F. StaudingerJ. BoreliusK. R. Poppervon Hartmann | |||
Der Satz vom Widerspruch [ 3 / 3 ]
6. So scheint es denn, als wären wir wieder beim reinen Dualismus in seiner altbekannten Form angekommen: das wahrhaft Seiende, das allein Erkennbare, der bestimmte Begriff und die begrenzende Form auf der einen Seite, das niemals Seiende und immer nur Werdende, der unbestimmte Fluß und der grenzenlose Stoff auf der anderen. Daß es bei einem solchen Dualismus nicht bleiben kann, führen wir nicht erst aus; es ist selbstverständlich. Aber können wir ihm entgehen? Das Werden, welches doch nicht geleugnet werden kann und seine Unbestimmtheit als die eigene Natur des Begriffs zu fassen, ist unmöglich; es wäre damit alles Erkennen aufgehoben. Den Begriff jedoch für das Erzeugnis des unendlichen Werdens auszugeben, geht ebensowenig; es ist nicht einzusehen, wie das Chaos sich den Kosmos erzeugen könnte. Jeder Versuch der in dieser Richtung gemacht wird, setzt unvermerkt in diesem Chaos, damit es sich erhalten und entwickeln kann, ordnende Kräfte von begrifflicher Art als schlechthin vorausgegeben voraus. Läßt sich also keines der beiden getrennten Momente auf das andere zurückführen, so muß es ein Drittes sein, in welchem beide sich zur Einheit aufheben, ein solches, aus dem der Widerstreit und das Zusammengehören der beiden Momente verständlich wird und dieses Dritte ist allein einem schöpferischen Willen, der nach seinen Zwecken beides setzt, zu finden: die chaotische Unbestimmtheit des Werdens und die überwältigende Macht des ordnenden Begriffs. Verständlich wird die Vielheit der Dinge und ihrer Prozesse nur durch den Zweck, dem sie dient. Es ist mit der Natur des Denkens und seiner Begriffe unverträglich, von einer Dialektik des Begriffes zu reden, als hätte der Begriff in sich den latenten Widerspruch, der offenbar würde, sobald man Ernst mit ihm machte, als glitte und schwankte er in sein Gegenteil hinüber, sei es nun das kontradiktorische Gegenteil, die bloße Aufhebung der Bestimmung oder das konträre Gegenteil, welches zugleich eine neue und etwa die von der ersten so weit als möglich verschiedene Bestimmung setzt und als verbände er, gleich unfähig in diesem neuen Stadium sich zu halten wie im ersten, aus innerem Trieb die beiden Glieder dieses Gegensatzes zu einer beiden Einseitigkeiten überlgenen Einheit, damit dieser Prozeß mit den immer gleichen Stadien sich so lange wiederhole, bis er bei einer höchsten und letzten, absoluten und allumfassenden Konkretion angelangt ist. In Begriffen, die sich auf diese Weise bewegen und schwanken, wie ein Sumpfboden, in den man beim Versucht, den Fuß fest aufzusetzen, nur immer tiefer einsinken würde, ließe sich nicht denken. Aber wenn die dialektische Natur des Begriffs als solchem geleugnet werden muß, so kann doch die dialektische Natur des Objekts nicht geleugnet werden, an welchem der Begriff sich offenbart. Die Objekte haben beides in sich, das Werden und das Sein, das Unbestimmte und die begriffliche Grenze; sie sind Zeugen von der Macht des Begriffs, aber auch vom Widerstand des Stoffs; sie sind nicht, was sie sein sollen und ihre Unangemessenheit gegen ihren Zweck ist der stete Antrieb der weitergehenden Bewegung. Wäre jedes in sich gut und vollkommen, genügte es sich und dem Ganzen, dem es dienen soll, so würde die in sich verschlossene Ruhe der Identität das Los der Dinge sein können und die Seligkeit harmonischer Vollendung prozesslos die Vielheit des Realen zur ruhenden Einheit umschließen. Aber eben der Mangel ist es, der die Bewegung in Gang hält. Daß etwas nicht ist, was es sein soll, nicht leistet, was es leisten soll, das ist der eigentliche Widerspruch, in welchem jegliches zugleich sich behauptet und sich verurteilt. In diesem Sinne ist der Widersprung Frucht und Anreiz zugleich, der Zweck aber der zureichende Grund des Werdens. Der Begriff, die Erscheinung des Zwecks im Objekt, ist das mit sich Identische und setzt kein Werden; aller Bewegung und Veränderung liegt die Unvollkommenheit zugrunde, der Widerstand des Stoffes, die Zweckwidrigkeit. Und so wird in der Entwicklung zum höchsten Zweck hin durch die Unvollkommenheit jedes Endlichen, die in der Unangemessenheit gegen den Begriff und in der Unbestimmtheit des Werdens zur Erscheinung kommt, die Vielheit der Erscheinungen gesetzt und eine Bewegung angefacht, die von Stufe zu Stufe weiterschreitend den Begriff immer vollkommener an sich ausprägt und dem höchsten Zweck immer näher kommt. Das Reale also, das Objekt des Denkens, ist dialektischer Natur, weil es nicht nur das Sein, sondern auch das Werden an sich hat und weil in ihm der Begriff und die Unbestimmtheit miteinander kämpfen. Seine dialektische Natur kommt darin zum Vorschein, daß es bei keiner einzelnen Erscheinung in ihrer relativ festen Gestalt verbleiben kann, sondern die rastlose Bewegung über sie hinaus zu neuen Gestalten fortschreitet. Das Denken kann sein Objekt nur begreifen, wenn es dasselbe unter dem Gesichtspunkg der Entwicklung betrachtet und jede einzelne Gestalt als ein Stadium innerhalb dieser Entwicklungsreihe faßt. Im Begriff der Entwicklung aber liegt es, daß das sich Verändernde in seiner Einseitigkeit nicht bloß das andere überhaupt zu seiner Ergänzung anstrebt, sondern diese Verschiedenheit bis zur möglichst weiten Spannung, bis zum konträren Gegensatz treibt, um dann in erneutem Umschwung die beiden entgegengesetzten Einseitigkeiten in einer höheren, konkreten Einheit zu vereinigen. Darüber darf ich mich wohl auf Ausführungen über den Begriff des Zwecks und der Entwicklung beziehen, die ich zu verschiedenen Malen in dieser verehrten Gesellschaft vorgetragen habe und die auch zum Teil in unseren Verhandlungen zur Veröffentlichung gelangt sind. Es geht nicht an, mich