ra-2Paul TillichDer Gottesbegriff bei Jakob BöhmeReinhold Niebuhr    
 
THEODOR ROHMER
Kritik des Gottesbegriffes
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"In der theistischen Kirchengeschichte sehen wir seit Jahrtausenden neben der Scheidung zwischen göttlicher und geschöpflicher Persönlichkeit den krassesten Fatalismus als Prädestinationsglauben einhergehen; das heißt der Glaube an eine von Ewigkeit her beschlossene unabänderliche Vorherbestimmung der Einzelnen zur ewigen Seligkeit oder Verdammnis. Da dieser Glaube nur möglich ist, wenn man voraussetzt, daß der Mensch keine Willensfreiheit besitzt, sich selbst zu bessern, sondern sowohl in seiner Anlage als in allen scheinbar freien Regungen seines Gemüts von Gott bestimmt wird, so ist damit ganz einfach ausgesprochen, daß neben Gott keine geschöpfliche Freiheit besteht. Für einen Anhänger dieses Glaubens, der sich  von der Gnade ausgeschlossen  oder zu ewiger Verdammnis bestimmt hält, ist natürlich die Gottheit zu einem  Teufel  gestempelt."

"Die beiden großen Parteien stehen sich in gleicher Stärke gegenüber; jede von beiden ist gleich tief nicht nur mit den Bedürfnissen und Leidenschaften der Individuen, sondern auch mit den Interessen der Staatsgewalt verkettet. Was aber diesem Kampf seine höchste Bitterkeit gibt, ist, daß der kirchliche Theismus als die Quelle der gegnerischen Weltansicht den Teufel ins Spiel zieht. Der politische Parteigegensatz, in dem sich ursprünglich zwei gleichberechtigte, in den richtigen Schranken gleich wohltätige, in den Auswüchsen gleich verderbliche Grundrichtungen der menschlichen Natur ausdrücken, wird von den Theisten zum Gegensatz von  gut und böse, Licht und Finsternis, göttlichem und teuflischem Prinzip  gestempelt. Der Pantheismus rächt sich dafür seinerseits, indem er die Anhänger des  Rückschritts  als  Menschen, in denen das menschliche Selbstbewußtsein noch nicht durchgebrochen ist,  als die verhältnismäßig  tierische Klasse der menschlichen Gattung  behandelt. So sieht der Theist in seinen Gegnern Bösewichter, die zur Schlechtigkeit entschlossen oder wenigstens verführt sind; der Pantheist in den seinigen Dummköpfe, die der Emanzipation entweder nicht fähig sind oder von ihm erst dazu geweckt werden müssen."


IV. Geistige Fehler des Pantheismus

1. Das Ende der Welt nach
der buddhistischen Auffassung

Wir glauben im vorstehenden unsere Behauptung: "daß der Theismus den menschlichen Verstand so wenig befriedigt, als der Pantheismus das menschliche Gemüt," hinlänglich bewiesen zu haben.

Wir müssen aber noch weiter gehen. Der Pantheismus leidet neben seiner Unvereinbarkeit mit dem menschlichen Herzen noch an handgreiflichen geistigen Fehlern, der Theismus enthält außer den Widersprüchen gegen die Vernunft noch sehr fühlbare moralische Gebrechen.

Der Pantheismus läßt, wie wir gesehen haben, zwei verschiedene Grundansichten zu, je nachdem er sich das Werden der Welt als ein unaufhörliches denkt oder ein Ende der Welt, d. h. eine bleibende Auflösung des Endlichen im Unendlichen annimmt. Wir haben die erstere Ansicht den europäischen, die zweite den orientalischen Pantheismus genannt. Es ist nun leicht, einzusehen, daß der orientalische Pantheismus, indem er ein Ende der Welt statuiert, einen logischen Irrtum begeht.

Da die bestehende Welt nach ihm nicht  geschaffen ist,  sondern  aus sich selbst  existiert, also sich selbst aus dem Nichtsein zum Sein erhoben hat: - so kann ihr Grund bloß das  Nichts  sein. Das Nichts aber hat nicht Grenze noch Ende. Das endliche Werden, welches aus dem Nichts als seinem Grund hervorgeht, kann daher niemals eine Grenze oder ein Ende erreichen, d. h. niemals  aufhören.  Es könnte nur aufhören, wenn der Grund selbst endlich wäre. Da jedoch der Grund schlechthin unendlich ist, so wird das Werden das Ende des Grundes zwar zu erreichen streben, aber ohne es jemals erreichen zu können, d. h. es wird, obwohl endlich  an sich,  doch  ohne  Ende aus dem Grund hervorgehen. Die buddhistische Auflösung des Endlichen ins Unendliche ist sonach in Konsequenz des buddhistischen Systems selbst eine logische Unmöglichkeit.


2. Verhältnis von Geist und Materie im Sinn
des europäischen Pantheismus.

Der europäische Pantheismus, welcher die Unaufhörlichkeit des Werdens statuiert, kann sich die Welt, wie sie vorligt - mit ihren zwei zutage tretenden Grundkräften - Geist und Materie -, auf zweierlei Weise zu erklären suchen. Entweder ist die  Materie  die allgemeine Grundlage und der Geist (d. h. in diesem Fall die organischen Wesen von der Pflanze bis zum Menschen) das Erzeugnis, in dem sie sich selbst zur Blüte bringt. Oder aber ist der  Geist,  als ansich nichtseiendes Unendliches (Absolutes), die Grundlage, die Materie aber (d. h. in diesem Fall sämtliche einzelne Existenzen) die Wirkung, welche der Geist aus sich emportreibt, um zum bewußten Dasein zu gelangen. Die erstere Anschauung - die, wie man leicht sieht, dem FEUERBACHschen Atheismus zugrunde liegt - hat für sich den Schein einer ungemeinen  Einfachheit.  Wenn der Mensch in die Welt blickt, sieht er vor sich zwei Dinge, aus denen die Welt ohne alle Frage besteht: die durch das ganze All ausgebreitete, trotz ihrer verschiedenen Element in sich Eine,  unorganische Materie  und die aus dieser Materie gebildeten  geistbeseelten Einzelwesen.  Zugleich aber leidet sie an einem offenbaren Mangel, - einem Mangel, der jedem Tieferdenkenden die Möglichkeit nimmt, sich bei ihr zu beruhigen. Sie bietet dem Denker gerade das nicht, wonach der denkende Mensch, wenn er sich orientieren will, zuerst und vor allem fragt: einen notwendigen letzten Grund der Welt, ein Absolutes, welches nicht weggedacht und worüber nicht hinausgedacht werden kann. Ein solches ist die Materie nicht. Die Materie erfüllt den Raum, aber sie ist nicht identisch mit ihm. Ich kann sie jeden Augenblick hinwegdenken, und erst dann stoße ich auf den Raum selbst als das Unermeßliche, worüber ich nicht hinausdenken kann. Sie ist nicht von sich selbst, sondern von einem hinter ihr liegenden bedingt; woher kommt sie nun und wie ist sie entstanden? Dieser Pantheismus verstößt also gegen den  Grundtrieb  allen spekulativen Denkens, - gegen das Bedürfnis des Geistes, zum letzten Grund allen Seienden durchzudringen.

Die andere Anschauung, die wir früher bereits mit einer Äußerung FRIEDRICH DAVID STRAUSS' charakterisiert haben, betrachtet den Geist als den absoluten Grund, welcher aus sich sämtliche materielle Einzelexistenzen hervorbringt. Bei dieser Anschauung bleibt der  Gegensatz  zwischen der unorganischen und der organischen Materie schlechterdings unbegreiflich. Wenn der Pantheist sagt, der Geist setze sich in einer fortlaufenden Stufenreihe von der scheinbar toten, aber doch schon einen Funkten von ihm enthaltenen Masse der Weltkörper an bis zum Menschen, seiner höchsten Spitze, so ist das keine Erklärung. Jedermann begreifte, wenn man ihm sagt, daß sämtliche Organisationen unseres Erdkörpers von der Pflanze bis zum Menschen Glieder einer Reihe sind, in der sich stufenweise der nämliche Geist ausprägt. Aber Jedermann sträubt sich, wenn man ihm zumutet, sich den Erdkörper selbst als gleichartiges niedrigstes Glied dieser Reihe zu denken. Es ist trotz des ungeheuren Abstandes zwischen einem Menschen und einem Apfelbaum ganz und gar nicht schwer, sich beide als gleichartige Wesen innerhalb einer organischen Kette zu denken. Beide sind lebendige Existenzen mit innerer Selbstentwicklung; beide sind Individualitäten, die in ihrer bestimmten Besonderheit nur einmal existieren; beide nähren sich und beide pflanzen sich fort.

Wer von uns aber kann sich, ohne zu lachen, den Erdball und die übrigen Weltkugeln als Wesen  seinesgleichen  vorzustellen? Wer kann sich, wenn er auf die zahllosen Mitwesen zurückblickt, an deren Spitze ihn die Natur gestellt hat, auch nur einen Augenblick einbilden, die Erde, auf der sie alle leben, und von der sie in ihrer Entstehung wie in ihrem Wachstum bedingt sind, sei eines davon, und zwar das niedrigste? Man hat öfters versucht, diese Absurdität mit der Ausflucht zu verdecken, der Erdkörper bestehe aus Mineralien, und diese, als Einzelwesen, nach Analogie der Tiere und Pflanzen, seien es, welche das unterste Glied der Reihe bilden. Wir wollen hier von der Frage, ob die Mineralien als Organismen gedacht werden können, ganz absehen. Gesetzt aber sie wären es: so bleibt es doch - man verzeihe den Ausdruck - immerhin ein Taschenspielerstreich, dem  Erdball  mit seinen Elementen und seiner von den Organisationen schlechterdings unabhängigen Gestalt und Bewegung den Begriff  Erde  in dem  eingeschränkten  Sinn zu unterschieben, den wir damit verbinden, wenn wir "die Erde" neben Feuer, Wasser und Luft als  eines der Elemente  des Erdballs bezeichnen!

In der Tat ist hier jede Ausflucht unmöglich. Zwischen der durch das Weltall in verschiedenen elementaren Formen verbreiteten Materie, welche ihr Leben und ihre Wandlungen für sich hat und ein unauflösliches Ganzes bildet, und zwischen den zahllosen Einzelwesen, welche von ihr leben, besteht keine Analogie gleich derjenigen, welche die Einzelwesen  unter sich  verbindet. Die Elemente, woraus alle Organisationen zusammengesetzt sind, und worin sie sich nach dem Tod alle auflösen, können mit diesen Organisationen nicht als gleichartige Glieder einer Kette zusammengedacht werden, wir hätten denn Lust, das Wasser als die niedrigste Art der Fischgattung unter die Fische, die Luft unter die Vögel, die Erde unter die Quadrupeden [Klasse der Vierfüßler - wp] einzureihen. Sie können nur die  gemeinsame Unterlage  sein, von der die ganze Kette der Organisationen bedingt ist.

Der Pantheist ist demnach genötigt, zwischen den zwei Arten von Materie, welche aus dem Geist hervorgehen, zwischen der organischen und unorganischen,  scharf zu unterscheiden.  Da sie nach seinem System  beide  nur Emanationen [Ausflüsse - wp] der  Einen  Weltseele sind: so steht es ihm  nicht  frei, bloß  eine  von beiden, die organische Materie, als beseelt, die unorganische als unbeseelt zu betrachten. Betrachtet er aber, wie er muß,  beide  als beseelt, so gibt es demnach zweierlei lebendige Wesen -  ein  unermeßliches makroskopisches und zahllose mikroskopische, - deren Verhältnis sowohl unter sich als zur Weltseele vollkommen rätselhaft bleibt. So steht er zuletzt auf seine Weise vor der nämlichen Schwierigkeit, zu welcher, wie wir bereits erörtert haben, auch der Theismus gelangt, um wie dieser daran zu scheitern.

Der alte asiatische Pantheismus, haben wir gesehen, erzielt eine scheinbare Lösung des Welträtsels nur durch einen logischen Fehler. Der moderne europäische muß bei der einen seinen zwei wichtigsten Anschauungsweisen auf jede spekulative Erkenntnis verzichten, bei der anderen das Rätsel ungelöst liegen lassen.  Der Pantheismus in allen seinen Formen kann die Welt, wie sie vorliegt, durchaus nicht erklären. 

V. Moralische Mängel des Theismus

1. Verhältnis zum Bösen.
Die göttliche Gerechtigkeit und die Vervollkommnung.
Die Materialisten und die Spiritualisten des Theismus.

Weniger auffallend vielleicht, aber nicht weniger ernst sind die moralischen Gebrechen des Theismus.

