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Zur Problematik der Wirklichkeit [Eine Metakritik des transzendentalen Idealismus] [ 2 / 3 ]
II. Der kritischen Behandlung eines begrifflichen Systems stehen im Allgemeinen zwei Wege offen: einmal kann eine fehlerhafte Bildung der Begriffe, das anderemal eine unstatthafte Konsequenz, zu der sie notwendig führen, aufgezeigt und verwendet werden. Beide Methoden beziehen sich eng auf die dem ganzen System gestellte Aufgabe und sind im Hinblick auf sie nur in ihrer technischen Handhabung, nicht aber auch ihrer prinzipiellen Deduktion nach eigentlich verschieden. Denn jede Aufgabe hat ihre Voraussetzungen, denen gegenüber sie die Einheitlichkeit ihrer Stellung und ihrer Lösung garantieren muß, so daß weder die genetische noch die teleologische Kritik im strengen Sinn immanent bleiben kann. Sowohl auf solche Voraussetzungen wie auch auf die werttheoretischen Konsequenzen des hier verwendeten transzendentalistischen Systems müssen nun auch wir uns besinnen, um unsere Absicht, die Prüfung des Verhältnisses vom erkennenden Ich zur objektiven Wirklichkeit, die sich ergibt aus der fest damit verbundenen Frage, ob die objektive Wirklichkeit überhaupt noch anders als zur Wissenschaft ausgedeutet und verarbeitet werden kann, angemessen auszuführen. In Übereinstimmung mit dem Ausspruch GOETHEs: "Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst und zur Außenwelt, so heiße ich es Wahrheit" (12) ist auch RICKERT von einem Verhältnisbegriff aus an die Begründung und Lokalisierung der Wahrheit herangegangen, indem er nämlich die Faktoren eines jeden möglichen Erkenntnisprozesses auf einen Doppelbegriff brachte und diesen zu Ende konstruierte zu einem Grenzbegriff, der ihn das Element des Erkenntnisideals erfassen ließ. Dadurch ist nun von vornherein das erkennende Ich in eine zweideutige Stellung geraten, denn einmal wurde jener Grenzbegriff ja aus seinen empirischen Verhältnissen heraus entwickelt und hat in gewisser Weise noch immer Teil an ihm, das anderemal stellt er sich ihm als Aufgabe dar, die zwar formal nicht berücksichtigt und gelöst werden muß, aber praktisch doch die objektive, d. h. unbedingt apriorische Voraussetzung seiner eigenen objektiven Existenz ist. So ist schon hier das Subjektive das eigentlich Irrationale, das niemals einer Objektivität als seinem Logisch-Primären untergeordnet werden kann, weil es von ihr aus eben immer nur wieder als objektiv zu begreifen ist. Und es ergibt sich hiermit, daß durch die Reduktion des Erkenntnisprozesses auf den fertigen Begriff des erkennenden Bewußtseins überhaupt aus einem Verhältnisbegriff, indem er zweck Idealität zu Ende konstruiert wurde, ein Grenzbegriff geworden ist, der als ganz andere Spezies nun nicht mehr zum praktisch-möglichen Ideal jenes Prozesses statuiert werden darf. Man kann sich diesem etwas schwierigen Problem noch von einer anderen Seite nähern. Unser transzendentaler Idealismus definiert sein erkenntnistheoretisches Bewußtsein als das allen immanenten Objekten Gemeinsame, als ihre Form, die als solche ohne Inhalt natürlich keinen Sinn hat. Diese Form seines eigenen Inhaltes ist beim Bewußtsein sein Urteilsprodukt, so daß es als das urteilende Bewußtsein überhaupt zu gelten hat, welches all die transzendenten Normen anerkennt, durch die die Form der Gegebenheit und die Formen der objektiven Wirklichkeit entstehen. Nun aber hat der transzendentale Idealismus die Kategorie als den Akt der Anerkennung von der transzendentalen Form selber getrennt, um sie nicht in die Sphäre des Seins fallen zu lassen, und es ist daraus unschwer ersichtlich, daß auch im erkenntnistheoretischen Subjekt zwei Werte stecken müssen, die sich genau zueinander verhalten, wie das ganze Bewußtsein überhaupt zum Erkenntnisprozeß, nämlich wie potentielle zu kinetischer Energie. Kinetisch ist das Bewußtsein überhaupt das aktuelle Äquivalent der transzendentalen Form und als solches selber Form, d. h. fertig und nur die begriffliche Faßbarkeit und Statuierung jener ideellen Totalität seines Inhaltes. Eine Form aber kann nicht formen und sich nicht logisch selber bejahen, ein Sollen hat immer nur für Unvollkommenes einen Sinn. Soll also das Urteil ein Vorgang bleiben, in dem ein Unfertiges fertig wird, so muß neben diesen kinetischen Wert, der nur aus logischen Parallelitätsrücksichten gebildet ist, der potentielle treten als eigentliches Prinzip der Urteilsproduktivität. War für jenen die Totalität des Inhaltes nur eine Idee, so liegt für diesen die Idee in der Dauer seiner Funktion, und da die Objektivität eines Beurteilten immer nur durch eine wiederholte Rekapitulation des Urteilsvorgangs selber nachgewiesen werden kann, offenbart die Natur des rein potentiellen Subjekts, daß zwar nicht die Entstehungsart, wohl aber die Ökonomie des Entstehungsaktes der objektiven Wirklichkeit auf die Bedürfnisse individuell-empirischer Subjekte zugeschnitten ist. Insofern könnte man auch von einer subjektiven und einer objektiven Seite des Bewußtseins überhaupt reden und in der ersteren wieder eine subjektive und eine