ra-2Albert SchäffleHeinrich Cohnvon EhrenfelsFriedrich von Wieser    
 
WILHELM LIEBKNECHT
Zur Geschichte der
Werttheorie in England

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"Nach Cantillon ist die Arbeit des niedrigsten erwachsenen Tagelöhners gleichwertig und entspricht der Menge Landes, die der Eigentümer gezwungen ist, für seine Ernährung und notwendigen Bedürfnisse anzuwenden. Wenn für den nötigen Ersatz von Arbeitskräften gesorgt werden soll, so daß mindestens zwei Kinder das arbeitsfähige Alter erreichen, so muß das Verdienst des Tagelöhners noch ausreichen, um vier Kinder aufzuziehen, da nach Halleys Berechnung die Hälfte der Kinder vor dem 17. Jahr stirbt, also bevor sie arbeitsfähig werden. Die Arbeit der Ehefrau, nimmt Cantillon hierbei an, reicht gerade aus, um sie selbst zu ernähren. Es folgt hieraus, daß die Arbeit eines solchen Tagelöhners doppelt soviel wert sein muß als die Bodenprodukte von denen er lebt."

Teil I
Geschichtliche Darstellung
der Theorien


I. Kapitel
Von Thomas Hobbes bis James Stuart

Der erste englische Schriftsteller, der hier eine Erwähnung verdient, ist THOMAS HOBBES. In seinem Buch "De cive" erklärt er die Arbeit und Sparsamkeit einerseits, die natürlichen Erträge des Boden und des Meeres andererseits für die Quellen des Reichtums eines Landes. Er sagt wörtlich:
    "Zur Wohlhabenheit der Bürger ist zweierlei: die Arbeit und die Sparsamkeit nötig; auch können die natürlichen Erträge des Landes und des Meeres als eine dritte Quelle angesehen werden." (1)
Die Summe aller Gebrauchswerte (Reichtum) ist also nach ihm das Produkt des menschlichen Faktors "Arbeit und Sparsamkeit" (labor et parsimonia) und des natürlichen Faktors "Land und Meer" (terra et mare).

Interessantere Äußerungen finden wir schon bei RICE VAUGHAN in seiner 1623 geschriebenen, aber erst 1655 veröffentlichten Schrift "A discourse of Coin and Coinage".
    "Nützlichkeit und Annehmlichkeit (use and delight) oder die Meinung von ihnen, sind die wahren Ursachen, warum alle Dinge einen Wert und Preis haben (value and price), aber das Verhältnis dieses Wertes und Preises ist völlig beherrscht von Seltenheit und Überfluß." (2)

    "Dieselben Dinge können zu verschiedener Zeit außerordentlich im Preis differieren ... wie z. B. die Preisverhältnisse von Korn, Vieh und Fischen nicht dieselben bleiben werden und jedes von ihnen zu verschiedenen Zeiten aus verschiedenen Ursachen im Preis differieren wird; wie Korn infolge ungünstigen Wetters, Vieh infolge einer Seuche, Fisch infolge eines Krieges; und jedes von ihnen wird noch infolge vieler anderer Zufälle (accidents) im Preis steigen und wieder sinken: Kleider, Leinwand, Leder usw. haben die gleiche Veränderlichkeit im Preis infolge derselben und anderer Ursachen, wie aufgelegter Steuern, neuer Erfindungen, durch welche die Waren leichter und schneller verfertigt werden können, infolge Wuchers, Betrugs, Mangels an Arbeitern." (3)
VAUGHAN leitet demnach den Tauschwert einer Ware zunächst aus ihrem Gebrauchswert ab, aus der Bedeutung, die sie für die menschliche Bedarfsbefriedigung haben, gleichviel, ob sie nun ein vernünftiges oder törichtes Bedürfnis erfüllen. Ist diese Bedingung erfüllt, so hängt der Wert und Preis der Dinge von ihrer Menge ab, wobei es nicht ganz klar ist, ob VAUGHAN damit meint, daß ein Ding im Verhältnis zu den anderen Dingen einen hohen, bzw. niedrigen Wert und Preis habe, weil es im Verhältnis zu ihnen in geringer bzw. großer Menge existiere, oder, ob die Wertschwankungen der einzelnen Ware von Veränderungen in den Mengenverhältnissen dieser einzelnen Ware herrühren.

Die Ursachen der Wertschwankungen der einzelnen Ware führt er ja dann noch näher an für Korn, Vieh und Fisch. Bemerkenswert scheint noch vor allem sein Hinweis darauf zu sein, daß die Erfindungen die Waren deshalb verbilligen, weil sie mit denselben leichter und rascher hergestellt werden können.

Schon VAUGHAN beschäftigt das Suchen nach einem  konstanten Preismaß  und er glaubt, es im Preis der Löhne der Arbeiter und Bedienten, besonders derjenigen der niedrigen Art gefunden zu haben.
    "Es gibt nur eine Sache nach der wir mit Sicherheit die Preise aller anderen Dinge zurückführen können, die der Mensch zum Leben nötig hat und das sind die Löhne der Arbeiter und Bediensteten, besonders die der niedersten Art."
Seite 117 erklärt er diese Berechnung der Arbeiter und Bedientenlöhne als den sichersten Weg, die Preise aller Dinge in der Zeit König EDWARDs III. und der Gegenwart zu vergleichen. Dieses Forschen nach einem konstanten Preis-, bzw. Wertmaß, mit dem man den Wert aller Waren zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten miteinander vergleichen könnte, hat seit VAUGHAN nicht mehr aufgehört, die englischen Ökonomen zu beschäftigen.

VAUGHAN ist auch der erste englische Ökonom, bei dem sich die Unterscheidung von innerem Wert  (intrinsical  value) und äußerem Wert  (extrinsical  value) findet, die sich seitdem durch die ganze englische ökonomische Literatur hindurchzieht, allerdings aber bei den einzelnen Autoren eine sehr verschiedene Bedeutung hat. VAUGHAN spricht von den Versuchen der Münzerleichterung durch die Fürsten oder Staaten und fährt dann fort:
    "Laßt irgendeinen einzelnen Fürsten oder Staat den Preis von Gold und Silber erhöhen, wie sie wollen, so werden sie dennoch gegen andere Dinge, die durch sie geschätzt werden,  die  Proportion behalten, welche das allgemeine Übereinkommen anderer Nationen festgesetzt hat, und diesen allgemeinen (universal) Wert von Gold und Silber nennt man den inneren (intrinsical), den lokalen Wert aber nennt man den äußeren (extrinsical) Wert, da er von der Prägung und dem Belieben des Staates abhängt."
Innerer Wert und äußerer Wert ist hier also dasselbe, was wir als Realwert und Nominalwert unterscheiden würden.

