ra-2H. H. GossenLiefmannO. ConradR. Stolzmann    
 
ROBERT LIEFMANN
Über Objekt, Wesen und Aufgabe
der Wirtschaftswissenschaft

[4/4]

"Einer eindringenderen wissenschaftlichen Betrachtung der wirtschaftlichen Vorgänge konnten Klassifizierungen wie  Bank, Notenbanken, Depositenbanken, Emissionsbanken  im Sprachgebrauch des gewöhnlichen Lebens nicht genügen und zwar umso weniger, je mehr es sich um die  allgemeinsten  Begriffe des Wirtschaftslebens handelt. Hier, beim Begriff des  Wertes, des Kapitals, des Geldes, des Gewerbes  und zahlloser anderer hat der gewöhnliche Sprachgebrauch die Beziehungen viel zu sehr verallgemeinert, als daß man sie ohne weiteres wissenschaftlich als klar abgegrenzt verwenden könnte. Hier hat man sich daher auch schon am frühesten bemüht, eine wissenschaftlich strenge Terminologie einzuführen, während man bei anderen Begriffen, wie  Banken, Kartelle, Krisen  usw. erst in neuerer Zeit dazu gelangte, zum Zweck besserer wissenschaftlicher Erkenntnis genauere Abgrenzungen vorzunehmen."


Kapitel IV
Die Aufgaben der ökonomischen Wissenschaft

1. Die Aufgabe der Wirtschaftstheorie

Wir können uns also dem heute empfohlenen Vorgehen nicht anschließen, durch ein Hereinziehen des unklaren und künstlichen Gesichtspunktes der sozialen Regelung eines besondere Sozialökonomik abzugrenzen und die übrigen wirtschaftlichen Erscheinungen sozusagen ihrem Schicksal zu überlassen. Wie die bisherige Theorie das brauchte, um aufgrund ihrer materialistischen Auffassung ihr Erkenntnisobjekt von der Technik abgrenzen zu können, so können umgekehrt wir darauf verzichten, weil wir jene materialistische Auffassung aufgeben und durch eine andere, die psychische, ersetzen. Was wir darunter verstehen, können wir hier als bekannt voraussetzen.

Die Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft in ihrer Gesamtheit ist also die Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen in allen ihren Beziehungen. Dabei liegt die Schwierigkeit vor allem darin, daß diese Beziehungen der wirtschaftlichen Vorgänge zu anderen Erscheinungen des menschlichen Lebens so außerordentlich zahlreich sind. Dieser Umstand hat einmal die Erkenntnis des wirklichen Wesens der Wirtschaft bisher verhindert, ihre Verwechslung mit der Technik verschuldet, andererseits das fortwährende Übergreifen der Wirtschaftswissenschaft auf andere Zweige wissenschaftlicher Erkenntnis, also die schon erwähnten Tendenzen zur Verbreiterung der ökonomischen Wissenschaft veranlaßt, die in der historischen Schule und in der sozialen Betrachtungsweise vor allem Ausdruck gefunden haben.

In der Tat ergeben sich durch die Vielseitigkeit der Beziehungen der wirtschaftlichen Vorgänge zu anderen Erscheinungen zahlreiche Berührungspunkte der ökonomischen Wissenschaft mit anderen, z. B. mit der Technik als ökonomischer Technik oder technischen Ökonomik, mit der Geschichte als Wirtschaftsgeschichte, mit der Soziologie als ökonomischer Soziologie, mit der Rechtswissenschaft oder der Politik als Wirtschaftspolitik (30), mit der Psychologie als Wirtschaftspsychologie usw. Es sind dies alles Abzweigungen der Wirtschaftswissenschaft andererseits; ihre Erkenntnisobjekte überdecken sich teilweise mit den Erkenntnisobjekten beider Wissenschaften, aus denen sie gebildet sind. Es sind Übergangsgebiete, denen gegenüber man die Wissenschaften oder den Teil der Wissenschaften, der sein selbständiges, von allen anderen völlig verschiedenes Erkenntnisobjekt hat, als "reine" Wissenschaft bezeichnen kann. So ist die reine Volkswirtschaftslehre diejenige, welche das wirtschaftliche Identitätsprinzip allein ohne die Beziehungen ihres Erkenntnisobjekts zu den Identitätsprinzipien anderer Wissenschaften untersucht. Das schließt nicht aus, daß man bei mmer weiterem Zurückführen der Kausalverhältnisse über das eigentliche Gebiet der eigenen Wissenschaft hinaus auch in das Erkenntnisobjekt anderer Wissenschaften, bei der Volkswirtschaftslehre also vor allem der Psychologie, gelangt.

Die "reine Wirtschaftswissenschaft" würde sich nun im wesentlichen mit dem decken, was man gewöhnlich als Wirtschafts theorie  bezeichnet, wenn man Wirtschaftsgeschichte nicht als historische  Methode,  sondern als Übergangsgebiet zur Geschichtswissenschaft auffassen will. Entsprechend dem Wesen der Geschichte liegt aber auch kein Grund vor, die Wirtschaftsgeschichte nicht als besonderen Teil der reinen Wirtschaftswissenschaft neben der Wirtschaftstheorie aufzufassen. Was zweckmäßiger ist, kann ich der Philosophie überlassen zu entscheiden. Wir müssen nur darauf aufmerksam machen, daß es neben der reinen Wirtschaftstheorie auch noch eine  politische  Wirtschaftstheorie gibt, die theoretische Betrachtung derjenigen wirtschaftlichen Erscheinungen, die  nicht ohne den Staat  zu denken sind. Dazu gehört z. B. die Theorie der auswärtigen Wechselkurse, die Theorie der Kapitalanlage im Ausland und ähnliches. Ferner gehört dahin natürlich auch die Theorie der Wirtschaftspolitik, die allgemeine theoretische Behandlung politischer Fragen, z. B. von Freihandel und Schutzzoll, ferner natürlich auch die Theorie der Finanzwissenschaft.

Wir müssen nun zunächst erläutern, was wir unter Wirtschafts theorie  verstehen. Unter  Theorie  verstehe ich die  systematische Erklärung des der Wissenschaft vorliegenden Erfahrungsobjekts aus ihrem richtig erkannten Identitätsprinzip.  Aus dem richtig erkannten Wesen des Wirtschaftlichen sind also deduktiv und systematisch durch einer Hereinnahme immer weiterer Objekte der Betrachtung die Erscheinungen des Tauschverkehrs zu erklären. Die Hauptaufgabe liegt dabei in der richtig vorgenommenen  Vereinfachung  und  Typenbildung . In einem Vereinfachen, Generalisieren, einem Herausarbeiten von Typen besteht die erste Aufgabe wissenschaftlicher Tätigkeit. Denn die Erscheinungen des Tauschverkehrs sind so kompliziert und massenhaft, die wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen und die Einrichtungen, die sie für den Tauschverkehr geschaffen haben, sind so verschiedenartig und mannigfaltig, daß ein ordnendes, klassifizierendes, Kategorien bildendes, systematisches Vorgehen erforderlich ist, um zu ihrem Verständnis zu gelangen. Die Wissenschaft sucht vor allem gegenüber der unübersehbaren Mannigfaltigkeit des wirtschaftlichen Lebens die Vorgänge zu vereinfachen, sie auf verhältnismäßig wenige Begriffe und Typen zurückzuführen. Was aber als wesentlich für einen Begrif und was als typisch anzusehen ist, das kann letzten Endes nur im Rahmen eines ganzen  Systems  entschieden werden, bei dem alle diese Begriffe und Typenbildungen ineinander greifen und zusammen in vereinfachter Form einen Überblick über die Vielgestaltigkeit tauschwirtschaftlicher Beziehungen und das Verständnis ihrer Zusammenhänge ermöglichen.

Dieses Herausfinden von Typen, Aufstellen von allgemeinen Begriffen, durch die ein größerer und kleinerer Kreis von Erscheinungen klassifiziert wird, ist also die erste Aufgabe der Wirtschaftstheorie. Der Sprachgebrauch des wirtschaftlichen Lebens arbeitet ihr dabei schon vor, wenn man von Preis, Einkommen, Kapital, Kauf, Miete usw. spricht. Aber diese Begriffe des gewöhnlichen Sprachgebrauchs sind oft sehr verschwommen; es besteht die Tendenz, sie übermäßig zu verallgemeinern. Die Wissenschaft hat unter den vielen Merkmalen des Objekts, die sich an einem solchen Begriff knüpfen lassen, diejenigen auszuwählen, die zu einer scharfen Abgrenzung von anderen Erscheinungen wesentlich sind. Das geschieht nach den Grundsätzen der Logik durch eine Feststellung der übergeordneten Kategorie und der spezifischen Unterschiede, kann letzten Endes aber nur in einem vollständigen System erfolgen, in dem die zu definierenden Begriffe ihre feste Stelle haben. Das wirtschaftliche Leben unterscheidet z. B. schon verschiedene große Gruppen tauschwirtschaftlicher Tätigkeiten, die aber meist nicht scharf voneinander abgegrenzt sind. Die Wirtschaftstheorie unterscheidet nun, um überhaupt einen Überblick zu gewinnen, und die sonst nicht vorstellbare unübersehbare Mannigfaltigkeit der tatsächlichen tauschwirtschaftlichen Beziehungen zu meistern, rein nach Zweckmäßigkeitsgründen, aber natürlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten verschiedene  Kategorien tauschwirtschaftlicher Tätigkeiten,  jede mit genau bestimmten Merkmalen. Schon hier wird man freilich finden, daß es in der Mannigfaltigkeit des wirtschaftlichen Lebens Übergangserscheinungen gibt, die zwei Kategorien zugerechnet werden können. Das hat aber nichts zu sagen. Denn dadurch, daß man sie überhaupt einordnen kann, hat man sie sich erst vorstellbar und begrifflich klar gemacht.

Eine solche tauschwirtschaftliche Tätigkeit ist z. B. der  Handel Man kann sehr verschiedene Merkmale als wesentlich für den Begriff des Handels erklären. Welche Definition man wählt, kann allein im Rahmen eines  ganzen Systems  aller tauschwirtschaftlichen Tätigkeiten entschieden werden. Es ist eine reine Zweckmäßigkeitsfrage. Diejenige ist  die richtige,  die in einer Verbindung mit den Definitionen aller andern tauschwirtschaftlichen Tätigkeiten das Erfahrungsobjekt Handel am besten von allen anderen abgrenzt und damit sein Wesen am besten klar macht. Das wird sehr häufig nicht die weiteste Definition sein, die alles, was der gewöhnliche Sprachgebrauch als Handel, oder z. B. als Gewerbe bezeichnet, begreift. Denn dieser ist sehr oft zu weit, und ihm folgen würde oft die Berücksichtigung der anderen tauschwirtschaftlichen Tätigkeiten beschränken und eine allgemeine systematische Abgrenzung verhindern.

