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Kants Kritizismus [3/3]
§ 50. KANTs schriftstellerische Tätigkeit kann in drei Epochen geteilt werden: die erste reicht bis in die Mitte der fünfziger Jahre, die zweite fällt in die sechziger Jahre und die dritte beginnt mit dem Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft, 1781, welche die Grundlegung von KANTs Erkenntnislehre enthält und eine Logik des Erkennens gibt, die in ihrem Aufbau, ihrer Einteilung und ihrer Behandlung des Gegenstandes nach dem Vorbild der Logik gestaltet ist. So zerfällt sie wie diese in eine Elementar- und eine Methodenlehre, wobei erstere wiederum in drei Abschnitte deutlich nach der Einteilung der Begriffslehre, Urteilslehre und Schlußlehre gegliedert ist; so verfährt sie nach der objektiven Methode der Logik, welche das Denken und Erkennen nicht sowohl als psychische Vorgänge, sondern nach ihrem gedanklichen Gehalt betrachtet, um durch eine rein begriffliche Zergliederung die Gesetze aufzudecken, unter denen das allgemeingültige und notwendig Gedachte steht. Der auszeichnende Unterschied von der formalen Logik liegt darin, daß es sich in der Kritik nicht um die allgemeinen formalen Bedingungen des gültigen Denkens überhaupt handelt, sondern um die Untersuchung einer bestimmten Art von Erkenntnisbedingungen, nämlich Bedingungen, unter denen jede gegenständliche Erkenntnis, die Anspruch auf Gültigkeit erhebt, steht. Die Gesetze der formalen Logik reichen nur hin, um einen gegebenen Denkinhalt widerspruchsfrei zu entwickeln; sie geben nur die negativen Bedingungen der Wahrheit an. Die Kritik dagegen geht auf die positiven Bedingungen, welche die Verknüpfung des Gedachten zur Einheit einer gegenständlichen Erkenntnis bestimmen. Somit nimmt sie von vornherein auf eine bestimmte Erkenntnis Bezug, während die formale Logik es nur mit dem leeren Denken unter Abstraktion von allem bestimmten Inhalt zu tun hat. Der Geltungsbereich dieser Erkenntnis soll in seinen Grenzen bestimmt werden. Die bestimmte Erkenntnis, die in ihrer logischen Gesetzlichkeit erforscht werden soll, liegt nun in der Wissenschaft, genauer in der mathematischen Naturwissenschaft einerseits, in der rationalen Metaphysik andererseits vor. Beide Disziplinen erheben den Anspruch auf eine allgemein gültige und notwendige Erkenntnis ihres Gegenstandes; es müssen daher Gesetze aufgedeckt werden können, welche diesen Geltungsanspruch rechtfertigen und begründen. Nun ist das Auszeichnende dieser beiden Disziplinen, daß sie ihren Anspruch auf Gültigkeit nicht sowohl auf Beobachtung und Sinneswahrnehmung als vielmehr auf Begriffe und Grundsätze stützen, welche unabhängig von jeder Beglaubigung durch die sinnliche Erfahrung gelten wollen. Bezeichnet man solche Erkenntnisse, die in den Axiomen der Mathematik vorliegen und die alle besondere Erkenntnis in diesen Wissenschaften bedingen, als Erkenntnisse aus reiner Vernunft, dann hat es die Kritik mit der Prüfung dieser reinen Vernunft zu tun. Urteile, in denen sich die Vernunfterkenntnis ausspricht, enthalten, als Erkenntnis erzeugend, eine gegenständliche Verknüpfung; sie sind daher nicht analytisch, sondern synthetisch. Und da sie unabhängig von der Beglaubigung durch die sinnliche Erfahrung gelten wollen und ihrem Wert nach an der Spitze des systematischen Aufbaus zu stehen haben, können sie, als in der logischen Ordung allen besonderen Erkenntnissen vorangehend, als a priori bezeichnet werden. So ergibt sich das Problem, das für die Konstituierung wissenschaftlicher Erkenntnis und die Bestimmung ihres Geltungsbereichs von wesentlicher Bedeutung ist: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? Für die kritische Betrachtung der Vernunft sind zwei Erkenntnisarten auseinanderzuhalten, die anschauliche und die rein begriffliche: jene das Gebiet der mathematischen, diese das Gebiet der theoretischen Naturerkenntnis und der Metaphysik. Demnach gliedert sich die Elementarlehre in die Untersuchung der anschaulichen Erkenntnis einerseits (die transzendentale Ästhetik) und die der Verstandes- und Vernunftlehre andererseits (transzendentale Logik). Die erstere zeigt, daß die Begriffe von Raum und Zeit, deren Gesetzlichkeit in der Mathematik zum Ausdruck gebracht wird, formale Bedingungen der sinnlichen Erfahrung sind, d. h. logisch jedem Urteil, das in einer allgemeingültigen Aussage eine Verknüpfung von Erfahrungselementen zum Ausdruck bringen will, zugrunde liegen muß. Die letztere zeigt, daß die reinen Verstandesbegriffe wie die der Kausalität, der Substanz usw. nichts anderes als Begriffe von Verknüpfungsweise sind, durch welche (wie die formale Logik festgestellt hat) Begriffe im Urteil verbunden werden, sofern diese Verknüpfungsweisen nicht auf Begriffe, sondern auf Anschauungen angewandt werden; die formallogische Relation: Grund-Folge, die die die Form des hypothetischen Urteils ausmacht, ergibt, wenn durch sie nicht Begriffe, sondern Elemente der Zeitanschauung verbunden werden, die Kategorie: Ursache-Wirkung. Die transzendentale Logik zeigt weiter, daß jedes anschauliche Objekt, das für uns Gegenstand der Erkenntnis werden soll, unter der Bedingung steht, daß in ihm noch vor seiner begrifflichen Erkenntnis eine Synthese seiner Elemente nach der Regel dieser logischen Verknüpfungsweisen erfolgt sein muß, da ein solches Objekt als einheitlicher Gegenstand uns nur erstehen kann, wenn das Mannigfaltige in ihm auf eine objektive Einheit bezogen wird, was wiederum nur durch eine vereinheitlichende Funktion (die transzendentale Apperzeption) möglich ist, als deren besondere Arten sich die Verknüpfungsweisen im Urteil darstellen. Durch diese wird bewiesen, daß ebenso wie Raum und Zeit auch die reinen Verstandesbegriffe, die Kategorien, formale Bedingungen der möglichen Erfahrung sind. Hieraus folgt die objektive Gültigkeit der mathematischen Naturwissenschaft für alle mögliche Erfahrung; ihre aus reiner Vernunft stammenden und in einem System von Grundsätzen darstellbaren Prinzipien gelten für alle Erfahrungsgegenstände streng und uneingeschränkt, da diese als Anschauungen für uns nur möglich sind, sofern sie unter angegebenen Bedinungen schon gedacht sind. Zugleich aber wird, indem so der Rechtsanspruch der mathematischen Naturwissenschaft begründet wird, der der rationalen Metaphysik aufgehoben; denn die reinen Begriffe, mit denen diese es nur zu tun hat, geben für sich keine Erkenntnis. Begriffe ohne Anschauungen sind leer; nur in Anwendung der logischen Funktionen auf Anschauung wird gegenständliche Erkenntnis erzeugt. Sofern die Metaphysik als rationale Wissenschaft von jeder Erfahrung absieht, bewegt sie sich im leeren Denken, nämlich in Begriffen von Funktionen, die nur als Verknüpfungsweisen eines Anschaulich-Mannigfaltigen Erkenntnis gewähren. Und doch sind die Begriffe des Unbedingten, die Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, mit denen es die Metaphysik vornehmlich zu tun hat, keine Willkürschöpfungen des Denkens. Sie entspringen dem begründeten Verlangen, im unendlichen Regreß der Bedingungen ihre Totalität als Abschluß zu setzen. Ist dies im Feld der Erfahrung niemals möglich, so liegt ihre Bedeutung für die Erfahrung darin, daß sie den Fortgang von Bedingung zu Bedingung ewig fordern. Raum und Zeit sowie die Kategorien sind konstitutive Bedingungen der Erfahrung, die Ideen