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Von der Notwendigkeit, mit einer
Analyse der Sprache zu beginnen

JOHN STUART MILL

Es ist so allherkömmlich, die Darstellung der Logik mit einigen (in der Regel ziemlich dürftigen) allgemeinen Bemerkungen über Worte und deren Artunterschiede zu eröffnen, daß man von Demjenigen, der hier nur dem allgemeinen Brauche folgt, kaum eine so eingehende Rechtfertigung seines Verfahrens verlangen wird, wie man sie von Jedem erwartet, der einen neuen Weg einschlägt.

Auch empfiehlt sich diese Übung durch naheliegende Erwägungen. Die Logik bildet einen Bestandteil der Denkkunst. Die Sprache ist augenscheinlich und anerkanntermaßen eines der vornehmsten Hilfsmittel und Werkzeuge des Denkens, und jede Unvollkommenheit des Werkzeugs und der Art seines Gebrauches muß, wie Jedermann einsieht, diese Kunstübung noch mehr als jede andere hemmen und verwirren und jedes Vertrauen in die Güte des Ergebnisses zerstören. An das Studium wissenschaftlicher Methoden herantreten, bevor man mit der Bedeutung und dem richtigen Gebrauch der verschiedenen Arten von Worten vertraut ist, dies hieße nicht minder verkehrt handeln, als wollte Jemand astronomische Beobachtungen anstellen, ehe er das Fernrohr richtig gebrauchen lernt.

Da das Folgern oder Schließen, der Hauptgegenstand der Logik, eine Verrichtung ist, die gewöhnlich in Worten stattfindet und in verwickelten Fällen nicht anders stattfinden kann, so werden Diejenigen, die keine völlig genaue Einsicht in die Bedeutung und die Bestimmung der Worte besitzen, Gefahr laufen, ja einer solchen kaum entgehen können, unrichtig zu schließen und zu folgern. Und die Lehrer der Logik haben in der Regel gefühlt, daß sie sofort im Beginn diese Fehlerquelle verschließen, daß sie den Schüler lehren müssen, die Gläser beiseite zu legen, welche den Gegenstand verzerren und solche zu gebrauchen, die sein Sehvermögen fördern, statt es zu hemmen - wollen sie anders den Rest ihres Unterrichts mit irgend einer Aussicht auf Erfolg ertheilen. Darum hat eine Untersuchung der Sprache, insoweit diese erforderlich ist, um uns vor den Irrthümern, die sie veranlaßt, zu bewahren, zu allen Zeiten für die nothwendige Einleitung in das Studium der Logik gegolten.


LITERATUR, John Stuart Mill, Logik, Leipzig 1872