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JULIUS von KIRCHMANN
Über das Prinzip des Realismus
[Ein Vortrag gehalten in der Philosophischen Gesellschaft zu Berlin]
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"Selbst der einfachste Mensch weiß, daß der Baum in seinem Kopf nicht der von ihm auf der Wiese stehende Baum ist; aber wohl hält er den Inhalt seiner Wahrnehmung mit dem Inhalt des wahrgenommenen Gegenstandes für identisch, während doch die Wahrnehmung durch die Wissens- und der Baum durch die Seinsform, in welcher sie denselben Inhalt umfassen, für ewig voneinander verschieden bleiben."

"Das gewöhnliche Vorstellen kennt zwar diese Unterschiede nicht in ihrer reinen begrifflichen Form, aber es verfährt danach in seinem Denken und Urteilen. Da es den Menschen in der Regel nur auf die Dinge selbst und nicht auf den Weg ankommt, durch den er von ihnen weiß, so handelt er ganz vernünftig, wenn er diese Reflexion und den Unterschied beider im täglichen Leben und Arbeiten sich nicht immer gegenwärtig hält; aber wo es darauf ankommt, wie bei der Selbstbetrachtung seiner eigenen Seelenzustände, kann er sehr wohl diese Unterscheidung zwischen Gegenstand und Wahrnehmungsinhalt vornehmen."

Nachschrift. Als der Druck dieses Vortrags beinahe beendet war, erhielt ich durch die Güte des Herrn Dr. EDUARD von HARTMANN dessen neueste Schrift "Kritische Grundlegung des transzendentalen Realismus". Da sie dasselbe Thema, wie der obige Vortrag, behandelt, so füge ich hier einen kurzen Auszug mit einigen kritischen Bemerkungen bei, indem das volle Verständnis der betreffenden Fragen dadurch nur gewinnen kann.

Herr von HARTMANN unterscheidet drei erkenntnistheoretische Standpunkte:
    1) den des naiven Realismus
    2) den des Idealismus und
    3) den des transzendentalen Realismus,
wobei er letzterem selbst huldigt. Der naive Realismus ist nach ihm der Standpunkt des gewöhnlichen Vorstellens; dieses bildet sich ein, "daß es die wirklichen Dinge sind, die es sich vorstellt"; es schreibt "dem Bewußtseinsinhalt unmittelbar eine transzendentale Realität" zu. Der Idealismus dagegen "leugnet die Bedeutung der Denk- und Anschauungsformen". Der transzendentale Realismus behauptet eine solche;
    "er mißt dem Bewußtseinsinhalt durch Vermittlung der gedanklichen Beziehung auf ein Transzendentes nur eine indirekte realistische Bedeutung bei und findet so darin Aufschlüsse über die Dinge-ansich".
Indem der Verfasser den naiven Realismus wegen "seine Konfusion des Bewußtseinsinhaltes mit den Dingen-ansich" keiner weiteren Widerlegung für wert erachtet, beschäftigt er sich zunächst mit der Prüfung und Widerlegung des Idealismus, die vorzüglich darauf gestützt wird, daß bei denselben eine Kausalität zwischen den zeitlich einander sich folgenden Vorstellungen nicht nachgewiesen werden kann und deshalb der konsequente Idealismus in einem absoluten Jllusionismus enden muß. So bleibt nur der transzendentale Realismus als der allein annehmbare Standpunkt. Die Vorstellungen gelten diesem nicht als die Dinge selbst, sie sind ihm vielmehr nur "Repräsentanten einer ansich seienden Ursache". Daß solche transzendente Ursachen außerhalb des Vorstellens bestehen, leitet der Verfasser aus der "realen Relation zwischen beiden" ab und diese liegt in einem "Affiziertwerden der Sinnlichkeit" beim Wahrnehmen; die in dieser enthaltene "sinnliche Empfindung" kann nicht wieder aus Vorstellungen abgeleitet werden, es kann also die Ursache dieses Affiziertwerdens oder das "Affizierende" nur in einem Ding außerhalb der Vorstellungen gesucht werden.

Nachdem so das transzendente Ding begründet wurde, weist der Verfasser nach, wie aus dieser unmittelbar uns gegebenen Wirksamkeit dieses Dings weiter folgt, daß es existiert, daß es unabhängig vom Vorstellen besteht, daß es in seinem Dasein nicht unterbrochen, und daß es numerisch identisch ist.