Wir sagen nicht des Theismus, wie er von MOSES und CHRISTUS gelehrt worden ist und in tausend Gemütern gelebt hat, sondern des Theismus, wie er sich infolge der Vorstellungen gestaltet hat, die seine philosophischen und theologischen Vertreter verbreiten.

Es ist ein persönlicher Gott, welcher allein gut, in seliger Vollkommenheit über die Welt thront und von ihm geschaffen die Welt, in der das Gute und das Böse sich unablässig bekämpfen. Woher und wozu ist nun das Böse?

Für den Pantheisten bietet dieses moralische Problem keine weitere Schwierigkeit, als die, welche mit seinem System von vornherein gegeben ist, sofern es die persönliche Freiheit zur Jllusion macht.

Mag der Pantheist als den Urgrund, aus dem das Einzelsein endlos hervorgeht, den Geist oder die Materie betrachten, oder mag er die ganze materielle Endlichkeit in Gott als dem Ende der Welt aufgehen lassen: in allen drei Fällen ist das Böse nur ein Relatives; der Widerspruch der niederen Stufe gegen die Höhere, des Einzelnen gegen das Allgemeine - in allen Fällen besteht das Gute darin, daß der Geist innerhalb des Universums entweder die Materie steigend überwindet, oder sich in die Materie immer vollkommener ausprägt.

Das ganze Weltwesen selbst ist ihm nicht ein von vornherein fertiges Gut, sondern ein dem Guten steigend entgegengehendes.

Der Einzelne, der sich vervollkommnen will, vollzieht also insich nur den Prozeß des Weltwesens. Freilich tut er das, wenn er es tut, im Grunde nur gegen sein System; denn dieses hebt mit der Freiheit der Verantwortlichkeit und damit den Begriff der Sünde selbst auf. Soweit jedoch der Pantheist als ehrlicher Mann trotzdem seine moralische Verantwortlichkeit beibehält, kann er sich über die Stellung, die ihm die Natur angewiesen hat, nicht beklagen. Sie verlang von ihm bloß, daß er sich durch eine Kräftigung seiner geistigen Elemente steigend vervollkommne, und sein Gewissen läßt ihm dieses Verlangen als gerecht erscheinen.

In einer ganz anderen Situation ist der Theismus. Das Böse liegt außerhalb seines Systems. Das Urwesen, welches die Welt geschaffen hat, ist ein von vornherein Fertiges, in sich Abgeschlossenes, vollendet Heiliges. Das Böse steht in der Welt als ein fremdes, auf unerklärliche Weise eingeschlepptes da. Es kommt nicht von Gott, dem schlechthin Guten. Nicht von der Materie, denn diese ist weder gut, noch böse. Nicht aus dem menschlichen Geist ansich, denn dieser ist das Ebenbild des göttlichen ursprünglich rein wie der göttliche.

Woher kommt es also und worauf gründet sich die Forderung des Schöpfers an seine Geschöpfe, es zu überwinden? Es kommt, sagt der Theismus, lediglich aus der mit der Endlichkeit verbundenen Freiheit, d. h. daher, daß der Geist zufolge seiner Verknüpfung mit der endlichen Materie entweder den Trieben des Fleisches folgen und dann im Widerspruch mit seiner inneren Unendlichkeit ins Endliche versinken oder aber das Endlich durch Hingabe ans Unendliche überwinden kann. (1)


1. Verhältnis zum Bösen

Mit vorstehender Antwort ist, wie man leicht sieht, kein wirklicher Aufschluß gegeben. Das Böse kann in der Endlichkeit nur auf zweierlei Weise begründet sein. Entweder ist das Endliche als solches böse; dann wäre Gott der Urheber des Bösen, was der Theismus leugnet; oder das Endlich hat bloß die Möglichkeit des Bösen in sich, sofern es frei ist, d. h. das Böse ist ein Mißbrauch der Freiheit. In diesem Fall kann die Freiheit des endlichen Geistes, da derselbe Abbild des Göttlichen ist, nur  Nachahmung  des göttlichen sein.  Der Mensch kann diese Freiheit nur besitzen, weil Gott selbst sie besitzt,  oder mit anderen Worten:  der Gegensatz, in den ihn Gott gestellt hat, muß in Gott selbst sein.  Einen solchen Gegensatz in Gott weist der Theismus zurück.

Die Freiheit seines Gottes schließt jede Wahl zwischen Gut und Böse, jede Selbstherrschung aus; sie besteht einfach darin, daß Gott von vornherein mit Notwendigkeit gut ist.

Zwischen dem göttlichen und menschlichen Wesen fehlt also jede moralische Analogie und damit ist auch jede Lösung des Rätsels abgeschnitten.

Lassen wir aber die Erklärung des Theismus einen Augenblick gelten: wie stünde es um die göttliche Gerechtigkeit? Gott, der ewig sich Gleiche und Heilige, der in sich selbst Nichts zu überwinden hat, und dem das  Gute  keinerlei Anstrengung kostet, weil er nicht anders als  gut  sein  kann  - diesem Gott hat es gefallen, uns, seine Geschöpfe, in eine  Wahl  zwischen gut und böse, - in eine Versuchung hineinzustellen, über die wir gestrauchelt sind. Er, der von den Reizungen der Materie, von einem Kampf innerer Gegensätze nicht das Mindeste weiß, er verlangt von uns, dem lebendigen Spiel schneidender Gegensätze, daß wir - "vollkommen sein sollen, wie er vollkommen ist" - "heilig, weil er heilig ist". -

Was ist da Gerechtigkeit, wo auch nur Billigkeit? Ist es nicht, als ob ein Vater, der niemals in seinem Leben eine Regung von Jähzorn empfand, weil die Natur ihn phlegmatisch organisiert hat, von einem Sohn, der mit dem heißesten Blut geboren ist, verlangen würde, daß der Sohn gerade so empfinden solle, wie er selbst? Wenn ein solcher Vater seinen Sohn auffordert, den Jähzorn zu beherrschen, wie er, der Vater, seiner Zeit andere fehlerhafte Neigungen beherrschen gelernt habe; so wird der Sohn das nur gerecht finden. Wenn er aber dem Sohn jenen Affekt schon ansich zum Verbrechen macht, weil er, der Vater, ganz ohne sein Verdienst nie das Mindeste davon gespürt hat, so wird der Sohn sich gegen eine solche Ungerechtigkeit empören.

Der Theismus selbst kann sich, wenn er Einwürfe dieser Art hört, nicht verhehlen, das das natürliche Billigkeitsgefühl des Menschen schlechterdings eine Beruhigung darüber verlangt. Um diese zu erzielen, hat er dann eine letzte Antwort bereit.

"Wenn Gott, sagt er - "den Menschen in den Gegensatz von Gut und Böse gestellt hat, so hat er das lediglich  zum Besten  des Menschen getan. Eine Unschuld, welche nicht sündigt, weil sie nicht fähig ist, zu sündigen, hat keinen Wert. Die wahrhafteste Unschuld ist die, welche siegreich aus dem Kampf hervorgeht. Gott ließ den Menschen fallen, um ihn zum Sieger zu machen. Von vornherein gut zu sein, weil man nicht böse sein kann, ist keine Kunst. Die echte Tugend muß sich am Bösen erproben." -

Gott hätte demnach in seiner Weisheit eingesehen, daß die wahre moralische Vollkommenheit nicht in einer von vornherein fertigen  Vollendung,  sondern in einer den Gegensatz überwindenden  Vervollkommnung  besteht.

Wenn aber Gott das einsah, so muß es a auch so  sein;  vor allem  bei ihm  so sein, der das Urbild aller Vollkommenheit ist.

Entweder hat er gegen alle Billigkeit  uns  eine Aufgabe gestellt, von der er für sich selbst nichts wissen will; oder  er selbst ist nicht fertige Vollendung, sondern steigende Vervollkommnung.  Dann freilich würde er in Wahrheit unser moralisches Urbild sein - ein Urbild, das wir unmittelbar nachahmen könnten, statt - durch eine unüberwindliche Kluft von ihm getrennt zu sein. Denn sein Anspruch an uns bestände einfach darin, daß wir in unserer Sphäre tun, was er in der seinigen tut, d. h. uns in relativer Weise überwinden, wie er sich in absoluter überwindet. Aber dann wäre Gott eben jene wirkliche organische Persönlichkeit, gegen welche der Theismus protestiert; denn Selbstbeherrschung setzt einen Gegensatz im  Innern  voraus, der zu beherrschen ist. Mit jener Antwort verwirft also der Theismus, ohne es zu wollen, seinen eigenen Gottesbegriff. Er konstatiert damit, daß Gott moralisch entweder  gar nicht  oder  anders  zu denken ist, als jenes in sich unbewegliche Wesen, welches  er  Gott nennt.

Die moralischen Folgerungen, welche die Menschen je nach ihrem Naturell aus dem geschilderten Kontrast zwischen den Ansprüchen Gottes und der menschlichen Unvollkommenheit ziehen, sind kaum weniger gefährlich, als die des Pantheismus. Sie stellen sich praktisch in zwei sehr verschiedenen - jede in ihrer Art höchst einflußreichen Verirrungen dar.

Die erste Verirrung entsteht dadurch, daß der Mensch aufgrund des verletzten Billigkeitsgefühls nicht bloß gegen das  Übermaß  der an ihn gestellten moralischen Anforderung, sondern gegen die Anforderung selbst reagiert. Die schlechten Naturen tun das, wenn sie einigermaßen  kühn  sind, offen und geradezu. "Da ich, sagt sich diese Klasse, von Haus aus reizbar, habsüchtig und wollüstig geschaffen bin, wohlan, so mag der Schöpfer selbst die Verantwortung für sein Geschöpf übernehmen; ich brauche die Triebe, womit er mich ohne mein Zutun ausgestattet hat;" sie gelangt also praktisch eben dahin, wohin der Atheist gelangt.

Die unentschiedenen, in sich geteilten Naturen tun das Nämlich auf einem Umweg. Sie sagen sich - und diese Anschauung ist in den Mittelklassen aller Konfessionen nur zu verbreitet: "Ich gebe die Notwendigkeit, das Unrecht zu meiden, zu, weil mein Gewissen mich zum  Rechten  drängt. "Wenn ich aber trotz meines guten Willens von Zeit zu Zeit Unrecht tue, so kann es die Absicht des Schöpfers, der mich geschaffen hat, nicht sein, mich dafür ewig zu strafen. Ist er gerecht und gütig, so kann er nur die beständige Verbesserung, nicht die Verschlimmerung meiner Lage wollen. - Eine ewige Hölle ist ein Unding. Gibt es überhaupt ein anderes Leben, so ist es der Himmel, dem ich entgegengehe, und ob ich dazu auf ein paar Stufen mehr oder weniger, durch ein kürzeres oder längeres Fegfeuer komme, gilt mir gleich. - Mag ich also immerhin zuweilen sündigen: wenn ich mich nur einigermaßen zusammenhalte und nicht absichtlich schlechter mache, als ich bin, wird es nicht gefehlt sein."

Die  Strafe,  wie sie der Theismus verkündigt, widerstrebt dem Billigkeitsgefühl; der  Lohn  schmeichelt der Eitelkeit; der Mensch adoptiert also von der ganzen Religion nur den letzteren. Er gebraucht sie als ein Pflaster, das ihm auf die bequemste Weise seine Gewissensbisse beschwichtigt, und läßt sich von ihr die ewige Fortdauer eines sinnlichen Glückes gutschreiben, auf das er gerade verzichten muß, wenn er sich wahrhaft gewinnen will.

Die Gläubigen dieser Klasse, sowie diejenigen, welche lediglich durch die Furcht der Hölle regiert werden, sind, wie man sieht, die moralischen Materialisten innerhalb des Theismus, wie die vulgären Atheisten die Materialisten des Pantheismus sind. Es ist klar, daß der Mann von Ehre, der einfach aber ernstlich der Stimme des Gewissens und dem Trieb der Selbstvervollkommnung folgt, wenn er auch sonst an allem zweifelt, moralisch ohne Vergleich weiter kommen wird, als diese Gläubigen mit ihrem Glauben kommen. (2)

Die zweite Verirrung ist das Gegenteil der ersten, obwohl sie, wie diese, aus dem vom Theismus behaupteten moralischen Mißverhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf entspringt. Ein großer Teil gerade der religiösen Naturen sagt sich nämlich:
    "Wenn der Ursprung des Bösen, in das ich in unbegreiflicherweise gebannt bin, in der Endlichkeit liegt, so bleibt mir nur  Eins:  mich der Endlichkeit so vollkommen als möglich entäußern. Fort also mit dem Fleisch, mit der Natur, mit der Welt; nur die Flucht aus der Welt kann mich retten."
Jedermann weiß, welche Verheerungen diese Ansicht unter den Katholiken als krankhaftes  Mönchtum,  unter den Protestanten als "Pietismus" angerichtet hat und noch anrichtet. Es sind die Spiritualisten des Theismus, die auf dem andern Weg zu dem nämlichen Resultat kommen, wie innerhalb des Pantheismus die Buddhisten:  zur Ertötung der Natur. 

