ra-2Über die Grundbegriffe in der NationalökonomieR. Liefmann    
 
FRIEDRICH GOTTL-OTTLILIENFELD
(1823-1900)
Die wirtschaftliche Dimension
[6/8]

    Einleitung
I. Anlauf der Kritik
II. Vom Tatbestand der Wirtschaftlichen Dimension
III. Vom Werden der Wirtschaftlichen Dimension

"Der ganze, so viel reichere Tauschverkehr gehorcht auf einmal der Wirtschaftlichen Dimension, die in ihrer Allgeltung und grundwesentlichen Beweglichkeit aller engen Einschnürung des Tausches in Sitte und Brauch spottet. Kein Zweifel also, nichts Geringeres vollzieht sich hiermit, als geradeaus die  Wendung von traditionaler zur rationaler Wirtschaft!  Drängt es doch gleichzeitig zur "Wirtschaft als Rechnung".

"Beim Verkehr von Händler zu Händler und mehr noch durch ihren Zusammenstoß, geraten die prävaloren Proportionen, die vielleicht Jahrtausende starr geblieben waren,  grundsätzlich ins Wanken.  Das ist klar, wo hier doch  rationalistisches  Denken gegeneinander prallt, das sich längst daran gewöhnt hat, Sitte und Brauch ringsum immer gegenständlicher zu nehmen, sich innerlich davon zu lösen. Dergestalt bauen sich die Händler überhaupt eine Welt für sich auf und diese in die alte Welt hinein, von ihr vielleicht schärfer abgehoben, als irgendetwas vorher."


III. Vom Werden der
Wirtschaftlichen Dimension


5.

Nur flüchtig schwebt hier der Gedanke vorbei, ob der ehrwürdige Lehrer des Tausches, das Talionsystem, nicht gleich auch zu einem Denken in Wirtschaftlicher Dimension und Geldgrößen verhelfen könnte! Die Tatsache nämlich führt darauf, daß in den überlieferten Buße-Tarifen häufig eine gleichmäßige  Wahl  zwischen der sühnenden Leistung offensteht. Gemeint ist natürlich nicht jener viel spätere Fall, daß alle "naturalen" Bußen schon aufgelegt sämtlich in Geld umgerechnet sind. Aber diese begleitende Umrechnung der mancherlei "naturalen" Bußen, je in Mengen ein und desselben anderen Objektes, lautet gelegentlich auch auf ein Objekt, von dem man nicht ohne weiteres erkennt, ob es in seiner "naturalen" Natur schon vorweg mit dem Geld zu nennenden Tatbestand zusammenfiel oder umgekehrt, ob sich vielleicht erst von diesen Tarifen her dieser Tatbestand zurechtrückt. Die gleiche Frage zielt dann auch auf das Entstehen der Wirtschaftlichen Dimension ab.

Wenn es im Tarif einfach lautet: "für das ausgeschlagene Auge sühnt die Sippe des Täters mit zwei Rindern", und so die ganze Reihe der Untaten hindurch, dann sagen die Größen hier für den Tausch natürlich gar nichts. Aber gleich die Art vermag man sich von daher zu überlegen, wie diese größenhaften Ansätze in den Tarifen überhaupt zustande kommen. Wir allerdings, wir denken sofort an den Bruchteil der "Erwerbsbehinderung" und rechnen nun über die Einbuße an Einkommen hinüber nach jener Zahl der "Entschädigung". Doch wie lächerlich wäre es nun, derlei Vorgang im Denken einer überrationalistischen Zeit schon einem Urfall des Rechts zu unterlegen, gleich dem Talionssystem! Vielleicht sind wir Heutigen ganz außerstande, dem Denkstil jener Zeiten genügend auf der Spur zu bleiben. Bei aller Unsicherheit jedoch, wie sich derlei Zahlen aufbauten, bleibt wenigstens der  Sinn  ihres Aufbaues klar: nichts liegt damit vor als ein  Gleichnis in Größen,  eine  numerische Symbolik des Rechts!  Genauso beim "Loskaufpreis". Hier hatte es sich einfach darum gehandelt, die Abstufung in sozialer Geltung, meinetwegen den größeren oder kleineren Umkreis der "subjektiven öffentlichen Rechte", auf ein zahlenhaftes Bild zu bringen. Zu "errechnen" war da gar nichts. Anhalt dazu bot sich von vornherein kaum. Der Kaufpreis etwa des Sklaven? Aber wurden diese, wenn überhaupt schon gekauft? Schließlich ergäbe das auch bloß die "Grundzahl", aber woher das Wichtigeres, eben die Abstände, vom Sklaven zum Freien und so fort? Mit aller "ratio" bleibt es da übel bestellt. Selbst wo notgedrungen einmal auch eine "Flucht ins Rationale" vorübergehend einschlüpfen mochte, etwa beim dem freigestellten Entweder-Oder, durch 2 Rinder "oder" durch 10 Schafe zu büßen, weil sie sich etwa in diesem Verhältnis auf dem gleichen Weideraum nähren, selbst dann gab sicher nicht dieses Vernunftmäßige allein den Ausschlag der Sache. So oder so einmal festgelegt, ruht aber der Schimmer der Heiligkeit des Rechts darauf; ihrem Wesen nach halten  diese  geltenden Größen, durch die Bank,  jenseits allen Rationalismus. 