Es tritt nun aber die Frage auf, wie weit das Ding auch in den übrigen Bestimmungen seiner Vorstellung entspricht, oder: Wie weit die Übereinstimmung zwischen beiden geht? KANT hatte bekanntlich es für unzulässig erklärt, die Denkformen oder Kategorien auf das von ihm ebenfalls anerkannte Ding-ansich anzuwenden und noch weniger will er es zulassen, daß die räumlichen und zeitlichen Eigenschaften, wie Größe, Gestalt, Dauer usw. in den Dingen-ansich bestehen. Auch verstand es sich bei KANT von selbst, daß die qualitativen Eigenschaften der Farben, Töne usw. bloß subjektive Vorstellungen sind, nachdem bereits DESCARTES und LOCKE dies behauptet hatten und die Naturwissenschaft ihnen beigetreten war. So blieb für das kantische Ding-ansich das bloße reine Sein.

Das kann nun der Verfasser nicht bestreiten. Er sucht auszuführen, daß in den (transzendenten) Dingen alle realen Kategorien KANTs vertreten sind: die Einheit, die Vielheit, die Realität, die Subsistenz, die Kausalität, das Dasein und die Notwendigkeit. Er stützt dies auf "eine Art Konformitätssystem der reinen Vernunft" und "auf der allgemeinen Herrschaft derselben logischen Gesetze der schöpferischen Vernunft auf allen Gebieten des Daseins". Allerdings, sagt der Verfasser, werden die Objekte in den Vorstellungen von der Seele mittels der in ihr a priori vorhandenen Denkformen aus der Empfindung (dem Affiziertsein) formiert, aber nach ihm beruth die Übereinstimmung dieser so konstruierten Objekte mit den Dingen, d. h. die Wahrheit der vorgestellten Objekte (in meiner Sprache: die Wahrheit des Wahrnehmungsinhalts) hinsichtlich ihrer synthetischen Formen darauf, daß die Dinge in denselben logischen Formen existieren, wie sie in den Objekten gedacht werden.

Damit aber der Empfindung nicht willkürlich irgendwelche Kategorien vom Denken aus seinem Vorrat übergezogen werden, "müssen die gegebenen Anschauungen in sich selbst bereits gewisse Merkmale gragen, welche die Anwendung bestimmter Kategorien logisch erfordern". Diese Kategorien sind "als unbewußte logische Formen a priori" im Denken; als bewußte aber nur a posteriori [im Nachhinein - wp]. Sie werden als solche durch Abstraktion aus der Erfahrung gewonnen; dies ist aber, fährt der Verfasser fort, um so schwerer, "je weniger vermittelt die Formierung des Objekts geschieht"; deshalb ist es schon bedeutend schwerer bei der Kategorie der Kausalität,
    "ganz unmöglich ist es aber, in die ursprünglichste aller unbewußten synthetischen Funktionen mit dem Licht des Bewußtseins einzudringen, nämlich in die extensive (flächenhafte) Entfaltung der zunächst rein intensiv und qualitativ gegebenen Gesichts- und Tastempfindungen."

    "Es ist unmöglich", sagt der Verfasser, "daß der Raum durch den gegebenen Stoff der Empfindung von außen hineinkommt; aber die Empfindung muß in ihren Elementen Merkmale bei sich führen, welche die Seele gleichsam auffordern, nicht bloß eine Extension überhaupt, sondern auch eine konkrete räumliche Gestalt hinzuzufügen. Diese Merkmale, als in der Empfindung gelegen, sind notwendig unräumlicher Natur, können also nur die Seele zur Raumsetzung in einer gewissen Art anregen." -