Kommt es für den wissenschaftlichen Zweck nur ganz allgemein auf die Abgrenzung der tauschwirtschaftlichen Tätigkeiten an, so wird man sich vielleicht mit dem allgemeinen Begriff des Handels und der übrigen tauschwirtschaftlichen Tätigkeiten begnügen. Will man jedoch z. B. das  Bauwesen  richtig verstehen, so muß man es auch als eine  Art des Handels  oder  der Leistungen - beides kann die übergeordnete Kategorie sein - auffasen. Glaubt man es als eine besondere Art des Handels verstehen zu können, so wird die Abgrenzung der verschiedenen Arten des Handels, die bis dahin unwesentlich war, von Bedeutung. Diese Begriffsbestimmung des Bankwesens, die demselben also als einer Unterart des Handels im Kreis der tauschwirtschaftlichen Tätigkeiten eine feste Stelle anweist, hat aber nicht die Aufgabe, der unklaren Bezeichnung im gewöhnlichen Sprachgebrauch, welcher gerade den Begriff der Bank ganz unzulässig zu erweitern sucht, möglichst entgegenzukommen, sondern aus der großen Zahl von Geschäften, die mit dem Bankwesen verbunden sein können, diejenigen herauszuheben und in die Definition aufzunehmen, die innerhalb eines Systems der Handelstätigkeiten oder der Kreditvorgänge für die Abgrenzung der Banken als einer besonderen Gruppe typisch für die Abgrenzung der Banken als einer besonderen Gruppe typisch und wesentlich erscheinen. Die so vielfach aufgestellte "Definitionen", die diese Forderung der Logik, Feststellung der übergeordneten Kategorie, nicht berücksichtigen, die nur nach einem innerhalb ihres Objekts liegenden Gesichtspunkt definieren, z. B. um die Effektengeschäfte mancher Banken noch als typische Bankgeschäfte erscheinen zu lassen, die also nicht berücksichtigen, daß definieren  abgrenzen,  d. h. eine Beziehung zu anderen Begriffen bedeutet, sind wissenschaftlich wertlos.

Die theoretische Nationalökonomie geht so von den allgemeinsten wirtschaftlichen Begriffen, den sogenannten Grundbegriffen, systematisch zu immer engeren, spezielleren vor, und je richtiger und klarer die Grundbegriffe gefaßt sind, umso mehr wird es möglich sein, die speziellen Erscheinungen direkt mit ihnen zu verknüpfen. Gerade hieran fehlte es in den bisherigen Theorien, die eben von einer falschen Auffassung des Wirtschaftlichen ausgingen und dann gegenüber den speziellen Erscheinungen des Wirtschaftslebens einfach deswegen versagten, weil ihre materialistisch-quantitative Grundlage für diese gar nicht paßte. Je mehr es nun möglich ist, auch speziellere Erscheinungen des tauschwirtschaftlichen Verkehrs mit den allgemeinen Grundbegriffen zu verknüpfen und von ihnen aus zu erklären, umso mehr gelangt die theoretische Nationalökonomie zu einem geschlossenen Aufbau, einem  System dem letzten Ziel jeder Wissenschaft. In ihm ist dann in synthetischer Darstellung alles enthalten, um den heutigen tauschwirtschaftlichen Mechanismus, ihr Objekt, verstehen zu können, und damit ist die Aufgabe der Wissenschaft erfüllt.

Nur auf dem Weg der Systematisierung, der Kategorien- und Typenbildung gelingt es, in einem Chaos wirtschaftlicher Beziehungen und Einrichtungen, die dem Beobachter heute entgegentreten, Ordnung zu schaffen und einen Überblick und Einblick zu gewinnen. Erst wenn sie alle so auf eine verhältnismäßig kleine Zahl von Typen zurückgeführt sind, kann man ihr Zusammenwirken, ihre Ursachen und Wirkungen erkennen und beschreiben. Diese Begriffs- und Typenbildung ist also die erste Aufgabe einer Wissenschaft ihrem Objekt gegenüber, und solange sie nicht befriedigend gelöst ist, haben andere Aufgaben der Wissenschaft, z. B. die Untersuchung von Entwicklungsvorgängen bei wirtschaftlichen Erscheinungen, wenig Aussicht auf Erfolg, weil eben die klare Abgrenzung der Untersuchungsobjekte noch fehlt. Daß man trotzdem glaubte, ohne eine solche Kategorienbildende, Typen feststellende, systematische Behandlung des Stoffes auskommen zu können und in der Tat auch in der Erkenntnis wirtschafts-historischer Zusammenhänge Erfolge zu verzeichnen vermochte, hatte nur darin seinen Grund, daß in der Wirtschaftswissenschaft das  wirtschaftliche Leben selbst,  weil es ja auch der Begriffsbildung nicht entbehren kann, jener vorarbeitete, seinen Bedürfnissen entsprechend neue Bezeichnungen für wirtschaftliche Erscheinungen einführte, z. B. neben den schon älteren Fachvereinen der Unternehmer eine weitere Form ihrer Vereinigung  Kartelle  nannte, neben der allgemeinen Bezeichnung  Bank, Notenbanken, Depositenbanken, Emissionsbanken  unterschied und dgl. Aber einer eindringenderen wissenschaftlichen Betrachtung der wirtschaftlichen Vorgänge konnten diese Klassifizierungen im Sprachgebrauch des gewöhnlichen Lebens nicht genügen und zwar umso weniger, je mehr es sich um die  allgemeinsten  Begriffe des Wirtschaftslebens handelt. Hier, beim Begriff des Wertes, des Kapitals, des Geldes, des Gewerbes und zahlloser anderer hat der gewöhnliche Sprachgebrauch die Beziehungen viel zu sehr verallgemeinert, als daß man sie ohne weiteres wissenschaftlich als klar abgegrenzt verwenden könnte. Hier hat man sich daher auch schon am frühesten bemüht, eine wissenschaftlich strenge Terminologie einzuführen, während man bei anderen Begriffen, wie  Banken, Kartelle, Krisen  usw. erst in neuerer Zeit dazu gelangte, zum Zweck besserer wissenschaftlicher Erkenntnis genauere Abgrenzungen vorzunehmen.

Es sei aber, weil es immer wieder übersehen wird, nochmals, auf das eindringlichste betont, daß diese Klassifizierung, Typenbildung und Begriffsbestimmung nur Sinn hat  im Rahmen eines ganzen theoretischen Systems.  Das gilt vor allem für die allgemeinsten, grundlegenden Begriffe. Das Wesen der  Genossenschaft  kann man schlielich so oder so bestimmen und von anderen Wirtschaftsformen abgrenzen ohne Rücksicht auf die Auffassung über das Wesen des Wirtschaftlichen und die allgemeinsten Voraussetzungen der Wirtschaft - bis zu solchen Spezialerscheinungen machen sich vielleicht falsche Auffassungen über die Grundlagen nicht mehr als Fehlerquellen geltend - aber bei den deswegen so genannten  "Grundbegriffen",  z. B.  Ertrag, Kosten, Wert, Preis  usw., ist das nicht möglich. Die mit diesen Begriffen verknüpften Vorstellungen sind nur abzugrenzen im Rahmen eines die ganzen wirtschaftlichen Grundlagen erfassenden Systems, und es ist z. B. der fundamentale Fehler des von BÖHM-BAWERK aufgerichteten Lehrgebäudes, mit einer Auffassung des Kapitals zu beginnen, die auf einer falschen Auffassung über das Wesen des Wirtschaftlichen, eben auch der technisch-materialistischen beruth.

Die heute noch vielfach vertretene Auffassung, als ob nur die Feststellung von  Ursachen  und  Wirkungen  Wissenschaft sei, ist also durchaus verfehlt. Die Begriffs- und Typenbildung ist eine ganz ebenso wissenschaftliche Aufgabe, sie dient ganz ebenso der Erkenntnis des Allgemeinen in den Erscheinungen und ihrer inneren Zusammenhänge. Sie muß der Ursachenerklärung in der Hauptsache vorausgehen. Das zeigt sich z. B. deutlich bei der wichtigsten Ursachenerklärung, die die ökonomische Wissenschaft vorzunehmen hat, bei der Frage, die nach allgemeiner Anschauung im Mittelpunkt der ökonomischen Theorie steht, nämlich wie sich aus den subjektiven Bedarfsempfindungen der einzlnen in den Tauschverkehr verflochtenen Wirtschaftssubjekt ein allgemeiner  Preis  bildet. Hier ist man aufgrund der bisherigen falschen Auffassung des Wirtschaftlichen auch von einem falschen Begriff des Preises, ferner von Irrtümern über den Kostenbegriff ausgegangen und ist infolgedessen mit der Lösung jenes Problems vollständig gescheitert.

An die begrifflichen Abgrenzungen und aufgefundenen Typen tritt dann die Wirtschaftstheorie mit der Kausalitätsfrage heran. So ist man dazu gelangt, die wirtschaftlichen Erscheinungen und Vorgänge allmählich immer mehr auf die wirtschaftlichen Handlungen und Bestrebungen der einzelnen Menschen zurückzuführen, und hat auch hier dann wieder die Kategorien- und Typenbildung angewendet. Man würde auf diesem ganz richtigen und selbstverständlichen Weg wissenschaftlichen Forschens auch wohl schon früher Ergebnisse zu verzeichnen gehabt haben, wenn sich die bisherige Theorie von der  materialistisch-quantitativen  Auffassung des Wirtschaftlichen hätte befreien können. Sie aber bewirkte, wie wir oben gezeigt haben und nicht genug, als die Ursache allen Übels betonen können, daß man statt mit den Erwägungen und dem Handeln der wirtschaftlichen Menschen sich mit den "Gütern" und ihrem "Wert" beschäftigte. Demgegenüber hat die Wissenschaftstheorie die Aufgabe, die wirtschaftlichen Erscheinungen und Vorgänge aus den wirtschaftlichen Handlungen der Menschen und ihren Bestrebungen zu erklären, mit einem Wort: aus dem  Identitätsprinzip  der Wirtschaftswissenschaft, dem  Vergleichen  von Nutzen und Kosten. Auf dieses sind die komplizierten Vorgänge des heutigen Tauschverkehrs letzten Endes zurückzuführen. Um es anders auszudrücken, die Wirtschaftstheorie hat die Aufgabe, zu erklären,  wie sich im heutigen Zustand des entwickeltsten Tauschverkehrs die Bedarfsversorgung der einzelnen Menschen vollzieht.  Es ist das Hauptproblem der ökonomischen Theorie, zu erklären, wie im heutigen Zustand des entwickeltsten Tauschverkehrs, wo kein Mensch die Güter herstellt, die er selbst gebraucht, doch die unendlich vielseitigen Bedürfnisse der einzelnen Menschen den ganzen tauschwirtschaftlichen Mechanismus organisieren und bestimmen. Dieser ganze tauschwirtschaftliche Mechanismus gipfelt in der  Preis- und  Einkommensbildung,  durch die die Bedarfsversorgung im Tauschverkehr sichergestellt ist, und daher sind sie das Zentralproblem der wirtschaftstheoretischen Untersuchung. Sie bleiben Gegenstand der  reinen  Wirtschaftstheorie, so sehr auch Preise und Einkommen im einzelnen durch gesellschaftliche, politische und die verschiedensten anderen Momente beeinflußt werden. Hat man erst die allgemeinsten Grundlagen der Preis- und Einkommenslehre erkannt, wozu meines Erachtens bisher kaum mehr als Ansätze vorliegen, weil bei beiden Problemen die bisherige Theorie schon in den Voraussetzungen die fundamentalsten Irrtümer mit sich schleppte, so kann man auch in zweiter Linie immer mehr die verschiedensten außerwirtschaftlichen, die Preis- und Einkommensbildung in einzelnen Fällen beeinflussenden Momente heranziehen.


