ra-1cr-2M. MerlekerHönigswaldP. RichterA. RiehlF. H. Jacobi    
 
ALEXIUS MEINONG
Zur Geschichte und Kritik
des modernen Nominalismus

[ Hume-Studien I ]
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"Wir können von großen Zahlen keine adäquate Idee bilden, dennoch stört uns dies nicht im Denken; ebenso sprechen wir von verwickelten Dingen wie  Regierung, Kirche, Unterhandlung, Eroberung,  ohne uns alle in diesen Komplexen enthaltenen einfachen Ideen zu vergegenwärtigen, - gleichwohl werden wir nichts Widersprechendes von ihnen aussagen, weil sich die  Gewohnheit,  die  Ideen  in gewisse Relationen zu bringen auf die  Worte  erstreckt."

"Keine Impression kann in unser Bewußtsein gelangen, ohne bezüglich eines Grades von Qualität und Quantität determiniert zu sein. Gibt es keine Impression ohne einen bestimmten Grad, so noch viel weniger eine ohne diese Qualität und Quantität selbst; jede einfache Idee kann daher nicht anders als durch Abstraktion entstanden sein."

"Dasselbe Wort wird für sehr viele und sehr verschiedene Dinge gebraucht; dasselbe Ding wird (und zwar, wie es scheint, ganz grundlos) mit einer sehr großen Anzahl verschiedener Namen benannt, - es ist also nicht abzusehen, wie sich unter so ungünstigen Umständen eine auch nur einigermaßen merkliche Assoziation zwischen Wort und Idee bilden könnte."

DAVID HUME schließt sich in seinem ersten und umfangreichsten Werk, dem "Treatise concerning human nature", das wir hier zunächst allein in Betracht ziehen, bezüglich der Abstraktionsfrage ausdrücklich an BERKELEYs Forschungen an; er nennt das Resultat derselben "eine der wertvollsten Entdeckungen, welche in den letzten Jahren in der Republik der Wissenschaften gemacht worden sind", und stellt sich nur die Aufgabe, diese Entdeckung durch einige neue Argumente völlig außer Zweifel zu ziehen (48). Durch diese Erklärung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt, scheint das Verhältnis der beiden Denker zueinander in klarster Weise festgestellt; und wirklich hat man niemals Bedenken getragen, HUMEs Abstraktionstheorie als einfache Wiederholung und höchstens als eine Neubegründung der BERKELEYschen zu bezeichnen, - auch der neueste und wohl gründlichste Darsteller der HUMEschen Philosophie, EDMUND PFLEIDERER (49) macht hierin keine Ausnahme.

Aber trotzdem möchte es vielleicht nicht ratsam sein, aufgrund dessen, was HUME selbst über seine Beziehungen zu BERKELEY sagt, die Art, in der der die Ansicht BERKELEYs wiedergibt, ganz und gar zu vernachlässigen. BERKELEY, sagt er, "hat behauptet, alle allgemeinen Ideen sind nichts als partikuläre, geknüpft an einen bestimmten Ausdruck, der ihnen eine ausgedehntere Bedeutung verleiht und bewirkt, daß sie bei Gelegenheit andere Individuen, die ihnen ähnlich sind, ins Gedächtnis rufen". (50) Ist dies nun wirklich BERKELEYs Ansicht? (51) Wenn wir dieselbe oben richtig dargestellt haben, so liegt der Unterschied auf der Hand. Richtig ist, daß nach BERKELEY wie nach HUME die allgemeinen Ideen partikuläre Ideen mit allgemeiner Bedeutung sind; (52)  falsch  ist aber, daß sie nach BERKELEY ihre Allgemeinheit den an sie geknüpften Ausdrücken verdanken. Schon oben (53) wurde dargetan, daß nichts in BERKELEYs Ausführungen auf einen Zusammenhang zwischen Worten und allgemeinen Ideen hinweist; daß aber vollends HUMEs Interpretation den Intentionen des Irländers geradezu widerstreitet, ergibt sich leicht aus folgender Erwägung: Gegen Ende der oft zitierten Einleitung in die "Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis" lesen wir:
    "Weil demgemäß Worte so leicht den Geist zu täuschen vermögen, so werde ich, welche Ideen ich auch immer betrachte, versuchen, sie gleichsam bloß und nackt anzuschauen,  indem ich aus meinem Denken,  so weit ich es vermag,  jene Benennungen enterne,  welche eine lange und beständige Gewohnheit so eng mit ihnen verknüpft hat ..." (54)
Ein solches "Denken, ohne Benennungen", das doch wohl, wie jedes wissenschaftliche Denken, Allgemeinbegriffe voraussetzt, wäre nun aber nach HUME schlechterdings unmöglich; nach seiner Meinung werden ja die partikulären Ideen erst durch die an sie geknüpften Worte allgemein. Werden daher diese von den Ideen getrennt, so haben letztere ihre Allgemeinheit verloren und niemand könnte begreifen, wie BERKELEY  davon  einen Vorteil für seine wissenschaftlichen Untersuchungen erwarten mochte. Es erhellt sich daraus in völlig evidenterweise, daß HUME in die BERKELEYsche Lehre in dieser völlig fremdes Moment hineingetragen hat.

Eine ganz andere Frage ist natürlich die, ob dieses neue Moment nicht zugleich einen wesentlichen Fortschritt auf dem von BERKELEY betretenen Weg in sich schließt, sobald man von seinem Streben, die Begriffe von den Worten zu emanzipieren,  absieht. Eines  wenigstens ist, noch ehe man HUMEs Argumente kennt, aus der bloßen Formulierung seiner These zu entnehmen: die wesentlichsten  Lücken  der BERKELEYschen Aufstellungen sind hier ausgefüllt. Das Verhältnis zwischen allgemeinen Worten und allgemeinen Ideen ist zumindest in irgendeiner Weise präzisiert, und vor allem die Frage,  wie  eine partikuläre Idee dazu kommt, andere gleichartige Ideen zu  repräsentieren  oder zu  bezeichnen,  und so allgemein zu werden, hhat eine Antwort gefunden. Mag die Hypothese nun haltbar sein oder nicht, jedenfalls ist sie dadurch, daß die  Namen  in den Vordergrund treten, klar und diskutierbar geworden, und aus der Erörterung derselben kann für die Psychologie nur Gewinn erwachsen; insofern hat sich also HUME um die Förderung der Untersuchungen über Abstrakta weit mehr und namentlich weit  selbständiger  verdient gemacht, als man gewöhnlich anzunehmen geneigt ist. Er, nicht BERKELEY, hat den Worten jene so hervorragende Stelle in unserem Geistesleben zuerkannt, welche uns berechtigt, seine und seiner Nachfolger Theorie als  nominalistische  zu bezeichnen, und so verdient er weit mehr als BERKELEY den Namen des eigentlichen Begründers des  modernen Nominalismus. 

Treten wir nun näher an die HUMEschen Untersuchungen heran. Diese gehen davon aus, daß die meisten oder alle allgemeinen Ideen vom speziellen  Grad  der Qualität und Quantität zu abstrahieren, da ein solcher doch nicht leicht einen Artunterschied begründen kann. Dennoch "repräsentiert die abstrakte Idee  Mensch  Menschen von allen Größen und Eigenschaften, und man nimmt an, dies kann nicht anders geschehen, als indem sie entweder alle möglichen Größen und Eigenschaften auf einmal, oder gar keine davon repräsentiert." Das Erstere scheint eine unendliche Fassungskraft vorauszusetzen; man hat sich daher zugunsten des Letzteren entschieden. Dem gegenüber will HUME zeigen, einmal, daß es unmöglich ist, Quantität oder Qualität ohne bestimmten Grad vorzustellen, - ferner, daß wir uns trotz unserer bloß endlichen Fassungskraft "einen Begriff von allen möglichen Graden von Quantität und Qualität" machen können, nicht vollständig zwar, aber doch in einer Weise, die allen praktischen Zwecken genügt (55).

Den ersten, negativen Teil seiner Behauptung stützt HUME durch folgende drei Argumente:
    1. Was verschieden ist, ist unterscheidbar, was unterscheidbar ist, ist auch in der Vorstellung trennbar; und umgekehrt: was trennbar ist, ist auch unterscheidbar und daher verschieden. Um zu entscheiden, ob bei der Abstraktion eine Trennung überhaupt vor sich gehen  kann,  muß daher nur ermittelt werden, ob das,  was  bei einer allgemeinen Idee abstrahiert wird, von dem, was als Wesen zurückbleiben soll, auch unterscheidbar und verschieden ist. Nun ist z. B. die bestimmte Länge einer Linie von der Linie selbst, der bestimmte Grad einer Qualität von der Qualität selbst so wenig verschieden wie unterscheidbar, es kann somit auch von keiner Trennung die Rede sein (56).

    2. Es ist anerkannt, daß uns keine Impression zu Bewußtsein kommt, sie wäre denn bezüglich des Grades der Qualität und Quantität bestimmt; das Gegenteil enthielte eine  contradictio in terminis.  Ideen sind aber Kopien von Impressionen, die sich von diesen  nur  durch ihre geringere Intensität unterscheiden; auch sie müssen daher graduell determiniert sein. (57)

    3. Jedermann räumt ein, daß alles in der Natur individuell ist, und daß es absurd wäre, ein reales Dreieck ohne bestimmte Dimensionen anzuerkennen. Was in der Realität absurd ist, muß es auch in der Idee sein, denn nichts unmöglich, wovon sich eine klare und deutliche Vorstellung bilden läßt. Es ist ferner dasselbe, die Idee eines Gegenstandes oder eine Idee schlechthin zu bilden, denn die Beziehung der Idee auf ein Objekt ist nur eine äußerliche Benennung, die nicht im  Wesen  der Idee begründet ist. Ist es also unmöglich, die Idee eines Gegenstandes zu bilden ohne graduelle Bestimmung, so gilt dasselbe auch von einer Idee überhaupt. (58)
Alle abstrakten Ideen sind somit  ansich  individuell; gleichwohl können sie im Denken ebenso angewendet werden, als wenn sie allgemein wären; - darauf geht der  positive  Teil von HUMEs Behauptung.

Der Weg, auf dem die partikulären Ideen zu dieser allgemeinen Anwendbarkeit gelangen, ist nun aber folgender:
    "Haben wir zwischen mehreren Objekten eine Ähnlichkeit gefunden, die uns oft begegnet, so wenden wir auf sie alle ein und denselben Namen an, was immer für Unterschiede wir in Bezug auf den Grad ihrer Quantität und Qualität beobachten, oder was immer für andere Differenzen an ihnen erscheinen mögen. Nachdem wir eine Gewohnheit dieser Art erlangt haben, ruft das Hören jenes Namens die Idee eines dieser Objekte wach und läßt die Einbildungskraft das letztere mit allen besonderen Umständen und Verhältnissen vorstellen. Aber da dasselbe Wort, wie gesagt, häufig auch auf andere Individuen angewendet worden ist, die in verschiedener Hinsicht von der dem Geiste unmittelbar gegenwärtigen Idee verschieden sind, so ist das Wort zwar nicht imstande, die Idee aller dieser Individuen wiederzuerwecken, aber es gibt der Seele einen Anstoß (touches the soul), wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, und ruft jene Gewohnheit wieder ins Leben, die wir durch ein Überblicken jener Individuen (by surveying them) erworben haben. Sie sind nicht wirklich und aktuell in unserem Bewußtsein gegenwärtig, sondern bloß virtuell; wir ziehen sie in der Einbildungskraft nicht alle dinstinkt hervor, sondern wir halten uns in Bereichtschaft, welche auch immer von ihnen zu überblicken (to survey any of them), je nachdem wir durch Absicht oder Notwendigkeit eben veranlaßt werden.. Das Wort erregt also eine individuelle Idee, zugleich mit einer gewissen Gewohnheit, und diese Gewohnheit erzeugt irgendeine andere individuelle Idee, für die wir eben eine Anregung haben. Aber da die Erzeugung aller Ideen, für welche der Name verwendet worden sein mag, in den meisten Fällen unmöglich ist, so kürzen wir das Geschäft durch eine mehr partielle Betrachtung ab, und finden, daß in unserem denken nur wenige Unzukömmlichkeiten aus dieser Abkürzung erwachsen."
Dies ist dem "höchst merkwürdigen Umstand" zuzuschreiben, daß uns jene Gewohnheit sofort auch irgendeines von den anderen Individuen vergegenwärtigt, sobald wir zufällig einen Gedanken bilden, der dem betreffenden Individuum nicht gemäß ist. Hören wir z. B. den Namen  Dreieck,  so denken wir zunächst etwa an ein bestimmtes gleichseitiges Dreieck; wollten wir jedoch aufgrund dessen behaupten, jedes Dreieck hat gleiche Winkel, so käme uns sogleich irgendein gleichschenkliches oder ungleichschenkliges Dreieck in den Sinn. Geschieht nichts dergleichen, so beruht dies auf einer Unvollkommenheit der Geistesfähigkeiten, die dann leicht zu falschen Urteilen Anlaß gibt. Doch kommt so etwas meist nur bei abstrusen und komplizierten Ideen vor, - in der Regel ist im Gegenteil die Gewohnheit so fest, daß sogar  dieselbe  Idee an  verschiedene Worte  geknüpft sein kann, ohne daß die Gefahr einer Verwirrung vorliegt. So könnte z. B. bei den Worten:  Figur, geradlinige Figur, regelmäßige Figur, Dreieck, gleichseitiges Dreieck  uns immer die Idee ein und desselben gleichseitigen Dreiecks vorschweben.
    "Ehe derlei Gewohnheiten gehörig ausgebildet sind, mag das Gemüt vielleicht nicht damit zufrieden sein, die Idee nur  eines  Individuums zu bilden, sondern vielleicht über mehrere hineilen, um sich selbst seine Meinung und den Umfang der Kollektion klar zu machen, die es mit dem allgemeinen Ausdruck bezeichnen will. Um den Sinn des Wortes  Figur  zu fixieren, betrachten wir im Geiste die Ideen von Kreisen, Quadraten, Parallelogrammen, Dreiecken von verschiedenen Größen und Proportionen, und lassen es nicht bei  einem  Bild, oder  einer  Idee bewenden. Wie dem aber auch sein mag, gewiß ist, daß wir die Idee von Individuen bilden, wann immer wir irgendwelche allgemeine Ausdrücke gebrauchen, daß wir selten oder nie diese Individuen erschöpfen können, und daß die, welche übrig bleiben, nur durch den Habitus repräsentiert werden, durch welchen wir sie uns ins Gedächtnis rufen, wann immer eine sich eben ergebende Gelegenheit es erfordert." (59)
Der einzige Punkt, der HUME bei dieser Erklärun nicht ohne Schwierigkeit erscheint, ist eben die  Gewohnheit,  die hier eine so wichtige Rolle spielt. Aber da es unmöglich wäre, die Seelentätigkeiten auf ihre letzten Ursachen zurückzuführen, so ist ein Akt des Geistes genügend erklärt, wenn man andere Akte aufweist, welche ihm analog sind oder ihn unterstützen. Zu diesem Ende weist Hume darauf hin, daß sich auch sonst oft ein Habitus an ein einziges Wort knüpft, z. B. die Erinnerung an Sätze und Verse (60). In unserem Fall aber wird der Wiedereintritt der eben nötigen Idee ins Bewußtsein durch die  Ähnlichkeit  der unter einem allgemeinen Ausdruck vereinigten Individualbegriffe wesentlich erleichtert (61). Was schließlich die Unvollkommenheit betrifft, die allen allgemeinen Ideen eigen ist, so findet auch diese ihre Analoga: wir können von großen Zahlen keine adäquate Idee bilden, dennoch stört uns dies nicht im Denken; (62) ebenso sprechen wir von verwickelten Dingen wie  Regierung, Kirche, Unterhandlung, Eroberung,  ohne uns alle in diesen Komplexen enthaltenen einfachen Ideen zu vergegenwärtigen, - gleichwohl werden wir nichts Widersprechendes von ihnen aussagen, weil sich die Gewohnheit, die  Ideen  in gewisse Relationen zu bringen auf die  Worte  erstreckt. (63)

