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FRITZ MÜNCH
Erlebnis und Geltung
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"Das bloße Erlebnis, das Erlebnis in seiner Blöße, ist  stumm geboren,  unaussagbar, namenlos, begrifflos. Man kann es immer nur negativ charakterisieren, von seinen Formungen aus, als  das Formbare, Bestimmbare, Konstituierbare.  Von ihm in seiner formlosen Wesenheit auch nur reden zu wollen, ist schon in der Problemstellung sinnlos. Schon wenn man dieses Urmaterial als  Qualitätenkontinuum  oder  Erlebnisfluß  bezeichnet, wendet man ja Kategorien an: man kann von einem  Fließen  nur reden in Bezug auf ein Ruhendes, demgegenüber es sich bewegt, und ebenso enthält die andere Bezeichnung die Kategorien der  Qualität,  der  Vielheit  und der  Kontinuität.  Eben daraus, daß man von etwas überhaupt schon nicht einmal reden kann ohne bestimmte Voraussetzungen, erwächst das ganze Problem der Transzendentalphilosophie, die nichts anderes will, als sich diese  notwendigen  Voraussetzungen in ihrer Geltung, ihrem Sinn, ihrem Zusammenhang, ihren Anwendbarkeitsbedingungen zu wissenschaftlichem Bewußtsein zu bringen. Auch schon das Material ist als  Material  nur zu begreifen von seinem Gegenwurf: dem Sinngefüge, in Bezug worauf es ja nur Material ist."

"Im Problemniveau des bloß Inhaltlichen werden die Inhaltsmomente, die das Haus vor mir ausmachen, in einer prinzipiell nicht anderen Weise  gehabt,  als die Momente, die das Zahnweh ausmachen, das mich gelegentlich plagt. Ja noch mehr, auch der viel umfassendere Gegensatz von Subjekt und Objekt hat hier, wo es sich um das bloß Inhaltliche der Welt handelt, keine erkenntnistheoretische Bedeutung, da nach den bloß qualitativ-inhaltlichen Momenten das Subjekt von Objekten sich nicht unterscheidet, ein Komplex erlebbarer Inhalte ist, wie sie. Der Inhaltszusammenhang, den wir aus dem Sinnstandpunkt heraus  Subjekt  nennen, ist seiner bloßen Inhaltsgegebenheit nach, in dem Weltbrei, der brodelnden Masse des bloß inhaltlichen Beisammen, zunächst ebenfalls nicht mehr, als eine irgendwo und irgendwie auftauchende und wieder verschwindende Blase, nichts anderes, als die übrigen Inhaltsaggregate auch. Es gibt hier ebensowenig Subjekte als Objekte, beide  entstehen  (in logischem Sinn natürlich) gleichzeitig."

"Die richtig verstandenen transzendentalen Kategorien haben mit  Erfahrungsweisen des Bewußtseins  gar nichts zu tun, sondern sind Prinzipien des sachlichen Zusammenhangs von theoretischen Gültigkeiten. Es entsteht dann allerdings, nachdem das Problem des  Gegenstandes der Erkenntnis  entschieden ist, das Problem der  Erkenntnis des Gegenstandes,  d. h. die Frage, wie das erkennende Subjekt die Geltungsbeziehungen und Gültigkeiten zu fassen vermag. Davon wird beim Subjektsproblem zu reden sein. Aber schon hier sei betont, daß es eine vorsintflutliche, rein konstruktive Psychologisiererei ist, nun aus jeder Kategorie eine Seelenfunktion zu machen, eine dämonologische Vermögenspsychologie übelster Sorte, über die doch gerade die Zeit, die auf ihre  exakte Psycholgie  so stolz ist, hinaus sein sollte. Wie kann ein vernünftiger Mensch denken, der  Gedanke  des Gravitationsgesetzes sei ein Tätigkeit des menschlichen Bewußtseins! Dem Funktionalzusammenhang der Planetenbahnen sind alle funktionierenden menschlichen Bewußtseine gleichgültig."


2. Kapitel
Der Sinn der
kopernikanischen Wendung

[Forsetzung]

b) Form und Inhalt

Der für die  kritische  Erkenntnistheorie grundlegende Gegensatz ist nicht derjenige von "Subjekt und Objekt", sondern derjenige von "Form und Inhalt." Der Sinn der kopernikanischen Wende ist nicht der, daß versucht werden soll, vom Subjekt aus alle Probleme zu lösen, sondern die Einsicht, daß jede sinnvolle Fragestellung schon den Sinn überhaupt voraussetzt, die denkbar voraussetzungsloseste Untersuchung also nur die sein kann, die sich auf den Sinn dieser Sinnvoraussetzung "besinnt", sich die darin liegenden notwendigen Voraussetzungen ausdrücklich und systematisch zum Bewußtsein bringt. Es ist durchaus nicht so, wie HEGEL KANT vorwarf, daß das Unternehmen der Erkenntnistheorie dem "weisen Vorsatz jenes Scholastikus" gleiche, "schwimmen zu lernen, ehe er sich ins Wasser wage", (1) sondern es ist an dem, daß wir im Wasser schwimmen, dabei aber uns, was wir dabei tun, zum Bewußtsein bringen.

Die ganze Polemik beruth auf einer Verkennung der logischen Sachlage in der transzendentalen Problemstellung. Diese geht nämlich, richtig verstanden, gar nicht vom  Erkennen  als einem Tun des Subjekts aus, sondern von der  Erkenntnis  als Sinngefüge, (2) und nimmt an diesem eine kritische Analyse vor. Entsprechend ist auch das kritische Problem der  Erfahrung  nicht eine Theorie des  Erfahrens,  sondern des  Erfahrbaren  in seinem Sinnzusammenhang von Bedeutungen. Das ist der Sinn dessen, daß KANT sein "ganzes Geschäft" von vornherein auf eine Theorie der vorliegenden exakten Naturwissenschaft einstellt, auf eine Theorie, die sich Sinn und Geltung dieser Wissenschaft, ihren Charakter als Wissenschaft zu begründen vornimmt.

Geht man aber davon aus, so ist von einem Subjekt, das erkennt, und den  "Seelen-Funktionen",  die es dabei ausübt, zunächst gar keine Rede, sondern die Analyse findet nichts anderes vor, als Inhalte in Zusammenhangsformen. Da aber in den Inhalten nicht das Moment liegt, das die wissenschaftliche Erkenntnis (in Urteil und Begriff) von den vorwissenschaftlichen Erkenntnisgebilden des alltäglichen Lebens mit seinen Allgemeinvorstellungen unterscheidet, so kann ein Unternehmen, welches das Wesentliche der Erkenntnis zu fassen sich zur Aufgabe setzt, sich nur an die Formen halten, in denen in der Wissenschaft die Inhalte auftreten. Nur in diesen Formen kann die Antwort auf die quaestio juris nach der Geltung der Erkenntnis liegen, da das bloß Faktische am Inhalt sich in seinem einfachen Dasein und Sosein, diesseits von wahr und falsch, erschöpft . (3) Das kritische Geschäft kann gemäß dieser Grundeinsicht nur darin bestehen, die Zusammenhangsformen, in denen sich wissenschaftliche Erkenntnis niedergelegt, und deren Einheit untereinander herauszustellen. Nichts anderes tut, rein logisch interpretiert, die  Kritik der reinen Vernunft:  von den "Anschauungsformen" angefangen über die "Kategorien" und "Grundsätze" bis hinauf zur "synthetischen Einheit der transzendentalen Apperzeption."

Hier meldet sich nun ein oft erhobener Einwand: Kein Inhalt ohne Form, keine Form ohne Inhalt; also ist die Auseinanderreißung dieser beiden Momente falsch. Was ist davon zu halten? Antwort: Die erste Behauptung ist richtig, und zwar eine uralte Einsicht, nämlich schon des ARISTOTELES. Die daran geknüpfte Folgerung aber ist falsch, was ebenfalls ARISTOTELES schon wußte. Und dieselbe Doppeleinsicht hatte KANT auch; sie äußert sich bei ihm in dem bekannten Satz: Anschauungen ohne Begriffe sind blind, Begriffe ohne Anschauung leer. (4)

Was soll also der Einwand? Der berechtigte Kern desselben ist dies, daß man die Art, wie KANT die beiden Momente trennt beanstanden kann. Nicht  daß  er von dieser Unterscheidung in seiner ganzen Erkenntnistheorie, ja Philosophie überhaupt, ausging ist der Fehler. Im Gegenteil: das ist eine Notwendigkeit für jede Philosophie, die  Wissenschaft  sein will, da von dieser Unterscheidung alle Wissenschaft lebt. Alle Wissenschaft will Zusammenhänge erkennen, muß also die Zusammenhangsformen vom Inhaltlichen, das in ihnen steht, unterscheiden. (5) Aber das  Wie  der Ausführung dieser Scheidung bei KANT kann man beanstanden; und auch hier ist es doch eigentlich nur die Art der Darlegung seiner Gedanken, die dem Vorwurf einen Schein von Berechtigung gibt, die Sache selbst wohl kaum. Denn wer die Funktion des  Schematismus  im Ganzen der Vernunftkritik (6) begriffen hat, die darin besteht, die zunächst rein in abstracto isolierten Momente des "reinen Inhalts" und der "reinen Formen" in ihrem in der Zeit stehenden und so erlebbaren Zusammen aufzuzeigen, damit sich an diesem Ansatz die reinen Kategorien zu für die wirkliche Erfahrung geltenden Grundsätzen determinieren können, der sieht ein, daß die Auseinanderreißung nur eine solche zum Zweck der Theorie war, die eben in der Ermöglichung dieser sich legitimiert. (7) Es fällt also der Transzendentalphilosophie gar nicht ein, Form und Inhalt als zwei reale Potenzen, jede für sic hypostasiert [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp], einander gegenüberzustellen, sondern ihre Grundeinsicht ist gerade die, daß die beiden Momente in allen "Wirklichkeiten" immer bei- und ineinander sind, und daß nur die kritische Analyse und Reflexion sie als begrifflich zu scheidende Momente heraushebt. Das allerdings behauptet sie weiter, daß in dieser Korrelation die Formen die konstanten, die Inhalte die variablen Momente sind, daß alles Erkennen, ja alles sinnvolle Verhalten, an den Formen ansetze und notwendig da ansetzen müsse.

Aber das Grundmotiv des Einwandes liegt tiefer: er will sich letzten Endes gerade gegen das Recht dieser begrifflichen Analyse wenden. Er bildet sich unendlich viel darauf ein, durch diesen Protest gegen den "öden Formelkram" des  Intellektualismus  und dessen Vergewaltigung des Lebens Front zu machen. Man kennt Paris besser, wenn man auch nur ein paar Tage dort gelebt hat, als wenn man 100 dicke Bücher darüber gelesen (noch so viele Skizzen davon angesehen) hat. (8) Was ist hierzu zu sagen?

