, in seiner besonderen unverwechselbaren Qualität erlebbares Gerichtetsein auf einen bestimmten Wert (der selbst darum nicht schon als eine fühlbare Wertqualität gegeben zu sein braucht). Erst in dieser Charakteristik nimmt das Streben die Färbung an, welche wir sprachlich als "Verlangen", als ein "Verlangen haben" oder auch als "Lust auf etwas haben" bezeichnen - ein Tatbestand, der von jedes "Lust an etwas", wo uns bereits ein bestimmter Gegenstand im Bild inhalt vorschwebt, ganz verschieden ist. In der ruhenden Weise eines relativ dauernden, fühlbar dispositionellen Zustandes wird dieselbe Stufe auch ein "Aufgelegtsein zu etwas" genannt. Zu diesem Typus stellen wir nun den davon unterschiedenen, wo der Begriff des Zieles seine Erfüllung findet. Strebensziele sind zunächst von Willenszwecken auf das klarste unterschieden. Das Ziel liegt im Verlauf der Strebung selbst; es ist nicht bedingt durch irgendeinen Aktus des Vorstellens, sondern es ist dem Streben selbst nicht anders "immanent", wie der "Inhalt" dem Vorstellen immanent ist. Wir finden das zielmäßige Streben auf sein Ziel hin gerichtet vor, ohne es durch das zentrale Wollen (oder Wünschen), das vom Ichzentrum herkommt, irgendwie zu setzen. Ein solches zielmäßiges Streben oder ein "Erstreben" kann selbst wieder als "zweckmäßig" oder "unzweckmäßig" beurteilt werden, wie das z. B. mit den instinktiven Strebungen geschieht. (22) Aber diese "Zweckmäßigkeit" ist dann eine objektive Zweckmäßigkeit, dieselbe, die auch das Organ eines Tieres haben kann für die Erhaltung der Gattung oder des Individuums. Nicht aber ist es darum ein "zwecktätiges" Geschehen. In jedem "Ziel" aber ist die Wertkomponente von der Bildkomponente zu unterscheiden. Sie befinden sich im eigentümlichen Verhältnis, daß es erstens zur Bildkomponente entweder gar nicht oder in allen möglichen Graden der "Deutlichkeit" und der "Klarheit" kommen kann, während die Wertkomponente bereits vollkommen klar und deutlich im Streben gegeben ist. Sodann im Seinsverhältnis, daß die Bildkomponente stets fundiert ist auf die Wertkomponente, d. h. der Bildinhalt nach Maßgabe seiner möglichen Geeignetheit die Wertkomponente zu realisieren gesondert ist. Was das erste betrifft, so finden wir häufig genug die Tatsache, daß ein Streben, das bereits einen Wert "immanent" hat, überhaupt nicht zu eine Bildinhalt gelangt, da sein Fortgang und die Entfaltung seines Bildinhaltes durch den Eintritt einer anderen stärkeren Strebung gehemmt wird. So etwa spüren wir mitten in einem wichtigen Geschäft einen "Zug" nach einer bestimmten Richtung der Umwelt, der vielleicht vom Gesicht eines Menschen ausgeht; folgen ihm aber nicht, so daß es zu einem Bildinhalt des Erstrebten nicht kommt; oder die bereits nach einem deutlich fühlbaren Wert gehende "Richtung" "paßt nicht" in den zeitweiligen Aufbau, das "System" unserer Strebungen hinein; das Streben fügt sich nicht in den jeweiligen Zusammenhang der Strebungen und wird durch ein vom Wert dieses Zusammenhangs ausgelöstes "Widerstreben" "unterdrückt" und damit unfähig gemacht, seinen Bildinhalt zu entfalten. Dasselbe geschieht häufig, wo uns ein auf "solche" Werte gerichtetes Streben schon an dieser Stelle seiner Entfaltung als "unrecht" oder "schlecht" gegeben ist. Andererseits kann das Streben aufgrund seiner Wertkomponente bereits die "Zustimmung" durch unser zentrales Ich erhalten haben, während der Bildinhalt noch bedeutend schwankt oder die Bildinhalte wechseln. Wir erleben hier die "Bereitschaft", z. B. "Opfer zu bringen" oder gegen Menschen "wohlwollend" zu sein, ohne noch die Objekte im Auge zu haben, an denen wir dies tun wollen und ohne noch die Inhalte der Opfer und der wohlwollenden Handlungen zu besitzen. Die Entschiedenheit hinsichtlich des Wertes des Erstrebten und die Unentschiedenheit hinsichtlich des Was und Woran (im bildhaften Sinne) heben sich hier deutlich ab. Sehen wir an dieser Stelle von einer noch schärferen Kasuistik der typischen Fälle, die hier vorliegen können, ab; dann bleibt die