objektive Richtung zusammenfassen, nämlich den Wahrheitswillen des erkennenden Ichs und das Gebot der transzendenten Norm. Mit dieser durchaus notwendigen Distinktion [Unterscheidung - wp] ist dem Bewußtsein überhaupt sein idealer Charakter grade gegenüber seiner begrifflichen Natur endgültig gewahrt, eine Doppelbestimmung, die sich RICKERT nicht so recht klar gemacht hat, und die sich keinesfalls in den Gegensatz "erkenntnistheoretische Voraussetzung des Seins" und "psychischer Akt" auflösen läßt. Es müßte ja sonst von empirischen Subjekten im Erkenntnisprozeß selber geredet werden können, was einfach keinen Sinn hat, da niemand zugleich in derselben Funktioin Urteilender und Beurteilter ist und da eine Welt, die als in Urteilen geschaffen gedacht werden muß, eben auch nur, wenn faktisch geurteilt wird, als in Urteilen geschaffen - gedacht werden kann. Man darf sich hier durch die reale Zweideutigkeit des Wortes "schaffen" nicht beirren lassen. Diese Wiederhervorkehrung der ursprünglichen funktionellen, d. h. ethischen Elemente im urteilenden Bewußtsein überhaupt, die an seiner erkenntnistheoretischen Struktur und Stringenz selbstverständlich nichts ändert, diese nur graduelle Trennung vom erkennenden Ich, wird nun erst den eigentlichen Zugang zum gesuchten Formalwert der objektiven Wirklichkeit eröffnen. RICKERT hat den Begriff der objektiven Wirklichkeit als erkenntnistheoretisches Äquivalent für das Material geschaffen, das den Einzelwissenschaften zur Verarbeitung, als Grundlage ihrer speziellen Begriffsbildungen notwendig ist. Insofern also die Wissenschaft die Erkenntnis aller endlichen Subjekte ergänzt, unterscheidet sich das methodische Erkennen vom konstitutiven nicht der Richtung und auch nicht der Intensität nach, ksondern nach seiner Meinung, nach seinem idealen Zweck und nach der Struktur seiner Normen. So hat die individuelle Wirklichkeitserkenntnis für den empirischen Menschen, wenn er seine wissenschaftliche Tätigkeit legitimieren will, lediglich die Bedeutung eines Schemas, mittels dessen er das Problem der Urkonstellation seiner Erkenntniselemente zu lösen vermag. Nun besteht aber zwischen den konstitutiven und den methodologischen Urteilen ein scharfer und durchaus trennender Unterschied: die wissenschaftlichen Urteile sind richtig oder unrichtig, d. h. sie haben ein bestimmtes, positives oder negatives Verhältnis zu ihrem speziellen, methodischen Zweck, sie können verglichen werden; die konstitutiven Urteile aber sind nur wahr, oder sie sind überhaupt keine Urteile. Demnach läßt sich das Verhältnis des erkennenden Ichs zur objektiven Wirklichkeit dahin bestimmen, daß es, soweit es rein erkennt - und vermöchte es solches überhaupt nicht, so wäre kein Wissenschaftsmaterial und damit auch keine Wissenschaft selber möglich, - ähnlich dem erkenntnistheoretischen Subjekt ebenfalls niemals Objekt sein, d. h. sich niemals selber durch ein Existentialurteil von seiner eigenen Existenz überzeugen kann; denn die unerschütterliche Sicherheit der Konstitution, die sie befähigt, allen Wissenschaften gleichsam eine materiale Norm zu geben, hebt auch das sie anerkennende Subjekt prinzipiell derart über die objektive Wirklichkeit hinaus, daß es sich vom Bewußtsein überhaupt analog seiner erwähnten Produktion nicht der theoretischen Konstruktion nach, sondern nur nach seiner Funktionsweite ursprünglich unterscheidet. Gerade dadurch, daßß es im Ganzen erkenntnisfähig ist, kommt ihm auch ein überhistorischer, überindividueller, allgemeiner Charakter zu, kraft dessen es gesetzgebend die objektive Wirklichkeit konstituiert, deren Objektivität ja in jenes "allgemein" gleichsam hineingelegt wurde. So können wir dann die endliche Folgerung ziehen, daß unser transzendentaler Idealismus, wenn er die objektive Wirklichkeit als die Welt bezeichnet, "die der Art nach bestehen würde, auch wenn es gar keine sie auffassenden" (d. h. erkennenden) "empirischen Subjekte gäbe", Metaphysik treibt oder, wenn man so lieber will, die Kategorie des Seins psychologisch ausdeutet, denn er vergißt hier einerseits, daß "objektiv", das Korrelat von subjektiv, lediglich einen transzendentalen Sinn hat und setzt es gleich - real, andererseits, daß die objektive Wirklichkeit als Erkenntnisaufgabe nicht auch das Subjekt umfassen kann, dem sie aufgegeben wurde, und daß also das Erkennen als erkenntnistheoretischer Begriff nicht etwa gleich konstruiert im Wirklichkeitsbegriff des sterblichen homo sapiens wieder vorkommen darf. Die objektive Wirklichkeit liegt auf dem Weg nach einem individuellen logischen Ziel, sie kann also nicht selber ihrerseits dem individuellen Zielwollen zugrunde sein. Man kann an dieser Stelle leicht bemerken, wie RICKERT zu einer solchen Hypostasierung [Vergegenständlichung - wp] gekommen ist. Er hat auf den Unterschied der nicht-urteilsmäßigen Elemente im konstitutiven Urteil von jenen im methodischen zu wenig Wert gelegt, weil auf den ersten Blick das Wort auch schon im konstitutiven Urteil eine Vereinfachung und kein rein "vorstellungsmäßiger" Bestandteil zu sein scheint (13). Aber gerade hier kommt