Der Kampf gegen den Intellektualismus (als ausschließliche Lebensanschauung) ist etwas sehr Gutes und Berechtigtes, der Kampf gegen den Intellekt und die Wissenschaft das Dümmste, was es gibt. Wer vergewaltigt das Leben mehr, derjenige, der Erkenntnis um der Erkenntnis willen treibt, und damit das Leben in keiner Weise beeinträchtigen, sondern vielmehr ihm dienen will, oder derjenige, der gegen die wissenschaftliche Erkenntnis sich wendet, eine andersartige Erfassung der Welt sucht, diese dann aber auch wieder als in irgendeiner Art allgemeingültige auszugeben sich genötigt sieht, darin jedoch das Leben selbst in all seiner Unmittelbarkeit ergriffen zu haben vermeint? Das Leben in seinem unendlichen Reichtum an Inhalten und Vielgestaltigkeit der Formen lacht über Bilder wie Pathos, wenn hinter ihnen eine Begriffslücke gähnt, lacht über eine Philosophie, die nicht sieht, daß gerade in dieser Idee der Adäquation der intuitiven Erkenntnis an das wirkliche Leben die Vergewaltigung des letzteren läge - das Leben in der Fülle seiner konkreten Inhalte läßt sich eben nur: leben! -, während es denjenigen, der nur in ihm und aus ihm den Wert "Erkenntnis" realisieren will, ohne damit anderen Werten irgendwie ihr Recht bestreiten zu wollen, mit der Erfassung von theoretischen Gültigkeiten lohnt. Gerade die kritische Erkenntnistheorie ist es, die sich der Grenze zwischen Erkennen und Leben bewußt bleibt, jede Grenzverwischung vermeidet, weder das Leben durch das Erkennen, noch aber auch das Erkennen durch das Leben vergewaltigen läßt. Umgekehrt sind es gerade die sogenannten "Erlebnisphilosophen", die trotz Bilder und Pathos ein ganz dürftiges blutarmes Surrogat anstelle des wirklichen Lebens setzen, das Leben mit ihrem sogenannten Erkennen, das Erkennen mit dem Leben totschlagen. Der Transzendentalphilosoph, wenn er wirklich ein Philosoph ist, lebt und erkennt, der Erlebnisphilosph lebt weder, noch erkennt er. (9) Das Buch über Paris beruth auf einem Leben in Paris, wenn es wirkliche Erkenntnis enthält; aber es fällt ihm nicht ein, nun selbst das Leben in Paris sein zu wollen, sondern es will nichts anderes sein, als ein Buch "über" Paris. Und diese Erkenntnis über Paris hat den großen Wert, daß derjenige, der mit dieser Erkenntnis nun in Paris lebt, mehr erlebt an Inhalten und Zusammenhängen, als derjenige, der sich bloß dem Strom der konkreten (temps-) "durée" auf irgendeinem Boulevard hingibt.

Damit hat uns das Problem "Inhalt und Form" auf ein weiteres Problem geführt, in dem es erst seine abschließende Behandlung, und darin der Begriff der Form seine begriffliche Fixierung, finden kann:  Erlebnis und Geltung. 


c) Erlebniswelt und Geltungssphäre

I.

Es ist eine sehr weit verzweigte, aus den verschiedensten Quellen gespeiste, philosophische Modeströmung der Gegenwart, alles auf die sogenannte "Erlebniswirklichkeit" zurückführen zu wollen, als dem unendlichen Mutterboden, in dem alles "west" und gründet. Es wird dabei nicht an das subjektive Erlebnis als ein individuelles gedacht, sondern an den "Urgrund", aus dem alles hervorkommt, durch Versenkung in welchen man also die letzten "Tiefen der Welt" erfassen, "neue Welten" hervorholen, "das Wesen der Welt" müsse enthüllen können. Man meint also, damit gerade das Allerobjektivste, das letzte Fundament aller Objektivität, zu fassen. Jede bewußte Auswahl und Formung der Erlebnisse soll wegbleiben: das letzte Wesen soll sich unmittelbar selbst in all seiner unendlichen Fülle in der Intuition adäquat aussprechen.

Das klingt vielversprechend und wirkt darum berauschend. Der Rausch und die Begeisterung haben aber in der Philosophie, die  Wissenschaft  sein will, ebensowenig eine Stelle, wie in der Mathematik. (10) Wir wollen zusehen, was an diesem philosophischen Evangelium berechtigt ist, was nicht.

Ich will gleich die Hauptsache betonen: die sogenannte "Erlebniswirklichkeit", von der hier die Rede ist, wird im wirklichen Leben gar nicht erlebt, sondern ist ein Konstruktionsgebilde des philosophischen  Denkens.  Daß sie jenes nicht ist, weder erlebt, noch erlebt wird, macht sie, gerade vom Standpunkt der Erlebnisphilosophie, zur Grundlage der Philosophie ungeeignet; daß sie dieses ist, darin liegt ein erkenntnistheoretisch wertvolles Moment. Beides wollen wir etwas näher betrachten.

Die "Erlebniswelt" wird gedacht als ein unendlich mannigfaltiger "Fluß" unendlich mannigfaltiger Qualitäten, ein kontinuierlich-konkreter Qualitätenzusammenhang, in dem alles ineinander übergeht, ohne Grenzen und feste Konturen. Kann man sich eine solche Welt denken? Auf sie hin tendieren? Ja, aber nicht sie erleben. Man kann sie nur so denken, daß man gedanklich auf ein solches Substrat aller Erscheinungen hinzielt, in dem Sinne, daß dasselbe zu einem Grenzgebilde wird, das wir uns begreiflich machen, nahe bringen können "aus dem Weg heraus, der zu ihm hinführt." (11)

Wie erleben wir denn das Wirkliche, wenn wir ohne philosophische Voreingenommenheit an dasselbe herantreten? Wir nehmen unmittelbar einzelne Gegenstände wahr, wie z. B. die Lampe und die Bücher auf meinem Schreibtisch, oder die Bäume und das Haus mir vis-á-vis. Das heißt: wir erleben die Weltinhalte in bestimmten Zusammenhangsformen, und dies als etwas ganz unmittelbar Gegebenes. Erst wenn ich nun erkenntnistheoretisch zu philosophieren beginne, und dabei die inhaltlichen Momente und dir Form ihres Zusammenhangs begrifflich trenne, erst dann kann ich auf den Gedanken kommen, zu fragen, wie denn das Inhaltliche der Welt beschaffen sei, wenn ich von aller Form absehe. Die Erlebniswelt als die Idee des bloß Inhaltlichen ist also Funktion einer erkenntnistheoretischen Einstellung.

Schon das scheint mir kein unwichtiges Ergebnis; denn die Erlebnisphilosophen wenden sich doch meist gerade gegen die von KANT uns vererbte "Krankheit" der erkenntnistheoretischen Einstellung als philosophischer Grundposition. Wenn aber auch die "Erlebniswelt" Produkt einer erkenntnistheoretischen "Begriffsbildung" ist, dann dürfte es sich doch wohl auch für die Erlebnisphilosophie empfehlen, sich den Sinn der erkenntnistheoretischen Problemstellung zum Bewußtsein zu bringen, statt ohne diese "die Sache selbst" unmittelbar ergreifen zu wollen.

Natürlich wird das kein Erlebnisphilosoph zugeben, sondern erklären, diese Kritik treffe nicht, weil sie ja gerade aus der erkenntnistheoretischen Einstellung heraus argumentiere; das sei ja eben der Fehler: man solle nicht mit der Reflexion beginnen, sondern sich ganz unvoreingenommen und ohne alle bestimmten Einstellungen dem Erleben einfach hingeben. Gut! Tun wir das! (d. h. eigentlich "tun" dürfen wir dabei nichts; sagen wir also lieber: Gut! Geschieht hiermit!) Zwingen wir uns zu rein passiv schauender Hingabe an die Welt. hier schein nun "in der Tat" (12) die Wirklichkeit ein solcher bloßer Fluß von Inhalten zu sein. Man stelle sich mittags 12 Uhr an die Ecke "Linden-Friedrichstraße" in Berlin und lasse bloß die Eindrücke an sich vorüberziehen ohne alle Reflexion, ohne gedankliche Beziehungen hineinzulegen: Da folgt sich in der Tat in einem kontinuierlichen Fluß Eindruck auf Eindruck; es kommt ewig Neues hervor und verschwindet wieder; von einem Zusammenhang des Erlebten untereinander ist im unmittelbaren, bloß hingebenden Erleben nicht zu finden. Denn daß mit dem blauen Gesichtseindurck ein Schutzmann gemeint ist, der Gehörseindruck von einem Automobil stammt, daß der Geruch, den ich eben empfinde, ein Karbolgeruch ist und einem Mensurstudenten zugehört, daß der Gesamteindruck eines bestimmt qualifizierten Wohlgefallens von einer jungen Dame ausgeht und daß endlich das andere Gefühl, das ihm folgt, und das ich dahin lokalisiere (bzw. das sich als da vorhanden präsentiert), wo die gedankliche Bearbeitung des Wirklichen, die Anatomie und Physiologie vornimmt, von einem Magen spricht, ein Hungergefühl ist: das sind ja alles Beziehungen, die "das Denken" hineinlegt, und von denen der unmittelbare Eindruck als  "bloßes"  Erlebnis mir nichts sagt.

Aber daß ich das alles mitdenke, ist doch wohl ein Anzeichen davon, daß ich mich noch nicht voll und restlos hingebe. Der gewählte Platz scheint nicht geeignet, die günstigsten Vorbedingungen für die philosophische Intuition zu setzen. Um den absoluten Fluß der Erlebnisse zu haben, muß man sich etwa in die Situation versetzen, die FRIEDRICH THEODOR VISCHER in seinem Roman "Auch einer", Seite 204 (mit Bezug auf das Herumstehen der Bauernburschen in der Dorfgasse am Sonntag Nachmittag) beschreibt - nur daß man von der metaphysischen Formulierung und Orientierung zunächst absehen muß: "Es war reiner Genuß des Seins ohne jeglichen Zusatz, vollendete Poesie der Langeweile, gründliches Erschöpfen alles göttlich Schönen, das in reinem Blödsinn liegt. Da jedes Bestimmte endlicher Art ist, jedes Interesse den Geist ins Bedingte führt, so ergab sich hier dem regungslos brütenden Gemüt ein reines Weben und Wiegen im Unendlichen und Unbedingten." Immerhin ist auch hier die Lebenseinstellung noch nicht völlig beseitigt. "Wir müssen uns auf einen solchen Standpunkt stellen, wo das Ichbewußtsein völlig ausgeschaltet wird." (13) Man denke sich an einen schönen warmen Sommernachmittag am Waldrand liegend und zwischen halbgeschlossenen Lidern in den blauen Himmel schauend, "sein selbst und der Welt vergessen": da hat man nun wirklich den kontinuierlichen Fluß der Qualitäten, wo alles ohne Konturen konkret ineinander überfließt - umso mehr, je näher man am Einschlafen ist. (14)

Hat man nun darin wirklich das letzte Wesen der Welt, wie es vor jeder Reflexion ist? Ich meine, es ist hier Pflicht, das Kind beim rechten Namen zu nennen: es ist eine durch nichts begründete metaphysische Hypostasierung, das so Erlebte für eine intuitive Adäquation an das letzte Wesen der Welt zu halten; denn so sieht die Welt nur aus als Funktion des Seelenzustandes, den man "dösen" nennt, es ist "die Welt als (sit venia verbo [mit Verlaub - wp]) Dösnis". Oder aber als Funktion des diametral entgegengesetzten Zustandes ("les extrêmes se touchent" [die Gegensätze berühren sich - wp]): der Ekstase, wo wiederum alle Grenzen zwischen Ich und Welt (Nicht-Ich) und innerhalb dieser verschwinden: die Welt der Upanischaden und die Welt der Mystik, d. h. die Welt, die keine Zweiheit kennt, in der man nichts tut, sondern mystischer Schau des ursprünglich-ungeschiedenen Ureinen die Erlösung zu haben meint. (15) Es ist das Medium, von dem man sagen kann: "in ihm leben, weben und sind wir". Aber wenn wir in diesem Gewebtwerden aufgingen, wüßten wir nichts von uns und diesem Gewebe; es ist das absolut "Unbewußte", das aber eben durch diese Benennung schon bekundet, daß es nur vom Bewußtsein aus begriffen werden kann. Also bedarf es eines Überbaues, der von den Prinzipien der Synthesen des Bewußtseins, deren Sinn, Grund und Geltung handelt.