Abgesehen davon, daß man  innerhalb  der ökonomischen Theorie verschiedene Arten, z. B. reine und politisch-ökonomische Theorien, sowie natürlich beliebig viele Spezialtheorien unterscheiden kann, kann es  neben  dieser ökonomischen Theorie, die die Aufgabe hat, die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen aus den subjektiven Bedarfsempfindungen heraus zu erklären, keine andere ökonomische Theorie geben. "Insbesondere gibt es nicht noch eine  sozialökonomische"  Theorie neben unserer  "individualistischen".  Vertreter der historischen Schule und der sozialen Betrachtungsweise, die im übrigen die Richtigkeit unserer Theorie anerkannten, haben das behauptet. Doch beruth diese Behauptung auf der bisherigen Unklarheit über das Wesen des Wirtschaftlichen und der Wirtschaftswissenschaft einerseits, der Gesellschaftslehre andererseits, welche bewirkte, daß man alle möglichen gesellschaftlichen Erscheinungen in die Wirtschaftstheorie miteinbezog. So wird behauptet, die Volkswirtschaftslehre umfasse auch wichtige wirtschaftliche Erscheinungen, wie das  Kapital,  die von einer vom Individuum ausgehenden Theorie nicht richtig verstanden werden könnten. Ich habe diese Auffassung schon in meinem Aufsatz "Das Wesen der Wirtschaft" (a. a. O., Seite 609-610) zurückgewiesen und gezeigt, daß eine richtige ökonomische Theorie sehr wohl erklären kann, wie es zum Gegensatz von Kapitalisten und Arbeitern gekommen ist. Das Verlangen, solche Erscheinungen, wie Klassenbildung, die in erster Linie  gesellschaftliche,  nicht wirtschaftliche Phänomene sind, allein in der Wirtschaftstheorie zu erklären, war aber nur möglich, weil die bisherige Wissenschaft in ihrer Unklarheit über das Wesen des Wirtschaftlichen alle möglichen gesellschaftlichen Erscheinungen in ihr Gebiet miteinbezog. Die Folge davon, daß man von der Wirtschaftstheorie zu viel erwartete, eine Verbreiterung, nicht eine Vertiefung erstrebte, war, daß man gar nichts erreichte, daß man in den größten Irrtümern über die allgemeinen Grundlagen des Wirtschaftens stecken blieb. Solange man keine klare Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Phänomenen herbeiführt, wird man in beiden Wissenschaften Schiffbruch erleiden.  Qui trop embrasse mal étreint.  [Wer sich zuviel vornimmt, führt nichts richtig durch. - wp] Es berührt sonderbar, daß unsere heutigen Theoretiker, die übe die grundlegenden wirtschaftlichen Erscheinungen noch die unsinnigsten Theorien vertreten, auch gleichzeitig noch alle möglichen gesellschaftlichen Phänomen damit erklären wollen.


Für uns ist, nachdem wir das Wesen des Wirtschaftlichen einwandfrei festgestellt und klar definiert haben, was wirtschaftliche Beziehungen, wirtschaftliche Einrichtungen und Vorstellungen sind, damit das Objekt der ökonomischen Theorie gegeben. Wenn man also die Klassenbildung und andere gesellschaftliche und soziale Erscheinungen untersuchen will, so mag man darüber eine besondere  gesellschaftliche  Theorie aufstellen, die dann aber in die  Gesellschaftslehre, Soziologie  gehört. In die ökonomische Theorie gehört sie nicht, deren Gebiet ist durch unsere Definition des Wirtschaftlichen abgegrenzt. Und wer das bestreitet, der muß mir nachweisen, daß ich das Wesen des Wirtschaftlichen falsch verstanden habe, muß einen anderen Begriff des Wirtschaftlichen aufstellen und darauf ein wirtschaftliches System aufbauen, welches  sein  Betrachtungsobjekt besser erklärt, als ich das von mir abgegrenzte.

Mögen also die Vertreter der "sozialen Betrachtungsweise" mit der von ihnen in Aussicht gestellten oder geforderten Theorie die Soziologie fördern, ich beschränke mich einstweilen darauf, theoretischer Nationalökonom zu sein; denn auf dem von mir abgegrenzten Gebiet gibt es wahrhaftig noch genug zu tun. Wenn man aber weiterhin sucht, den neuen wirtschaftstheoretischen Bestrebungen mit derartigen Einwendungen einen Knüppel in den Weg zu werfen, so kann ich das nur als ein Bestreben auffassen, die bisherige Unklarheit zwischen Wirtschafts- und Gesellschaftslehre aufrechtzuerhalten, und muß, da das jede Förderung der Wissenschaft unmöglich macht, der Sache wegen dagegen auf das schärfste protestieren. -

Es sei jetzt noch die viel erörterte und schon oben mehrfach gestreifte Frage untersucht, ob die Sätze der Wirtschaftstheorie für alle Zeiten gelten, oder ob unser theoretisches System nur für eine bestimmte Wirtschaftsepoche gilt.


2. Über die Allgemeingültigkeit der
Sätze der Wirtschaftstheorie

Man hat die beliebte Frage, ob die Volkswirtschaftslehre eine Natur- oder Kulturwissenschaft ist, auch damit zu beantworten gesucht, daß man die Frage der Allgemeingültigkeit ihrer Sätze erörterte, anders ausgedrückt, untersuchte, inwieweit man von  ökonomischen Gesetzen  sprechen könnte. Daß dabei sehr häufig das "Gesetz von abnehmenden Bodenertrag", also eine rein naturwissenschaftlich-technische Konstatierung als ein ökonomisches Gesetz figurierte, sei nur nebenbei zur Charakteristik der herrschenden materialistischen Auffassung erwähnt. Da im allgemeinen ja die Tendenz herrscht, die Nationalökonomie als Kulturwissenschaft zu reklamieren, so wird das Vorhandensein ökonomischer Gesetze nach Art der Naturgesetze in der Regel bestritten.

Wir können hier auf diese Frage, die Stoff zu endlosen Diskussionen gibt, nur ganz kurz eingehen (31). Denn ähnlich wie die Unterscheidung von Natur- und Kulturwissenschaften scheint uns auch der Begriff des Gesetzes keineswegs einwandfrei festgestellt zu sein.

Nur ganz nebenbei sei als ein neuer positiver Beitrag zu dieser Frage folgendes gesagt. Vom Standpunkt einer allgemeinen Wissenschaftslehre scheint uns die Wirtschaftswissenschaft besonders eng verwandt mit der ... Sprachwissenschaft. Das ist kein Scherz. Ich weiß nicht, ob alle unsere Soziologen die Sprachwissenschaft auch unter den Allerweltsbegriff der "Sozialwissenschaft" rechnen, teilweise geschieht es. Ebenso wie die Sprache geht der Tauschverkehr zwar auf Zwecke der einzelnen Menschen zurück, aber beide sind kein bewußtes Erzeugnis dieser Zwecke, sondern beide entstehen von selbst, naturgesetzlich, aus Bedürfnissen, von denen das, das zur Sprache führt entschieden viel "sozialer" ist als das, das zur Wirtschaft und zum Tauschverkehr führt. Denn nicht die Abhängigkeit von anderen Menschen führt zum Tauschverkehr, wie unsere Sozialökonomen immer anzunehmen scheinen - Jahrtausende haben die Menschen ohne den Tauschverkehr gewirtschaftet - sondern nur der individuelle Vorteil, also ein  individuelles,  kein soziales Moment. Wenn der heutige entwickelte Tauschverkehr eine starke und allseitige wirtschaftliche Abhängigkeit aller in ihn Verflochtenen mit sich bringt, so ist sie in der Wirtschaftstheorie rein individualistisch, wegen des Vorteils einer vergrößerten Bedarfsbefriedigung zu erklären, die jeder durch den Tauschverkehr genießt. Das besagt natürlich nicht - ich weiß, daß ich auf einen solchen kindlichen Einwurf gefaßt sein muß -, daß tatsächlich heute noch jeder Mensch wählen kann, ob er nicht lieber eine naturalwirtschaftliche Tätigkeit vorzieht. Es ist selbstverständlich, daß er durch Geburt, Abstammung, Erziehung, Besitz bestimmten Berufen beitreten und damit bestimmten sozialen Klassen zugerechnet werden wird. Aber die Theorie der ökonomischen Grundlagen kann und muß von diesen gesellschaftlichen Verhältnissen abstrahieren. Das hindert aber nicht, daß die ökonomische Sozilogie alle diese Beziehungen berücksichtigen kann, aber natürlich ohne all die Phantasien vom "sozialen Zweckplan" und ähnlichem.

Sowohl Sprache als auch Tauschverkehr sind also ein Produkt individueller Zwecke, sie bewirken auch wohl eine gewisse soziale Verknüpfung der Individuen, sind aber nie ein "soziales Zweckgebilde". Ebenso für die Sprache wir für die Wirtschaft und den Tauschverkehr lassen sich nun gewisse Sätze aufstellen, die allgemeine Gültigkeit haben. Außerdem aber gibt es eine wohl noch zahlreichere Gruppe von Sätzen, die nur für bestimmte Sprachen Gültigkeit haben, für andere wieder nicht gelten, aber innerhalb des Gebietes, für das sie gelten, auch immer Gültigkeit haben. Ebenso gibt es neben einigen wirtschaftlichen Sätzen, die überall gelten, wo eine Wirtschaft vorliegt, zahlreiche Sätze, die nur für die  heutige Wirtschaftsepoche  des sich selbst überlassenen Tauschverkehrs, aber auch hier  immer  gelten. Und neben diesen wieder gibt es in Sprache und Wirtschaft Regeln, welche "Ausnahmen" zulassen, die freilich in den Sprachwissenschaften für die einzelnen Sprachen sehr viel genauer festgestellt sind als für die Wirtschaft.

Inwieweit man die ersten Sätze, die unter allen Umständen gelten, wo vom Identitätsprinzip der Wirtschaftslehre die Rede ist, als  Gesetze  bezeichnen will, wollen wir dahingestellt sein lassen. Uns kommt es nur darauf an, zu betonen, daß einige wenige Sätze, die man aber ebensogut der Psychologie zurechnen könnte wie der Wirtschaftswissenschaft, allgemein gelten, wo überhaupt eine Wirtschaft in dem von mir definierten Sinn vorliegt, während die meisten Sätze nur für die Epoche des  heutigen freien Tauschverkehrs  gelten. Darin befinde ich mich durchaus im Gegensatz zu den bisherigen Theoretikern, besonders auch der Grenznutzenlehre, die immer glaubte, für alle Zeiten gültige Sätze aufstellen zu können. Es ist wohl ein Verdienst der historischen Schule, diesen Irrtum zerstreut zu haben.

Ich beschränke mich also in bewußter Absicht darauf, mit meiner Theorie den Organismus des  heutigen  Tauschverkehrs erklären zu wollen. Daß die  heutigen  ökonomischen Zustände das erste Objekt der Volkswirtschaftslehre sind, ist selbstverständlich. Aber auch für die theoretische Erfassung müssen wir im allgemeinen von der heutigen Wirtschaftsordnung ausgehen, obgleich frühere, z. B. die mittelalterliche regulierte Stadtwirtschaft, augenscheinlich sehr viel einfacher waren. Doch abgesehen davon, daß gerade die Kompliziertheit und Vielgestaltigkeit des heutigen wirtschaftlichen Lebens seine Erklärung zu einem so viel erörterten wissenschaftlichen Problem gemacht hat, müssen wir auch deswegen die heutigen Zustände zugrunde legen, weil wir nur sie wirklich  beobachten  können. Denn ohne Beobachtung, ohne die induktive Methode ist - das behaupte ich im Gegensatz zu allen älteren theoretischen Richtungen - keine ökonomische Theorie, keine systematische Darstellung und Erklärung des tauschwirtschaftlichen Organismus möglich. Daher mußten die älteren Theorien mit einer Anzahl von Maximen und Voraussetzungen arbeiten, die selbst schon unzutreffend, in sich auch den Keim zu all den Fehlern enthielten, in die sich die früheren theoretischen Konstruktionen verstrickten. Daß dann eine richtige Erkenntnis und Erklärung des heutigen wirtschaftlichen Organismus es uns ermöglicht, die Wirtschaftsordnung früherer Epochen klarer zu verstehen, ist leicht einzusehen.