der spekulativen Vernunft dagegen besitzen regulative Bedeutung. Aber die Kr. d. r. V. greift noch weiter. Die transzendental-logische Zergliederung der Erkenntnis führt erst dann zur einer endgültigen Würdigung des Erkenntniswertes der Naturwissenschaft und der Metaphysik, wenn die anschauliche Erfahrung selbst, für welche Raum und Zeit und die Kategorien formale Bedingungen ihrer Möglichkeit sind, in ihrem Realitätswert bestimmt ist. Hier greift die in der transzendentalen Ästhetik begründete Lehre von der Idealität von Raum und Zeit bedeutungsvoll ein. Raum und Zeit sind nicht nur logische Voraussetzungen für das gegenständliche Denken, sondern sind, wie bewiesen wird, ihrem Wesen nach nichts anderes als Anschauungsformen unseres Bewußtseins, als Gesetzlichkeiten unserer Sinnlichkeit, außerhalb aber unserer Sinnlichkeit nichts. Die anschauliche Erfahrung besitzt daher nur den Wert einer Erscheinung im vorstellenden Bewußtsein, wenn natürlich auch, wie der Begriff der Erscheinung schon zeigt, den Erscheinungen etwas zugrunde liegen muß, das nicht erscheint. Bezeichnet man das letztere als "Ding-ansich", dann kann das Ergebnis der Kritik auch dahin zusammengefaßt werden, daß eine strenge und allgemeingültige Erkenntnis von Erscheinungen, aber auch nur von diesen, möglich ist, wohingegen jeder Versuch, das den Erscheinungen zugrunde Liegende zu erkennen, darum fehlschlagen muß, weil uns eine Anschauung von diesem, die zu seiner Erkenntnis unbedingt erforderlich ist, nicht gegeben ist; unser Verstand ist diskursiv, nicht intuitiv. Die Metaphysik, die das Wesen der Dinge-ansich erkennen will, kann dies nur durch Paralogismen, indem sie in das angeblich reine Denken unvermerkt anschauliche Bestimmungen einführt, die eben dieses Denken unwiderstehlich zur Erscheinungswelt zurückführen. Aus dieser Vermischung des Anschaulichen und des rein Begrifflichen, aus der Übertragung von Prädikaten, die nur für die Erscheinungswelt gelten können, auf die von allen Erscheinungsbedingungen freie Welt der Ding-ansich und umgekehrt entspringen die inneren Widersprüche des metaphysischen Denkens, die Antinomien. Der transzendentale Idealismus ist die hinreichende und notwendige Bedingung dafür, um diese Selbstwidersprüche der Vernunft aufzulösen. Er gibt aber auch die Möglichkeit, den metaphysischen Ideen, die für die Erfahrung nur von regulativer Bedeutung sein können, noch einen anderen Wert zu verleihen. Ist eine Erkenntnis der Dinge-ansich ausgeschlossen, so ist dadurch noch nicht die Möglichkeit, zwar nicht in der Form der Erkenntnis, wohl aber in der Form des Glaubens von den Dingen-ansich eine Vorstellung zu bilden, aufgehoben; vielmehr lehrt die Kritik als Disziplin zur Grenzbestimmung ausdrücklich, daß eine jede Bestreitung eines solchen Glaubens ebenfalls unstatthaft ist. Der Glaube an Gotte, Freiheit und Unsterblichkeit kann weder bewiesen noch widerlegt werden. Läßt sich nun der Vernunftglaube auf andere als auf wissenschaftliche Gründe stützen, etwa auf die Forderungen des moralischen Bewußtseins, dann hat die Kritik der reinen Vernunft, welche die Metaphysik als Wissenchaft aufhebt, den Gehalt der metaphysischen Überzeugung nicht preisgegeben, vielmehr den wahren Weg zu ihrer Sicherung gewiesen. So zeigt die Kr. d. r. V. ein Doppelantlitz. Mathematische Naturwissenschaft und rationale Metaphysik sind die Gegenstände ihrer Prüfung. Indem sie die erstere in ihrer objektiven Gültigkeit für alle mögliche Erfahrung begründet, gibt sie eine positive Theorie der Erfahrung, soweit diese es mit der apriorischen Erkenntnis ihrer Gegenstände zu tun hat. Indem sie die zweite als Wissenschaft aufhebt, verfährt sie negativ kritisch, vernichtet sie das System der Ontologie (in der Amphibolie der Reflexionsbegriffe), der rationale Psychologie, der rationalen Kosmologie und der rationalen Theologie (in der Dialektik; aber doch nicht, um die metaphysischen Ideen überhaupt zu beseitigen, sondern um durch Preisgabe ihres Erkenntnisanspruchs sie in die Form des Vernunftglaubens überzuführen, durch welche Sonderung der alte Gegensatz zwischen Wissen und Glauben eine versöhnende Auflösung erhält. Unter der Kr. d. r. V. versteht KANT eine Prüfung des Vernunftvermögens überhaupt in Anbetracht aller Erkenntnisse, zu denen die Vernunft unabhängig von aller Erfahrung streben mag, folglich die Entscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt, und die Bestimmung sowohl der Quellen als des Umfangs und der Grenzen derselben, alles aber aus Prinzipien (Vorrede zur ersten Auflage der Kr. d. r. V.). Vernunft ist ihm das Vermögen, welches die Prinzipien der Erkenntnis a priori enthält, reine Vernunft das Vermögen der Prinzipien, etwas schlechthin a priori zu erkennen. Die Kr. d. r. V., welche deren Quellen und Grenzen beurteilt, ist die Vorbedingung eines Systems der reinen Vernunft oder aller reinen Erkenntnis a priori. Sie ist ein Traktat von der Methode, nicht ein System der Wissenschaft selbst; aber sie verzeichnet gleichwohl den ganzen Umriß derselben, sowohl in Anbetracht ihrer Grenzen, als auch ihres ganzen inneren Gliederbaus. Ihrer Methode nach ist sie nicht dem dogmatischen Verfahren der Vernunft in ihrer reinen Erkenntnis als Wissenschaft entgegengesetzt (denn diese muß jederzeit dogmatisch, nämlich aus sicheren Prinzipien a priori streng beweisend sein), sondern dem Dogmatismus. Die Idee der Kr. d. r. V. hat man von verschiedenen Seiten aus zu bestimmen gesucht. Man hat entweder die Frage: wie sind synthetische Urteile a priori möglich? in den Mittelpunkt gestellt oder man ist von KANTs Vergleich seiner "Revolution der Denkart" mit der Veränderung des Weltsystems durch KOPERNIKUS ausgegangen oder man hat den Schwerpunkt in der Darlegung des transzendentalen Idealismus gesucht. Diesen Auslegungen gegenüber weist BENNO ERDMANN (Die Idee von Kants Kr. d. r. V., Abhandlungen der königlich-preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1917) darauf hin, daß die Hervorhebung der Frage nach den synthetischen Urteilen a priori erst durch die Problemstellung der Prolegomena bedingt wird, daß der Vergleich mit KOPERNIKUS eine nachträgliche Umbiegung der Idee (in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kr. d. r. V.) bedeutet und daß die Lehre des transzendentalen Idealismus sich auf die transzendentale Ästhetik beschränkt. Er will seinerseits die Idee aus dem Schema des Werkes, d. h. aus seinem architektonischen Aufbau selbst ableiten und meist sie so bestimmen zu können:
Für die so abgegrenzte Aufgabe der reinen Vernunftkritik läßt sich eine zusammenfassende Formel durch die weitere Unterscheidung aller apriorischen Erkenntnis in analytische und synthetische Urteile gewinnen. Unter analytischen Urteilen, Erläuterungsurteilen, mögen solche verstanden werden, deren Prädikat B zum Subjekt A als etwas gehört, was versteckterweise in diesem Begriff A bereits enthalten ist, z. B. alle Körper (ausgedehnte undurchdringliche Substanzen) sind ausgedehnt, unter synthetischen Urteilen, Erweiterungsurteilen, aber solche, deren Prädikat B außer dem Subjektbegriff A liegt, obgleich es mit ihm in Verbindung steht, z. B. alle Körper (ausgedehnte undurchdringliche Substanzen) sind schwer. Daß, ich, um ein Dreieck zu machen, drei Linien nehmen muß, ist ein analtytischer Satz, daß deren zwei aber zusammengenommen größer sein müssen als die dritte, ist ein synthetischer Satz. In den analytischen Urteilen wird die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt durch Identität, in den synthetischen ohne Identität gedacht; jene beruhen auf dem Satz des Widerspruchs, diese bedürfen eines anderen Prinzips. Durch analytische Urteile wird unsere Erkenntnis nicht erweitert, sondern nur der Begriff, den wir haben, auseinandergesetzt. Bei synthetischen Urteilen aber muß ich außer dem Begriff des Subjekts noch etwas anderes = X haben, worauf sich der Verstand stützt, um ein Prädikat, das in jenem Begriff nicht liegt, doch als dazu gehörig zu erkennen. Bei empirischen oder Erfahrungsurteilen, welche als solche insgesamt synthetisch sind, hat es hiermit gar keine Schwierigkeit; denn dieses X ist die Anschauung vom Gegenstand, den ich durch einen Begriff A denke, welcher nur einen Teil dieser Erfahrung ausmacht. Aber bei synthetischen Urteilen a priori fehlt dieses Hilfsmittel [= X - wp] ganz und gar. Was ist hier das X, worauf sich der Verstand stützt, wenn er außer dem Begriff von A ein ihm fremdes Prädikat aufzufinden glaubt, das gleichwohl mit Notwendigkeit damit verknüpft ist? Mit anderen Worten: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? Dies ist die Grundfrage der Kritik der reinen (von der Erfahrung unabhängigen) Vernunft. Drei Arten synthetischer Urteile a priori sind nun vorhanden, nämlich mathematische, naturwissenschaftliche und metaphysische. Mathematische Urteile sind insgesamt synthetisch, obschon einige mathematische Grundsätze wie a = a, a + b > a analytische Sätze sind; sie dienen aber nur zur Kette der Methode und nicht als Prinzipien. Man sollte anfänglich zwar denken, daß der Satz 7 + 5 = 12 ein bloß analytischer Satz ist, der aus dem Begriff einer Summe von 7 und 5 nach dem Satz des Widerspruchs erfolgt. Aber durch diesen Begriff ist noch nicht gedacht, welches die einzige Zahl ist, die jene beiden umfaßt. Man muß über diese Begriffe hinausgehen, indem man die Anschauung zu Hilfe nimmt, die einem von beiden korrespondiert, etwa seine fünf Finger oder fünf Punkte, und so nach und nach die Einheiten der in der Anschauung gegebenen Fünf zum Begriff der Sieben hinzutut. Ebensowenig ist irgendein Grundsatz der reinen Geometrie analytisch. Daß die gerade Linie zwischen zwei Punkten die kürzeste ist, ist ein synthetischer Satz; denn mein Begriff vom Geraden enthält nichts von der Größe, sondern nur eine Qualität; Anschauung muß zu Hilfe genommen werden, vermöge deren allein die Synthesis möglich ist. Naturwissenschaft enthält synthetische Urteile a priori in sich, z. B. in allen Veränderungen der körperlichen Welt bleibt die Quantität der Materie unverändert, in aller Mitteilung der Bewegung müssen Wirkung und Gegenwirkung jederzeit einander gleich sein; ferner das Gesetz der Trägheit usw. In der Metaphysik, wenn man sie auch für eine bisher bloß versuchte, dennoch aber durch die Natur der menschlichen Vernunft unentbehrliche Wissenschaft ansieht, sind ebenfalls synthetische Erkenntnisse a priori enthalten: z. B. die Welt muß einen Anfang haben; alles, was in den Dingen Substanz ist, ist beharrlich. Metaphysik besteht wenigstens ihrem Zweck nach aus lauter synthetischen Sätzen a priori. Reine Mathematik und reine Naturwissenschaft sind nur wirklich gegeben. Sie sind folglich möglich, was durch ihre Wirklichkeit bewiesen wird. Die Philosophie wird zu fragen haben, wie sie möglich sind. Was aber die Metaphysik betrifft, so muß ihr bisheriger schlechter Fortgang mit Recht an ihrer Möglichkeit zweifeln lassen. Zwar als Naturanlage, als geschichtliche Tatsache ist auch sie wirklich, und daher kann wohl die Frage aufgeworfen werden, wie die Metaphysik als Naturanlage möglich ist, wie die Fragen, welche sich die reine Vernunft aufwirft, aus der Natur der allgemeinen Menschenvernunft entspringen. Und eine Entscheidung über die Gegenstände ihrer Fragen oder über das Vermögen und Unvermögen in Anbetracht ihrer muß zu gewinnen sein; daher darf auch gefragt werden, wie die Metaphysik als Wissenschaft möglich ist. 1. Die transzendentale Ästhetik ist die Wissenschaft von den Prinzipien der Sinnlichkeit a priori. In ihr wird die Sinnlichkeit isoliert, indem von unseren Vorstellungen alles, was der Verstand durch seine Begriffe denkt, abgezogen wird, damit nichts als empirische Anschauung übrig bleibt, und von dieser noch alles, was zur Empfindung gehört, abgetrennt, damit nichts als reine Anschauung und die bloße Form der Erscheinung übrig bleibt, welches das Einzige ist, das die Sinnlichkeit a priori liefern kann. Die Untersuchung zeigt nun, daß es nur zwei reine Formen sinnlicher Anschauung als Prinzipien der Erkenntnis a priori gibt, nämlich Raum und Zeit. Was sind Raum und Zeit? Sind sie wirkliche Wesen oder Bestimmungen oder auch Verhältnisse der Dinge, welche ihnen ansich zukommen, wenn sie auch nicht angeschaut werden? Oder sind sie Bestimmungen, die nur an der Form der Anschauung allein haften und folglich an der subjektiven Beschaffenheit unseres Gemütes, ohne welche diese Prädikate gar keinem Ding beigelegt werden können? Die metaphysische Erörterung (Expositio, die nach der Methodenlehre in der Philosophie anstelle der nicht möglichen erschöpfenden Definition tritt) der Begriffe von Raum und Zeit stellt sie durch ihre Zergliederung als a priori gegeben dar und gibt dadurch den Beweis ihrer Apriorität. Erstens sind Raum und Zeit keine empirischen Begriffe, die von Erfahrungen abgezogen sind. Denn damit gewisse Empfindungen auf etwas außer mir bezogen werden und ich sie an verschiedenen Orten vorstellen kann, dazu muß die Vorstellung des Raumes schon zugrunde liegen; und ebenso würde das Zugleichsein oder Aufeinanderfolgen nicht zur Wahrnehmung kommen, wenn die Vorstellung der Zeit nicht a priori zugrunde läge. Zweitens ist der Raum eine notwendige Vorstellung a priori, die allen äußeren Anschauungen zugrunde liegt, die Zeit eine der notwendigen Vorstellungen, die allen Anschauungen zugrunde liegt. Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum ist, und in Anbetracht der Erscheinungen überhaupt die Zeit selbst nicht aufheben. Drittens sind Raum und Zeit keine diskursiven oder allgemeinen Begriffe, sondern reine Formen der sinnlichen Anschauung; denn verschiedene Räume und verschiedene Zeiten sind nur Teile eben desselben Raumes und eben derselben Zeit. Viertens werden Raum und Zeit als unendlich gegebene Größen vorgestellt. Aus dieser Apriorität der Begriffe von Raum und Zeit folgt (wie es in der ersten Auflage das dritte Argument anführt, das in der zweiten Auflage für den Raum durch eine ausführliche transzendentale Erörterung ersetzt worden ist, während die entsprechende transzendentale Erörterung bei der Zeit in der Hauptsache sich auf das hier beibehaltene dritte Argument beruft und es ergänzt) die Möglichkeit synthetischer Erkenntnisse a priori aus ihnen; vor allem ergeben sich mit apodiktischer [unzweifelhaft - wp] Gewißheit alle geometrischen Grundsätze und die Axiome der Zeit (daß sie nur eine Dimension hat, daß verschiedene Zeiten nicht zugleich, sondern nacheinander sind), sowie auch die der allgemeinen Bewegungslehre. Aus den so erörterten Begriffen zieht die transzendentale Ästhetik den Schluß auf ihren subjektiven Ursprung. Raum und Zeit sind nicht etwas, was für sich selbst besteht