es auf die theoretische Absicht und nicht auf den Ausdruck an; nicht das Wort, sondern der Inhalt wird existenzial beurteilt, so daß Wort und Inhalt bis zu dem Grad zusammenfallen, daß das Wort als irrelevant weggedacht und ein "stummes" Urteil für möglich gehalten werden muß. Die objektive Wirklichkeit hat also eine transzendentale Form, weil sie geformt ist im Interesse der Transzendentalität, deren transzendente Gestalt der Wahrheitswert ist. Und sie ist geformt von absoluten Subjekten nach einem Ideal und in der Richtung einer Idee, und es ist für sie vollkommen gleichgültig, ob sich diese Subjekte infolge ihrer praktisch-zeitlichen Beschränkung späterhin der wissenschaftlichen Betrachtung als sterblich, schwach und bedürftig kurz als Menschen herausstellen. Dieser Formungsprozeß setzt nun zweierlei voraus: erstens ein irrationales, d. h. vortranzsendentales Verhältnis des Subjekts zu dem noch ungeformten Inhalt, das in Bezug auf den Formungsprozeß selber logisch primär wäre, wenn es nicht überhaupt ein vorlogisches Stadium ausmachen würde, und zweitens, daß die objektive Wirklichkeit nur ein erkenntnistheoretisches Kunstprodukt ist, dessen unvermeidliche Bedeutung zwar für die Wissenschaft, nicht aber dessen Einfluß auf irgendwelche anderen Werte und Formen nachgewiesen werden kann. Denn insofern jede Form in jedem Fall ein Tun des Geistes bedeutet, kann nicht eine einer anderen oder gar allen anderen zugrunde liegen, und da die theoretische Existenz selber ein Wert ist, lassen sich auf ihr keine anderen Werte errichten, denn es ist nicht einzusehen, wie logisch eine Form den Inhalt einer anderen ausmachen kann, wenn im Fond des ganzen Systems sich ein Inhalt findet, der von keinem Standpunkt aus als Form betrachtet zu werden vermag, sondern unvergleichlich ist. Um ein Beispiel zu geben, hat also nicht der Künstler eine Weiterwertung oder Umwertung der objektiven Wirklichkeit zu leisten, sondern er ist auf dieselben inhaltlichen Grundfaktoren angewiesen wie der Erkennende und hat sie nach einem eigenen konstitutiven Wert, eben dem künstlerischen, zu formen und zu gestalten. Die "objektive" Wirklichkeit hängt eben von einem Wahrheitswillen ab, und es hat darum in alle Wege keinen Sinn, über die Objektivationsgrundlagen eines nicht Wahrheit Wollenden eine Aussage zu machen. III. Was durch solche Auseinandersetzungen bisher zur Genüge festgestellt werden konnte, scheint dies: Nirgends innerhalb der erkenntnistheoretischen Wertstationen selber findet sich die Kategorie, auf deren Grundlage das pragmatische wie das spekulative Leben, von dem wir am Anfang geredet haben, zur Ordnung geführt oder begreiflich oder sogar nur erfaßbar gemacht wird: die Kategorie des Erlebens, genommen als eine Art Disposition der praktischen Wirklichkeit. Die Leistung der objektiven Wirklichkeit, die darauf abzielt, der Wissenschaft eine sichere Materialgrundlage zu liefern, ist auch ihre einzigartige und ausschließliche Bestimmung, und in keinem Punkt kann sie mit jener empirischen in ein Verhältnis gesetzt werden und in keinem hinsichtlich ihres Produktionsfeldes mit ihr auf ein gleichartiges Subjekt angewiesen sein. Es eröffnet sich jedoch scheinbar noch ein anderer Weg für RICKERT, das Problem der Wirklichkeit und ihrer ursprünglichen Wertungen mit logischen Werkzeugen und Maßstäben zu erfassen, nämlich die Möglichkeit einer Theorie von der vorwissenschaftlichen Begriffsbildung (14), einer Lehre nicht mehr zur Logik der Erkenntnis, sondern zur Logik der Methode. Man kann die Gesamtheit der methodologischen Kategorien nach zwei großen Wertcharakteristiken gliedern und zusammenfassen, die den Sinn von deren Verfahren und damit überhaupt die Art der wissenschaftlichen Komplexion darstellen: nach dem Gesichtspunkt der Generalisation und nach dem der Individualisation. Insofern diese prinzipiellen Kategorie-Distinktionen durch den Verlauf der spezialwissenschaftlichen Untersuchung das Ziel der einzelnen Disziplinen von den Grundvoraussetzungen her zu wissenschaftlicher Klarheit herausarbeiten, liegt in ihnen allgemein das Wesen der Wissenschaft. Weil nun aber die gesamte wissenschaftliche Erkenntnis eine anthropomorphe [typisch menschliche - wp] Produktion ist, geschaffen und gehalten durch menschliche Bedürftigkeit, so müssen die beiden methodologischen Charakteristiken, unbeschadet ihres transzendentalen Wertes, auf ein analoges Grundverhalten der Menschen im Leben bezogen werden. Auch im Leben, sagt jetzt unser transzendentaler Idealismus, wird nichts Wirkliches ansich erfaßt. Durch ein Geflecht positiver und negativer Wertungen macht sich der Mensch vielmehr jene fundamentale Mannigfaltigkeit mundgerecht, und der Sinn solcher Wertungen ist jedesmal eine Beschränkung im Hinblick auf ein Besonderes oder auf ein Allgemeinesf, also ein individualisierendes oder ein generalisierendes Verfahren, das in Bezug auf seine spätere konsequente Durchführung in der Wissenschaft als vorwissenschaftliche Begriffsbildung bezeichnet werden kann. Es ergibt sich auf den ersten Blick, wie durch die Einschiebung dieser Wert-Welt