Gleich beim nächsten Autor, den wir behandeln, findet sich die gleiche Unterscheidung zwischen "intrinsic" und "extrinsic value", bei WILLIAM PETTY, dem genialen Vorläufer von ADAM SMITH, dem bedeutendsten englischen Ökonomen des 17. Jahrhunderts. In einem Manuskript über den Diamantenhandel (British museum) sagt er:
    "Ich will zuerst bemerken, daß die Teuerkeit und Billigkeit der Diamanten von zwei Ursachen abhängt; die eine innere (intrinsic), die im Stein selbst liegt, und die äußere (extrinsic) und zufällige (contingent), als da sind

      1. Die Verbote, nach ihnen zu suchen in den Gegenden, woher sie kommen.

      2. Wenn Kaufleute in Indien ihr Geld mit größerem Profit in andere Waren anlegen können und sie infolgedessen nicht hierherbringen.

      3. Wenn sie aus Kriegsfurcht gekauft werden, um ein Unterhaltsmittel für verbannte und verhaßte Personen zu bilden.

      4. Sie sind teuer zur Zeit der Hochzeit irgendeiner Persönlichkeit, wo viele Personen in glänzendem Aufzug erscheinen müssen.


    Einige dieser Ursachen, wenn sie in einem Teil der Welt sehr stark auftreten, wirken auf die ganze Welt. Denn wenn der Diamantenpreis in Persien steigen würde, würde er wahrscheinlich ebenso in England steigen; denn die großen Kaufleute der ganzen Welt kennen einander, korrespondieren miteinander und sind Teilhaber (partners) an den meisten bedeutenden Stücken und sie handeln und intrigieren zusammen beim Kauf und Verkauf der Diamanten." (4)
PETTY stellt hier den inneren Wert dem äußeren gegenüber und unterscheidet damit die dauernden und die mehr als zufälligen, vorübergehenden Bestimmgründe des Wertes. Den ersteren bezeichnet er später auch als den "natürlichen" Preis einer Ware. Unklar bleibt es zunächst, was PETTY hier als den Bestimmungsgrund des "inneren" Wertes verstanden wissen will; abstrahiert er den inneren Wert aus der Wertschätzung, welche die Diamanten genießen? Oder ist es etwas anderes  Objektives in den Diamanten Liegendes, was ihren Wert bestimmt? Nähere Auskunft über diese Frage geben andere Stellen in den zahlreichen Schriften PETTYs.
    "Wenn jemand eine Unze Silber aus der Erde Perus nach London bringen kann in derselben Zeit, welche er nötig hat, um einen Scheffel Getreide zu erzeugen, so ist das Eine der natürliche Preis (natural price) des Andern. Und ferner, wenn mittels neuer leichterer Minen ein Mann ebenso leicht zwei Unzen Silber gewinnen kann, wie früher  eine  Unze, dann wird Getreide zu 10 Thaler den Scheffel ebenso wohlfeil sein, wie früher zu 5 Thaler, vorausgesetzt, daß die übrigen Umstände gleich sind." (5)

    "Korn ist billiger, wenn ein Mann Korn für zehn produziert, als wenn er es nur für sechs kann ... Korn wird zweimal so teuer sein, wenn 200 Arbeiter (husbandmen) dasselbe Werk verrichten, was 100 tun könnten." (6)
Diese Stellen lassen keinen Zweifel, was PETTY unter einem natürlichen Preis versteht; die Waren tauschen sich nach den respektiven auf ihre Produktion verwandten Arbeitsmengen aus und das Maß, nach dem die Arbeitsmenge zu messen ist, ist die Arbeitszeit. Wir können hieraus schließen, daß PETTY auch bei den Diamanten als ihren "inneren" Wert die zu ihrer Produktion verwandte Arbeitsmenge betrachtet. Nicht ebenso deutlich, weil mit der Frage der Grundrente verknüpft, zeigt folgender Passus die wahre Meinung PETTYs:
    "Nimm an, ein Mann könnte mit seinen eigenen Händen einen gewissen Raum Landes mit Korn bebauen, d. h. er könnte graben, pflügen, eggen, jäten, mähen, das Korn einfahren, es dreschen und sichten, wie die Landwirtschaft es erfordert und er hätte zugleich Samen, um von neuem zu säen. Ich sage nun, daß, wenn dieser Mann seine Aussaat vom Ernteertrag abgezogen hätte und ebenso das, was er selbst verzehrt oder anderen in Austausch für Kleider und natürliche Bedürfnisse gegeben hätte, daß das übrige Korn die natürliche und wahre Bodenrente für dieses Jahr ist; und der Durchschnitt von 7 Jahren oder besser von so viel Jahren, als einen Zyklus ausmachen, in dem sich Mangel und Überfluß ausgleichen, die gewöhnliche Bodenrente in Korn ergibt. - Aber eine weitere, verwandte Frage ist, wieviel englisches Geld ist diese Kornrente wert (worth) (7)? Ich antworte, so viel wie das Geld, das ein anderer einzelner Mann in derselben Zeit über seine unmittelbaren Ausgaben hinaus sich ersparen kann, wenn er allein alle Arbeit verrichtet. Nimm z. B. an, daß ein anderer Mann in ein Land reist, das Silber besitzt, es dort ausgräbt, wäscht, zum selben Ort bringt, wo der andere Mann sein Korn baute, es münzt etc., daß dieser selbe Mann ebenfalls seine notwendigen Lebensbedürfnisse erhält etc.; so sage ich, das Silber des einen wird gleich hoch im Wert gelten, wie das Korn des andern (must be esteemed of equal value with the corn of the other). Wenn also das eine vielleicht 20 Unzen beträgt, das andere 20 Scheffel, so folgt, daß der Preis des Scheffels dieses Korns eine Unze Silber ist." (8)
Während er so die relative Arbeitsmenge den Wert der Waren bestimmen läßt, leugnet er dabei jeden Unterschied zwischen den einzelnen Arten von Handarbeit in ihrem Einfluß auf den Wert. Ihm gilt vielmehr alle Arbeit gleicht; mag die eine größere Schwierigkeit oder Kunstfertigkeit erfordern als die andere, so werden doch in jedem Fall in gleicher Zeit gleiche Werte erzeugt.