Die eben geschilderte Welt ist nicht die Wirklichkeit, in der wir leben und unsere Pflicht zu tun haben. Diese Welt ist darum auch nie und nimmer das Fundament der "Weltanschauung", die immer die Aufgabe gehabt hat und haben wird, eine Lehre von der Welt zu geben, aus der sich auch das Handeln der Menschen in seinem Sinn begreift. Und doch habe ich oben erklärt, daß darin ein berechtigtes Moment auch unter einem erkenntnistheoretischen Aspekt steckt: Dies wollen wir nun ins Auge fassen.

Man hat gegen alle formalistische Philosophie den Vorwurf erhoben, daß sie dem inhaltlichen Faktor gerecht werde, daß sie die Mutter, aus der alle konkrete Einsicht stammt, ewig anonym lasse. Darin liegt ein berechtigter Kern. Zwar bin ich der Ansicht, daß nur ein Formproblem der mögliche und notwendige Ansatzpunkt, wie für alle Wissenschaft, so auch für alle Philosophie ist - und werde davon gleich (unter II) zu handeln haben. Aber es ist ein berechtigtes Verlangen, daß deshalb nicht das inhaltliche Moment  = 0  gesetzt werde. Es muß in der Tat für alle Formen und Zusammenhänge ein Inhaltliches mit gesetzt werden,  dessen  Zusammenhänge eben diese Formen sind. Jede sinnvolle Aussage, wie Handlung, muß sich auf etwas irgendwie ("in irgendeinem Sinn") Erlebbares beziehen. Eben darum aber muß jedes inhaltliche Moment, das in irgendeinen sinnvollen Satz (Wissenschaft), eine sinnvolle Handlung (Moral), ein sinnvolles Werk (Kunst), überhaupt in irgendein Sinngefüge, eingeht, "in der Welt" sein und deshalb als inhaltlicher Bestandteil des "ursprünglich Wirklichen" gedacht werden. (16) Will man das Erkennen als eine "Begriffsbildung" erkennen, muß man von der Grenzidee einer begrifflich noch ungeformten Wirklichkeit ausgehen. Diese erkenntnistheoretische Funktion erfüllt der Gedanke der bloßen Erlebniswelt.

Aber von diesem inhaltlichen Moment kann man auch nicht einmal  reden,  ohne immer schon Formvoraussetzungen zu machen, und es unter Begriffe zu bringen, und seien es nur die Wortbedeutungen, die als solche immer schon allgemein und auf Begriffe hin orientiert sind. (17) Trotzdem also die "Erlebniswelt" ihrem Inhalt nach jedem das unmittelbar Nächste ist, ist sie als Ganzes doch nur eine Grenzidee, da wir fortwährend (schon vorwissenschaftlich) sprachlich, begrifflich  formen,  und nur durch eine bewußte Kraftanstrengung, zum Zweck der philosophischen Reflexion, von diesen Formbeziehungen absehen können. Das bloße Erlebnis, das Erlebnis in seiner Blöße, ist "stumm geboren", (18) unaussagbar, namenlos, begrifflos. Man kann es immer nur negativ charakterisieren, von seinen Formungen aus, als "das Formbare", "Bestimmbare", "Konstituierbare" (19). Von ihm in seiner formlosen Wesenheit auch nur reden zu wollen, ist schon in der Problemstellung sinnlos. Schon wenn man dieses Urmaterial als "Qualitätenkontinuum" oder "Erlebnisfluß" bezeichnet, wendet man ja Kategorien an: man kann von einem "Fließen" nur reden in Bezug auf ein Ruhendes, demgegenüber es sich bewegt, und ebenso enthält die andere Bezeichnung die [3] Kategorien der "Qualität", der "Vielheit" und der "Kontinuität" (20). Eben daraus, daß man von etwas überhaupt schon nicht einmal reden kann ohne bestimmte Voraussetzungen, erwächst das ganze Problem der Transzendentalphilosophie, die nichts anderes will, als sich diese "notwendigen" Voraussetzungen in ihrer Geltung, ihrem Sinn, ihrem Zusammenhang, ihren Anwendbarkeitsbedingungen zu wissenschaftlichem Bewußtsein zu bringen. Auch schon das Material ist als "Material" nur zu begreifen von seinem Gegenwurf: dem Sinngefüge, in Bezug worauf es ja nur Material ist.

Ein zweites gutes Moment, das in der These von der Erlebniswelt liegt, ist dies: sie bringt in noch umfassenderem Maße, als die Bekämpfung der Introjektionslehre durch AVENARIUS und MACH, zum Ausdruck, daß das Material, worauf sich das Erkennen (und alle sinnvolle Tätigkeit) bezieht, nicht psychischer Natur ist, daß also aller Psychologismus schon im  inhaltlichen  Ansatz falsch. (21) Denn in der "Erlebniswelt" kann weder von Psychischem, noch von Physischem die Rede sein, da diese beiden Korrelatbegriffe Produkte einer ganz spezifischen und sehr voraussetzungsvollen Begriffsbildung sind, das darin begriffene Inhaltliche, als bloßer Weltinhalt überhaupt, abgesehen von seiner begrifflichen Formung, nichts vor einander voraus haben kann, sondern ursprünglich in derselben Problemebene liegen muß. Das Erlebnismaterial ist propsychophysisch, in ihm liegt sowohl das Inhaltliche für die Gebilde, die eine spätere Begriffsbildung als physische, wie für die, die sie als psychische bezeichnet: (22) Im Problemniveau des bloß Inhaltlichen werden die Inhaltsmomente, die das Haus vor mir ausmachen, in einer prinzipiell nicht anderen Weise "gehabt", als die Momente, die das Zahnweh ausmachen, das mich gelegentlich plagt. Ja noch mehr, auch der viel umfassendere Gegensatz von Subjekt und Objekt hat hier, wo es sich um das bloß Inhaltliche der Welt handelt, keine erkenntnistheoretische Bedeutung, da nach den bloß qualitativ-inhaltlichen Momenten das Subjekt von Objekten sich nicht unterscheidet, ein Komplex erlebbarer Inhalte ist, wie sie. Der Inhaltszusammenhang, den wir aus dem Sinnstandpunkt heraus "Subjekt" nennen, (23) ist seiner bloßen Inhaltsgegebenheit nach, in dem Weltbrei, der brodelnden Masse des bloß inhaltlichen Beisammen, zunächst ebenfalls nicht mehr, als eine irgendwo und irgendwie auftauchende und wieder verschwindende Blase, nichts anderes, als die übrigen Inhaltsaggregate auch. (24) Es gibt hier ebensowenig Subjekte als Objekte, beide "entstehen" (in logischem Sinn natürlich) gleichzeitig.

In diesem Sinne, daß diese "fliehende Ursprünglichkeit" (25) ein Konstruktionsgebilde zum Zweck der Erkenntnistheorie ist, kann man diese Grenzidee des "ursprünglichen Materials" für alle Sinn-Synthesen, diese für sich ewig stumme, in ihrem bloßen Sein ansich sinnlos wesend zu denkende Plazenta aller Sinngebilde als das  "erkenntnistheoretisch Wirkliche"  bezeichnen. (26)

Und zu diesem Moment, daß die Idee dieser Erlebniswelt verhindert, voreilige Unterschiede in die Welt hineinzuhypostasieren, die vielmehr erst in ihrem Recht zu deduzieren sind, (wie z. B. der Unterschied "Physisch-Psychisch"), kommt als weiteres, daß diese Idee als erkenntnis kritisches  Konstruktionsgebilde alle metaphysische Fragestellung beseitigt, die nun noch hinter diese Erlebniswelt zurückgreifen will. Diese ist eben gar nicht als etwas für sich hypostasiert Bestehendes zu denken, hinter dem noch etwas wäre, sondern ist das Material der  einen  Welt, hinter die selbstredend nicht zurückgegangen werden kann, weil dieses Dahinter, soll sich darauf eine sinnvolle Aussage beziehen können, per definitionem ja zu einem allumfassenden Weltganzen gehört. Alle sinnvollen Fragestellungen können also nur gerichtet sein auf die Zusammenhangsformen, in denen dieses Urmaterial steht. Es ist sinnlos, hinter das Seiend als Seiendes zurückfragen zu wollen, da aller Sinn Sinn nur hat in Bezug auf das Seiende. Daß überhaupt etwas ist, irgendeine Welt da ist, ist eine letzte Schranke, hinter die nicht zurückgegangen werden kann. Alle sinnvollen Fragen bewegen sich unterhalb dieser Urposition und befassen sich mit ihr nur so, daß sie sich  in  der Welt bewegen. Man kann nicht fragen, weshalb die Welt als das Seiende überhaupt ist, sondern sinnvoll sind nur Formfragen, d. h. Fragen nach den Zusammenhängen dieses Seienden.