Darüber kann kein Zweifel sein, daß manche der wichtigsten ökonomischen Begriffe, wenn auch die Ausdrücke dieselben sind, heute einen wesentlich anderen Inhalt haben, als in früheren Wirtschaftsepochen. So kann man sagen, daß z. B. die Worte  Preis  und  Einkommen,  also die beiden Begriffe, an die sich die Hauptprobleme der Wirtschaftstheorie anknüpfen, heute etwas anderes bedeuten als in der regulierten Stadtwirtschaft des Mittelalters: der Preis z. B. heute überwiegend  Konkurrenzpreis,  damals durch die Obrigkeit festgesetzter  Taxpreis;  das Einkommen heute, selbst bei den Lohnarbeitern, durch freie Vereinbarungen und die Konkurrenzverhältnisse bedingter  Gewinn damals reguliertes und begrenztes Entgelt,  Lohn Auch das Geld hat z. B., trotzdem seine allgemeinste Definition für alle Wirtschaftsepochen gilt, in denen es bekannt war, heute gegenüber den Anfängen seiner Entwicklung seine Funktionen ausgedehnt (Mittel der Kapitalanlage) und auch seinen Inhalt erweitert (Papiergeld).

Die Unklarheit über das Wesen der Wirtschaft und das Organisationsprinzip des heutigen Tauschverkehrs hat aber dazu geführt, daß man in der Unterscheidung früherer Wirtschaftsepochen von der heutigen teilweise wieder zu weit gegangen ist. So, wenn behauptet wird (SCHMOLLER, SOMBART, PHILIPPOVICH), der mittelalterliche Handwerker habe nach ganz anderen Gesichtspunkten gewirtschaftet als der heutige. Das Streben nach Gewinn sei etwas für die  moderne Unternehmung  speziell Charakteristisches. Der mittelalterliche Handwerker habe nur seinen  Bedarf  decken, sich seine "Nahrung" verschaffen, aber keinen Gewinn erzielen wollen. Es ist keineswegs das Charakteristikum nur der modernen Erwerbswirtschaften, daß sie einen Gewinn erzielen wollen. Auf Gewinn oder Ertrag, einen Überschuß von Nutzen über die Kosten geht jede wirtschaftliche Tätigkeit zurück. Nicht allein die moderne Schuhfabrik ist um des Gewinnes wegen eingerichtet, wie SOMBART meint, auch der mittelalterliche Schuhmacher hat aus keinen anderen Gründen Schuhe hergestellt. Angesichts des Umstandes, daß aber überhaupt heute noch Unklarheit darüber herrscht, ob der Zweck einer Schuhfabrik sei, Schuhe herzustellen, oder dem Besitzer einen Gewinn zu liefern und  seine  Bedarfsversorgung zu ermöglichen, und ob die Wirtschaft des Arbeiters nicht in seiner technischen Tätigkeit an der Maschine bestehe, darf man sich über solche Auffassungen nicht wundern.

Richtig ist aber - und das ist der Hauptgrund, weshalb wir behaupten, daß unser theoretisches System als Gnzes nur für die heutige Wirtschaftsepoche gilt -, daß der mittelalterliche Tauschverkehr ganz anders organisiert war.  Wäre unsere Wirtschaftstheorie nicht so unglaublich zerfahren, so hätte diese bekannte historische Tatsache schon längst auf sie einwirken müssen. Man hat wohl gelegentlich erkannt, aber es nie auf die ökonomische Theorie angewendet, daß die gesamte heutige Bedarfsbefriedigung durch das Ertragsstreben sowohl in der Konsum - wie in der Erwerbswirtschaft organisiert wird, während das im Mittelalter nicht der Fall war. Daher ließ sich das, was heute die Aufgabe der Wirtschaftstheorie ist, den tauschwirtschaftlichen Mechanismus, auf die subjektiven Bedarfsempfindungen zurückzuführen, für die mittelalterliche Wirtschaftsorganisation nicht als Problem aufstellen. Und hier ist daher der tiefste Grund, weshalb wir vorher sagten, daß unsere Theorie nur für die heutige Wirtschaftsepoche gilt. Im Mittelalter, in der Epoche der regulierten Stadtwirtschaft,  ließ sich die Organisation der tauschwirtschlichen Bedarfsversorgung nicht auf die wirtschaftlichen Erwägungen der einzelnen Konsumwirtschaften zurückführen.  Deshalb sagte ich vorher schon, daß der Preis zu damaliger Zeit etwas anderes war. Die Konsumwirtschaften regulierten wohl im Zeitalter des Lohnwerkes den  Produktions prozeß, den die herrschende Theorie fast ausschließlich betrachtete,  aber ihr Ertragsstreben organisierte nicht den tauschwirtschaftlichen Mechanismus,  bestimmte nicht, wie heute im Zustand der Konkurrenz, direkt den Preis. Zwar handelte auch damals, wie zu allen Zeiten, der Einzelne nach dem Prinzip des größten  Ertrags,  größten Überschusses von Nutzen über die Kosten,  aber nicht dieses Prinzip ist es, welches das Angebot reguliert und damit zur Bildung des Konkurrenzpreises führt, sondern beides geschieht durch eine obrigkeitliche Regelung. 

Nur angesichts der  heutigen  tauschwirtschaftlichen Organisation konnten wir es also als ein Problem und zwar als das größte und heute noch so wenig gelöste der ökonomischen Theorie überhaupt bezeichnen, den tauschwirtschaftlichen Mechanismus  auf die Bedarfsempfindungen der einzelnen Menschen und ihr wirtschaftliches Handeln zurückzuführen.  Die Lösung dieses Problems glaube ich durch mein theoretisches System geben zu können und habe damit natürlich auch erst erkannt, weshalb und in welchem Umfang unsere theoretischen Erörterungen für die mittelalterliche Stadtwirtschaft nicht gelten. Über den Gegensatz beider ist also auf diesem Weg auch größere Klarheit geschaffen worden, und so ist vielleicht unsere Theorie auch in wirtschafts-historischer Hinsicht nicht ohne Nutzen.

Man darf aber in der Betonung der Verschiedenheiten auch nicht zu weit gehen und vor allem nicht verkennen, daß die letzten Grundbegriffe der Wirtschaft zu allen Zeiten die gleichen sein müssen. Das  Wesen des Wirtschaftlichen  ist immer dasselbe gewesen. Gerade so, wie wir es auffassen,  psychisch,  als Gegenüberstellung von Nutzen und Kosten, ist es auch in der isolierten Wirtschaft zu finden, wirtschafteten schon die alten Germanen, die Ägypter und Babylonier, wirtschaftet auch ein  Robinson.  Auch ein Lazzaroni und ein Schwarzafrikaner wirtschaften, auch wenn sie den größten Teil des Tages nichts tun. Mag ihr Wirtschaftsplan sich auch nur auf einen kurzen Zeitraum erstrecken, mag ihr Leben auch viel weniger als das der meisten Menschen von wirtschaftlichen Erwägungen ausgefüllt werden, zeitweise wirtschaften auch sei, und das Wesen dieser Wirtschaft ist im letzten Sinn ebenso ein Vergleichen von Nutzen und Kosten nach dem Maximumprinzip wie bei den großen Bankiers in der Lombard- oder Wallstreet.

Aber diese überall vorliegende Maxime des menschlichen Handelns ist gar nicht das  Objekt  der Wirtschaftswissenschaft, sie ist nur das  Auswahlprinzip  zur Bestimmung des Objekts. Dieses sind die  Wirkungen  jener Maxime, und sie sind zu verschiedenen Zeiten außerordentlich verschieden, denn sie sind abhängig von der gesamten Umwelt der Menschen, von allen ihren Beziehungen zur Außenwelt und zueinander, kurz von ihrem gesamten Kulturzustand. Von ihm kann die Wirtschaftstheorie abstrahieren nur in dem Sinne, daß sie ihn eben  voraussetzt,  als für die Isolierung ihrer Probleme gegeben annimmt. Aber sie kann ihn nicht  negieren,  aus jener Maxime irgendwelche allgemeine Sätze ableiten, die für alle Zeiten gelten. Und deswegen ist die Wirtschaftswissenschaft eine Kulturwissenschaft, ganz unabhängig davon, wie man diesen Begriff philosophisch definiert.

Aus all dem ergibt sich, daß ich mich nicht damit einverstanden erklären kann, wenn manche glauben, daß neben unserer rein ökonomischen Theorie noch eine besondere  kapitalistische  Theorie möglich ist. Hier spielt wieder das Schlagwort  Kapitalismus  und die dadurch hervorgerufene Vermengung mit soziologischen Problemen eine große Rolle. Unsere Theorie ist reine und kapitalistische zugleich, erstere, weil sie von den allgemeinsten Grundbegriffen ausgeht, letztere, weil die Erklärung des heutigen kapitalistischen Mechanismus ihre Aufgabe ist. Wir vermeiden aber dieses vom Sozialismus aufgebrachte Schlagwort und weisen darauf hin, wie wenig auch die bürgerlichen Nationalökonomen, die es gern anwenden, tatsächlich das Wesen des Kapitals richtig erkannt haben. Zum Beweis braucht man nur zu erwähnen, welche fundamentalen Irrtümer über den Kapitalbegriff (Verwechslung von Geld- und Sachkapital) und über das Wesen des Kapitalgewinns aufgrund der herrschenden Anschauungen in SOMBARTs großem Werk, "Der moderne Kapitalismus", enthalten sind, trotzdem sich SOMBART, und zum Teil auch mit Erfolg, ganz besonders um die Aufhellung der Kapitalerscheinungen bemüht hat (32). Allerdings sind in neuester Zeit Fortschritte in der Kapitalauffassung zu verzeichnen, und man kommt dem Kern der Sache allmählich eben dadurch näher, daß man sich mehr auf die ökonomische Untersuchung der Kapitalerscheinung, seine Bedeutung im tauschwirtschaftlichen Prozeß beschränkt und seine sozialistisch-soziologische Auffassung als Ursache der Klassenbildung zurücktreten läßt. So liegt auch hier der Fortschritt deutlich in der Trennung von Ökonomik und Gesellschaftslehre. Einstweilen ist aber die Vermengung und sind die Irrtümer über das Wesen des Kapitals und die Ursache des Kapitalgewinns noch so groß und allgemein verbreitet, daß alle wissenschaftlichen Arbeiten, die viel mit den Schlagworten  Kapitalismus  und  kapitalistisch  operieren - und sie finden sich gerade auch in Werken gewisser Nationalökonomen, die sonst viel auf wissenschaftliche "Reinlichkeit" zu geben behaupten - mit dem größten Mißtrauen zu betrachten sind.

Nach meiner Auffassung kann also von Gesetzen in einem rein naturwissenschaftlichen Sinn, d. h. im Sinne einer zeitlosen Geltung im allgemeinen im Wirtschaftsleben nicht die Rede sein. Aber auch im Sinne einer absoluten Geltung sind die Ergebnisse der Wirtschaftstheorie keine wirklichen Gesetze. Denn sie gelten eben nur für die Wirtschaftstheorie, für den vereinfachten, von allem Nichtwirtschaftlichen abstrahierenden Organismus des Tauschverkehrs, dessen Grundprinzipien die Wirtschaftstheorie untersucht. Sie gelten nur für die  homines oeconomici,  für Menschen, die ausschließlich nach dem wirtschaftlichen Prinzip handeln, wie sie die Wirtschaftstheorie zugrunde legt, um die wirtschaftlichen Vorgänge erklären zu können. Wirtschaftliche Gesetze sind also ebenso nur ein methodisches Hilfsmittel zur Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen wie die ganze Wirtschaftstheorie überhaupt.