Würde auch, so führt er im Anschluß an die letztzitierte Stelle aus, zur Minenarbeit mehr Kunstfertigkeit, Geschicklichkeit erfordert als zur Feldarbeit, so würden doch auf jeden Fall 100 Mann, die beim Kornbau 10 Jahre lang beschäftigt würden, denselben Reingewinn machen, wie 100 beim Minenbau 10 Jahre lang beschäftigte Männer.

In klassischer Weise hat dagegen PETTY als die Quellen des Reichtums, d. h. der Summe aller Gebrauchswerte eines Landes die menschliche Arbeit und den Boden bezeichnet und hierfür den außerordentlich plastischen Ausdruck gefunden: "Arbeit ist der Vater und das wirkende Prinzip des Reichtums und die Erde ist seine Mutter" (9). Da nun aber jedes Gut aus der Vereinigung von Arbeit und Erde hervorgeht, so kann auch nach PETTY der Wert eines jeden Gutes mit einer bestimmten Menge Land und einem bestimmten Maß an Arbeit bezeichnet werden "... so daß wir z. B. sagen können, ein Schiff oder ein Kleid ist so eine Menge Land oder ein solches Maß an Arbeit wert, da ja Schiffe sowie Kleider die Erzeugnisse des Bodens und menschlicher Arbeit sind." ((10) Mit diesem aus Land und Arbeit gemischten Wertmaß ist PETTY aber nicht zufrieden; er erklärt es vielmehr für "die wichtigste Aufgabe des politischen Ökonomen, eine Gleichheit und eine Gleichung (Par and Equation) zwischen Land und Arbeit herzustellen, so daß der Wert jedes Dings durch eins von beiden ausgedrückt werden kann." (11) Er wäre sehr froh, erklärt er an einer anderen Stelle, eine natürliche Gleichheit (natural Par) zwischen Land und Arbeit zu finden, so daß wir den Wert durch eins von ihnen allein ebenso gut oder besser ausdrücken könnten, als durch beide und eins auf das andere ebenso leicht und sicher reduzieren könnten, als wir Pence auf Pfund reduzieren. Als diese natürliche Gleichheit, als das allgemeine Wertmaß aber erklärt er seltsamerweise nicht die Arbeit selbst, sondern den durchschnittlichen Nahrungsbedarf eines erwachsenen Mannes.
    "Der durchschnittliche Nahrungsbedarf eines erwachsenen Mannes und nicht die Tagesarbeit (the days labour) ist das allgemeine Wertmaß und scheint ebenso regelmäßig und konstant zu sein als der Wert von feinem Silber. Eine Unze Silber z. B. ist in Peru gleichwertig einem durchschnittlichen Nahrungsbedarf, aber dieselbe Unze in Russland ist gleichwertig einem vierfachen durchschnittlichen Nahrungsbedarf, infolge der Fahrt und des Risikos beim Transport von Peru nach Russland." (12)
Unter dem durchschnittlichen Nahrungsbedarf eines Mannes versteht er den hundertsten Teil dessen, was 100 Männer von verschiedener Art und Größe essen müssen, um leben, arbeiten und zeugen zu können. Ebenso ist der Einwand unstichhaltig, daß die verschiedenen Nahrungsmittel verschiedene Arbeitsmengen zu ihrer Produktion erfordern, da die am leichtesten gewonnene Nahrung der betreffenden Gegend angenommen wird.

Diese Gleichung wendet er auch an, um den Wert von Erfindungen zu messen und um mathematisch das Verhältnis von Nachfrage und Angebot in Kunstwerken auszudrücken. Wenn jemand z. B. 100 Tage dazu braucht, um eine landwirtschaftliche Maschine zu erfinden und herzustellen und dann mit dieser Maschine in 900 Tagen doppelt so viel Land bestellen kann als ein anderer Mann ohne diese Maschine in 1000 Tagen, dann ist diese Erfindung eines Mannes ganze Lebensarbeit wert, weil ein Mann mit der neuen Erfindung so viel zustande bringen kann, als zwei Mann ohne sie.

Zum Schluß sei noch auf die eigentümliche Art der Wertberechnung des Bodens eingegangen, die wir absichtlich bis zum Schluß der Betrachtung aufgeschoben haben, weil sie am wenigsten klar ist. Zweimal behandelt PETTY diese Frage: einmal fragt er nach dem Wert des Grund und Bodens schlechthin und berechnet ihn nach der Zahl von Menschen, die er zu ernähren vermag. "Land von derselben Quantität und Qualität ist im allgemeinen in England vier- oder fünfmal soviel wert als in Irland; aber nur ein Drittel oder ein Viertel soviel als es in Holland wert ist; die Ursache ist, daß England vier- oder fünfmal besser bevölkert ist als Irland, aber nur ein Viertel so gut wie Holland." (13) Deb Wert des Bodens nimmt er hier also abhängig an von der relativen Menge der Einwohner oder mit anderen Worten vom Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Ein andermal sucht er den natürlichen Wert eines Landbesitzes in sehr origineller Weise durch eine bestimmte Anzahl von Jahresernten festzustellen. Das betreffende Landgut kann nicht eine unbeschränkte Zahl von Jahresernten wert sein, weil dann  ein  Acker Landes im Wert gleich sein würde  tausend  Äckern von demselben Land. Deshalb nimmt er eine solche Zahl von Jahresernten an, als drei Personen, ein Großvater von 50 Jahren, ein Vater von 28 Jahren und ein Kind von 7 Jahren durchschnittlich leben werden. Dies sind nach den Mortalitätsgesetzen GRAUNTs 21 Jahre; 21 Jahresernten sind demnach der ungefähre natürliche Wert eines Landgutes. (14)

In einigen Punkten weiter ausgebildet und schärfer formuliert ist die Wert- und Preistheorie bei dem auch als ökonomischer Schriftsteller vielfach hervorgetretenen Philosophen JOHN LOCKE (15). Seine Werttheorie ist eng verknüpft mit seiner rechtsphilosophischen Begründung der Entstehung des Privateigentums; Privateigentum erwerben die Menschen an den Dingen, weil und soweit sie dieselben durch ihre Arbeit von der Erde gleichsam losmachten und mit ihrer Arbeit verschmolzen. (16) Dies ist auch nicht so auffallend, wie es auf den ersten Blick scheinen kann; denn es ist die Arbeit in der Tat, welche jeder Sache ihren verschiedenen Wert (value) gibt.
    "Ich denke, es wird eine sehr mäßige Schätzung sein, daß von den für das menschliche Leben nützlichen Bodenprodukten neun Zehntel Arbeitsresultate sind; ja wollen wir die Dinge richtig würdigen, so wie sie in unseren Gebrauch kommen und berechnen die verschiedenen Ausgaben, was rein der Natur und was der Arbeit gedankt wird, so werden wir finden, daß in den meisten Fällen 99 % völlig auf das Konto der Arbeit kommen."