Eben darum bleibt es denkbar, daß solche Bußen in verschiedenen Objekten, die im Tarif als einander "vertretbar" festliegen - 2 Rinder  oder  10 Schafe, 7 Rinder  oder  4 Pferde, 10 Rinder  oder  ein gutes Schwert, usw. - daß diese  sühnegepaarten Mengen  auch gleich über die Tauschgepaartheit der Mengen entschieden hätten, als bestimmende Norm des Tausches, wo immer er, über sein Werden hinweg, schon zur Sitte geworden ist. Denkbar also wäre es, daß gar manche der prävaloren [vorwertgültigen - wp] Proportionen des Tausches gleich von daher entstammen, gleichsam  sakralen Ursprungs.  Vielleicht, beiläufig gesagt, wirkt es von dorther atavistisch nach und hilft mit, mehr noch als der allgemeine Drang nach dem "Gerechten", daß wir geneigt bleiben, an jeden Preisfall wieder die Forderung des  rechthaft  Richtigen heranzutragen. Ebensogut kann aber den "sühnegepaarten" Mengen umgekehrt eine Anlehnung an die "sittegemäßen Preisverhältnisse" zugrunde liegen. Dann hätte wohl das Talionssystem jener ursprünglichen Art, über dem der Raub zum Tausch gezähmt wurde, ein solches Entweder-Oder der Bußen noch gar nicht gekannt, diese "sühnegepaarten" Mengen noch gar nicht enthalten. Das ist alles nicht weiter zu verfolgen. Vielleicht noch weniger wahrscheinlich, als der sakrale Ursprung der prävaloren Proportionen schlechthin, wäre der sakrale Ursprung der Wirtschaftlichen Dimension. Es setzt dies unbedingt jene Art Ansätze voraus, die im Beispiel gewählt wurde: das Entweder-Oder der Bußen muß dann stets vom  gleichen  Objekt ausgehen, also dort z. B. von Rindern. Dann allerdings wäre die Umrechnung je auf die Einheit der wechselnden Objekte sehr nahegelegt, womit aber schon ein Häufchen chrakteristischer Zahlen vorläge; zureichend vielleicht für den bescheidenen Bedarf jener verkehrsarmen Zeiten. Gründe für die Wahl dieses wiederkehrenden Objektes, das ursprünglich vielleicht das einzige war, erraten sich leicht. Wohl dorthin sucht die Buße zu schlagen, wo sie stets etwas findet, stets auch besonders fühlbar bleibt! Das träfe z. B. bei viehzüchtenden Stämmen für das Vieh zu; weniger, weil es als Grundlage des Daseins zum allgemeinen Besitz wird, mehr vielleicht, weil an der Größe dieses Besitzes soziale Geltung hängt, deswegen also der Eingriff umso empfindlicher wirkt. Denn Vieh hat als Besitz nur Sinn, wenn die Menschen zur Wartung verfügbar sind. Dieser Besitz ist also verschränkt mit Macht über Menschen, in seiner eigenen Stattlichkeit wird seines Eigners soziale Geltung anschaulich:  Prunkende Habe!  Dazu dient zu anderer Zeit in ganz anderer Wendung das gleißende Gold, im Licht der vielumneideten Beute; als der "Schatz", von dem sich das Urteil über soziale Geltung und aller Vorzug auch sprachlich ablöst, das "Schätzen". Dort und hier findet die Buße wohl ihren besten Angriffspunkt an Objekten, die sich aus packenden Gründen schlechthin herausheben aus dem Kreis der übrigen. Auf  sie  lauten dann die Bußtarife; und von da aus weben auf jeden Fall Zusammenhänge mittelbar nach Geld und Wirtschaftlicher Dimension hin - Vorahnungen des Geldes! Aber dem unmittelbaren Zusammenhang hier zu folgen, in Gestalt der Ausmalung  sakralen  Ursprungs der Wirtschaftlichen Dimension, hätte im Ganzen wenig Sinn. Dafür wäre die Grundlage an erforderlichen Annahmen doch zu schwankend, um von da aus alles zu entfalten, worauf es hier ankäme. Darum erweitert sich die Arbeitshypothese nicht in dieser, sondern in der Richtung  profanen Ursprungs von Wirtschaftlicher Dimension und Geld. 


6.

Nach dem früher Gesagten kann davon keine Rede sein, daß man sich die Wirtschaftliche Dimension einer einfachen Umrechnung entstiegen denkt; nämlich in der Weise, als hätten die Tauschenden willkürlich eine bestimmte Objektgattung zum "gemeinsamen Nenner" genommen und auf deren Einheiten je für die Einheit der übrigen tauschbaren Objekte zurückgerechnet, so daß sich schließlich das Gewirr der prävaloren Proportionen zu einem System gleichbenannter Zahlen vereinfacht. Dazu müßte ja schon der Anlaß vom Himmel fallen. Zweitens, selbst wenn sich jemand auf dieses Rechnen verstünde, wo nimmt er die umzurechnenden Proportionen her, die doch über den ganzen Wirtschaftsraum hin zerstoben sind? Und wie führt sich diese Rechnung über alle Proportionen hinweg durch, wo doch kaum die nächstverwandten im rechten Einklang zueinander stehen! Allein, wenn nun jene Willkür vermieden und zugleich jene Hemmungen des Umrechnens überwunden scheinen, wie dann? Wenn sich also  eine  der Objektgattungen wie von selber heraushebt aus den übrigen und den gewissen Schritt zur Mitte tut, wenn sie immer häufiger in den Proportionen wiederkehrt, immer lebhafter dem Tausch verflochten ist, bis zu dem Grad, daß sie schließlich stets und überall das eine Tauschobjekt beistellt, neben dem Wechsel der übrigen? Ist dann die Umrechnung aller Proportionen in Vielfache der Einheit dieses Objekts, in Zahlen  gleicher  Benennung, nicht das ganz Natürliche, ergibt das nicht ganz ungezwungen die charakteristischen Zahlen und damit den untrüglich vereinheitlichten Ausdruck aller Tauschgeschicke jedes Objektes?