Frage, wie und auf welche Weise denn der Wert oder die Wertkomponente dem "Streben" immanent ist. Werte sind uns im Fühlen zunächst gegeben. (23) Muß nun das Fühlen dem Streben, das einen Wert so "immanent" hat, "zugrunde liegen", etwa so wie die Wahrnehmung dem Wahrnehmungsurteil "zugrunde liegt"? Müssen wir die Werte zunächst fühlen, die wir erstreben oder fühlen wir sie im "Erstreben" oder erst nachträglich, indem wir auf das Erstrebte reflektieren? Nun, wie es sich auch damit verhalte: Auf alle Fälle ist es hier nicht so, daß ein zuständliches Gefühl das Streben bewirkt oder daß ein solches Gefühl (z. B. Lust) das Ziel des Strebens bildet. Es kommen freilich auch diese Fälle vor. Wo ein zuständliches Gefühl oder ein typischer mit Viszeralempfindungen [Eingeweide betreffend - wp] durchsetzter Ablauf solcher Zustände (ein sogenannter "Affekt"), z. B. ein Handeln bestimmt, da mag zweierlei vorkommen: Entweder es kommt hier überhaupt nicht zu einem "Er streben", so daß sich der Affekt in eine Reihe ganz wertungerichteter Bewegungen umsetzt; der Fall eine rein impulsiven Handelns, der wohl kaum ganz rein in der Erfahrung liegt. Oder der Affekt führt irgendwelche Strebungen zur Auslösung; in diesem Fall sind diese aber durch den Affekt niemals eindeutig determiniert. Menschen in den gleichen Affektzuständen vermögen daher - je nach ihren Strebungsdispositionen - zu völlig verschiedenen Handlungen zu gelangen. Ist dagegen ein Gefühl, z. B. die Lust an einer Speise, das Ziel eines Strebens, da vermag auch sie es nur zu sein vermöge des Wertes (oder Unwertes, z. B. aufgrund ihrer "Sündigkeit"), die sie für das Individuum hat. Sie ist dann nicht etwa der unmittelbare Zielinhalt, sondern ihr Wert ist dieser. Brechen wir also ein für allemal mit der auch von KANT geteilten Voraussetzung des Hedonismus, der Mensch strebe "ursprüglich" nach "Lust" (oder gar noch nach Eigenlust)! Faktisch ist kein Streben dem Menschen ursprünglich fremder und keines ist "später" als dieses. Eine seltene (im Grunde pathologische) Verirrung und Perversion des Strebens (die wohl zuweilen auch zu einer sozialpsychischen Strömung geworden sein mag), in der alle Dinge, Güter, Menschen usw. nur als wertindifferente mögliche "Lusterreger" gegeben sind, mache man doch nicht zu einem "Grundgesetz" menschlichen Strebens! Aber sehen wir hier von diesem Irrtum ab. Auch da, wo die Lust zum Ziel des Strebens wird, erfolgt dies in der Intention, daß sie einen Wert oder ein Unwert sei. Darum ging auch der (echte) antike Hedonismus z. B. der des ARISTIPPOS durchaus nicht - wie bei vielen Modernen - von dem Satz aus, daß "Der Mensch nach Lust" strebt oder daß jedes Streben auf eine Lust abziele; auch nicht von dem irrigen Unternehmen, die Begriffe "Wert", "Gut", "das Gute" auf die Lust zurückzuführen in einem sei es genetischen, sei es begriffsklärenden Sinne; sondern von der ganz entgegengesetzten Ansicht, daß der "natürliche Mensch" nach bestimmten Güterdingen strebe, z. B. nach Besitz, nach Ehre, Ruhm usw., daß aber eben hierin die "Torheit" des "natürlichen Menschen bestehe; denn der höchste Wert - hier nicht vom "summum bonum" geschieden - sei eben die Lust an Besitz, Ehre, Ruhm usw., nicht aber diese Güter selbst; und nur der "Weise", der diese Wert einsicht habe, suche die natürliche Jllusion, die uns diese Dinge der Lust an ihnen vorziehen lasse, zu verlernen und sehe, da die Lust selbst der höchste "Wert" sei - ein Begriff, er hier vorausgesetzt wird, nicht aber abgeleitet von der Lust -, daß nur die Lust erstrebt werden solle. Diese Ethik ist material falsch; aber sie ist in ihrer Methode wenigstens sinnvoll und teilt durchaus nicht jenes Vorurteil, das wir hier zurückweisen. Denn zweifellos ist das Lust erlebnis an einem Wert selbst wieder ein Wert; und je nachdem der Wert positiv oder negativ ist, ein positiver oder negativer Wert. Nach Abweisung dieser Irrungen kommen wir zur Frage zurück, wie der Wert im Streben gegeben sei. Nun ist jedenfalls die Wertgegebenheit nicht an das Streben