    "Was Brot mehr wert (worth) ist als Eicheln, Wein mehr als Wasser, Tuch oder Seidenzeug mehr als Blätter, Häute oder Moos, das ist völlig der Arbeit und Industrie zuzuschreiben." (17)
Zweifelhaft bleibt aber hier völlig, ob LOCKE unter der durch die Arbeit bewirkten Werterhöhung den erhöhten Gebrauchswert oder den erhöhten Tauschwert versteht.

Aufschluß darüber gibt uns seine Preistheorie, die schon sehr entwickelt ist.
    "Alle Dinge, die gekauft und verkauft werden, steigen und fallen in ihrem Preis im Verhältnis, als mehr Käufer oder Verkäufer da sind. Wenn eine große Menge Verkäufer wenigen Käufern gegenübersteht, so wird unbedingt (use what art you will) der zu verkaufende Gegenstand billiger werden. Umgekehrt, stelle einer großen Zahl Käufer wenige Verkäufer gegenüber und derselbe Gegenstand wird sofort teuer werden. Das Gesetz gilt für den Boden ebenso wie für alle anderen Waren." (18)

    "Der Wert einer Sache mit sich selbst oder mit einem festen Maß (standing measure) verglichen ist umso größer, je geringer ihre Quantität ist im Verhältnis zum Absatz (vent); wenn man sie aber mit einer anderen Sache vergleicht oder vertauscht, so muß auch deren Menge und Absatz bei der Berechnung ihres beiderseitigen Wertes berücksichtigt werden."
Hiernach ist es  allein  das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, welches den Wert oder Preis der Dinge nach LOCKE bestimmt und er erklärt dies auch ausdrücklich. Will man also LOCKE nicht in Widerspruch mit sich selbst setzen, so muß man auch jene oben zitierte Stelle aus "On civil government" nur so auffassen, daß der  Gebrauchswert  einer Sache, der für ihn identisch ist mit ihrer  Nützlichkeit größtenteils der Arbeit zu danken sei. Daß LOCKE auch den Tauschwert einer Sache aus der Arbeit herleite, dürfte demnach auf einem Irrtum beruhen.

Auch LOCKE beschäftigt sich mit dem Problem des "natürlichen inneren Werts" (natural intrinsic value) des Bodens und der anderen Waren. Jener hängt einzig und allein von seinem unter gleichen Umständen gewonnenen Ertrag an Produkten ab; der von einem Stück Land gezogene Gewinn aber wird durchaus von der geographischen Lage desselben bestimmt. Im übrigen definiert er den natürlichen inneren Wert als die Fähigkeit einer Sache, der Notdurft oder der Annehmlichkeit des menschlichen Lebens zu dienen, leugnet aber entschieden, daß irgendeine Sache einen solchen inneren Wert habe, um eine bestimmte Menge derselben unwandelbar einer bestimmten Menge von einer anderen Sache gleichwert zu machen, (19) und daß die Veränderungen im Marktwert (marketable value) einer Ware von Veränderungen in ihrem inneren Wert herrührten. Vielmehr könne das Vorhandensein, die Vermehrung oder Verminderung einer guten Eigenschaft in einer Waren den Preis derselben nur insofern erhöhen oder erniedrigen, als dadurch Quanität oder Absatz, im Verhältnis zueinander, größer oder kleiner werden. Dagegen gibt er zu, daß der Absatz jeder Ware von ihrer Notwendigkeit oder Nützlichkeit nach der Meinung der Menschen abhängt. Als Beispiel dieser Regel führt LOCKE schon das Wasser an, das unentbehrlich ist, aber nur da einen Wert erlangt, wo seine Menge er Konsumtion gegenüber sehr gering geworden ist.

Mit einigen Worten müssen wir hier auch der Philosophen BERKELEY und HUME gedenken, die sich beide in kürzeren Schriften mit ökonomischen Gegenständen befaßt haben. Die vier Elemente und die menschliche Arbeit, erklärt BERKELEY, sind die wahre Quelle des Reichtums. (20)
    "Wäre es nicht unrichtig, anzunehmen, der Boden selbst sei schon Reichtum? Und muß nicht die Arbeit des Volkes zuerst als das betrachtet werden, was den Reichtum schafft, was selbst Boden und Silber erst zu Werten macht, die beide nur Wert haben, insofern sie Mittel und Triebfeder (means and motions) zur Arbeit sind." (21)
Hingegen ist nach ihm der Wert oder Preis der Dinge direkt proportional der Nachfrage und umgekehrt proportional dem Angebot. (22) Nach DAVID HUME ist Arbeit die Quelle des Wohlstandes und der Macht und bilden Menschen und Waren die wahre und eigentliche Stärke jeder bürgerlichen Gesellschaft (23), wobei man letztere Bemerkung sehr gut als einen Vorläufer des MARXschen Satzes betrachten kann, daß der Reichtum der modernen Gesellschaft als eine ungeheure Warensammlung erscheine. Eine Preistheorie hat HUME nicht aufgestellt, er meint nur, daß der Preis der Waren wesentlich vom Preis der Arbeit mit abhänge. (24)

Von viel größerer Bedeutung für unsere Materie ist der als Vorläufer der Physiokraten zu betrachtende RICHARD CANTILLON, der seinerseits wieder unzweifelhaft in hohem Maße von WILLIAM PETTY beeinflußt ist.