Ganz so legt sich bekanntlich eine viel verbreitete Meinung, die besonders 'KARL MENGER verfochten hat, das  Aufkommen von Geld  zurecht; daß hiermit unausweichlich auch die  Wirtschaftliche Dimension  erstünde, findet dabei allerdings keine Beachtung. Man malt sich einfach einen "Markt" aus, in dessen Bereich eine bestimmte "Güterart" zur lebhaftest umtauschten wird, zur "marktgängigsten". Aber so dicht ist das Marktgedränge eben doch nicht, daß es nicht schwer fiele, mit seinen bestimmten Absichten auf Tausch gleich zum Zuge zu kommen. Da ist z. B. einer, der ein  A  "hat", dafür ein  B  "will". Es wäre ein glücklicher Zufall, fände er jenen anderen, der wieder ein  B  "hat" und dafür ein  A  "will". Der Zufall bleibt aber aus, mithin stockt der Tausch. Es ist wohl ein Dritter da, der ein  B  "hat", leider aber ein  C  "will". Welches Glück nun, daß alle von jener Güterart  G  wissen, die infolge ihrer allgemeinen Beliebtheit zur "marktgängigsten" geworden ist! Der Erste setzt nun sein  A  an einen Dritten für  G  ab, denn von diesem  G  hat anscheinend jeder etwas, mindestens bleibt jeder bereit, es als "stellvertretende Gegengabe" von jedem anzunehmen. So auch jener Zweiterwähnte, von dem deshalb der Erste gegen sein inzwischen erhandeltes  G  das ersehnte  B  auch erlangt. Mit diesem  G  wird sich der Zweite wohl bei einem Vierten endlich auch sein  C  verschaffen. Man sieht, das Eingreifen der "marktgängigsten" Güterart, das jede beliebige Tauschabsicht in zwei Schritten "indirekten" Tausches verwirklichen läßt, bringt überallhin den stockenden Verkehr fröhlich in Gang. Und das schon gar, haben sich alle nur erst dazu bekehrt, überhaupt nicht mehr "direkt" zu tauschen, sondern sofort auf "indirekten" Tausch loszusteuern. Dann läuft der Verkehr wie geölt und mit diesem Öl gesalbt, nämlich kraft seiner damit ausgeübten Funktion als "allgemeines Tauschmittel", wird aus der "marktgängigsten Güterart" - Geld! Keiner der Beteiligten hätte im Traum an so etwas gedacht, in ganz "unreflektierter" Weise ist das Geld da, die Wirtschaft hat es sich sozusagen "zugezogen".

Es wäre nun gar nicht durchschlagend, an die hier unterstellten Verhältnisse des "geldlosen" Tausches etwa den Maßstab der Arbeitshypothese vom prävaloren Tauschverkehr anzulegen. Also etwa darauf zu verweisen, um wieviel freier sich diese "Geldlosen" im Vergleich zu jenen "Prävaloren" bewegen; gewiß nicht "unsittlich", aber doch jeglichem Zwang der Sitte entwunden. Und um wieviel geistig aufgeweckter sie sich gebärden, wie flugs sie sich allesamt in das Neue des "Indirekten" schicken, während doch auch sie vorher nur auf den "direkten" Tausch eingezogen lebten. Wie ungleich mehr sie auch  rechnerisch  begabt sind, tritt weniger hervor, weil die hier unterlaufenden "Umrechnungen" in der Ausmalung selber alle unter den Tisch fallen. Aber wie gesagt, dieser noch leicht auszuspinnende Vergleich, wenn er auch helfen würde, das Marktvolk der "Geldlosen" als lauter Hampelmänner des Erwerbs zu entlarven, hätte mindestens als Abgleich keine Berechtigung. Denn hier steht Ausmalung gegen Ausmalung und eher würde sich jene von ihnen beiden lächerlich machen, die mit ihrer höheren "Tatsächlichkeit" auftrumpfen wollte. Hier ist bloß jener Maßstab anzulegen, mit dessen Beistand auch dem Verständnis gedient wird der hier unterlaufenden sachlichen Zusammenhänge, also dem Zweck der ganzen Übung: Der Maßstab der  inneren Widerspruchslosigkeit! 

Als Einleitung dazu ist gerade noch der eine Vergleich zulässig, wie schwerfällig sich die hier verwendete Arbeitshypothese ausnimmt und in der Folge erst recht, vergleicht man sie mit dem "eins-zwei-drei-Tempo" jener 'MENGERschen Ausmalung. Folglich müssen da ganz schlagende Wendungen hervorgestellt sein, um den Übergang aus der "geldlosen" in die "geldbeglückte" Zeit plausibel zu machen. Dem widerstreitet nun gleich als erste Unklarheit, wie es denn jene Güterart  G  angestellt hat, zur "marktgängigsten" zu werden, wo doch vorher nur "direkt" getauscht wurde! Ehe sich alle ihres Maximums an "Marktgängigkeit" bewußt werden, muß erstens bisher schon ein ziemliches Markttreiben im Gange sein. Angenomen, diese Güterart wäre Vieh. Zweitens nun, bisher hat man doch ausschließlich "direkt", also nur von wirklichem Bedarf her zu wirklichem Überfluß hin getauscht, die Gegenseite von wirklichem Überfluß zu wirklichem Bedarf. Gut, dieses Marktvolk der "Geldlosen" hat sich einfach in zwei Hälften gespalten, Vieharme und Viehreiche. Denn nur dann dreht sich der Tausch so vielfach um Vieh. Drittens aber, die Viehreichen durften keineswegs bloß nach Einerlei Bedarf hegen, alle nach einer und derselben Güterart; sonst gäbe es gleich zwei "marktgängigste" Güterarten. Sicher also für ein Mehrerlei an Bedarf, die einen nach der, die anderen nach einer anderen Güterart, haben sich die Viehreichen an die Vieharmen gewendet. Diese kamen dafür auch auf. Soweit die gutwilligsten  Zugeständnisse,  nun erst spinnt das  Bedenken  an. Für ihren mannigfaltigen Bedarf haben die Viehreichen allemal ihren richtigen "zweiten Mann" gefunden; wie anders wäre sonst der ausschließlich "direkte" Tausch so lebhaft möglich geblieben, um die "marktgängigste Güterart" zu begründen. Das ist übrigens bei dem hier unterstellten Markttreiben auch durchaus nicht verwunderlich. Um so wunderbarer jedoch, daß auf einmal alle wie mit Blindheit geschlagen scheinen:  sie finden den zweiten Mann nicht mehr!  Wäre es anders, brauchte der Tausch nicht zu stocken. Aber er muß doch stocken, woher denn sonst die alles entscheidende Wendung, die allgemeine Entdeckung des "indirekten" Tausches? Folglich scheint die frühere Fähigkeit, den zweiten Mann zu finden, plötzlich entschwunden zu sein! Wenn man sich zu dieser böse endenden Deutung nicht verstehen will, bleibt eben nur die andere: die Güterart  G  hat nicht erst als die "marktgängigste" zum "indirekten" Tausch hingeleitet, sie ist wohl umgekehrt auch  dadurch  zur "marktgängigsten" geworden, daß sie schon vorher dem "indirekten" Tausch Gevatter stand! Aber wie greift man dann so sicher nach ihr, solange ihr das vorgebliche Merkmal der höchsten "Marktgängigkeit" noch gar nicht anhaftet? Offenbar muß sie  vorher schon  etwas an sich haben, um als stetes Mittel des "indirekten" Tausches zum Vermittler regeren Tauschverkehrs zu werden. Daraus folgt, daß sie zum "allgemeinen Tauschmittel" erst im Zuge einer  anderen  Eigenschaft wird; mit anderen Worten, ihre Funktion als "Tauschmittel" liegt schon jenseits des "indirekten" Tausches, jene andere Eigenheit noch diesseits; dort handelt es sich schon um eine Folge dieser Tauschweise, hier um die  Bedingung  für diese Tauschweise. Was ist das aber? Darauf läßt sich erst in der Folge schärfer antworten. Vorläufig also nur die Gegenfrage: was ist der Sinn dieses "indirekten" Tausches? Ausdrücklich aber dessen, der sich bloß einen einzigen Schritt vom "direkten" entfernt - er wird später als der Tausch "auf dem kürzesten Umweg" gedeutet. Was also ist sein Sinn? Nun, für das sachlich Erwünschte bescheidet man sich vorläufig mit etwas rein und bloß "Geltenden". Kurz, die Güterart muß von vornherein schon  Geld  besagen! Es ist seltsam, aus dieser Ausmalung kommt im Weg einer Schlußfolge sozusagen unten nichts heraus, was nicht schon oben hineingesteckt worden ist. Oder, ein deutlicheres Gleichnis: Man läßt die Henne insgeheim schon aus dem Ei schlüpfen, das sie selbst erst legen soll! Beiläufig gesagt, dieses logische Wunderhuhn gackert durchaus nicht hier allein; nachweislich spielt es geradezu das Haustier der Wertlehre.