oder dem Ding als objektive Bestimmung anhängt, sondern sie sind nichts anderes als subjektive Bedingungen, unter denen allein Anschauung in uns stattfinden kann. Wenn aber beide subjektiven Ursprungs und ihrer Bedeutung nach Formen des Anschauens sind, so geltens sie von den Objekten selbst, die uns nur zur Anschauung kommen. Ihr formaler Charakter erklärt, daß überhaupt synthetische Erkenntnisse a priori (wie von der Mathematik und der Phoronomie [Bewegungslehre - wp]) möglich sind; die Empfindungsqualitäten, die gleichfalls subjektiv sind, gestatten darum keine synthetischen Sätze a priori. Ihre Subjektivität erklärt, daß und warum die synthetischen Erkenntnisse a priori aus Raum und Zeit für die Gegenstände der Erfahrung gültig sind. Als reine Anschauungen enthalten Raum und Zeit die Bedingung der Möglichkeit der Gegenstände als Erscheinungen a priori, und die Synthesis in ihnen hat objektive Gültigkeit. Hieraus folgt die transzendentale Idealität von Raum und Zeit; sie sind nichts, sobald wir die Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung weglassen und sie als Dinge-ansich selbst oder als deren Verhältnisse annehmen. Aber diese transzendentale Idealität begründet zugleich ihre empirische Realität, d. h. ihr objektive Gültigkeit in Anbetracht all dessen, was als Gegenstand vorkommen kann. Alle unsere Anschauung ist also nichts anderes als die Vorstellung von Erscheinungen: die Dinge, die wir anschauen, sind nicht ansich wofür wir sie anschauen, noch sind ihre Verhältnisse so ansich beschaffen, als sie uns erscheinen; und wenn wir unser Subjekt oder auch nur die subjektive Beschaffenheit der Sinne überhaupt aufheben, so würden alle die Beschaffenheiten, alle Verhältnisse der Objekte in Raum und Zeit, ja selbst Raum und Zeit verschwinden, die als Erscheinungen nicht ansich, sondern nur in uns existieren können. Was es für eine Bewandtnis mit den Gegenständen ansich und abgesondert von aller Rezeptivität unserer Sinnlichkeit haben mag, bleibt uns gänzlich unbekannt. Wir kennen nichts als unsere Art, sie wahrzunehmen, die uns eigentümlich ist, die auch nicht notwendig jedem Wesen, wenn auch jedem Menschen zukommen muß. 2. Die transzendentale Logik. Unsere Erkenntnis entspringt aus zwei Grundquellen des Gemüts, deren erste ist, die Vorstellungen zu empfangen, die zweite das Vermögen, durch diese Vorstellungen einen Gegenstand zu erkennen. Durch die erste wird uns ein Gegenstand gegeben, durch die zweite wird dieser im Verhältnis zu jener Vorstellung gedacht. Anschauung und Begriffe machen also die Elemente aller unserer Erkenntnis aus, so daß weder Begriffe ohne korrespondierende Anschauung noch Anschauungen ohne Begriffe eine Erkenntnis abgeben können. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Die allgemeine und reine Logik abstrahiert nun von allem Inhalt der Erkenntnis, um nur die logische Form im Verhältnis der Erkenntnisse zueinander, d. h. die Formen des Denkens überhaupt, zu untersuchen. Eine solche Logik hat es mit lauter Prinzipien a priori zu tun. Nun ist aber denkbar, daß auch die reine Logik nicht ganz von allen Beziehungen der Erkenntnisse auf das Objekt absieht, insofern sie die Regeln des reinen Denkens eines Gegenstandes bestimmt. Wenn es Begriffe gibt, die sich a priori auf Gegenstände beziehen mögen, nicht als reine oder sinnliche Anschauungen, sondern bloß als Handlungen des reinen Denkens, so ist die Untersuchung des Ursprungs, des Umfangs und der objektiven Gültigkeit solcher reinen Erkenntnisse, dadurch wir Gegenstände völlig a priori denken, die Aufgabe einer besonderen Wissenschaft, die als transzendentale Logik zu bezeichnen ist. Die transzendentale Logik isoliert den Verstand und hebt bloß den Teil des Denkens aus unserer Erkenntnis heraus, der lediglich seinen Ursprung im Verstand hat. Der Gebrauch dieser reinen Erkenntnis aber beruth darauf als ihrer Bedingung, daß uns Gegenstände in der Anschauung gegeben sind, worauf jene angewandt werden kann. Der Teil der transzendentalen Logik, der die Elemente der reinen Verstandeserkenntnis und die Prinzipien untersucht, ohne welche überall sein Gegenstand gedacht werden kann, heißt transzendentale Analytik und zugleich eine Logik der Wahrheit. Da es aber sehr verlockend ist, sich dieser reinen Verstandeserkenntnisse und Grundsätze allein und selbst über die Grenzen der Erfahrung hinaus zu bedienen, so entsteht die Aufgabe einer Kritik des Verstandes und der Vernunft in Anbetracht ihres hyperphysischen [übernatürlichen - wp] Gebrauchs, welche als transzendentale Dialektik, als Logik des Scheins den zweiten Teil der transzendentalen Logik bildet. a) Die transzendentale Analytik hat zwei Aufgaben: einmal die Zergliederung unserer gesamten Erkenntnis a priori in die Elemente der reinen Verstandeserkenntnis, d. h. den Nachweis eines vollständigen Systems reiner Elementarbegriffe des Verstandes, die a priori sind und gleichwohl objektive Bedeutung besitzen; sodann die Ableitung der Grundsätze, welche als Regeln a priori aus den Verstandesbegriffen in ihrer Anwendung auf Erscheinungen sich ergeben. Elementarbegriffe des Verstandes, die unabhängig von aller Erfahrung sein sollen, müssen ihren Ursprung rein und unvermischt im Verstand besitzen. Nun gründen Begriffe sich auf die Spontaneität des Denkens wie sinnliche Anschauungen auf die Rezeptivität der Eindrücke. Begriffe beruhen also auf Funktionen, nämlich auf der Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter eine gemeinschaftliche zu ordnen. Alle Urteile sind Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen oder der Synthesis. Weiter dürfen die reinen Verstandesbegriffe nicht ganz und ohne Inhalt sein, als Erkenntnisbegriffe für mögliche Gegenstände müssen sie auch ein Mannigfaltiges verknüpfen. Dieses Mannigfaltige kann nur das der reinen Anschauung a priori sein, das Raum und Zeit uns geben. Die reinen Verstandesbegriffe entspringen daher der Anwendung der Urteilsfunktion, d. h. der Einheitsfunktion auf das Mannigfaltige der reinen Anschauung; sie sind nichts anderes als Abstraktionen aus Urteilsfunktionen in ihrer Anwendung auf Anschauung. Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteil Einheit gibt, gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt. Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen mittels der analytischen Einheit die logische Form eines Urteils zustande bringt, bringt auch mittels der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt in seinen Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt. Auf solche Weise entspringen so viele reine Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegenstände der Anschauung überhaupt gehen, als es logische Funktionen in allen möglichen Urteilen gibt. Nun liefert die allgemeine formale Logik ein erschöpfendes System dieser logischen Funktionen in der Tafel der Urteile:
- Einzelurteile - Besondere (partikulare oder plurative) - allgemeine Urteile der QUALITÄT nach - bejahende - verneinende - unendliche oder limitative der RELATION nach - kategorische - hypothetische - disjunktive der MODALITÄT nach - problematische - assertorische - apodiktische