Sein "Essai sur la Nature du Commerce en Général" (London 1755), worin er zunächst die Rolle der verschiedenen Produktionsfaktoren analysiert, beginnt mit dem Satz:
    "Die Erde ist die Quelle oder der Stoff, woraus man den Reichtum gewinnt; die menschliche Arbeit ist die Form, die ihn erzeugt: und der Reichtum selbst besteht in nichts anderem als Nahrung, Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens. Die Erde liefert Gras, Wurzeln, Körner, Flachs, Baumwolle, Hanf, Bäume und Hölzer von verschiedener Art, mit Früchten, Rinden und Blättern verschiedener Art, wie die der Maulbeerbäume für die Seidenwürmer; sie liefert Erze und Mineralien. Die menschliche Arbeit gibt all dem die Form des Reichtums." (25)
Ganz ähnlich sagt er Seite 39: "Die Erde ist der Stoff und die Arbeit die Form aller Lebensmittel und Waren." Noch mehr zeigt sich CANTILLON von PETTY beeinflußt bei seiner Preis- und Werttheorie. Ganz wie dieser erklärt er, daß der Preis und der innere wirkliche Wert (valeur intrinséque ou réelle) einer Sache entspräche dem Maß an Land und Arbeit, welches in die Produktion eingeht (qui entre dans la production). Doch ist hierbei keineswegs ein Stück Land gleich jedem anderen von gleicher Quantität und eine Arbeit, gleich jeder andern, von gleicher Quantität; vielmehr ist sowohl beim Boden wie bei der Arbeit die verschiedene  Qualität  in Betracht zu ziehen. (26) Übrigens gilt das nach CANTILLON für die Edelmetalle ebenso wie für alle anderen Waren. "Der wirkliche und innere Wert der Metalle, wie der aller Dinge, ist proportional der Erde und der Arbeit, die zu ihrer Produktion notwendig sind." (27) Erde und Arbeit sind nach CANTILLON die dauernden Bestimmungsgründe des Wertes der Dinge, ihr Marktpreis jedoch stimmt selten oder nie mit diesem "inneren" Wert überein.
    "Es gibt keine Veränderung im inneren Wert der Dinge; aber die Unmöglichkeit, die Produktion und Konsumtion der Waren und Nahrungsmittel (marchandises et denrées) in einem Staat in Proportion zu setzen, verursacht eine tägliche Veränderung und beständiges Steigen und Sinken der Marktpreise." (28)
Wenn CANTILLON hier sagt, es gäbe keine Veränderung im inneren Wert der Dinge, so ist das natürlich nur ein schiefer Ausdruck; er will sagen, alle Veränderungen im Marktpreis einer Sache lassen ihren inneren Wert (Land und Arbeit) unberührt, der sich vielmehr nur in dem Maße ändert, als mehr oder weniger Arbeit und Land zu ihrer Produktion erforderlich ist. - Wie PETTY, vermag aber auch CANTILLON bei der Bestimmung des Wertes einer Sache durch beides, Boden  und  Arbeit nicht stehen zu bleiben; auch er forscht nach einer Gleichheit oder nach einem Verhältnis des Wertes der Erde zum Wert der Arbeit. (29) (pair on rapport de la valeur de la terre á la valeur du travail). PETTYs Lösungsversuch lehnt er jedoch ausdrücklich ab, indem er seine Untersuchung als "bizarre et éloignée des régles de la nature" [wunderliche Auslegung der Naturgesetze - wp] bezeichnet. Nach CANTILLON ist die Arbeit des niedrigsten erwachsenen Tagelöhners gleichwertig und entspricht der Menge Landes, die der Eigentümer gezwungen ist, für seine Ernährung und notwendigen Bedürfnisse anzuwenden. Wenn für den nötigen Ersatz von Arbeitskräften gesorgt werden soll, so daß mindestens zwei Kinder das arbeitsfähige Alter erreichen, so muß das Verdienst des Tagelöhners noch ausreichen, um vier Kinder aufzuziehen, da nach HALLEYs Berechnung die Hälfte der Kinder vor dem 17. Jahr stirbt, also bevor sie arbeitsfähig werden. Die Arbeit der Ehefrau, nimmt CANTILLON hierbei an, reicht gerade aus, um sie selbst zu ernähren. Es folgt hieraus, daß die Arbeit eines solchen Tagelöhners doppelt soviel wert sein muß als die Bodenprodukte von denen er lebt. (30)

Indem nun CANTILLON den Wert der Bodenprodukte mit dem Bodenwert selbst identifiziert, schließt er, daß der Wert der Arbeit eines solchen Tagelöhners gleichwertig sei dem Wert des Bodens, der genügt, um ihn und seine Familie zu ernähren und fortzupflanzen. "Man sieht", bemerkt er, "daß der Wert der Tagelöhnerarbeit in Beziehung steht zum Produkt der Erde und daß der innere Wert einer Sache gemessen werden kann durch die Menge Boden, die zu ihrer Produktioin verwandt wird und durch die Menge Arbeit, die in sie eingeht, das heißt nochmals durch die Menge Boden, dessen Produkt man denjenigen zuweist, die die Arbeit geleistet haben." (31) Man kann aber nicht bestimmen, einer wie großen Menge Boden die Arbeit eines Tagelöhners an Wert gleich ist, da dies in den verschiedenen Ländern sehr verschieden ist. Auf besserem Boden wird die Arbeit einer kleineren, auf schlechterem Boden einer größeren Menge Landes an Wert gleich sein. Ob CANTILLON die Lösung des gesetzten Problems jedoch besser gelungen sei, als WILLIAM PETTY, wird demnach wohl nicht zweifelhaft sein können. Es sei nur kurz darauf hingewiesen, daß er zwei grobe Verwechslungen begeht, einmal, indem er den Wert oder Preis der Arbeit mit dem Wert der durch diese Arbeit erzeugten Produkte identifiziert und zweitens, indem er den Wert der Bodenprodukte dem Bodenwert gleichsetzt. Vielmehr ist das ganze Problem einer Lösung überhaupt unfähig, weil es von ganz falschen, der Wirklichkeit nicht entsprechenden Voraussetzungen ausgeht.