gebunden; weder in dem Sinn, daß positiver Wert = "Erstrebtwerden" sei, negativer Wert - "Widerstrebtwerden"; noch in dem anderen, daß Werte uns nur im Streben gegeben sein müßten (soweit sie natürlich nicht die Werte des Strebens selbst sind, die in seinem Vollzug fühlbar werden und von den erstrebten Werten ganz verschieden sind). Denn wir vermögen Werte (auch sittliche) z. B. im sittlichen Verstehen anderer zu fühlen, ohne daß sie erstrebt werden oder einem Streben immanent sind. So vermögen wir auch einen Wert einem anderen "vorzuziehen" und "nachzusetzen", ohne gleichzeitig zwischen vorhandenen Strebungen, die auf diese Werte gehen, zu "wählen". Werte können also ohne jedes Streben gegeben und vorgezogen werden. Auch besteht gar kein Zweifel - wenn wir die Tatsachen fragen und nicht leeren Konstruktionen folgen -, daß positiven Werten widerstrebt werden kann (d. h. Werten, die gleichzeitig als positive Werte "gegeben" sind) und daß negative Werte erstrebt werden. (24) Schon dadurch ist es ausgeschlossen, der Wert sei nur das jeweilige X eines Strebens oder Widerstrebens. Wohl aber besteht die häufige Werttäuschung, etwas für positiv wertvoll zu halten, weil es uns in einem Streben gegeben ist; für negativ wertvoll, was im Widerstreben. So pflegen wir alle Werte, für die wir ein positives Streben haben (oder besser für die wir das "Erstreben-können" erleben), zu überschätzen; diejenigen aber, die wir zwar noch fühlen, die zu erstreben wir uns aber ohnmächtig wissen, zu unterschätzen (bzw. in gewissen Fällen) durch einen Täuschungsvorgang in negative Werte umzufühlen; ein Prozeß, der einen notwendigen Bestandteil in der Ressentimenttäuschung über Güter und Werte bildet. (25) Alle Anpassung unserer Werturteile an unser jeweilig bloß faktisches Strebenssystem, wie es die unechte Resignation und die unechte Scheinaskese (26) kennzeichnet, ist in dieser Grundform der Wertetäuschung gegründet. Aber gerade daraus ist zu ermessen, wie völlig irrig eine Theorie ist, welche diese Form von Werte täuschungen zur normalen und echten Form der Werteerfassung, ja zu einer Art Hervorbringung von Werten machen will. (27) Ist also das Haben von Werten in keinem Sinn an ein Streben gebunden, so ist nun die weitere Frage zu stellen, ob es ein Wesensgesetz ist, daß wo immer ein Streben ist (dieser Stufe), ein Fühlen der Wertkomponente seines Zielinhalts es fundiert, oder ob Werte auch ursprünglich in einem Streben zur Erscheinung kommen können und - höchstens nachträglich noch als Werte gefühlt werden. Ein Wesenszusammenhang ist es nun jedenfalls, daß zu jedem Wert, der im Streben gegeben ist, auch ein mögliches Haben dieses Wertes im Fühlen "gehört". Eben darum kann der erstrebte Wert auch im Fühlen dieses Wertes als "derselbe" identifiziert werden. Dagegen erscheint es uns nicht gleich einsichtig, daß jedem Streben noch ein Wertfühlen auch faktisch in der Weise der Fundierung zugrunde liegen muß, wie z. B. eine Wahrnehmung dem Wahrnehmungsurteil zugrunde liegt. Häufig erfassen wir Werte erst im Erstreben derselben und wir hätten sie niemals erlebt, wenn wir nicht nach ihnen gestrebt hätten. So wird uns häufig erst an der Größe der Befriedigung eines Strebens klar bewußt, wie hoch für uns der Wert war, den wir erstrebten. (28) Aber darum "ist" nicht etwa diese "Befriedigung" mit dem Wert identisch; als wären die Werte selbst nur Symbole für die Befriedigung oder Nichtbefriedigung. Analog können wir uns auch selbst die Frage vorlegen, welchen Wert (oder welches Gut) wir einem anderen Wert vorziehen (bzw. welcher Wert der höhere ist oder welches Gut uns das wertvollere) und diese Frage durch das "Gedankenexperiment" so zu entscheiden suchen, daß wir uns gleichsam fragen, welches wir mehr als das andere erstreben würden, indem wir auf die Strebungen lauschen, die sich als Reaktionen auf die vorgestellten Werte einstellen; z. B. in der Frage, wer uns von zwei Menschen lieber ist, welchen wir in Todesgefahr zuerst retten würden; welche Speise wir wählen würden, wenn uns beide