Ein letztes Moment, das bei diesem Problem der Erlebniswelt ansetzt, muß hier noch angedeutet werden, wenn es auch erst später in seiner vollen Bedeutung sich enthüllen wird. Die Erlebniswelt ist ein Konstruktionsgebilde, eine Grenzidee unter transzendentalem Aspekt. Hat man dies eingesehen, so kann man sie bewußt unter den transzendentalen Gesichtspunkt stellen und sie so konstruieren, wie es zur Begreiflichkeit von dessen Durchführbarkeit nötig ist. Geht man so vor, so ergibt sich nicht die Idee eines amorphen Weltbreis, sondern einer in unendlich reichen Beziehungen stehenden Welt von unendlich reicher Gehaltsfülle, der gegenüber die einzelnen Kultursynthesen nur einzelne Seiten herausheben und auswählend verknüpfen. (27) Aber wohlgemerkt: Diese Konstruktion erfolgt bewußt vom transzendentalen Standpunkt aus, dieser begründet also ihre Geltung, nicht entnimmt er seinerseits dieser Erlebniswelt seine Geltung. Das Problem ist hier so zu stellen: wie muß man sich das Material der Welt denken, wenn begreiflich sein soll, daß Kultursynthesen, überhaupt Sinnzusammenhänge, an und in ihm möglich sind? Es handelt sich also da um die "Deduktion" des  Wie  schon des Materials, nicht bloß um die Idee,  daß  überhaupt irgendein inhaltliches Material da sein muß. (28) Doch müssen wir, bevor wir auf diese letzte, die Weltanschauungsfrage eingehen, vorher den transzendentalen Gesichtspunkt selbst entwickeln, und dann zuerst seine Entfaltung in der Wissenschaft und im Leben der Geschichte ins Auge fassen.


II.

Was führt über den "Standpunkt" der bloßen Erlebniswelt hinaus? Warum kann man auf ihm nicht stehen bleiben? Ist die bloße Erlebnisphilosophie überhaupt ein einnehmbarer Standpunkt? Die Erlebnisphilosophen behaupten zwar, daß ihre Einstellung die allein richtige sei, wolle die Philosophie in Fühlung mit dem Leben bleiben. Aber hier wird  Erlebnis philosophie und  Lebens philosophie durcheinander geworfen. In der bloßen Erlebniswelt hat noch nie jemand gelebt, schon aus dem einfachen Grund, weil sich in einem Abstraktionsgebilde nicht leben läßt. Sie ist nun und nimmer die Welt, in der wir leben, handeln und schaffen, sondern nur das eine Moment in dieser, das zwar die philosophische Reflexion für sich zu sondern vermag, das aber in der Wirklichkeit des Lebens immer mit dem andern Moment, dem Moment der Form, zusammen ist. Wie schon oben gesagt, sind uns alle Inhalte gar nicht als ein bloßes "Gewühl von Empfindungen" gegeben, sondern immer schon in Zusammenhängen: Inhaltskomplexe bieten sich uns unmittelbar als  zusammengehörige  dar, derart, daß wir mit ihnen etwas "meinen", daß sie uns etwas "bedeuten", daß sie in irgendeinem Zusammenhangsformen. Welches ist ihr Ausgangspunkt, welches ihr Organon?

Ihr Ausgangspunkt ist das "Wunder aller Wunder", das Wunder kat exochen [ansich - wp], daß es nämlich so etwas, wie Zusammenhang, in der Welt überhaupt gibt, daß es sinnvolle Beziehungen von Inhalten gibt, und wir diese erkennen und in Handlungen und Werken herstellen können. Letztenendes ist das der Grund allen Philosophierens, wenn diese Formulierung des philosophischen Grundproblems innerhalb der philosophiegeschichtlichen Entwicklung des Nachdenkens der Menschen über Welt und Leben auch in sehr verschiedener Einkleidung auftritt. Die Transzendentalphilosophie stellt sich dieses Problem mit vollbewußter Klarheit und darin gründet, daß sie mitnichten auf eine Weltanschauung verzichtet. Im Gegenteil: das letzte Ziel aller Bestrebungen aller großen Philosophen ist immer gewesen, den absoluten Sinn des Welt- und Menschheitsgeschehens zu fassen, jede "Weltanschauung" will "Grund" einer "Lebensauffassung" sein. (29) Das Neue an der Transzendentalphilosophie ist nur der Weg, auf dem sie ihm beizukommen sucht. In diesem Weg, dem "novum organon", liegt der spezifische Duft der Transzendentalphilosophie als Weltanschauung, und KANT nennt im vollen Bewußtsein dieses Sachverhaltes seine Kritik der reinen Vernunft" einen "Traktat von der Methode". (30) Das methodisch Neue aber liegt eben in dem, was man "die kopernikanische Wende" nennt: diese beseitigt das Wunder als Wunder sehr einfach dadurch, daß sie bewußt in ihm die Urposition der Philosophie sieht, in ihm ihre Stellung nimmt, und von ihm aus alle weiteren Fragen anpackt. Wer nun meint, daß das keine Übereinkunft des Wunders sei, der irrt. Denn ein "Wunder" ist diese Urposition nur für den, der dogmatisch a priori annimmt, "eigentlich" sollte es so etwas wie einen Sinnzusammenhang in der Welt nicht geben: dann ist es natürlich ein Wunder, daß es nicht so ist, wie es "eigentlich" sein sollte, sondern davon abweicht. In jener dogmatischen Voraussetzung liegt eben der Fehler, und das Urkomische in der Situation eines solchen "Philosophisten" liegt noch darin, daß er sich selbst widerspricht, indem er ja schon einen Sinn voraussetzt, wenn er irgendetwas als Wunder, d. h. als Abweichung von jenem vorausgesetzten Sinn, bezeichnet."Hen arche en o logos": im Anfang war der Sinn - natürlich rein logisch gemeint -, dahinter kann keine logische Fragestellung, sofern sie eben logisch sein will, zurück. Das Auszeichnende der transzendentalen methodus philosophandi vor jeder anderen Philosophierweise begründet sich darin, daß sie nicht von irgendwelchen unkontrollierten (meist schon sehr komplizierten) Sinnvoraussetzungen, ohne sie sich zu Bewußtsein zu bringen, ausgeht, sondern die formale Sinnvoraussetzung überhaupt an die Spitze des "ganzen Geschäfts der Philosophie" stellt, und sich nun  systematisch  auf deren inhaltliche Bestimmungen,  methodisch  auf den Weg, wie man wissenschaftlich zu solchen gelangen kann, auf ihren Sinn, ihre Geltung, ihren Grund, ihre Tragweite, ihren Zusammenhang  "besinnt". 

Es ist "ein Abgrund von Wunderbarkeit" (31) (der an seiner Tiefe nichts einbüßt dadurch, daß er wegen seiner Allgewohnheit nicht als solcher zu Bewußtsein zu kommen pflegt), daß die Gesichtseindrücke, die ich jetzt habe, nicht einfach bloß da sind und so sind, (32) als formloses Inhaltsgemengsel, sondern daß sie zusammen einen Zusammenhang bilden, geformt sind, einen "Gegenstand" konstituieren, den ich "meine", wenn ich von "der Lampe" spreche, daß die Worte, die ich spreche und höre, eine "Bedeutung" haben, daß über meinem Schreibtisch die Inhaltsdaten die Einheit "Bild Kants" bilden, daß die inhaltlichen Momente überhaupt nur das Vehikel für Sinnzusammenhänge sind, sich in "synthetischer Einheit" darstellen, die mehr und anderes ist, als das bloße Beisammen der Inhaltsmomente. (33) Nichts anderes als dieses Urwunder ist gemeint, wenn COHEN von "Objektivierung", WINDELBAND von "Beurteilung", RICKERT vom "Anerkennen eines Sollens" als Grundlage der Erkenntnistheorie spricht, und nichts anderes ist auch der transzendentale Sinn von HUSSERLs "intentionalem Gegenstand." (34)

Aber gerade die Anknüpfung an HUSSERL läßt uns das eigentlich Geniale in der Problemstellung KANTs sehen: das liegt nämlich darin, daß er dem hier auftauchenden Problem nicht von den  Wortbedeutungen  aus beizukommen suchte, sondern von den wissenschaftlichen  Urteilen Darin liegt der bleibende Wert der Anknüpfung der Kategorientafel an die Urteilstafel, wegen der fast sämtlich Epigonen KANT die Leviten gelesen haben. Mag die Ableitung in allen Einzelheiten unhaltbar sein, mag es sogar falsch sein, die Kategorien von den Urteilsformen ableiten zu wollen, (weil diese vielmehr von jenen abzuleiten sind): daß KANT gesehen hat, daß man dem Sinnproblem nur vom  Urteil  aus beikommen kann, weil sich der Sinn hier als Sinn gefüge  präsentiert, darin liegt das Bleibende. Es spricht sich darin die Fundamentaleinsicht aus, daß nie und nimmer durch eine Summierung von Bedeutungen ein Sinngefüge begreiflich ist, daß es vielmehr der Sinn des Satzes ist, der all den Worten, aus denen er besteht, erst ihre Bedeutung verleiht. (35) Mit anderen Worten: die transzendentale Grundeinsicht ist die, daß jede Analysis eine Synthesis voraussetzt, in der sie gründet; in der Schulsprache ausgedrückt: daß alle wissenschaftlichen Einsichten auf "synthetischen  Urteilen  a priori" beruhen. Oberste Voraussetzung allen Philosophierens, ja jedes sinnvollen Verhaltens überhaupt, ist die formale Voraussetzung eines schlechthinnigen Sinnzusammenhangs des Wirklichen überhaupt, als das  Axiom der Axiome.  dieses Prinzip haben als Schüler KANTs FICHTE und HEGEL zur Grundlage ihrer ganzen Philosophie gemacht. Und für die Logik speziell hat LOTZE im "Gelten der Sätze" (36) das nicht weiter ableitbare Grundphänomen gesehen.

In der Logik pflegt diese logische Urposition als "die Selbstgarantie der Wahrheit" bezeichnet zu werden: (37) Jede Leugnung der Wahrheit, die wahr sein will, setzt voraus, was sie leugnet. Aber die hier übliche Beschränkung auf das rein theoretische Gebiet ist irreführend, soweit es sich um die rein formale Sinnvoraussetzung überhaupt handelt. Diese gilt für jedes Gebiet, in Bezug auf welches sinnvoll auch nur gesprochen, geschweige denn gehandelt wird. Die rein theoretische Sinnvoraussetzung ist davon nur eine spezifische Anwendung auf das spezifisch theoretische Verhalten. Aber allerdings muß streng festgehalten werden: diese Sinnvoraussetzung überhaupt ist eben ganz rein formal gemeint, besagt über die inhaltliche Bestimmung des Sinns nicht das Geringste, und für diese aus ihr allein gar nichts zu holen. Um es extrem zu formulieren: rein logisch betrachtet, könnte die inhaltliche Bestimmung des Weltsinnes dahin ausfallen, daß derselbe ein negatives Vorzeichen bekäme, d. h. Unsinn sei. (Man denke etwa an SCHOPENHAUER! (38) Für die inhaltliche Bestimmung dieser "reinen Form" (im prägnantesten Sinne) kommt es also immer darauf an, auf welche Beziehungspunkte, welches Bezugssystem man den Sinn des Inhaltlichen hin orientiert und daran mißt: und da sollte es eigentlich nicht nötig sein, ausdrücklich zu sagen, daß von einer Beziehung auf den Menschen, etwa gar noch dessen Wohlergehen, in alle Wege keine Rede ist. (39) Die Selbstkontinuation des transzendentalen Problems führt also notwendig zu der Frage, wie die inhaltliche Bestimmung jener formalen Sinnvoraussetzung zu gewinnen, welches das schlechthinnige Koordinatensystem für die Sinnkoordination alles Inhaltlichen der Welt überhaupt sei.