darüber jetzt noch weiter zu verbreiten. Es muß genügen, wenn ich hinzufüge: es ist der Zweck, der sich im Realen als Begriff offenbart, der für das Reale in seiner Bewegung das Ziel und die Richtung liefert, in der es sich weiter entwickle. Das Unbestimmte, Stoffartige fällt nich völlig aus dem Zweckprozeß heraus; es trägt selbst die Würde des Mittels mit Bezug auf den Zweck und ist darum für den Zweck formbar; der Begriff hat am Unbestimmten sein Substrat und sein Material. Der Gegensatz ist scharf gespannt, aber die Entgegengesetzten sind nicht unvereinbar und diese Vereinigung vollzieht sich in der dialektischen Form der Entwicklung, die von Satz zu Gegensatz und Vermittlung fortschreitet und in diesem Dreitakt sich stetig weiterbewegend ihr abschließendes Ziel erreicht. Erst in diesem, im Absoluten, ist der letzte Gegensatz aufgehoben, das letzte Element der Unbestimmtheit und also auch des Widerspruchs getilgt. Und erst im Ganzen der Erkenntnis, im System findet das Erkennen seine Ruhe und erblickt es, vor der Unruhe der durch die Unbestimmtheit immer neu entzündeten Bewegung gesichert, das einheitliche Prinzip, welches im Akt seiner Selbstbewährung ebensowohl die zu formende Unbestimmtheit mit ihren Widersprüchen als den formenden Begriff mit seiner in sich gefestigten Identität setzt und die Bewegung leitet, die zum Urquell, dem erzeugenden Zweck der Zwecke, zurückführt. Nun muß man freilich hinzufügen, daß das Wissen selber ein zeitlich werdendes ist. Gerade wie im Objekt, so ist es auch im Denken die fortschreitende Arbeit des Begriffs, die widerspruchslose Unbestimmtheit des Meinens zu überwinden und zu voller Bestimmtheit zu gelangen. Und damit ist doch wieder ein unabweisbares skeptisches Element in die Lehre vom Wissen eingedrungen, das wir auch gar nicht gewillt sind abzuweisen oder zu vertuschen. Das denkende Subjekt selber, der Träger der wissenschaftlichen Denkarbeit, ist endliches Subjekt und steht innerhalb der geschichtlichen Schranken seines Zeitalters mit dem demselben zu Gebote stehenden Erfahrungsmaterial und der erreichten Stufe der Begriffsbildung. Aber wenn es so der Wissenschaft selber wesentlich ist, sich im geschichtlichen Prozeß zu vollenden, sich in einer Folge geschichtlicher Gestalten zu verwirklichen, die innerhalb des unendlichen Flusses Gestalten zu verwirklichen, die innerhalb des unendlichen Flusses der einander widersprechenden Meinungen wie die festen Typen und Marksteine das Element der Bestimmtheit der festen Form und Begrenzung liefern: so muß man doch auch dieses weitere in Betracht ziehen, das nicht bloß mittels dieser Vielheit der geschichtlichen Systeme, sondern schon innerhalb derselben sich das eine System der Wahrheitserkenntnis herausbildet, welches das abschließende Ziel der Bewegung ist. Jedes bestimmte philosophische System von epochemachender Bedeutung bildet ein Ganzes von allgemeingültiger Art, ist ein notwendiges Moment in der geschichtlichen Entwicklung überhaupt und stellt insbesondere die Blüte der geistigen Tätigkeit dieses Zeitalters dar. Das eigentliche und höchste Objekt des Erkennens ist doch die menschliche Gedankenkultur selber, und der Gedanke, der sie erfaßt, zugleich von ihr getragen und sie zum Ausdruck bringend, drückt in reinster Weise die Identität des Denkens und Seins aus, die auf den niederen Stufen angestrebt und immer weiter sich verwirklichend im philosophischen Gedankensystem, als dem adäquaten Spiegel der erreichten Stufe der Geisteskultur ihren Höhepunkt erreicht. Das Wahre, das sich in allem Fortschritt der geschichtlichen Wissenschaft nur immer klarer herausarbeitet, ist dies, daß die Welt von Ideen regierte Wirklichkeit ist und daß die höchste Stufe der Erkenntnis im sich selbst, sein eigenes Werden und seine eigenen Notwendigkeiten widerspruchslos durchdringenden Geist zur Verwirklichung gelangt. Nicht da, wo der Geist die Dinge denkt, sondern da, wo der Geist seine Geschichte denkt, vollzieht sich die Einheit von Denken und Sein, von Subjekt und Objekt. Wir fassen das Resultat unserer Ausführungen in aller Kürze zusammen. In widerspruchsvollen Vorstellungen, dem Erzeugnis seines unbewußten Bildens, findet sich das Wissen befangen, sobald es seiner selbst Herr zu werden den Versuch macht. Den Widerspruch zu tilgen, das ist die Aufgabe, die sich das Wissen stellt; dazu dient die harte Arbeit der denkenden Reflexion, die fest bestimmte Begriffe unter der Macht des Satzes von der Identität und durch wechselseitige Determination der Begriffe fest bestimmte Urteile unter der Macht des Satzes vom Widerspruch mit bewußter Energie der sich selbst kontrollierenden Aufmerksamkeit erzeugt. Den Satz vom Widerspruch aufheben oder in seiner Bedeutung schmälern wollen, hieße alles Denken, alles Erkennen, alle Möglichkeit der gegenseitigen Verständigung unter Denkenden und Sprechenden preisgeben. Aber notwendig muß zugegeben werden, daß die Widerspruchslosigkeit im Wissen wie in seinem Objekt das ideale Ziel ist, daß das Objekt in seiner Bestimmtheit das Sein, aber auch in seiner Unbestimmtheit das Werden und damit den Widerspruch, an sich hat, daß alle Entwicklung durch die Unbestimmtheit des Werdens hindurchgehend sich vollzieht. Somit ist das Element des Begriffs nicht imstande, die Natur des Objekts zu erschöpfen, sondern erst am Ziel überwindet das Objekt im reinen Begriff allen Widerspruch der Unbestimmtheit und des Werdens, wird das Erkennen im reinen Begriff in voller Angemessenheit an das Objekt und innerer Harmonie des Widerspruchs Herr. So ist die grundlegende Bedeutung des Satzes vom Widerspruch gewahrt; so begreift es sich aber auch, daß sich das Denken in der Form fortschreitender Befreiung vom Widerspruch in Analogie zu der fortschreitenden Bewältigung des