- Einheit - Vielheit - Allheit Der QUALITÄT nach - Realität - Negation - Limitation Der RELATION nach - Substantialität und Inhärenz - Kausalität und Dependenz - Gemeinschaft oder Wechselwirkung (Konkurrenz) Der MODALITÄT nach - Möglichkeit und Unmöglichkeit - Dasein und Nichtsein - Notwendigkeit und Zufälligkeit Mit der Ableitung der Kategorien ist aber die Aufgabe der transzendentalen Analytik der Elementarbegriff des Verstandes noch nicht erschöpft; vielmehr führt sie zu einem weiteren und sehr schwierigen Problem. Erwies die Zergliederung der Vorstellungen des Raumes und der Zeit ihren Ursprung aus der Form unserer sinnlichen Anschauung, so war damit zugleich erklärt, wie die aus diesen Begriffen fließenden Erkenntnisse a priori sich auf Gegenstände notwendig beziehen müssen, da diese nur mittels der reinen Form der Sinnlichkeit uns als Gegenstand gegeben sein können. Die Kategorien des Verstandes dagegen stellen uns gar nicht die Bedingungen vor, unter denen Gegenstände in der Anschauung gegeben werden; folglich können uns allerdings Gegenstände erscheinen, ohne daß sich hier eine Schwierigkeit, die im Feld der Sinnlichkeit nicht angetroffen wird, wie nämlich subjektive Bedingungen des Denkens objektive Gültigkeit haben sollten, d. h. Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntnis der Gegenstände abgeben könnten. Diese objektive Gültigkeit der Kategorien (deren Beweis die "transzendentale Deduktion der Kategorien" gibt) beruth nun darauf, daß durch sie allein Erfahrung der Form des Denkens nach möglich ist. Sie beziehen sich notwendigerweise und a priori auf Gegenstände der Erfahrung, weil nur mittels ihrer überhaupt irgendein Gegenstand der Erfahrung gedacht werden kann. Denn es sind nur zwei Fälle möglich, unter denen eine synthetische Vorstellung und ihre Gegenstände zusammentreffen, sich aufeinander notwendigerweise beziehen und gleichsam einander begegnen können: entweder, wenn der Gegenstand die Vorstellung oder diese den Gegenstand allein möglich macht. Im ersten Fall ist die Beziehung empirisch, und die Vorstellung ist also nicht a priori möglich. Unsere Vorstellungen a priori richten sich nicht nach den Objekten, weil sie sonst empirisch und nicht Vorstellungen a priori wären. Nur was in den Erscheinungen zur Empfindung gehört, richtet sich nach den Objekten. Der andere Fall kann nicht in dem Sinn stattfinden, daß unsere Vorstellung ihren Gegenstand seinem Dasein nach hervorbringt. Wohl aber kann die Erkenntnis eines Gegenstandes oder die Erscheinung sich nach unseren Vorstellungen a priori richten. Das Feld oder den gesamten Gegenstand möglicher Erfahrungen aber machen Anschauungen aus. Ein Begriff a priori, der sich nicht auf diese bezieht, würde nur die logische Form zu einem Begriff, aber nicht der Begriff selbst sein, wodurch etwas gedacht wird. Die reinen Begriffe a priori können zwar nichts Empirisches enthalten, müssen aber gleichwohl, um objektive Gültigkeit zu haben, lauter Bedingungen a priori zu einer möglichen Erfahrung sein. Dies erweist die Deduktion (nach der zweiten Auflage) folgendermaßen: Das Mannigfaltige der Vorstellungen kann in einer Anschauung gegeben werden, die bloß sinnlich ist, und die Form dieser Anschauung kann a priori in unserem Vorstellungsvermögen liegen, ohne doch etwas anderes als die Art zu sein, wie das Subjekt affiziert wird. Allein die Verbindung (conjunctio) eines Mannigfaltigen überhaupt kann niemals durch die Sinne in uns kommen und kann also auch nicht in der reinen Form der sinnlichen Anschauung zugleich mit enthalten sein; denn sie ist ein Aktus der Spontaneität der Vorstellungskraft, und da man diese zum Unterschied von der Sinnlichkeit Verstand nennen muß, so ist alle Verbindung, wir mögen uns ihrer bewußt werden oder nicht, es mag eine Verbindung des Mannigfaltigen der Anschauung oder mancherlei Begriffe, und an der ersteren der Sinnlichkeit oder nichtsinnlichen Anschauung sein, eine Verstandeshandlung. Diese Verbindung ist eine Vorstellung der synthetischen Einheit (und zwar der qualitativen) des Mannigfaltigen. Die Vorstellung dieser Einheit kann nicht aus der Verbindung entstehen, sie macht vielmehr dadurch, daß sie zur Vorstellung des Mannigfaltigen hinzukommt, den Begriff der Verbindung allererst möglich. Nun ist in der Einheit des Selbstbewußtseins eine ursprünglich reine Synthesis gegeben. Die mannigfaltigen Vorstellungen würden nicht insgesamt meine Vorstellungen sein, wenn sie nicht insgesamt zu einem Selbstbewußtsein gehören würden, das ist: als meine Vorstellungen (obgleich ich mir ihrer nicht als solcher bewußt bin) müssen sie doch der Bedingung notwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammen bestehen können, weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden. Das "Ich denke" muß alle meine Vorstellungen begleiten können, denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden kann; das würde aber heißen, daß die Vorstellung entweder unmöglich oder zumindest für mich nichts sein würde. Nur dadurch, daß ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen in einem Bewußtsein verbinden kann, ist es möglich, daß ich mir die Identität des Bewußtseins in diesen Vorstellungen selbst vorstelle. Diese Verbindung, welche ein Aktus der Spontaneität ist, ist die reine oder ursprüngliche, transzendentale Apperzeption; die analytische Einheit der Apperzeption ist nur unter der Voraussetzung irgendeiner synthetischen möglich. Ich bin mir desselben identischen Selbst in Anbetracht der mir in der Anschauung gegebenen Vorstellungen bewußt, weil ich sie insgesamt als meine Vorstellungen kenne und bezeichne. Hierin liegt die objektive Einheit des Selbstbewußtseins, die von der subjektiven Einheit wohl unterschieden werden muß. Die letztere, die empirische Einheit des Bewußtseins durch die Assoziation der Vorstellungen, betrifft nur eine Erscheinung und ist ganz zufällig; die objektive Einheit des Selbstbewußtseins dagegen ist der oberste Grundsatz der Möglichkeit aller Anschauungen in Bezug auf den Verstand. Sofern die mannigfaltigen Vorstellungen der Anschauungen uns gegeben sind, unterstehen sie den Bedingungen der reinen Anschauung; sofern sie in einem Bewußtsein müssen verbunden werden können, unterstehen sie den Bedingungen der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption. Die bloßen Formen der äußeren sinnlichen Anschauung, Raum und Zeit, sind noch gar keine Erkenntnisse. Sie geben nur das Mannigfaltige der Anschauung a priori zu möglichen Erkenntnissen. Um aber etwas in Raum und Zeit zu erkennen, muß eine bestimmte Verbindung des gegebenen Mannigfaltigen synthetisch zustande gebracht werden. Die synthetische Einheit des Bewußtseins ist also eine objektive Bedingung aller Erkenntnisse, nicht nur deren ich bloß selbst bedarf, um ein Objekt zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß, um für mich Objekt zu werden, weil auf andere Art und ohne diese Synthesis das Mannigfaltige sich nicht in einem Bewußtsein vereinigen würde. Diejenige Handlung des Verstandes aber, durch die das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter eine Apperzeption gebracht wird, ist zugleich dieselbe, die in einem Urteil gegebene Begriffe zu einer objektiven Einheit verbindet. Das Verhältniswörtchen "ist" in ihnen weist schon darauf hin, daß die objektive, im Urteil vollzogene Verknüpfung der Vorstellungen von ihrer empirischen zufälligen Verbindung zu unterscheiden ist. In einem Urteil (Prolegomena: Erfahrungsurteil), das Erkenntnis geben soll, wird ein Verhältnis von Vorstellungen zum Ausdruck gebracht, das