In diesem rein formalen Charakter der absoluten Voraussetzung liegt dann ferner begründet, daß damit nicht das Geringste über die Absolutheit irgendeiner konkreten, dem Menschen bewußten Sinninhaltlichkeit gesagt ist. Hier liegt innerhalb des absoluten Rahmens  das relative Recht des Relativismus begründet:  daß jede einzelne konkrete Einsicht, sie sei wissenschaftlicher oder moralischer Natur, relativ ist in dem Sinne, daß sie durch eine andere im Laufe der Geschichte überholt werden kann. Aber aller Relativismus hebt sich selbst auf, wenn er sich verabsolutiert: er braucht zu seiner eigenen Begründung ebenfalls die Idee eines absoluten Beziehungspunktes, auf den bezogen er eben alles relativ nennt, und diese Idee gibt er zu, auch wenn er behauptet, daß sie niemals inhaltlich erfüllbar sei. Für die einzelnen Sinn-Inhaltlichkeiten bedarf es also noch, um ihren spezifischen Sinn zu erhellen und zu begründen, außer der formalen Sinnvoraussetzung überhaupt irgendwelcher festen, in sich ruhenden, inhaltlichen Bestimmungen innerhalb dieses ganz allgemeinen Rahmens, an welchen Geltung und spezifischer Sinn der einzelnen konkreten Sinninhaltlichkeit zu messen ist, auf welche hin sie  gerichtet  sein muß, um  "richtig"  zu sein.

Diese Bestimmung der Idee des Geltens überhaupt kann, da aller Sinn sich nur aus  Werten  begreift, die er entfaltet, auf die er abzielt, nach denen er sich richtet, die ihn konstituieren, nur so erfolgen, daß versucht wird, die  Grundwerte  zu eruieren, in denen die reine Form eine inhaltliche Determination, Kontinuatioin, Konkretion findet. Das geschieht innerhalb der Transzendentalmethode so, daß anhand der vorliegenden Kulturgebiete, die in sich den Anspruch auf "notwendige Allgemeingültigkeit", deren Sinnkonstituentien heraus zu analysieren versucht wird. Da aber die Kultur als konretwirkliches Gebilde nur in der Geschichte vorliegt, wird ganz allgemein die Geschichte zum "Organon der Philosophie". (40)

Ich lasse hier, im logisch-erkenntnistheoretischen Teil meines Gesamtgedankengangs, dieses Problem fallen, um es im zweiten, dem ethisch-geschichtsphilosophischen, Teil wieder aufzunehmen. Dort wird dann zu zeigen sein, wie sich der formale Sinn überhaupt inhaltlich in eine Geltungs sphäre  zerlegt, indem er sich in inhaltlich bestimmten allgemeinen Grundwerten (wie z. B. Wissenschaft, Kunst, Moral) entfaltet, (41) sodaß dem materialen Faktor jedes Sinngefüges ein System von Formen als spezifischen Zusammenhangs- und Ordnungsprinzipien gegenübertritt, die jenen erst zu einem Sinngefüge, zu "Gegenständen" und gegenständlichen Zusammenhängen konstituiert, auf das hin Inhalte sich erst sinnvoll verknüpfen, in Bezug auf welches allein die Inhalte in wertgetragenen Sinnzusammenhängen stehen. Formprobleme behandeln heißt: Sinnvoraussetzungen für Inhaltssynthesen entwickeln, (wo also, ebenso wie von logischer, von ethischer, ästhetischer, religiöser Form zu handeln ist).

Aber immer ist hierbei festzuhalten, daß diese Trennung von allgemein-"bedingender" ("ermöglichender", "begründender", "konstituierender") Geltungs- oder Sinnform und bedingter (etc.) Sinninhaltlichkeit, konkreter Gültigkeit, nur eine begriffliche ist, die ein reales In- und Durcheinander in seine begrifflichen Komponenten zerlegt zum Zweck des Begreifens. Eben darum aber  schafft  die Philosophie  als Wissenschaft  diese Grundwerte und Formen nicht - das tut die lebendige Kultur selbst! -, sondern  erkennt  sie, d. h. hebt sie anhand der wirklichen, historisch vorliegenen Kulturen ins Bewußtsein.

Darum ist auch das Begründen und "Beweisen" in der Philosophie ein anderes, als in den Einzelwissenschaften: diese machen Halt bei  Axiomen  und begründen (beweisen) aus diesen; aber diesen selbst gegenüber, die das Untersuchungsobjekt der Philosophie ausmachen, kann nur dies geleistet werden, daß sie  als solche  "ins Bewußtsein gehoben", ihr innerer Zusammenhang entwickelt, sie schließlich auf ein oberstes  Grundprinzip  zurückgeführt werden. Als letztes Prinzip allen Begründens kann dies nicht wieder "deduziert", sondern nur als solches herausgestellt, zu Bewußtsein gebracht und "kreditiert" werden. (42) Es beweist sich, indem es sich selsbt erfüllt (und damit "bewährt").  Die Philosophie bringt die Kultur zur Besinnung, indem sie ihren Begriff herausstellt, d. h. die Vernunft.  Die Vernunft ist der formale, Zusammenhang-begründende Begriff der Kultur, die Kultur die inhaltliche, Zusammenhang-erfüllende Auseinanderlegung (und damit Auslegung) der Vernunft. Davon wird in den Abschnitten "Transzendentale Geschichtsphilosophie" und "Bewußtsein überhaupt und Vernunft" des weiteren zu handeln sein.

Hier bleibt noch übrig, den gewonnenen Standpunkt gegen Mißverständnisse zu sichern, und seine Bedeutung in philosophisch-methodischer Hinsicht noch etwas näher zu charakterisieren.

Wenn ich von "Absolutheit" der Sinnvoraussetzung überhaupt spreche, so ist damit ihre logische Unbedingtheit, ihr In-sich-selbst-gegründet-sein gemeint. (43) Es ist damit behauptet, daß in ihr allem Zeitlichen die Idee eines Zeitlosen (Überzeitlichen), schlechthin Gültigen, das Prinzip der Zeitlosigkeit im Sinne einer schlechthinnigen Geltung, gegenüber tritt, das in dieser seiner Eigengründung unabhängig ist davon, ob irgendwelche Subjekte sich auf es richten, oder irgendwelche Objekte ihm genügen. Es  akualisiert  sich in Subjekten und  realisiert  sich in Objekten: aber seine Geltung als reine Geltung ist davon unabhängig. Die transzendentale Grundidee des schlechthinnigen Sinnzusammenhangs und seiner absolut-wertvollen Erfüllungen (Erfüllbarkeit) ist ihrem Eigen-sinn nach allem Zeitlichen entrückt, liegt daher weder in der Sphäre der Objekte, noch in der der Subjekte, die alle in der Zeit stehen. Sie entnimmt nicht jenen ihre Geltung, sondern verleiht sie ihnen umgekehrt erst von sich aus.

Wie oben bei der Erlebniswelt der weder psychische noch physische Charakter der Inhalte, so wird hier dasselbe von den Formen behauptet; denn nur so liegen beide Momente in derselben Ebene; (44) und so wird dem  Psychologismus,  wie dort (Seite 28) der inhaltliche, so hier der formale Ansatz genommen. Beide, Inhalt und Form, sind nur begriffliche Momente einer "Sache", die als solche jenseits von Subjekt und Objekt steht, weil sie diesen Gegensatz und seine Glieder als Sinnzusammenhänge in sich schließt und unter sich begreift. Es handelt sich also beim Apriorischen weder um eine Organisation unseres Bewußtseins, noch etwa gar um notwendige "Fiktionen" (45) der zoologischen Gattung "homo sapiens", sondern um immanente Sachzusammenhänge innerhalb des jeweiligen Grundwertes im formalen Rahmen der absoluten Geltung überhaupt. (46) Die einzelnen Inhaltsbestimmungen fordern sich einander innerhalb des Sinnzusammenhangs, in dem sie stehen, aufgrund dieser ihrer Sinnbeziehung, ganz gleichgültig gegen das Subjekt. Ihr Sinnzusammenhang ist vielmehr für die Subjekte der "Gegenstand", nach dem sie sich zu richten haben, wollen sie bezüglich der betreffenden Inhalte zu gegenständlicher Erkenntnis oder Handlung gelangen. Gegenständlichkeit heißt: absoluter Sinnzusammenhang, konkreter Gegenstand: Inhalte in Geltungsform. Die Werte sind nicht deshalb absolut, weil sie als unbedingt fordernde und gesollte "erlebt" werden, sondern sie fordern unbedingt, weil sie absolut sind, und als solche in sich gründen. Das  "allgemein gültig" ist eine Konsequenz des "schlechthingültig"; nur weil der betreffende Sinnzusammenhang schlechthin gültig ist, gilt er  von  den Objekten und  für  die Subjekte. Die richtig verstandenen transzendentalen Kategorien haben also mit "Erfahrungsweisen des Bewußtseins" gar nichts zu tun, sondern sind Prinzipien des sachlichen Zusammenhangs von theoretischen Gültigkeiten. Es entsteht dann allerdings, nachdem das Problem des  "Gegenstandes  der Erkenntnis" entschieden ist, das Problem der  "Erkenntnis  des Gegenstandes", d. h. die Frage, wie das erkennende Subjekt die Geltungsbeziehungen und Gültigkeiten zu fassen vermag. Davon wird beim Subjektsproblem zu reden sein. (47) Aber schon hier sei betont, daß es eine vorsintflutliche, rein konstruktive Psychologisiererei ist, nun aus jeder Kategorie eine Seelenfunktion zu machen, eine dämonologische Vermögenspsychologie übelster Sorte, über die doch gerade die Zeit, die auf ihre "exakte Psycholgie" so stolz ist, hinaus sein sollte. Wie kann ein vernünftiger Mensch denken, der "Gedanke" (48) des Gravitationsgesetzes sei ein Tätigkeit des menschlichen Bewußtseins! Dem Funktionalzusammenhang der Planetenbahnen sind alle funktionierenden menschlichen Bewußtseine gleichgültig.