die gesamte Methodenlehre und damit die transzendentale Kraft der Wissenschaft selber auf eine viel breitere Grundlage gestellt. Ihre treibende Energie wird legitimiert und die Konstitution demgegenüber nur noch als Idee der Materialeinheit und der logischen Dignität des Gesamtverfahrens geachtet, der keine Gegebenheitsbegründung und keine Initiative in Bezug auf die Intonation wissenschaftlicher Forschung mehr zukommt. Als Hauptmoment ist anstelle der Frage nach der Materialeinheit die Frage nach der Werteinheit getreten. Aber diese Einheitlichkeit der Werte ist auch der springende Punkt. Denn weil auf die vorwissenschaftlichen Wertungen im Verlauf der wissenschaftlichen Arbeit, sei es durch eine zunehmende Befreiung von Werten oder eine zunehmende Wertbeziehung, ununterbrochen eine systematische Rücksicht genommen wird, - mit der Wertgestaltung tritt ja ein neuer, nicht glleich der Materialgestaltung aus der Konstitution ableitbarer Formfaktor auf die Bildfläche, der sich nur teleologisch rechtfertigen läßt, - weil also mit anderen Worten die vorwissenschaftlichen Begriffe eben eine Phase der wissenschaftlichen Begriffsbildung sind, kommt ihnen wenn auch nicht die Geltung, so doch die Orientierung von Transzendentalwerten zu. Dynamei sind sie transzendental, und wie sehr der Sinn ihrer Formkraft in der Wissenschaft gewahrt bleibt, ersieht man schon daraus, daß selbst in jeder generalisierenden Wertung bereits ein Relationsurteil enthalten ist. So bedeutet, wie man zusammenfassend sagen kann, das Niveau der praktischen Wertung in Bezug auf die Wissenschaft eine trotz ihrer petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen wäre. - wp] vorzügliche Deduktion, im Hinblick auf die Wirklichkeit aber einen zu besonderen Zwecken veranstalteten Abhub, der seine Voraussetzungen und sein Amt hat, für ein Verständnis des Erlebens jedoch nichts leistet. Denn er setzt den Begriff der menschlichen Gemeinschaft voraus. Und damit kommen wir zu der falschen phänomenologischen Grundlage, auf der die Wertungswelt ruht, wenn sie außer der vorwissenschaftlichen Begriffsbildung noch absolute, reine Wirklichkeit sein will. Der Sinn einer praktischen Wertbeziehung ist die Wertung eines Gegenstandes im Hinblick auf einen bestimmten Zweck. Vom Gegenstand aus betrachtet ist also sein Wert immer nur relativ, eigentlich "gewertet" wird nur der Zweck; vom Zweck aus aber betrachtet ist der Gegenstand nur insofern Gegenstand, als er Wert ist, d. h. es können im Moment der Wertung Zweck und gewerteter Gegenstand nicht mehr geschieden werden. Da aber das wertende Subjekt seinem Charakter und überhaupt seiner ideellen Einzigartigkeit nach nur Werte faßt, wenn es wertet, d. h. nur seine eigenen Werte erfaßt, so haben für das wertende Subjekt als solches nur Individualwerte, nur Identitäten von Zweck und Wert einen Sinn. Man kann sich das sehr leicht veranschaulichen. Wenn ich Licht brauche und bitte, daß mir eine Kerze gebracht wird, dann werte ich nach der Meinung unseres transzendentalen Idealismus die Kerze generalisierend, weil ich nur eine Eigenschaft werte, die meine Kerze mit allen anderen Kerzen teilt, und in Bezug auf die sie deshalb auch von jeder anderen ersetzt werden kann, nämlich ihre Leuchtkraft, während ich ihre ganze, eigentümliche Individualität unberücksichtigt lasse. Diese Ansicht entspricht aber nicht den Tatsachen. Nicht die Kerze werte ich, ich in meiner Einzigartigkeit als wertendes Subjekt, sondern das Licht und die Kerze als Licht, d. h. als individuellen Gliedwert eines individuellen Hauptwertes und damit sofort auch als intendierten Hauptwert. Dem scheint nun die Sprache zu widersprechen, deren Wesen ja das Bezeichnen verschiedener Dinge aufgrund gewisser gleicher Qualitäten durch ein Wort ist. Aber dieses "Wesen" der Sprache ist eine wissenschaftliche Einsicht und ihre "Mitteilsamkeit" ein transzendentaler Begriff. Für das einzigartige Subjekt ist der Wortsinn wertidentisch mit seinem Gegenstand, also ohne Maßstab für eine absolute Veränderung oder Identität, und eine transzendentale Verständigung kein Problem, sondern eine teleologische Voraussetzung. Auch die Existenz des unbestimmten Artikels fällt hier nicht ins Gewicht. Wenn ich sage: "Bringe mir einen Bleistift", so kenne ich keinen Gegenstand, den ich mit "der Bleistift" bezeichnen könnte, er existiert überhaupt nicht für mich, sondern ich will und werte nur das Bleistiftschreiben, in Bezug auf welches mein Bleistift zunächst immer nur ein individueller Gliedwert ist. Diese Sachlage ist natürlich ganz anders, wenn die vorwissenschaftliche Begriffsbildung in Betracht kommt, d. h. wenn die schon angedeutete transezendental-idealistische Voraussetzung der menschlichen Gemeinschaft gemacht wird. Nun ist menschliche Wechselwirkung möglich, und in ihr liegt als theoretische Wertbeziehung und als Identitätsmaß die objektive Wirklichkeit. Damit aber scheidet, wie wir im vorhergehenden Abschnitt zur Genüge gezeigt zu haben glauben, das wertende (wie das konstitutiv erkennende) Ich prinzipiell aus, die vorwissenschaftliche Begriffsbildung tritt