angeboten würden. Aber auch hier konstituiert nicht etwa das praktische Vorziehen das Höhersein des Wertes oder auch nur sein Vorziehen im Sinne der Werterfassung. Es ist nur eine subjektive Methode, uns zur Klarheit zu bringen, welcher uns der höhere ist. Sehen wir nun, wie sich zu diesen Grundtatsachen allen Strebens die Willenszwecke verhalten. Die Strebensziele sind - so sehen wir - in keiner Weise vorgestellt oder gar beurteilt; weder ihrer Wert- noch ihrer Bildkomponente nach. Sie sind gegeben im Streben selbst, bzw. im gleichzeitigen oder vorangängigen Fühlen der in es eingehenden Wertkomponente. Es ist also 1. durchaus nicht vorausgesetzt, daß die Bildinhalte des Strebens zunächst in der Weise der gegenständlichen Erfahrung, z. B. der Wahrnehmung, der Vorstellung des Denkens usw. "gegeben" sein müßten; sie werden erfahren im Streben, nicht vor demselben. Nicht erst Vorstellungsinhalte differenzieren ein (gleichförmiges) Streben zu diesem und jenem Streben (z. B. Streben nach Nahrung, nach Durstlöschung usw.), sondern die Strebungen selbst sind
2. durch ihre Wertkomponente im "Ziel", 3. durch den auf diese Wertkomponente sich aufbauenden Bild- oder Bedeutungsinhalt bestimmt und differenziert. Es sind aber 2. die Bildinhalte des Strebens nicht seine "primären", sondern seine - wie früher gezeigt - "sekundären" Inhalte, die erst nach Maßgabe der Wertmaterien aus den möglichen "Inhalten" eines nach "Streben" und "Vorstellen" noch ungeschiedenen "Bewußtseins von etwas" überhaupt, ausgewählt sind. Nur die Bildinhalte, die Träger einer solchen Wertmaterie werden können, gehen als Bildkomponente in das "Ziel" des Strebens ein. Demgegenüber sind Willenszwecke an erster Stelle auf irgendeine noch variable Weise vorgestellte Zielinhalte von Strebungen. Das heißt was den "Zweck" scheidet vom bloßen "Ziele", das "im" Streben selbst, in seiner Richtung gegeben ist, das ist, daß irgendein solcher Zielinhalt (d. h. ein Inhalt, der bereits als Ziel eines Strebens gegeben ist) in einem besonderen Akt vorstellig wird. Erst im Phänomen des "Zurücktretens" aus dem strebenden Bewußtsein (30) in das vorstellende Bewußtsein und dem vorstellenden Erfassen (31) des im Streben gegebenen Zielinhaltes realisiert sich das Zweckbewußtsein. Alles, was Willenszweck heißt, setzt also bereits die Vorstellung eines Zieles voraus! Nichts kann zu einem Zweck werden, was nicht vorher Ziel war! Der Zweck ist fundiert auf das Ziel! Ziele können ohne Zwecke, niemals aber Zwecke ohne vorangängige Ziele gegeben sein. Wir können einen Zweck nicht aus nichts erschaffen oder ihn ohne vorgängiges "Streben nach etwas" "setzen". "Zweck" aber unseres Wollens (oder eines Wollens überhaupt) wird ein so vorgestelltes Ziel dadurch, daß der so gegebene Inhalt des Zieles (und zwar sein Bildinhalt) als ein zu realisierender (d. h. real "seinsollender") gegeben ist, d. h. eben "gewollt" wird. Während das Streben auf der Stufe des bloßen Wertbewußtseins seines Zieles verharren kann, ist das seines Zweckes bewußte Wollen immer bereits das Wollen von etwas bildmäßig oder bedeutungsmäßig Bestimmten; es ist eine "Materie" im Sinn einer bestimmten Bildhaftigkeit. Beide Momente, die Vorstellung des Zielinhaltes und das Realseinsollen müssen im "Willenszwecke" da sein. Ist nur das erste der beiden Momente da, so besteht ein bloßer "Wunsch" (der also auch im Unterschied vom Streben die Vorstellung des Zieles voraussetzt). "Zwecke" aber können nie in bloßen "Wünschen" gegeben sein oder "gewünscht" sein. Wir können wünschen, daß wir uns einen gewissen Zweck setzen könnten, oder "daß wir in der Richtung eines Zweckes wollen könnten" oder "wollten"; ein Zweck aber kann nicht gewünscht, sondern nur gewollt werden. Aber auch das Wünschen, daß etwas sei, setzt ein Streben nach etwas voraus. Dagegen fehlt im Wunsch das Wirklichseinsollen auch phänomenal. Andererseits tritt in der Sphäre des "Wollens" die Vorstellung des Gewollten und das Wollen selbst klar und scharf auseinander. Jedes Zweckwollen ist so bereits fundiert