Widerspruchs in der eigenen inneren Bewegung des Objekts. Kann man dem Widerspruch kein Sein im strengen Sinn des Wortes zugestehen, so hat doch alles was ist den Widerspruch in der Form des unbestimmten Werdens an sich und die Übereinstimmung des Denkens mit seinem Objekt stellt sich in der Weise her, daß in beiden gleichmäßig der Widerspruch vor der Macht fortschreitender Bestimmtheit verschwindet. Die Begriffe gleiten nicht, sondern das Zusammengesetzte gleitet, welches den Begriff wie das Unbestimmte an sich hat. Nicht gegen sich selber richtet sich die Dialektik des Begriffs, sondern gegen das Daseiende, welches nicht imstande ist, den Begriff völlig in sich auszuprägen oder festzuhalten. Dialektisch ist die Reihenfolge der Stufen des sich entwickelnden Realen wegen des Widerspruchs, den das Einzelne, Endliche an sich trägt als Zeugnis seines Mangels und seiner Unvollkommenheit und den nicht etwa erst das Denken in seine Gegenstände hineinträgt. Der Widerspruch aber hat keine Macht des Seins; er ist nur im Werden und als das Werden selber; er taucht beständig auf, um beständig durch die Macht des Begriffs widerlegt und ausgetilgt zu werden. Der Widerspruch aber und der Begriff, alles was da ist und was sich da bewegt, wird gelenkt von dem einen höchsten Zweck eines in allem Verschiedenen sich selber festhaltenden Willens, der um sich zu bewähren den Begriff mit der Vielheit der in ihm enthaltenen Formen und Bestimmungen und die Unbestimmtheit des Werdens setzt, an der sich die Macht des Begriffs erprobe, damit alles in den höchsten Zweck und einheitlichen Willen zurückkehre, aus dem es entlassen wurde und dieser einheitliche Wille alles in allem sei. Herr Dr. von HEYDEBRECK bemerkte darauf Folgendes: Was den rein logischen Teil des Vortrags betrifft, so schließt sich derselbe ja im Ganzen den allgemein rezipierten Begriffen an und ich finde hier nichts einzuwenden, es wären denn einige unwesentlichere Punkte, wie z. B. das Verhältnis von Bejahung und Verneinung, wo mir die Behauptung, daß jedes positive Urteil eine Reihe von negativen einschließe gerade so wie das negative das entsprechende positive, doch etwas zu weit zu gehn und der Sache ein wenig Gewalt anzutun scheint. Allerdings involviert ja das negative Urteil unzweifelhaft immer ein wirklich obwohl nur als problematisch gedachtes positives Urteil, dessen Gültigkeit eben in negativen negiert wird; aber das positive Urteil ist doch seiner logischen Natur nach frei von jeder derartigen in demselben Denkakt gegebenen aktuellen Beziehung zu anderen Urteilen; freilich wird eine solche im individuellen Fall sich vielleicht immer vielfach finden, aber nur vermöge zufälliger Assoziation der Prädikatsvorstellung mit anderen verwandten, nicht wegen der logischen Natur des Gedankens; und auch das doppelt-negative, inhaltlich mit dem positiven identische Urteil hängt zwar rein logisch wohl mit letzterem zusammen, bildet aber eine sekundäre, künstliche Umformung des Gedankens, welche mit dem primären unmittelbaren Denkakt keineswegs verbunden zu sein braucht. Indessen das und ähnliches sind Nebensachen und in der Hauptsache, wie gesagt, stimme ich den formal-logischen Ausführungen des Herrn Vortragenden vollständig zu. Nicht dasselbe kann ich von den angeknüpften erkenntnistheoretischen, bzw. metaphysischen Betrachtungen behaupten, die mir weder mit sich selbst noch mit der Sache, wie ich sie verstehen kann, recht zu stimmen scheinen. Wenn der Herr Vortragende die Sätze der Identität, des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten rückhaltlos als oberste unverbrüchliche Denkgesetze, die Übereinstimmung mit ihnen als das absolute Kriterium der formalen Wahrheit anerkennt, wenn er die unbeweglich feste, mit sich selbst identische Bestimmtheit für den wesentlichen Charakter des Begriffs erklärt, so werden das wohl die meisten von uns willig unterschreiben und alle, die gleich mir auf einem nicht-hegelschem Standpunkt stehen, mit Genugtuung diese förmliche Lossagung von jener Begriffsdialektik vernommen haben, welche für Außenstehende die Verständigung mit der HEGELschen Schule so unendlich schwer, wenn nicht unmöglich macht, als deren unbedingter Anhänger wir also demnach unseren verehrten Herrn Vortragenden nicht zu betrachten hätten, wie ich das wenigstens nach manchen seiner, wohl von mir mißverstandenen, Auslassungen bisher zu tun geneigt war. So weit also ständen wir einmal auf festem gemeinsamen Boden und auch darin stimme ich dem Herrn Vorsitzenden völlig bei, daß das reine Denken die letzte Instanz für unsere theoretische Überzeugung bildet und jeder Zweifel an der absoluten objektiven Gültigkeit seiner Entscheidung von vornherein als ungereimt und in sich unmöglich abzuweisen ist. Wie ist aber mit diesem Standpunkt des anti-dialektischen und zugleich anti-empiristischen Denkens die Annahme einer "Dialektik des Objekts" der vereinbar? Wie kann man den aus dem Denken verbannten Widerspruch in den Gegenstand verlegen, von dessen Dasein nicht das reine Denken, sondern nur die sinnliche Wahrnehmung Zeugnis gibt? Ist das Seiende der Gegenstand des Denkens und als solches notwendig mit sich selbst identisch und widerspruchsfrei, so kann das geläuterte, sein selbst bewußte Denken doch keinen Gegenstand als existieren anerkennen, dessen Vorstellung einen Widerspruch mit sich führt, sondern es muß entweder die Vorstellung für verfälscht erklären und sie umzubilden und vom anhaftenden Widerspruch zu reinigen Versuchen, oder, ist dies unmöglich, dieselbe für nichtig, ihr Objekt für ein Non-ens [Nichtseiendes - wp] erklären. Enthält also die Anschauung des räumlich-zeitlich-Konkreten wirklich wesentliche unaustilgbare Widersprüche, wie Herr LASSON zugibt und behauptet und ist die