Damit hoffte HUME seine Hypothese genügend gestützt zu haben. Aber das Schwergewicht legt er auf den negativen Beweis. Nachdem die abstrakten Ideen als etwas Unmögliches dargetan sind, erhebt sich ein Bedürfnis nach Erklärung der Tatsachen, und da ist nach seiner Meinung kein Weg offen als der von ihm eingeschlagene (64).

Es ist unter solchen Umständen nur natürlich, daß auch wir bei der prüfenden Betrachtung der HUMEschen Darstellung vom  negativen  Teil derselben ausgehen.

Schon die  Formulierung  der negativen These ist höchst auffallend. Aus der Einleitung zu Abschnitt VII ergibt sich doch unzweifelhaft genug, daß es HUMEs Absicht ist,  alle  Abstraktionen zu leugnen; (65) dennoch präzisiert er dann seine Behauptung dahin, "daß es schlechterdings unmöglich ist, eine Qualität oder Quantität vorzustellen, ohne einen bestimmten Begriff ihres Grades zu bilden." (66) Wie wenig  alle  Abstraktionsfälle hier inbegriffen sind, liegt auf der Hand; denn wenn es sich auch in der Tat als unmöglich herausstellen sollte, Qualität oder Quantität in der Vorstellung von ihrem Grad zu trennen, so ist damit ja noch gar nicht entschieden, ob Komplexe  mehr als graduell  verschiedener Qualitäten trennbare Elemente enthalten oder nicht. Man wird, um ein recht auffallendes Beispiel zu wählen, doch gewiß nicht behaupten wollen, Farbe sei ein Grad von Ausdehnung oder Ausdehnung ein Grad von Farbe; es würde also nach HUMEs These nichts im Wege stehen, etwa eine Fläche ohne Farbe vorzustellen, und doch ist gerade dieser Fall schon von JAMES MILL als ein Hauptfall der  unabtrennbaren  Ideenassoziation" aufgeführt worden. (67)

Bleibt also ein Attribut nur  graduell  bestimmt, so scheint im Übrigen die Möglichkeit, abstrakte Vorstellungen davon zu bilden, unbeschränkt, und auf Fälle, wo von Gradunterschieden überhaupt nicht die Rede sein kann, wie  gleich, dreieckig,  (68) fände der Satz vollends keine Anwendung. Gesetzt, es sei HUME gelungen, seine Thesis in unwiderleglicher Weise zu begründen, so ist doch der ausdrücklich daraus gezogene Schluß, Allgemeinbegriffe seien ihrem Wesen nach nur konkret (69), zumindest in seiner Allgemeinheit unstatthaft, und er könnte umso mehr befremden, als er, zumindest auf den ersten Blick, einer der Haupteinteilungen, welche HUME von allen psychischen Phänomenen gibt, bestimmt zu widerstreiten scheint.

Nach HUME zerfallen die Perzeptionen bekanntlich einmal in Impressionen und Ideen, dann aber auch in einfache und komplexe Perzeptionen. (70) "Obgleich", fügt er erläuternd hinzu, "bestimmte Farbe, Geschmack, Geruch alle als Eigenschaften an diesem Apfel vereinigt sind, so ist doch leicht einzusehen, daß dieselben nicht einerlei, sondern mindestens voneinander unterschieden sind." Nur unter  einer  Annahme ist diese Stelle mit HUMEs in Rede stehender Theorie vereinbar, unter der Voraussetzung größter Ungenauigkeit im Ausdruck. Meint HUME, indem er einfach von  Farbe  spricht, alles durch das Auge am Apfel Wahrgenommene, umfaßt er somit unter seiner einfachen Idee eine bestimmte Farbe und eine bestimmte Ausdehung zusammengenommen, dann bleibt seine Ausführung hier vom Vorwurf der Inkonsequenz frei. Es spricht  für  diese Auffassung, daß HUME in der hier angeführten Stelle augenscheinlich die Wahrnehmungen verschiedener Sinne einander entgegensetzt, -  gegen  diese Auffassung kann außer dem Wortlaut die Tatsache geltend gemacht werden, daß HUME auch im Anhang, der dem dritten Buch seines Erstlingswerkes beigegeben ist, zwar ausdrücklich die Farbenvorstellungen als einfache Ideen hervorhebt, (71) der Ausdehnung aber auch da mit keinem Wort gedenkt.

Nimmt man nun aber die Stelle, wie sie ist, so kann der Widerspruch nicht vermieden werden; denn was ist eine Vorstellung von Farbe, und wäre es auch von der bestimmtesten Schattierung, anderes als ein Abstraktum? Und was von Farbe gilt, gilt auch vom Geschmack usw., kurz so ziemlich von jeder  einfachen Idee.  Man könnte vielleicht zur Verteidigung HUMEs geltend machen, daß er nicht nur von einfachen  Ideen,  sondern auch von einfachen  Impressionen  spricht, daß erstere ebensogut als Kopien der letzteren betrachtet werden könnten, wie zusammengesetzte Ideen als Abbilder zusammengesetzter Impressionen, und daß somit die Annahme einfacher Ideen noch gar nicht die eines Abstraktionsaktes involviert. Gerade mit Rücksicht auf die Beziehungen von Farbe und Ausdehnung zueinander ist dieser Einwurf, wenn man HUMEs Raumtheorie mit in Betracht zieht, nicht ohne Schein. Wir werden sehen, daß man nach HUME farbige Punkte perzipieren kann, die gleichwohl ausdehnungslos sind, während die Idee der Ausdehnung erst durch die Disposition dieser Punkte in uns erregt wird; wir perzipieren also in diesem Fall Farbe  ohne  Ausdehnung. - Aber auch wenn dies richtig wäre, würde darum nicht  nur  Farbe perzipiert; wir hätten ja doch farbige  Punkte,  denen mindestens eine Ortsbestimmung nicht fehlen kann. Überdies kommt diese Seite der Frage beim Apfelbeispiel gar nicht in Betracht. Die Farbe des Apfels ist (schon um der Nuancen willen, die jeder an sich trägt) die Farbe einer Fläche, d. h. nach HUME,  mehrerer  Punkte, bei denen dann selbstverständlich die Disposition mit in die Perzeption fällt. Es liegt daher viel näher, HUMEs Ansicht dahin zu interpretieren, daß wir zwar nur komplexe Impressionen erhalten, dann aber durch Analyse der sie kopierenden komplexen Ideen auf deren einfache Elemente gelangen, die dann ihrerseits erst den Schluß auf gleichfalls einfache Originale gestatten. Zum Überfluß bestätigt HUME selbst diese Auffassung im zweiten der sogleich näher zu erörternden Beweise seiner These, indem er erklärt, daß "keine Impression in unser Bewußtsein gelangen kann, ohne bezüglich eines Grades von Qualität und Quantität determiniert zu sein". (72) Gibt es keine Impression ohne einen bestimmten Grad, so noch viel weniger eine ohne diese Qualität und Quantität selbst; jede einfache Idee kann daher nicht anders als durch Abstraktion entstanden sein.

Das scheint nun eigentlich so selbstverständlich, daß man leicht geneigt sein könnte, HUMEs gesamte Ausführungen  nur  auf die Frage zu beziehen, ob Quantitäten und Qualitäten one einen bestimmten Grad vorstellbar sind oder nicht, - was dagegen auf eine Hereinziehung der  ganzen  Abstraktionstheorie deutet, als ungenau ausgedrückt beiseite zu lassen. Aber auf der anderen Seite sind wieder die Aufstellungen letzterer Art so bestimmt, HUME bezeichnet sich so ausdrücklich als Vertreter der BERKELEYschen Theorie, daß man schließlich doch der hergebrachten Auffassung der HUMEschen Doktrin beipflichten, den daraus entstehenden Widerspruch in HUMEs Behauptungen aber durch die Annahme eines Lapsus im Ausdruck beseitigen muß. Befriedigend ist diese Lösung nicht; wir haben eben einen jener mißlichen Fälle vor uns, wo gegen jede der beiden möglichen Interpretationen Einwände aufrecht bleiben müssen.

Aber wir sehen nun des Näheren zu, wie es um die Beweiskraft der drei Argumente bestellt ist, die HUME zugunsten seiner negativen Behauptung vorführt.

Schon der Satz, mit dem HUME seinen ersten Beweis eröffnet, und der auch in späteren Partien des  Treatise  eine wiederholte Anwendung findet, scheint höchst bedenklich. Wie sollen wir die Gleichsetzung des Verschiedenen mit den Unterscheidbaren verstehen? Heißt unterscheidbar das, was unter der Voraussetzung einer  unbegrenzten  Empfindlichkeit der Sinne selbst für die geringsten Differenzen nicht als gleich betrachtet werden könnte? Ist dies der Fall, so ist der Satz tautologisch und praktisch unbrauchbar, - wo nicht, so ist er falsch, außer man wollte behaupten, daß z. B. die Nebelflecke, die bekanntlich JOHN HERSCHEL sämtlich für Sternsysteme hielt, damals alle ganz gleichartig waren, und erst durch eine Anwendung der Spektralanalyse sich zu ihrer Erforschung einige von ihnen in glühende Gase verwandelt haben.

Weit wichtiger als dieser erste Satz ist aber für den Beweis die sich unmittelbar an jenen schließende Behauptung, alles Unterscheidbare kann getrennt werden. Man kann sich im ersten Augenblick einer gewissen Verwunderung darüber nicht erwehren, daß eine Polemik gegen das Vorhandensein von Abstrakta ein so umfassendes Zugeständnis gegen die Abtrennungstheorie im LOCKEschen System enthält, wie es heute kaum ein Verteidiger der Abstraktion in Anspruch nehmen möchte, - ein Hinweis auf die schon berührten Fälle der sogenannten untrennbaren Assoziation genügt, die Tragweite dieser Konzession anschaulich zu machen. Gleichwohl folgert HUME daraus für sich, und zwar in ganz korrekter Weise, so daß, falls die Beispiele, die er anführt, genügen, gegen den Schluß nichts (wenigstens nichts zugunsten der Trennbarkeit) einzuwenden ist.

Kann man aber einräumen, daß die bestimmte Länge einer Linie von dieser selbst weder verschieden noch unterscheidbar ist? Sind Länge und Linie nicht verschieden, so sind sie dasselbe, - mit der Länge ist also die Linie gegeben; ob sie übrigens gerade oder krumm ist, ob sie in dieser oder in jener Ebene liegt, ist dann völlig einerlei; denn ist Länge gleich Linie, so ist auch Linie gleich Länge und etwas anderes kann nicht in Betracht kommen. Nicht mindern befremdliche Konsequenzen ergibt das zweite Beispiel. Der Grad einer Qualität soll von dieser nicht verschieden sein, also Grad gleich Qualität, z. B.  rosenrot  gleich  rot.  Aber auch  dunkelrot  gleich  rot,  daher "rosenrot" gleich "dunkelrot", oder falls man davon ausgeht, daß rosenrot verschieden ist von dunkelrot, so ist auch rot verschieden von rot.