durch einen Akt des Vorstellens; aber andererseits immer nur des Vorstellens vom Inhalt eines Strebenszieles, nicht irgendeines beliebigen Vorstellens. Eben dieses Auseinandertreten findet sich im Streben noch nicht. Das Gesagte genügt, um zur Einsicht zu gelangen: 1. Daß mit der Verwerfung einer materialen Zweckethik, d. h. einer Ethik, die irgendeinen materialen vorgestellten Bild inhalt oder seine Realisierung uns als "gut" aufweisen möchte, durchaus noch nicht auch eine "materiale Wert ethik" verworfen ist. Denn die Werte sind nicht von Zwecken abhängig oder von Zwecken abstrahiert; sondern liegen bereits den Strebenszielen, erst recht also den Zwecken zugrunde, die selbst wieder auf Ziele fundiert sind. Gewiß also muß an jedes Setzung eines Zwecks und eines jeden Zwecks bereits der Anspruch ergehen, daß sie sittlich richtig erfolgt - wie KANT treffend sagt. Aber dieses sittlich "richtig" hängt darum nicht weniger von materialen Werten und Wertverhältnissen ab, eben jenen, die bereits Komponenten der Zielinhalte der Strebensakte sind. Nach ihnen und nicht nur nach einem "reinen Gesetz" seines Vollzuges kann sich und soll sich das Wollen, daß einen Zielinhalt zum Zweck macht, "richten". Es ist darum nicht weniger "material" bedingt, obzwar es nicht zweck bedingt ist (wie alles bloß technische Wollen, das die Mittel um eines Zweckes willen will). Da die Bildinhalte des Strebens (und Widerstrebens) sich nach den Wertqualitäten richten, die primär die Materien des Strebens sind, so setzt eine Ethik, die materiale Wert ethik ist, keinerlei "Erfahrung" im Sinne von "Bilderfahrung", also auch keinerlei sogeartete Erfahrungsmaterien voraus. Erst die Zwecke enthalten solche Bildinhalte notwendig. Da weiterhin erst in das zweckhafte Wollen ein AKt der gegenständlichen Erfahrung (d. h. ein Akt des "Vorstellens") eingeht, nicht aber in das zielmäßige Streben, so ist auch eine materiale Wertethik von gegenständlicher Erfahrung überhaupt (erst recht von der Erfahrung der Wirkung der Gegenstände auf das Subjekt) völlig unabhängig. Gleichwohl ist sie materiale und nicht formale Ethik. Da die Bildinhalte des Strebens sich nach den materialen Werten und ihre Verhältnisse sich nach den Verhälttnissen zwischen den materialen Werten richten, so ist eine materiale Wertethik gegenüber dem gesamten Bild gehalt der Erfahrung a priori. Hierzu noch eine wichtige Bemerkung. Der Willenszweck entspringt aus einem Wahlakt, der gestützt auf die Wertziele der vorhandenen Strebungen erfolgt und der durch einen Akt des Vorziehens zwischen diesen Materien fundiert ist. Nun nennt KANT alles, was wir vorher als verschiedene typische Fälle des Strebens charakterisierten und was so gleichsam unterhalb der Sphäre des "eigentlichen" zentralen Wollens liegt, abwechselnd die Sphäre der "Neigungen" oder auch die Sphäre der "Triebimpulse". Und er setzt nun für seine ganze fernere Erörterung den Satz voraus von der sittlichen Wertindifferenz aller "Neigungen", wie ich alle Erlebnisse des bloßen Strebens nennen will. Analog wie er in der theoretischen Philosophie die Materie der Anschauung mit einem "Chaos", einem "ungeordneten Gewühl" von Empfindungen gleichsetzt, in das erst der "Verstand" nach den ihm immanenten Funktionsgesetzen, die in aller Erfahrung gelegenen Formen und Ordnungen bringen soll, so - meint er - seien auch die "Neigungen" und "Triebimpulse" zunächst ein Chaos, in das erst der Wille als praktische Vernunft nach einem ihm eigenen Gesetz jene Ordnung bringe, auf die er die Idee des "Guten" meint zurückführen zu dürfen. Diesen Satz von der sittlichen Wertindifferenz der "Neigungen" sind wir bereits jetzt imstande zurückzuweisen. Weit entfernt, daß der tiefste sittliche Wertunterschied zwischen den Menschen läge in dem, was sie sich wählend zum Zweck setzen, liegt er vielmehr in den Wertmaterien und in den bereits triebhaft (und automatisch) gegebenen Aufbauverhältnissen zwischen ihnen beschlossen, zwischen denen allein sie zu wählen und Zwecke zu setzen haben; die also den