Widerspruchslosigkeit das unumstößliche Gesetz des Denkens, was bleibt dem Denken dann anderes übrig, als das objektive Dasein einer Welt in Zeit und Raum schlechtweg zu verneinen, da es ja, wenn es sie als seiend setzte, den Widerspruch denken müßte, was unmöglich ist. Was kann, was darf, frage ich, das Denken hindern, diese Konsequenz zu ziehen? Woher kommt ihm denn die Vorstellung von einer solchen Welt? Doch nicht aus ihm selbst, aus dem reinen Denken, sondern durch die unkontrollierbare, allem Denken vorgängige blinde Tätigkeit eines unbewußt wirkenden Vorstellungsvermögens, dessen Produkte das bewußte Denken eben seiner Prüfung zu unterwerfen, durch- und umzuarbeiten hat, wenn daraus Erkenntnis werden soll. Denn wie Herr LASSON selbst richtig betont, sind für uns die Gegenstände in unvermittelter Dinglichkeit nicht schlechtweg da und gegeben, sondern zunächst nur als Vorstellungen für das denkende Bewußtsein. Wenn das Denken also den Widerspruch zurückweist, wie es nicht anders kann, so muß es ihn auf das sinnliche Vorstellen und dessen bloß subjektiv gültige Formen abwälzen, aber nicht auf das Objekt und dessen selbständiges Dasein, weil es den Widerspruch, sobald es ihn ins Objekt verlegt, auch denken muß, also nicht los wird. Herr LASSON meint, das "Werden" könne man doch nicht leugnen. Warum denn nicht, wenn es Widersprüche enthält? Wer zwingt mich denn, eine Welt des Werdens anzunehmen? Mein Verstand doch wahrhaftig nicht, sondern nur jener blinde, instinktmäßige Glaube der sinnlichen Überzeugung, der gegenüber Herr LASSON ja gerade das unbedingte Recht des reinen Denkens so energisch vertritt. Auf dem Boden des anti-dialektischen Denkens, dünkt mich, gibt es hier nur zwei Wege; entweder man sucht die Widerspruchslosigkeit eines Daseins in Zeit und Raum zu erhärten, d. h. man leugnet die Antinomien und bekennt sich zum Realismus oder man erkennt die Antinomien an und bekennt sich zu einem subjektiven, bzw. kritischen Idealismus, indem man Zeit und Raum für bloße Vorstellungsformen erklärt. Der Mittelweg aber, im objektiven Dasein wie im vorstellenden Bewußtsein eine Sphäre des Kontinuierlichen, Chaotischen, Irrationalen und Widerspruchsvollen von einer anderen des Diskreten, Festbestimmten, Begrifflichen und Widerspruchsfreien zu unterscheiden, deren fortschreitende Wechseldurchdringung in paralleler Entwicklung, hier des Erkennens, dort des Seins, den Inhalt des Weltprozesses ausmache, - dieser vom Vortragenden eingeschlagene Mittelweg scheint mir absolut ausgeschlossen, weil Widersprechendes irgendwie als seiende setzen nichts anderes heißt, als dem Denken die unmögliche Aufgabe stellen, den Widerspruch zu denken. Dieser Konsequenz sucht nun freilich Herr LASSON dadurch auszuweichen, daß er am Objekt den Gegenstand des Denkens als das "Seiende" vom Gegenstand der Wahrnehmung oder der Vorstellung als dem Kontinuierlichen oder "Werdenden" unterscheidet und dem Satz des Widerspruchs genüge zu tun meint, wenn er nur vom ersteren Widerspruchslosigkeit und feste Bestimmtheit fordert, während er das Gebiet des Werdens der absoluten Bestimmungslosigkeit und dem Widerspruch preisgibt. Allein mit Nominaldefinitionen und Wortdistinktionen läßt sich das Denkgesetz nicht abfinden. Dasselbe lautet ganz unbedingt und unzweideutig: "Was sich selbst widerspricht ist nicht", das heißt nicht etwa nur, es ist kein Seiendes von der und der Klasse, kein eigentliches, höhere, wahrhaft Seiendes oder wie man es sonst nennen will, sondern es ist überhaupt gar kein Seiendes in irgendeinem Sinn, es ist von jeder Existenz absolut ausgeschlossen, es ist ganz und gar Nichts. Es muß demnach ganz willkürlich erscheinen, das Diskrete und Beharrende das "Seiende" zu taufen und als solches dem Kontinuierlichen und Wechselnden entgegenzusetzen, um letzteres dem Denkgesetz zu entziehn, zumal wenn man nicht wie PLATO den Konstruktions- und Begriffsschemen, mit deren Hilfe der Verstand die unendliche Mannigfaltigkeit der Anschauung meistert, ein selbständiges über der Sinnenwelt schwebendes Dasein zuschreibt, sondern wie der Vortragende wahrheitsgemäß dieselben nur als Form- und Grenzbestimmungen am Konkreten und Kontinuierlichen, als "Stationen" im Fluß des Werdens betrachtet, denen objektives Dasein jedenfalls nur soweit und insofern zukommen kann, als ihr Substrat es besitzt, wobei letzteres demnach auf den Titel des Seienden mindestens ebensoviel Anspruch hat wie jene; denn was kann mich z. B. berechtigen, die im Spektrum bestimmten Merk- und Grenzlinien als das allein Seiende zu bezeichnen mit Ausschluß des dazwischen liegenden Farbenkontinuums, da doch jene Linien gewiß keine reale Existenz hätten, wenn dieses nicht existierte. Eine Art von Schein gewinnt die Entgegensetzung überhaupt nur dadurch, daß man das eine Glied vorzugsweise oder gar ausschließlich als das "Werdende" faßt, was aber inkorrekt ist, weil dem Diskret-Begrifflichen ebensogut wie das zeitliche auch das räumlich Kontinuierliche gegenübersteht, das doch als solches nicht füglich als ein Werdendes bezeichnet werden kann. Aber auch das wirklich Werdende ist freilich das, was es wird, nocht nicht, ist also, mit der gewordenen Bestimmtheit verglichen, ein Nichtseiendes, aber in jedem Moment des Werdens ist es doch gleichwohl ein anderweitig Seiendes und hat seine besondere objektiv fixierte und für den Begriff fixierbare Seinsbestimmtheit. Das Werdende ist also auch außerhalb jener festgelegten "Stationen" ein Seiendes, wenn auch nicht das, als was es in diesen bestimmt ist und zwar ein Seiendes von in jedem denkbaren Moment objektiv-fixierter Bestimmtheit. Denn auch darin kann ich dem Herrn Vortragenden nicht beipflichten, daß er dem Kontinuierlichen, sei es in der Zeit, sei es im Raum, nur an gewissen durch