Mannigfache Berührungspunkte mit PETTY und CANTILLON hat WILLIAM HARRIS. Auch er betrachtet Land und Arbeit zusammen als die Quellen des Reichtums. "Ohne eine Mitwirkung von Land würde es keinen Lebensunterhalt geben, und nur einen sehr ärmlichen und unbehaglichen, ohne Arbeit. So daß Wohlstand oder Reichtum entweder in einem Eigentum an Land oder an den Produkten von Land und Arbeit besteht." (32) Die verhältnismäßigen Werte von Land und Produkten differieren außerordentlich in den verschiedenen Ländern; je nachdem der Boden mehr oder weniger fruchtbar und die Einwohner mehr oder weniger fleißig und geschickt sind. Was den Tauschwert (intrinsic value or prime cost) der Dinge betrifft, so betont HARRIS zum ersten Mal ausdrücklich, daß er sich  nicht  nach ihrem wirklichen Nutzen bei der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse richtet, sondern vielmehr in Proportion steht zum Boden, der Arbeit und Geschicklichkeit, die zu ihrer Produktion erforderlich sind. "Gemäß dieser Proportion ungefähr ist es, daß Dinge oder Waren gegeneinander ausgetauscht werden; und durch die genannte Skala werden die inneren Werte der meisten Dinge hauptsächlich geschätzt." Als Beispiel erwähnt HARRIS u. a. das Wasser, das einen hohen Grad an Nützlichkeit besitzt, aber keinen Tauschwert (great use but no value) und als Gegenstück die Diamanten, die einen geringen Grad von Nützlichkeit, aber großen Tauschwert besitzen. Während so HARRIS zunächst die Austuaschverhältnisse der Waren sich nach den zu ihrer Produktion verwandten relativen Mengen von Land, Arbeit und Geschicklichkeit richten läßt, konstatiert er ein paar Seite später, daß Arbeit bei den meisten Produkten den größten Wertteil ausmache und daß demgemäß  der Wert der Arbeit  als der Hauptmaßstab angesehen werden müsse, der die Werte aller Waren reguliere. (33)
    "Die verschiedenen Bedürfnisse und Neigungen der Menschen zwingen sie, ihre eigenen Waren zu verkaufen in einem Verhältnis, das der Arbeit und Geschicklichkeit entspricht, die auf diejenigen Dinge, die sie umzutauschen wünschen, verwandt worden sind." (34)
Dessenungeachtet sucht er aber weiterhin genau wie PETTY und CANTILLON nach einem Verhältnis des Wertes der Arbeit zum Wert des Bodens und findet es, indem er genau wie CANTILLON die Quantität von Land, die ausreicht, um einen gewöhnlichen Arbeiter zu unterhalten, im Wert der Arbeit des gewöhnlichen Arbeiters gleichsetzt. "... Die Menge Landes, die einen Arbeiter unterhält, wird sein Lohn; und dieser Lohn wieder wird der Wert des Landes." Auch er leugnet nicht, daß dieses Verhältnis im Wert von Land und Arbeit überall in der Welt verschieden ist, was sowohl von der verschiedenen Güte des Bodens als auch von den verschiedenen Löhnen der Landarbeiter komme. Demnach sei im allgemeinen da, wo die Arbeit sehr billig sei, auch das Land billig, "da die Armen, infolge ihrer Zahl, die hauptsächlichsten Konsumenten der Rohprodukte der Erde sind." Der Preis der Arbeit ist, wie er hier ausdrücklich betont, mit abhängig von der Qualität von Lebensmitteln und Kleidung, die der Arbeiter verbraucht. (35)

Indem HARRIS so die Arbeit oder den Wert der Arbeit, welche Begriffe er synonym gebraucht, als Wertregulator annimmt, verkennt er jedoch keineswegs die Schwierigkeit, die sich dadurch erhebt, daß es die verschiedenen Arbeitsqualitäten gibt und daß dem entsprechend der Wert der Arbeit in den verschiedenen Fällen sehr bedeutend differiert. Je nach den Lern- und Aufzugskosten, nach dem Risiko, nach der Geschicklickeit werden die Arbeiter verschieden entlohnt, die Mechaniker z. B. verdienen mehr als die gewöhnlichen Arbeiter usw.
    "Und so haben die Preise der verschiedenen Arten von Arbeit beträchtliche, in ihrer Natur begründete Unterschiede: Aber die Löhne der niedrigen Klasse, wozo sowohl die gewöhnlichen Industrie- als die gewöhnlichen Landarbeiter gehören, scheinen der beste und letzte Maßstab zu sein, der die Werte aller Waren reguliert."
Und an einer anderen Stelle:
    "Obwohl wir mit Geld rechnen, so sind doch  Arbeit und Geschicklichkeit  der hauptsächliste Maßstab, durch den die Werte aller oder der meisten Dinge schließlich bestimmt werden." (36)
Aus all dem ergibt sich nur das Eine völlig klar, daß auch HARRIS, ähnlich wie schon CANTILLON, sich jede Möglichkeit einer richtigen Erkenntnis des Wertproblems durch die Gleichsetzung von "Wert der Arbeit" und "Menge der zur Produktion einer Ware erforderlichen Arbeit" verschlossen hat. Aus der Konfusion, die hieraus entstand und der auch SMITH nicht entging, hat erst RICARDO die politische Ökonomie befreit.

Streng getrennt vom  Wert,  d. h. Tausch wert  der Ware, behandelt HARRIS den  Preis  der Ware. Dieser unterscheidet sich vom Wert dadurch, daß er die Abweichungen des Austauschverhältnisses einer Ware von ihrem natürlichen, durch die Arbeit, bzw. den Arbeitslohn regulierten Austauschverhältnis, eben von ihrem inneren Wert darstellt. Diese Abweichungen hängen ab vom Verhältnis der Nachfrage nach einer Ware zu ihrer vorhandenen Quantität.
    "Eine schnellere oder langsamere Nachfrage nach einer besonderen Ware wird häufig ihren Preis heben oder senken, obwohl keine Änderung in ihrem inneren Wert oder Hauptkosten (intrinsic value or prime cost) eingetreten ist ... Das Verhältnis von Käufern zu Verkäufern oder die Nachfrage nach einer besonderen Ware im Verhältnis zu ihrer Menge wird immer einen Einfluß auf den Markt haben. Ebenso kann der innere Wert erhöht werden, obgleich ihre Qualität verschlechtert ist (debased); wie z. B. ein Scheffel muffigen Getreides zu einer Jahreszeit viel mehr wert (worth) sein kann, als die gleiche Menge guten Getreides zu einer anderen." (37) Als Ursachen, die das Verhältnis von Nachfrage und Menge einer Ware und damit ihren Preis alterieren, gibt er an anderer Stelle als  natürliche  an: Mangel und Fülle (dearth, plenty) etc.; als  künstliche:  Steuern, Modewechsel etc. (38) Die natürlichen und häufigen Änderungen im Preis vieler Waren entstehen aus ihrer größeren Fülle oder Seltenheit, im Verhältnis zur Nachfrage nach ihnen." (39)
Wir gehen jetzt in der Darstellung über zum großen Antipoden von ADAM SMITH, "dem ersten Briten, der das Gesamtsystem der bürgerlichen Ökonomie bearbeitet hat," (40) zu JAMES STUART, dessen Werk "An Inquiry into the principles of political economy being an essay on the science of domestic policy in free nations" zuerst 1767 in London, also 9 Jahre vor SMITHs Hauptwerk erschien. Wie die seiner Vorgänger, so sind auch seine Ansichten über den Wert der Ware sehr widerspruchsvoll. Er unterscheidet zwischen "intrinsic worth" und "useful value".
    "Bei diesen Sachen (d. h. Waren) muß man auf zweierlei Umstände acht geben:

      1) auf ihre einfache Substanz oder das Produkt der Natur (natürliches Material);

      2) auf ihre Modifikation, das heißt,  auf die darauf verwandte Arbeit des Menschen. 