Wenn wir also von wirtschaftlichen Gesetzen sprechen, so geschieht es nur im Hinblick auf die allgemeinsten Grundlagen des Wirtschaftens, die ansich mehr in die Psychologie als in die Nationalökonomie gehörten, aber eben doch von dieser zur Erfüllung ihrer Aufgaben klargestellt sein müssen. So das Gesetz des abnehmenden Nutzens bei zunehmender Bedarfsbefriedigung (Gossensches Gesetz). Bei dem einzigen Fall, in dem ich in der Theorie des  Tauschverkehrs  häufiger von einem  Gesetz  spreche, bei dem von mir aufgestellten  Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge,  dient der Ausdruck "Gesetz" nur dazu, um anzudeuten, daß sein Inhalt die schärfste theoretische Formulierung des Grundsatzes ist, welcher alles wirtschaftliche Handeln bestimmt. Es ist daher auch zunächst nur ein  psychisches  Gesetz, das innerhalb der Einzelwirtschaft gilt, aber es ist insofern auch das  einzige tauschwirtschaftliche  Gesetz, weil es eben dadurch, daß es das wirtschaftliche Handeln des Einzelnen bestimmt, in der heutigen Wirtschaftsordnung  auch den ganzen tauschwirtschaftlichen Mechanismus regelt.  Ansich ist es für die Einzelwirtschaft nur ein allgemeines  Prinzip,  die  Richtschnur,  und für den Tauschverkehr nur eine  Tendenz,  die eben mit jenem Prinzip in einem Zusammenhang steht. Diesen Zusammenhang nachzuweisen, das ist die Aufgabe der Wirtschaftstheorie, es ist dasselbe, was wir sonst als Erklärung des tauschwirtschaftlichen Mechanismus aus den Bedarfsempfindungen der einzelnen Wirtschaftssubjekte zu bezeichnen pflegten.


3. Andere Zweige der Wirtschaftswissenschaft,
insbesondere die Privatwirtschaftslehre.

Über die Aufgabe der sonstigen Zweige der Wirtschaftswissenschaft wollen wir hier nur das Nötigste sagen. Wirtschafts geschichte,  in unserem Sinn, ist nichts weiter als die Anwendung der induktiven Methode auf das Erkenntnisobjekt der Wirtschaftswissenschaft (33). Durch die Art der Darstellungsweise, Vorgehen vom Besonderen zum Allgemeinen, Beschreiben, ist sie ein selbständiger Zweig der Wirtschaftswissenschaft. Sie ergänzt sich aber dadurch stetig mit der Wirtschaftstheorie, daß sie zu einer guten Beschreibung und richtigen Kausalerklärung, Erkenntnis der Ursachen der historischen Entwicklung, klarer Begriffsabgrenzungen nicht entbehren kann. Umgekehrt liefert die Beschreibung der theoretisch-systematischen Erfassung das Tatsachenmaterial, aus welchem diese das Wesentliche und Typische herauszufinden sucht, um es ihren begrifflichen Abgrenzungen zugrunde zu legen. So sind sich beide Richtungen der Wirtschaftswissenschaft gegenseitig unentbehrlich. Je mehr die wissenschaftliche Untersuchung sich speziellen Erscheinungen zuwendet, umso mehr wird natürlich die beschreibende Ursachenerklärung von Bedeutung. Die Theorie tritt dann zurück, die beschreibende Untersuchung arbeitet einfach mit dem von ihr gegebenen Begriffsmaterial. Immerhin ist aber auch hier eine gewisse Theorie und Systematik die Voraussetzung einer guten beschreibenden Untersuchung, z. B. war eine Theorie der Beteiligungs- und Finanzierungsgesellschaften notwendig, über deren Wesen und Formen, ihre Stellung im Kreis anderer wirtschaftlicher Erscheinungen, daher auch über ihre Beurteilung, vor der Anstellung einer theoretischen und systematischen Untersuchung niemand eine rechte Vorstellung hatte. Ich erwähnte schon, daß eine solche Theorie spezieller wirtschaftlicher Erscheinungen unter Umständen von der allgemeinen Theorie ziemlich unabhängig sein kann, so daß man hier trotz falscher allgemeiner theoretischer Grundlagen doch oft zu richtigen Ergebnissen kommen kann.

Immerhin ist die Wirtschaftstheorie, wenn sie einmal in richtiger Weise aufgestellt worden ist, etwas Gegebenes, natürlich nicht ewig Gegebenes, sondern sie ist immer wieder durch neue Erscheinungen im Wirtschaftsleben zu ergänzen und auch fast endlos durch eine Heranziehung von immer weiteren speziellen Fällen noch zu vervollkommnen. So kann z. B. nach Feststellung der allgemeinsten Preisbestimmungsgründe die Feststellung besonderer Umstände, welche in einzelnen Fällen auf den Preis wirken, immer mehr verfeinert und in ein immer umfassenderes System gebracht werden. Aber für die allgemeinen theoretischen Grundlagen der Wissenschaft kann man sich denken, daß darüber einmal völlige Übereinstimmung erzielt und sie damit sozusagen als erledigt betrachtet werden könnte. Wenn es auch damit noch eine gute Weile hat, kann man doch sagen, daß die historische beschreibende Richtung, absolut betrachtet, ein weiteres Feld ihrer Anwendung vor sich hat.

Heute aber noch und schon seit Jahrzehnten ist die theoretische Erfassung der wirtschaftlichen Erscheinungen die wichtigste Aufgabe der Wissenschaft, und zwar zunächst die richtige Erfassung der allgemeinsten wirtschaftlichen Erscheinungen, in letzter Linie also des Wesens des Wirtschaftlichen selbst. Denn hier sind noch die größten Unklarheiten vorhanden, und von ihr hängen alle weiteren Fortschritte der Wissenschaft ab. Insbesondere sind auch klare ökonomische Begriffe, richtige Einsicht in das Wesen des tauschwirtschaftlichen Mechanismus für die  Wirtschaftspolitik  von der größten Bedeutung. Ich erwähne nur die Bedeutung einer richtigen Erkenntnis der Preisbildung für die Besteuerung und die damit zusammenhängendes Überwälzungsfrage. Aber auch weit über das wirtschaftliche Leben hinaus haben richtige wirtschaftstheoretische Erkenntnisse die größte praktische Bedeutung, z. B. eine richtige Erklärung der Einkommensbildung, die die heutige Zurechnungslehre beseitigt, für die Kritik und Bekämpfung des Sozialismus. Ich kann daher der Ansicht von MAX WEBER nicht zustimmen, daß der Erkenntniswert der ökonomischen Theorie gering sei (34). Diese Ansicht beruth wohl einerseits darauf, daß er die fundamentalen Fehler der bisherigen Theorien, die auf einer materialistischen Auffassung beruhen, nicht erkannte, andererseits darauf, daß er, eben auf dieser Grundlage und im Bann des theoretischen Skeptizismus, der die historische Richtung beseelte, an der Möglichkeit, aus dem heutigen theoretischen Marasmus [Schwindsucht - wp] herauszukommen, verzweifelte. In der Tat ist eine theoretische Forschung nur im Rahmen eines geschlossenen Systems möglich und nur von einem solchen aus kann man zu theoretischen Arbeiten Stellung nehmen. Die Fähigkeit dazu ist eine besondere Anlage, analytische Begabung, zu deren Anwendung man ganz von selbst kommt. Aber es kann sich keiner hinsetzen und erklären, ich will jetzt einmal theoretisch arbeiten. Dann kommen höchstens jene dogmenhistorischen und kompilatorischen Arbeiten heraus, die oft mit ökonomischer Theorie verwechselt werden und die meist einen eigenen klaren theoretischen Standpunkt des Verfassers vermissen lassen. Aber selbst die  Ergebnisse  der Theorie werden subjektiv verschieden aufgefaßt. Der eine hat mehr das Bedürfnis nach scharfen klaren Begriffen, nach einer möglichsten Vereinfachung in der Darstellung des Erkenntnisobjekts, er will eine allgemeine Übersicht über das Funktionieren des tauschwirtschaftlichen Mechanismus. Ihm wird die ökonomische Theorie einen größeren Erkenntniswert besitzen. Den anderen - und zu ihnen gehört zweifellos MAX WEBER - interessieren mehr die speziellen Zusammenhänge wirtschaftlicher Erscheinungen, ihre historische Entwicklung, er ist aufnahmefähiger für das Detail, verlangt weniger nach einem Begriffsgerüst, von dem aus er das Ganze übersehen kann. Ihm wird die historische Betrachtung wertvoller erscheinen.

Ein allgemeines Urteil über den Wert oder Unwert der ökonomischen Theorie ist aber auch deswegen nicht möglich, weil heute schon völlig der Maßstab dafür fehlt, was z. B. die Klassiker für die Erkenntnis der wirtschaftlichen Erscheinungen geleistet haben. Denn wir arbeiten noch mit ihrem Begriffsmaterial, wenn wir uns auch in vielem genötigt sehen, ihm einen neuen Sinn zu unterlegen. Wir können aber längst nicht mehr feststellen, was von diesem Begriffsmaterial der damalige Sprachgebrauch schon hatte und was wir erst der wissenschaftlichen Klarstellung verdanken. Und auch der heutige Sprachgebrauch des wirtschaftlichen Lebens benutzt Begriffe und Vorstellungen, die ursprünglich von der Wissenschaft geschaffen oder klarer abgegrenzt worden sind. So werden auch heute von der ökonomischen Theorie geschaffene Begriffe und Abgrenzungen oft sehr schnell allgemein gebrauchtes Handwerkszeug der Historiker, und der Theoretiker, der ein Unterscheidungsmerkmal zuerst erkannte und dadurch vielen Historikern vorarbeitete, ist oft schnell als Urheber einer Begriffsabgrenzung vergessen, die dann Allgemeingut wird.

Im gegenwärtigen Zustand der ökonomischen Wissenschaft halte ich, um sie möglichst zu fördern, den Wert der ökonomischen Theorie, d. h. nicht etwa jeder theoretischen Untersuchung, sondern den Wert eines geschlossenen  theoretischen Systems,  das die allgemeinsten tauschwirtschaftlichen Vorgänge wirklich analysiert, vor allem also die Preis- und Einkommensbildung aus den subjektiven Bedarfsempfindungen erklärt, für unendlich viel größer als jede, auch die denkbar vollkommenste Lösung irgendeines historisch-ökonomischen Problems. Denn denken wir uns selbst das größte derartige Problem, die denkbar vollkommenste Darstellung der Entwicklung des modernen Kapitalismus! Wie unklar und unvollkommen muß sie unter allen Umständen sein, solange noch so unklare und falsche Anschauungen über das Wesen des Kapitals, die Ursache des Kapitalzinses und aller Einkommensarten, kurz über den ganzen Charakter der heutigen Wirtschaftsordnung und ihr Organisationsprinzip vorhanden sind, wie das heute der Fall ist!

Allerdings ist es richtig, daß die Theorie, wie eben die Wissenschaft überhaupt, nur ein Mittel für die menschliche Erkenntnis ist, aber eines, das der menschliche Geist unbedingt braucht, um im Chaos der Erscheinungen in seiner Vorstellung Ordnung zu schaffen und damit über sie Herr zu werden. Und es ist auch richtig, daß, wenn das System der Betrachtung einmal da ist und allgemein angewendet wird, die theoretische Untersuchungsmethode als solche ihre Bedeutung verloren hat und die Gewinnung weiterer Erkenntnisse für die Wissenschaft dann in der Hauptsache ihren anderen Zweigen obliegt.