    "Doch nötigen die vielen gleichzeitigen Dinge zur Annahme eines transzendenten Analogons des von uns vorgestellten Raumes; insbesondere zu einem Analogon der Bewegung, und daraus folgt, daß auch dieses Analogon die Kontinuität und höchst wahrscheinlich auch die drei Dimensionen hat. - Die Dinge ansich sind ja nur realisierte Intuitionen der unbewußten Vernunft; diese ist es, welche in unbewußter Weise die Sinnesempfindung nach Maßgabe der in ihr gegebenen Merkmale zur räumlichen Anschauung formiert; es liegt deshalb der Gedanke nahe, daß sie sich sowohl für die Dinge-ansich, wie für deren Anschauung derselben Intuitionsform bedienen wird; denn simplex sigillum veri; [Einfachheit ist das Merkmal der Wahrheit - wp] principia non sunt multiplicanda praeter necessitatem [Die Dinge dürfen nicht über das Notwendige hinaus vermehrt werden. - wp] Von der Weisheit der Natur läßt es sich nicht anders erwarten. Ohnedem wäre unser Fürwahrhalten eine Jllusion und eine unerhörte Prellerei der Natur. Die Erkenntnistheorie für sich allein kann mit diesem Entweder-Oder nicht entschieden werden; nur eine Metaphysik, welche das Walten der Vernunft in allen Sphären des Daseins aufzeigt und den Kosmos als das teleologische Produkt einer logisch sich selbst bestimmenden Idee nachweist, kann es objektiv zum höchsten Grad der Wahrscheinlichkeit erheben, daß eine solche Erfahrung und Erkenntnis, welche zu solchen harmonischen Ergebnissen führt, keine bloße Prellerei der Verstandeseinrichtung, sondern selbst ein teleologisches Produkt weise waltender Vernunft ist. (Ist dies nicht eine Zuhilfenahme wissenschaftlicher Gefühle?) - Eine absolute Gewißheit wird zwar auch so nicht erreicht, aber das Gegenteil hat nur einen äußerst geringen Wahrscheinlichkeitswert."
Indem ich hiermit den Kern der Schrift herausgehoben zu haben glaube, muß ich auch bei der Kritik mich hier nur auf das Wesentlichste beschränken. Das gewöhnliche Vorstellen kennt zwar diese Unterschiede nicht in ihrer reinen begrifflichen Form, aber es verfährt danach in seinem Denken und Urteilen. Da es den Menschen in der Regel nur auf die Dinge selbst und nicht auf den Weg ankommt, durch den er von ihnen weiß, so handelt er ganz vernünftig, wenn er diese Reflexion und den Unterschied beider im täglichen Leben und Arbeiten sich nicht immer gegenwärtig hält; aber wo es darauf ankommt, wie bei der Selbstbetrachtung seiner eigenen Seelenzustände, kann er sehr wohl diese Unterscheidung zwischen Gegenstand und Wahrnehmungsinhalt (Objekt im Sinne des Verfassers) vornehmen.

Es kann zunächst nicht zugegeben werden, daß der naive Realismus, wie ihn der Verfasser nennt, seine Wahrnehmung mit dem Gegenstand konfundiert und beide für identisch nimmt. Selbst der einfachste Mensch weiß, daß der Baum in seinem Kopf nicht der von ihm auf der Wiese stehende Baum ist; aber wohl hält er den Inhalt seiner Wahrnehmung mit dem Inhalt des wahrgenommenen Gegenstandes für identisch, während doch die Wahrnehmung durch die Wissens- und der Baum durch die Seinsform, in welcher sie denselben Inhalt umfassen, für ewig voneinander verschieden bleiben. Gerade diese naive Behandlung der Dinge zeigt, wie allgemein die Überzeugung von der Identität des Inhaltes der Sache mit dem Inhalt der Vorstellung besteht, und bestätigt die in meinem Vortrag entwickelten Ansichten. Der naive Realismus hätte deshalb wohl nicht so wegwerfend behandelt werden sollen, wie es der Verfasser getan hat.

Beim Idealismus beschränkt sich derselbe auf die Prüfung des sogenannten subjektiven Idealismus, welcher neben den Vorstellungen überhaupt kein Seiendes außerhalb derselben anerkennt. Den absoluten Idealismus SCHELLINGs und HEGELs hat er beiseite geschoben; jedoch ist oben gezeigt worden, daß er richtig verstanden, im Satz von der Identität des Inhalts im Seienden und Gewußten mit dem naiven Realismus übereinstimmt.