Allerdings geht jede Religion schon als solche von der Überzeugung aus, daß wir auf dieser Erde Gäste sind, d. h. daß dieses Leben nicht Alleinzweck, sondern zugleich Durchgangspunkt zu einem höheren ist. Es ist jedoch ein großer Unterschied, ob ich mir die Zeitlichkeit dieses Lebens als einen Teil der Ewigkeit, oder mit dem Theismus als das  Gegenteil  der Ewigkeit denke; ob sie mir als Quelle des Übels nur gilt, sofern sie mir durch meine Schuld zum Übel werden  kann,  oder ob sie mir so gilt,  weil sie ansich von Übel ist. 

Im ersten Fall hat das zeitliche Leben einen hohen Zweck in sich selbst. Was ich hier tue, ist ein Stück Ewigkeit und das wahre Leben besteht gerade darin, das Zeitliche als Ewiges auszuwirken. Im zweiten Fall ist das zeitliche Leben nur eine Strafe, ein "Kerker" - ein "Jammertal": -

Die letzte Anschauung  vernichtet  das zeitliche Leben; die erstere  läutert  es nur. Wir dürfen uns daher nicht wundern, daß ein Mann wie LESSING, der vom lebendigsten Gefühl des Theismus durchdrungen war, gleichwohl geradezu den Wunsch aussprach, die Menschen möchten sich nicht mehr um das Jenseits, sondern um das Diesseits bekümmern; daß ein Dichter wie GOETHE, der selbst an die Unsterblichkeit glaubte, seinen Faust mit den Worten enden läßt:
    Tor, wer dorthin die Augen blinzend richtet,
    Sich über Wolken seines Gleichen dichtet;
    Er stehe fest und sehe hier sich um,
    Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm;
daß endlich tausend Talente der Literatru sich der griechischen Anschauung zuwendet haben, weil sie das "Fleisch" in seinem Recht anerkennt. Wenn das Fleisch ansich böse ist, so ist es um Kunst und Wissenschaft, um geselligen und materiellen Fortschritt, um alles, was das Leben als solches des Lebens wert macht, geschehen. Selbst die FEUERBACHsche Anschauung hat, sofern sie im Gegensatz dazu den Menschen antreibet, durch allseitigen Gebrauch seiner Kräfte  auf sich stehen zu lernen,  ein tiefbegründetes Recht. Wenn Gott, rein zeitlos, uns in die Zeit, als das Gegenteil seines und unseres wahren Wesens, nur zur Probe hineingestellt hat, so ist die Entwicklung unserer zeitlichen Kräfte unnütz und selbst gefährlich. Wir sind dann einfach auf die Rückkehr zu ihm angewiesen und haben sie nach Kräften zu erstreben. Ist dagegen die Zeitlichkeit selbst ein Moment der Ewigkeit und muß als solcher erfaßt werden, dann heißt es seine Kräfte brauchen, mündig werden, sich selbst leiten und helfen, statt sich bloß vom Himmel helfen zu lassen.

FEUERBACH ist absurd, wenn er behauptet, der Glaube an das Jenseits mache den Gebrauch des Diesseits unmöglich; er würde aber Recht gehabt haben, diese Wirkung dem Glauben an die  radikale Verdorbenheit des Diesseits  zuzuschreiben, weil derselbe das diesseitige Leben als Selbstzweck aufhebt. (3)

Der wissenschaftliche Theismus hat diese aus seinem System hervorragende Verirrung niemals anerkannt; wie denn das Christentum selbst, wenigsten das  katholische,  den Satz, daß die Materie ansich sündig sei, jederzeit als ketzerisch verpönt hat.

Sie geht auch in der Tat nicht  notwendig  aus seinem System hervor, so wenig, als aus dem pantheistischen notwendig die Immoralität hervorgeht. Aber er kann sie auch nicht mit logischer Notwendigkeit  abschneiden,  so wenig als das Letztere die Immoralität; weil er außerstand ist, das Böse im Prinzip zu erklären.


2. Der Teufelsglaube

Das moralische Bedürfnis des Menschen, dieser Frage auf den Grund zu kommen, ist indessen so tief, daß er, wenn man ihm  eine  Erklärung abschneidet, sofort eine andere sucht. Wenn die Endlichkeit das Werk eines vollkommenen und nur Vollkommenes schaffenden Gottes ist, so kann das Böse freilich nicht in der Endlichkeit liegen. Wenn es aber nicht in ihr liegt, so muß es einen außerendlichen, vorweltlichen Ursprung haben. Unvermögend, in Gott selbst diesen Ursprung zu finden, d. h. in Gott selbst einen Gegensatz zu denken, der das Böse innerhalb der Schöpfung erklären würde, ohne Gott selbst böse zu machen, stellt daher der Mensch das Böse dem Schöpfer als ein  eigenes  und wie er selbst  vorweltliches Wesen  gegenüber. Wir stehen hier vor einer neuen Verirrung, der folgenschwersten von allen - vor dem Glauben an den Teufel als Reale, von Gott mehr oder minder unabhängige, Person.

Bekanntlich ist die altpersische Religion, welche, in der Mitte zwischen dem theistischen und dem pantheistischen Völkergebiet entstanden, auf beide Gebiete einen großen mittelbaren Einfluß ausgeübt hat, die einzige gewesen, die diesen Glauben zum förmlichen System erhob, indem sie den guten Gott, ORMUZ, und den bösen Gott AHRIMAN, als zwei ebenbürtige Wesen einander gegenüberstellte. Aber auch in den drei großen theistischen Religionen stehen sich Gott und Teufel, obwohl in anderer Form, doch dem Wesen nach als zwei Prinzipien, wie ORMUZ und AHRIMAN entgegen. Der Teufel ist für den Juden, Christen und Mohammedaner freilich nur ein Geschöpf, aber es ist das  erstgeschaffene  und vornehmste aller Geschöpfe, eine ungeheure, vor aller Schöpfung gewesene Macht, welcher Gott aus unbekannten Gründen von Anfang an die Hälfte seiner Weltherrschaft abgetreten hat.

Der aufgeklärte Theist sieht mit Verachtung auf den Vorschub herab, welchen die Orthodoxie innerhalb aller theistischen Religionen dieser populären Vorstellung leistet. Er vergiß, daß der Teufelsglaube nichts ist, als der notgedrungene, plastische Versuch des menschlichen Gemüts, sich ein Rätsel zu erklären, über welches weder Wissenschaft, noch Kirche Aufschluß geben. Der Mensch ist, wenn ihm ein Rätsel vorliegt, von Natur eher geneigt, nach einer falschen Lösung zu greifen, als sich beim Mangel jeder Lösung zu beruhigen. Die Orthodoxie handelt daher in ihrer Weise immer noch naturgemäßer, als der gewöhnliche Rationalismus, der das Rätsel einfach ignoriert. (4)

Die moralischen Gefahren, welche die falsche Ablösung im vorliegenden Fall mit sich bringt, sind jedoch so einleuchtend, daß sie keiner Zergliederung bedürfen. Jedermann kennt aus der Geschichte die furchtbaren Wirkungen des konsequenten Teufelsglaubens. Gegenwärtig ist dieser Glaube in seinen Auswüchsen gemildert, aber keineswegs "überwunden"; im Gegenteil der "aufgeklärte" Theismus, sofern er das Volk durch Zersetzung seiner religiösen Begriffe unwillkürlich zum Aberglauben treibt, und die populäre Orthodoxie, indem sie im Kampf gegen die Aufklärung die Existenz des Teufels immer aufs Neue betont, ja vom Glauben daran den Gottglauben selbst abhängig macht, haben sich gewissermaßen vereinigt, den Teufelsglauben lebendig zu erhalten. Wenn man ihn heutzutage für unschädlich hält, weil keine Hexen mehr verbrannt werden: so genügt es wohl, ganz abgesehen vom gemeinen Volk, darauf hinzuweisen, daß hochgebildete Parteiführer der ultramontan-katholischen und der zelotisch-protestantischen Richtung sich nicht scheuen,  ihre  Sache als die Sache  Gottes,  die  gegnerische  Sache als die des  Teufels  zu proklamieren, und nach diesem Maßstab ihre Gegener zu  behandeln.  -


3. Verhältnis Gottes zur Natur

Nach dem wissenschaftlichen Theismus hat Gott nur ein  scheinbares,  die Natur  gar kein  Leben. Die Vorstellungen, welche er über Gott und Natur verbreitet, stehen mit dem Bedürfnis des menschlichen Gemüts in einem Widerspruch, dessen Schroffheit nur dadurch verdeckt wird, daß die Menschen, dem Zug des Gemüts folgend, sich Gott und Natur unwillkürlich  anders  vorstellen, als der Theismus es ihnen lehrt.

Niemand, der von Herzen an Gott glaubt, wird sich Gott jemals so vorstellen, wie der wissenschaftliche Theismus ihn haben will. Freilich soll Gott, auch nach dem letzteren, das  "ewige Leben"  sein. Was ist aber das Leben? Eine Entwicklung, ein Wechsel von Ruhe und Bewegung, eine Reibung von Gegensätzen, ein forwährender und doch jeden Augenblick sich wandelnder Fluß. Das Leben des theistischen Gottes dagegen schließt alle Zeit und allen Wandel aus; beständig in sich gleich, in wechselnder Monotonie durch die unabsehliche Ewigkeit verharrend, ist es das gerade Gegenteil dessen, was wir als Leben empfinden. Der wissenschaftliche Theismus weist den alttestamentlichen Gott zurück, weil dieser Gott wirklich lebt, sich wirklich regt und bewegt, ja sich trotz seiner Heiligkeit untersteht, selbst seine Affekte und Launen zu haben. Was tut dann aber der theistische Gott, und wer ist er eigentlich? Ein Geist, der in abgeschlossener Vollkommenheit sich selbst genügt, der mit sich selbst nichts zu tun hat, der sich nicht einmal seiner selbst zu freuen vermag, weil er keinen Fortschritt machen kann; der in sich keine Zeit und also auch keinerlei Veränderung hat, der deshalb, wie um sich zu zerstreuen, Welten schafft und Welten zerstört, gute und schlechte Kreaturen hervorruft und sie straft und belohnt, ohne aber für ihr Leben irgendeine Analogie und somit auch für Lohn und Strafe irgendeinen inneren Maßstab in sich zu haben: ein solcher Gott ist ein dem gesunden Gefühl unfühlbares Wesen. LESSING hatte den Mut, diesem Gefühl das rechte Wort zu geben, indem er sagte, die Vorstellung eines ewig seligen persönlichen Gottes errege ihm nur die Vorstellung einer  "unerträglichen Langeweile".  Ein Gott, der nichts von dem in sich trägt, was unser Herz und unsere Sinne bewegt, was uns in Spannung versetzt, uns mit  einem  Wort  leben  macht, und der gleichwohl das höchste Leben sein soll, ist ein leerer Begriff, ein Schatten, ein Popanz, aber nicht, was die echte Religion zu allen Zeiten von ihrem Gott gewollt hat: ein  "lebendiger"  Gott.