die Entwicklung des Objekts vorgezeichneten, durch das Denken fest gefaßten Stellen, gleichsam absatzweise (wenn ich richtig verstanden habe) eine fixierte Seinsbestimmtheit zuerkennt, während er ihm im übrigen absolute Bestimmungslosigkeit oder gar widersprechende Bestimmungen zuschreibt, wie er beispielsweise behauptet, daß der bewegte Körper während der Bewegung in einem unteilbaren Zeitmoment an verschiedenen Orten sei. Wäre dem wirklich so, dann könnte der Verstand mit dem ihm durch die Wahrnehmung gebotenen Material überhaupt nichts anfangen, da jede einzelne aus demselben mit Hilfe seiner Konstruktionsmitte gebildete Vorstellung eine Unzahl direkter Widersprüche enthalten würde, mithin Raum und Zeit auch nicht einmal jene empirische Realität besitzen würden, die sie haben müssen, um innerhalb ihrer Formen ein System der Erfahrungs-Erkenntnis entstehen zu lassen. Dazu gehört die absolute Gewißheit, daß alle am Kontinuum fixierbaren Bestimmungen nach a priori einzusehender Gesetzmäßigkeit zusammenhängen und daß jeder mögliche herauszuhebende Teil desselben einer festen den Denkgesetzen entsprechenden Bestimmung so gut fähig ist, wie die in der aktuellen Vorstellung schon herausgehobenen und begrifflich fixierten. Zwischen je zwei fixierten Raum- oder Zeitpunkten kann ich immer einen neuen fixieren und ich bin a priori gewiß, daß die so fixierte reale Bestimmtheit des Objekts weder sich selbst, noch den vorher fixierten widersprechen wird, weil das fragliche Objekt sonst gar nicht Gegenstand meiner Anschauung werden, seine Vorstellung gar nicht zur Einheit meines Selbstbewußtseins gehören könnte. Auf dieser Gewißheit beruth alle Möglichkeit der Erfahrung und jede Bemühung, sie zu erschüttern ist vergeblich. Alle skeptischen Einwürfe dagegen erweisen sich näher betrachtet als scheinbar, als auf ungenaue Wahrnehmung oder falsche Begriffsfassung gegründete Sophismen, die durch genauere Beobachtung und schärferes Denken widerlegt werden. Der fliegende Pfeil ruht nicht, denn Ruhe ist das dauernde Sein an demselben Ort, er bewegt sich auch nicht im unteilbaren Zeitmoment, weil zur Bewegung als kontinuierlicher Ortsveränderung ein Zeit raum gehört, sondern er ist einfach in jedem bestimmten Moment an einem anderen bestimmten Ort und das Kontinuum der Örter bildet die Bahn, das Kontinuum der Momente die Zeit der Bewegung. Weit gefehlt also, daß die Zeit und ihr fließendes Werden den direkten Widerspruch enthielte, dient die Anschauung derselben vielmehr dazu, den Widerspruch entgegengesetzter Prädikate an demselben Subjekt zu heben. Der Körper ist hier, der Körper ist dort, das scheint sich zu widersprechen; ich nehme die Zeit zu Hilfe, sage, er war erst hier und dann dort, lasse Anfangs- und Endmoment zeitlich, Anfangs- und Endlage räumlich ineinander übergehen, so daß auf jeden bestimmten Zwischenmoment eine bestimmte vermittelnde Lage kommt und der Widerspruch ist gelöst, die disparaten Bestimmungen sind getrennt und verbunden ohne aufeinander zu stoßen. - Allerdings, das ist auch meine Überzeugung, trägt die anschauliche Realwelt einen antinomischen Charakter; aber nicht als direkter Widerspruch an einem bestimmten Punkt der einzelnen abgegrenzten Anschauung tritt derselbe hervor, sondern erst bei dem Versuch, die über alle Grenzen möglicher Erfahrung hinaus liegende Totalität der Anschauungs- und Begriffsbestimmungen, die doch unter der Voraussetzung einer absoluten Realität des Sinnenobjekts, notwendig als ansich gegeben zu denken ist, sich vorstellig zu machen. Analyse und Synthese gehn nämlich im Anschaulichen, wie sich a priori einsehn läßt, nach allen Richtungen absolut ins Unendliche und können ihrer Natur nach nie als beendet gedacht werden; daher setzt die Vorstellung des räumlich-zeitlichen Objekts nach der Totalität seiner sich in unendlichen Reihen wechselseitig fordernden Bedingungen, d. h. also nicht mehr als Gegenstand einer bestimmten möglichen Erfahrung, sondern als ansich Gegebenes ein für allemal fertiges transzendentes Objekt gedacht, den Abschluß eines seiner Natur nach unabschließbaren unendlichen Progresses voraus, stellt folglich eine unmögliche Aufgabe und verwickelt das Denken in unvermeidliche Widersprüche, indem dasselbe sich genötigt sieht, entweder das Unabschließbare als fertig und abgeschlossen oder das Fertige und Abgeschlossene als unabschließbar zu setzen. So tritt das in den Formen unseres sinnlichen Vorstellens liegende, beim gewöhnlichen Verstandesgebrauch innerhalb einer bestimmten Erfahrung verborgen bleibende Irrationale, bei dem Versuch, dieselben als rein rationale Ortsbestimmungen metaphysisch zu verwerten, deutlich zutage und zwingt das Denken, wenn es sich nicht selbst aufgeben will, diesen Formen, trotz ihrer Brauchbarkeit und Unentbehrlichkeit für all unser auf bestimmt beschränkte Realerkenntnis gerichtetes Denken die absolut-objektive Gültigkeit abzusprechen, d. h. ihre transzendentale Idealität neben und unbeschadet ihrer empirischen Realität zu behaupten. Hieraus würde nun freilich, da wir nun einmal mit unseren Begriffen auf unsere Anschauungen angewiesen sind, die Unerkennbarkeit des Dings ansich folgen, falls man nämlich überhaupt glaubt, ein solches annehmen zu müssen. Leugnet man den ganzen Begriff des absoluten Objekts und identifiziert man Sein mit Bewußtsein oder Denken und Vorstellen, so ist es freilich wahr, aber auch selbstverständlich, daß einer räumlich-zeitliche Welt ansich nicht existiert, weil eben überhaupt kein Ansich existiert; und mit ihrer empirischen Realität würde sie alle Realität besitzen, die ihr überhaupt zukommen kann und der ganze Streit wäre eigentlich müßig. Wie Herr LASSON sich hierzu stellt, ist mir nicht ganz klar geworden. Aus einigen Äußerungen zu Anfang des