    Jenes nenne ich den inneren Wert (intrinsic worth), dieses den Gebrauchswert (useful value) ... Der Wert der Modifiation ist nach Maßgabe der dazu erforderlich gewesenen Arbeit zu schätzen." (41) Und weiter:

    "The intrinsic value, therefore, is constantly something real in itself: the labor employed in the modification represents a portion of a man's time, which having been usefully employed, has given a form to some substance which has rendered it useful, ornamental, or in short, fit for man, mediately or immediately." (42)
Mit unzweideutiger Klarheit geht aus diesen Sätzen hervor, daß STUART den  Gebrauchs wert der Waren als Produkt der Natur und der menschlichen Arbeit betrachtet, ihren  Tausch wert hingegen nicht nur aus er auf sie verwandten Arbeit ableitet, sondern auch nach derselben mißt und zwar direkt die Arbeits zeit  als Wertmaß bezeichnet. Später jedoch setzt er den Wert der Manufakturen zusammen erstens aus der zu ihrer Herstellung erforderten Arbeitszeit, zweitens aus dem Arbeitslohn und drittens aus dem Wert der verarbeiteten Rohmaterialien. "Sobald diese drei Dinge bekannt sind, ist der Preis der Manufakturwaren bestimmt. Er kann nicht geringer sein als die Summe dieser drei Dinge zusammen genommen, das ist als der reale  Wert  (real value); was über diesen Preis ist, macht den Profit des Fabrikanten aus; dieser Profit wird stets mit der Nachfrage in Proportion sein und daher, nach Maßgabe der Umstände, hin und her schwanken. (43) Der scharfe Widerspruch, in den STUART hier verfällt, resultiert unseres Erachtens aus zwei Ursachen: einmal war ihm doch nicht ganz klar, daß die Natur oder die Erde mit der Schaffung des Tauschwerts als solchem nichts zu tun hat, daher er die Rohmaterialien als Bestandteile des Werts der Waren anführt; zum zweiten aber verstand er nicht das Verhältnis von Arbeitslohn und Profit, weshalb er jenen gleichfalls als einen Komponenten des Warenwerts anführt, diesen aber nicht anders zu erklären weiß, als indem er ihn aus der Veräußerung ableitet und ihn somit als Zuschlag des Fabrikanten zu den Einkaufspreisen der Produkte betrachtet.

Wir haben hier zum ersten Mal, allerdings in widerspruchsvoller Fassung, die sogenannte "Produktionskostentheorie" vor uns, die dann zunächst von SMITH weiter ausgebildet wurde. Bezeichnend für STUARTs theoretische Unklarheit ist auch die Tatsache, daß er den Wert aller Industrieprodukte in Beziehung setzt zum Preis der Lebensmittel, also zum Preis der Arbeit.

Nahezu erschöpfend hat STUART jedoch die Preistheorie behandelt, für die er auch eine ganz neue Terminologie einführt. Er betrachtet zuerst die  Nachfrage  (demand), die entweder  einfach  oder  zusammengesetzt  ist (simple or compound).  Einfache  Nachfrage ist eine solche, wo für jede auf dem Markt befindliche Ware  ein  Nachfragender vorhanden ist; zusammengesetzte oder hohe eine solche, wo für jede auf dem Markt befindliche Ware mehrere Nachfragende vorhanden sind, so daß sie eine  Konkurrenz  (competition) hervorbringen. Wenn keine Konkurrenz zwischen den Käufern besteht, kann man also sagen, daß die Nachfrage nur einfach ist, es mag im übrigen die Zahl der Käufer und die Quantität der gesuchten Ware so groß sein, wie sie will. Nachfrage bezieht STUART auf beide Seiten, bald auf Käufer, bald auf Verkäufer:
    "Wenn demnach beim Tauschkontrakt die Nachfrage auf einer Seite einfach und auf der anderen zusammengesetzt ist, so führt diejenige, die zusammengesetzt ist, beständig den Namen der Nachfrage, die andere nicht." (44)
In anderer Weise faßt er seine Ansichten so zusammen:
    "Die Nachfrage ist entweder  groß  oder  klein;  groß, wenn die verlangte Quantität groß ist, klein, wenn die verlangte Quantität klein ist. Die Nachfrage steht entweder  hoch  oder  niedrig;  hoch, wenn die Konkurrenz zwischen den Käufern groß ist, niedrig, wenn die Konkurrenz zwischen den Käufern groß ist, niedrig, wenn die Konkurrenz zwischen den Verkäufern groß ist. Aus dieser Definition ist zu schließen, daß die Folge einer hohen Nachfrage ein hoher Preis."
Ist die Nachfrage regelmäßig dann ist sie gewöhnlich nur einfach; ist sie aber unregelmäßig und unerwartet oder stockt die gewöhnliche Versorgung mit der verlangten Ware, so entsteht eine Konkurrenz zwischen den Käufern, bzw. Verkäufern, die den gewöhnlichen Preis erhöht, bzw. erniedrigt. Mit Recht macht STUART hierbei einen Unterschied zwischen den notwendingen Lebensbedürfnissen und zwischen den Luxuswaren. Bei jenen wird die Nachfrage bei gegebenen Bedürfnissen sich stets in gleicher Stärke geltend machen und also bei mangelnder Versorgung die Preise leicht sehr hoch in die Höhe treiben. Bei diesen wird sich gegegebenfalls die Nachfrage verringern und die Preise werden weniger steigen. Zu bemerken ist noch, daß STUART bei diesen Ausführungen unter Nachfrage stets die  wirksame  Nachfrage (effective demand) versteht.