Eine weitere methodische Bedeutung des von uns erreichten ersten Höhepunktes unseres Gesamtgedankenganges liegt darin, daß, wie bei der "Erlebniswelt" eine Metaphysik "nach unten" als sinnlos sich darstellte (Seite 29), so hier genauso eine Metaphysik "nach oben" sich als sinnlos erweist. Und zwar aus demselben Grund wie dort, weil ja beide Momente gar keine für sich bestehenden Realitäten sind, hinter die zurückzufragen irgendeinen Sinn haben könnte, sondern eben zwei  Momente,  die nur die begriffliche Analyse sondert, die aber realiter immer zusammen sind. Eben deshalb aber beziehen sich alle sinnvollen Fragen nur auf dieses Zusammen, bewegen sich also  zwischen  den beiden zum Zweck des Begreifens auseinandergehaltenen Prinzipien: Form und Inhalt. Alle sinnvollen Fragen richten sich auf Forminhaltlichkeiten und deren Formzusammenhänge. Die Überwindung der Metaphysik alten Stils durch die Transzendentalphilosophie liegt gerade in der Einsicht, daß es sinnlos ist, für den  Weltinhalt überhaupt  nach seiner Ursache, für die  Weltform überhaupt  nach ihrem Grund zu fragen: alles sinnvolle Fragen bewegt sich vielmehr zwischen diesen beiden.

Aus den soeben dargelegten Gedankengängen ergibt sich nun auch der einzig mögliche Sinn einer  transzendentalen Logik.  Sie ist weder eine metaphysische, noch eine psychologische, noch eine normative Disziplin. Sie erfaßt weder die ontologisch-metaphysischen Seinszusammenhänge, noch hat sie es irgendwie mit psychischen Vorgängen zu tun, noch auch (wenigstens in ihrer "Reinheit") mit Normen für solche. Vielmehr ist sie nichts anderes, als die Entwicklung der Sinnstruktur des Geltungswertes "Wissenschaft", des theoretischen Geltungszusammenhangs. Die Sinnstruktur dieser Geltungseinheit legt sich auseinander in den theoretischen Kategorien. Darum ist die "reine Logik" wesentlich Kagetorienlehre, d. h. sie ist transzendente Begriffslehre. (49)

Der Begriff im transzendentalen Sinne aber hat nichts zu tun mit dem, was die traditionelle Schullogik unter einem "bloßen"  Abstraktum  versteht, als dem Resultat eines Abstraktionsprozesses des erkennenden Subjekts. Er hat als Gebilde der reinen Logik mit dem erkennenden Subjekt gar nichts zu tun, sondern ist nichts anderes, als die inhaltliche obzwar allgemeine Bestimmung oder Erfüllung eines theoretischen Sinnzusammenhangs in Bezug auf sein Material. Das heißt er ist "der Inbegriff einer bestimmten Gesetzmäßigkeit", (50) der als solcher  seine  Inhalte fordert, das von ihm zu Konstituierende als dasjenige, für  dessen  Geltungszusammenhang  er  die logische Möglichkeitsbedingung ist. Und entsprechend fordern die konkreten Gegenstände  ihren  Begriff und fügen sich sonst keinem andern. Die Kategorien aber sind nichts anderes, als die allgemeinen Prinzipien für theoretische Begriffe, d. h. die allgemeinen formalen Obergesetze, gemäß denen die Begriffe die besonderen inhaltlichen Untergesetze für Konkretes sind. Die Kategorie ist so der Begriff des Begriffs: das theoretische Kategoriensystem ist die logische Auseinanderlegung der formalen Sinnverfassung des Grundwertes "Wissenschaft", der gemäß (unddurch welche sanktioniert) die inhaltlich bestimmten Begriffe das Wirkliches zu konkreten Wahrheiten, zu theoretischen Sinninhaltlichkeiten (Erkenntnissen) konstituieren. Für den so aufgefaßten Begriff des Begriffs empfiehlt sich als passendste Bezeichnung der aus der  Mathematik  entnommene Ausdruck  "Funktion".  Was darunter rein logisch zu verstehen sei, muß etwas näher ausgeführt werden.

Es kann sich selbstverständlich nicht darum handeln, die Philosophie und von ihr aus die Wissenschaften (und Kulturgebiete überhaupt) zu mathematisieren; vielmehr ist der Sinn der, daß es sich um eine Logisierung der Mathematik (51) handelt, derart daß ihr Funktionsbegriff begriffen wird als  spezifische  Form eines allgemeineren Funktionsbegriffs, der seine Determination zum mathematischen Begriff der "Funktion" dadurch bekommt, daß die allgemeine Form des Sinnzusammenhangs überhaupt eine spezifische Bestimmtheit durch seine Beziehung auf den Wert "Mathematik" und die durch diesen Wert konstituierten Gegenstände (eines "idealen Seins" in einem "homogenen Kontinuum") erhält. Der reine Begriff der Funktion dagegen besagt nichts anderes, als das: ein solcher Sinn- oder Sachzusammenhang, (52) daß die inhaltlichen Bestimmtheiten dieses Zusammenhangs in konstanter, gesetzmäßiger (53) Korrelation einander zugeordnet sind. Der allgemeine Begriff der Funktion umfaßt jede gegenseitige, rein sachliche Zuordnung von Inhalten in irgendeinem geltenden Wert- oder Sinngefüge.

Der Gedanke an irgendeine "begriffsbildende" Funktion  als psychische Tätigkeit  eines Bewußtseinssubjekts ist also in der "reinen Logik" völlig fernzuhalten. Vielmehr handelt es sich da nur um das rein logische Verhältnis der Gegenstände zueinander kraft ihrer Zugehörigkeit zu einem sachlichen Funktionalzusammenhang. Dieser logische Sinnzusammenhang bestimmt rein sachlich das Verhältnis des Wirklichen, das ihm untersteht, unter einander. Richtet sich ein erkennendes Subjektsverhalten auf diesen Zusammenhang, so ist es "richtig", wenn es die "wahre", d. h. durch den Eigen-sinn des Sachzusammenhangs bestimmte Korrelation der Inhalte  nach denkt: Man erkennt, wenn man in Bezug auf einen Inhaltskomplex den ihn zu einem Sinnzusammenhang konstituierenden Begriff in einem Urteil begreift.

Von hier aus ist es zu begreifen, wenn im transzendentalen Gedankengang die "Wirklichkeit" als "Funktion" der "Erkenntnis" bezeichnet wird: "Wirklichkeit" ist ein Begriff für ein bestimmtes, funktionales Verhältnis von Wirklichem: (54) dieser Begriff ist das logisch bestimmende und begründende Prinzip für die Geltungskonstitution des Wirklichen.

Dabei muß dann noch weiter unterschieden werden zwischen der  Funktion selbst  und ihren  Gliedern oder Argumenten.  Diese Glieder der Funktion sind die inhaltlichen Momente, deren gesetzmäßige Zuordnung aufeinander eben die Funktion ausdrückt, d. h. also das, was die traditionelle Lehre vom Begriff dessen "Merkmale" nennt. Gemäß dem durch den betreffenden Begriff konstituierten Funktionalzusammenhang verlangt ein bestimmtes Merkmal bestimmte andere (ihm "komprädikable"), während es andere ausschließt.

Unter funktionalem Verältnis versteht man nun sowohl das Verhältnis des Wirklichen (Inhaltlichen) überhaupt zu seiner Funktion überhaupt, als auch das Verhältnis der einzelnen Merkmale, d. h. inhaltlich bestimmter Glieder einer Funktion in ihrem gegenseitigen Bestimmungsverhältnis. Um für letzteres ein konkretes Beispiel zu geben: wenn man die Kategorie "Organismus" in ihrer allgemeinen Sinnstruktur kennt, und ferner die inhaltliche Bestimmtheit dieser Allgemeinform für eine besondere Spezies, so kann man aus einem Knochen als einem konkreten Argument das ganze Tier rekonstruieren: die einzelnen Glieder des Tieres stehen in einem funktionalen Verhältnis zueinander gemäß der Allgemeinfunktion, deren inhaltliche Bestimmung die betreffende Spezies ist. Ganz analog liegen die Verhältnisse, wenn man aus der Kenntnis der astronomischen Gesetze und einer bestimmten gegebenen Konstellation rückwärts und vorwärts eine Sonnenfinsternis ausrechnet.

Schließlich muß noch der  Erfüllungswert der Funktion  unterschieden werden: ihre volle inhaltliche Erfüllung in concreto durch das bestimmte Einzelding, den bestimmten Einzelvorgang hic et nunc [hier und jetzt - wp], die konkrete Sinninhaltlichkeit.

Aber eins muß energisch betont werden. Die allgemeinste formale Voraussetzung eines schlechthinnigen Sinnzusammenhangs überhaupt konstituiert nicht als solche  direkt  die Weltinhalte überhaupt. (55) Sondern die transzendental-wissenschaftliche Analyse der Synthesen der Welt überhaupt, zwecks inhaltlicher Bestimmung der transzendentalen Grundform überhaupt, ergibt, daß sich diese rein formale Geltungsidee in inhaltliche Grundwerte zerlegt, die als solche zwischen die "reine" Geltungsform einerseits, den "bloßen" Inhalt überhaupt andererseits treten. Das transzendental Grundaxiom erfüllt sich (wie schon oben gesagt, und weiter unten noch näher zu erörtern sein wird) inhaltlich zunächst in bestimmten Grundwerten, wie z. B. dem Wert "Wissenschaft" oder dem Wert "Moral". Erst innerhalb dieses Grundwertes wird dann das ihm unterstehende Material zu funktionalen Sinnzusammenhängen (Gegenständen und gegenständlichen Beziehungen) inhaltlicher Art als Erfüllung dieses Grundwerts konstituiert.

Um das Gemeinte zu illustrieren: es muß also z. B. die "ethische" Geltungseinheit unterschieden werden von der "theoretischen"; innerhalb dieser wieder die Funktion "Mechanismus" von der Funktion "Organismus"; innerhalb des mechanischen Funktionalzusammenhangs wieder "physikalische" und "chemische" Funktionen. In jeder dieser Funktionen kommt eine spezifische Art der gegenseitigen Zuordnung von Wirklichkeitsinhalten innerhalb der übergeordneten Funktion zum Ausdruck. Hier liegt die durchgängige Korrelation des formalen und materialen Faktors der Erkenntnis auf der Hand. Ihr Verhältnis ist aber nicht so, als ob irgendwie das materiale Moment die Funktion  in ihrem Sinn  bestimmte, wohl aber so, daß es diese Funktion zuläßt, jene ablehnt. Der bestimmt qualifizierte Inhalt fordert  seine  Funktion; umgekehrt fordert die bestimmte Funktion  ihre  Inhalte.