Noch dürftiger als der theistische Gott, ist die theistische  Natur.  So wenig der Theist sich geistig Rechenschaft zu geben weiß über Bedeutung und Zweck der unorganischen Materie, so wenig weiß er moralisch mit ihr zurechtzukommen. Gott ist in diesem System  außerhalb  der Natur. Wohl ist er "allgegenwärtig", d. h. er vermag sich auf eine unbegreifliche Weise in das Wasser und in den Stein zu versetzen, wie er sich zuweilen in uns versetzt. Aber wie seine Gegenwart in uns doch nur eine  figürliche,  nicht eine  wirkliche  ist - denn wir sind Wesen außer ihm -: so ist sie auch im Wasser und im Stein keine wirkliche, denn auch sie sind ja Wesen außer ihm, nur leblose Wesen. Wie also die organische Welt trotz der göttlichen Allgegenwart ein  selbständiges  Leben in sich hat,  so ist die unorganische Welt trotz ihr in sich öde und tot.  Dieser allgegenwärtige Gott ist überall, aber in Wahrheit ist er gerade deshalb nirgends; er kommt und verschwindet, gleich einem Theatergott, wie man es haben will,  ansich  aber ist er weit hinten in unendlicher, unerreichbarer Ferne, an einem Ort, der kein Ort ist. Was hat also die Natur von ihm und in welchem ihrer Gebiete soll ich ihn finden? WIll ich ihn im Sinne der populären Religion im Himmel suchen, so sagt mir der Theismus, daß der Himmel aus unzähligen Weltkörpern besteht, und daß es lächerlich ist, den unsichtbaren Gott, der außerhalb aller Räume thront, in diesen Körpern zu suchen. Wie ganz anders lebte die Natur und mit ihr Gott selbst den alten Heiden, wenn sie in der Sonne das allsehende Auge Gottes anbeteten, im Donner und Sturm seine Stimme vernahmen, in der Erde seine zeugende Kraft; in den neptunischen und vulkanischen Erscheinungen die Regungen seiner Glieder anstaunten! Wundere man sich nicht, daß unsere größten Dichter, in einem nicht bloß rhetorischen, sondern tieferen Sinne, immer wieder auf die Götter Griechenlands zurückkamen.  Der Theismus macht die Natur leblos und gottverlassen; das menschliche Gemüt will sie gottbeseelt und gotterfüllt.  Ein Instinkt, der so alt ist als die Menschheit, sagt dem Menschen, wenn er den Aufruhr der irdischen Elemente sieht oder den Blick auf den gestirnten Himmel wirft, daß in diesem Spiel der Elemente ein unerschaffener Geist weht, daß in diesen Sternen und durch sie das ewige Schicksal waltet, welches auch sein Schicksal bestimmt. Daher kommt es, daß unter allen monotheistischen Völkern neben dem Theismus unvertilgbar die Magie einhergeht, von der Alchemie bis zur Astrologie, - das heißt die Bemühung, den in der unorganischen Materie von den Metallen bis zu den Weltkörpern schlummernd gedachten Geist stückweise zu erkennen und zu wecken. Der Theismus selbst hat diese Verirrung befördert, indem er, in seinen orthdoxen Vertretern, die Gottverlassenheit der Natur aus dem Fall des Menschengeschlechts abgeleitet und damit dem Urheber des Falls, dem Teufel, das Feld eingeräumt hat, in welchem der lebendige Gott wohnen sollte. Wenn schroffe Felsen ihre öden Zacken emporstrecken, wenn unfruchtbare Moore, brennende Wüsten oder kahle Eisfelder uns entgegenstarren, wenn die Stürme brausen, Vulkane toben und Gewässer wüten, so ist dies dem Orthodoxen die "seufzende Natur", die der Erlösung vom dämonischen Prinzip harrt, wodurch sie seit dem Fall vergiftet worden ist.

Im System des Theismus ist die Natur für das Gemüt eine leere Tafel, welche der Aberglaube mit furchtbaren Mysterien beschreibt. Sein Gott aber ist nicht der Gott des MOSES, der in der Saphirbläue des Himmels am Menschen vorübergeht, im Gewitter und Erdbeben zu ihm spricht, als Feuer- und Wolkensäule vor ihm herwandelt und als Geist auf dem Wasser schwebt; nicht der Gott JESU CHRISTI mit seinem großen Haus, dem Himmel, in dem uns Wohnungen bereitet sind; nicht der Gott des Apostels PAULUS, "in dem wir leben, weben und sind"; - es ist ein kahler, kalter, abstrakter Gott, wie ihn SCHILLER in den "Göttern Griechenlands" geschildert hat. Wenn der Pantheist in allem, was die eigene Persönlichkeit angeht, sich traurig und gottverlassen fühlen muß, so ist er dagegen, was das Universum außer ihm betrifft, von einem Gottesgefühl erfüllt, welches der  biblischen  Religion ohne Vergleich näher steht, als der Theismus; und es wird wohl wenige Theisten von lebhaftem Natursinn geben, die, den großen elementaren Phänomenen gegenüber, nicht schon einmal, ohne es zu wollen, pantheistische empfunden haben.


4. Verhältnis Gottes zur Freiheit.
Vorausbestimmung

Der Theist ist stolz darauf, die  persönliche Freiheit  zu gewährleisten, welche der Pantheismus theoretisch aufhebt. Ist denn aber dieser Vorzug so ganz gewiß?

Wenn Gott, wie ihn der Theismus auffaßt, ein in jeder Beziehung absolutes Wesen ist, so ist auch seine Einwirkung auf uns, seine Vorsetzung, seine Vorausbestimmung eine absolute. Mit einer solchen Vorausbestimmung sinkt die geschöpfliche Willensfreiheit zum  Schein  herab. Viele Theologen selbst haben ehrlich gestanden, nicht abzusehen, wie mit der absoluten Allwissenheit eines allmächtigen Gottes, dessen Denken entweder Schaffen oder Erhalten (d. h. Einwirken auf die Geschöpfe) ist, der freie Wille des Geschöpfs vereinbar sei.

Persönlichkeit, so weit wir sie vom Menschen aus kennen, ist Verbindung von Notwendigkeit und Freiheit.

Betrachten wir unsere Organisationen, so finden wir zunächst eine von vornherein gegebene Anlage und sodann die Geistes- oder Willensfreiheit, vermöge deren wir diese Anlage ausbilden oder brach liegen lassen, so oder so entwickeln können; wir haben also unsere individuelle Anlage als "Notwendigkeit" und das, was wir kraft eigener Anstrengung daraus machen können, als "Freiheit".

Betrachten wir ferner unser Leben, so finden wir, daß wir einerseits von der Natur, von der lebendigen Mitwelt und von Ereignissen und Zufällen bestimmt werden, andererseits uns selbst bestimmen, indem wir diesen Einwirkungen gegenüber das eine oder andere Verfahren einschlagen. Unser ganzes Leben wie unser ganzer Organismus ist demnach aus Notwendigkeit und Freiheit zusammengesetzt. Wir werden zum einen Teil durch Gesetze der Natur sowohl in uns als außer uns bestimmt, welche ohne unser Zutun vorhanden sind, zum andern sind wir fähig, uns innerhalb der Grenzen dieser Gesetze selbst zu bestimmen.

In Gott kann nach dem Theismus kein derartiger Gegensatz sein. Er hat keine Voraussetzung in sich, an die er ohne sein Zutun geknüpft wäre, und gegen welche er sich so oder so verhalten könnte. Er ist schlechthin sich selbst gleich und wandellos. Seine Selbstbestimmung ist also  absolut,  sein Ratschluß  unabänderlich.  Er ist, wie man es eben will, bloß Freiheit oder bloß Notwendigkeit. Ist er bloß Freiheit, d. h. absolute, durch keine innere Voraussetzung gebundene Allmacht, so kann neben einer solchen unendlichen Willkür keine endliche Freiheit bestehen. Die Vorsehung ist alsdann ein Despotenregiment und wir selber nichts weiter als "Ton in des Töpfers Hand". Ist er bloß Notwendigkeit und geschieht alles, was geschieht, kraft dieser Notwendigkeit, so ist es umsonst, daran etwas ändern zu wollen; was wir auch immer tun, ist in ihr voraus begriffen, von Freiheit kann also keine Rede sein.

Die Freiheit des Geschöpfes könnte also neben Gott bloß in dem Fall gedacht werden, wenn Gott wie das Geschöpf selbst aus Notwendigkeit und Freiheit gemischt und dadurch befähigt wäre, wie eine wirkliche Person seine Entschlüsse zu ändern, sich erbitten,  auf sich einwirken zu lassen.  Die absolute Notwendigkeit sowohl als die absolute Freiheit schließen jede Einwirkung des Geschöpfs aus, jene, weil sie unabänderlich, diese, weil sie in sich gesetzlos und mit dem Zufall identisch ist. Wäre Gott dagegen wie der Mensch  relativer  Entschlüsse und Handlungen fähig, sei es, daß seine Freiheit durch eine notwendige innere Voraussetzung geregelt oder seine Naturnotwendigkeit durch die Befähigung, so oder so über seine Natur zu disponieren, modifiziert gedacht würde: dann wäre auch eine Einwirkung auf ihn und damit eine mehr als scheinbare Freiheit der Geschöpfe möglich. Dann müßte aber Gott ein ganz anderer sein, als er nach theistischer Vorstellung ist.

Infolge dieses Mangels sehen wir in der theistischen Kirchengeschichte seit Jahrtausenden neben der Scheidung zwischen göttlicher und geschöpflicher Persönlichkeit den krassesten Fatalismus als Prädestinationsglauben (5) einhergehen; wie wir umgekehrt auf pantheistischem Gebiet neben dem aus der Vermischung von Schöpfer und Geschöpf entspringenden Fatalismus die zügelloseste Betätigung der persönlichen Freiheit erlebt haben. Die praktischen Folgen auch dieser Verirrung sind bekannt genug. Der theistische Fatalismus hat in der englischen Revolution seine Orgien gefeiert, wie die atheistische Zügellosigkeit die ihrigen in der französischen Revolution. Und wie unendlich schwer ist es nicht der Kirche seit Jahrhunderten geworden, zwischen der menschlichen Freiheit und der göttlichen Vorherbestimmung in den dogmatischen Formeln eine anständige Mitte zu bewahren, ohne daß es ihr gelungen wäre, zu voller innerer Beruhigung über diese Frage zu gelangen!


5. Der moralische Beweis für das Dasein Gottes.
Die Macht der Natur.

Der moderne Theismus hat, nach Zerstörung aller logischen Beweise, noch einen gemütlichen Beweis gegen den Pantheismus bereit, den er unwiderleglich glaubt. Es ist der sogenannte  "moralische Beweis für das Dasein Gottes",  den wir in der üblichen Kantischen Fassung hier anführen wollen. "Der Menschen ist ein sittliches Wesen, und aus seiner sittlichen Natur geht die Idee des höchsten Gutes, d. h. einer ins Unendliche fortschreitenden  Vervollkommnung  und einer endlichen  Übereinstimmung  zwischen Tugend und Glück hervor. Er kann diese Idee nicht aufgeben, ohne seine sittliche Persönlichkeit aufzugeben; er muß, um einig mit sich selbst zu sein, das Wirklichwerden des höchsten Gutes erwarten. In der Welt, die ihn umgibt, unterliegt alles der  Zerstörung und die Natur teilt das Glück  nicht nach dem Maßstab der Würdigkeit  aus. Um daher die Verwirklichung des höchsten Gutes zu erwarten, ist der Mensch genötigt, das Dasein einer  von der Natur verschiedenen Ursache der Natur  anzunehmen, welche den Grund der Erhaltung seines Wesens und eine dereinstige Übereinstimmung zwischen Tugend und Glück in sich schließt. Diese oberste Ursache der Natur muß so geartet sein, daß sie sich das Sittengesetz vorstellen und dieser Vorstellung gemäß wirken kann, d. h. sie muß intelligentes und wollendes Wesen, oder, mit anderen Worten, lebendiger Geist, persönlicher Gott sein."

Fassen wir, um diesen Beweis zu würdigen, die moralischen Tatsachen ins Auge, so zeigt sich, daß derselbe aus zwei entgegengesetzten Erfahrungen zusammengesetzt ist, die er mittels einer nicht beweisenden, sondern lediglichen vermutenden Schlußfolgerung auszugleichen strebt.

Die erste dieser Erfahrungen ist das auf der Welt herrschende Mißverhältnis zwischen der inneren Würdigkeit und dem äußeren Schicksal. Unendlich mehr als auf alle philosophischen Zweifel stützt sich die Gottlosigkeit auf den unbestreitbaren Satz, daß in tausend Fällen der Gerechte leidet, während der Ungerechte gedeiht; daß unverschuldetes Unglück Individuen, Familien, ja Nationen getroffen hat und noch trifft - ein Unglück, dessen ganz Größe nur mit dem Wort "gottverlassen" bezeichnet werden kann -, während umgekehrt oft ein blindes Glück, in der Geschichte wie im Privatleben, die Unternehmungen der Bösen krönt. Wider alles Recht sind Völker unterdrückt worden und glorreich untergegangen, die auf Gott gehofft hatten: - Gott hat sich nicht gerührt. Und dieses unverschuldete Leiden, dieses unverdiente Gedeihen ist keineswegs bloß aus der Verderbtheit der Menschen und der menschlichen Einrichtungen zu erklären, als wäre es etwa nur die unvermeidliche Folge der, von Gott geduldeten, freien Selbstentwicklung; die Natur selbst, die Allmacht selbst ist seine Urheberin, wenn sie schon von Geburt an dem Einen ohne Schuld die Qual eines gebrechlichen, dem Andern ohne Verdienst die Gesundheit eines kräftigen Körpers mitteilt; wenn sie den Lebensweg des Edlen mit widrigen Fügungen durchkreuzt, den des Schurken mit ebensoviel günstigen fördert; wenn sie durch blinde Zufälle über den Ausgang von Schlachten und das daran geknüpfte Schicksal der Nationen entscheidet; wenn sie, ohne Wahl zwischen Schuld und Unschuld, gegen ganze Geschlechter mit Wasser, Feuer, Erdbeben, Mißwachs oder Krankheiten wütet. - Wir stehen wir vor der Quelle des Atheismus. Die moralische Unbegreiflichkeit solcher Vorgänge ist es, welche heute noch wie von jeher verursacht, daß, nach dem alten Wort des Psalmisten, "die Thoren in ihrem Herzen sprechen:  es ist kein Gott". 