7.

Zwei Bedenken stellen sich dem Versuch in die Quere, will man sich das  Entstehen der Wirtschaftlichen Dimension  - um diesen handelt es sich doch, ob auch um das Werden des Geldes, muß sich erst zeigen - aus dem prävaloren Tauschverkehr heraus zurechtlegen. Erstens muß daraufhin doch eine Entwicklung anlaufen. Aber wenn sich auch der prävalore Tauschverkehr nach und nach als solcher verbreitert, im Ganzen ist just  mit ihm die Entwicklung bei einem toten Punkt angelangt!  Chronischer Überfluß und Mangel haben sich soweit ausgeglichen, als die traditional in sich ruhende Wirtschaft dies erfordert; für akuten Mangel kommt die nachbarschaftliche Nothilfe auf. Alles läuft am Schnürchen der Sitte. Der Tausch stockt keineswegs, am wenigsten als "direkter"; gerade als solcher ist er im besten Gang. Aber wie überwindet nun die Entwicklung ihren toten Punkt? Hier steckt offenbar das  eine  Problem. Daneben aber hat das Bild von jenem großen Stern der Beziehungen, dessen Strahlen die charakteristische Zahl an allen Objekten des Tausches aufleuchten lassen, auf ein bedeutsames  zweites  Problem verwiesen. Der prävalore Tausch steht ganz und gar im Zeichen starrster  Tradition.  Dagegen sieht jene Vereinheitlichung des Ausdrucks, den die Tauschgeschicke aller Objekte gewinnen, durch den Einsatz des klaren Sternes für das verworrene Netz vorher, doch nach eitel  Rationalismus  aus. Wie hier ein "Normalisieren der bestimmenden Norm" vor sich geht, wird später noch erörtert. Der ganze, so viel reichere Tauschverkehr gehorcht auf einmal der Wirtschaftlichen Dimension, die in ihrer Allgeltung und grundwesentlichen Beweglichkeit aller engen Einschnürung des Tausches in Sitte und Brauch spottet. Kein Zweifel also, nichts Geringeres vollzieht sich hiermit, als geradeaus die  Wendung von traditionaler zur rationaler Wirtschaft!  Drängt es doch gleichzeitig zur "Wirtschaft als Rechnung". Soll das wirklich aus einer Entwicklung rein vom Objekt her erblühen? Wenn es ausdrücklich "die Güter machen", das käme dem "güterseligen" Denken freilich zu paß, stimmt auch in das Bild jener verschrobenen Metaphysik von einer Welt des autonomen Objekts. Kehrt man sich davon gebührlich ab, dann erscheint jenes erste Problem, das zu lösen ist, gleich auch um des zweiten willen in einem bedeutsamen Licht: Was immer der Entwicklung über ihren toten Punkt hinaushilft, Entdeckung des "indirekten" Tausches oder was sonst noch, es muß irgendwie zusammenhängen mit dem  Einbruch des Rationalen in die traditional gebundene Wirtschaft!  Das Ferment eines, der alten Wirtschaft ganz fremden Denkens muß dabei wirksam sein. Daß aber bei dieser wohl ihrer bedeutsamsten Wende, die Wirtschaft selber in der Person ihrer Träger gleichsam schläft, während die Heinzelmännchen ihrer "Güter" es besorgen und sie gleicha ls rationale, rechenhafte Wirtschaft aufwacht, so geht es wohl nicht. Aber woher dann jener Funken des Rationalen, der im schließlichen Enderfolg just die Wirtschaft zum leuchtendsten Fanal des Rationalismus auflodern läßt?

Der  fremde Händler?  Ei gewiß, läßt sich für den Werdegang der Wirtschaftlichen Dimension und des Geldes an Tatsachen überhaupt etwas feststellen, vermutlich dreht es sich dann allemal um den fremden Händler, als dem Bringer der Wende zum Rationalen. Selbst wenn er gar erst als Lehrer des Tausches anfangen muß, er endet einmal doch damit, der von ihm heimgesuchten Wirtschaft das Traditionale auszutreiben. Nur hier dürfte er nicht als "deus ex machina" [Gott aus der Maschine - wp] auftreten. Es gereicht der Arbeitshypothese sicher nur zum Vorteil, daß sie sich ausdrücklich in der Linie dessen bewegt, was alle erreichbaren Tatsachen am lautesten predigen: die Rolle des Händlers. Aber sie muß für ihren Teil um ein Loch tiefer stecken. Vom "fremden Händler" wendet sie sich zurück zum  Händler überhaupt,  mit der Frage,  wie dieser in die Welt tritt? 