Von diesen soll über die  Wirtschaftspolitik  hier nur ganz kurz die Rede sein. Wir stehen hier ausdrücklich auf dem von MAX WEBER und anderen vertretenen Standpunkt, den wir übrigens immer als selbstverständlich angesehen haben, daß die Frage des  Seinsollens  nicht Gegenstand der Wissenschaft ist. So bleibt als solcher von der Wirtschaftspolitik nur die kausale Betrachtung wirtschaftspolitischer Maßnahmen, der  Ursachen,  die zu ihrer Einführung bzw. zur Befürwortung einer solchen geführt haben, und der  Wirkungen,  welche wirtschaftspolitische Maßregeln gehabt haben oder vermutlich haben werden, ferner die beschreibende und vergleichende Darstellung solcher Maßregeln.

Wirtschaftspolitische Maßregeln sind solche, welche eine Einwirkung auf wirtschaftliche Vorgänge bezwecken, d. h., wie bekannt, auf Vorgänge, welche der eigenartigen Vergleichung von Zwecken und Mitteln ihre Entstehung verdanken, in der wir das Wesen der Wirtschaft erblicken. Der Staat kann, wie schon gesagt, selbst solche Handlungen vornehmen, bei denen er Mittel und Zwecke nach dem wirtschaftlichen Prinzip vergleicht. Insofern ist er aber selbst eine Wirtschaft, Fiskus, und die Wissenschaft von der Wirtschaft des Staates ist die  Finanzwissenschaft.  Aber es ist klar, daß die Bestrebungen und Tätigkeiten des Staates weit über solche hinausgehen, bei denen nach dem wirtschaftlichen Pinzip verschiedene Zwecke mit den für sie aufzuwendenden Mitteln, Kosten, verglichen werden. Wirtschaften ist eben der Vergleich  verschiedener  Zwecke an ihren Kosten, und gerade bei vielen Staatszwecken findet ein solcher Vergleich nicht statt. So sind die meisten nationalen Zwecke des Staates keine wirtschaftlichen, sondern eben politische: nationalpolitische, ebenso die meisten sozialen Zwecke, die Förderung eines ruhigen und geordneten Zusammenlebens der Untertanen, eine Verminderung der Klassengegensätze und dgl.: die sozialpolitischen Zwecke. Aber auch die wirtschaftspolitischen Zwecke und Aufgaben des Staates, die Förderung oder auch Beschränktung der wirtschaftlichen Tätigkeit Einzelner oder ganzer Gruppen sind ansich nicht Wirtschaft. Sie kein Zweck ansich ein Wirtschaften ist, sondern erst durch die besondere Art seiner Vergleichung mit anderen Zwecken und mit den dafür aufzuwendenden Mitteln, so gilt das auch für die Zwecke des Staates. Sie sind nicht Wirtschaft, sondern Politik.

Die Betrachtung solcher wirtschaftspolitischer Maßregeln in diesem Sinne ist ein Teilgebit der allgemeinen Wirtschaftswissenschaft, diese Maßregeln sind ein Teilobjekt des allgemeinen Erkenntnisobjekts der Wirtschaftswissenschaft. Solche Teilobjekte lassen sich beliebig viele herausgreifen. Ob man ihre Untersuchung als eine besondere Teilwissenschaft der allgemeinen Wirtschaftswissenschaft bezeichnen will, ist eine reine Zweckmäßigkeitsfrage. sie wird natürlich entscheidend bestimmt durch den  Umfang  und die  verhältnismäßige Selbständigkeit der Lehrsätze,  die sich an ein solches Teilobjekt anknüpfen lassen, in gewisser Hinsicht auch durch die Bedeutung, welche diese Lehrsätze und die Betrachtung des Teilobjekts für die Gesamtheit haben. Dabei wird auch der Sprachgebrauch einen Einfluß ausüben.

So wird man z. B. die  Genossenschaftslehre  nicht als eine besondere  Teilwissenschaft  der allgemeinen Wirtschaftswissenschaft bezeichnen können. Denn der Umfang der an sie anknüpfenden Lehrsätze ist so gering, daß von einem  System  derselben nicht die Rede sein kann. Und das wird letzten Endes das Entscheidende sein.

Aus diesem Grund hat aber den Charakter einer Teilwissenschaft der allgemeinen Wirtschaftswissenschaft die  Finanzwissenschaft.  Ihr Erkenntnisobjekt ist zwar nur ein Teilobjekt, es fällt auch unter das allgemeine Identitätsprinzip des Wirtschaftlichen. Denn man sollte, wenn irgend möglich, an der Einheit des Identitätsprinzips: "wirtschaftlich" festhalten und diese Möglichkeit ist der Finanzwissenschaft gegenüber durchaus vorhanden. Aber die staatliche Wirtschaft ist eine Wirtschaft so eigener Art mit so vielen Besonderheiten, daß sich an sie ein eigenes System von Lehrsätzen anknüpft, weshalb sie auch schon im Sprachgebrauch einen eigenen Namen erhalten hat.

Alle diese logischen Erörterungen geben nun auch die Grundlage für unsere Stellungnahme zu der heute so viel erörterten Frage der  Privatwirtschaftslehre. 

Über die Privatwirtschaftslehre ist in den letzten Jahren im Anschluß an das Buch von WEYERMANN und SCHÖNITZ, "Grundlegung und Systematik der wissenschaftlichen Privatwirtschaftslehre", 1912, so viel Methodologisches geschrieben worden, daß von verschiedenen Seiten die Forderung erhoben wurde, nicht mehr so viel über eine solche Lehre zu reden, sondern sie zu schaffen. Hier soll nur über die methodologische Seite der Frage gesprochen werden. Noch kurz vor seinem allzu früh erfolgten Tod hat SCHÖNITZ im Einleitungsheft der neuen Sammlung: "Die private Unternehmung und ihre Betätigungsformen", 1914, in der ersten Abhandlung "Wesen und Bedeutung des privatwirtschaftichen Gesichtspunktes in der Sozialökonomie", zu dieser Frage Stellung genommen. Er macht sich aber die Sache dadurch leicht, daß er den "sozialökonomischen Gesichtspunkt" einfach als selbstverständlich ansieht und im entscheidenden Abschnitt (IX) dann nur die Frage aufwirft: "Inwiefern kann es innerhalb der Sozialökonomie einen privatwirtschaftlichen Gesichtspunkt geben?" Über diesen sagt er (Seite 7): "Der  privatwirtschaftliche Gesichtspunkt  innerhalb der Sozialökonomie erfaßt im Gegensatz zur sozioökonomischen Betrachtung im engeren Sinne (zum "sozialökonomischen Gesichtspunkt", wie wir ihn kurz nennen wollen) die sozialökonomischen Phänomene unter dem Gesichtspunkt der privatwirtschaftlichen Interessen der beteiligten Wirtschaftsindividuen." Und weiter heißt es:
    "Privatwirtschaftslehre ist diejenige Teildisziplin der Sozialökonomie, die zum Objekt hat die Betätigung privater, für sich selbst besorgter Wirtschaftssubjekte zur Erzielung eines möglichst großen Ertrags bei möglichst geringem Risiko, und die, im Gegensatz zur sozialökonomischen Betrachtung im engeren Sinne, diese Betätigung unter dem Gesichtspunkt der Interessen dieser Privatwirtschaften, gesondert nach ihren einzelnen Typen, betrachtet."
In Abschnitt IX führt er dann die auch oben erwähnten Vertreter einer sozialen Betrachtungsweise vor, stellt ihnen als Gegner HEIMANN und mich entgegen und exemplifiziert dann, ohne selbst ausdrücklich Stellung zu nehmen, vor allem auf MARX, und behauptet, daß der erste Band des "Kapital" eine rein sozialökonomische Wesensbestimmung des Kapitalismus geben will. Wir haben schon darüber gesprochen, daß die Auffassung der wirtschaftlichen Handlungen als "gesellschaftliche Funktion" statt als Zweck der Einzelwirtschaft, wenn sie überhaupt möglich ist, jedenfalls mit Wirtschaftstheorie in deren klar bestimmter Aufgabe nichts zu tun hat und bestenfalls in die Soziologie gehört. Daher hätte SCHÖNITZ, statt sich um den Nachweis zu bemühen, daß in der Sozialökonomie auch ein privatwirtschaftlicher Gesichtspunkt möglich ist, untersuchen müssen, ob es neben den zweifellos vorhandenen, nie zu leugnenden privatwirtschaftlichen Interessen und Zwecken auch noch andere "sozialökonomische" gibt. Als Begründung für die letzteren finden sich nur zwei kurze Bemerkungen:
    "In der praktischen Nationalökonomie ist der Gegensatz der Beurteilung volkswirtschaftlicher Vorgänge vom Standpunkt der Interessen des Individuums und von dem des  Gesamtinteresses  uns durchaus geläufig." (Seite 48)
Es ist kein Zweifel, daß es sich in der Volkswirtschaftspolitik um Werturteile handelt. Für die theoretische Nationalökonomie kann dieses "Gesamtinteresse" einer konkreten staatlichen Volkswirtschaft nicht in Betracht kommen. Auch wäre noch eine Untersuchung erforderlich, was denn vom Standpunkt der Volkswirtschaftspolitik Gesamtinteressen sind.

Die andere Stelle ist eine Bezugnahme auf meine Krisentheorie, wo ich ausführte, daß einer zu schnellen Ersetzung alter Kapitalien durch neue "das Streben der Einzelwirtschaften nach größtem Gewinn und das volkswirtschaftliche größter Wohlstandsförderung auseinandergehen können". Nun, was ich hier volkswirtschaftliches Interesse größter Wohlstandsförderung nannte, ist nur ein schlechter Ausdruck. Es ist auch nur ein privatwirtschaftlicher Gesichtspunkt, aber diesmal nicht der  Erwerbswirtschaften,  die die Privatwirtschaftslehre sonst immer im Auge hat, sondern  aller Konsumenten.  Ein volkswirtschaftliches Interesse gibt es nur in der Wirtschafts politik,  also nur in Bezug auf einen konkreten  Staat.  Für die Wirtschaftstheorie aber, die nicht die "Volkswirtschaften" der verschiedenen Staaten einander gegenüberstellt, gibt es nur Interessen der einzelnen Wirtschaften und ihrer gemeinsamen Veranstaltungen. Es ist auf das schärfste daran festzuhalten, daß es den Einzelnen übergeordnete "soziale Zwecke", ein soziales Zweckgebilde, dessen "dienende Glieder" die Einzelwirtschaften nur in der Wirtschaftstheorie sind, d. h. für die Erklärung der tauschwirtschaftlichen Erscheinungen, nicht gibt.

Die ganze Unterscheidung von privatwirtschaftlichem und volkswirtschaftlichem Gesichtspunkt, die logischerweise nur eine solche nach verschiedenen Zwecken sein kann, ist also in der Wirtschaftstheorie unmöglich. Sie ist nur eine solche der  Wirtschaftspolitik,  wo zu dem im Tauschverkehr selbst allein vorhandenen Zweckstreben der privaten Wirtschaften, die natürlich letzten Endes alle  Konsum wirtschaften sind, noch das Zweckstreben des  Staates seine  Politik,  hinzukommt.