Über den Wert des in Rede stehenden Arguments kann nach dem Gesagten wohl kaum mehr ein Zweifel obwalten. HUME hat nicht nur nicht bewiesen, was er beweisen wollte, sondern, indem er alles Unterscheidbare auch für in der Vorstellung trennbar erklärt, hat er zugleich den Gegner nur neue Waffen in die Hand gegeben, die sie befähigen, ihre Theorie weit über die Grenzen der Wahrheit hinaus zu verteidigen.

Das zweite Argument geht, wie wir sahen, davon aus, daß es widersprechend wäre, eine Impression anzunehmen, die nicht bezüglich des Grade von Quantität und Qualität bestimmt wäre. Dem steht aber ein anderer Ausspruch HUMEs entgegen, auf den GREEN mit Recht hingewiesen hat. (73) Bei der Erörterung der Frage nach der  Immaterialität  der Seele (74) tritt HUME nämlich die für die "von mehreren Metaphysikern verworfene" Theorie ein, "daß ein Objekt existieren und dennoch an keinem Ort sein kann." "Man kann", fährt er fort,
    "von einem Gegenstand sagen, er ist nirgendwo, wenn seine Teile nicht so gegeneinander disponiert sind, wie nötig ist, um irgendeiner Gestalt oder Größe (quantity) auszumachen, wenn sich ferner das Ganze zu anderen Körpern nicht so verhält, wie es unseren Begriffen von Kontiguität [Angrenzung - wp] oder Distanz entspricht. Dies ist unzweifelhaft bei all unseren Perzeptionen und Objekten der Fall, mit Ausnahme von denen des Sehens und Tastens. Eine moralische Reflexion kann nicht auf die rechte oder linke Seite einer Gemütsbewegung gestellt werden, ebensowenig kann ein Geruch oder Schall kreisrund oder viereckig sein."
Wieviel hiervon zugegeben werden kann, wieviel zu verwerfen ist, wird sich uns vielleicht aus einer späteren Betrachtung ergeben. Für unseren nächsten Zweck genügt, festgestellt zu haben, daß HUME selbst die Möglichkeit, ja das Vorhandensein quantitätsloser Impressionen zugesteht, also nur in einem offenen Widerspruch gegen sich selbst oder höchstens in einem sehr uneigentlichen Sinn des Wortes eine Bestimmtheit  aller  Impressionen bezüglich der Quantität oder gar eines Quantitäts grades  in Anspruch nehmen kann. Daß es übrigens andererseits auch Qualitäten gibt, die eine graduelle Bestimmung gar nicht zulassen, wie z. B. dreieckig, quadratisch (von Relationsqualitäten ganz zu schweigen), das ist schon oben zur Sprache gebracht worden.

Aber auch der zweite Schritt, den HUME in diesem Beweis tut, widerspricht einem, und zwar diesmal einem schon früher von ihm geltend gemachten Grundsatz, dem Prinzip der "Freiheit der Einbildungskraft, die Ideen zusammenzusetzen oder zu vertauschen". (75) Daß Impressionen sich durch nichts als durch ihre größere Intensität von den Ideen unterscheiden, hat HUME allerdings auch schon früher aufgestellt, aber nicht von den Vorstellungs komplexen,  sondern nur von den Elementen, während von jenen im Gegenteil ausdrücklich ausgesagt wurde, "daß es nicht zwei Impressionen gibt, die völlig untrennbar wären". (76) Speziell für den in Rede stehenden Beweis wird übrigens dieser Widerspruch praktisch bedeutungslos, sobald sich zeigen läßt, daß HUME eine graduell bestimmte Quantitäts-, oder Qualitätsidee für einfach nimmt. Bezüglich der letzteren hat er dies in der Tat zumindest im Anhang zum dritten Band des  Treatise  ausdrücklich betont, wo die Auseinandersetzung darüber, daß ähnliche Ideen auch noch ganz wohl einfach sein könnte, mit den Worten schließt:
    "In derselben Weise verhält es sich mit allen Graden irgendeiner Qualität. Sie sind alle einander ähnlich, dennoch ist im einzelnen Fall die Qualität von ihrem Grad nicht unterschieden." (77)
Vor sich selbst erscheint demnach HUME in diesem Punkt so ziemlich gerechtfertigt.

Können aber auch wir zugeben, daß die Impression der Qualität mit der ihres Grades ein einfaches Ganzes ausmacht, an dem die Einbildungskraft nichts als die Intensität ändern kann?  Hätte  HUME Recht, so könnten wir, sofern es nicht etwa angeborene Ideen gibt, offenbar nur solche Qualitätsgrade vorstellen, von denen wir eine Impression erhalten haben. Denn so wie wir einen anderen Grad als Grad derselben Qualität vorstellten, hätten wir die Idee der letzteren von den Ideen sämtlicher Grade, die wir bisher von ihr kennen gelernt haben, getrennt, da wir die Qualität doch nicht  zugleich  in einem der uns aus direkter Erfahrung bekannten und in einem neuen Grad vorzustellen imstande wären. Gleichwohl hat HUME selbst an anderer Stelle einen hierher gehörigen Fall angeführt, aber freilich nicht zu erklären vermocht. Er glaubt nämlich (78), die einzige Ausnahme von dem Gesetz, daß jede Idee die Kopie einer Impression ist, darin zu finden, daß, wenn einer z. B. alle Schattierungen von Blau außer  einer  erfahren hätte, und alle ihm bekannten Nuancen ihm der Reihe nach vorgeführt würden, er nicht nur diese Lücke wahrzunehmen, sondern auch durch die entsprechende Idee zu ergänzen vermöchte. Aber auch andere Fälle dieser Art sind uns geläufig: Wenn uns heute das hellste Weiß vor Augen kommt, das wir je gesehen haben, so können wir uns immer noch ein helleres denken. Wird ein Ton von so vielen Instrumenten auf einmal angegeben, wie wir nie zusammenspielen gehört haben, so können wir uns den Ton doch immer noch stärker und voller vorstellen und dgl. mehr. Wären diese und ähnliche Fälle wirklich, wie HUME konsequenterweise zugestehen müßte, widersprechende Instanzen gegen die empirische Erkenntnistheorie, so wäre es in der Tat um diese schlimm genug bestellt. Zum Glück für sie ist aber die Erklärung der obigen Fälle ziemlich naheliegend, wenn man festhält, daß mit zwei Vorstellungen auch deren Relationen zueinander gegeben sind, und daß die Glieder  verschiedener  Vorstellungspaare zueinander in  derselben  Relation stehen können. Man ist täglich in der Lage, sich davon zu überzeugen, daß, wenn wir Vorstellungsreihen reproduzieren wollen, diese Relationen dabei oft eine weit größere Rolle spielen als die Vorstellungen selbst. Wer ein Lied, das er gehört hat, nachsingt, wird, selbst wenn er ein sehr geübter Musiker wäre, nur sehr selten auch dieselbe Tonart wiedergeben (er hätte denn seine Aufmerksamkeit besonders darauf gerichtet). Was hat er sich demnach dann eigenlich gemerkt, die Töne selbst und deren Aufeinanderfolge? Gewiß nicht, sonst hätte er nicht um eine Terz oder Quint tiefer singen können als die Tonlage war, in der er das Lied hörte. Was er sich gemerkt hat, waren demnach nur die  Tonintervalle  und deren Reihenfolge, die Übertragung derselben auf die durch die Intonation vielleicht ganz zufällig bestimmte Tonreihe geht dann ohne jede Schwierigkeit vor sich. Mit eben solchen Relationsübertragungen nun haben wir es auch in den obigen Beispielen zu tun, die sich gewissermaßen durch die Formel:

 a : b = b : x 

wo  a  und  b  gegeben sind,  x  bestimmt werden kann, veranschaulichen lassen. Hätten wir an jeder der Farben des Sonnenspektrums stets nur  einen  Helligkeitsgrad, ebenso an jedem Ton nur  einen  Stärkegrad wahrgenommen usw., dann möchte es allerdings kaum gelingen, Vorstellungen von anderen Graden zu bilden, - wenn es aber gelänge, eine empirische Erklärung schwerlich möglich sein. Mit den  verschiedenen  Graden ist aber auch das Verhältnis derselben zueinander gegeben, und wir sind in den Stand gesetzt, dieses auch über die Grenzen der Erfahrung hinaus zu übertragen.

In dieser Weise fällt das von HUME selbst gegen den Empirismus geltend gemachte Bedenken; aber auch seine Behauptung über die Einfachheit der graduell bestimmten Qualitätsidee kann demselben Schicksal nicht entgehen. Wir stellen den Ton, den wir schwächer hörten, stärker vor als wir ihn jemals hören konnten; es ist derselbe Ton, geblieben, dem Wesen nach dieselbe Qualität, dem Grad nach aber verschieden, - und da die neue Gradvorstellung mit der alten nicht zusammenbestehen kann, so war erst eine  Trennung  der letzteren von der Qualitätsidee nötig, wenn die erstere Platz finden sollte. Es liegt uns natürlich nichts ferner, als auf Grund dessen etwa anzunehmen, man könne eine Qualität ohne jeden Grad, oder gar einen Grad ohne jede Qualität, von der er der Gradwäre, vorstellen; wir glauben im Gegenteil, daß die Qualität und ihr Grad sich in dieser Hinsicht analog verhalten wie Farbe und Ausdehnung. Niemand vermag eine Farbe ohne jede Ausdehnung zu denken, aber für keinen ist sie an irgendeine bestimmte Ausdehnung untrennbar geknüpft, wie notwendig der Fall sein müßte, wenn beide eine  einfache  Impression ausmachen würden. Es ist sonach nicht der Zweck unserer Polemik, für LOCKEs Abtrennungstheorie einzutreten; aber in gleicher Weise wie sie ist diesmal auch die von uns geltend gemachte Anschauung über das Wesen der Abstraktion durch HUMEs Aufstellungen gefährdet. Wäre Qualität und Grad zusammen wirklich etwas Einfaches, könnten sich deren Impression und Idee durch nichts als durch die Intensität des untrennbaren Vorstellungs ganzen  voneinander unterscheiden, so wäre natürlich auch die Konzentration der Aufmerksamkeit auf einen  Teil,  da ein solcher sich gar nicht vorfände, undenkbar. Für die  Richtigkeit  der Ansicht, welche gerade auf diese Konzentration Gewicht legt, ist natürlich durch die hier gegebenen Erörterungen gar nichts bewiesen, umso mehr aber gegen die Stichhaltigkeit von HUMEs zweitem Argument, dessen Prüfung hier ja vor allem unsere Aufgabe war.

Indem wir zur Besprechung des dritten Arguments übergehen, erweist es sich vor allem als nötig, einige Mißverständnisse zu beseitigen, die wohl durch Äquivokationen [Mehrdeutigkeiten - wp] entstanden sein mögen. Ist der Satz: "that everything in nature is individual", so zu verstehen: "daß jedes Ding in der Natur individuelle ist", so kann niemand Bedenken tragen, diese Behauptung als analytische zu akzeptieren; auch damit, daß die  Idee  jedes "Dings in der Natur" individuell ist, wird jedermann einverstanden sein müssen, wenn man dabei bloß die  nur  diesem Ding entsprechende Idee, d. h. eben dessen Individualidee im Auge hat. Auf der anderen Seite wird auch dagegen nichts eingewendet werden können, daß es einerlei bedeutet, eine Idee von etwas zu bilden, oder einfach eine Idee zu bilden, - mit anderen Worten, daß jede Idee ein immanentes Objekt hat, wenn auch gegen die hierfür von HUME gegebene Begründung (auf die wir hier noch nicht eingehen können), mancherlei zu erinnern sein sollte. Nur wie sich aus diesen beiden Prämissen der Schluß ergeben könnte, daß jede Idee individuell sein muß, das scheint vorerst noch ganz unbegreiflich. Argumentiert man hingegen so: jedes Objekt in der Natur ist individuell (und also hinsichtlich des Qualitäts- und Quantitätsgrades bestimmt), somit auch die Idee jedes Objekts;  jede  Idee ist aber die Idee von einem Objekt, daher ist jede Idee individuell (bzw. in der eben angedeuteten Weise bestimmt), - wenn man, sagen wir in dieser Weise argumentiert, so liegt in der Tat der Schein eines Schlusses vor, aber dieser wird hervorgerufen durch eine Äquivokation im Wort  Objekt.  In der ersten und zweiten Prämisse bezeichnet es ein wirklich und für sich existierendes Ding, in der dritten Prämisse dagegen ein immanentes Objekt, oder wenigstens einen Vorstellungsgegenstand, dem zwar vielleicht äußere, aber gewiß nicht notwendig eine selbständige Existenz zugeschrieben wird. Der Formfehler wäre beseitigt, wenn man in der dritten Prämisse das Wort  Objekt  in demselben Sinn nähme wie in den beiden ersten Prämissen; dann ist aber die dritte falsch, denn nicht jede Idee ist die Idee eines wirklich selbständig existierenden Dings. Stelle ich z. B.  rot, blau, gerade, schwer  und dgl. vor. so sind das zwar Eigenschaften solcher Dinge, aber nicht selbst Dinge; denke ich aber gar an APOLLO oder, um ein beliebtes Beispiel HUMEs zu gebrauchen, an einen goldenen Berg, so habe ich Ideen, denen meiner Vorstellung nach gar nichts in Wirklichkeit entspricht.