Es leuchtet vorweg ein, wirklich bloß der werdende Händler kann sich als das notwendige und entscheidende Zwischenglied in jene Entwicklung einfügen, die hier nach der Wirtschaftlichen Dimension hin verfolgt wird; und deshalb verfolgt werden muß, um diesen Tatbestand gleich bei seinem  Werdende  Zusammenhänge abzulauschen, die durch das Gemeinplätzlich seines Seins verhüllt werden. In jener gewissen Ausmalung, wie das Geld entstünde, spielt der Händler freilich keine Rolle. Aber doch nur, weil dort das Szenarium so gestellt ist, mit Markttreiben, Kenntnis des "Marktgängigen" usw., daß überhaupt nur die Puppe des Händlers davor agiert, der Hampelmann des Erwerbs, der jenseits aller Tradition steht, alles weiß, rechnet, "wertschätzt" und so fort. Aber bloß der richtige Händler, wieder als das repräsentative Subjekt eines Gebildes gemeint, wird dort Pate stehen, wo die Wirtschaftliche Dimensioin und all das entspringt, was sich mit ihr verknüpft zeigt. Denn nur der Händler, als der gewerbsmäßig Tauschende, kann die Entwicklung dort wieder anlaufen lassen, wo sie am toten Punkt hält; er spielt den Einpeitscher zum Tausch. Und bloß auch er, mit seiner rationalen Zielsetzung, kann in die Mauern der tradtionalen Wirtschaft eine Bresche schlagen. Diese Zielsetzung, durch Tausch und Wiedertausch,  durch sinnvolle Verkettung von Tausch Mehrbesitz zu erlangen,  ist schon darum  rational  geartet, weil sie rein größenhaft ist: zählbarer Mehrbesitz! Die Schranken aller Tradition durchbricht sie auch deshalb, weil ihr die Obergrenze an sich fehlt. Der zahlenhafte Gewinn kann parallel mit der Zahl ins Endlose wachsen! Und selbst dann, wenn diese Obergrenze just von der Sitte vorläufig gezogen wäre, läßt der Erwerb als Ziel doch mit allem rein  vernunftmäßig  umspringen, mit allem an Größenspiel und an Gestaltung, was für jedermann sonst irgendwie immer in der mystischen Hut von Sitte und Brauch verharrt. Übrigens wird sich erweisen, wieviel sich auch sonst noch im Händler zusammenfindet, um aus seinem Werden das Ferment zu gestalten, auf dessen Anreiz hin traditionale Wirtschaft jene Wende zum Rationalen hin vollzieht, mit der zugleich das Zwillingspaar des Neuen auftritt, Wirtschaftliche Dimension und Geld!


8.

Der "indirekte" Tausch, das  Tauschen auf einem Umweg,  bleibt inmitten der traditionalen Wirtschaft sicher erst zu entdecken. Sie tut sich schon allein mit dem "direkten" Tausch schon hart genug, als Versuch,das heikle Gebiet eines verschränkten Doppelvorgangs zu betreten.  Erstens  aber, es handelt sich bei dieser Entdeckung keineswegs gleich um jenen Tausch "auf kürzestem Umweg", der mit dem Griff betätigt wird, nach einem "stellvertretenden Entgelt", das vorweg die  Allen willkommene Gegengabe  vorstellt, eben deshalb von jedermann willig genommen wird, so daß es immer schon gleich mit dem  zweiten  Schlag zum ursprünglich erstrebten Tauschgut verhilft. Woher käme der traditionalen Wirtschaft von dem allen die Erleuchtung? Das macht in jener gewissen Ausmalung umgekehrt die  Erschleichung  aus, daß man dem Hampelmann des Erwerbs gleich dieses "Geheimgeld" in die Hand spielt; ein Geld, das sich als solches gleichsam noch vorstellen muß, damit es hinterher seiner "Geburt" verfallen kann.  Zweitens  verträgt sich dieses Aufspüren des Tausches "auf Umwegen" noch durchaus mit dem ganzen Sachverhalt des prävaloren Tausches, nicht also, daß es sofort den Rahmen des Traditionalen sprengt. Immer erst der Seitenblick auf die  größenhaften  Verhältnisse dabei - in jener Ausmalung sind sie ganz überstolpert - erst das impft der Sache das Neue, Unerhörte ein; und auch das nur, soweit es bereits der rationalistisch "stechende" Blick ist! Rationalistische Denkweise muß eingreifen, gleichviel woher. Denn eine "generatio aequivoca" des Rationalen vollzieht sich im Schoß der Wirtschaft keineswegs, mag das Rationale gerade in ihrem Bereich späterhin noch so üppig ins Kraut schießen.

Der prävalore Tausch bewegt sich regelmäßig in streng eingefahrenen Richtungen. So wird der Tausch nur dann auf Umwege abgedrängt, sobald irgendwo die übliche Gegenpartei versagt oder ein akuter neuer Bedarf auftritt, von dem sich zufällig auch der Schutzengel einfacher Wirtschaft abwendet, die als nachbarschaftliche Nothilfe verkleidete Solidarität. Dann allerdings bleibt nur die Wahl: Raum im Rückfall, oder  etwas ganz Neues!  Offenbar nur mit dem Letzteren geht es sittlich und wirtschaftlich "vorwärts". Damit wird nämlich jene Einpassung des Gebildes in die Umwelt, die stets dem innerlichen Erarbeiten seines Bestandes zu sekundieren hat, abermals um einen wesentlichen Schritt dauergerechter, insofern sich der Spannung solcher Notlagen durch den "indirekten" Tausch ein Ventil öffnet. Dieser Tausch auf Umwegen schafft aber keine neuen Tauschrichtungen. Im Gegensatz zum "Gelegenheitstausch aus Gefälligkeit", der an Nothilfe heranreicht, läßt der "indirekte" Tausch bloß neue Teilnehmer in den alten, eingefahrenen Richtungen auftreten. Um dies zu veranschaulichen, seien in der Anlehnung an die bisherigen Beispiele den beteiligten Sippen Namen zugeteilt und zwar gemäß dem Objekt, das sie bräuchlich abtauschen: mithin sind es die Sippen "Honig", "Pferd", "Schwert", dann jene Sippe "Kalb I", die für ihre Kälber Honig und Pferde eintauscht und endlich die Sippe "Kalb II", die für ihre Kälber Schwerter so "teuer" ertauscht.