Was nun den transzendenten Realismus des Verfassers anlangt, so muß man den Inhalt desselben von seiner Begründung sondern. Bei ersterem gelangt der Verfasser nur dahin, daß das Ding mit dessen Vorstellungsinhalt eine Ähnlichkeit hat, während der von mir dargelegte Realismus die volle Übereinstimmung und Gleichheit des Inhaltes beider behauptet. Die Gründe, aus denen der Verfasser diese Ähnlichkeit ableitet, hätten ihn eben so gut auch zur Gleichheit führen können; er war daran nur deshalb gehindert, weil
    1) nach ihm das Unbewußte oder das All-Eins raum- und zeitlos ist und die Räumlichkeit und Zeitlichkeit, wenn sie auch der Tätigkeit des Unbewußten als ein Wirkliches anhaftet, doch nur zu den Formen der Erscheinung des All-Eins gehört und sein Wesen nicht berührt;

    2) weil die moderne Naturwissenschaft, welcher der Verfasser unbedingt vertraut, die qualitativen Eigenschaften der Dinge für eine subjektive Zutat der Seele erklärt, bei der sie durch die Unterschiede der allein realen Atomschwingungen zur bestimmten Auswahl dieser Eigenschaften für das konkrete Ding genötigt wird.
So war der Verfasser zu einer Unterscheidung genötigt; die logischen Kategorien konnte er mit Hilfe des schon oben erörterten direkten Eingreifens des "Unbewußten" oder der "reinen Vernunft" für das Ding wie für den Vorstellungsinhalt als identisch setzen; aber bei den räumlichen Bestimmungen schien ihm ein Übertragen derselben von außen in das Vorstellen durch das Unbewußte nicht tunlich; so blieb ihm nur übrig, "ein transzendentes Analogon des wahrgenommenen Raumes" zu postulieren. Indessen muß auch hier "das Unbewußte" nach den in der Empfindung mit überlieferten Merkmalen jenes Analogons die der unräumlichen Empfindung zukommende konkrete räumliche Gestaltung fertig machen, bevor die bewußte Anschauung im wahrnehmenden Menschen eintritt. Man sieht hier eigentlich nicht ab, wozu solche Merkmale und Umstände noch notwendig sind, wenn das allwissende und allgegenwärtige "Unbewußte" es ist, welches, ohne daß der Mensch es weiß, in dessen Seele die Anschauung mit der zugehörigen Räumlichkeit erst fertig macht, bevor das Bewußtsein des Menschen hinzutritt. Nur wenn der Mensch selbst dies tun müßte, wären solche Merkmale nötig, aber für das allwissende "Unbewußte" scheint dies eine ganz überflüssige Vermittlung. Freilich ist es schwer vorzustellen, wie diese Merkmale beschaffen sein müßten, um den Menschen zu einer bestimmten räumlichen Gestaltung seiner Empfindung zu nötigen, wenn "die Räumlichkeit überhaupt nun von Außen in die Vorstellung hineinkommen kann". Diese Unbegreiflichkeit wird auch dadurch nicht gemindert, daß der Verfasser für sein Analogon des Raums die Kontinuität und die drei Dimensionen gleich denen des vorgestellten Raumes in Anspruch nimmt.

Was nun die qualitativen Empfindungen anlangt, so steht dem Verfasser für deren rein subjektive Natur allerdings die Lehre der modernen Naturwissenschaft zur Seite, jedoch lassen sich von der höchsten Wissenschaft, der Philosophie aus gar manche Bedenken dagegen, wei gegen die ganze atomistische Auffassung der Natur, erheben, die auch dann bleiben, wenn man die Atome mit dem Verfasser nur als Kraft- oder Bewegungszentren gelten läßt. Was ist diese Lehre anderes, als eine bloße Verschiebung der Frage? Die Vorstellungen der Qualitäten sind doch nach dem Verfasser, wie nach der Naturwissenschaft auch ein Seiendes, nur daß es nicht außerhalb, sondern innerhalb der Seele besteht. Was hilft es da, diese Qualitäten aus der Außenwelt zu entfernen und in die Seele zu verlegen; das Rätsel ihrer Natur bleibt damit ungelöst; ja an diesem Ort ist es noch unbegreiflicher, wie bei der rein geistigen Natur der Seele seiende Atomschwingungen Vorstellungen von Farben und Tönen in ihr zur Folge haben können. Diese Bewegungsformen erleiden schon in den Nerven und deren Fortgang zum Gehirn so große Modifikationen, daß eine so genaue Kausalität zwischen diesen Schwingungen und deren Farben und Tönen selbst viel schwerer begreiflich ist, als wenn die Entstehung dieser Qualitäten durch oder mit diesen Schwingungen schon in der Außenwelt vor sich geht, wo zumindest den feinsten Modifikationen der Bewegung noch die volle Bestimmtheit bewahrt bleiben kann.