objektiv gültig ist und sich von den Verhältnissen eben derselben Vorstellungen, worin bloß subjektive Gültigkeit wäre, z. B. nach Gesetzen der Assoziation, hinreichend unterscheidet. Nach den letzteren würde ich (Prolegomena: in einem bloßen Wahrnehmungsurteil) sagen können: wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere, aber nicht: er, der Körper, ist schwer, welches soviel sagen will als: diese beiden Vorstellungen sind im Objekt, das ist ohne Unterschied des Zustandes des Subjekts verbunden und nicht bloß in der Wahrnehmung (so oft sie auch wiederholt sein mag) beisammen. Es ist also dieselbe Handlung des Verstandes, durch welche das Mannigfaltige gegebener Anschauungen zu Objekten vereinigt und das Mannigfaltige gegebener Begriffe zu objektiv gültigen Urteilen verbunden wird. Folglich ist alles Mannigfaltige, sofern es in einer empirischen Anschauung gegeben ist, in Anbetracht einer der logischen Funktionen zu urteilen bestimmt, durch die es nämlich zu einem Bewußtsein überhaupt gebracht wird. Nun sind aber die Kategorien nichts anderes als eben diese Funktionen zu urteilen, sofern das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung in Anbetracht ihrer bestimmt ist. Also steht auch das Mannigfaltige in einer gegebenen Anschauung notwendig unter Kategorien. Außer den beiden Wegen, auf welchen eine notwendige Übereinstimung der Erfahrung mit den Begriffe von ihren Gegenständen gedacht werden kann (daß nämlich entweder die Erfahrung diese Begriffe oder die Begriffe die Erfahrung möglich machen) ließe sich vielleicht noch ein Mittelweg vorschlagen, nämlich die Annahme, daß die Kategorien nicht empirische, sondern subjektive, uns mit unserer Existenz zugleich eingepflanzte Anlagen zum Denken sind, die aber von unserem Urheber so eingerichtet worden sind, daß ihr Gebrauch mit den Gesetzen der Natur, an welchen die Erfahrung fortläuft, genau übereinstimmt. Diese Annahme, eine Art von Präformationssystem der reinen Vernunft, scheidet jedoch aus, weil in einem solchen Fall den Kategorien die Notwendigkeit mangeln würde, die ihrem Begriff wesentlich angehört. in der ersten Auflage der Kr. d. r. V. hatte KANT diese transzendentale Deduktion in anderer, mehr psychologischer Weise geführt. In jeder Erkenntnis kommt notwendig eine dreifache Synthesis vor:
- Synthesis ihrer Reproduktion in der Einbildung und - diejenige ihrer Rekognition im Begriff. Nun fragt es sich, wie sind die Verstandesbegriffe, welche die Bedingung zu Regeln a priori enthalten, auf Erscheinungen anzuwenden, wie gelangt man von den Begriffen zu den Grundsätzen. Der Analytik der Begriffe folgt eine Analytik der Grundsätze. Verstand ist das Vermögen der Regeln, Urteilskraft aber das Vermögen, unter Regeln zu subsumieren. Die Analytik der Grundsätze muß ein Kanon für die Urteilskraft sein und hat als transzendentale Doktrin der Urteilskraft erstens die sinnliche Bedingung aufzuweisen, unter der reinen Verstandesbegriffe angewandt werden können (Schematismus des reinen Verstandes), zweitens die Grundsätze des reinen Verstandes als synthetische Urteile aus reinen Verstandesbegriffen unter diesen Bedingungen abzuleiten. Reine Verstandesbegriffe sind den empirischen Anschauungen ganz ungleichartig, und doch muß in allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff die Vorstellung des ersteren mit dem letzteren gleichartig sein. Um die Anwendung der Kategorie auf die Erscheinung möglich zu machen, muß es ein Drittes geben, was einerseits mit jener, andererseits mit dieser gleichartig ist. Eine solche vermittelnde Vorstellung, erzeugt durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, ist das transzendentale Schema des Verstandes; die Lehre davon ist der Schematismus der reinen Verstandesbegriffe. Nun ist die Zeit als eine Form a priori mit der Kategorie, als eine Form der Sinnlichkeit aber mit der Erscheinung gleichartig. Zwischen ihren Teilen sind dieselben Verhältnisse in der Anschauung gegeben, welche die Verstandesbegriffe nur "in abstrakter Form" zwischen den verschiedenen Teilen des Erkenntnisinhaltes annehmen lassen. Daher ist eine Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen mittels der transzendentalen Zeitbestimmung möglich. Die Schemata gehen nach der Ordnung der Kategorien (Quantität, Qualität, Relation, Modalität) auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung und den Zeitbegriff. Das Schema der Quantität ist die Zahl. Das Schema der Realität ist das Sein in der Zeit, das der Negation das Nichtsein in der Zeit. Das Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, das der Kausalität die Sukzession des Mannigfaltigen, sofern sie einer Regel unterworfen ist, das der Gemeinschaft oder der wechselseitigen Kausalität der Substanzen in Anbetracht ihrer Akzidentien [Merkmale - wp] ist das Zugleichsein der Bestimmungen der einen mit denen der anderen nach einer allgemeinen Regel. Das Schema der Möglichkeit ist die Zusammenstimmung der Synthesis verschiedener Vorstellungen mit den Bedingungen der Zeit überhaupt, also die Bestimmung der Vorstellung eines Dings zu irgendeiner Zeit, das Schema der Wirklichkeit ist das Dasein in einer bestimmten Zeit, das Schema der Notwendigkeit ist das Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit. Die Beziehung der Kategorien auf mögliche Erfahrung muß alle reine Verstandeserkenntnis a priori ausmachen. Die Grundsätze des reinen Verstandes sind die Regeln des objektiven Gebrauchs der Kategorien. Aus den Kategorien der Quantität und Qualität fließen mathematische Grundsätze von intuitiver Gewißheit, aus den Kategorien der Relation und Modalität aber dynamische Grundsätze von diskursiver Gewißheit. Ihr System stellt die folgende Tafel dar:
- Antizipation der Wahrnehmung - Analogien der Erfahrung - Postulate des empirischen Denkens überhaupt Dem Beweis des zweiten Postulats, das auf den Beweis der Wirklichkeit geht, hat KANT in der zweiten Auflage der Kr. d. r. V. eine "Widerlegung des (materialen) Idealismus" beigefügt, die auf dem Satz beruth, daß innere Erfahrung überhaupt, an deren Vorhandensein sich nicht zweifeln läßt, nur durch äußere Erfahrung überhaupt, folglich nur unter der Voraussetzung des Daseins von Gegenständen im Raum außerhalb von uns, möglich ist. Der Beweisgrund liegt darin, daß die Zeitbestimmung, die in dem empirisch bestimmten Bewußtsein meines eigenen Daseins liegt, etwas Beharrliches in der Wahrnehmung voraussetzt, das von meinen Vorstellungen verschieden sein muß, damit der Wechsel daran gemessen werden kann, das also nur durch ein Ding außerhalb meiner selbst möglich ist. Obgleich unsere Begriffe die Einteilung in sinnliche und intellektuelle zulassen, so dürfen doch nicht die Gegenstände in Objekte der Sinne oder Phaenomena und Gegenstände des Verstandes oder Noumena in einem positiven Sinn eingeteilt werden. Denn die Begriffe des Verstandes finden nur auf die Objekte der sinnlichen Anschauung Anwendung; ohne Anschauung sind sie gegenstandslos, und eine nicht-sinnliche oder intellektuelle Anschauung besitzt der Mensch nicht. Wohl aber ist der Begriff eines Noumenon in negativer Bedeutung zulässig, indem wir darunter ein Ding verstehen, sofern es nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist. In diesem Sinne sind die Dinge-ansich Noumena, die aber nicht durch die Kategorien des Verstandes, sondern