Dieser traurigen Erfahrung stehen jedoch andere, noch lebendigere Eindrücke entgegen. Es ist dem Menschen, wenn er sich näher prüft, unmöglich, sich bei jenem Mißverhältnis zu beruhigen. Könnte er auch für sein persönliches Bedürfnis auf jede Ausgleichung verzichten, so kann er doch die Welt niemals so anschauen, wie sie demzufolge gestaltet sein müßte: als ein Chaos ohne Gesetz, Regel und Harmonie, in dem nur der  Zufall  haust. Außer uns nichts als der blinde, taube, fühllose Zufall, und das ganze Universum die Beute dieses Zufalls - dies ist ein Gedanke, bei dem der Mensch nicht stehen bleiben kann, schon deshalb nicht kann, weil er in sich selbst das Gesetz des Geistes fühlt und sich den Besitz des Geistes nicht erklären kann, wenn derselbe Geist nicht auch im Weltall außer ihm waltet. Alle Menschen, welche sich nicht selbst sittlich aufgegeben haben, gehen daher über den platten Atheismus hinaus. Der Pantheist betrachtet, wie wir schon gesehen haben, als die Seele des Universums nicht den Zufall, sondern den allwaltenden, mit mathematischer Folgerichtigkeit und fester Gerechtigkeit fortschreitenden Geist, - die Entwicklung der Weltseele. Er so gut als der Theist glaubt an eine kommende Ausgleichung jenes Mißverhältnisses zwischen Tugend und Glück; die Weltgeschichte selbst ist ihm das Weltgericht, sei es, daß er eine in den verschiedenen Weltphasen endlos wiederkehrende Verkörperung und Vervollkommnung der Individuen, sei es, daß er die endliche selige Auflösung aller Individuen in Gott annimmt; in beiden Fällen ist eine Ausgleichung gedacht, gegen welche die vorübergehenden irdischen Leiden nicht in Betracht kommen. Die Mehrzahl der Menschen begnügt sich jedoch damit nicht; sie wird durch einen unmittelbaren Gemütseindruck über die pantheistische Vorstellung einer instinktiv waltenden Weltseele hinausgetrieben. Es gibt wenige Menschen, die nicht irgendeinmal in ihrem Leben den Eindruck gewinnen: "hier hat die Vorsehung eingegrinffe", d. h. "hier hat eine Macht über Dir gewaltet, welche nach ihrem Belieben im Zufall als Schicksal wirkt; eine Macht, die nicht mit der bewußtlosen Gewalt des Instinkts oder mit der berechenbaren Gewalt der mathematischen Notwendigkeit, sondern mit der vorsorglich ordnenden und fühlenden Freiheit eines persönlichen Willens auftritt, eine Macht, welche offenbar Dein Bestes will, und Dir allein bietet, was der pantheistische Weltgesetzt niemals bieten kann: einen unendlichen Halt, ja einen Freund, an den Du Dich zu allen Zeiten wenden, mit dem Du in eine persönliche Wechselbeziehung treten kannst."

Hat der Mensch diesen Eindruck, der freilich ein rein gemütlicher ist, einmal geschöpft: so korrigiert er mittels desselben die oben geschilderte traurige Erfahrung. Er sagt sich, daß eine solche Vorsehung, wenn sie existiert, den Menschen durch ihre Führungen prüfen und läutern wird; daß, wenn trotzdem unerklärliche Führungen übrig bleiben. Alle Zweifel verstummen müssen gegenüber der Unberechenbarkeit eines die  ganze  Welt umfassenden und daher für endliche Wesen in seinem Zusammenhang unübersehbaren Willens; und daß zur Ausgleichung aller Leiden ein unendliches Feld eröffnet bleibt in der Zukunft, zu der uns jene Vorsehung notwendig bestimmt haben muß, da sie, nachdem sie uns einmal geschaffen hat, nur unsere Vervollkommnung, nicht unsere Vernichtung gewollt haben kann.

Hätte der moralische Beweis sich mit diesem Ergebnis begnügt, so würde er seinen Namen mit Recht tragen. Er würde immerhin nur ein moralischer sein, d. h. unfähig, die spekulativen Zweifel gegen das Dasein Gottes zu beseitigen; aber er wäre moralisch vollgültig. Denn in der Tat, auch der Pantheist nimmt, wenn er sich das Mißverhältnis zwischen Tugend und Glück erklären will, in seinem  Herzen  das nämliche Raisonnement vor, das wir so eben geschildert haben; er setzt sich, ohne es zu wissen, zu seiner Weltseele in ein Verhältnis von  Person zu Person  und findet gerade darin seine Beruhigung, obwohl, nach seiner  Logik,  die Weltseele gar nicht außer ihm existiert. Allein der moralische Beweis zieht aus jenem Ergebnis sofort einen Schluß, mit dem er das moralische Rätsel vollends aufzuschließen und zugleich dem Wesen Gottes näher zu treten glaubt, in Wahrheit aber das Gemüt nur aufs Neue verwirrt. "Da wir", so schließt er, "in der Welt einesteils die Spuren eines blinden, zerstörenden Ungefährs, andernteils die Spuren einer bewußten und liebenden Vorsehung sehen, und die ersteren nur einem allwissenden und allliebenden persönlichen Gott, die anderen nur der Natur zuschreiben können, welche über Gerechte und Ungerechte ohne Wahl hinwegschreitet: so können Gott und Natur nichts miteinander gemein haben; der erste muß reiner Geist, die zweite muß seelenlose Materie sein."

Der moralische Beweis glaubt also dem Gefühl genugzutun, wenn er die in der Welt sichtbare Gerechtigkeit dem außerweltlichen  Gott,  die in ihr auch sichtbare Ungerechtigkeit aber der mit der Welt verknüpften materiellen  Natur,  oder, wie die Strenggläubigen mit mehr Sinn sagen (indem sie der seelenlosen und somit jeder Verursachung unfähigen Materie wenigstens ein lebendiges Wesen zu unterschieben), dem in der Natur hausenden  Teufel  zuschiebt. Es ist unbegreiflich, wie sich das Gemüt mit dieser Ausflucht auch nur einen Augenblick beruhigen soll. Wenn ich von einem Blitzstrahl gelähmt werde, so gilt es mir gleich, ob Gott mich  selbst  gelähmt oder ob er der  Natur erlaubt  hat, mich zu lähmen;  er allein  ist in jedem Fall für mich der Urheber. Wie kann Gott, wenn er gerecht und gütig ist, andere Wesen, die er geschaffen hat, die Natur oder den Teufel, auf eine Weise walten lassen, die gegen Gerechtigkeit und Güte verstößt? Wie kann er, wenn er nicht selbst ein Tyrann ist, uns andere Mächte als Tyrannen hinsetzen, die unser Leben vergiften? Wenn das Gemüt zu Gott Vertrauen fassen soll, so muß es einen zureichenden Grund dieser Vorgänge  in  Gott selbst finden; es muß sich Gott selbst als Urheber denken können,  ohne an ihm irre zu werden. 

Aber nicht genug, daß der moralische Beweis auf diese Weise das Rätsel, das er lösen will, nur umgeht und zugleich (freilich gegen die Absicht des Rationalismus, der sich doch dieses Beweises am häufigsten bedient) der pietistischen Anschauung von der Natur als Quelle allen Übels den höchsten Vorschub leistet; er entzieht auch, durch den willkürlichen und voreiligen Riß zwischen Gott und Natur, dem Gemüt den  einzigen  allgemeingültigen, den  einzigen  durch keine Zweifel zu erschütternden religiösen Anhaltspunkt. Religion ist Scheu vor einem Göttlichen, von dem wir uns abhängig fühlen, Verpflichtung gegen dieses Göttliche, Liebe dazu. Nun, welches ist die Macht, von der wir alle abhängen, in einem Grad abhängen, der uns täglich, ja stündlich fühlbar wird, die Macht, welche wir scheuen, der wir alle verpflichtet sind, der wir alle, wenn wir sie auch nicht lieben, wenigstens bewundernd gehorchen? Die Natur! Wer bringt uns hervor, wer nährt uns, wer kleidet uns, wer gibt uns alles, was wir sind und haben? Die Natur! Welches ist das allgemeine religiöse Band, das alle Geschlechter und Kulte des Menschengeschlechts - Weiße und Schwarze, Gebildete und Ungebildete, Christen, Mohammedaner und Heiden, Theisten, Pantheisten  und  Atheisten - vereinigt, wenn nicht die  Pietät gegen die Natur  - diese Urreligion, welche der erste Gottesdienst der Menschheit war, und welche der moderne Skeptizismus selbst, nach Wegwerfung aller überlieferten Vorstellungen, nicht umhin kann als notwendige Bedingung der Moral einzuschärfen? Der moderne Theismus freilich hat sich gewöhnt, auf die Naturkulte des Heidentums als eine unbegreifliche Verirrung des Geistes verachtend herabzusehen. Aber worin liegt denn eigentlich diese Verirrung? Was ist es denn, das uns christlich Gebildeten im Heidentum so weit ab liegt? Es ist dies, daß das Heidentum  einzelne Stücke  der Natur - die Sonne, das Feuer, die Erde, den Himmel usw. - anbetet, statt die Natur als Einheit zu erfassen; es ist die  mechanische Zerstückelung  der Natur, was wir zu verachten berechtigt sind,  nicht  aber ihre Vergöttlichung.

Denn gesetzt, ein Heide, der die Natur so kennte, wie wir sie jetzt kennen - als ein unermeßliches, trotz verschiedener dynamischer Elemente in sich Eines, in ewiger Bewegung beharrliches, in ewiger Wandlung mit sich selbst identisches Ganzes - würde diese Natur als seine Gottheit dem theistischen Gott gegenüberstellen: was kann ihm der Theist erwidern? Ist diese Natur nicht allmächtig, nicht allgegenwärtig? Erregt sie nicht in bösartigen Gemütern Furcht, in gutartigen Liebe, in beiden (und zwar im Theisten selbst, wie unter den Heiden) Bewunderung und Ehrfurcht bis zur Anbetung?

"Allein diese Natur", entgegnet der Theist, "steht ja zu uns in keinem Verhältnis; sie ist blind, taub und gefühllos; sie hat kein Leben, keine Seele in sich selbst." Wer ist jedoch unter den Theisten selbst, der, wenn er die Natur genau beobachtet, sie nicht voll Zweckmäßigkeit, voll Sorgfalt, selbst voll Güte findet? Spricht nicht der Christ, wie der Heide, unwillkürlich von der weisen, von der gerechten, von der liebenden Natur? Woher weiß der Theist, daß sie keine Seele in sich hat, während sein eigener Eindruck ihm das Gegenteil sagt? "Du behauptest," könnte ihm der Heide erwidern, "daß die Natur in keinem Verhältnis zu uns steht, weil Du Dich in kein Verhältnis zu ihr stellen  willst.  Ich aber, ich will es. Was soll mir Dein Gott, der hinter den Wolken steht, fern von Zeit und Raum, eine Person, wie ich, und doch keine Person, ein schlechtes Nachbild unserer erbärmlichen menschlichen Beschränktheit, - dieser fiktive, unfaßbare, in Nichts zerrinnende Geist? Ich halte mich an die Natur als das Endlich-Unendliche, das jeden Augenblick als allgegenwärtiger Gott mir nahe ist, als lebendiger Gott sich vor meinen Augen, Ohren und Händen entfaltet, als liebender Gott mich nährt und entwickelt, als gerechter Gott mich straft, wenn ich seinen Gesetzen zuwiderhandle, als allweiser Gott mich zum rechten Ziel führt, wenn ich seiner Stimme gehorche. Ich begnüge mich nicht, sie zu bewundern und zu lieben; ich bete sie an und verkehre mit ihr, denn wie sie im Sturm und im Säuseln, in der Pracht des Tages und in der Stille der Nacht, in jeder ihrer tausend Erscheinungen vernehmlich zu meinem Herzen spricht, so darf ich auch hoffen, daß sie mich ihrerseits empfindet, wenn ich zu ihr spreche." (6)