Angenommen, die Sippe "Kalb I" will nach der üblichen Deckung ihres Honigbedarfs - 3 Waben für 1 Kalb - wie üblich auch noch Pferde eintauschen, was sittegemäß im Verhältnis von 7 Kälbern für 1 Pferd erfolgt. Ihre tauschbefreundete Sippe "Pferd" aber, vielleicht vor Kämpfen stehend, verweigert die Annahme von Kälbern, aus Überbedarf an Schwertern, deren sie 1 gutes gegen 2 Pferde zu ertauschen pflegt. Bei kluger "Repräsentanz" ist es nicht ausgeschlossen, daß "Kalb I" aufgrund von Umfragen und Vereinbarungen den hier entscheidenden Ausweg findet: es zieht gemeinsam mit "Kalb II" nach dem Wohnsitz von "Schwert", erhandelt für seine Kälber vorerst gute Schwerter, natürlich im Verhältnis von 20 Kälber für ein Schwert. Damit wandert es den üblichen Tauschweg von "Schwert" zu "Pferd", um dort die Schwerter gegen die erwünschten Pferde einzuhandeln, mit denen es heimkehrt. Wer weiß, über der Freude, aus der Notlage heraus zu sein, wird "Kalb I" es vielleicht gar nicht gewahr, daß ihm diesmal seine Pferde "teuer" zu stehen kommen. Es muß wohl so sein, denkt man sich höchstens; die Diskrepanz der Proportionen, die hier unterläuft, sie liegt gleich bergtief begraben für das Denken dieser Leute. Folgen hat dieser "Tausch auf Umwegen" überhaupt nicht und im nächsten Jahr ist vermutlich wieder alles im alten Geleis. Ein anderes Mal wieder könnte "Kalb II" ausnahmsweise Bedarf an Pferden haben. Entweder revanchiert es sich, zieht nun gemeinsam mit "Kalb I" dessen üblichen Tauschweg zu "Pferd" oder es erhandelt von "Schwert" mehr Schwerter, als sonst und schlägt den üblichen Tauschweg diese Sippe nach dem Wohnsitz von "Pferd" ein, um sich dort mit den erwünschten Pferden einzudecken. Da "Kalb II" nur entweder den Seitensprung mit "Kalb I" unternimmt oder statt dessen auf dem Umweg über "Schwert" seine Pferde eintauscht, kann es des "Preisunterschiedes" dazwischen überhaupt nicht in eigener Sache gewahr werden, geschweige, daß es ihn zu errechnen wüßte. Wieder geht ein "indirekter" Tausch  spurlos  am ganzen Sachverhalt vorbei. Und unzähligemale kan und wird sich das wiederhollgen, einmal da, einmal dort, bald auf diesem, bald auf jenem Umweg. Mit dem "indirekten" Tausch hat soweithin bloß eine gelegentliche  Ergänzung  des bisherigen Verkehrs entdeckt, die aber sonst alles beim Alten beläßt.

Doch da ist die Sippe "Honig". Im Gegensatz zu ihren behäbigen Nachbarn sind es in den Wäldern schweifende, verschlagene Leute, mit allen Hund gehetzt. Um sich für ihre Fahrten besser zu rüsten, will sich diese Sipe nach und nach die erforderlichen Schwerter verschaffen, schon dadurch als "zielstrebig" sich verratend. Aber Sippe "Schwert" verschmäht den Honig. Das hat die gerissene Sippe "Honig" bald heraus, daß dem Herkomen nach bei "Schwert" bloß mit Kälbern oder mit Pferden etwas auszurichten sei. Als der nächste Ausweg erweist es sich, bei den Tauschfreunden "Kalb I" mehr als bisher Kälber für den Honig zu erstehen, den man emsiger sammelt oder dessen Überfülle das Ganze vielleicht überhaupt erst in Gang bringt. Mit dem Überschuß über den Eigenbedarf an Kälbern schließt man sich bei seinem Zug nach der Sippe "Schwert" der Form halber an "Kalb II" an und kehrt befriedigt mit der Rate dieses Jahres an Waffen heim. Die Proportionen dieser Tauschvorgänge lassen wohl selbst diese Leute kalt - einfach ein Fatum, das man hinnimmt. Doch richtig, es hat mit "Kalb II" eine kleine Auseiandersetzung gegeben, im nächsten Jahr gilt es daher einen anderen Weg zu finden. Wieder zieht man Erkundigungen ein und erfährt, daß man die üblicherweise ertauschten Kälber bei "Pferd" zunächst gegen Pferde und diese natürlich bei "Schwert" gegen Schwerter eintauschen kann. Sogar diese aufgeweckten Leute mag die Drohung eines  dreimaligen  Tausches wenig ansprechen, aber man beißt in den sauren Apfel, tritt den schwereren Weg an.