Die Kategorien ergeben sich also jeweils aus dem Grundwert in seiner Anwendung auf das Material. Diese Lehre ist demnach weder ein  Begriffsnominalismus,  noch ein  Begriffsnominalismus,  sondern ein  Begriffsidealismus,  (56) wobei das in diesem Terminus steckenden Wort "Idee" zum Ausdruck bringen soll, daß der einzelne Begriff vom Grundwert dependiert [abhängt - wp], dem er dient, daß er aber innerhalb dieses Rahmens seinerseits keine "bloße" Idee als "regulatives Prinzip" für ein Subjekt, sondern "konstitutive Möglichkeitsbedingung" dafür ist, daß überhaupt Inhalte die Geltungssanktion jenes Grundwertes empfangen und so zu theoretischen, ästhetischen, ethischen etc. Sinninhaltlichkeiten, konkreten Gültigkeiten, sich konstituieren können. Und erst dieser "sachliche" Zusammenhang wird dann zur regulierenden Norm für ein erkennendes Subjektsverhalten. Der das jeweilige Funktionssystem beherrschende Grundwert ist es, nach dem sich bestimmt, was an der "extensiv und intensiv unerschöpflichen Mannigfaltigkeit" (57) des Wirklichen für die betreffende "Begriffsbildung" "wesentlich ist. Der Begriff ist also die inhaltliche Ausgestaltung der Idee des absoluten Geltungszusammenhangs überhaupt innerhalb eines bestimmten Grundwertes, dem gemäß er das "Wesentliche" am Konkretwirklichen zu seinem Gegenstand verknüpft. Er ist der Ausdruck der Sinnstruktur oder Geltungskonstitution von Inhaltskomplexen innerhalb eines bestimmten Wertzusammenhangs. Demgemäß gibt es also nicht bloß naturwissenschaftliche, sondern auch geschichtswissenschaftliche, ethische, ästhetische, religiöse "Begriffe" im strengen Sinne.

Aus dem allen ergibt sich für das System der transzendentalen Logik in toto folgende Einteilung:
    I.  Reine  Logik (Theorie der theoretischen Geltung oder des theoretischen  Sinnes:  Logik der Philosophie).

    II.  Material bezogene (58) Logik:

      1.  Objekt bezogene Logik (Theorie der Erfahrung oder des empirischen  Seins:  Logik der Erfahrungswissenschaft.)

        a) Logik der Naturwissenschaft (inkl. Logik der Mathematik)
        b) Logik der Geschichtswissenschaft