in ihre transzendentalen Rechte, und das Leben wird unfaßbar. Auch von dieser Betrachtung aus können wir deshalb jetzt sagen, daß die Logik der Methode dadurch, daß sie die wissenschaftliche Produktion an einem neuartigen, empirischen Subjektsbegriff orientiert, nicht eine Disposition des Erlebens leistet, sondern nur eine neue Kategorie der menschlichen Wechselwirkung einführt, die ihrer ganzen Fungibilität [Verwendbarkeit - wp] und dem konstanten Sinn ihrer Wertverflechtung nach ein Begriff ist, nicht jedoch ein Schema der Wirklichkeit. Solches aber heißt im letzten Verstand und im Hinblick auf unser Problem, daß von diesem ganzen speziellen Boden aus überhaupt nichts zur Klarstellung der Wirklichkeit getan werden kann, und daß wir uns zurückwenden müssen zur Logik des Erkennens und zur Spekulation über die Eintrittsbedingungen der Transzendentalität, wo wir in der Idee des potentiellen Subjekts zumindest einen voraussetzungslosen, festen Stand- und Ausgangspunkt gefunden zu haben glauben. Bevor nun aber systematisch an die konstruktive Erschließung des Lebens und der nicht-logischen Wirklichkeit gegangen werden kann, muß noch ein Einwand zurückgewiesen werden, der sich gegen unsere Methode der erkenntnistheoretischen Anknüpfung im Ganzen wendet. Es können nämlich Leute kommen, die zwar einräumen, daß die objektive Wirklichkeit, aktuell betrachtet, tatsächlich nur ein regulatives Provisorium innerhalb der gesamten Produktion menschlichen Erkennens ist, sodaß ihre Absolutheit in einer Idee liegt, die dann aber auch der weiteren Ansicht sind, diese äußerliche, metakritische Territorialbestimmung des Erkenntnisproblems habe für die Anordnung der seelischen Kräfte und damit für den Grundcharakter des erlebenden Individuums selber gar keinen Wert. Denn wenn sich jetzt auch die Erkenntnis eigentlich selbst als eine Universalart der Methode herausgestellt hat, so daß ein Problem an und für sich noch keineswegs eine Begriffsbildung involvieren muß und man des Weiteren gleichsam von einer Intonation der objektiven Wirklichkeit zur Erkenntniszwecken reden könnte, so hat diese doch selbst, vielleicht von einer rein empirisch-technischen Dissolution ihres Begriffs abgesehen, logisch nicht das Geringste von ihrer transzendenten Notwendigkeit und erkenntnistheoretischen Sicherheit eingebüßt. Denn von dem hier einzig berechtigten immanenten Standpunkt aus beweist alle logische Apriorität des potentiellen Subjekts nicht für ein vortranszendentales Verhältnis zum Inhalt ansich, und seine ganze Formkraft und Dignität ist lediglich im Hinblick auf die objektive Wirklichkeit sinnvoll und begreiflich. So unerschüttert nun allerdings die erkenntnistheoretischen Formwerte ihrer Begründung und Anwendung nach geblieben sind, so unrichtig ist es natürlich auch, daß Erörterungen hinsichtlich der Eintrittsbedingungen objektiver Produktion kein Licht über die allgemeine Ökonomie seelischer Produktivität, sogar bis zur Bedeutung des Transzendentalitätsproblems selber zu verbreiten vermöchten. Selbstverständlich kann es sich bei dahin abzielenden Auseinandersetzungen nicht um eine psychologische Basis handeln, weil es sich nicht um eine Beobachtung handelt und keine Voraussetzungen gemacht werden dürfen, die ein wissenschaftliches Arbeitsfeld zu seiner Isolierung fordert. Vielmehr muß ganz einfach eine vorläufige Annahme gemacht werden: ein universales Produktionsvermögen des Individuums, des Ichs, das sich in prinzipiell unendlich vielseitiger Weise mit der Schaffung einer Umgebung, eines Nicht-Ichs beschäftigen kann, also gleichsam, um ein altes Bild zu gebrauchen, eine Identifizierung von Makrokosmos und Mikrokosmos. Gegründet auf diesen Wertmaßstab aber kann gerade ein kurzer historischer Vergleich mühelos und eindringlich die in Frage gestellten übererkenntnistheoretischen und universalen Grundlagen des erkennenden Ichs im Allgemeinen erläutern. KANT geht bei seiner Begründung der Vernunftphilosophie von dem Gedanken aus, daß die Erkenntnis durch die Beschaffenheit des erkennenden Subjekts bedingt ist. Er setzt die Erfahrung voraus, fragt, wie weit sie richtig ist und beantwortet gleich die Frage dahin, daß sie durchaus richtig ist, weil die überall zugrunde liegende notwendige Allgemeinheit ihr vom erkennenden Geist verliehen ist. Insofern er nun sämtliche Energien des Geistes bei der Produktion der Erfahrung sich zu beteiligen zwingt, begabt er diesen selbst mit einer systematischen und abgeschlossenen Einheit, die dem Menschen die Erkenntnis nicht zur Pflicht, sondern zur Naturnotwendigkeit macht. Er findet eben im Ich keine subjektiv-seelische Seite, die sich zum Leben vorerst irgendwie stellt, so daß ihr eine Aufgabe gegeben werden kann, sondern er faßt es lediglich als die gedachte Einheit alles Mannigfaltigen auf, als die Form der Erfahrungskräfte und damit als die Form der Welt. Um dieser Ausweitung willen verdient er doch, wenn auch natürlich ohne ihre prinzipiell psychologistische und überhaupt anti-erkenntnistheoretische Tendenz, die Kritik, die eine jüngst erschiedenen Methodenlehre mit den Worten an ihm ausübt:
IV. Mit einer solchen historischen Orientierung ist nun nicht nur eine letzte und entscheidende Einsicht in die Grenzstellung des potentiellen Subjektbegriffs gewonnen, sondern auch klar auf die Hand gelegt, daß nur durch ein systematisches Nachdenken über diesen Brennpunkt von Tätigkeiten selber die Welt der Beziehungswerte des individuellen Ichs berührt werden kann, jene Welt, aus der sich das Ich lediglich gegen die objektive Wirklichkeit hin entfernt, wenn es Wahrheit will, in der es aber aktiv im Grunde immer wurzelt, eben weil es Wahrheit will, und auch passiv nur dann hervortritt, wenn es sich selber als objektiv vorhanden beurteilt. Nur von diesem Gebiet aus kann das Erleben seine in jedem Sinn elementare Ursprünglichkeit beweisen, und damit auch erst die objektive Wirklichkeit endgültig von allem inhaltlichen Beigeschmack befreit und als reiner Formalwert dargetan werden. Da sich das Existentialurteil als die primitivste logische Verbindung herausgestellt hat, so scheint am ehesten eine Reflexion auf seine Elemente und Bedingungen die Grenze des gesuchten Landes zu erreichen. Es ist bereits davon gesprochen worden, welchen ganz außerordentlichen und prinzipiellen Fortschritt die transzendentalidealistische Urteilstheorie mit ihrer Ansicht, daß der Sinn des Urteils durchweg der Sinn, die Einstellung des Urteilenden ist, bedeutet. Bisher stützte man sich immer auf die Meinung, daß sich in der Aussage lediglich eine kommunikative und eine intentionale Seite unterscheiden lassen, die man phänomenologisch wohl auch gleichgesetzt hat (16), um dann durch die Einrenkung aller ausdrücklichen Gebilde in ein gewisses sprachliches Schema aus der grammatikalischen Regelmäßigkeit ein Kriterium für die formale Richtigkeit zu gewinnen. Es zeigt sich darin nur die alte Neigung, im Hinblick auf eine nomothetische Disziplin, hier die Erkenntnistheorie, eine rein theoretische Grundlage herzustellen, sei es nun durch die Grammatik überhaupt, oder sei es, wie das neuerdings versucht wurde (17), durch eine Psychologie der Bedeutungsvarietäten, die trotz allem auf eine Spezialart gleichsam auf die objektive Seite der Sprachpsychologie hinauszulaufen scheint. RICKERTs transzendentaler Idealismus kümmert sich demgegenüber um Mitteilungstatsachen wie um Bedeutungserfüllungen überhaupt nicht, sondern hebt als Wesen des Urteils einen gewissen Artcharakter hervor, der im Urteil selber die objektive Wirklichkeit konstituiert und spricht damit sogar Aussagen von absolut gleicher grammatikalischer Struktur die Urteilsqualität ab, wenn sie nicht als im Sinne dieses Artcharakters konstruiert nachgewiesen werden können. Dieser Charakter ist das im Urteil verwirklichte Eigenbewußtsein der Wahrheit, das nicht nur seine allgemeine Schaffung bedingt und möglich gemacht hat, sondern auch seinen speziellen Bau bewirkt. So wird das phänomenologische Moment der Leistung im (sprachlichen) Urteil durch das erkenntnistheoretische des (logischen) Urteils abgelöst: das Urteil ist jetzt objektiv. Indessen ist damit doch nur eine Seite, die transzendentale erledigt; wie verhält es sich mit jener anderen, inhaltlichen, die uns wie gesagt am klarsten wird, wenn wir uns auf das Existenzialurteil beschränken, weil dessen Kategorie eine transzendentale Form und Urteilszweck in gewisser Weise in eins setzt - ? Jene Eigenleistung des Urteils nämlich, von der nahezu nur im uneigentlichen Sinn geredet werden kann, weil sie im Urteil selber schon die Form bedeutet, ist zweifellos in ihrer Norm-Bejahung etwas, was hinzu kommt - sie vermag z. B. das Urteil von der Frage zu unterscheiden -, etwas, was eine gewisse Richtung nach eine Zweck für ansich Ungerichtetes, Unabsichtliches bedingt. Das, wohin ein Objektsein durch das Existenzialurteil ausgesagt wird, muß schon vorhanden sein, wenn auch anders als objektiv und anders als existierend. Das inhaltliche Äquivalent gleichsam jener Sinngebungen, die der transzendentale Idealismus beiseite gelassen hat, steht in Frage, und so scheint sich hier zumindest das Problem aufzurollen, ob nicht in der deskriptiven Erschließung sprachpsychologischer Zusammenhänge doch noch eine, wenn auch nur in analogischem Sinn theoretische Fundierung der Erkenntnistheorie vorgenommen werden muß, nicht mehr um das Urteil als Urteil logisch zu begründen, wohl aber um es aktiv in die Wege zu leiten. Man kann sich das folgendermaßen denken: Wenn man als die Faktoren, die bei der Bezeichnung eines anschaulich Gegebenen in Betracht kommen, ansetzt: das sinnbelebte (symbolische) Wort, die ebenfalls schon vorhandene allgemeine Vorstellung, den "intentionalen" Akt, der sowohl dem Gegenstand die nominale Bedeutung verleiht, als auch das Wort mit gegenständlicher Bedeutung erfüllt, und schließlich den Gegenstand selber, so nimmt RICKERT durch seine Theorie, daß die Gegenständlichkeit ein Urteilsprodukt ist, mit ihnen eine eigenartige Gruppierung vor. Gegenstand und allgemeine Vorstellung fallen in seinem Existenzialurteil zusammen, denn ihr Sein beschränkt sich in gleicher Weise auf den Akt der Wahrnehmung (18); das