So regt der moralische Beweis, weit entfernt, den Theismus gemütlich festzustellen, bei näherer Zergliederung wieder die tiefsten Zweifel auf. Ist der Theismus im Recht, wenn er für seinen persönlichen Gott den unwiderleglichen Eindruck einer persönlichen Vorsehung geltend macht: so ist der Pantheismus im gleichen Recht, wenn er die Natur als den unmittelbarsten Quell der Religion, als die einzig reale göttliche Macht für das Gemüt festhält. Kann der Theist den pantheistischen Naturgott verspotten, der trotz seiner materiellen Unermeßlichkeit erst in der Menschennatur zum Bewußtsein kommt, und in dem sich also vor allem der Pantheist selbst verehrt, während er mit einem fremden Wesen zu verkehren glaubt: so darf auch der Pantheist über den theistischen Scheingott lächeln, in dessen zahllosen göttlichen Eigenschaften der Mensch das ideale Spiegelbild seiner eigenen beschränkten Persönlichkeit anbetet, ohne dasselbe nur entfernt zu wirklicher Wesenheit erheben zu können. -

Soviel ist gewiß: wenn das Problem des moralischen Beweises erklärt werden, wenn das Gemüt Gott als Urheber des in der Welt herrschenden Mißverhältnis erfassen soll, ohne an ihm irre zu werden, so kann dies nur durch die Vorstellung eines Gottes geschehen, der wie der biblische Gott geist- und leibhaftige Person zugleich, vollkommen und entwicklungsfähig (d. h. Wandlungen und Affekten ausgesetzt) zugleich ist. Ein solcher Gott könnte die Welt als Schauplatz von fruchtbaren Gegensätzen geschaffen haben, und in ihre Entwicklung wie ein Vater bald hemmend oder fördernd eingreifen, bald sie sich selbst überlassen, um sie seiner  eigenen  Entwicklung nachzuziehen. Er könnte nicht nur seinen Zorn gegen den Ungerechten besiegen, um durch Duldung des Unrechts neue und höhere Gestaltungen hervorzurufen, und seine Neigung gegen den Gerechten zurückdrängen, um ihn zu prüfen, sondern auch (wie es JEHOVA im Alten Testament tut) sich nicht scheuen, das Böse selbst zu beschließen und dazu anzureizen. Der Theismus ist jedoch unfähig, diesen rätselhaften biblischen Gott dem Gefühl, geschweige denn der Vernunft klar zu machen. Er unterschieb ihm vielmehr durch künstliche Erklärungen seinen eigenen Gott, der, weil er in sich selbst keine Wandlungsfähigkeit hat, mit den auf der Welt herrschenden Widersprüchen in keiner Art vereinbart werden kann. Noch weniger in keiner Art vereinbart werden kann. Noch weniger ist es der Pantheismus fähig, dessen Gott bei aller materiellen Wirklichkeit geistig jeder selbständigen Existenz entbehrt. -


VI. Die Wirkungen des spekulativen Zwiespalts
in Staat und Kirche

Wir sehen also, auf beiden Seiten sind tiefe Wahrheiten, auf beiden tiefe Irrtümer.
    Ohne den Grundgedanken des Pantheismus, daß Gott nicht außerhalb der Welt sein kann, gibt es keine logische Weltanschauung;

    ohne das Grundgefühl des Theismus, daß Gott außerhalb der Schöpfung existieren muß, wenn er für uns Gott sein soll, gibt es keinen Gott.

    Ohne die pantheistische Anschauung keine Natur;

    ohne die theistische keine freie und wirkliche Welt der Geschöpfe, keine objektive Norm des Guten, keine Bürgschaft der Unsterblichkeit. -
Die praktischen Folgen dieses Widerspruhs treten im gegenwärtigen Zustand der europäischen Gesellschaft sehr deutlich vor Augen.

Die Einheit des menschlichen Seins - die Harmonie zwischen Herz und Vernunft - ist seit einem Jahrhundert in einem Grad aufgehoben, von dem frühere Zeiten keine Ahnung hatten. Die tüchtigsten Menschen zersetzen, wie LESSING, mit ihrer Vernunft das Dasein des Gottes, den sie in ihrem Herzen verehren, oder verbreiten, wie FRIEDRICH der Große, theoretisch einen Unglauben, dessen praktische Wirkungen sie selbst bedauern. Die Verstandesmenschen und die Gemütsmenschen - die sich früher verständigen konnten, weil sie auf einer Grundlage, dem Gottglauben, standen - betrachten sich jetzt als geborene Gegner. Der Zweifler sieht mit Geringschätzung auf den Gläubigen, der Gläubige mit Schrecken auf den Zweifler hin. Das Zusammenwirken der verschiedenen Kräfte ist unmöglich geworden; die Gesellschaft hat kein gemeinsames Ziel, keine gemeinsame Losung mehr.

In notwendiger Folge davon ist auch der der ansich so naturgemäße und heilsame Gegensatz der sozialen Parteien - jener seit dem Beginn der Geschichte vorhandene und erst mit der Geschichte selbst endende Gegensatz zwischen Fortschritt und Erhaltung, Bewegung und Ruhe, Freiheit und Ordnung - in unserer Zeit auf eine eigentümliche Weise vergiftet worden.

Der Pantheismus, als Verfechter des menschlichen Triebes der freien Forschung hat sich mit dem  Fortschrit,  der Theismus, als Vertreter der überlieferten Religion und Sitte, mit der  Erhaltung  verwachsen. Diese nur mit dem spekulativen Rätsel selbst wieder zu lösende Verwachsung mit den politischen und konfessionellen Gegensätzen ist es, welche dem europäischen Parteikampf seine unerhörte Festigkeit und Gefahr verleiht.

Die Partei des Fortschritts betrachtet die Welt und somit vor allem die Menschheit (die Spitze der Welt) als  insich autonom,  d. h. als eine Welt, welche sich lediglich nach ihren eigenen, aus sich selbst zu schöpfenden Gesetzen zu bestimmen hat.
Die Partei der Erhaltung betrachtet die Welt als das Geschöpf des persönlichen Gottes, der sie regiert und dessen  von oben herab gegebene Regel  ihre eigene Richtschnur sein kann.

Die katholische Partei hält sich vor allen Dingen an die von oben gegebene Norm, an die  göttliche Autorität die protestantische Partei vertritt voraus die  subjektiv-menschliche Freiheit  der Prüfung. (7)
Man sollte glauben, daß der Theismus, indem er gegenüber der subjektiven Willkür der Individuen die Moral als göttlich gegründete objektive Regel festhält, dem Bedürfnis der menschlichen Natur und Gesellschaft zu sehr entspräche, um nicht praktisch mit dem Pantheismus fertig zu werden.
Allein der Theismus, der kirchliche wenigstens, begnügt sich nicht mit der bloß moralischen Anwendung seines Gottbegriffes. Beide Teilee, Theismus und Pantheismus, schließen von ihrer Weltansicht aus unmittelbar auf den  Staat  zurück, und die politischen Rückschlüsse des ersteren sind so geartet, daß sie ihn mit der heutigen Gesellschaft in geraden Widerspruch versetzen.

Der Pantheismus betrachtet den Staat wie die Welt als ein in sich souveränes, aus den Einzelexistenzen als seinen Teilen bestehendes Ganzes. In seinem Staat gibt es keine andere Autorität, als die Selbstbestimmung der Individuen, die den Staat bilden; kein anderes Gesetz, als das Gesetz der Majorität. Mag diese nun in bloß mechanischer Weise durch die Zahl, oder in organischer durch das Verhältnis von Ständen dargestellt werden, in jedem Fall kennt der Pantheismus kein anderes Recht, als das  menschliche. 

Der Theismus dagegen trägt seine Anschauung von Gott dem Herrn und der zu seinem Dienst geschaffenen Welt auf das Verhältnis von Obrigkeit und Untertan über. Wie der theistische Gott als fremder Urheber und Herr über und außerhalb der Welt steht, mit der er ansich nichts gemein hat und deren er in keiner Art bedarf, um sich selbst zu genügen: so steht nach theistischem Begriff die Obrigkeit im Staate dem Volk gegenüber; - nicht als der menschlich natürliche, mit der Souveränität des Volkes bekleidete Ausdruck des Volkes selbst, sondern als  von oben her verordnete; in sich selbst souverände Stellvertreterin Gottes.  Und wie in der theistischen Welt keine Freiheit besteht, als innerhalb der Grenzen des göttlichen Willens, so gibt es auch im theistischen Staat keine Freiheit, als innerhalb der gottverordneten Rechte der Obrigkeit.

Die Theisten finden, vermöge einer naheliegenden Parallele die vollkommenste Verkörperung ihres Systems in der  Monarchie;  die Pantheisten finden sie für das ihrige in der  Demokratie Beide Staatsideen sind in sich zahlloser Modifikationen fähig. Die pantheistische Staatsidee kann mittels der mechanischen Majorität zum äußersten Despotismus, die theistische vermöge treuer Beobachtung der für Obrigkeit und Untertanen gleich gültigen göttlichen Norm zu einem hohen Grad von Freiheit führen; die eine kann in der absolutesten Monarchie, die andere in der freiesten Republik verwirklicht werden. Aber die  Grund gedanken beider - die theistische Obrigkeit von  Gottes  Gnaden und die pantheistische Obrigkeit von  Menschen  Gnade, - das  göttliche  Recht und das  menschliche  Recht - sind nicht zu versöhnen, solange nicht Theismus und Pantheismus selber versöhnt sind. Und diese Grundgedanken sind es, welche auf der einen Seite den Pantheismus, trotz aller revolutionären Auswüchse, mit dem wirklichen Fortschritt der neuen Zeit, den Theismus mit den Mißbräuchen der alten Zeit verknüpfen. Denn die höchste Verwirklichung des theistischen Gedankens ist nicht die einfache, sondern die  theokratische  Monarchie, wie sie der okzidentalische und orientalische Theismus im Mittelalter aufgerichtet hatten. Die neue Zeit aber ist, was sie geworden ist, im Kampf gegen die Theokratie geworden. Der Staat hat sich zu seiner gegenwärtigen Selbständigkeit und Mündigkeit dadurch erhoben, daß er sich durch die Kraft des  menschlichen  Rechts von der Vormundschaft des  göttlichen  befreite; und er braucht dieses Mittel heute noch, wo die Kirche die Vormundschaft zu erneuern sucht.

Der Staat ist daher zwischen jenen beiden Grundgedanken  geteilt.  Er bedient sich des theistischen Grundgedankens zum Schutz der sozialen Ordnung, und zugleich des pantheistischen zur Aufrechterhaltung seiner Souveränität. Er steht mit der Partei der Autorität für seine Autorität, mit der Partei der Autonomie für seine Autonomie ein. Er geht mit dem Glauben, wenn der Unglaube die menschliche Ordnung, mit dem Unglauben, wenn der Glaube die menschliche Freiheit bedroht. Die beiden großen Parteien stehen sich daher in gleicher Stärke gegenüber; jede von beiden ist gleich tief nicht nur mit den Bedürfnissen und Leidenschaften der Individuen, sondern auch mit den Interessen der Staatsgewalt verkettet.

Was aber diesem Kampf seine höchste Bitterkeit gibt, ist, daß der kirchliche Theismus als die Quelle der gegnerischen Weltansicht den Teufel ins Spiel zieht. Der politische Parteigegensatz, in dem sich ursprünglich zwei gleichberechtigte, in den richtigen Schranken gleich wohltätige, in den Auswüchsen gleich verderbliche Grundrichtungen der menschlichen Natur ausdrücken, wird von den Theisten zum Gegensatz von "gut und böse", "Licht und Finsternis", "göttlichem und teuflischem Prinzip" gestempelt. Der Pantheismus rächt sich dafür seinerseits, indem er die Anhänger des "Rückschritts" als "Menschen, in denen das menschliche Selbstbewußtsein noch nicht durchgebrochen ist", als die verhältnismäßig "tierische Klasse der menschlichen Gattung" behandelt. So sieht der Theist in seinen Gegnern Bösewichter, die zur Schlechtigkeit entschlossen oder wenigstens verführt sind; der Pantheist in den seinigen Dummköpfe, die der Emanzipation entweder nicht fähig sind oder von ihm erst dazu geweckt werden müssen.

Die furchtbaren Erschütterungen, welche dieser Kampf zweier unversöhnlicher Parteien seit 1789 in Europa hervorgerufen hat, und die Unmöglichkeit, diese Erschütterungen durch äußere Mittel zu beseitigen, sind jedem Gebildeten bekannt. Selbst in den kurzen Zeiten, wo es uns vergönnt ist, zwischen den Ausbrüchen bald der Revolution, bald der Reaktion Ruhe zu schöpfen, werden wir unablässig an das Pochen des Gegensatzes gemahnt: so oft in diesen Pausen, wie es immer geschieht, der uralte Streit zwischen  Kirche  und  Staat  zutage tritt, Denn auch dieser Streit ist durch einen unlöslichen Zusammenhang mit dem Gegensatz der zwei Prinzipien verflochten.