Damit ist aber nur festgestellt, daß es eine Privatwirtschaftslehre nicht als selbständige Wissenschaft neben der Sozialökonomie geben kann, was sie eigentlich nach der Auffassung aller Vertreter der sozialen Betrachtungsweise sein müßte. Logischerweise müßten die Vertreter eines "sozialen" Objekts der Nationalökonomie den Anspruch der Privatwirtschaftslehre als einer besonderen Wissenschaft anerkennen. Denn irgendwohin muß doch die Privatwirtschaft als Objekt wissenschaftlicher Betrachtung gehören, und sie sollten froh sein, das Ökonomische, das nicht "sozialökonomisch" ist, irgendwo unterbringen zu können. DIEHL steht aber nicht auf diesem Standpunkt. Es hängt das wohl damit zusammen, daß er, sobald es sich um positive Theorien handelt, ebenso "Individualist" und zwar im ganzen Vertreter der klassischen Schule ist wie alle anderen bisherigen Theoretiker.

Überhaupt ist ja die Einheit der Wirtschaftswissenschaft, die man auch bisher immer festgehalten hat, nicht so leicht durch die Forderung einer besonderen Sozialökonomik abzuweisen, und diese charakterisiert sich auch dadurch als eine Verlegenheitsmaßregel. So lenen auch WEYERMANN und SCHÖNITZ die Selbständigkeit der Privatwirtschaftslehre ab, bemühen sich aber, als Konzession an die soziale Betrachtungsweise, sie als Teil der Sozialökonomie unter einem besonderen Gesichtspunkt, aber mit "sozialökonomischem Wertakzent" (siehe darüber weiter unten) aufzufassen. Dieser privatwirtschaftliche Gesichtspunkt ist nun aber kein besonderer, sondern es ist der allgemeine, natürliche, den man bei der Beobachtung im Wirtschaftsleben allein vorfindet, und von dem aus die Wirtschaftstheorie die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen zu erklären hat. Jener sozialökonomische Gesichtspunkt dagegen ist ein künstlich konstruierter, der bei logischer Durchführung den Tauschverkehr als eine  Wirtschaft  mit eigenem Zweck auffaßt, was sie höchstens als Gegenstand nationalwirtschaftlicher Politik, also vom Standpunkt des Staates aus ist.

Ist nun, wenn es keinen besonderen sozialökonomischen Gesichtspunkt in der Wirtschaftswissenschaft gibt, sondern der privatwirtschaftliche zugleich Organisationsprinzip des Tauschverkehrs ist, die Privatwirtschaftslehre damit überhaupt aus der Welt geschafft? Selbstverständlich nicht. Sie ist ganz einfach das Herausgreifen eines  besonderen Teilobjekts  aus dem allgemeinen Erkenntnisobjekt der Wirtschaftswissenschaft, wie wir solche Teilobjekte schon mehrfach kennengelernt haben und wie sich bei einer weiteren Ausgestaltung der Wissenschaft wahrscheinlich noch mehr ausbilden werden. Solche abzugrenzen, ist eine  bloße Zweckmäßigkeitsfrage,  die von der Beurteilung der Teilobjekts und den von ihm auszusagenden Lehrsätzen abhängt. Deshalb hat auch jedermann von vornherein das Empfinden, daß es wenig Sinn macht, solche Spezialwissenschaften zu proklamieren, solange nicht schon eine Reihe von Lehrsätzen über dieses Teilobjekt vorliegen, welche zu einem geschlossenen Ganzen, einem System ausgestaltet werden können. Wenn es schon für jede Wissenschaft gilt, daß ihr Objekt und damit ihr Gebiet zunächst durch die der Beobachtung und Erfahrung aufstoßenden Probleme gebildet wird, so gilt das noch viel mehr für die Abgrenzung eines Teilobjekts einer Wissenschaft zu einer besonderen Teildisziplin in derselben. Es gilt also hier ganz besonders: Schafft eine Anzahl eigener Lehrsätze über die Privatwirtschaften, so habt ihr die Privatwirtschaftslehre!

Der Ausdruck  Privatwirtschaftslehre  bezeichnet aber keineswegs treffend das, was die Vertreter dieser Disziplin sich als ihr Objekt denken. Denn es handelt sich nicht um alle einzelnen Wirtschaften, insbesondere nicht um die  Konsumwirtschaften,  auch nicht um diejenigen Erwerbstätigkeiten, die mit den Konsumwirtschaften der Wirtschaftssubjekte aufs engste verbunden sind, sondern es handelt sich um die  selbständigen Erwerbswirtschaften,  um die "Privatwirtschaftslehre der Unternehmungen" (siehe SCHÖNITZ, a. a. O., Seite 9; er meint, daß auch einmal eine besondere Lehre vom  Verbrauchs haushalt zu schaffen außerordentlich wertvoll erscheinen könnte). Die sogenannten Privatwirtschaftslehre will also die modernen Unternehmen betrachten, die selbst wieder komplizierte wirtschaftliche Organismen mit mancherlei tauschwirtschaftlichen Beziehungen in ihrem Innern, Beschäftigung sehr verschiedenartiger Arbeitskräfte, sind. Daß man zur Abgrenzung dieses Objekts einen besonderen privatwirtschaftlichen Geschtspunkt innerhalb der "Sozialökonomie" konstruierte, hat letzten Endes zwei Gründe. Einmal wieder die materialistische Auffassung der Wirtschaft, die Wirtschaft und Produktion verwechselte und damit nicht zu klarer Erkenntnis kam, daß hinter dem "privatwirtschaftlichen Zweck" der Erwerbswirtschaft der  eigentliche  privatwirtschaftliche Zweck, der der Konsumwirtschaften steht, der den ganzen Verkehr organisiert. Ebenso wir man den Begriff der  Sozialökonomik  braucht, um bei der materialistischen Auffassung das Objekt der Wirtschaftswissenschaft von der Technik unterschieden werden zu können, wenn man sie nicht als Zwekg der  "Sozialökonomik"  proklamiert. Deshalb lehren WEYERMANN und SCHÖNITZ, daß man "die privatwirtschaftliche Forschung nur treiben will, soweit die sozialökonomisch einen Wertakzent erhält", oder "soweit sie sozialökonomisch einen Wertakzent erhält" oder "soweit sie einen sozialökonomischen Akzent hat" (35), Was die Privatwirtschaftslehre ist, soweit sie  keinen  "sozialökonomischen Akzent" hat, sagen beide ebensowenig, wie die Vertreter der sozialen Betrachtungsweise das Wesen einer Naturalwirtschaft zu erläutern vermögen. Mit diesem "sozialökonomischen Wertakzent" ist das reichhaltige Phrasenregister der soziologischen Nationalökonomen um eine bemerkenswertes Exempla bereichert worden. WEYERMANN und SCHÖNITZ müssen diese Beschränkung machen aus demselben Grund, aus dem überhaupt die "sozialökonomische Betrachtungsweise" erfunden wurde, um bei der materialistischen Auffassung der Wirtschaft diese von der Technik unterscheiden zu können. In der Tat ist vieles, was die sogenannte Privatwirtschaftslehre bisher behandelte,  Technik,  materielle Technik oder immaterielle (kommerzielle), nach der Unterscheidung von Wirtschaft und Technik, die wir im betreffenden Aufsatz in dieser Zeitschrift gegeben haben. Nach der dort entwickelten psychischen Auffassung der Wirtschaft ist aber ganz klar, daß eine  wirtschaftliche  Betrachtung von Erwerbswirtschaften, Unternehmungen,  immer zugleich  "sozialökonomisch", tauschwirtschaftlich ist. Daß eine solche Betrachtung einen "sozialökonomischen Wertakzent" haben muß, ist also eine Phrase, welche in dem einzigen Sinn, den sie haben kann, die Beziehung auf den  Staat  als soziales Gebilde, von ihren Urhebern nicht gewollt ist. Ohne Beziehung auf den Staat gibt es aber keinen von den Zwecken der Einzelwirtschaften verschiedenen wirtschaftlichen Zweck und daher auch keinen "sozialökonomischen Wertakzent".

Deswegen bleibt die Betrachtung der verschiedenen Organisationen der einzelnen Unternehmungen doch ebenso gut Volkswirtschaftslehre oder Wirtschaftswissenschaft oder Sozialökonomik, wie die allgemeinsten Erörterungen über die Unternehmung, den Unternehmergewinn und dgl. Jene sind nur eine Weiterführung der wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchung. Die Berechtigung, sie als eine besondere Teildisziplin aufzufassen, kann nur durch ihre Ergebnisse gewonnen werden.

Der zweite Grund dafür, weshalb man sich um eine Abgrenzung der Privatwirtschaftslehre bemühte, einen besonderen privatwirtschaftlichen und einen volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt einander gegenüberzustellen, liegt in der Unklarheit des Begriffs  Wirtschaft  und daß er der Wissenschaft den Namen gegeben hat. Die Ausdrücke  Wirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre  knüpfen sich, statt an die wirtschaftlichen Vorgänge und Beziehungen, immer an die  Wirtschaft,  d. h. also an einen komplizierten Organismus, sei es die  Einzelwirtschaft  in ihren sehr verschiedenen Formen, sei es die angenommene oder unter dem Einfluß des Staates gesehene  "Volkswirtschaft".  Weil nun "Wirtschaft" immer nur als ein Zwecke verfolgender Organismus gedacht werden kann, kam man dazu die "Wirtschaftslehre" auch als eine Zweckwissenschaft anzusehen, während sie eine reine Seinswissenschaft ist, welche, ganz ohne Rücksicht auf die Art der Zwecke, nur die Wirkungen untersucht, die aus den Zwecken, einerlei welchen Inhalts, aufgrund eines rein formalen Prinzips der Zweck- und Mittelvergleichung, des wirtschaftlichen Prinzips hervorgehen. Diese Wirkungen sind vor allem die tauschwirtschaftlichen Vorgänge und Beziehungen, Einrichtungen usw. Das Hauptproblem der Wirtschaftswissenschaft, der Preis und ebenso das Geld, ist überhaupt kein Zweck, weder ein "privater" noch ein "sozialer" und die Zwecke der Einzelwirtschaften sind wohl Ursache allen Tauschverkehrs, aber nicht ihrem Inhalt nach Objekt der Wissenschaft, wozu der Ausdruck  Wirtschaftslehre  verleiten könnte. Und damit ergibt sich auch, weshalb die Unterscheidung von privatwirtschaftlichem und volkswirtschaftlichem oder sozialem Gesichtspunkt für die Wirtschaftstheorie keine Bedeutung haben kann. Wir können daher die daran anknüpfenden methodologischen Behauptungen und Forderungen wohl als erledigt betrachten.

Die moderne Unternehmung kann nun zweifellos als ein Teilobjekt der Wirtschaftswissenschaft Gegenstand einer besonderen Betrachtung sein, und es ist auch sehr wahrscheinlich, daß sich über sie eine solche Anzahl sie speziell betreffender Sätze aufstellen läßt, daß man sie zu einem systematischen Ganzen vereinigen kann. Denn sie ist selbst ein komplizierter Organismus in dem sehr viele Wirtschaftssubjekte in sehr verschiedenen Stellungen tätig sind, ohne daß die Unternehmung  ihre  Wirtschaft wäre. Diesen Organismus zu untersuchen und seine verschiedenen Formen und Einrichtungen darzustellen, kann in der Tat Gegenstand einer besonderen Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaft werden, indem sich an ihn so viele allgemeine Sätze anknüpfen lassen, daß man von einem geschlossenen System derselben reden kann. Diese Sätze werden, wie das auch von WEYERMANN und SCHÖNITZ in ihrem Entwurf ausgeführt ist, hauptsächlich eine Typenbildung der Unternehmungen zum Inhalt haben.