Man kann es der Naturwissenschaft verzeihen, daß sie sich begnügt, diese Qualitäten aus ihrem Gebiet zu beseitigen und ihnen Bewegungen zu substituieren, mit denen sie rechnen kann und die als Größen den Lehrsätzen der Geometrie unterworfen sind; aber die Philosophie, als die reine und höchste, Alles befassende Wissenschaft kann sich offenbar mit dieser bloßen Verschiebung der Frage nicht zufriedengeben und nur die lange Gewöhnung an die naturwissenschaftliche Auffassung macht es erklärlich, daß auch die neueste Philosophie trotz ihrer viel umfassenderen Aufgabe diese bloße Verschiebung der Frage für eine Lösung nimmt.

Es soll und kann hier eine andere erschöpfende Lösung nicht geboten werden; nur so viel, daß nichts hindert, diese qualitativen Bestimmungen auch schon in der äußeren Natur als seiend anzunehmen. Die dafür substituierte Wellenbewegung der Atome kann bleiben, allein es ist nicht nötig, daß deshalb diese Qualitäten selbst eliminiert werden; beide können untrennbar und miteinander vereint in der Natur bestehen und Eigenschaften der Dinge bilden. Die Rechnungen der Naturforscher behalten dann ihre Gültigkeit, ohne jene Qualitäten aus dem äußeren Sein zu verdrängen. Deshalb habe ich in meinem Vortrag das Bild vom "Überfließen" gebraucht. Wenn man festhält, daß der Inhalt der Dinge, wenn man ihn von der Seinsform trennt, aus allen Fesseln des starren Seins gelöst ist und nach Art der Gedanken trotz der Mitteilung an seiner Intensität nichts einbüßt, so verschwinden die Bedenken, welche den von mir gemachten Annahmen aus der seienden Natur des Raums und der Erschöpflichkeit eines seienden Inhalts entgegengestellt werden könnten. Ebenso verschwindet dann die Schwierigkeit, welche der Verfasser für unlöslich hält, nämlich, daß das Räumliche nicht von Außen in das Vorstellen eindringen kann; dies gilt nur vom Räumlichen in der Seinsform; aber das Räumliche ohne diese verliert diese Starrheit und Disparität; es ist gleichsam selbst vergeistigt und vermag als solches sehr wohl durch die Wahrnehmung von Außen einzutreten und da sich in die Wissensform zu kleiden; ja man kann sagen: Es muß so sein; denn mag nun der Raum von Außen oder von Innen kommen, immer ist er, ohne diese Unterscheidung, etwas mit der Natur des Wissens so Unverträgliches, daß seine Vorstellung in der Seele unbegreiflich ist. Nur der von der Seinsform befreite Raum oder der rein inhaltliche Raum hat diese Disparität nicht und macht einen Übergang von Außen begreiflich.

Diese Bemerkungen sollen natürlich keine Beweise für meine Ansicht sein; solche sind, wie ich selbst gesagt habe, hier unmöglich; sie sollen nur dazu dienen, Einwürfen, welche man von einem anderen Standpunkt dagegen erheben könnte, zuvorzukommen.

Auch für die in den Dingen nach der Meinung des Verfassers steckenden Kategorien hat derselbe das "Unbewußte All-Eins" zu Hilfe nehmen müssen. Hier wird jedoch die Sache viel einfacher, wenn man zwischen den Einheitsformen, die schon innerhalb des Seins bestehen, und den Einheiten unterscheidet, die aus den Beziehungen der Dinge nur im Denken gebildet werden. Jene, die in der Stetigkeit des Raums und der Zeit, in der Dieselbigkeit des Ortes und in der Kraft und dem Begehren enthalten sind, gehen als seiende Bestimmungen von selbst ihrem Inhalt nach in die Wahrnehmungsvorstellung mit über und es ist nicht bloß die formlose Empfindung, welche vom Gegenstand kommt, sondern all ihr Inhalt, nach Raum, Zeit, Gestalt, Bewegung, Größe und den materiellen Qualitäten fließt beim Wahrnehmen in das Wissen über; und zwar dies Alles nicht in einer ungeordneten Masse, sondern bereits geordnet und geeint durch die Gestalt und durch die Stetigkeit, in der die Eigenschaften aneinander stoßen, oder durch Dieselbigkeit des Ortes, in dem diese Eigenschaften alle sich befinden. Wir brauchen also zu all dem keine Hilfe des Unbewußten.