Sehr genau ist bisher nicht gezählt worden, doch ungefähr nimmt man soviel Waben mit, wie im vorigen Jahr; und damals hätte man etwa, abgesehen von den üblichen Kälbern, 3 Schwerter heimgebracht. Die Sache nimmt ihren beschwerlichen Verlauf. Aber zur hellen Überraschung ergibt sich schließlich, daß man neben den üblichen Kälbern diesmal sogar 4 Schwerter heimbringt und ein paar Waben übrig hat! Das gibt zu denken. Wäre es umgekehrt verlaufen - was voraussetzen würde, daß umkehrte die Relation von Kälbern auf "Schwert" günstiger stünde, als auf "Pferd" - so hätte man sich bald beruhigt. Es war ja diesmal überhaupt so mißlich, soll man sich wundern, daß dabei auch weniger herausschaut? Eher noch würde gerade das als "richtig" empfunden; denn an eine "Richtigkeit" im Geiste des "Ausgleichs im Dreieck" denkt man nicht im Tode. Was auffällt, ist rein nur der Widerspruch, daß sich der kurze, ausgerechnet also der "gute" Weg vom vorigen Jahr trotzdem als schlechter herausgestellt hat, als der lange, der "schlimme" Weg von soeben. Sicherlich bloß ein Widerspruch von  dieser  Art reizt nun zum weiteren Nachdenken; auch das nur bei der Sippe "Honig". Da passiert nun etwas, was den behäbigen Sippen selbst im genau gleichen Fall nie und nimmer einfiele, was über weit und breit hin bloß den Leuten vom "Honig" einfallen kann, auch ihnen erst in der geschilderten Ausnahmslage:  sie fangen in Sachen des Tausches zu rechnen, zu addieren an!  das will sagen, nicht wie an Ort und Stelle wird mit aller Umständlichkeit, nach Sitte und Brauch, Gabe und Gegengabe zugemessen, sondern alles in der  Vorstellung;  und dann erst gilt es den  Zusammenhang des Ganzen  herauszubringen! Eine Aufgabe, gegen die selbst der dreifache Tausch hintereinander ein Kinderspiel war. Hier ist nun auch die Ausmalung an ihrer Grenze angelangt; unmöglich, den krampfhaften Versuchen, dem Hin- und Hergerechne und allen "Verrechnungen" zu folgen. Vielleicht bedarf es erst der praktischen Nachprobe des Exempels im nächsten und übernächsten Jahr, nämlich der Rekapitulation  beider  Wege und ihrer Addition. Aber die Sippe "Honig" zeigt sich schließlich doch der Aufgabe gewachsen. Dank ihrer "rationalistischen" Einstellung von Anfang an, aber von weiß Gott woher, bringt sie ungefähr doch heraus, was uns Heutigen keine halbe Minute kostet: daß ein Schwert, "nehmt alles nur in allem", auf dem kürzeren Weg auf 60, dagegen auf dem längeren Weg - über "Kalb I"  und  "Pferd hinüber - auf 42 Waben Honig zu stehen kommt. Wie fassen die Leute das nun auf und was folgt?

Keine Spur, zunächst, daß ihnen die errechnete Diskrepanz der beiden Proportionen irgendwie schon als ein "Fehler" erschiene. Dazu ist ihnen der Satz: "zwei Größen derselben dritten, sind auch untereinandern gleich", oder gar dessen korrekterer Fassung für diese Lage, noch nicht im Entferntesten geläufig. Überzeugung, daß sie es sich schon rechnerisch zurechtlegen können, daß und wie es überhaupt so ist; warum es so ist - mit dem Warum hat es noch gute Weile. Nichts ist leichter möglich, als daß selbst dieser denkwürdige "indirekte" Tausch vorerst weiter keine Folgen nach sich zieht, bloß den jetzt vollbewußt gefaßten Entschluß, die restliche Ausrüstung stets auf dem längeren Weg zu betreiben. Alljährlich freut man sich dann des vierten Schwertes, hätschelt es und rekapituliert über seiner Schneide behaglich die mühselige Rechnung. Sobald nun die Ausrüstung endlich vollzählig ist, da hat man inzwischen besser rechnen, auch besser auf Umwegen tauschen gelernt und drittens und hauptsächlich, man entbehrt der lieben Gewohnheit alljährlicher "Gewinnfreude"; was vielleicht den Ausschlag gibt. Man hat eben "Blut geleckt"! Nun gehört wahrlich nicht viel dazu, um im Sippenrat mit besten, nämlich rechnerischen Gründen auf Fortsetzung der Übung anzutragen. Vielleicht ist zufällig ein Schwert überzählig; man geht und hängt es der Sippe "Kalb II" für die dort üblichen 20 Kälber an, was ja dort, wo das hingetragene Schwert eine Einsparung an Transport bedeutet, doch nur begrüßt wird; aber eigentlich nun erst kehrt man mit dem richtigen "Urgewinn" von 4 Kälbern heim: die Verkettung von Tauschvorgängen in Reinzucht! So oder so, über den "indirekten" Tausch hinweg, den als solchen mit Ach und Krach ja alle zustande bringen, hat man es fertig gebracht, was den anderen nicht in hunderttausend Jahren "indirekten" Tausches gelungen wäre: die rechnerische Entdeckung, durch  sinnvolle Verkettung von Tauschvorgängen Mehrbesitz zu erzielen.  Die Geburt des handelsmäßigen Erwerbs!


9.

Das Nächste wird sein, die neue Wissenschaft, ängstlich gehütet, in der Nachbarschaft zu praktizieren. Man erhandelt gegen seinen Honig bei "Kalb I" Kälber, setzt sie bei "Pferd" in Pferde, bei "Schwert" in Schwerter um und erfreut dauernd "Kalb II", indem man ihnen ihren Bedarf gleich ins Haus trägt. Der "Dienst" des Handels setzt ein. Die Proportion bleibt dort unwandelbar "1 gutes Schwert gegen 20 Kälber", gleich unwandelbar bleibt der Gewinn für "Honig": 4 Kälber pro Schwert. Vielleicht reicht man zu diesem Behuf mit der stärkeren Honigsuche aus, die für die Ausrüstung mit Schwertern aufzubringen war oder muß sie noch steigern. Der Unterschied ist dann nur der, daß man den Gewinn an Kälbern jetzt zur freien Hand erzielt. Vorläufig ist die Honigsuche noch der Nabelstrang, der die traditional in sich ruhende Wirtschaft der Sippe "Honig" mit dem neuen Gewerbe, mit dem "Erwerb" verbindet. Das ändert sich erst, wenn man langsam herausfindet, daß man am Honig gar nicht kleben bleiben muß. Man wandelt die Kälber zur freien Hand, die selber nicht für solche Zwecke taugen und immer nur verzehrt werden müßten, tauschmäßig in Besitz um, der nun dem Dienst der gewinnstrebigen Verkettung von Tausch geweiht bleibt, als  Werbende Habe.  Aber das erfordert vorläufig ein umständliches Hin- und Hertauschen auf Umwegen. Es kommt erst später zur Geltung. Ohne einen gewissen Wandel des Gebildes selber wird das Ganze schon jetzt nicht abgehen. Das Tauschen auf Umwegen kostet Zeit und Kräfte, man versäumt Vorgänge häuslicher Deckungen des Bedarfs, wofür schließlich tauschmäßige Eindeckung in die Bresche springen muß, auch schon auf der Grundlage der erzielten Gewinnes an Kälbern. Die Wirtschaft von "Honig" büßt langsam ihre Eigenständigkeit ein, aus der traditional in sich ruhenden Wirtschaft wird die  rational auf Tausch gebaute.  Denn nun beginnt die Urhändlersippe steigend  vom Tausch,  d. h. als Gewinnmacher und  auf dem Wege des Tausches  zu leben, d. h. als Einkaufende, anstelle der Selbstversorgung. Immer deutlicher hebt sich dieses Gebilde ab, als ein  Einsprengling des Rationalismus  inmitten der unbeirrt traditionalen Wirtschaftswelt.