möglichen Spielraum für ihre Zwecksetzung abgeben. Gewißt ist sittlich "gut" nicht unmittelbar die "Neigung", das Streben und Aufstreben (in unserem Sinne), sondern der Willensakt, in dem wir den (fühlbar) höheren Wert zwischen Werten, die in Strebungen "gegeben" sind, erwählen. Aber er ist der "höhere Wert" schon in den Strebungen selbst, nicht erst entspringt dieses Höhersein aus seinem Verhältnis zum Wollen. Unser Wollen ist "gut", sofern es den in den Neigungen gelegenen höheren Wert erwählt. Das Wollen "richtet sich" nicht nach einem ihm immanenten "formalen Gesetz", sondern es richtet sich nach der im Vorziehen gegebenen Erkenntnis vom Höhersein der in den Neigungen gegebenen Wertmaterien. Und es ist dann klar, daß sein eigener möglicher sittlicher Wert an erster Stelle davon abhängt, welche Wertmaterien überhaupt ihm im Streben zur Wahl vorliegen und welche Höhe sie repräsentieren (in der objektiven Ordnung), desgleichen welche Fülle und Differenzierung zwischen ihnen vorliegt. (32) Der sittliche Wert des Menschen, der in diesem Faktor steckt, vermag niemals durch das willentliche Verhalten ersetzt oder in solches umgerechnet werden - etwa als Ergebnis eines früheren solchen Verhaltens. (33) In zweiter Linie aber ist der mögliche sittliche Wert des Wollens davon abhängig, in welcher Ordnung des Vorzuges die Strebungen an die Sphäere des zentralen Wollens treten. Denn es ist eben eine völlig irrige Voraussetzung KANTs, daß die automatisch auftretenden Strebungen, all das z. B., wozu sich "ein Mensch versucht fühlt", ein völliges "Chaos" darstellen, eine dem bloßen Prinzipg der mechanischen assoziativen Verknüpfung folgende Summe von Vorgängen, in die erst der "vernünftige Wille", die "praktische Vernunft" Ordnung und sinnvollen Aufbau zu bringen habe. Vielmehr ist es eben für die hochstehende sittliche Natur eines Menschen charakteristisch, daß bereits das unwillkürliche automatische Auftreten seiner Strebensregungen und der materialen Werte, auf welche diese "zielen", in einer Ordnung des Vorzuges erfolgt, daß sie - gemessen an der objektiven Rangordnung der materialen Werte - ein für das Wollen bereits weitgehend geformtes Material darstellen. Die Vorzugsordnung wird hier - mehr oder weniger weitgehend und für verschiedene materiale Wertgebiete in verschiedenem Maß - zur inneren Regel des Automatismus des Strebens selbst und schon der Art und Weise, wie die Strebungen an die zentrale Willenssphäre gelangen. Der modernen Denkpsychologie (34) kommt das hohe Verdienst des Nachweises zu, daß der automatische Gang des normalen Vorstellens, wie er sich unabhängig von den Akten des Urteilens, des Schließens und aller willkürlichen Aufmerksamkeit - der gesamten "apperzeptiven" Sphäre - vollzieht, durchaus nicht auf Grund der Assoziationsgesetze verständlich ist. Vielmehr zeigt er überall eine logische Gerichtetheit, eine vernünftige Zielmäßigkeit, die man verschieden beschrieben hat, zum Teil mit dem Ausdruck, daß der Vorstellungsgang unter der Herrschaft von "Obervorstellungen" (35) oder determinierende Bedeutungseinheiten (36) oder eines eigentümlichen wechselnden Regelbewußtseins stehe oder unter der Herrschaft der "Aufgabe" bzw. eines sonstigen Denkzieles. Ich gehe auf den Wert dieser Beschreibungen hier nicht ein. Nur in den Erscheinungen der pathologischen Ideenflucht findet sich ein sukzessiver Ausfall dieser Faktoren und eine Annäherung an das mechanische Assoziieren; auch hier - wie ich glaube - kein eigentliches vollständiges Erreichen derselben. Die scheinbar mechanische assoziative Verbindung zeigt sich bei genauerer Untersuchung auch in diesen Fällen, sowie im Leben des Tages- und Nachttraums, von solchen - wenn auch dem normalen Leben fremden oder nur untereinander weniger strukturvollen - determinierenden Faktoren beherrscht. (37) Eine genaue Analogie zeigen die Tatsachen des unwillkürlichen Strebens. Auch hier hält bereits der bloße Automatismus des "Aufstrebens" der Strebungen einen Sinn ein, eine Ordnung des - nach objektiver Ordnung