Noch eine Auffassung wäre möglich in der der HUMEsche Schluß gültig scheinen könnte, nämlich, wenn wir den oben englisch zitierten Satz so übersetzen: "Alles in der Natur ist individuell" (79) und dann fortfahren: daher ist jede Idee von etwas individuell, jede Idee ist aber die Idee von etwas usw. Allein diesmal ist, wenn auch alles andere richtig sein sollte, doch die  erste  Prämisse so weit davon entfernt analytisch zu sein, daß sie im Gegenteil falsch ist. Denn nennt man individuell all das, was entweder selbst ein Individuum ist, oder sich nur auf ein Individuum beziehen kann, so fallen unter diesen Begriff zwar alle Einzeldinge; dagegen gibt es aber kein einziges Attribut, das, für sich allein betrachtet, nur von  einem  Individuum ausgesagt werden könnte. Trotzdem sind die Attribute nicht weniger wirklich als die Dinge, an denen sie haften; es kann somit durchaus nicht  alles  in der Natur individuell genannt werden.

Man sieht, wie immer man HUMEs Beweis wendet, immer tritt bald ein formeller Fehler, bald ein materieller Irrtum zutage. Welche von den beiden hier versuchten Auffassungen auch dem schottischen Philosophen vorgeschwebt haben mag, in jedem Fall scheint dabei eine Äquivokation im Spiel zu sein. Im ersten Fall läge sie, wie schon bemerkt, im Wort "object"; im zweiten Fall läge zumindest nahe, im Wort "everything" die Ursache der Täuschung zu suchen, das, sobald man es mit "every thing" gleichsetzt, leicht eine irreführende Nebenbedeutung annehmen kann.

Aber es liegt noch ein sehr bebträchtliches Versehen in diesem Beweis. Was wir im Vorhergehenden der Kürze halber einfach als zweite Prämisse bezeichneten und übrigens ganz ununtersucht ließen, soll ja selbst aus dem  ersten  Satz  gefolgert  sein. Allein wie kann sich der zweite Satz aus dem ersten ergeben, selbst wenn wir diesen so interpretieren, daß er eine Wahrheit aussagt? Wenn es absurd ist, ein Ding in der Natur anzunehmen, dessen Qualität und Quantität nicht graduell bestimmt wäre, wenn man demnach jedes Ding als ein in dieser Weise Determiniertes vorstellen muß, folgt daraus, daß auch jede  Idee  von einem solchen Ding alle diese Bestimmungen mit Notwendigkeit an sich trägt? Das anzunehmen, wäre ebenso verfehlt wir die von uns schon früher zurückgewiesene (und sich teilweise damit deckende) Behauptung: weil das Individuum unendlich viele Merkmale hat, muß auch der Inhalt des Individual begriffs  unendlich groß sein (80). Überdies ist, wie wir auch schon hervorzuheben Gelegenheit hatten, eine Idee von einem Individuum noch lange keine Individualidee; aber nur, wenn dies der Fall wäre, ließe sich von der durchgängigen Individualität der Dinge auf die der Ideen schließen.

Was noch an diesem Beweisals befremdlich in die Augen fällt, ist der ausdrückliche Gegensatz, in den hier Realität und Idealität gestellt sind, und der HUMEs sonstigen Ansichten über diesen Punkt kaum zu entsprechen scheint. Da uns jedoch HUMEs Metaphysik erst später beschäftigen wird, müssen wir uns hier begnügen, auf das Auffallende dieser Tatsache hingewiesen zu haben.

Schauen wir einen Augenblick auf die Resultate unserer bisherigen Betrachtungen zurück, so müssen wir dieselben als durchaus negativ bezeichnen. Die These, die HUME aufstellt, um BERKELEYs Verwerfung aller abstrakten Ideen neu und abschließend zu begründen, hat sich hierfür als zu schwach, die zugunsten dieser These hervorgebrachten Argumente haben sich aus den verschiedensten Gründen als ungeeignet erwiesen, das unmittelbar zu Beweisende, - noch ungeeigneter, das mittelbar zu Beweisende zu stützen. Aber wir haben BERKELEYs Polemik gegen LOCKEs Ansichten in der Hauptsache als berechtigt anerkennen müssen; hat also auch HUME zu dieser Polemik nichts Neues hinzubringen können, was haltbar wäe, so berechtigt uns dies, vom historischen Interesse ganz abgesehen, auch sachlich noch keineswegs, HUMEs Versuch, die Theorie BERKELEYs auch nach der positiven Seite hin auszubilden, einfach unberücksichtigt zu lassen, und dies umso weniger, als sich BERKELEYs  Positionen  gerade als der schwächere Teil seiner Ausführungen herausgestellt haben.

Die Erscheinung, um deren Erklärung es sich handelt, ist, wie wir wissen, die, daß die nach HUMEs Meinung als konkret erwiesenen Ideen dennoch eine allgemeine Bedeutung haben können. Seine Erklärungshypothese ist oben fast ganz  in extenso  vorgeführt worden, und zwar aus einem Grund, der, nachdem dieselbe schon wiederholt anstandslos dargestellt worden ist, vielleicht in einer für den Verfasser nicht eben günstigen Weise auffallen mag. Es ist ihm nämlich trotz redlicher Mühe nicht gelungen, darüber, wie sich HUME eigentlich den oben beschriebenen Vorgang denkt, volle Klarheit zu gewinnen, und auch die hier ziemlich kursorischen Referate JODLs (81) und PFLEIDERERs (82) haben ihm die dunklen Punkte nicht zu erhellen vermocht. Sollte an dieser Unklarheit nun doch HUME selbst die Schuld tragen, so leuchtet wohl ein, daß zumindes  dies  zu konstatieren eine unerläßliche Aufgabe einer jeden Kritik sein müßte.

Der Ausgangspunkt seiner Theorie ist zunächst noch vollkommen verständlich: wir benennen ähnliche Gegenstände mit demselben Wort. HUME hätte sich zur Unterstützung dieser Aufstellung auf das Gesetz der Assoziation durch Ähnlichkeit berufen können, welches vollkommen begreiflich erscheinen ließe, daß, wenn wir einen Gegenstand benannt haben und ein ihm ähnlicher uns begegnet, wir ganz von selbst den ersteren Gegenstand, und dann mittelbar auch as für diesen eingeführte Wort reproduzieren; von da aus liegt es nahe genug, auch für den zweiten Gegenstand dasselbe Wort zu verwenden. Aus der mittelbaren Assoziation wird so eine unmittelbare, und diese mag sich leicht allmählich auf eine ganze Reihe gleichartiger Objekte erstrecken. Hören wir nun den Namen, so tritt uns eine der assoziierten Individualvorstellungen ins Bewußtsein, und zwar die, welche aus irgendwelchen zufälligen Gründen sich eben als nächste anbietet. Wie verhält es sich aber mit den anderen, gleichfalls assoziierten Ideen? Sie sind uns, sagt HUME, nicht wirklich, sondern nuf fakultativ gegenwärtig. Aber seit wann? erst seit der erneuten Nennung des Namens? Nach HUMEs Darstellung scheint das gemeint; muß aber nicht eine Disposition, die fraglichen Individuen vorzustellen, schon vorgelegen haben, wenn sie eventuell mit Hilfe des Wortes  reproduzibel  waren (und das waren sie doch alle, da a priori nicht feststand,  welche  Idee der gehörte Name erwecken wird)? Das scheint außer Zweifel; der Unterschied könnte also bestenfalls ein gradueller, die Disposition  nach  dem Hören des Wortes stärker sein als vorher. Aber so stark die Disposition sein mag, Disposition zu einer Vorstellung ist niemals selbst Vorstellung; die durch das Wort explizit reproduzierte Idee ist also nach wie vor partikulär und das Wort mit ihr.

Umso mehr muß man erstaunt sein, wenn HUME nun doch erklärt, das Wort erzeugt neben der Individualidee eine Gewohnheit (das ist doch wohl die besprochene Disposition?) (83), und diese erzeugt wieder eine andere individuelle Idee, "for which we may have occasion". Dies kann nur etwa so zurecht gelegt werden, daß jene Gewohnheit als eine permanente, unentbehrliche Vorbedingung der letztgenannten Idee, jene  occasion  dagegen als zeitlich letzte Ursache zu betrachten ist. Dann steht und fällt aber die ganze Theorie mit dieser Occasion;  muß  also eine solche sich jedesmal einfinden, so oft wir jenes Wort hören? HUME sagt nichts davon; es ist auch nicht abzusehen, worin eine solche Notwendigkeit begründet sein sollte, - dennoch kann, sobald diese Occasion entfällt, von Allgemeinheit nun wieder nicht die Rede sein.

Welcher Art diese Occasionen sind, erfahren wir nur ganz im Vorübergehen, wenn wir nämlich berechtigt sind, jene "Absicht und Notwendigkeit" hierher zu zählen, die, wie wir hörten, die vermöge jener Disposition vorzustellende Einzelidee bestimmt. Über die Anzahl der Occasionen, die sich bei  einem  Wort geltend machen können, läßt uns HUME völlig ohne Aufklärung; aber es ist zu vermuten, daß deren mehrere sein müssen, da auf diesem mittelbaren Weg augenscheinlich mehrere Ideen zu Bewußtsein gebracht werden.  Alle  Individuen jedoch, an die sich jener Name knüpfen soll, vorzustellen, ist meistens unmöglich (warum, wenn es möglich ist,  einige  vorzustellen?), wir begnügen uns daher mit einer "partial consideration", wobei aber wieder nicht zu ersehen ist, ob jener Mangel zur bloß teilweisen Betrachtung des Inhaltes oder des Umfangs des betreffenden Begriffs führt (wenn es erlaubt ist, uns für einen Moment der uns heute geläufigen Ausdrucksweise zu bedienen). Der erste Schein spricht natürlich für das Letztere; aber HUMEs noch zu besprechende Ausführungen über die  distinctio rationis  zeigen, daß auch die erstere Deutung nicht schlechthin von der Hand zu weisen ist.

Indessen geraten alle bisher wahrscheinlich gemachten Interpretationen wieder ins Schwanken, wenn man denselben HUMEs nachträgliche Bemerkung entgegenhält, daß, ehe jene Gewohnheit durchgebildet ist, wir oft statt  einer  Idee mehrere hintereinander bilden, um uns über den Sinn jenes Worts aufzuklären. Dies wird unfraglich als etwas vom obigen Vorgang ganz  Verschiedenes  geltend gemacht; worin soll aber, wenn wir HUME bisher richtig verstanden haben, die Verschiedenheit liegen? Wodurch kann dieses Zusammensuchen verschiedener mit demselben Wort bezeichneter Gegenstände ermöglicht werden, wenn nicht durch die Assoziationen, welche sich an das Wort knüpfen, also durch das, was HUME früher Gewohnheit genannt hat? Man könnte einen Augenblick lang an Assoziation der Vorstellungen selbst nach dem Gesetz der Ähnlichkeit denken, aber auch nur einen Augenblick. Denn, um bei HUMEs Beispiel zu bleiben, hätten wir zur Jllustration dessen, was  Figur  bedeutet, einen konkreten Kreis vorgestellt, der, da er doch Farbe haben mßu, etwas weiß sein mag, so könnte sich nach dem Gesetz der Ähnlichkeit  Schnee  oder  Zucker  daran mindestens ebensogut assoziieren, als ein weißes Quadrat. - Auch darin, daß wir hier einen Gegenstand  nach  dem andern vorstellen, kann kein Unterschied gegenüber dem ersten Fall liegen; denn mag jene Gewohnheit auch eine Disposition für  alle  assoziierten Ideen begründen, so können sich diese, mögen wir ihrer viele oder wenige wirklich vorstellen, doch kaum jemals alle gleichzeitig im Bewußtsein vorfinden.

Die hier hervorgehobenen Schwierigkeiten zu  lösen,  ist der Verfasser, wie schon oben bemerkt, nicht imstande. Sollte es einem schärferen Verstand gelingen, das scheinbar Dunkle dieser Ausführungen aufzuhellen, so wird er sich dankbar der besseren Einsicht anschließen; wenn aber nicht, so glaubt er nun in der Tat so viel ausgemacht zu haben, daß die HUMEsche Theorie hier an Unklarheiten leidet, über die man bei der Darstellung zwar leicht hinwegspringen, die man jedoch unmöglich durch Interpretation beseitigen kann.

Es versteht sich unter solchen Umständen von selbst, daß hier das Gebiet der sachlichen Kritik ein ziemlich beschränktes sein muß. Gleichwohl dürfte sie auch hier nicht wertlos sein, einesteils, weil wir erwarten dürfen, auf diesem Weg neues Material zur Charakteristik der vorliegenden Untersuchungen zu gewinnen,- dann aber auch, weil sich daraus wohl ergeben muß, welche Aussicht ein etwaiger Versuch hätte, HUMEs Theorie unter Beibehaltung der wesentlichen Grundlagen weiter auszubilden.