Ebensowenig ist dies zum bewußten begrifflichen Trennen des Vorstellungsinhaltes notwendig. Die Begriffe der Dinge sind unser Werk und nicht das des Unbewußten; das Trennen selbst geschieht ja auch nur an der Vorstellung, nicht an der Sache; folglich bedarf es hier keines Vermittlers, der diese Begriffe aus der Sache in die Vorstellung erst überführen müßte.

So bleiben nur die Beziehungen und Wissensarten; allein diese sind bereits als reine Formen des Denkens, die aus dessen eigener Tätigkeit hervorgehen und dem seienden Ding nur im Denken übergezogen werden, dargelegt worden. Hier ist ein Übergang solcher aus den Dingen in das Vorstellen weder nötig, noch möglich und wir brauchen deshalb keine "Konformität der allgemeinen Vernunft", aus der der Verfasser ableitet, daß die Kategorien der Einheit, Vielheit, der Kausalität, Subsistenz und Notwendigkeit innerhalb des Dings denen im gedachten Ding genau entsprechen.

Was nun die Begründung der vom Verfasser aufgestellten Lehre anlangt, so beansprucht er selbst dafür nicht mehr, als eine hohe Wahrscheinlichkeit. Wir begegnen also hier derselben Wahrscheinlichkeit, von der bereits in meinem Vortrag gezeigt worden ist, daß deren Benutzung in diesen Höhen des Gedankens unzulässig ist. Abgesehen hiervon, beruth die Begründung auf denselben erkenntnistheoretischen Grundsätzen, wie sie innerhalb der besonderen Wissenschaften und im täglichen Leben benutzt werden. Man kann sich gern damit einverstanden erklären, allein die hier gegebene Darstellung wird wohl gezeigt haben, daß der Verfasser dabei zu Hypothesen genötigt ist, deren Bedenklichkeit selbst auf solchen Grundlagen klar zutage liegt. Sein transzendentes Ding stützt sich im letzten Grund auf das "affiziertwerden" beim Wahrnehmen; aus diesem soll folgen, "daß das Handelnde dieses Affizierens in einem Transzendenten zu "suchen ist". In diesem "Affizieren" ist nach HARTMANN "die Brücke zwischen Transzendentem und Immanentem gefunden". Dann ist es allerdings nicht mehr schwer, dieses Transzendente zu einer Ursache und weiter zu einem Seienden, Selbständigen, Beharrlichen usw. zu machen. Allein wer gibt dem Verfasser das Recht, dieses "affiziertwerden" für eine "reale Relation" zwischen dem Ding und der Empfindung zu erklären? Ist "reale Relation" nicht ein Widerspruch? Kann die Empfindung, wie schon FICHTE gesagt hat, nicht auch von innen veranlaßt sein? Alle vom Verfasser gegen die immanente Kausalität zwischen den Vorstellungen geltend gemachten Gründe fallen, wenn man mit ihm noch eine Unzahl von unbewußten Vorstellungen in all den zahllosen Ganglien des Gehirns und Rückenmarks usw. annimmt; diese können dann neben den bewußten diese Kausalität herstellen, so weit letztere dazu nicht ausreichen. Endlich ist die allgemeine Geltung der Kausalität im Universum, auf geistigem Gebiet wie auf körperlichem, eine bloße petitio principii; die Naturwissenschaft mag sie sich gestatten; die Philosophie hat kein Recht dazu und damit wird jeder darauf gestützte Beweis zu einer Diallele [im Kreis bewegendes Denken - wp] oder einem Zirkelschluß.

Die induktive Methode und die in das Tiefste hinabsteigende und erschöpfende Untersuchungsweise des berühmten Verfassers ist mir so sympathisch, daß er entschuldigen möge, wenn ich hier versucht habe, von seiner Methode gegen ihn selbst da Gebrauch zu machen, wo der Idealismus seiner großen Lehrer, SCHELLINGs und SCHOPENHAUERs, auch in ihm hervordringt und ihn zu dem Versuch verleitet, "spekulative Resultate nach induktiv-natur-"wissenschaftlicher Methode" zu gewinnen.

LITERATUR: Julius von Kirchmann, Über das Prinzip des Realismus, Leipzig 1875