      2.  Subjekt bezogene Logik (Theorie des Erkennens) (59)
Man könnte diese drei Teile der Logik überhaupt auch bezeichnen als: Logik der  Wahrheit  (I.), Logik der  Richtigkeit  (II 1), Logik der  Gewißheit  (II 2). Erst im letzten Teil handelt es sich um die Beziehung der theoretischen Geltungssphäre zum  Subjekt;  erst hier gibt es ein Urteilen und Schließen, erst hier Normen (SIGWART) und  "Denk gesetze", erst hier ein "analytisches Urteil" im Sinne der formalen Schullogik (DROBISCH), erst hier ein Problem der "Evidenz" (HUSSERL), erst hier ein "Gefühl der Urteilsnotwendigkeit" (RICKERT), erst hier ein "problematisches Urteil" (WINDELBAND), erst hier Methoden im Sinne von technischen Verfahrensweisen bei der forschenden und darstellenden Tätigkeit (WUNDT).
LITERATUR - Fritz Münch, Erlebnis und Geltung, [Eine systematische Untersuchung zur Transzendentalphilosophie als Weltanschauung], Kantstudien, Ergänzungsheft Nr. 30, Berlin 1913
    Anmerkungen
    1) GEORG HEGEL, Enzyklopädie, § 10
    2) Darum ist es ein zweifelloses Verdienst der Marburger Kantschule, also besonders COHENs, daß sie in ihrer Kantinterpretation auf dieses Moment den Nachdruck gelegt, und damit allem Psychologismus in der Nachfolge KANTs entgegen zu treten sich bemüht hat. Vgl. außer den Werken COHENs neuerdings diejenigen CASSIRERs, "Das Erkenntnisproblem in der Wissenschaft und Philosophie der neueren Zeit" und "Substanzbegriff und Funktionsbegriff".
    3) Auf das transzendentale Problem, das auch schon im Faktischen steckt, ist später zurückzukommen: Beim "Ding-ansich-Problem".
    4) Vgl. "Kritik der reinen Vernunft", Ausgabe B, Seite 75
    5) Vom Standpunkt einer Theorie des  Erkennens  kommt als 2. Moment hinzu, daß für ein diskursiv denkendes, sinnlich-intellektuelles Wesen alles  Erkennen  notwendig als "beziehendes" Denken verläuft, d. h. als ein solches, das zwischen dem Allgemeinen (als Axiom) und dem Besonderen (als Datum), damit eben zwischen Form und Inhalt, sich "hin und her bewegt", das eine nur im und durch das andere in seinem korrelativen Sinn zu begreifen vermag.
    6) Vgl. im allgemeinen ZSCHOCKE, Über Kants Lehre vom Schematismus, Kantstudien XII, Seite 157f. Ferner H. LEVY, "Kants Lehre vom Schematismus", Halle 1907; OSCAR EWALD, "Kants kritischer Idealismus", 1908, Seite 28. Siehe KANT namentlich "Kritik der reinen Vernunft", Ausgabe B, Seite 185.
    7) Wenn wir von der Vertiefung der Erkenntnistheorie der Kr. d. r. V. in der "Kritik der Urteilskraft" sprechen werden (beim "Ding-ansich-Problem"), wird darauf zurückzukommen sein. Es versteht niemand den Sinn der Erkenntnistheorie KANTs, der ihren Schlußstein in der "Kritik der Urteilskraft" nicht begriffen hat.
    8) Vgl. HENRI BERGSON, Einführung in die Metaphysik", Seite 16f. Wir werden auf BERGSON selbst, dessen obiges Bild hier nur als Repräsentant einer allgemeinen Zeitströmung gemeint ist, an verschiedenen Stellen unseres Gedankenganges zurückkommen.
    9) Daß und wie beide, Erkennen und Leben, in specie philosophisches Erkennen und Leben, in wechselseitigem Verhältnis stehen, welches dieses Verhältnis sei, und wie die Glieder desselben begrifflich genauer zu bestimmen seien, das gerade ist der Gegenstand aller folgenden Untersuchungen.
    10) Begeisterung für die Philosophie als Wissenschaft und philosophische Predigerbegeisterung ist auseinander zu halten!
    11) EMIL LASK, Die Logik der Philosophie, Seite 49
    12) Man sehe hier vom Transzendentalphilosophieren der Sprache ab!
    13) JAKOWENKO, "Was ist die transzendentale Methode?" (Bericht über den 3. Internationalen Kongreß für Philosophie, Heidelberg 1909, Seite 795.
    14) Es kracht plötzlich ein Schuß dicht an meinem Ohr: da hat sofort die ganze Umgebung die schärfsten Konturen. Davon weiter unten: beim "aktuellen Subjekt".
    15) Natürlich werden die modernen Erlebnisphilosophen energisch bestreiten, daß die Erlebniswirklichkeit, die sie meinen, so sei, wie ich es schildere, und behaupten, daß darin Zusammenhänge sind. Aber gerade eben darauf will ich hinaus, darzulegen, daß damit das Erlebnis als  bloßes  Erlebnis verlassen ist, daß diese Behauptung eine transzendentalphilosophische ist und nur transzendental begründet werden kann - nur daß der Erlebnisphilosoph sich dessen nicht bewußt ist. Wendet man gar das Wort "Erlebnis" in einem pathetischen Sinn an, so meint man damit erst recht nicht das  "bloße"  Erlebnis, sondern das bedeutungsvolle, d. h.  sinnbezogen - werterfüllte  ("Er-eignis"); aber an diesem ist eben deshalb nicht die allgemein Form der Erlebtheit, sondern sein  Gehalt  die Hauptsache und das Wesentliche -: Das Untersuchungsobjekt der Transzendentalphilosophie.
    16) In diesem Grenzgebilde der erlebbaren Inhaltsgesamtheit gehören natürlich auch alle Traum- und Halluzinationsinhalte, ihrem erlebten Inhalt nach, hinein.
    17) Vgl. RICKERT, Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Seite 23f
    18) FRIEDRICH KUNTZE, "Die kritische Lehre von der Objektivität", 1906, Seite 283
    19) Wie auch die "Philosophie des Unbewußten" ihrem Weltprinzip auch seinen Namen schon nur geben kann durch eine (negierende) Beziehung auf das "Bewußtsein".
    20) Ein derartiger Einwand wird vielleicht den Erlebnisphilosophen nicht irritieren, sondern er wird einfach erklären, der Einwand sei ja ein logischer, d. h. aus der Schulphilosophie stammender, also "scholastischer", und gerade darauf käme es ja an, die Schulphilosophie durch eine Philosophie, die aus dem vollen Leben und Erleben selbst schöpft, zu überwinden. Aber eben im Vollen und Ganzen der Welt liegt das Transzendentale als Hauptmoment darin.
    21) Nur schade, daß die Erlebnisphilosophen selbst das meist nicht sehen, sondern ihrerseits in Psychologismus und Anthropomorphismus verfallen.
    22) "Die Erlebbarkeit ist ein gleichgültiger Hintergrund, der nichts vom anderen unterscheidet, von dem nichts frei ist" (KRONER, Zur Kritik des philosophischen Monismus", Logos III, Seite 213
    23) Vgl. unten bei "Aktuelles Subjekt".
    24) Darum ist  hier  auch kein Grund, zwischen "Erlebtem" und "Erlebbaren" zu unterscheiden, wo jenes nur einen Ausschnitt aus der unendlichen Mannigfaltigkeit des Erlebbaren bedeutet durch Beziehung auf ein individuelles Subjekt.
    25) HENRI BERGSON, Materie und Gedächtnis, Seite XVI.
    26) Der Fehler von AVENARIUS und MACH liegt darin, daß sie nicht sehen, daß es hierin auch noch keine "Tatsachen" gibt. Tatsachen wie Nicht-Tatsachen sind immer schon Funktion einer bestimmten Sinneinstellung, weil "alles Faktische schon Theorie ist" (GOETHE). Davon weiter unten mehr.
    27) Vgl. unten die Kapitel: "Transzendentale Geschichtsphilosophie", "Bewußtsein überhaupt und Vernunft", "Das Ding-ansich-Problem"
    28) Wenn man diese Frage nach der transzendental-philosophischen "Qualität" der Erlebniswelt stellt, steht man schon außerhalb der sogenannten "Erlebnisphilosophie". Es kommt dann alles darauf an, daß man sich das Prinzip zur Beantwortung dieser Frage nach Geltung, Sinn und Tragweite, und seine Entfaltung systematisch zum Bewußtsein bringt. Das eben ist Transzendentalphilosophie.
    29) Daß das auch von SPINOZA gilt, den man mit Vorliebe als "Typus" des  Weltanschauungsphilosophen  dem "Typus" des  Lebensanschauungsphilosophen  (z. B. FICHTE oder auch NIETZSCHE) gegenüberstellt, darüber vgl. die Einleitung, die OTTO BAENSCH seiner Darstellung SPINOZAs, in von ASTERs "Große Denker", Bd. II, voranschickt.
    30) KANT, Kritik der reinen Vernunft, Ausgabe B, Seite XXII
    31) HERMANN LOTZE, Logik (Ausgabe MISCH), Seite 520.
    32) Gingen sie in ihrem Dasein und Sosein, ihren bloßen inhaltlichen Momenten, auf, ich wüßte nicht einmal, daß sie sind und wie sie sind. Mit irgendeiner biologisch argumentierenden "Anpassungstheorie" darf man hier selbstredend nicht kommen: am logischen Anfang der Logik gibt es noch keine Biologie, sondern die ist selbst ein (sehr kompliziertes Sinngebildet, das seinerseits erst der logischen Begründung bedarf.
    33) Daß, wer sich das einmal voll zu Bewußtsein gebracht hat, über allen Naturalismus und Materialismus (sowei deren positivistische Abschattungen) hinaus ist, bedarf keiner weiteren Ausführung.
    34) Unter den Schülern HUSSERLs, und Schüler sind ja immer radikaler als ihr Meister, kann man gelegentlich der Ansicht begegnen, daß durch die "phänomenologische Methode" KANT und seine "transzendentale Methode" zum alten Eisen geworfen werde. In seiner Abhandlung über "Schillers transzendentalen Idealismus" (Kantstudien X, Seite 408) sagt WINDELBAND en passant. "Hier sieht man vielleicht am einfachsten, wie alle die heutigen Theorien der "Einfühlung" nur die mühseligen Versuche sind, mit den Mittelchen der empirischen Psychologie die Kantisch-Schillersche Idee dem alltäglichen Bewußtsein mundgerecht zu machen". Ich kann es wohl den kantfeindlichen Phänomenologen überlassen, sich dieses Diktum auf das Verhältnis ihrer Phänomenologie zu KANT umzuformen.
    35) Über Gedanke, Sinn, Bedeutung, vgl. RICKERT, Kantstudien XIV, Seite 193. Ich will übrigens hier  für alle meine Zitate  ein für allemal anmerken, daß sie in ihrem Gesamtsinn aus  meinem  Gedankengang zu interpretieren sind. Über Prämissen und Konsequenzen des jeweils zitierten Autors ist damit nichts weiter ausgesagt.
    36) LOTZE, Logik III, Kap. 2
    37) Vgl. darüber JONAS COHN, Voraussetzungen und Ziele des Erkennens", 1908, Seite 2; daselbst auch die Verweisungen auf die Ausführung desselben Gedankens bei PLATON und LOTZE.
    38) Höchstens der konsequente  Materialismus  scheint behaupten zu können, diesseits von Sinn und Unsinn zu stehen; aber auch das ist bloß Schein; denn wenn er für seine These Wahrheit beansprucht, macht er die Voraussetzung, die er in seinem System konsequenterweise nicht machen kann; und sachlich ist er überhaupt nichts anderes, als die hypostasierende Verabsolutierung des Sinns von "Naturwissenschaft" zum Weltsinn überhaupt.
    39) Der Sinn "entspringt" nicht durch Beziehung auf menschliche Bedürfnisse, hat seinen "Ursprung" nicht in menschlichen Verhältnissen, sondern umgekehrt entnehmen diese ihren Sinn und ihre Geltung durch ihre Beziehung auf den "gegenständlichen" Sinn. (Über den Unterschied von "anheben" und "entspringen" vgl. die Anfangssätze der "Kritik der reinen Vernunft" - nur muß man sie ihrer transzendental- psychologistischen  Formulierung entkleiden.) Es ist immer scharf zu unterscheiden zwischen dem  Zeitlich-Früheren  und dem  Sachlich-Urspünglicheren. 
    40) Vgl. unten den Abschnitt "Transzendentale Geschichtsphilosophie".
    41)  Terminologisch  sei hier schon fixiert:  Schlechthinnige Geltung  als reine Form, und  Grundwert  als allgemeine, aber inhaltliche Bestimmung derselben sind begrifflich auseinanderzuhalten.  Sinn  ist: Grundwert in schlechthinniger Geltungsform. Schlechthinnige Geltung + Grundwert (jene das transzendental-formale, dieser das transzendental-inhaltliche Moment) = Einheitsprinzip eines schlechthinnigen Sinnzusammenhangs.  Schlechthinnige Geltung  und  absoluter Wert  sind die Grundbegriffe der Transzendentalphilosophie überhaupt;  absoluter Sinn  der Grundbegriff der transzendentalen Geschichts- und Religionsphilosophie;  absolute Norm  der Grundbegriff der transzendentalen Ethik.
    42) Über das Verhältnis der Begriffe: Gelten, Wert, Sinn, Norm, Kultur, Vernunft, Gott, vgl. meine Abhandlung "Das Problem der Geschichtsphilosophie", Kantstudien XVII, Seite 349f.
    43) Diese bekundet sich für das Subjekt in der Unvermeidlichkeit und Unumgänglichkeit dieser Voraussetzung für jedes sinnvolle Verhalten, das sich selbst und seinen Sinn versteht. Negativ ausgedrückt: dadurch, daß der Gedanke ihres (kontradiktorischen) Gegenteils sich selbst aufhebt (sie es als Un-sinn überhaupt, sei es als spezifischer Wider-sinn).
    44) - im "dritten Reich", wie man diese transzendentale Sphäre als eine Sphäre sui generis, die weder Subjekt noch Objekt, weder physisch noch psychisch weder empirisch noch metaphysische ist, genannt hat. Vgl. SIMMEL, "Hauptprobleme der Philosophie, Seite 102f. "Die Entdeckung dieses dritten Reiches - wenngleich noch nicht in voller Schärfe der Formulierung und erkenntnistheoretischen Festgelegtheit - ist die große Tat PLATONs, die in seiner Ideenlehre eine der weltgeschichtlichen Lösungen des Subjekt-Objekt-Problems gezeitigt hat" (Seite 104).
    45) Vgl. VAIHINGER, Die Philosophie des Als Ob, 1911
    46) Die Wirklichkeit des Satzes: 2 x 2 = 4, seine theoretische Geltung, ruht ausschließlich in ihm selbst. BOLZANOs Lehre vom "Satz ansich" ist nichts anderes, als eine Formel für dieses schlechthinnige Sich-selbst-genügen eines theoretischen Sinnes.
    47) Vgl. die Abschnitte: "Aktuelles Subjekt" und "Transzendentale Ethik".
    48) Nicht  das Denken  dieses Gedankens! "Wer in einer Untersuchung über das Gedachte und die hierin liegenden Schwierigkeiten abspringt zu einer Reflexion über den Aktus des Denkens, der verläßt seinen Gegenstand, den er vielmehr festzuhalten sich gewöhnen sollte." (HERBART, "Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie", § 13). Siehe auch Anmerkung 36.
    49) Darin liegt kein Widerspruch zu dem oben über das Urteil Gesagten: Denn  das Urteil  (wohl zu unterscheiden von:  das Urteilen)  und der Begriff sind ihrem transzendental-logischen Gehalt nach dasselbe. Der Begriff der Gravitation z. B. und das Urteil, das sich im Gravitationsgesetz ausspricht, sind logisch gleichwertig.
    50) BRUNO BAUCH, "Studien", Seite 37.
    51) Im Dienste dieser Aufgabe stehen die scharfsinnigen Bemühungen von GOTTLOB FREGE, eine Theorie der "Begriffsschrift" zu begründen, die die mathematische Begriffsschrift als eine Spezies unter sich begriffe.
    52) Beides ist dasselbe, das eine Mal vom Moment des Geltens in Bezug auf Inhalte, das andere Mal vom Moment des Inhaltlichen in Bezug auf das Gelten formuliert. Vgl. BRUNSTÄD (in seiner Ausgabe von HEGELs "Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Seite 576): "Eine Allgemeinheit in einer Inhaltlichkeit, die selbst wieder als solche (als Allgemeinheit) den Charakter positiv gegebener Bestimmtheit an sich trägt", "ist erkenntnistheoretisch mit dem Terminus "Sache" bezeichnet. Kurz gesagt ist "Sache" das Schema des Gegenstandes, - "daher werden auch beide Bestimmungen gemeinhin im Sprachgebrauch promiskue [vielseitig - wp] angewandt" -, der Mittelbegriff zwiscen erfüllendem Inhalt und konstituiertem Gegenstand. Gleichbedeutend ist die Formulierung, "Sache" sei der Inbegriff der mit dem Prinzip der Konstituierbarkeit gegebenen inhaltlich bestimmten Bedingungen der möglichen Erfüllung."
    53) Natürlich ist nicht etwa nur an "Gesetz in  naturwissenschaftlichem  Sinn" ("Naturgesetz") zu denken; der Sinnzusammenhang der naturwissenschaftlichem Sinne" ("Naturgesetz") zu denken; der Sinnzusammenhang der naturwissenschaftlichen  Muß notwendigkeit ist nur eine spezifische Form des Sinnzusammenhangs überhaupt, nämlich die Spezifikation des allgemeinen Begriffs "Funktion" zur Funktion "Natur", neben welche andere, geltungstheoretisch prinzipiell gleichwertige Spezifikationen des Funktionsbegriffs überhaupt treten, z. B. etwa der Funktionalzusammenhang "Kunst" als eine "Funktion" sui generis [eigener Art - wp]
    54) Daß man auch dieses Urmaterial mit demselben Namen benennen muß, wie seinen Begriff, erklärt sich aus den früheren Darlegungen über die "Stummheit" des bloßen Materials als solchem, das (auch über sich selbst) nur sprechen kann durch den Begriff, dem es untersteht. Diese  sprachliche  Unzulänglichkeit - die sich genetisch daraus versteht, daß die Entwicklung der Sprache wesentlich unter metaphysischer Einstellung erfolgt ist - braucht bei nur einigermaßen gutem Willen die Einsicht in das  Gemeinte  nicht zu hindern. Es gibt keine größere Schwierigkeit als die, daß als Kopula das Verbum "sein" dient: dasselbe ist als Kopula durchaus farblos, bezeichnet bloß die  Synthesis  (Kopulation) überhaupt; deren spezifischer Sinn ist aus dem  Satz  selbst, der  Kategorie,  gemäßt der die Verknüpfung erfolgt, endlich dem  Grundwert,  dem die Kategorie dient, zu entnehmen.
    55) Dies anzunehmen, ist der Grundfehler aller  naturalistischen  Metaphysik. Die transzendentale Einsicht  in  das  kritische  Problem der quaestio  juris  hat gerade dieses  ontologistische  Dogma überwunden.
    56) Der  Begriff  ist etwas Ideelles, aber darum kein "bloßes Abstraktum". Selbst wenn er durch einen bloßen Abstraktionsprozeß gefunden werden könnte, besagte diese Art seiner Bewunderung nichts über sein logisches Eigenwesen. Es fällt aber dem echten Begriff auch gar nicht einmal ein, sich durch ein bloßes Abstraktionsverfahren finden zu lassen.
    57) Vgl. RICKERT, Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Seite 32f
    58) Das Wort in dem Sinne genommen, in dem oben vom "ursprünglichen Material" die Rede war.
    59) Im Abschnitt zur "Allgemeinen Kategorienlehre" wird hierüber noch einiges auszuführen sein.