Vortrags in Bezug auf die Begriffe Ding und Dinglichkeit, Gegenstand und Gegenständlichkeit, wollte es mir zuerst fast scheinen, als neigte er zu einem rein idealistischen Standpunkt. Indessen stellte er dann doch wieder im weiteren Verlauf so entschieden das objektive Dasein außerhalb des vorstellenden Bewußtseins, dem bloß vorgestellten Dasein außerhalb des vorstellenden Bewußtseins, dem bloß vorgestellten Dasein, dem bloßen Objektsein für ein vorstellendes Subjekt gegenüber, daß ich ihn doch glaube zu den Realisten im weiteren Sinne (zu denen z. B. auch KANT gehört) zählen zu müssen; und als solcher, meine ich eben, müßte er bei seiner Anerkennung des Satzes vom Widerspruch einerseits und der Irrationalität von Raum und Zeit andererseits diesen einfach die absolute Objektivität absprechen, statt mit der Einführung seines dialektischen Objekts, das seiner jedesmaligen Form nach widerspruchsfrei, seiner Materie nach widerspruchsvoll sein soll, Denken und Anschauen mit ihren streitenden Ansprüchen nicht sowohl zu versöhnen als unentwirrbar in eins zu verwickeln. Hierauf führte Herr Assessor a. D. KAHLE folgendes aus: Zunächst sage ich dem Herrn Vortragenden meinen Dank für die gründlichste Art und Weise, in welcher er sich über den eigentlichen Vortragsgegenstand ausgelassen hat. Der Herr Vortragende hat sodann die Gelegenheit ergriffen, in wenig Worten und großen Zügen uns ein Bild seines Systems der Philosophie vorzuführen. In der Tat sind alle Teile der gründlichen Wissenschaft, d. h. der Philosophie so verbunden, daß man sich über einen einzigen nicht äußern kann, ohne alle anderen mit hineinzuziehen. Was zunächst den Satz des Widerspruchs anbetrifft, so hat der Herr Vortragende behauptet, das bejahende (positive) Urteil erweise sich auch als Verneinung, zunächst als Verneinung anderer Bejahungen, sodann als doppelte Verneinung, Verneinung einer Verneinung; die Rose ist rot, heißt: sie ist nicht grün; - ferner heißt das: es gilt nicht, daß sie nicht rot ist. - Wer urteilt, hebt ein kontradiktorisch entgegengesetztes Urteil auf. Mit diesen Sätzen in solcher Allgemeinheit bin ich nicht einverstanden. Man denke, Gott urteile über sich selbst. Gott enthält alle Vorstellungen der einfachen, nicht auflöslichen Vorstellungsinhalte, z. B. die allgemeine Vorstellung von Blau. Jetzt urteile Gott: "Ich habe die Vorstellung von Blau." Damit urteilt er nicht, er habe nicht die Vorstellung von Rot. Reden wir allerdings von einem Geschöpf, einem beschränkten Ding, so müssen diesem in der Tat einige Eigenschaften fehlen und mithin immer, wenn ich ihm etwas zuspreche, spreche ich ihm etwas anderes ab. Das liegt aber an der eigentümlichen Natur des Gegenstandes, über welchen geurteilt wird. Dagegen liegt es nicht eigentlich im Wesen des bejahenden Urteils, immer noch ein verneinendes an sich zu haben. Stelle ich ferner den Satz auf: "Ich, dieser Mensch im gegenwärtigen Augenblick, habe die Vorstellung von Blau." Es wird angemerkt: Vorstellung von Blau ist als das allgemeine, abstrakte Vorstellen von Blau gemeint. Es soll also nicht gesagt sein: "Ich habe die gegenwärtige Empfindung von Blau", noch auch: "Ich habe die Erinnerung von Blau". Nun dieser Satz: Ich, das gegenwärtige Ich, habe die Vorstellung von Blau ist ein Zergliederungsurteil und ist unmittelbar gewiß. Wollte ich den Satz aufstellen: "Ich, dieses bestimmte, dieses gegenwärtige Ich, habe nicht die Vorstellung von Blau", so enthielte dieser Satz einen Widerspruch. Denn indem ich sage: "Ich, dieses gegenwärtige Ich, habe nicht die Vorstellung von Blau", muß ich doch diese Vorstellung haben. Also der Satz des gegenwärtigen Ichs: "Ich, das gegenwärtige Ich, habe nicht die Vorstellung von Blau", ist falsch, folglich ist der widersprechende (kontradiktorisch entgegengesetzte) Satz: "Ich, das gegenwärtige Ich, habe die Vorstellung des Blau", richtig. Allein dieses Umweges bedurfte es nich, um dem Ich, welches die Vorstellung von Blau habe. Ist ein solcher Umweg nicht nötig, so wird man sich nicht die Mühe geben, ihn zu gehn. In den meisten Fällen wird man allerdings nicht unmittelbare Gewißheit haben. Der Satz des Herrn Vortragenden also: "Jedes Urteil ist auch das Verwerfen seines kontradiktorisch entgegengesetzten, bedarf der Einschränkung. Der Herr Vortragende hat im Laufe seines Vortrags das Wort Objekt in verschiedenen Bedeutungen gebraucht und es ist mir nicht immer leicht gewesen zu verstehen, in welcher Bedeutung er es an einer bestimmten Stelle eigentlich verstanden wissen wollte. Ehe ich fortfahre will ich daher bestimmen, was ich selbst mit Objekt ausdrücken will, nämlich das unabhängig von mir, vom menschlichen Ich existierende Ding. Vom Objekt unterscheide ich das Denkmaterial oder den Denkstoff. Zum Beispiel das eigene Ich kann mein Denkstoff nicht sein, denn mein Ich ist nicht ein von mir unabhängig existierendes Ding. Der Herr Vortragende hat sich zum Idealismus bekannt, Denkstoff - der Herr Vortragende sagt Objekt - für das Denken sei nicht das äußere Ding, sondern unser Vorstellen des Dings, Stoff - der Herr Vortragende sagt Objekt - für das Vorstellen sei die Anschauung, für diese wieder das Wahrnehmen, für dieses endlich das Empfinden. Immer sei ein Gegensatz zwischen Innerem und Äußerem vorhanden. Das Objekt für den denkenden Geist sei er selbst auf niederer Stufe. Wenn nun indessen der Vortragende gesagt hat: "Die Wahrnehmung hat ihr Material an dem, was nicht Geist ist, an der Sinnlichkeit, an der Empfindung", so ist in diesem Satz etwas Unrichtiges. Gilt der Satz: "Zu dem, was nicht Geist ist, gehört Empfindung", so gilt auch die Umkehrung: "Geist ist nicht Empfindung". Nehmen wir aber das Denken ohne Empfindung, so ist das so Vorgestellte das abstrakte Denken, der Inhalt eines