Die Kirche beansprucht als erstes und unmittelbares Organ der Regel von oben den Rang vor dem Staat. Der Staat seinerseits kann diesen Anspruch, sooft er materiell geltend gemacht wird, materiell niederschlagen; aber er ist, solange nicht die spekulative Frage selbst gelöst ist, schlechterdins außerstande, mit demselben  moralisch endgültig abzuschließen,  ja überhapt  sein Verhältnis zum religiösen Bekenntnis festzusetzen.  Beide Punkte, wenn sie auch zeitweise in den Hintergrund treten, sind Existenzfragen der Gesellschaft.

Jedermann weiß, daß die Kirche, wiewohl sie auf die äußere Herrschaft über dne Staat temporär verzichtet hat, sich auch heute noch wie im Mittelalter als die  Seele  und den Staat als den  Körper  der Menschheit betrachtet. Es ist dem Staat heutzutage leicht, diese Anschauung, wo sie in praktischen Übergriffen zutage kommt, mit äußeren Mitteln zurückzuweisen. Es ist ihm auch leicht, der Kirche entgegenzuhalten, daß sie in ihrer Anschauung irrt, daß er so wenig bloß leiblich, als sie bloß geistig ist, daß sie vielmehr beide, nur jedes nach einer anderen Seite, die  ganze  Menschheit repräsentieren. Allein der Staat hat nur  einen  Weg, die Kirche von der Wahrheit dieser Antwort wirklich zu überzeugen. Wenn er der Geist der Menschheit ist, so muß er sich als solcher in der höchsten und dringendsten Frage des Geistes auch kundgeben. Das Selbstbewußtsein der Kirche wurzelt in der durch die Tatsachen bis jetzt bestätigten Überzeugung, daß sie  allein,  als Organ der Offenbarung, befähigt sei, den Gottglauben und mit ihm das moralische Fundament zu erhalten, auf dem der Staat selbst beruth. Wenn der Staat diese Überzeugung entwurzeln will, weil er seinerseits sich als Organ des mündig gewordenen und auf eigener Kraft ruhenden menschlichen Geistes fühlt: so zeige er sich als diesen Giest, indem er das Rätsel löst, welches der mündige Mensch, um Mensch zu sein, vor allem gelöst haben will: das Rätsel des Ursprungs, der gegenwärtigen Bedeutung und der zukünftigen Bestimmung der Welt. Dann, aber auch nur dann kann er der Kirche das  aufrichtige  Geständnis abnötigen, daß er ihr moralisch ebenbürtig und materiell übergeordnet ist. Solange das nicht geschieht, kann er ihr seine Überlegenheit physisch beweisen, aber er wird niemals moralisch mit ihr fertig werden.

Der Staat bedarf jedoch dieser Leistung nicht nur der Kirche gegenüber, sondern vor allem für sich selbst, wenn er zum religiösen Bekenntnis überhaupt ein festes Verhältnis gewinnen will. Wie die Dinge jetzt liegen, kann er das religiöse Bekenntnis, wenn es die Schranken des Hauses überschreitet, weder schlechthin  frei  lassen, noch ihm eine feste  Grenze  ziehen. Er kann es nicht freilassen, weil er für die Grundlagen der sozialen Ordnung, für das Eigentum, für die Ehe, für die Familie, für den Eid des Gottglaubens bedarf. Er hat dies auch noch niemals und nirgends getan, weder in Nordamerika, noch in Frankreich während der Revolution; denn das Freiwilligkeitssystem der vereinigten Staaten bewegt sich lediglich  innerhalb  der Grenze des Gottglaubens, und der französische Jakobinerstaat war nach einem kurzen atheistischen Versuch genötigt, das Dasein Gottes wieder als soziale Grundlage zu proklamieren. Er kann aber ebensowenig dem Bekenntnis eine andere, als eine  willkürliche, gemachte,  dem  Geist gegenüber unberechtigte  Grenze ziehen, solange nicht entschieden ist, ob ein Gott im religiösen Sinne des Wortes (ein "persönlicher" Gott)  auch wirklich existiert?  Bis dahin kann er die Freiheit des Geistes nach augenblicklicher Notwendigkeit und Konvenienz [Übereinkunft - wp] beschränken, er kann sie aber nicht hindern, diese materielle Schranke von innen heraus zu untergraben. Er selbst, der Staat, bleibt mittlerweile gottlos und geistlos zugleich; gottlos, weil er das Dasein Gottes aus politischer Notwendigkeit statuiert, ohne davon logisch überzeugt zu sein; geistlos, weil er eine selbsterkannte Wahrheit, die sein Verhalten leiten könnte, gar nicht besitzt.

Der gegenwärtige Zustand bildet sonach eine Anhäufung von politischen und moralischen Problemen, die sämtlich mehr oder weniger auf eine Grundfrage zurückführen. Die Aussicht, welche er dem forschenden Auge eröffnet, wenn die Grundfrage nicht gelöst wird, ist unleugbar die schwierigste, die sich denken läßt. Siegt der pantheistische Radikalismus, so wird das Band mit der bisherigen Geschichte zerschnitten und die Menschheit einer moralischen Zerrüttung und sozialen Anarchie überliefert, aus der sie sich im günstigsten Fall nur durch einen unmenschlichen Despotismus retten könnte. Siegt der theistische Absolutismus, so sind all jene Bestrebungen nach Freiheit und Mündigkeit, nach sozialer und politischer Emanzipation, in denen die Menschheit seit der Reformation begriffen ist, vernichtet und ihre ganze Geschichte zurückgeworfen. Dauert dagegen der Kampf fort, wie wir ihn seit 65 Jahren erlebt als eine Reihe end- und erfolgloser Zuckungen beider Extreme - und dies würde menschlicher Voraussicht nach geschehen, weil beide gleich stark sind -, so muß uns die Schwankung als solche aufreiben.

Die Freunde der spekulativen Philosophie haben also nicht Unrecht, wenn sie das spekulative Rätsel als die soziale Grundfrage, ja selbst als den "Knotenpunkt der europäischen Verhältnisse" und die "wichtigste praktische Frage der Gegenwart" betrachten.

Der bisherige Verlauf der Philosophie in Europa und besonders in Deutschland kann diese Überzeugung nicht entkräften. Niemand ist berechtigt, aus der Ungenüngendheit einzelner Geister auf die Ungenügendheit des menschlichen Geistes, aus dem Bankrott der philosophischen Schulen auf den Bankrott der Philosophie selbst zu schließen.

Was Deutschland namentlich betrifft, so hat die deutsche Nation seltsam genug in der nämlichen Zeit, wo sie sich von der Schulphilosophie bereits mit Widerwillen abgewandt hatte, einen neuen und nur zu schlagenden praktischen Beweis geliefert: daß sie heute noch so sehr als jemals von den idealen Interessen regiert wird. Wer weiß jetzt nicht, daß jene zahlreichen, scheinbar so mannigfaltigen politischen Fraktionen der deutschen Bewegung seit 1848 sich im letzten Grund immer wieder in den Einen, alle politischen Sympathien bestimmenden, konfessionellen Gegensatz aufgelöst haben? Wer sieht nicht, daß der Antagonismus zwischen Österreich und Preußen aus diesem Gegensatz seine innere Nahrung schöpft - eine Nahrung, die nicht enden wird, solange nicht der Zwiespalt der Weltansichten beendet ist, deren populäre Verkörperung die beiden Konfessionen sind? Viele von den "Praktikern", die mit Geringschätzung auf die Philosophie herabsehen, haben in den Augenblicken, wo der nationale Fortschritt in ihrer Hand lag, ihn dadurch vereitelt, daß sie bewußt oder unbewußt unter der Gestalt konfessioneller Antipathie dem nämlichen spekulativen Interesse gehorchten, welches ihnen in philosophischen Schriften so unwichtig und unfruchtbar erscheint. Sie haben bewiesen, diese Praktiver, daß, während der Engländer, der Franzose, der Russe alle prinzipiellen Gegensätze seiner Nationalität unterordnet, der Deutsche heute noch, wie zur Zeit der Reformation, jeden Augenblick bereits ist, die seinigen jenen idealen Interessen aufzuopfern, welche freilich schwerer wiegen, als die Nationalität selbst, sofern von ihnen das Glück der gesamten Gattung und des einzelnen Individuums zugleich bedingt ist. Daß aber eine Nation, die nach einem solchen Grundatz handelt, namentlich wenn mit dem wirklichen idealen Zug sich der ursprüngliche Erbfehler des hartnäckigsten Partikularismus und Individualismus verbindet, - niemals zu nationaler Macht und Einheit kommen kann, wenn sie nicht volle ideale Befriedigung erlangt, versteht sich von selbst. Die Lösung des spekulativen Rätsels, obwohl sie der Menschheit angehört, würde also für Deutschland einen andern Sinn habn, als für andere Völker. Für diese wäre sie ein Glücksfall, für Deutschland ist sie eine Notwendigkeit, von welcher Fortbestand oder Untergang abhängt. (8)

Darin aber haben die Praktiker, haben die Vernünftigen überhaupt Recht: mit der  scholastischen  Philosophie ist es vorbei. Ihre Dunkelheit, ihre Zünftigkeit, ihr Spiel mit halbklaren, unklaren oder gänzlich inhaltslosen Kunstausdrücken hat sie bei der Nation gebrochen. Sie ist in ihren pantheistischen Bestandteilen weit hinter SPINOZA zurück gegangen, den sie so oft überflügelt zu haben wähnte, gegen dessen Klarheit, Schärfe, Gehaltenheit und herzerhebendes Gottesbewußtsein aber der spätere Pantheismus nur zwerghaft erscheint. Sie ist in ihren theistischen Bestandteilen - wenn wir von KANT absehen, der die Vernunft von ihrer spekulativen Inkompetenz überzeugen und das Gottesbewußtsein auf eine bloß moralische Voraussetzung zurückführen wollte - wesentlich nicht über LEIBNIZ hinaus gekommen, dessen Bemühungen um den theistischen Gottesbegriff, so merkwürdig sie sind, doch in keinem der späteren Zeitalter dem Spinozismus die Waage zu halten vermochten. Sie erregt Widerwillen, wo sie, wie bei HEGEL, hinter pomphaften Kunstwörter Plattheiten verbirgt, oder, wie bei SCHELLING, wirkliche Genialität mit bewußter Dunkelheit vermählt, um ihre Lücken zu verdecken. Die ist verehrungswürdig, wo sie, wie bei FICHTE, J. J. WAGNER, BADER, GÜNTHER u. a., von einem tiefen und beharrlichen Streben nach Wahrheit ausgeht. Aber sie ist, mehr oder weniger, überall dunkel; sie drückt sich unklar aus, auch da, wo sie sich klar ausdrücken  will;  sie  kann  nicht klar sprechen, weil sie sich selbst nicht klar  ist.  Sie ist, was Philosophie im wörtlichen Sinne bedeutet:  Liebe  zum Wissen oder zur Wahrheit.  Streben  danach, aber nicht Wahrheit, Wissen selbst. Was wir brauchen, ist  Licht  - helles und reines Licht, Licht für Alle, deren Augen das Licht ertragen. - Gewiß sind große neue Wahrheiten Anfangs unter allen Umständen schwer begreiflich. Aber sie müssen wenigstens dem, der sie aussprechen will, vollkommen klar sein, und sie müssen sich in der nämlichen Sprache aussprechen lassen, welche LESSING und FRIEDRICH der Große gesprochen haben, wenn sie, jener in seinen Schriften, dieser in seinen Briefen, über spekulative Gegenstände reden. -

Unser Endergebnis ist demnach kurz. Es ist das alte, den Modernen und Antiken gleichwohl bekannte: daß wir im wahren Sinn des Wortes noch nichts wissen. Aber trotzdem ist es nicht unwichtig, noch unfruchtbar. Die Lage genau zu kennen, ist von hohem Wert, und der erste Schritt zum Wissen besteht, wie schon SOKRATES gesagt hat, darin, zu wissen, daß man nicht weiß.

Es ist auch weder optimistisch, noch pessimistisch - zwei Übel, woran gegenwärtig die meisten denkenden Menschen leiden.

Es ist nicht pessimistisch, denn wir verzweifeln nicht an der Erreichung des Ziels, weil der bisherige Weg zum Ziel verfehlt war; wir halten nach wie vor an der Fähigkeit und Bestimmung des menschlichen Geistes, das Rätsel zu lösen, durchaus fest.