Schon der erste Schritt HUMEs, die Anwendung desselben Wortes auf ähnliche Gegenstände, führt, von  seinem  Standpunkt aus betrachtet, auf Inkonvenienzen [Unbequemlichkeiten - wp]. Zwar haben wir selbst zur Unterstützung dieses Prinzips auf die Assoziation durch Ähnlichkeit hingewiesen, und sind auch jetzt weit entfernt, dessen Bedeutung für die Bildung allgemeiner Namen zu unterschätzen; aber es muß hier darauf hingewiesen werden, wie wenig Assoziation ohne Abstraktion in dieser Richtung zu leisten vermag. Gesetzt, wir hätten etwas Kreisförmiges vor uns, sei es nun ein gezeichneter Kreis, ein kreisrundes Papier oder ein Mühlstein (einen Kreis in abstracto können wir ja nach HUME gar nicht denken) und nennten dies  Figur,  (84) so läßt sich wohl mit ziemlicher Sicherheit behaupten, daß uns nie und nimmmer einfallen würde, sobald wir nun etwa ein quadratisch abgegrenztes Kornfeld sehen, uns jener  Figur  als ähnlich zu erinnern und so auch dem Feld den Namen  Figur  zu geben. Freilich, sind wir imstande, an  Gestalt  in abstracto dabei zu denken, dann ist alles einfach; aber eben das ist die Voraussetzung, die HUME am allerwenigsten zuläßt. Die Schwierigkeit wird natürlich umso größer, je allgemeiner der Name sein soll: was z. B. das eben berührte Wort  Gestalt  anlangt, so kann es auf alle Gegenstände im Raum angewendet werden, beruth also auf einer Ähnlichkeit, die, wenn man den Gegenstand nur stets mit allen seinen Details betrachten kann, viel zu verbreitet und darum viel zu wenig auffallend ist, um eine Assoziation zu begründen.

Wenn übrigens HUME über die Festigkeit der oben oft genannten  Gewohnheit  staunt, welche gestattet, daß ohne Mißverständnis dieselbe Partikularidee an verschiedene allgemeine Worte geknüpft werden kann, so liegt dem offenbar eine Tatsache zugrunde, die noch viel erstaunlicher ist. Wie ist man denn nur darauf verfallen, ein und derselben Partikularidee,  bevor  sich jene Gewohnheit bildete, die allerverschiedensten Namen zu geben, z. B. dasselbe Ding einmal Mühlstein, ein andermal ein Rundes, dann ein Weißes, Schweres, einen Körper usw. usf. zu nennen, und dann, sobald man andere ähnliche Dinge antraf, diesen bald den einen, bald den anderen jener vielen Namen zu geben, und zwar so, daß den untereinander ähnlichen Dingen immer auch dieselben Namen zufallen, nicht aber unterschiedslos bald diesem, bald jenem Gegenstand, wie doch zu erwarten wäre, wenn die Ähnlichkeit immer nur im Ganzen, und nicht in Bezug auf einzelne Attribute in Wirksamkeit treten könnte?  Eines  zumindest scheint sich aus der ganzen Verwirrung ziemlich unzweifelhaft zu ergeben. Dasselbe Wort wird für sehr viele und sehr verschiedene Dinge gebraucht; dasselbe Ding wird (und zwar, wie es scheint, ganz grundlos) mit einer sehr großen Anzahl verschiedener Namen benannt, - es ist also nicht abzusehen, wie sich unter so ungünstigen Umständen eine auch nur einigermaßen merkliche Assoziation zwischen Wort und Idee bilden könnte.

Gesetzt jedoch, alle hier geltend gemachten Bedenken bestünden nicht, gesetzt, es gelänge, die Assoziationen ganz so zu kontrahieren, wie HUME verlangt: so geraten wir doch sofort auf eine neue Schwierigkeit, sobald wir die auf dem HUMEschen Weg gebildeten "allgemeinen Ideen" zu Urteilen zu verwenden suchen. Dann man erkennt leicht, daß Letztere durch HUMEs Theorie alle Bedeutung verlieren. Spreche ich etwa den Satz aus: "Die Wölfe sind Säugetiere", so ist damit zunächst nur etwas über  Worte  ausgesagt; bezüglich der Dinge läßt sich daraus nur ganz im Allgemeinen auf eine Ähnlichkeit schließen, welche die Assoziation an das Wort  Säugetier  voraussetzt, - da aber dieselben Gegenstände auch noch mit vielen anderen z. B. an den Namen  organisches Wesen  assoziiert sind, so ist mit der Erkenntnis jener Ähnlichkeit so gut wie gar nichts gewonnen.

Lassen wir aber auch all das beiseite, so bleibt immer noch das sogenannte abgekürzte Verfahren, das nach HUMEs Ansicht ja in der Regel eintritt, als etwas höchst Sonderbares übrig. Es ist sehr begreiflich, daß dem, der ein Attribut denkt, infolgedessen ein Gegenstand in den Sinn kommt, der dieses Attribut an sich trägt. Daß uns aber darum, weil wir ein Attribut vorstellen, ein Objekt einfallen soll, das dieses Merkmal gerade  nicht  besitzt, das ist nicht nur, wie schon HUME meint, "einer der außerordentlichsten Umstände", sondern das widerspricht allem über Assoziation und Reproduktion Beobachteten so sehr, daß eine umfangreiche Begründung durch analoge Fälle erforderlich wäre, um einen solchen Erklärungsversuch überhaupt statthaft, ja noch mehr, um ihn überhaupt wahrscheinlich zu machen.

Ganz außer Acht gelassen hat HUME übrigens den Analogiebeweis nicht, wenn er ihn auch nicht zugunsten des letztbesprochenen Punktes anwendet, sondern um anderweitig seine Theorie zu stützen. Allein die von ihm herbeigezogenen Fälle erweisen sich als wenig zu diesem Zweck geeignet. Das Reproduzieren von Versen mit Hilfe des Anfangswortes ist doch nicht mehr als ein Beispiel einfacher Ideenassoziation, deren Vorhandensein HUME an dieser Stelle nicht erst sicherzustellen hat. Weist er ferner auf die Ähnlichkeit als Hilfe für die Reproduktion hin, so wissen wir schon aus den obigen Betrachtungen, ein wie zweifelhafter Bundesgenosse diese Ähnlichkeit gerade für HUMEs Theorie ist. Ähnlich  in irgendeiner Hinsicht  (wie ein Verteidiger der abstrakten Begriffe wohl sagen darf, nicht aber HUME) ist der durch das Wort zunächst ins Bewußtsein gerufene Gegenstand in der Regel sowohl den anderweitig unter jenes Wort als den  nicht  darunter fallenden Dingen; vermag die Ähnlichkeit also einerseits die Reproduktion im Sinne HUMEs zu fördern, so erleichtert sie auf der anderen Seite Verwechslungen in eben demselben Maß. - Die beiden noch übrigen Beispiele beziehen sich auf den schon oben erwähnten Fall des richtigen Gebrauchs von Worten, deren Sinn wir uns gar nicht oder nur teilweise gegenwärtig halten. Eine Analogie zu HUMEs Abstraktionstheorie ist aber darin nicht zu erkennen.

Zum Schluß sei nur noch darauf hingewiesen, daß HUMEs Hypothese, auch wenn ihr sonst nichts im Wege stünde, doch durchaus nicht imstande wäre, alles, was man gewöhnlich unter die Phänomene der Abstraktion einbegreift, zu erklären. Man hört häufig genug von Familienzügen, die Verwandten gemeinsam sein sollen, von Nationaltypen, Nationalcharakter, - auch vom Stil einer Literatur oder Kunstperiode wird oft genug die Rede sein. Neben manchen Unklarheiten, die hier gewiß mit unterlaufen, handelt es sich doch um wirklich gemachte Beobachtungen, um Merkmale, die mehreren oder vielen Individuen gemeinsam sind. Die Vorstellungen dieser Attribute erscheinen demnach als Allgemeinbegriffe, bei denen aber kaum jemand bestreiten wird, daß das Gemeinsame erst als solches bemerkt werden mußte, ehe man ihm einen Namen gab (wenn es überhaupt zur Namensgebung gekommen ist). Hier also erhält sicher der Name durch den Begriff seine Allgemeinheit, nicht der Begriff durch den Namen.

Auch auf das Urteil müssen wir in diesem Zusammenhang noch einmal zurückkommen, da sich hier HUMEs Aufstellungen als vollends ungenügend erweisen. Wen meinen wir mit dem Satz: "Alle Menschen sind sterblich", etwa nur die, welche wir gesehen, oder an die wir als Einzelne gedacht haben? Gewiß nicht; jedermann will damit etwas von  allen  Menschen ausgesagt haben, die existieren, existiert haben und existieren werden. Daß aber nicht die Vorstellungen von allen diesen mit dem Wort  Mensch  einzeln Assoziationen eingegangen sein können, daß andererseits der allgemeine Satz, wenn auf den durch HUMEs Theorie geforderten Umfang eingeschränkt, den Charakter der Allgemeinheit völlig einbüßen müßte, das ist wohl handgreiflich genug.

Vielleicht hat mancher Leser bei der hier versuchten Darstellung der HUMEschen Abstraktionstheorie und noch mehr bei der Kritik derselben die Berücksichtigung der Ausführungen unseres Philosophen über die  distinctio rationis  vermißt, ja den Verfasser des Leichtsinns oder der Parteilichkeit beschuldigt, wenn er Einwendungen gegen HUME erhob, welche mit Hilfe dieser Distinctio allenfalls zugunsten HUMEs zu beseitigen gewesen wären. Aber eben in dieser Möglichkeit konnte der Anlaß zu dem Mißverständnis liegen, als wäre das, was HUME über die  distinctio  sagt, ein wesentlicher Teil seiner Abstraktionstheorie, (85) während er doch die vorliegende Frage erst anhangsweise zur Sprache bringt und noch ausdrücklich hervorhebt: "Zur Beseitigung dieser Schwierigkeiten müssen wir auf die obige Erklärung der abstrakten Idee  rekurrieren."  (86) Er will also nur eine Anwendung der zuvor aufgestellten Prinzipien geben; diese Anwendung kann aber, mag sie nun auf tatsächlich richtige oder falsche Resultate führen, weder unbedingt für, noch unbedingt gegen jene Prinzipien zeugen, da ja nebenher noch immer die Frage, ob die Anwendung auch eine  richtige  war, in Betracht kommen muß. Die Entscheidung über  diese  Frage erfordert nun aber bereits ein möglichstes Verständnis der anzuwendenden Theorie; und da überdies die vorliegende Anwendung von HUME nicht erst als  Beweis  für jene in Anspruch genommen, der Beweisversuch vielmehr, wie wir sahen, auf ganz andere Fundamente gestützt wird, so haben wir uns auch keiner Ungerechtigkeit schuldig gemacht, wenn wir die Theorie für sich einer Prüfung unterzogen und für Inkonvenienzen verantwortlich machten, die sie unvermeidlich mit sich zu führen schien. Sollten wir aber richtig geurteilt haben, so wirft es eben schon von vornherein kein günstiges Licht auf die Anwendung, wenn bei dieser Bedenken verschwinden können, die aus jenen Prinzipien in korrekter Weise erschlossen worden sind.

Überdies erkennt man leicht, wie wenig etwa diese  Anwendung  imstande ist, das über der Theorie schwebende Dunkel aufzuhellen. Es handelt sich hier um die Unterscheidung zwischen Gestalt und dem gestalteten Körper, zwischen Bewegung und dem bewegten Körper. "Die Schwierigkeit, diese Distinktion zu erklären", sagt HUME,
    "entsteht aus dem oben erörterten Prinzip, daß alle Ideen, die verschieden sind auch trennbar sind. Denn es folgt daraus, daß, wenn die Gestalt vom Körper verschieden ist, deren Ideen sowohl trennbar als auch unterscheidbar sein müssen; sind jene nicht verschieden, so können ihre Ideen weder trennbar noch unterscheidbar sein."
Das Dilemma lautet unzweideutig genug und wenn man ein paar Zeilen weiter unten HUMEs Behauptung liest, Gestalt und gestalteter Körper seien "in Wirklichkeit weder unterscheidbar, noch verschieden, noch trennbar", so kann man nicht anders denken, als daß die Frage nach der  distinctio rationis  nun dahin entschieden ist, daß es eben nichts dergleichen geben kann. Aber HUME argumentiert anders. Der Geist hätte, meint er, von einer solchen Unterscheidung niemals auch nur geträumt, "bemerkte er nicht, daß sich selbst in dieser Einfachheit mancherlei Ähnlichkeiten und Relationen vorfinden". An der Ide einer weißen Marmorkugel z. B. können wir in der Tat Farbe und Gestalt weder trennen noch unterscheiden, aber der Vergleich derselben mit einer Kugel von  schwarzem,  einem  Würfel  aus weißem Marmor ergibt zwei verschiedene Ähnlichkeiten. Mit einiger Übung unterscheiden wir nun Gestalt und Farbe, d. h. wir stellen Beide zusammen vor,
    "da sie faktisch identisch und ununterscheidbar sind, aber wir betrachten sie von verschiedenen Gesichtspunnkten, je nach den Ähnlichkeiten, deren sie fähig sind. Wollen wir daher nur die  Gestalt  der weißen Marmorkugel betrachten, so bilden wir in Wirklichkeit eine Idee sowohl von Gestalt als auch von Farbe, - aber wir richten stillschweigend unser Auge auf die Ähnlichkeit mit der schwarzen Marmorkugel; in gleicher Weise wenden wir, wenn wir nur die  Farbe  in Betracht ziehen wollen, unseren Blick auf die Ähnlichkeit mit dem Würfel aus weißem Marmor. So begleiten wir unsere Ideen mit einer Art Reflexion, auf die uns die Gewohnheit in hohem Grad unachtsam macht". (87)
Wenn HUME versprochen hat, die  distinctio rationis  durch seine Abstraktionstheorie zu erklären, so wissen wir nun, daß er von dieser nichts als den Satz von der Untrennbarkeit und Ununterscheidbarkeit des Identischen herbeigezogen hat. Aber es muß selbst bezüglich dieses Satzes sehr fraglich erscheinen, ob HUME  durch  ihn, ob er nicht vielmehr im  Gegensatz  zu ihm das eben dargestellte Resultat erreichte. Zwar hält ihn HUME, wie wir sahen, fortwährend aufrecht, er erklärt wiederholt Farbe und Gestalt als identisch und ununterscheidbar; wie es dann aber möglich ist, daß zwischen Farbe und Gestalt nun doch, und wäre es auch durch die komplizierteste Gedankenoperation, eine Unterscheidung erfolgen kann, das ist ein Rätsel, zu dessen Lösung uns HUME nicht verholfen hat, dessen Lösung zu finden wohl auch niemand anderer imstande wäre.