allgemeinen, abgezogenen (abstrakten), unvollständigen, seiner Unvollständigkeit sich bewußten Vorstellens. Das wirkliche Denken enthält immer Empfindung (oder doch die darin enthaltenen einfachen, unauflöslichen Vorstellungsinhalte). Also der Satz: "Geist ist nicht Empfindung", ist unrichtig. Also ist der vom Herrn Vortragenden aufgestellte Satz: "Empfindung ist nicht Geist", unrichtig. Der menschliche Geist ist ein mannigfaltig einheitliches Vorstellen, welches als eine Art seines Vorstellens die Empfindungen enthält. Nicht die Empfindungen als solche sind für das menschliche Ich unmittelbar die Vorstellung eines von ihm verschiedenen Dinges; erst daß die menschlichen Empfindungen zusammengesetzte Vorstellungen sind, z. B. einen Grad haben, in eine räumliche Ordnung gefaßt werden können, ist Veranlassung für den Menschen, die Empfindungen und sich selbst als Erzeugnisse eines von ihm verschiedenen Geistes zu denken und weiter die Empfindungen als Abbilder von Vorgängen in anderen Dingen anzusehn. Denn es ist ein unmittelbar gewisser Satz: Der Geist - der schlechthinnige Geist - besitzt nur solche zusammengesetzte Vorstellungen, welche er selbst zusammengesetzt hat. Der Mensch erklärt sich zunächst für schlechthinnigen Geist, andererseits findet er in sich zusammengesetzte Vorstellungen, welche er selbst nicht zusammengesetzt hat. Diesen Widerspruch zu lösen, muß der Mensch sich als einen geschaffenen Geist denken. Der Herr Vortragende sucht auszuführen, daß das Objekt in Gleichzeitigkeit und in Aufeinanderfolge fließend, stetig, unbestimmt sei, und gelangt so zu einem Dualismus; auf der einen Seite sei ein Werdendes, stetig Fließendes, Unbestimmtes, auf der anderen Seite der feste, bestimmte Begriff, welcher jenes fassen wolle, aber er scheine es nicht völlig ergreifen zu können. Man müsse also ein Drittes voraussetzen, in welchem sich jene beiden entgegengesetzten Dinge, Werden und Begriff, zur Einheit aufhöben, einen schöpferischen Willen, welcher nach seinen Zwecken sowohl das unbestimmte Werden, als den überwältigenden, formenden Begriff setze. Es wäre nun doch wünschenswert gewesen, wenn der Herr Vortragende dieses Dritte etwas eingehender bestimmt hätte. Als Wille muß dieses Dritte auch Vorstellungen besitzen; welche denn, fragen wir aber vergeblich. Ferner was bedeutet schöpferisch? Ist die Schöpferkraft eine besondere Kraft? Nach meiner Anschauung hat der ursprüngliche Geist (Gott) keine besondere Schöpferkraft, sondern sein Denkvermögen, worin auch die Fähigkeit des Zusammensetzens liegt, ist seine Schöpferkraft. Ferner nach dem Herrn Vortragenden ist das Dritte, das Absolute, als solches ein bestimmtes Denken, Vorstellen. Zum Beispiel hat der Herr Vortragende gesagt: "Alles wird gelenkt von dem einen, höchsten Zweck eines in allem Verschiedenen sich selber festhaltenden Willens usw." Ferner: "Im Ganzen der Erkenntnis, im System findet das Erkennen seine Ruhe und findet es, vor der Unruhe der durch die Unbestimmtheit immer neu entzündeten Bewegung gesichert, das einheitliche Prinzip, welches ebensowohl die zu formende Unbestimmtheit als den formenden Begriff setzt usw." Also dem Herrn Vortragenden nach ist das Absolute ein bestimmtes Vorstellen und Denken. Zunächst hat nun der Herr Vortragende nicht klargemacht, wie das Urding, das Absolute, es ausführt das Fließende zu setzen. Das wäre doch eigentlich notwendig gewesen. In der Tat aber wäre es dem Absoluten unmöglich gewesen, ein Fließendes, Stetiges hervorzubringen. Da der Herr Vortragende uns eine sehr unvollständige Schilderung des Urdings, des Absoluten gegeben hat, bleibt mir nichts übrig, als von meiner eigenen Vorstellung Gottes auszugehen, um zu sagen, was ich meine. Für mich enthält Gott in seinem Urzustand erstens das besondere Vorstellen jedes einzelnen aller vorhandenen, einfachen, unauflöslichen Vorstellungsinhalte, z. B. des allgemeinen Blau und ist er ferner das Vorstellen, welches mit einem Schlag, einheitlich alle jene Vorstellungsinhalte vorstellt. Darin liegt: er unterscheidet ursprünglich, gleichzeitig und ohne weiteres jeden Inhalt von jedem anderen. Dieses Absolute soll nun nach dem Herrn Vortragenden das stetige Objekt, die Unbestimmtheit des Werdens setzen. Die Stetigkeit kann aber im Gleichzeitigen und Aufeinanderfolgenden sein. Also Gott stelle das einfache Blau, welches der Mensch in seiner allgemeinen abstrakten Vorstellung des Blau findet, vor, und ebenso das einfache Rot. Jetzt will Gott alle Zwischenfarben dazwischen denken. Nun gibt es aber zwischen dem einfachen Rot und dem einfachen Blau nur eine einzige Zwischenvorstellung, die nämlich, wo ein einfaches Rot mit einem einfachen Blau gemischt ist, (Violett). Diese Zwischenvorstellung ist das einheitliche Vorstellen von Rot und Blau, worin das einheitliche Vorstellen das möglichst große Übergewicht über das Besondersvorstellen je des einfachen Rot und des einfachen Blau besitzt. Ganz schwach ist das Besondersvorstellen aber auch in jenem einheitlichen Vorstellen enthalten. Zu unendlich vielen Zwischenvorstellungen enthalten. Zu unendlich vielen Zwischenvorstellungen kommen wir gar nicht. Wollte man aber sagen, man könne auch 2 Blau und 1 Rot mischen, 2 Blau und 2 Rot, 3 Blau mit je 1 Rot, 2 Rot, 3 Rot und umgekehrt ebenso Rot mit Blau usw. ins Unendliche, so sieht man ein: Wie viel Mischungen man auch gemacht haben wird, man wird immer noch mehr herstellen können. Wer also hier alle Zwischenvorstellungen denken wollte, würde mit dieser Arbeit nie zu Ende kommen. Nun findet aber das gegenwärtige menschliche Ich sich selbst in diesem gegenwärtigen Augenblick, was den in ihm vorhandenen Inhalt anbetrifft, als ein fertiges. Mithin sind jedenfalls im gegenwärtigen menschlichen Ich nicht solche unzähligen