In der Tat ändert sich um den Händler herum an Grundsätzlichem noch gar nichts. Keine Spur, daß jenes so bedeutsam Neue gleich eine allgemeine Wende anbahnt. Schon gar keine Idee davon, daß sich hier alles "unreflektiert" vollzöge. Mit  vollstem Bewußtsein  richtet sich die Urhändler-Sippe auf den neuen Stile der eigenen Wirschaftsführung ein, mit vollstem Bewußtsein greift sie zu seinen Gunsten in die Umwelt ein, tritt später aber auch ihre Rolle als Erzieher zum Rationalen an. Sie selber mag sich darin noch der Sitte unterwerfen, daß sie auch vom neuen Stil nicht viel mehr als den alten Umfang der Bedarfsdeckung erwartet, gleichwie überhaupt die traditionale Wirtschaftsführung in einem gedeihlichen  Behaupten  der "Lebenshaltung" aufzugehen scheint. Noch lastet ihrem neuen Treiben, das grundsätzlich keine Obergrenze des Erfolges kennt, wohl die alte Sitte eine Obergrenze auf. So wuchtet auch in das Gebahren des Händlers Tradition hinein, vielleicht noch Jahrtausende lang. Bis einst auch diese Fessel gesprengt wird, aber das liegt schon weit hinaus über das hier zu Verfolgende. Was hingegen "draußen" wandelt, schränkt sich vorläufig darauf ein, daß sich in immer mehr der üblichen Tauschbeziehungen nun der Händler als Partei einschiebt, nach dem Schema des Verkehrs mit "Kalb II". An den prävaloren Proportionen ändert sich vorläufig nicht das Mindeste, die verbleiben im Schraubstock der Sitte. Der Händler kann noch dauernd im heimischen Bezirk die Arbitrage [Ausnutzung von Preisunterschieden von gleichen Waren auf verschiedenen Märkten - wp] von Objekt zu Objekt pflegen, denn der Ausgleich im Dreieck steht nach wie vor aus. Der Urhändler lebt ausschließlich davon. Er ist viel später erst dazu gedrängt, sich auch auf die  Arbitrage von Ort zu Ort,  und von  Zeitpunkt zu Zeitpunkt  zu werfen. Das tritt erst sehr allmählich ein, nachdem sich längst im Inneren abgespielt hat, was hier noch Schritt für Schritt zu verfolgen ist. Vorläufig, von jenem Wechsel der Parteien in den üblichen Tauschbeziehungen abgesehen, bleibt ringsum  alles beim Alten.  Auch besteht für den Händler noch kein Anlaß, die Art der  Durchrechnung  seines Gebarens zu ändern. Er denkt noch wie Alle in den alten, starren Proportionen des prävaloren Tausches. Nochmals scheint also die Entwicklung bei einem  toten Punkt  angelangt, endloser Stillstand wäre bei dieser Lage wieder denkbar.

Wie nun wirkt der Händler trotzdem als Ferment weiter? Einfach so, daß er in  Mehrzahl  auftritt! Die Sippe "Honig" findet schließlich Ihresgleichen, ob nun nahe oder ferner. Noch so fern, einmal begegnen sie sich, das Lächeln der Wissenden im Antlitz. Feindlich muß die Begegnung nicht sofort ausfallen; dazu spielen beide noch viel zu sehr den Hecht im Krapfenteich, solange der Ausgleich im Dreieck noch aussteht, die Arbitrage von Objekt zu Objekt ihren Mann ernährt. Aber wenn es sich trifft, was doch unausweichlich scheint, daß sie  untereinander  zuerst in Tauschverkehr, schließlich in Wettbewerb treten?  Das  erst ergibt das grundsätzlich Neue, ganz ohne Vergangenheit, also ohne jede Fessel der Sitte. Zwar, auch die Händler werden dem Zwang des Zusammenlebens, alle seine Dinge auf Dauer und Bestand einzurichten, nicht zuwiderhandeln. Auch bei ihnen gestaltet sich Sitte heraus,  Verkehrssitte.  Damit hat es aber sein Besonderes. Erstens ist es eine Sitte, die sozusagen gleich aus der Vernunft geboren wird, nicht erst tastend als gewordene Vernunft heranreift; beweglich erhält sich diese Sitte daraufhin erst recht, anpassungsfähig allem Wandel. Zweitens läßt diese Sitte im entscheidenden Punkt locker:  in den Proportionen!  Beim Verkehr von Händler zu Händler und mehr noch durch ihren Zusammenstoß, geraten die prävaloren Proportionen, die vielleicht Jahrtausende starr geblieben waren,  grundsätzlich ins Wanken.  Das ist klar, wo hier doch  rationalistisches  Denken gegeneinander prallt, das sich längst daran gewöhnt hat, Sitte und Brauch ringsum immer gegenständlicher zu nehmen, sich innerlich davon zu lösen. Dergestalt bauen sich die Händler überhaupt eine Welt für sich auf und diese in die alte Welt hinein, von ihr vielleicht schärfer abgehoben, als irgendetwas vorher.
LITERATUR Friedrich Gottl-Ottlilienfeld, Die wirtschaftliche Dimension - eine Abrechnung mit der sterbenden Wertlehre, Jena 1923