Alle derartigen Untersuchungen aber bleiben vollkommen im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftswissenschaft, sie sind ganz ebenso "sozialökonomisch" wie die richtig verstandenen, d. h. von gesellschaftlichen und politischen Vermengungen befreite "Sozialökonomik". Darin stimme ich ganz DIEHL zu, daß die sogenannte Privatwirtschaftslehre nur Sinn hat, "unter dem Gesichtspunkt des volkswirtschaftlichen Zusammenhangs" (36). Aber das kann man auch nur behaupten, sobald man erkannt hat, daß Wirtschaftswissenschaft eine Seinswissenschaft und keine Wissenschaft von Zwecken ist. Dann wird klar, daß man sich eine Unternehmung, eine besondere im Tauschverkehr verflochtene Wirtschaftsform,  wirtschaftlich  überhaupt nicht anders als eben in den Tauschverkehr verflochten vorstellen kann. Das umso mehr, als ja sogar zwischen den Personen, die eine solche Unternehmung bilden, Tauschverkehrsvorgänge eine große Rolle spielen, nämlich die Anstellung von Arbeitern und Beamten. Während aber die allgemeine Wirtschaftswissenschaft auf die Besonderheit der einzelnen Unternehmung nicht näher einzugehen braucht, weil sie in erster Linie die tauschwirtschaftlichen Zusammenhänge zwischen zahllosen Wirtschaften aufzudecken hat, die man hergebrachterweise mit dem irreführenden Namen  Volkswirtschaft  bezeichnet, soll die sogenannte Privatwirtschaftslehre mehr den inneren Aufbau der einzelnen Unternehmung und die damit zusammenhängenden Verschiedenheiten herausarbeiten, die aber natürlich wieder auf ihrer tauschwirtschaftlichen Stellung beruhen. Daher läßt sich auch selbstverständlich nicht sagen, wo die allgemeine Wirtschaftswissenschaft aufhört und die sogenannte Privatwirtschaftslehre anfängt. Denn sie ist eben ein Teil von jener, und noch so spezialisierte Untersuchungen über eine einzelne Unternehmung, bleiben immer allgemeine Wirtschaftswissenschaft. Denn da jede Wissenschaft überhaupt nur das Allgemeine und nicht der einzelne Fall als solcher interessiert, so hat die Beschreibung einer einzelnen Unternehmung überhaupt nur wissenschaftlichen Charakter, insofern sie für etwas Allgemeines typisch ist.

Aus diesem Grund braucht man bei den sogenannten privatwirtschaftlichen Untersuchungen gar nicht erst die Versicherung, daß man die privatwirtschaftliche Forschung nur treiben will, sofern sie einen "sozialökonomischen Akzent" hat. Eine heutige ökonomische Erscheinung, die überhaupt irgendwie wissenschaftlich von Belang ist,  hat  eben einen sozialökonomischen Akzent. Mit anderen Worten, es gibt in der ganzen zivilisierten Welt keine Wirtschaft, die nicht in den Tauschverkehr verflochten wäre.

Die ganze Unterscheidung von einem privatwirtschaftlichen und eine volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt war nur möglich infolge der Verwechslung von Wirtschaft und Technik. Sogenannte privatwirtschaftliche Untersuchungen, die keinen "sozialökonomischen Akzent" haben, sind in Wirklichkeit  technische  Betrachtungen. Hier kann man die Vorgänge in einer Unternehmung, richtiger in einem  "Betrieb" - dies ist der technische Ausdruck - betrachten ohne jede Beziehung zum Tauschverkehr. Das unterschied man nicht, weil man eben in der technischen Tätigkeit der Produktion schon das Wesen des Wirtschaftlichen erblickte. Nach unserer früheren scharfen Bestimmung des letzteren und seiner Abgrenzung von der Technik, die auch immaterielle Technik, Handelstechnik und dgl. von der Wirtschaft abgrenzt, dürfte diese Unterscheidung klar sein. In der heutigen Privatwirtschaftslehre steckt noch ebensoviel Technik wie in der Wirtschaftswissenschaft überhaupt. Was vom wirklich wirtschaftlichen Inhalt übrig bleibt, kann aber Gegenstand einer Teildisziplin werden, die man wohl am richtigsten als  Erwerbswirtschaftslehre  bezeichnen würde. Gegen deren Ausgestaltung ist natürlich nicht das geringste einzuwenden. Im Gegenteil mag eine eingehendere Untersuchung der privaten Unternehmungen vielleicht dazu beitragen, die noch heute auch in der Wirtschaftstheorie beliebte, durch den Sozialismus verbreitete Auffassung zu beseitigen, die in den Arbeitern und Unternehmern nichts weiter als zwei  soziale Klassen  erblickt, eine Auffassung, die, wie wir oben ausführten, wesentlich zur Förderung der "sozialen Betrachtungsweise" und zu einer Verwechslung von Wirtschaftswissenschaft und Soziologie beigetragen hat.

Das über die Privatwirtschaftslehre Gesagte gilt nun auch im wesentlichen für die  Weltwirtschaftslehre,  die man sich neuerdings bemüht als eine besondere Wissenschaft zu entwickeln. Ich kann den Ausführungen von BERNHARD HARMS in seinem Buch "Volkswirtschaft und Weltwirtschaft" (1912), in vielen Punkten beistimmen, wenn ich auch selbstverständlich die materialistische Auffassung der Wirtschaft, die auch er vertritt, und ebenso die Unterscheidung von reiner Sozialwirtschaftslehre, Einzelwirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Weltwirtschaftslehre nicht teile. Die Begründung dafür liegt in dem früher Gesagten. Auch gegenüber HARMS gilt, daß die Einzelwirtschaftslehre und auch die Weltwirtschaftslehre zugleich "Sozialwirtschaftslehre" sind, die Untersuchung privater Unternehmungen meist reine Wirtschaftstheorie, die Untersuchung weltwirtschaftlicher Beziehungen meist politisch-wirtschaftliche Theorie. Für die Weltwirtschaftslehre aber zweifle ich mehr als für die Erwerbswirtschaftslehre daran, ob man für die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen wirklich zu einem geschlossenen System von Sätzen kommen kann, das eine eigene Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaft rechtfertigt. In der Hauptsache wird die Weltwirtschaftslehre doch auf die bisher sogenannte äußere Handelspolitik, und was damit zusammenhängt, hinauslaufen. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß nicht eine vermehrte Berücksichtigung internationaler wirtschaftlicher Beziehungen und die Pflege solcher Studien durch besondere Institute und Zeitschriften sehr erwünscht ist.

Damit können wir unsere methodologischen Betrachtungen schließen. Man erkennt, wie alles von der Auffassung vom Wesen der Wirtschaft, philosophisch ausgedrückt, von der Auffassung des Identitätsprinzips abhängt. Sieht man in der überlieferten Weise das Wesen der Wirtschaft in der "Sachgüterbeschaffung", in der Überwindung der "Abhängigkeit von den Gegenständen der äußeren Natur", so kann man Wirtschaft und Technik nicht unterscheiden und wird dazu gezwungen, statt des Wirtschaftlichen, das dann "nicht allgemein faßbar ist", einen besonderen Begriff des  Sozialökonomischen  zu konstruieren, wobei alles übrige Ökonomische unter den Tisch fällt. Bei einer strengeren logischen Betrachtung erkennt man dann - diese Erkenntnis ist heute erst in den Anfängen - daß damit alle individualistischen Begriffe verschwinden müßten und das hergebrachte Hauptproblem der Wirtschaftstheorie, die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen auf "subjektive Wertschätzungen" zurückzuführen, aufzugeben ist. Man erkennt - und diese Erkenntnis ist, trotzdem sie der Wirtschaftstheorie nichts nützt, ein Verdienst STOLZMANNs - daß ein sozialökonomisches Objekt nur als  Zweckbegriff  möglich ist, daß man also einen besonderen sozialökonomischen Zweck im Gegensatz zum Zweck der einzelnen Wirtschaft konstruieren müßte. Diese Konstruktion lag nahe, weil es im  Staat  eine soziale Organisation mit eigenen Zwecken gibt, die weitreichend auf das Wirtschaftsleben einwirkt, und da die Betrachtung dieses Einwirkens schon Gegenstand eines besonderen Zweiges der Wirtschaftswissenschaft, der  Volkswirtschaftspolitik,  ist. Daher lag es nahe, die ganze Volkswirtschaftslehre überhaupt als eine teleologische, eine Zweckwissenschaft anzusehen.

Dem standen nun aber das überlieferte Erfahrungsobjekt, die Hauptprobleme der Wirtschaftstheorie, z. B. das Preisproblem, entgegen, deren Erklärung zweifellos nicht an den Staat und seine Einwirkung gebunden ist. So suchte man den Tauschverkehr selbst, die sogenannte Volkswirtschaft, als ein eigenes "soziales Zweckgebilde" aufzufassen, und kam so zu immer künstlicheren Konstruktionen, denen keine wirtschaftliche Realität zugrunde lag. Sie waren nur deswegen möglich, weil man immer mehr vom Ökonomischen absah und unter dem unklaren Begriff "sozial" alle möglichen gesellschaftlichen Probleme zu den wirklich wirtschaftlichen hinzuzog, die man eben nicht wirtschaftlich erklären konnte. STOLZMANN ist der einzige gewesen, der auf dieser Grundlage wirtschaftliche Erscheinungen zu erklären versucht. Es ist aber klar, daß seine Darstellung nicht in die Tiefe des tauschwirtschaftlichen Mechanismus eindringen konnte, bei dem man nun einmal auf die Berücksichtigung der individuellen Bestrebungen als Ursache allen Tauschverkehrs nicht verzichten kann. Alle anderen Vertreter der sozialen Betrachtungsweise, sofern sie sich überhaupt schon in positiven theoretischen Arbeiten versucht haben, denken gar nicht daran, die überlieferten individualistischen Begriff und Probleme aufzugeben, und so wird die sozialökonomische Betrachtungsweise in der Wirtschaftstheorie wohl allmählich verschwinden, indem man ihre logischen Fehler einsehen wird. Die Gesellschaftslehre dagegen wird bei einer weiteren Entwicklung vielleicht einiges von dem lösen können, was man wegen falscher Anschauungen über das Wesen der Wirtschaft fälschlich von der Wirtschaftswissenschaft erwartete.
LITERATUR Robert Liefmann, Über Objekt, Wesen und Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft, Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 106 [dritte Folge Bd. 51], Jena 1916
    Anmerkungen
    30) Im allgemeinsten Sinn ist Politik keine besondere Wissenschaft, sondern kann als  Zweck streben mit dem Erkenntnisobjekt sehr vieler Wissenschaften verbunden sein. Aber unter Politik schlechthin versteht man im engeren Sinn die Staatspolitik.
    31) Eine eingehende logische Untersuchung darüber mit vielen guten Bemerkungen aber wenig Ergebnissen speziell für die Wirtschaftstheorie findet sich bei FRANZ EULENBURG, "Naturgesetze und soziale Gesetze", Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 31 und 32.
    32) Vgl. meine Kritik in meinem Buch "Beteiligung und Finanzierungsgesellschaften", Kap. I, besonders in der ersten Auflage.
    33) Von der Wirtschaftsgeschichte als Zweig der Geschichtswissenschaft, die nur eine besonders intensive Berücksichtigung wirtschaftlicher Faktoren in der allgemeinen Geschichte bedeutet, soll hier nicht die Rede sein.
    34) MAX WEBER, Die "Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis", Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 19, Seite 59f.
    35) WEYERMANN- SCHÖNITZ, a. a. O., Seite 64 und SCHÖNITZ, a. a. O., Seite 21
    36) KARL DIEHL, a. a. O., Seite 460. Nur daß man diesen Zusammenhang richtig als tauschwirtschaftliche Beziehungen verstehen muß, und nicht, wie DIEHL, als ein unklares "soziales Zweckgebilde".