Es ist ebensowenig optimistisch, d. h. wir glauben nicht, daß, weil eine Reihe von radikalen Schulen, weil STRAUSS, FEUERBACH, BRUNO BAUER, und die neueren Materialisten, am Gehalt der Religion abgeprallt sind, deshalb nun die Religion selbst genügen werde, die spekulativen und die mit ihr verknüpften sozialen Schwierigkeiten zu heben. Die, welche sich dieser Täuschung hingeben, bürden nicht nur der Religion eine Lst auf, für welche sie sich zu schwach fühlen, die aber von der Religion selbst abgewiesen wird, sondern sie vergessen auch, daß der Unglaube, weit entfernt, mit seinen bisherigen Vertretern zu fallen, von Jahr zu Jahr von Neuem und umfassender das Gebäude des Glaubens und der Gesellschaft untergräb. Wenn der menschliche Geist überhaupt berufen ist, das Rätsel zu lösen, so vermag er es nur dadurch, daß er frei und unabhängig von jeder Autorität die ihm eigene Kraft gebraucht.

LITERATUR Theodor Rohmer - Kritik des Gottesbegriffes in den gegenwärtigen Weltansichten, Nördlingen 1857
    Anmerkungen
    1) Wir brauchen kaum zu bemerken, daß die orthodoxen Theisten, wenn sie das Böse aus dem Fall des ersten Menschen oder aus der Verführung des ersten Menschen durch den Teufel ableiten, damit keine andere Antwort geben, als die oben bezeichnete. Was ADAM der Schuldige, so haben "in ihm wir alle gesündigt" - weil jeder an seiner Stelle so gehandelt haben würde, wie er. ADAM ist hier nur Typus der ganzen menschlichen Natur. War der Teufel der Verführer, so wird dadurch nicht nur die Schuld des Menschen, der sich verführen ließ, nicht vermindert, sondern die Schuld des Teufels, als eines Geschöpfes Gottes, erheischt die nämliche Erklärung, wie die Schuld des Menschen. In allen Fällen handelt es sich um die geschöpfliche Organisation.
    2) Von dieser Klasse gelten die harten Worte, welche SPINOZA am Schluß der Ethik spricht, indem er mit den zwei berühmten Propositionen: "Wenn wir auch Nichts von der Ewigkeit unseres Geistes wüßten, würde uns doch die Moralität, die Religion und alles und jedes, was zur Rechtschaffenheit und Seelengüte gehört, das Beste bleiben" und: "die Seligkeit ist nicht der Lohn der Tugend, sondern die Tugend selbst; und wir erfreuen uns ihrer nicht, weil wir die Leidenschaften bezähmen, sondern umgekehrt, wir sind nur deshalb imstande, die Leidenschaften zu bezähmen, weil wir uns ihrer erfreuen", die folgende Erläuterung verbindet: "Die Ansicht des gemeinen Haufens scheint eine andere zu sein. Die Meisten scheinen nämlich der Meinung zu sein, sie seien insoweit  frei,  als sie sich der  Begierde  überlassen dürfen, und insoweit  aus ihrem Recht gesetzt,  als sie nach der Vorschrift des göttlichen Gesetzes leben müssen.  Moralität,  Religion und alles, was zur Tüchtigkeit der Seele gehört, halten sie demnach für Lasten, welche sie nach dem Tod  abzulegen  und dafür den  Preis  der Lastträgerei, d. h. der Moralität und Religion, nämlich der Seligkeit, zu erhalten hoffen. Nächst dieser Hoffnung ist es auch und noch mehr die Furcht - die Furcht, von entsetzlichen Qualen nach dem Tod gepeinigt zu werden, was sie treibt, nach dem göttlichen Gesetz zu leben, soweit ihre dürftige Natur und ihr impotentes Gemüt ausreicht. Wäre diese Hoffnung und diese Furcht den Menschen nicht eingeprägt, würden sie im Gegenteil überzeugt sein, daß die Seele mit dem Leib untergeht, und daß ihnen, den armen, von der Last der Moralität aufgeriebenen Schluckern, kein längeres Leben übrig bleibt, so würden sie zu ihrer Neigung zurückkehren, der Begierde den Zügel schießen lassen und lieber dem Glück als sich selbst gehorchen wollen." - Was SPINOZA vergessen hat, ist nur, daß Hoffnung und Furcht trotzdem unentbehrlich Bildungsmittel der Seele sind, und zwar nicht bloß für den gemeinen Haufen.
    3) Wir sind weit entfernt, mit dem Obigen  jede  Weltflucht als Folge jner falschen Anschauung bezeichnen zu wollen. Es wird immer Menschen geben, welche, vermöge ihrer besonderen Organisation, das Leben nur wie eine Vorschule des Todes aufzufassen und ihre eigentümlichen Kräfte nur zu brauchen vermögen, wenn sie sie zur Beschauung konzentrieren. Auch das Mönchstum ist bis auf einen gewissen Grad in der Natur begründet und wird unter dieser oder jener Form bleibene, solange es Menschen gibt. Wer aber aufgrund einer solchen individualen Neigung über den Selbstwert des Leens ansich absprechen und einen besonderen Maßstab zum Gesetz für alle erheben wollte, würde niemals ein wahrer Mensch sein. -
    4) Der orthodoxe Theismus kann, wenn er auch wollte, das Rätsel nicht ignorieren, weil er schon vermöge seiner Stellung als kirchlicher Leiter des Volks genötigt ist,  auf die gemütlichen Bedürfnisse des Volkes einzugehen.  Er  muß  also eine Lösung geben, und da er muß, bleibt ihm kein anderer Ausweg, als der Dualismus der zwei Prinzipien in gemilderter Form, da die bisherigen Versuche, den Gegensatz als Gegensatz  in Gott selbst  zu erklären, dem religiösen Gottesbegriff widersprechen. Verschiedene christliche Mystiker haben bekanntlich jene Erklärung gewagt, indem sie in Gott außer seiner eigentlichen Wesenheit, dem Geist,  die Materie als "dunklen Urgrund"  setzten und daraus das Böse ableiteten. Die Kirche konnte sich damit niemals befreunden, teils weil die Vorstellung einer Materialität, die den Grund Gottes bildet, dem Wesen Gottes zuwiderläuft, teils weil der Gegensatz von "einem finsteren Zorneswillen" und einem diesem entgegenwirkenden lichten Liebeswillen als zwei Potenzen in Gott die Willensreinheit und Heiligkeit Gottes beeinträchtigt. Die Wissenschaft ihrerseits blieb außer allem Verhältnis zu diesen mystischen Versuchen, weil sie sich in sehr verworrender Sprache und ohne allen wissenschaftlichen Anspruch kundgaben; obwohl ihre offenbare Tendenz, das Böse aus einem Dualismus abzuleiten, der innerhalb des unendlichen Wesens höchste Vollkommenheit sei, während er bei den endlichen Wesen die Möglichkeit des Bösen bedinge, allerdings merkwürdig genug war. Erst in neuerer Zeit hat SCHELLING versucht, die Anschauung JAKOB BÖHMEs für sein zweites, angeblich christliches System zu benutzen. Seine "Philosophie der Offenbarung" ist jedoch weit entfernt, den Einwand, welcher sich dem gesunden Verstand gegenüber dieser Anschauung aufdrängt, logisch wegzuräumen. Jener Einwand ist einfach: Wenn die Materie der Grund Gottes ist, so muß sie als solcher der erste Grund allen Seienden sein. Wir haben schon dem Atheismus gegenüber gezeigt, daß diese Vorstellung unmöglich ist, weil die Materie als endlich weggedacht werden kann. SCHELLING versteht aber überdies, seinem früheren Pantheismus getreu, unter der Materie den Stoff des Alleins, - von den Elementen, als der niedrigsten Stufe, bis zum Menschen, als der höchsten, - welchen Gott potentiell in sich enthalte; sein Gott bleibt also, trotz aller orthodoxen Bemühung, und trotz aller Dreiheit, der alte  pantheistische Gott.  Wenn Gott als das Alleins seinen Grund in sich enthält, so ist es freilich kaum zu verwundern, wie SCHELLING in der Philosophie der Offenbarung zu der Äußerung gelangen konnte, daß Christus  "das Prius in Gott"  sei, denn wenn alle materiellen Existenzen potentiell als Prius in Gott enthalten sind, so ist ja von selbst auch CHRISTUS darin enthalten. SCHELLING gab diesem pantheistischen Gedanken, um der orthodoxen Vorstellung von der Gottheit CHRISTI zu gefallen, eine der Trinität ähnelnde Wendung, überstürzte sich aber dabei so, daß die Orthodoxie zur Blasphemie wurde.
    5) Das heißt der Glaube an eine von Ewigkeit der beschlossene unabänderliche Vorherbestimmung der Einzelnen zur ewigen Seligkeit oder Verdammnis. Da dieser Glaube nur möglich ist, wenn man voraussetzt, daß der Mensch keine Willensfreiheit besitzt, sich selbst zu bessern, sondern sowohl in seiner Anlage als in allen scheinbar freien Regungen seines Gemüts von Gott bestimmt wird, so ist damit ganz einfach ausgesprochen, daß neben Gott keine geschöpfliche Freiheit besteht. Für einen Anhänger dieses Glaubens, der sich "von der Gnade ausgeschlossen" oder zu ewiger Verdammnis bestimmt hält, ist natürlich die Gottheit zu einem  Teufel  gestempelt.
    6) Es ist sehr merkwürdig, daß dasjenige Buch der Bibel, welches sich wie der moralische "Beweis" mit dem großen Problem des Mißverhältnisses von Tugend und Glück beschäftigt - das Buch HIOB - einen jenem Beweis ganz entgegengesetzten Weg der Lösung einschlägt. Bekanntlich tritt in diesem Buch, nach den mannigfachsten Erklärungsversuchen der Freunde HIOBs, Gott selbst auf, um das Rätsel zu lösen. Und wie löst er es? Statt ihm zu sagen, daß die Natur es sei, die ihn elend gemacht hat, weil sie in ihrer Blindheit Gerechte und Ungerechte zusammenwirft, verweist er ihn im Gegenteil auf die Natur. "Schau in die Natur", sagt Gott dem HIOB, "schau dort meine Herrlichkeit, meine Majestät, meine Weisheit! Und wenn Du mit Deinem ganzen menschlichen Scharfsinn nicht imstande bist, auch nur den Scharfsinn, der sich in der Organisation der Tiere ausspricht, ganz zu erfassen, wenn Du nicht fähig bist, mehr als die ersten Rudimente dieser unermeßliche Weisheit zu begreifen: dann wird Du Dich auch nicht verwundern, wenn ich Dir in meinen moralischen Führungen zu  hoch  bin; Du wirst nicht mehr mit mir rechten, sondern Du wirst mir vertrauen." Auch das neue Testament weiß nichts von der dem modernen Theismus so geläufigen Entgegensetzung von Gott und Natur. Ist es ja doch der als blinde Natur waltende Gott, den CHRISTUS als Vorbild aufstellt, wenn er sagt: "Liebet Eure Feinde, segnet die Euch fluchen, tut wohl denen die Euch hassen, damit Ihr Kinder Eures Vaters im Himmel seid. "Denn er läßt seine Sonne über die Bösen und über die Guten aufgehen und läßt über Gerechte und Ungerechte regnen."
    7) Die Verwachsung ist also nicht von der Art, als ob der Katholizismus schlechthin  theistisch  und der Protestantismus schlechthin  pantheistisch  wäre. Das katholische (überhaupt das orthodoxe) christliche Dogma bietet in der Dreieinigkeits- und Versöhnungslehre den Pantheisten höchst bedeutende Anhaltspunkte, wovon sich jeder überzeugen kann, der die Schriften Dr. F. CH. BAUERs, des wahren Vaters der junghegelianischen Schule, mit Aufmerksamkeit liest. Umgekehrt ist es bekannt genug, daß der rationalistische Protestantismus, als dessen ausdrucksvollster Typus imemr noch der verstorbene PAULUS, gelten kann, entschieden theistisch gesinnt ist. Gleichwohl darf man, wenn es erlaubt ist, eine dogmatische Differenz mit  einem  Wort zu bezeichnen, ohne eine nähere Erläuterung davon zu geben, im Allgemeinen sagen, daß der Katholizismus ein  polytheistischer Theismus  und der Protestantismus ein  monotheistischer Pantheismus  sei. Indessen handelt es sich im Sinne der obigen Ausführung weit weniger um dogmatische Differenzen, welche als solche in der heutigen Zeit durchaus nicht mehr die Kraft haben, die Völker zu bewegen, die an der Spitze der Geschichte stehen, sondern um die einfache in den Parteigegensätzen dieser Völker offenbare Tatsache, daß der Katholizismus auf der Seite der Autorität und der Protestantismus auf der Seite der Freiheit kämpft.
    8) Freilich läßt das Verhalten der deutschen Nation in der erwähnten Epoche noch eine andere ungünstigere Auslegung zu. Der Erbfehler allein, auch ohne den "idealen" Zug, scheint Vielen Erklärung genug. Wir wollen sie nicht tadeln, finden es aber in diesem Fall töricht, noch irgendetwas zu hoffen.