nur als ein unbekanntes Etwas zu denken sind. Durch die Verwechslung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem transzendentalen entsteht die Amphibolie der Reflexionsbegriffe. Die Reflexionsbegriffe sind: Einerleiheit und Verschiedenheit, Einstimmung und Widerstreit, Inneres und Äußeres, Bestimmbares und Bestimmung (Materie und Form). Die transzendentale Überlegung (reflexio) ist die Handlung, dadurch ich die Vergleichung der Vorstellungen überhaupt mit der Erkenntniskraft zusammenhalte, darin sie angestellt wird, und unterscheide, ob sie als gehörig zum reinen Verstand oder zur sinnlichen Anschauung untereinander verglichen werden. KANT findet die Quelle von LEIBNIZ' System, welches die Erscheinungen intellektuiert, in der von LEIBNIZ nicht erkannten Amphibolie der Reflexionsbegriffe. LEIBNIZ bezog den Verstandesgebrauch bei der Vergleichung der Vorstellungen fälschlich auf Objekte ansich und nahm den Begriff des Noumenon in einem positiven Sinn. Er hielt die Sinnlichkeit nur für eine verworrene Vorstellung und glaubte die innere Beschaffenheit der Dinge zu erkennen, indem er alle Gegenstände nur mittels des Verstandes und der abgesonderten normalen Begriffe seines Denkens verglichen hat; so fand er natürlich keine anderen Verschiedenheiten als die, durch welche der Verstand seine reinen Begriffe voneinander unterscheidet. Daraus ergaben sich ihm die Sätze, daß das begrifflich nicht zu Unterscheidende schlechthin ununterschieden oder identisch ist, daß Realitäten als bloße Bejahungen einerander realiter nicht durch Entgegenstreben aufheben können, da zwischen ihnen kein logischer Widerspruch stattfindet, daß wir den Substanzen keinen anderen inneren Zustand als den der Vorstellungen beilegen und ihre Gemeinschaft untereinander nur als prästabilierte [vorgefertigte - wp] Harmonie denken dürfen, endlich, daß der Raum nur als die Ordnung in der Gemeinschaft der Substanzen und die Zeit als die dynamische Folge ihrer Zustände zu denken ist. KANT will, daß jene Vergleichsbegriffe auf die Erscheinungswelt nur unter Mitberücksichtigung der an die sinnliche Anschauung (welche ihre eigentümlichen Formen hat und nicht bloß eine verworrende Auffassung ist) geknüpften Unterschiede, auf die Dinge-ansich (oder Noumena) aber überhaupt nicht angewandt werden. - Mit der Amphibolie der Reflexionsbegriffe endet die transzendentale Analytik. b) Die transzendentale Dialektik hat die Aufgabe, den Schein transzendenter Urteile aufzudecken und sogar zu verhüten, daß er betrügt. Daß er aber ganz verschwindet wie der logische Schein, der nur aus dem Mangel an Aufmerksamkeit auf die logischen Regeln besteht, und überhaupt aufhört, ein Schein zu sein, das kann sie nicht bewerkstelligen; denn es gibt hier eine natürliche und unvermeidliche Jllusion. Die transzendentale Dialektik hat es mit der Vernunft zu tun, wie die Analytik mit dem Verstand. Es gibt aber von der Vernunft nicht bloß einen formalen, d. h. logischen Gebrauch, indem die Vernunft von allem Inhalt der Erkenntnis absieht, sondern auch einen realen, indem sie selbst den Ursprung gewisser Begriffe und Grundsätze enthält, die sie weder von den Sinnen noch vom Verstand hat. So ist die Vernunft sowohl ein logisches als auch ein transzendentales Vermögen, und es muß ein höherer Begriff für sie gesucht werden, der die beiden unter sich befaßt. Freilich kann nach Analogie der Verstandesbegriffe erwartet werden, daß der logische Begriff zugleich den Schlüssel zum transzendentalen und die Tafel der Funktionen der ersteren zugleich die Stammleiter der Vernunftbegriffe ergeben wird. Ist der Verstand das Vermögen der Einheit der Erscheinungen mittels der Regeln, so ist die Vernunft das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien oder das Vermögen der Prinzipien. Die Vernunft sucht in ihrem logischen Gebrauch die allgemeine Bedingung ihres Urteils (des Schlußsatzes), für diese Bedingung wird aber wieder eine Bedingung durch die Vernunft gesucht, und in dieser Art geht es weiter. So ist der eigentümliche Grundsatz der Vernunft im logischen Gebrauch: zu der bedingten Erkenntnis des Verstandes das Unbedingte zu finden, und diese logische Maxime kann nicht anders ein Prinzip der reinen Vernunft werden als dadurch, daß man annimmt: Wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die ganze Reihe einander untergeordneter Bedingungen gegeben, die folglich selbst unbedingt ist. Wenn eine Erkenntnis als bedingt angesehen wird, so ist die Vernunft genötigt, die Reihe der Bedingungen in aufsteigender Linie als vollendet und ihrer Totalität nach gegeben anzusehen, und diese ganze Reihe muß unbedingt wahr sein, wenn das Bedingte, welches als eine daraus entspringendes Folgerung angesehen wird, als wahr gelten soll. Die aus diesem obersten Prinzip entspringenden Grundsätze werden in Anbetracht aller Erscheinung transzendent sein; es wird kein adäquater empirischer Gebraucht jemals von ihnen gemacht werden können. KANT nennt nun die Idee einen notwendigen Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann. Die reine Vernunft bezieht sich niemals geradezu auf Gegenstände, sondern auf die Verstandesbegriffe von diesen. Wie die Verstandesbegriffe aus den Formen der Urteile sich entnehmen lassen, indem die Weise der Synthesis der Anschauungen im Urteil begrifflich aufgefaßt wird, so lassen die transzendentalen Vernunftbegriffe sich aus den Formen der Vernunftschlüsse entnehmen. Die Vernunftschlüsse sind teils kategorisch, teils hypothetisch, teils diskjunktiv. Das Allgemeine aller Beziehung, die unsere Vorstellungen haben können, ist nun auch dreierlei: die Beziehung auf das Subjekt, die Beziehung auf Objekte, und letztere entweder auf Objekte als Erscheinungen oder als Gegenstände des Denkens überhaupt, d. h. auf alle Dinge überhaupt. Demgemäß gibt es drei transzendentale Vernunftbegriffe: ein Unbedingtes
2. der hypothetischen Synthesis der Glieder einer Reihe, 3. der disjunktiven Synthesis der Teile in einem System. Die rationale Psychologie gründet sich auf das bloße Bewußtsein des denkenden Ich von sich selbst; denn wollten wir die Beobachtungen über das Spiel unserer Gedanken und die daraus zu schöpfenden Naturgesetze des denkenden Selbst auch zu Hilfe nehmen, so würde eine empirische Psychologie entspringen, die solche Eigenschaften, welche gar nicht zur möglichen Erfahrung gehören, wie namentlich die der Einfachheit, nicht darzutun vermöchte und keine apodiktische Gültigkeit beanspruchen könnte. Aus dem Ichbewußtsein sucht die rationale Psychologie zu erweisen, daß die Seele als Substanz (und zwar als immaterielle Substanz) existiert, als einfache Substanz inkorruptibel, als intellektuelle Substanz stets mit sich selbst identisch oder eine Person, in möglichem Kommerzium [Gemeinschaft - wp] mit dem Körper und unsterblich ist. Aber die Schlüsse der rationalen Psychologie involvieren eine unzulässige Anwendung des Substanzbegriffs, der Anschauung voraussetzt und nur für Erscheinungsobjekte gilt, auf das Ich als transzendentale Objekt. Daß Ich, der ich denke, im Denken immer nur als Subjekt und als etwas, das nicht bloß wie ein Prädikat dem Denken anhängt, gelten muß, ist ein apodiktischer und selbst identischer Satz; aber er bedeutet nicht, daß Ich als Objekt ein für mich selbst bestehendes Wesen oder Substanz bin. Ebenso liegt zwar schon im Begriff des