Zwischenvorstellungen, überhaupt nicht unzählig viele Vorstellungen enthalten. Das menschliche Ich weiß auch unmittelbar nur von sich selbst, und ist eigentlich sein einziger Denkstoff. Es ergibt sich also, daß die Stetigkeit im gleichzeitigen Inhalt, welche nach dem Herrn Vortragenden in den Objekten sein soll, nicht möglich ist. Gott hätte mit Schaffung solcher Objekte nicht zu Ende kommen können. Ferner ist noch beim obigen Beispiel zu bemerken, daß da z. B. 100 eins mehr ist als 99, man also 100 nur unter der Bedingung denken kann, daß man 99 gedacht hat, Gott jenes Mischen von 2 Blau mit 1 Rot, 10 Blau mit 1 Rot, 99 Blau mit 1 Rot, 100 Blau mit 1 Rot usw. nicht gleichzeitig und auf einmal hätte bewerkstelligen können und daß daher jene unendlich lange Reihe von Mischungen, weil diese letzteren in Bedingungsverhältnissen stehen, eine unendlich lange Zeit erzeugen würde. Denn die Zeit ist nicht ein selbständig existierendes Ding, sondern die Vorstellung einer Reihe von Dingen, welche in Bedingungsverhältnissen stehen. Auch durch Einschränken des einfachen Blau könnten nicht unzählige Zwischenvorstellungen geschaffen werden, denn ein einfacher Vorstellungsinhalt läßt sich nicht einschränken. Eventuell wäre das eingeschränkte Blau ebensogut Blau als das uneingeschränkte. Mit unserem sogenannten Einschränken hätten wir also nichts getan, wir hätten nur das Wort "Eingeschränktes Blau" erschallen lassen, während uns irgendein entsprechendes Gedachtes fehlen würde. In gleicher Weise hätte Gott mit der Schaffung von unendlich vielen Zwischenzuständen, welche dem Herrn Vortragenden nach immer zwischen zwei bestimmten zeitlich verschiedenen Zuständen eines Objekts in der Mitte liegen sollen, nicht fertig werden können, während doch tatsächlich jene beiden Grenzzustände ein Fertiggestelltsein darstellen. Wollten wir ferner das Unmöglich setzen und annehmen, jene Objekte, welche nach ihren gleichzeitigen und aufeinanderfolgenden Bestimmungen stetig wären, seien erschaffen worden und existierten also, so würden sie doch trotz ihrer Unendlichkeit aus unendlich vielen bestimmten Bestimmungen, bzw. Zuständen bestehen. Der Herr Vortragende behauptet aber, die Objekte seien nicht bestimmt, während meines Erachtens in Wahrheit der Mangel an Bestimmtheit nur der menschlichen Auffassung jener Objekte ankleben würde. Der Herr Vortragende hat z. B. an einer Stelle gesagt: "Die Absicht kann nicht sein, das Fließen, als solches, zum völligen Stillstand zu bringen. Daß die Grenzenlosigkeit dahinter liegt, wird nicht verkannt. Das Krumme wird nicht gerade. Das Unbestimmte bleibt draußen als das was kein Sein hat." Wollte endlich jemand einwenden, dem Menschen sei es zwar unmöglich in endlicher Zeit jene unendlichen Reihen zu schaffen und zu Ende zu bringen, nicht aber dem unbeschränkten Geist, Gott, so wäre hierauf folgendes zu erwidern. Zunächst wird bestritten, daß man Gott in einem derartigen Sinn als unbeschränkt denken darf, als sei diese Unbeschränktheit gänzlich unbestimmt und schrankenlos. Gott ist jedenfalls durch seine Natur, durch die ihm innewohnenden Gesetze geregelt. Allerdings würde man das nicht Beschränktheit nennen dürfen. Der Mensch denkt sich nun zu sich eine Ursache und als diese einen Geist und letzteren zunächst so wie sich. Findet er aber Gründe, diesen Geist, Gott, seine, des Menschen Ursache anders zu denken als sich, diesen Menschen, so denkt er ihn anders. Der Mensch kann z. B. nur in vermindertem Maße mehrere Gedankenreihen gleichzeitig entwickeln. Man muß aber annehmen, Gott, als Ursache so vieler gleichzeitiger existierender Millionen Menschen, Sterne usw. könne gleichzeitig ohne Beschränkung beliebig viele Gedankenreihen entwickeln. Dagegen kann sich der Mensch nicht einen Kreis denken, dessen Linie an einer Stelle eine Schleife beschreibt. Dieser Gedanke enthält einen Widerspruch. Es ist aber keine Veranlassung anzunehmen, daß Gott diese Fähigkeit habe, widerspruchsvoll zu denken. Ist nun Veranlassung anzunehmen, daß Gott unendlich Reihen in endlicher Zeit zu Ende denken, fertig machen könnte? Der Fragesatz enthält einen Widerspruch; denn Gott hätte dadurch, daß er eine unendliche Reihe von Gliedern gedacht, also erzeugt hätte, eben eine unendlich lange Zeit erzeugt. Hier ist offenbar keine Veranlassung, kein besonderer Grund, ein ganz Unmögliches, etwas Widerspruchsvolles, als vorhanden in Gott zu setzen. Angenommen aber Gott besäße die gewünschte Fähigkeit, so hätte er uns sicherlich nicht mit solchen unendlichen Reihen in Gleichzeitigkeit und Aufeinanderfolge erfüllt. Denn dann würden wir Menschen bei unseren beschränkten Denkfähigkeiten allerdings außerstande sein, uns selbst zu verstehen, d. h. deutlich zu denken. Dann wären wir aber die sonderbarsten Geschöpfe. Mit der allerdings beschränkten Fähigkeit ausgerüstet deutlich zu denken, vom brennendsten Wunsch beseelt, dies zu tun und uns in unserer Ganzheit, unserem ganzen Umfang nach deutlich zu denken, wäre uns ein Denkstoff unterbreitet, den wir nie völlig bemeistern könnten. Wir wären dann ein ganz unordentliches, schlechtes, verfehltes, sinnloses Geschöpf Gottes. Denken wir uns aber unsere Ursache (Gott) genau, nämlich so, wie er beschaffen sein muß, um unsere Ursache sein zu können, so fehlt in ihm das, was Grund einer solchen Unordnung in seinen Geschöpfen sein könnte. Er vergißt nicht, stellt ursprünglich deutlich vor, kann gleichzeitig alle gleichzeitig möglichen Gedankenreihe entwickeln usw. Ich glaube daher bewiesen zu haben, daß das menschliche Ich, also auch die Objekte nach ihrem gleichzeitigen und aufeinanderfolgenden Inhalt nicht stetig fließend sind, mindestens aber festgestellt zu haben, daß die darauf gehende Behauptung des Herrn Vortragenden nicht bewiesen ist. |