symbolische Wort wird in der aktuellen Nennung durch die Einzigartigkeit des Gegenstandes eine okkasionelle [Gelegenheits- | wp] Bezeichnung, d. h. ein Eigenname, und der intentionale Akt demgemäß bedeutungsverleihend, weil er lediglich das Wahrgenommene mit der Wortqualität begabt. Danach scheint also doch eine zweite urteilsmäßige Beziehung zwischen dem Erkennenden und dem Erkenntnisprodukt zu bestehen, ein nominaler Akt, der deskriptiven Charakter besitzt, weil sich gleichsam der "Name fühlbar auf den Gegenstand legt." (19) Die mögliche einfachste Form des Existenzialurteils: "dies ist" kann, nebenbei gesagt, hiergegen nicht geltend gemacht werden, weil dem "dies" in einem solchen Fall nicht nur ein demonstrativer sondern auch ein intentionaler Charakter zukommt, d. h. weil es dann auch selber den Gegenstand, soweit es vermag, benennt. Der Name also, oder besser: das Wort seiner Allgemeinbedeutung nach geht offenbar dem Urteilsakt voran, der damit nicht nur produktiv, sondern auch spezialisierend gedacht werden muß, nicht nur formend, sondern auch den Sinn einer Wortvorstellung vollziehend. Und diese Allgemeinbedeutung ist nicht etwa allgemein in dem Sinne, als sei sie außerhalb ihrer nominalen Funktion in Individualfällen leerer Schall, sie ist nicht Gattungsbegriff, sondern Bedeutung, d. h. die ideale Einheit der Intention gegenüber der Mannigfaltigkeit möglicher Akte. Das Schwanken der Bedeutungen kann und will sie nicht motivieren, denn die ändern sich überhaupt nicht; schwanken kann nur das Bedeuten, der eigentliche subjektive Akt (20), so daß die Wortallgemeinheit kraft ihres identischen Sinnes ein wirkliches Theorem zu werden fähig und würdig ist. So ergäbe sich dann als das gesuchte vorlogische Stadium die Notwendigkeit einer Art psychologischer Semiasologie [Bedeutungslehre - wp], die phänomenologisch gleichsam den Rayon [Grenzbereich - wp] der Erkenntnistheorie abzustecken sich bemühen müßte, damit aber doch wiederum den objektivitätbegründenden Charakter derselben auf das Schwerste gefährden würde. Es ist leicht, diese ganze Deduktion unwirksam zu machen. Eben weil die Erkenntnistheorie die wissenschaftliche Objektivität fundamentiert, kann ihr nicht selbst eine wissenschaftliche Ansicht zugrunde liegen, wie es die ist, daß das Allgemeindeutige in der Sprache von seinem Aktuellwerden unabhängig, d. h. früher ist als das Spezielle. Im Urteil zumindest tritt davon nichts zutage, weil für das Urteil der Unterschied zwischen Gegenstand und Benennung nicht existiert. Ein solcher ist phänomenologisch und gehört, ganz davon abgesehen, ob er "ist" oder nicht, in die Psychologie des Erkennens. Das Urteil vermißt sich der Wahrheit, einerlei wie es zustande gekommen ist, und dieser seiner Tendenz gegenüber ist all sein Inhalt, nenne er sich nun Gegenstand, Vorstellung, Ausdruck oder Wort, - Bewußtseinsinhalt. Es kann somit als gesichert gelten, daß jene Grundlage des Existenzialurteils, um deren Erschließung es sich handelt, nicht in der Fungibilität des Wortwertes gesucht werden darf, und daß sich der "Inhalt ansich" keinesfalls als eine Welt möglicher allgemein-nominaler Bedeutungsintentionen darstellt. Zugleich ist nunmehr jede Möglichkeit abgeschnitten, noch an psychologische Akte der Nomination zu denken, wenn jetzt der Fortgang der Untersuchung abermals an die spezielle Bezeichnung des "dies" anknüpfen muß. Unschwer belehrt schon ein erster prüfender Blick, daß jenes Inhaltliche, auf welches das Existenzialurteil seine Produktion verwendet, insofern ein Identisches ist, als seine Bezeichnung für seine Formung bis in alles Einzelne völlig gleichgültig bleibt, ja im Urteil selber überhaupt nicht als bedingt, d. h. als auch anders möglich sich bemerkbar macht. Man nehme beispielshalber an, eine Rose werde von ihren Schwestern, den anderen Rosen, mit Namen ANNA genannt. Will ich sie nun existenzial beurteilen, objektivieren, so kann ich das mit den sehr verschiedenen Formeln tun: diese ANNA ist; diese Rose ist; diese Blume ist; diese Pflanze ist; dies ist. In allen Fällen aber wird ein absolut Homogenes zur Objektivität gebracht. Da nun immer nur mit einer einzigen Formel existenzial bejaht wird, muß demgemäß die Wahlentscheidung in jedem Spezialfall besondere Gründe haben, die infolge ihrer Unabhängigkeit und Bedeutungslosigkeit für den Urteilsakt vorurteilsmäßiger, überhaupt vorlogischer Natur sind; und wenn nachgewiesen wird, warum das urteilende Subjekt, als es sich zum Urteil in Bewegung setzte, den existenzial zu beurteilenden Inhalt gerade so ausgedrückt hat, dann ist auch die Natur der vorlogischen Beziehungen erkannt, die man mit einer Besinnung auf den Stamm "wirken" mit demselben Recht "Wirklichkeit" nennen kann wie irgendeine andere Sphäre, die einer Betätigung des individuellen Ichs ihre Entstehung verdankt. Wenn wir wieder in aller Ruhe und im Hinblick auf seine Konstruktionsgeschichte den Sinn erwägen, der unser potentielles Subjekt erfüllt, sobald wir es einmal in jeder Hinsicht absolut, d. h. für sich setzen, so ergibt sich uns nicht eine durchweg unfaßbare und damit