der Werte - "Höheren" und "Niedrigeren", der nur in den seltenen Fällen partieller Strebensperversionen oder schwerer krankhafter Willensstörungen mehr oder weniger verloren geht. Die Strebungen bauen sich aufeinander auf und folgen einander im Sinne einer Zielmäßigkeit - die natürlich empirisch eine ungemein wechselnde sein kann nach dem Grad der Zielmäßigkeit, nach ihrer Stärke und der Struktur ihres Aufbaus - die aber immer vorhanden ist. Eine Ethik, die wie die Ethik KANTs diesen Tatbestand nicht beachtet und von einem Chaos von "Neigungen" ausgeht, die selbst völlig wertfrei nach Inhalt und Aufbau, erst durch den vernünftigen Willen zu formen und zu ordnen seien, muß natürlich in prinzipielle Irrtümer geraten.
1) Vgl. hierzu meinen Aufsatz über Selbsttäuschungen, Zeitschrift für Pathopsychologie I, Seite 139f. 2) Wohl aber gibt es Konsequenz und Widerstreit, sowie sehr mannigfache Arten von Folgeverhältnissen zwischen den Werthaltungen, die aber nicht logischer Natur sind, sondern einer selbständigen Gesetzmäßigkeit des Wertbereichs angehören und auf Wesenszusammenhänge und Wesensunverträglichkeiten zwischen den Werten selbst gründen. 3) Man verwechsle diese Lehre nicht mit der später zu erwähnenden Theorie, welche die Wert auf "permanente Möglichkeiten" oder auf eine bestimmte Ordnung im Ablauf solcher Gefühle und Begehrungen, ihr subjektives Dasein für uns aber, das Wertbewußtsein, auf Gefühls- und Begehrungsdispositionen oder eine "Erregung" solcher Dispositionen zurückführt - ganz analog wie der Positivismus das Ding der Wahrnehmung auf eine Ordnung im Ablauf von sinnlichen Erscheinungen bzw. (subjektiv) auf einen Erwartungszusammenhang zwischen solchen zurückführt -, so daß sich der Wert zu den aktuellen Gefühlen so verhielte, wie das Ding zu den Empfindungsinhalten. 4) Für Gefühle müßte man dann von einem größeren Grad der Erregbarkeit reden, was mit der Intensität der Gefühle (der Lust und Unlust) natürlich nicht zusammenfiele. 5) Ich behandle sie im zweiten Teil der Abhandlung im Abschnitt: Materiale Ethik und Hedonismus. 6) Das letztere gilt für alle Relationen. 7) Aus dem Gesagten ist klar, wie unbegründet es ist, die Werte darum als "nur subjektiv" ansehen zu wollen, weil sich die Werturteile über dieselbe Sache häufig widersprechen. Das Argument ist hier so ungegründet, wie bei den bekannten DESCARTESschen und Herbartschen Argumenten für die Farben und Töne; bzw. wie dort, wo man die Einheiten der Grundfarben als willkürlich ansetzt, da hinsichtlich ihrer Unterscheidung auf dem Spektrum oft Schwanken herrscht, wo die eine Farbe beginnt und die andere endet. 8) HANS CORNELIUS, Einleitung in die Philosophie und Psychologie als Erfahrungswissenschaft. 9) Da sich Werte vor allem nach höher und niedriger scheiden, so setzen wir besser beim Gut das Wort "Hierarchie" als, wie beim Ding, "Struktur". 10) Der juristische Begriff der "Sache", der bereits die Scheidung von Gut und Ding voraussetzt, darf damit nicht gleichgesetzt werden. 11) "Material" ist alle Materie, sofern sie unabhängig von ihrer dinglichen Gliederung zur Güterbildung verwandt wird. 12) Vergleich zu dem hier Gesagten meine Abhandlung über "Ressentiment und moralisches Werturteil". Desgleichen WÖLFFLIN, Der Stil in der bildenden Kunst (Abhandlung der preußischen Akademie der Wissenschaften, 1912). 13) Siehe den II. Teil dieser Abhandlung. 14) "Gut" im absoluten Sinn ist nicht gleich mit "gut" im unendlichen Sinne, ein "gut", das nur der Idee Gottes zukommt. Denn nur in Gott können wir in jedem Fall den absolut höchsten Wert auch als erfaßt ansehen. 15) Nicht der Akt des Vorziehens und Nachsetzens ist "gut" oder "böse"; denn diese Akte sind Erkenntnisakte, nicht Willensakte. 16) Höhere und niedrigere Werte bilden eine Ordnung, die von der positiven und negativen Natur des Wertes, die auf jeder Höhenlage stattfindet, natürlich völlig verschieden ist. Siehe hierzu Kapitel II dieses Abschnitts. 17) Siehe hierzu den II. Teil dieser Abhandlung, Abschnitt: Autonomie und materiale Ethik. 