Hier liegt also jedenfalls ein Widerspruch; aber noch etwas anderes muß hervorgehoben werden. In dem Beispiel von Kugeln und Würfel ist vom Wahrnehmen zweier verschiedener Ähnlichkeiten die Rede. Zwar spielt, wie wir sahen, auch in der HUMEschen Abstraktionstheorie die Ähnlichkeit eine große Rolle; indessen haben wir uns stets bemüht, an den betreffenden Stellen diese Relation zwar als assoziationserregendes  Faktum  in Betracht zu ziehen, die  Vorstellung  der Ähnlichkeit aber aus dem Spiel zu lassen. Der Grund dafür war einfach: Erwies sich der Grad einer Qualität von dieser, die Qualität selbst von dem mit ihr behafteten Körper als weder verschieden noch unterscheidbar noch trennbar, so mußte dasselbe von einer Relation und deren Fundamenten gelten; man kann sich also nach HUME höchstens zwei ähnliche Dinge, aber niemals  Ähnlichkeiten  vorstellen. Noch weniger war an die Möglichkeit zu denken, Ideen von Relationen zwischen  Attributen  zu bilden; und da solche wohl nötig wären, um ein Ding mit mehreren anderen in  verschiedener  Hinsicht ähnlich zu finden, so glaubten wir diese Möglichkeit, auch wo sie zugunsten HUMEs in Rechnung gezogen werden konnte, außer Acht lassen zu müssen. Wie nun, wenn die uns früher unmöglich erscheinende Annahme nun die Grundlage zur Erklärung der  distinctio rationis  wird? Sicher ist, daß dieser Umstand  allein  nichts dazu beitragen kann, unsere früheren Bedenken zu beseitigen; im Gegenteil tritt hier noch ein Moment hinzu, durch das diese Erklärungsweise vollends unstatthaft wird: um zu einem Unterschied zwischen Gestalt und gestaltetem Körper zu gelangen, müssen wir, wie dargetan, zuvor zwei verschiedene Ähnlichkeiten wahrnehmen, Ähnlichkeiten, sagen wir; setzt dies nicht schon eine Unterscheidung zwischen Ähnlichkeit und den ähnlichen Gegenständen voraus? Das scheint ziemlich sicher; ist dem aber so, dann hat HUME die distinctio rationis durch - die distinctio rationis erklärt.




Wir haben bei der Darstellung und Analyse der HUMEschen Abstraktionslehre von dem, was wir vorher selbständig zu ermitteln versuchten, fast ganz und gar abgesehen; und in dieser Zurückhaltung lag wohl der beste Schutz gegen jede Parteilichkeit. Denn wenn wir die fragliche Theorie sich gewissermaßen an sich selbst und an der Erfahrung erproben ließen, so konnte bei der Beurteilung, ob sie diese Probe bestanden hat oder nicht, Voreingenommenheit für oder gegen sie unmöglich die Oberhand gewinnen.

Nachdem wir nun aber auf diesem Weg zu einem Resultat gelangt sind, ist es auch leicht, den Punkt namhaft zu machen, der ein Mißlingen des vorliegenden Erklärungsversuches zur Notwendigkeit werden ließ.  Das Außerachtlassen des Begriffsinhalts, das Einführen der Ideenassoziation zur Ableitung der Erscheinungen des Begriffsumfangs  - das sind die beiden Grundfehler der HUMEschen Abstraktionstheorie.  Jetzt  ist es wohl erlaubt, ohne weitere Begründung auf unsere frühere Darlegung zurückzuweisen. Klar genug dürfte sich dort namentlich ergeben haben, wie wenig der Begriffsumfang mit der Ideenassoziation gemein hat; und die völlige Unzulänglichkei von HUMEs Assoziationshypothese wird nur geeignet sein, diese Wahrheit in ein noch helleres Licht zu setzen.

Aber aufgrund alles dessen könnte leicht ein Zweifel entstehen, ob Ausführungen, die sich so in jeder Hinsicht als unhaltbar herausstellen mußten, und daher die Gedankenrichtung von HUMEs Nachfolgern gewiß nicht nachhaltig beeinflussen konnten, - ob solche Ausführungen, sagen wir, einer eingehenden Betrachtung überhaupt wert gewesen wären. Solchen Einwürfen gegenüber ist jedoch zweierlei geltend zu machen. Vor allem ist eben HUMEs Unternehmen, die Allgemeinheit der Universalbegriffe auf Assoziation zurückzuführen, so verfehlt, wie es ein Fehler wäre, einen Schritt und zwar einen der ersten Schritte in  der  Richtung zu betrachten, die seit HUME für die Entwicklung der empirischen Schule von entscheidenstem Belang geworden ist, indem sie deren Philosophie im eigentlichen Sinn zu einer Philosophie der Ideenassoziation gemacht hat. Wenn JOHN STUART MILL gerade bei der Erörterung der auf die Abstraktion bezüglichen Fragen sich zu dem Ausspruch gedrängt fühlt, "daß es in der Psychologie nichts Universelleres gibt, außer den Gesetzen der Assoziation" (88), so ist dies nicht nur höchst bezeichnend für die dann doch über Gebühr große Rolle, welche dieses, gewiß höchst bedeutungsvolle, Prinzip in der englischen Psychologie der Gegenwart spielt, sondern es beleuchtet zugleich in unverkennbarer Weise den Einfluß, den HUME im Laufe eines Jahrhunderts auf das Denken seiner Landsleute zu nehmen vermochte. Denn es bedarf nur noch eines Blickes auf die Weise, in der noch JOHN LOCKE am Ende des zweiten Buches seines  Essay  die Phänomene der Ideenassoziation behandelt, um zu erkennen, wie HUME es war, der zu einer wissenschaftlichen Verwertung der Assoziation zur Erklärung anderer psychischer Erscheinungen erst recht eigentlich den Anstoß gegeben hat.

Bezieht sich das eben Gesagte zwar nicht  nur  auf HUMEs Abstraktionstheorie, doch sicher  auch  auf diese, so muß zweitens unter alleiniger Rücksicht auf letztere noch einmal an das erinnert werden, was schon oben über das Verhältnis HUMEs zu BERKELEY festgestellt wurde. Wenn heute unter den englischen Empirikern der Nominalismus als die herrschende Lehre gilt, so ist das eine Tatsache, die, wie wir wissen, zunächst nicht auf die berühmte Einleitung in BERKELEYs Abhandlung, sondern auf die hier von uns geprüften Ausführungen HUMEs zurückweist.

Freilich, wer den modernen englischen Nominalismus nach dem beurteilen wollte, was JOHN STUART MILL, der sich selbst auch unter die Nominalisten zählt, über Abstrakta sagt, der könnte leicht zu der Meinung gelangen, daß dieser  Nominalismus  selbst nichts mehr als ein leerer Name, und somit HUMEs Einfluß in dieser Richtung nicht eben hoch anzuschlagen ist. Die Bedeutung MILLs berechtigt uns wohl, die von allem hiergehörige Stelle aus seinem Buch über HAMILTON (89) mitzuteilen.
    "Die Bildung eines Begriffs", heißt es da, "besteht nicht darin, daß wir Attribute, die ihn zusammensetzten, von allen anderen Attributen desselben Objekts trennen, und uns in den Stand setzen, jene Attribute abgesondert von den übrigen vorzustellen. Wir konzipieren sie nicht, wir denken sie nicht, wir apprehendieren sie nicht als Dinge für sich, sondern nur als Bestandteile der Idee eines partikulären Objekts neben vielen anderen Attributen, mit denen sie zusammengesetzt sind. Aber eben indem wir sie als Teile eines größeren Ganzen auffassen, haben wir die Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit auf sie zu richten, so daß wir die übrigen Attribute, mit denen wir sie uns als kombinierte vorgestellt haben, vernachlässigen. Solange diese Konzentration der Aufmerksamkeit wirklich dauert, sind wir, sofern diese intensiv genug ist, imstande, von einigen der übrigen Attribute kein Bewußtsein zu haben und für eine kurze Zeit nichts gegenwärtig zu halten, als die Attribute, welche den Begriff konstituieren. In der Regel ist jedoch die Aufmerksamkeit nicht so exklusiv und läßt im Bewußtsein Raum für andere Elemente der konkreten Idee, obwohl das Bewußtsein dieser Elemente entsprechend der Energie und Stärke der Konzentration schwach ist, - und in dem Moment, in dem die Aufmerksamkeit nachläßt, erscheinen diese anderen Bestandteile im Bewußtsein, sofern dieselbe Idee fortfährt, den Geist zu beschäftigen. Wir haben demnach, um genau zu reden, keine allgemeinen Begriffe, wir haben nur komplexe Ideen von Objekten  in concreto;  aber wir können unsere Aufmerksamkeit ausschließlich auf gewisse Teile der konkreten Idee richten, und durch diese exklusive Aufmerksamkeit geben wir diesen Teilen die Fähigkeit, ausschließlich den Lauf unserer Gedanken, wie sie die Assoziation sukzessiv hervorruft, zu bestimmen, und sind bereit, einer Kette von Meditationen oder Folgerungen in Bezug auf diese Teile zu folgen, ganz so, als ob wir imstande wären, sie abgesondert vom Rest vorzustellen."
Es war vielleicht schon um der Sache willen nicht ganz unpassend, nachdem wir uns hier so viel mit Polemik beschäftigt haben, nun auch einer Darstellung des Abstraktionsaktes zu gedenken, mit der wir uns, abgesehen von der nicht eben vielsagenden nominalistischen Klausel, ziemlich rückhaltlos einverstanden erklären können. Aber auch dieser Differenzpunkt verdient hervorgehoben zu werden, da es sich dabei um eine, sowohl in unserem nächsten Zusammenhang, als auch für die Charakteristik der modernen englischen Philosophie nicht unwesentliche Tatsache handelt.

Wir sprechen eben von JOHN STUART MILLs sogenanntem Nominalismus, und müssen hier nochmals auf die schon oben benützte Definition, die Mill selbst von dem in Rede stehenden Wort gibt, rekurrieren. Ist den Nominalisten wirklich die Ansicht wesentlich, daß die Namen das einzige Allgemeine sind, das existiert, so wird zunächst wenigstens jedermann zugeben, daß aus der hier reproduzierten Stelle kaum etwas von einer derartigen Meinung ihres Verfassers zu entnehmen ist. Er fährt dann zwar fort:
    "Was uns dieses Vermögen gibt, ist vor allem die Anwendung von Zeichen, und zwar insbesondere jener Art von Zeichen, welche am wirksamsten und uns vertrautesten ist, d. h. der Namen";
allein dies kann nicht genügen, um MILLs Theorie zur nominalistischen im obigen Sinne zu machen. Angenommen, was zu untersuchen uns hier zu weit führen würde, MILL hat in diesem Punkt Recht, gesetzt, es kommt nie eine Verallgemeinerung zustand ohne Namen, so besagt dies nur, daß der Name eine  conditio sine qua non  [Grundvoraussetzung - wp] der Verallgemeinerung ist, nicht aber, daß in ihm diese selbst liegt. Im Gegenteil hat MILL selbst von einer Konzentration der Aufmerksamkeit auf gewisse Teile des Konkretums gesprochen; durch was auch immer diese veranlaßt ist: sie ist ein psychischer Akt; der Begriff, dem die Aufmerksamkeit höchstens als  Ganzem  zugewendet ist, unterscheidet sich  psychologisch  vom Begriff, bei dem einzelne Teile durch die Aufmerksamkeit vor den anderen ausgezeichnet sind; der Unterschied liegt somit zwar nicht in der  Zahl  der Teile, wie LOCKE meinte, sondern im Verhältnis der Vorstellungselemente zueinander und zum vorstellenden Subjekt, - aber der Unterschied zwischen diesen  Begriffen den konkreten einerseits und den von uns abstrakt genannten andererseits, ist unverkennbar. Nach MILLs eigener Theorie ist demgemäß
    "die Allgemeinheit nicht nur ein Attribut der Namen, sondern sie ist  auch  ein Attribut der Ideen. Die äußeren Objekte sind alle individuell, aber jedem Namen entspricht ein allgemeiner Begriff", -
das ist aber wörtlich genau die Charakteristik, welche MILL selbst (90) von den  Konzeptualisten  entwirft, zu deren Gegnern er sich bekennt.

Es versteht sich, daß, wenn es sich bei der ganzen Angelegenheit nur um  Namen  handelt, eine eingehende Erörterung hier umso weniger motiviert gewesen wäre, als sich ja die Anwendung der Bezeichnung  Nominalismus,  für die MILL eine begreifliche Vorliebe haben konnte, auf seine Theorie in  gewissem  Sinne wenigstens rechtfertigen ließe. Aber dieser Sinn wäre eben einer, den sonst weder JOHN STUART MILL selbst noch jemand anderer gewöhnlich mit diesem Wort verbindet, und darum kann die Behauptung, MILL sei ein Nominalist, auch wenn sie von ihm selbst ausgeht, nicht anders als irrig genannt werden.