Was nun die Konkurrenz betrifft, so gibt es auch hier  einfache  und  doppelte. Einfach  ist die Konkurrenz, wenn sie auf der einen Seite des Kontrakts stärker ist als auf der anderen, sie ist also das, was vorher mit zusammengesetzter Nachfrage bezeichnet wurde. Eine  doppelte  Konkurrenz hingegen liegt, wenn die Konkurrenz in einem gewissen Grad auf beiden Seiten des Kontrakts zugleich Platz greift oder wechselweise von einer Seite zur anderen schwankt. Sie schränkt die Preise auf den  adäquaten Wert  der Waren ein. (45) "Die doppelte Konkurrenz können wir fast bei jedem Handelsgeschäft wahrnehmen, sie ist dasjenige, was dem übermäßigen Steigen und Fallen der Preise vorbeugt." (46) Konkurrenz ist also nach STUART bei jedem Kauf, bzw. Verkauf  stets  auf beiden Seiten' vorhanden, nur äußert sie sich im einen Fall auf der einen Seite viel stärker als auf der anderen, im anderen Fall dagegen auf beiden Seiten gleich stark, wodurch ihre Wirkung paralysiert wird. In der Wirklichkeit sind jedoch diese beiden Fälle gar nicht streng zu trennen. Sie stellen vielmehr nur verschiedene Stadien desselben Aktes vor. Der erste Fall (einfache Konkurrenz) wird sich dann ergeben, wenn plötzliche, rasche Wechsel in der Nachfrage bzw. der Versorgung eintreten, z. B. ganz besonders auf Seiten der Käufer bei Stockung in der Versorgung mit Lebensmitteln etc.; er kann aber nur ganz vorübergehend bestehen, denn sofort wird der zweite Fall (doppelte Konkurrenz) in Wirkung treten und durch die auf beiden Seiten entstehende Konkurrenz die Tendenz haben, die Preise auf ihren gewöhnlichen Stand zu bringen. Der erste Fall dürfte also, wenn wir einen derartigen Vorgang betrachten, eine sehr enge zeitliche Beschränkung erfahren.

Das sind im wesentlichen die Ansichten JAMES STUARTs über Wert und Preis. Daß alle die ökonomischen Bedingungen, auf denen die Wert- und Preisgesetze beruhen, nicht ewige, unwandelbare, sondern relative, historische sind, ist ihm keineswegs entgangen. Sie sind gegründet auf den Beindungen des Tauschs, des Warencharakters der Güter, der seinerseits die Arbeitsteilung zu seiner Voraussetzung habe. Es sei aber eine Wirtschaftsverfassung denkbar und habe tatsächlich bestanden, wo ein jeder sich mit den Lebensnotwendigkeiten durch eigene Arbeit versorgt habe, wo kein Tausch und daher kein bestimmter Preis bestand.
LITERATUR - Wilhelm Liebknecht, Zur Geschichte der Werttheorie in England, Jena 1902
    Anmerkungen
    1) THOMAS HOBBES, De cive, Kap. XIII, § 14
    2) RICE VAUGHAN, A discourse of Coin and Coinage, Seite 19
    3) VAUGHAN, a. a. O. Seite 103
    4) Vgl. W. L. BEVAN, Sir William Petty, a study in english economic Literature, Publications of the american economic association, Vol. IX, No. 4, Seite 63
    5) A treatise of taxes and contributions, Seite 50. Zitiert wird hier nach "The economic writings of Sir William Petty. Ed. by CH. H. HULL, Cambridge 1899
    6) PETTY, a. a. O. Seite 90
    7) Es sei hier darauf hingewiesen, daß PETTY die Ausdrücke "value" und "worth" ganz unterschiedslos gebraucht. Bezeichnend dafür besonders folgende Stelle: "Es kann durchaus sein, daß der Wohnungsbau aller Städte und Marktplätze die doppelte Anzahl derjenigen Londons beträgt, ohne von größerem  Wert  zu sein." - Verbum sapienti, Teil 1, Seite 106. Überhaupt scheint uns ZUCKERKANDL MARX gegenüber im Recht zu sein, wenn er sagt, daß die englischen Ökonomen im 17. Jahrhundert keinen Unterschied zwischen "value" und "worth" gemacht haben; besonders trifft das für PETTY und LOCKE zu.
    8) PETTY, a. a. O. Seite 43
    9) PETTY, a. a. O. Seite 68
    10) PETTY, a. a. O. Seite 44
    11) PETTY, The political anatomy of Ireland, Seite 180. Ähnlich in "A treatise etc.", Seite 44 und 49
    12) PETTY, The political economy of Ireland, Seite 181
    13) PETTY, Political Arithmetics, Seite 286
    14) A treatise etc. Seite 45
    15) Nach ROSCHER "der früheste große Systematiker der Volkswirtschaftslehre". Zur Geschichte der Volkswirtschaftslehre, Leipzig 1851, Seite 93
    16) JOHN LOCKE, On civil government § 27, Seite 196. Zitiert hier nach der 7. Ausgabe von "Two Treatise on government" vom Jahre 1772
    17) LOCKE, a. a. O. §§ 40, 43.
    18) LOCKE, a. a. O. Seite 245
    19) LOCKE, a. a. O. Seite 247
    20) The Querist, London 1751, # 4
    21) The Querist, a. a. O., # 38
    22) Whether the Value or Price of things, be not a compounded Proportion, directly as the demand and reciprocally as the Plenty?, The Querist, a. a. O. # 24
    23) DAVID HUME, Nationalökonomische Abhandlungen, deutsch von H. NIEDERMÜLLER, Leipzig 1877, Seite 31
    24) HUME, a. a. O. Seite 10
    25) CANTILLON, Seite 1: "Le travail de l'Homme donne la forme de richesse á tout cela."
    26) CANTILLON, a. a. O. Seite 36: "Le prix ou la valeur intrinséque d'une chose, est la mesure de la quantité de terre et du travail, qui entre dans sa production en égard á la bonté ou produit de la terre et á la qualité du travail."
    27) CANTILLON, a. a. O. Seite 127
    28) CANTILLON, a. a. O. Seite 38
    29) CANTILLON, a. a. O. Seite 40 - 55
    30) Vgl. hierzu auch ADAM SMITH, Wealth of Nations, Kap. VIII
    31) CANTILLON, Seite 53
    32) WILLIAM HARRIS, An Essay upon Money and Coins, London 1759, Seite 2: "Without a competence of land, there would be no subsistance; and but a very poor an uncomfortable one, without labour. So that wealth or riches consist either in a propriety in land, or in the products of land and labour."
    33) HARRIS, a. a. O. Seite 9
    34) HARRIS, a. a. O. Seite 9
    35) HARRIS, a. a. O. Seite 11
    36) HARRIS, a. a. O., Seite 41: "Though we reckon by money, yet labour and kill are the main standards by which values of all or most things are ultimately ascertained."
    37) HARRIS, a. a. O. Seite 75
    38) HARRIS, a. a. O. Seite 77
    39) KARL MARX, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Stuttgart 1897, Seite 40
    40) HARRIS, a. a. O. Seite
    41) JAMES STUART, An Inquiry into the principles of political economy etc., London 1767, Seite 130. Zitiert wird hier nach der englischen Ausgabe des Werkes, die 1796 in Basel erschien.
    42) STUART, a. a. O. Seite 131
    43) STUART, a. a. O. Seite 243
    44) STUART, a. a. O. Seite 290
    45) STUART, a. a. O. Seite 260
    46) STUART, a. a. O. Seite 261