18) Bei KANT fehlt charakteristischerweise eine eigentliche Tugendlehre. Für ihn ist "Tugen" nur ein Niederschlag der einzelnen pflichtgemäßen Akte, die ja allein ursprünglich "gut" sind. Faktisch ist die Tugend (bzw. das Laster) fundierend für den sittlichen Wert aller einzelnen Akte. Die Tugendlehre geht der Pflichtenlehre voran. 19) Über den Unterschied des idealen Sollens von Norm und Pflicht siehe den II. Teil dieser Abhandlung. 20) Siehe hierzu den II. Teil der Abhandlung, wo ich den Begriff der Person eingehend entwickle. 21) "Streben" bezeichne hier die allgemeinste Grundlage der Erlebnisse, die sich einmal von allem haben von Gegenständen (Vorstellen, Empfinden, Wahrnehmen), sodann von allem Fühlen (Gefühlen usw.) scheiden. 22) Wenn wir sie z. B. "als zweckmäßig für die Arterhaltung" usw. beurteilen. 23) Genaueres über die Natur dieses "Fühlens" bringt der II. Teil dieser Abhandlung. 24) Sowenig "wahr" und "falsch" mit positiven und negativen Urteilen zu tun haben, sowenig Streben und Widerstreben mit Wert und Unwert. Es ist daher ein genau analoger Irrtum, wenn man meint, das negative Urteil für eine bloße "Fürfalscherklärung" des wahren Urteils ansehen zu dürfen. Negative und positive Urteile können gleich ursprünglich "wahr" und "falsch" sein, je nachdem sie mit dem Sachverhalt übereinstimmen oder ihm widerstreiten. Und analog kann auch ein Widerstreben so ursprünglich "gut" sein, wie ein Streben "schlecht" sein kann; je nachdem der Wert positiv oder negativ ist, der erstrebt wird. 25) Siehe hierzu meine Abhandlung über "Ressentiment und moralisches Werturteil", 1912 26) Echte Resignation ist Verzicht, einen Wert zu erstreben unter Anerkennung seines positiven Wertes und im positiven Fühlen seiner. 27) So z. B. SPINOZA in seinem Satz: Gut ist, was wir begehren, schlecht, was wir verabscheuen; gut und schlecht seien daher "entia rationis" [Gedankendinge - wp]. 28) Die Befriedigung z. B. über ein Geschehen, etwa die Anwesenheit eines Menschen, die wir nicht erwarteten und voraussahen oder (in negativen Fällen) über einen Todesfall, den wir wünschten, ohne uns diesen "schlechten" Wunsch "einzugestehen", bringt uns häufig auch erst die Tatsache zum Bewußtsein, daß wir es erstrebten. 29) Wer dies verkennt, wie z. B. FRANZ BRENTANO, der jeden Akt des Begehrens auf einen Akt des Vorstellens fundiert sein läßt, intellektualisiert das Strebenslebens, indem er es fälschlich nach Analogie des zweck haften Wollens konstruiert. 30) Strebendes Bewußtsein ist also scharf geschieden von jedem bloßen "Bewußtsein des Strebens", verstehe man darunter eine Reflexion auf das Streben oder gar eine "innere Wahrnehmung" des Strebens, in der das "Bewußtsein" ja von selbst wieder "gegenständliches Bewußtsein" ist. 31) Eine genauere Analyse der Stufen dieses Prozesses nach Absicht, Überlegung, Vorsatz usw. siehe später. 32) Es wäre natürlich eine petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp], zu sagen, es könne der "Reichtum" einer sittlichen Natur darum niemals den sittlichen Wert des Wollens mitbestimmen, da wir für diesen "nichts können", da er nicht durch das Wollens für seinen sittlichen Wert gleichgültig ist. Vergleiche außerdem meinen Aufsatz über Ressentiment und moralisches Urteil und das Folgendes bezüglich des "Selbsterworbenen". 33) Das natürlich auch nicht so, daß man die erbliche Übertragung selbsterworbener Eigenschaften der Vorfahren heranzieht. 34) Siehe OSWALD KÜLPE und besonders HUGO LIEPMANN in seinem Werk über "Ideenflucht". 35) So LIEPMANN in seinem Werk über "Ideenflucht". 36) Nicht etwa im Bewußtsein gegebener "Bedeutungen". 37) Die Assoziationsprinzipien werden auch der modernen Psychologie immer mehr zu dem, was sie für die Phänomenologie sind, nämlich zu auf Wesenszusammenhängen beruhenden Prinzipien zum Verständnis unseres seelischen Lebens, die - gleich den mechanischen Prinzipien - eine rein ideale Bedeutung haben und von der auf Beobachtung beruhenden Erfahrung niemals erfüllt und bestätigt werden und werden können. |