Das Eine scheint also außer Frage: Auf JOHN STUART MILLs Ansichten über Abstraktion und Verallgemeinerung hat HUME  keinen  nennenswerten Einfluß zu gewinnen vermocht. Sollte es mit den übrigen Anhängern des Nominalismus ebenso bewandt, sollte für sie HUMEs Theorie wirklich so überwunden sein, daß nichts auf ihn zurückweist, als etwa der Name, den sie sich beilegen?

Man könnte in der Meinung, daß dem so ist, durch eine Bemerung ALEXANDER BAINs noch bestärkt werden.
    "Wir sind fähig", sagt dieser (91), "auf die Punkte der Übereinstimmung ähnlicher Dinge zu achten, und die Differenzpunkte zu vernachlässigen; so wenn wir an das Licht leuchtender, oder an die Rundheit runder Körper denken, - diese Kraft heißt  Abstraktion." 
Aber man braucht nur um Weniges weiter zu lesen, um den Irrtum mindestens bezüglich BAINs zu erkennen. Ungefähr eine Seite hinter der obigen Stelle (92) finden wir Folgendes:
    "Abstraktion besteht nicht eigentlich darin, eine Eigenschaft eines Dings von den andern im Geiste zu trennen, z. B. die Rundheit des Mondes, abgesondert von seiner Helligkeit und seiner scheinbaren Größe, zu denken. Eine solche Trennung ist undurchführbar, niemand kann sich einen Kreis ohne Farbe und bestimmte Größe vorstellen. Alle Zwecke der abstrakten Idee werden erreicht, indem man sich ein konkretes Ding vorstellt in Gemeinschaft mit anderen Dingen, die ihm in Bezug auf das fragliche Attribut gleichen; und indem man von dem einen Konkretum nichts aussagt, als was auch für alle übrigen wahr ist."
Es ist hier wohl kaum nötig, den Leser an HUMEs Beispiel von Marmorkugel an Marmorwürfel zu erinnern, um ihn zu überzeugen, daß BAIN im Grund nur HUMEs Theorie über die  distinctio rationis  seiner Erklärung zugrunde gelegt hat. Dieser Erklärung gegenüber ist auch kein Anlaß vorhanden, die Wirklichkeit des durch sie gestützten  Nominalismus  in Zweifel zu ziehen. Denn, daß ein Vorgang, wie der von BAIN geschilderte,  keine  Abstraktion ist, das muß jeder zugeben, wenn auch vielleicht nicht jeder zugeben wird, daß es möglich ist, auf diesem Weg zu einer wirklichen  Allgemeinheit  zu gelangen.

Es würde natürlich die uns gesteckten Grenzen weit überschreiten, wollten wir es unternehmen, die Entwicklung, welche die Abstraktionstheorie in England seit HUME genommen hat, Schritt für Schritt zu verfolgen; was wir allein tun können, ist, die Anknüpfungspunkte an HUME in  Beispielen  aufzuweisen, und zu diesem Zweck mag hier noch zweier Denker der neuesten Zeit gedacht sein.

Der erste ist JAMES MILL, der im achten Kapitel seiner "Analysis of the phenomena of the human mind" die Frage der Verallgemeinerung eingehend erörtert: "Der Mensch", führt er aus, "wird zuerst mit Individuen bekannt, er benennt" daher auch "zuerst Individuen. Aber Individuen sind unzählbar, der Mensch kann nicht unendlich viele Namen behalten, muß daher  einen  Namen für viele Individuen dienenlassen." Er bedarf eben eines Abkürzungsmittels, und als solches fungieren Namen, die in gleicher Weise "eine Anzahl von Individuen mit allen Besonderheiten bezeichnen", um von vielen auf einmal sprechen zu können. (93) "Worte erhalten ihre Bedeutung nur durch Assoziation" mit einer Idee. (94) Wird nun z. B. das Wort  Mensch  zunächst nur auf  ein  Individuum angewendet, so assoziiert es sich mit der Idee desselben und gewinnt die Kraft, diese wachzurufen; das Gleiche gilt von der Anwendung auf ein zweites, drittes Individuum usw., bis das Wort "mit einer unbestimmten Zahl assoziiert ist, und die Kraft erlangt hat, eine unbestimmte Anzahl dieser Ideen indifferent aufzurufen". Das Letztere geschieht nun in der Tat, so oft dieses Wort vorkommt, und indem es jene Ideen "in enger Verbindung wachruft, gestaltet es sie zu einer Art komplexer Idee", wie auch sonst die Assoziation oft komplexe Ideen aus einer unbestimmten Anzahl von Ideen bildet. (95)
    "Es ist auch eine Tatsache, daß, wenn eine Idee bis zu einem gewissen Grad komplex ist, sie vermöge der Mannigfaltigkeit der Vorstellungen, die sie enthält, auch notwendig indistinkt [unbestimmt - wp] ist",
z. B. die eines Tausendecks, eines Heeres, Forstes und dgl. Wenn in dieser Weise
    "dasselbe Wort  Mensch  die Idee einer unbestimmten Zahl von Individuen erweckt, nicht nur aller derjenigen, denen ich individuell den Namen gegeben habe, sondern auch derer, denen ich ihn in der Phantasie gegeben habe, sondern auch derer, denen ich ihn in der Phantasie gegeben habe, oder von denen ich mir einbilde, daß er ihnen je gegeben werden wird, ... so ist es offenbar eine sehr komplexe Idee und daher indistinkt, und diese Indistinktheit ist ohne Zweifel eine Ursache des Dunkels, welches darüber verbreitet schien." (96)

    "Es ist daraus zu entnehmen, daß Appellativa oder allgemeinen Namen eine doppelte Bedeutung haben; ... die einfachen Ideen, die ... bei jedem Individuum zu einer komplexen Idee zusammengewachsen sind, sind das eine Ding, das durch jedes Appellativ bezeichnet wird, und diese komplexe Idee des Individuums, verwachsen mit einer andern, einer dritten derselben Art usw. ohne Ende ist das andere der dadurch bezeichneten Dinge. So bezeichnet das Wort  Rose  vor allem einen bestimmten Geruch, bestimmte Farbe, Gestalt, Konsistenz, so assoziiert, daß sie  eine  Idee, die des Individuums, ausmachen; ferner bezeichnet es dieses Individuum, assoziiert mit einem andern, einem dritten, vierten usw., mit einem Wort, es bezeichnet die Klasse." (97)
Gerade die letzten Zusammenfassungen legen den Vergleich mit HUME ungemein nahe. Wie bei diesem haben wir auch bei JAMES MILL den Versuch vor uns, die Verallgemeinerung als speziellen Fall der Ideenassoziation zu erweisen; wie dort, so ist hier der Name zunächst an das Individuum geknüpft und erweckt auch jederzeit zunächst die konkrete Individualvorstellung mit all ihren Bestimmungen; wie dort, so schließt sich hier an diese ein eigentümliches psychisches Phänomen, das vermöge der konkurrierenden Assoziation verschiedener Individualbegriffe an denselben Namen entsteht, und dem infolge der großen Anzahl dieser  Individualia  eine gewisse Unklarheit anhaftet, was HUME als  bloß virtuelle  Gegenwart der Einzelvorstellungen, MILL als Indistinkthei seiner komplexen Idee bezeichnet. Natürlich liegt uns eine  Kritik  MILLs hier völlig fern; soviel kann man jedoch schon auf den ersten Blick erkennen, daß HUME ihm wenigstens in  einem  Punkt  überlegen  scheint: er hat auf die zum Zustandekommen einer geregelten Assoziation notwendig erforderliche  Ähnlichkeit  der Individuen hingewiesen, die JAMES MILL völlig außer Acht gelassen hat.

Mancher Leser wird vielleicht ein wenig befremdet sein, an zweiter und letzter Stelle in diesem Zusammenhang de Namen HIPPOLYTE TAINEs anzutreffen. Er gedenkt wohl der Charakteristik, die der Verfasser des "Positivisme anglais" in seiner etwas rhetorischen Weise von der Abstraktion gegeben hat. "Eine neue Fähigkeit erscheint", sagt er unter anderem in der erwähnten Schrift (98), "die Quelle der Sprache die Erklärerin der Natur, die Mutter der Religionen und Philosophien, der einzige wirkliche Unterschied, der je nach seinem Grad den Menschen vom Tier, die großen Menschen von den unbedeutenden trennt, - ich meine die  Abstraktion , die das Vermögen ist, die Elemente der Tatsachen zu isolieren und abgesondert zu betrachten"; - und da möchte man wirklich ebenso geneigt sein, zu fragen, wie dieser so zweifellos  konzeptualistische  Denker unter die Nominalisten gerät, als auf der anderen seite das Hereinziehen des  Franzosen  in eine Studie über englische Philosophie auffallen kann. Beide Bedenken dürften jedoch schwinden, sobald man die weitläufigen Ausführungen in Betracht zieht, die dieser geistvolle Schriftsteller in seinem späteren Werk "Del'intelligence" (99) demselben Gegenstand widmet.
    "Prüfen wir", sagt TAINE in dem in Rede stehenden Buch, "was in uns vorgeht, wenn mehrere Perzeptionen uns eine allgemeine Idee zuführen, so finden wir in uns niemals etwas anderes als die Bildung, Vollendund und Präponderanz [Vorherrschaft - wp] eines Strebens, das einen Ausdruck und unter anderen Ausdrücken einen  Namen  hervorruft." (100)

    "Sobald wir eine Reihe von Gegenständen gesehen haben, die mit einer gemeinsamen Eigenschaft ausgestattet sind, zeigen wir eine bestimmte Tendenz, die der gemeinsamen Eigenschaft und nur dieser entspricht ... Wir nehmen nicht die allgemeinen Qualitäten oder Merkmale der Dinge wahr; wir haben bloß in ihrer Gegenwart diese oder jene distinkte Tendenz, die in der Natursprache zu dem und dem Namen führt. Wir haben keine allgemeinen Ideen im strengen Sinne des Wortes; wir haben Tendenzen zum Benennen und Namen." (101)

    "Was wir eine allgemeine Idee, eine Gesamtvorstellung nennen, ist nichts als ein Name; nicht der einfache Schall, der in der Luft schwingt oder unser Ohr erschüttert, oder eine Ansammlung von Buchstaben, die das Papier schwärzen oder unsere Augen affizieren, nicht einmal diese Buchstaben als im Geiste wahrgenommen, oder dieser Schall als in Gedanken ausgesprochen, sondern dieser Schall oder diese Buchstaben als mit einer doppelten Eigentümlichkeit versehen, sobald wir sie wahrnehmen oder uns vergegenwärtigen, nämlich der Eigenschaft, in uns die Bilder der zu einer bestimmten Klasse gehörigen Individuen, und nur dieser zu erwecken, - ferner der Eigenschaft, jedesmal wieder zu entstehen, wenn ein Individuum dieser selben Klasse, und  nur,  wenn ein Individuum dieser Klasse sich unserem Gedächtnis oder unserer Erfahrung darbietet." (102)

    So entspricht der Name "der gemeinsamen und unterscheidenden Qualität, welche die Klasse konstituiert und von andern trennt, und entspricht allein dieser Qualität ... In dieser Weise ist er ihr geistiger Repräsentant und erweist sich als Substitut einer Erfahrung, die uns versagt ist." (103)

    Denn "wir können in unserem Geist die allgemeinen Qualitäten isoliert weder perzipieren, noch behalten ... Wir machen" daher "einen Umweg; wir assoziieren an jede abstrakte und allgemeine Qualität ein kleines partikuläres und komplexes Ereignis, einen Ton, eine Figur, leicht vorzustellen und zu reproduzieren, (104) wir gestalten diese Assoziaton so exakt und so eng, daß in der Folge die Qualität in den Dingen nicht erscheinen oder fehlen kann, ohne daß der Name in unserem Geist erscheint oder fehlt und umgekehrt." (105)

    "Handelt es sich" also "um eine allgemein Qualität, von der wir weder eine Erfahrung noch sensible Vorstellung haben können, so substituieren wir der unmöglichen Vorstellung einen Namen, und tun das mit vollem Recht. Er hat dieselben Verwandtschaften und dieselben Gegensätze, wie die Vorstellung, dieselben Hindernisse und Bedingungen der Existenz, dieselbe Ausdehnung und dieselben Grenzen des Auftretens ..." (106)

    "Eine allgemeine oder abstrakte Idee ist" somit "ein Name, nichts als ein Name, der bezeichnende und verstandene Name einer Klasse ähnlicher Individuen, gewöhnlich begleitet durch die sensible aber vage Vorstellung von einer dieser Tatsachen oder Individuen." (107)

    "Allein diese Vorstellung ist nicht die allgemeine und abstrakte Idee, sie ist nur deren Begleitung, ... meine abstrakte Idee ist vollkommen klar und bestimmt", (108) jene Vorstellung hingegen ist nur "ein Residuum der zahlreichen abgeschwächten und verworrenen Erinnerungen". (109)
Was hier aus TAINEs von Tautologien keineswegs freier Darstellung hervorgehoben ist, genügt wohl, um über seine Stellung in der Abstraktionskontroverse nicht den leisesten Zweifel übrig zu lassen. Wir haben einen Nominalismus vor uns, der weiter geht, als heute irgendein anderer namhafter Vertreter dieser Richtung zu billigen geneigt sein dürfte, - weiter auch als der DAVID HUMEs, der bei aller Verwandtschaft mit der TAINEschen Ansicht doch nie die Namen mit den abstrakten oder allgemeinen Ideen kurzweg identifiziert hat.