richtungs- und beziehungslose, nicht ein undenkbare Kraft, sondern ein Persönlichkeitswert, der außer der autonomen Aktualität noch eine Reagenzbegabung, eine Fähigkeit, unter Beeinflussungen zu leiden, umfaßt. Schon im Zusammenhang mit der Konstitution der objektiven Wirklichkeit haben wir diese Doppelheit in Betracht gezogen, aber ihre eigentliche, "wirkliche" Bedeutung, ihren Grundwert erlangt sie erst dann, wenn nicht mehr aus logischen Rücksichten heraus an ihr die erkenntnistheoretische Fungibilität betont, sondern Gelegenheit für sie geschaffen wird, sich universaliter praktisch zu entfalten. Handeln und Leiden vereinen sich alsdann zu einem unzertrennlichen, synechologischen [Teilgebiet der Ontologie der bei Herbart die Stetigkeit des Seins umfaßt - wp] Zusammenklang und werden zu der psychognostischen Grundidentität des "Erlebens". Mit anderen Worten heißt das: die Grundlage des Lebens ist das Ringen nach Ausdruck, und als das absolut Primäre wird darin der Gegensatz von Ich zu einem Nicht-Ich gleich dem eines Einzigartigen zu nur Analogischem erlebt. Dies ist dispositionell das gefühlsmäßige Urphänomen der Wirklichkeit. Wie nach HEGEL (21) die Welt gerade durch ihr "Anderssein" schlechthin das Erschaffene und nicht das an und für sich Seiende ist, so ergibt sich nun zunächst die Individualität als reine Position, weil ihr Wesen, die seltsame Einheit von Sein und Gelten der Werte, von Wollen und Sollen, jenes Sehen der Werte von innen keiner Analyse zugänglich ist. Und demgemäß stellt sich das wirkliche Leben dar als der Weg von einem Kraftzentrum, der Individualität, zu einem Gegenstand, der behandelt wird; während aber die Individualität, wie wir gesehen haben, nicht lediglich insofern sie handelt, Subjekt ist, ist der Gegenstand nur indem er behandelt wird, indem er Interesse erregt, Gegenstand. Das Behandeltwerden ist nicht seine Form weil er außer ihm keinen konstanten Stoff besitzt, und Wandlungen sind nicht seine Veränderungen, weil die Qualitäten im Nicht-Ich nur Spiegelungen der Individualität sind, denen kein eigener, "objektiver" Zusammenhang innewohnt. In dieser Produktion, als die sich das Erleben darstellt, liegen die tiefsten Probleme der Wirklichkeit. Denn wenn auch die Individualität als solche von ihren Produktionen unabhängig ist, so bedeutet das nur eine prinzipielle Primalität, praktisch stellt sich ihr Sinn allein an der wirklichen Linie ihrer Produktionen heraus. Dieser ihr lebendiger Inhalt und damit ihre Faßbarkeit ist der Charakter, genommen als Haftpunkt der Werte, die die Individualität als ihr Eigenstes durch ihr Erlebnis zugleich verwirklicht. Der Charakter ist das sich selber Bewußtwerden der Individualität, und demgemäß läßt sich diese auch disponieren als das Verhältnis von Charakter und Produktion, und bestimmen durch die Weite dieses Verhältnisses, sofern nur diese reine Frage der Temperamente mit einem solchen räumlichen Ausdruck bezeichnet werden darf. Charakter und Produktion sind im Hinblick auf sie lediglich die beiden Grenzpunkte für die Rangordnung ihrer Werte, welche gemäß deren Anteil an jenem innersten Kern des Persönlichen getroffen werden muß, der sich zum individual-ethischen Zentrum umbildet, sobald nur das psychognostisch Erlebbare im Hinblick auf das Pflichtgemäße sortiert und abgewandelt wird. Da nun das Erleben umso intensiver wird, d. h. der Charakter umso universeller durch die Produktion scheint, je übersehbarer die Verbindung beider ist, so ergeben sich hieraus zwei Grenzfälle. Einmal können Charakter und Produktion zusammenfallen. Dann wird das Leben zur Spekulation, zu einer Kunst im Sinne OSCAR WILDEs und zu jenem eigentümlichen sich Behalten, das JAKOBSEN "Leben mit der Küste in Sicht" nennt (22), - das andere Mal hascht gleichsam die Individualität durch die Produktion nach dem Charakter, lebt stürmisch in die Weite und stellt ihren Charakter nur in der äußersten Extensität oder, prinzipiell gesehen, in alle Ewigkeit nur teilweise dar. Aber dieses Verhalten selber, diese in gewissem Sinne hier unabhängige Produktion ist jetzt ihr Charakter, denn seinem prinzipiellsten Sinn nach bedeutet er lediglich den Stil aller Individualproduktionen.
12) Goethe, Sprüche in Prosa 13) vgl. Rickert, "Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung", Kap. 1, 2 und 3. 14) Man vergleiche zu den folgenden Ausführungen durchgehend Rickerts Aufsatz "Geschichtsphilosophie" in der "Die Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts" betitelten Kuno Fischer-Festschrift. 15) Heinrich Gomperz, Weltanschauungslehre, 1905, erster Band. 16) Zum Beispiel Anton Marty, "Über subjektlose Sätze und das Verhältnis der Grammatik zu Logik und Psychologie.", Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 1884. 17) Edmund Husserl, "Logische Untersuchungen", 1901. 18) Man vergleiche dazu die antiquierte Ansicht Sigwarts in der "Logik I", 1904, Seite 98. 19) Husserl, Logische Untersuchungen II, Seite 496 20) a. a. O. Seite 91 21) Hegel, Religionsphilosophie, 1840. 22) Jens Peter Jacobsen, "Nils Lyhne", aus dem Dänischen von Marie Herzfeld, 1905. |