Das gilt zunächst natürlich nur von TAINE, dem Verfasser des Buches "De l'intelligence"; wie sich damit die allem Anschein nach gerade entgegengesetzten Äußerungen des Autors des  Positivisme anglais  vereinigen lassen, darüber wird nicht leicht eine Hypothese aufzustellen sein. Liegt zwischen den Jahren 1864 und 1870 keine Meinungsänderung von Seiten TAINEs, so ist es immerhin nicht ohne ein eigentümliches Interesse, in dem im erstgenannten Jahr verfaßten Buch den Nominalisten TAINE gegen den angeblichen Nominalismus des Konzeptualisten JOHN STUART MILL polemisieren zu sehen. -

Nur  Beiträge  zur Geschichte des englischen Nominalismus zu liefern, war die Aufgabe dieser Schrift, - nicht eine  Geschichte  desselben; aber auch die wenigen hier beigebrachten Daten werden hinreichen, uns vor dem Vorwurf zu bewahren, als wäre HUMEs Abstraktionstheorie ansich und in ihren Konsequenzen etwas Überwundenes und daher eine eingehende Prüfung derselben nicht mehr gerechtfertigt. Aber wenn auch gegen die Kritik im Allgemeinen nichts einzuwenden ist, so scheint doch ein anderer Vorwurf die vorliegende Studie mit umso mehr Recht zu treffen. Wenn es sich nur darum handelte, die Unhaltbarkeit der HUMEschen Ansichten über Abstraktion darzutun, wäre diese Absicht nicht auf viel kürzerem Weg zu erreichen gewesen? War es denn dazu nötig, auf LOCKE zurückzugehen, eingehend bei BERKELEY zu verweilen, ja eine Zeit lang ganz ohne Rücksicht auf historische Fakta von Inhalt und Umfang und deren Verhältnis zu handeln? Und was HUME selbst anlangt, welches Interesse konnte es haben, alle Fehler in seinem Räsonnement namhaft zu machen, wo doch  einer  genügt hätte, das Resultat umzustoßen?

In der Tat, wäre es uns nur um die Widerlegung HUMEs zu tun gewesen, wir müßten auf all diese Fragen die Antwort schuldig bleiben. Indessen waren es, wie schon eingangs angedeutet, zwei viel weitere Gesichtspunkte, denen wir in dieser Stunde Rechnung trugen und beim essayistisch-monographischen Charakter derselben wohl auch Rechnung tragen durften. Die beiden Gesichtspunkte, die wir meinen, sind der sachliche und der historische, von denen für uns keiner dem anderen an Wichtigkeit nachstand. Um des  ersteren  willen wurde, namentlich in dem hauptsächlich BERKELEY gewidmeten Teil der Arbeit, manches aufgenommen und ausgeführt, an dem historisch wenig mehr aufzuklären war; aus demselben Grund wurde einmal die historisch-kritische Darstellungsweise ganz fallen gelassen, weil zu hoffen war, so einige der wichtigsten Fragen rascher zum Austrag zu bringen. Dagegen war es wider das historische Interesse, das uns schon bei manchen Stellen aus BERKELEY zu verweilen zwang, zumal sich ergab, daß über seine Beziehungen zu HUME noch manche irrige Ansicht herrschte; und dieser Gesichtspunkt ist es dann auch vor allem, von dem aus unser Vorgehen in Bezug auf die HUMEsche Hypothese wohl zu rechtfertigen sein wird.

Bekanntlich hat HUME sein Jugendwerk, den "Treatise on human nature" später einer gründlichen Umarbeitung unterzogen. Zwar liegen über das Verhältnis der ersten und der zweiten Fassung seiner Ansichten die unzweideutigsten Äußerungen von Seiten des Autors selbst vor, trotzdem hat man bisher noch zu keiner rechten Klarheit über diesen Punkt kommen können. Da nun HUME einige Themen aus dem  Treatise  in die zweite Bearbeitung gar nicht mehr aufgenommen hat, so wird ein Versuch, die in Rede stehende Frage zur Entscheidung zu bringen, zweierlei zu leisten haben: einerseits müssen allerdings die doppelten Behandlungen derselben Gegenstände verglichen, andererseits aber auch die nur einmal behandelten Partien untersucht werden, um aufgrund dieser Untersuchung eine Ansicht darüber zu gewinnen, was HUME veranlassen konnte, Gegenstände von hervorragender Bedeutung nachträglich aus dem Kreis seiner Betrachtungen auszuschließen. Zu diesem Zweck ist jedoch ein genaues Eingehen auch auf Einzelheiten erforderlich; denn man beurteilt eine wissenschaftliche Arbeit nicht nur nach der Qualität des Resultats, sondern auch nach der Qualität der Erwägungen und Beweise, welche ihm vorangehen, - und dies war der Beweggrund, der den Verfasser dieser Studie veranlaßte, die Kritik der HUMEschen Abstraktionstheorie bis zur Ermüdung ins Detail zu führen. Das Abstraktionskapitel ist eben eines von den nachher fallen gelassenen, und der Verfasser hat es sich in der vorliegenden Arbeit zur Aufgabe gemacht, Material zur entscheidenden Lösung der Redaktionsfrage wenigstens in Bezug auf die hier behandelte Partie beizubringen. Erst wenn auch die übrigen in dieser Hinsicht in Betracht kommenden Abschnitte des  Treatise  einer ebenso eingehenden Betrachtung unterzogen sind, wird an einen endlichen, dann aber auch abschließenden Austrag der in Rede stehenden Angelegenheit zu denken sein; und die Geschichtsschreiber der Philosophie täten wohl hier, wie noch in manchen anderen Fällen, besser daran, ihre Kräfte zunächst den Vorarbeiten zuzuwenden, statt sich gleich von vornherein eine Auffassung des  Ganzen  zurechtzulegen, die, eben weil ihr die Grundlage fehlt, von Willkürlichkeiten wohl niemals frei sein kann.

Eines aber können wir, ohne den Ergebnissen der Einzeluntersuchung vorzugreifen, schon jetzt aussprechen, und es ist vielleicht nicht überflüssig, am Schluß einer vorwiegend verwerfenden Beurteilung dies ausdrücklich hervorzuheben: Gesetzt, die ablehnende Haltung, die HUME in der Folge seinem Jugendwerk gegenüber eingenommen zu haben scheint, wäre in jeder Hinsicht berechtigt, so wird das doch nicht imstande sein können, der Achtung, die der schottische Denker wohl jedem eingeflößt hat, der ihm näher zu treten sich die Mühe nahm, auch nur den mindesten Abbruch zu tun. Fürwahr, es muß ein gewaltiger Geist gewesen sein, der durch sein Erstlingswerk, ja durch einen so kleinen und im Grunde ganz verfehlten Teil desselben einen so umfassenden Einfluß auf die Nachwelt zu üben vermochte, wie ihn DAVID HUME bloß durch seine Aufstellungen über "abstrakte Ideen" tatsächlich geübt hat.
LITERATUR - Alexius Meinong, Hume-Studien I [Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Bd.87, Wien 1877]
    Anmerkungen
    48) HUME, Treatise, Buch I, Teil 1, Abschnitt VII in der neuen vierbändigen Ausgabe von T. H. GREEN und T. H. GROSE, The philosophical Works of David Hume, London 1874, Bd. 1, Seite 325.
    49) EDMUND PFLEIDERER, Empirismus und Skepsis in David Humes Philosophie, Berlin 1874, Seite 123
    50) HUME, Treatise a. a. O.
    51) FRIEDRICH JODL, Leben und Philosophie David Humes, Halle a. d. Saale 1872, Seite 33, reproduziert HUMEs Auffassung kurzweg als die BERKELEYs, aber er hat unterlassen, dafür auch nur  eine  Belegstelle aus BERKELEY anzuführen.
    52) Darum dürfte PFLEIDERER irren, wenn er (a. a. O., Seite 122 letzte Zeile) behauptet, HUME leugnet die Geltung oder das Vorhandensein  allgemeiner  Ideen, während HUMEs wie BERKELEYs Angriffe nur gegen die Abstrakta gehen. Aber vielleicht haben wir es hier nur mit einer kleinen Ungenauigkeit im Ausdruck zu tun, wie der Schluß der Ausführung (Seite 125) wahrscheinlich macht.
    53) Seite 189 in der Note.
    54) a. a. O. § 21
    55) Treatises, Buch I, Teil 1, Abschnitt VII, W. W. Bd. 1, Seite 325f
    56) Treatise, a. a. O., Seite 326
    57) Treatise, a. a. O., Seite 327, auch Buch 1, Teil III, Abschnitt 1 (a. a. O., Seite 375)
    58) Treatise, a. a. O., Seite 327
    59) Treatise, a. a. O., Seite 328
    60) Treatise, a. a. O., Seite 330
    61) Treatise, a. a. O., Seite 331
    62) Treatise, a. a. O., Seite 330
    63) Treatise, a. a. O., Seite 331
    64) Treatise, a. a. O., Seite 332
    65) Ein großer Philosoph hat ... behauptet, daß alle allgemeinen Ideen nichts als partikuläre sind ... Ic will mich bemühen, dies durch einige Argumente zu bekräftigen ..." (Seite 325)
    66) Seite 326 -  Quantität  bedeutet hier nichts als Größe; das  Größer  und  Kleiner  ist in ziemlich ungewöhnlicher Weise als Quantitäts grad  bezeichnet.
    67) Analysis, Kap. III (Bd. I, Seite 93)
    68) Es sind die Fälle, die wir oben als JOHN STUART MILLs partikuläre Abstrakta zur Sprache brachten.
    69) HUME schließt das dritte Argument mit der Behauptung: es sei unmöglich, eine Idee zu bilden, die Qualität und Quantität, aber keinen bestimmten Grad davon hat. "Abstrakte Ideen", fährt er fort, "sind daher ansich individuell ..." (Seite 327f)
    70) Treatise, Buch I, Abschnitt I, a. a. O., Seite 311f.
    71) Als Note zu Seite 328 der von uns benutzten Ausgabe abgedruckt.
    72) Treatise, a. a. O., Seite 327
    73) In der hier stets zitierten HUME-Ausgabe, Bd. 1, Seite 327, Anm. 1
    74) Treatise Buch I, Teil IV, Abschnitt V, a. a. O., Seite 520.
    75) Treatise, Buch I, Teil I, Abschnitt III, a. a. O. Seite 318
    76) a. a. O., Seite 319
    77) a. a. O., Seite 328
    78) Treatise, Buch I, Teil I, Abschnitt I, a. a. O. Seite 315
    79) Diese scheint sprachlich am nächsten zu liegen und wurde daher auch bei der referierenden Wiedergabe des vorliegenden Arguments akzeptiert.
    80) HUMEs Irrtum drückt sich am prägnantesten in dem Satz aus, der dieses Argument beschließt: "Now as it is impossible to form an idea of an object, that ist possessed of quantity and quality, and yet is possessed of no precise degree of either; it follows that there ist an equal impossibiliy of forming an idea, that ist not limited and confined in both these particulars (a. a. O. Seite 327). Bezieht sich hier das  that  im Vordersatz, wiewohl am natürlichsten wäre, auf  object,  so ist der Satz richtig, aber für HUME unbrauchbar; bezieht es sich dagegen auf  idea,  so stimmt er zu HUMEs Absicht, ist aber falsch.
    81) FRIEDRICH JODL, a. a. O., Seite 33f
    82) EDMUND PFLEIDERER, a. a. O., Seite 123f
    83) Über allen Zweifel erhaben ist dies sicher nicht. Im Text heißt es: "that custom, which we have acquired by  surveying  them" (die Individuen nämlich), aber von einem  surveying  war vorher gar nicht die Rede, sondern nur von einem Anknüpfen derselben Worte an ähnliche Individuen.
    84) Um die philologische Richtigkeit ist es uns hier natürlich nicht zu tun.
    85) Das scheint wirklich GREENs Meinung zu sein. Vgl. § 218 der "General introduction zu der von uns benützten Hume-Ausgabe (Bd. I, Seite 179f)
    86) Treatise, a. a. O., Seite 332
    87) Treatise, a. a. O., Seite 332f
    88) MILL, Examination Hamiltons, Kap. XVIII, Seite 379
    89) MILL, Examination Hamiltons, Kap. XVII, Seite 371
    90) MILL, Examination, Seite 359f
    91) ALEXANDER BAIN, Mental and morale sciences, Buch II, Kap. V, § 2, Seite 176
    92) BAIN, a. a. O., § 3, Seite 177f
    93) BAIN, a. a. O., Bd. 1, Seite 260
    94) BAIN, a. a. O., Seite 262
    95) BAIN, a. a. O., Seite 264
    96) BAIN, a. a. O., Seite 265
    97) BAIN, a. a. O., Seite 266
    98) Le positivisme anglais, étude sur Stuart Mill, Paris 1864, Seite 115
    99) Paris 1870, 2. Bde.
    100) a. a. O. Bd. I, Seite 33
    101) ibid. Seite 34f
    102) ibid. Seite 35
    103) ibid. Seite 36f
    104) Wir assoziieren also wohl eine Vorstellung, die wir haben, an etwas, das wir  nicht  haben?
    105) ibid. Seite 37
    106) ibid. Seite 38
    107) Bd. II, Seite 241, vgl. auch das Folgende, in der Hauptsache nur eine Wiederholung des schon im ersten Band Gesagten.
    108) Bd. II, Seite 243
    109) ibid. Seite 229