Denkens, daß das Ich der Apperzeption ein logisch einfaches Subjekt bezeichnet, was ein analytischer Satz sein würde. Die Identität meiner selbst bei allem Mannigfaltigen, dessen ich mir bewußt bin, ist wiederum ein analytischer Satz; aber daraus folgt nicht die Identität einer denkenden Substanz in allem Wechsel der Zustände. Daß ich endlich meine Existenz als eines denkenden Wesens von anderen Dingen außer mir, wozu auch mein Körper gehört, unterscheide, ist ein analytischer Satz; aber ob dieses Bewußtsein meiner selbst ohne Dinge außer mir möglich ist und ich also auch ohne Körper existieren kann, weiß ich dadurch gar nicht. Der dialektische Scheint in der rationalen Psychologie beruth auf der Verwechslung der Möglichkeit der Abstraktion von meiner empirisch bestimmten Existenz, wodurch ich den in allen Stücken unbestimmten Begriff eines denkenden Wesens überhaupt gewinne, mit der Möglichkeit einer abgesonderten Existenz meines denkenden Selbst. Die Aufgabe, die Gemeinschaft der Seele mit dem Körper zu erklären, wird durch die zwischen beiden vorausgesetzte Ungleichartigkeit erschwert, indem jener nur eine zeitliche, diesem auch eine räumliche Existenz zukommt. Bedenkt man aber, daß beiderlei Arten von Gegenständen sich hierin nicht innerlich, sondern insofern nur eins dem andern äußerlich erscheint, voneinander unterscheiden, folglich das, was der Erscheinung der Materie als Ding-ansich zugrunde liegtr, vielleicht so ungleichartig nicht sein dürfte, so verschwindet diese Schwierigkeit, und es bleibt keine andere übrig als die, wie überhaupt eine Gemeinschaft von Substanzen möglich ist, welche zu lösen ganz außerhalb des Feldes der Psychologie und aller menschlichen Erkenntnis liegt. Der hier nur kurz angedeutete Gedanken der möglichen Gleichartigkeit zwischen dem Realen, das den Erscheinungen des äußeren Sinnes, und dem, das den Erscheinungen des inneren Sinnes zugrunde liegt, findet sich in der ersten Auflage der Kr. d. r. V. weiter ausgeführt. In der Psychologie gilt der Dualismus im empirischen Verstand, auf die Erscheinungen bezogen; im transzendentalen Verstand gilt aber weder der Dualismus noch der Pneumatismus (Spiritualismus) noch der Materialismus, welche sämtlich die Verschiedenheit der Vorstellungsart von Gegenständen, die uns nach dem, was sie ansich sind, unbekannt bleiben, für eine Verschiedenheit dieser Dinge selbst halten.
"Ich kann wohl annehmen, daß der Substanz, der in Anbetracht unseres äußeren Sinnes Ausdehnung zukommt, ansich Gedanken beiwohnen, die durch ihren eigenen inneren Sinn mit Bewußtsein vorgestellt werden können; auf solche Weise würde eben dasselbe, was in einer Beziehung körperlich heißt, in einer anderen zugleich ein denkendes Wesen sein, dessen Gedanken wir zwar nicht, aber doch die Zeichen derselben in der Erscheinung anschauen können."
2. die absolute Vollständigkeit der Teilung eines gegebenen Ganzen in der Erscheinung (die vollendete Teilung der Materie entweder in Nichts oder in das Einfache, was nicht mehr Materie ist); 3. die absolute Vollständigkeit der Entstehung einer Erscheinung überhaupt; 4. die absolute Vollständigkeit der Abhängigkeit des Daseins des Veränderlichen in der Erscheinung. So fließen aus den kosmologischen Ideen die vier Antinomien, d. h. einander widersprechende Sätze, die sich doch, sofern die Erscheinungswelt für real in einem transzendenten Sinn gehalten wird, aus dieser Voraussetzung mit gleich strenger Konsequenz ergeben. Auch die Quantität der Welt bezieht sich die erste Antinomie. Thesis: die Welt hat einen Anfang in der Zeit und Grenzen im Raum. Antithesis: die Welt ist anfangslos und ohne Grenzen im Raum. Auf die Qualität der Welt geht die zweite Antinomie. Thesis: eine jede zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht aus einfachen Teilen. Antithesis: es existiert nichts Einfaches. Die kausale Relation betrifft die dritte Antinomie. Thesis: es gibt eine Freiheit im transzendentalen Sinn als Fähigkeit eines absoluten, ursachlosen Anfangs einer Reihe von Wirkungen. Antithesis: es geschieht alles in der Welt lediglich nach Gesetzen der Natur. An die Modalität knüpft sich die vierte Antinomie. Thesis: es gehört zur Welt (seie es als Teil oder als Ursache) ein schlechthin notwendiges Wesen. Antithesis: es existiert nichts schlechthin Notwendiges. Die Beweise werden von KANT indirekt geführt. Zum Beweis der Thesis wird die in der Antithesis behauptete Unendlichkeit des Fortgangs als unvollziehbar bekämpft, zum Beweis der Antithesis aber die in der Thesis angenommene Grenze als willkürlich und überschreitbar nachgewiesen. - Bei den Antithesen bemerkt man nach KANT das Prinzip des Empirismus. Dagegen legen die Behauptungen der Thesis noch intellektuelle Anfänge zugrunde, und sie vertreten den Dogmatismus. Für den letzteren zeigt sich ein gewisses praktisches Interesse der Vernunft: daß die Welt einen Anfang hat, daß mein denkendes Selbst einfacher und daher unverweslicher Natur, daß dieses zugleich in seinen willkürlichen Handlungen frei und dem Naturzwang enthoben ist und daß endlich die ganze Ordnung der Dinge, welche die Welt ausmachen, von einem Urwesen abstammt, von welchem alles seine Einheit und zweckmäßige Verknüpfung entlehnt, das sind Grundsteine der Moral und Religion. Die Antithesis beraubt uns dieser Stützen oder scheint wenigstens sie uns zu rauben. Auch ein spekulatives Interesse der Vernunft äußert sich für die Seite der Thesis. Denn durch die Thesis kann man die Ableitung des Bedingten begreifen, indem man vom Unbedingten anfänft. Das leistet aber die Antithesis nicht. Die Antinomien sind der Auflösung bedürftig und fähig, weil in der Transzendentalphilosophie überhaupt keine Frage, welche einen der reinen Vernunft gegebenen Gegenstand betrifft, für ebendiese menschliche Vernunft unauflöslich sein kann; derselbe Begriff, der uns instand setzt, zu fragen, muß uns auch tüchtig machen, auf diese Frage zu antworten. Den Schlüssel zur Auflösung der kosmologischen Dialektik liefert der transzendentale Idealismus, der lehrt, daß alles, was im Raum oder in der Zeit angeschaut wird, folglich alle Gegenstäden einer uns möglichen Erfahrung, nichts als Erscheinungen oder bloße Vorstellungen sind, die so, wie sie vorgestellt werden, als ausgedehnte Wesen oder Reihen von Vorstellungen, außer in unseren Gedanken, keine Existenz ansich haben. Mit dieser Annahme läßt sich das dialektische Argument der Antinomie der reinen Vernunft leicht durchschauen. Dieses Argument lautet: Wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die ganze Reihe aller seiner Bedingungen gegeben. Nun sind uns Gegenstände der Sinne als bedingt gegeben, folglich usw. Aber offenbar nimmt der Obersatz des kosmologischen Vernunftschlusses das Bedingte in transzendentaler Bedeutung einer reinen Kategorie, der Untersatz aber in empirischer Bedeutung eines auf bloße Erscheinungen angewandten Verstandesbegriffs. Der dialektische Schein entspringt daher, daß man die Idee der absoluten Totalität, welche nur als eine Bedingung der Dinge-ansich gilt, auf Erscheinungen angewandt hat, die nur in der Vorstellung und, wenn sie eine Reihe ausmachen, in einem sukzessiven Regreß, sonst aber gar nicht existieren. Die vier Antinomien können in zwei Klassen geteilt werden, je nachdem ob der Verstandesbegriff, der den Ideen zugrunde liegt, entweder eine Synthesis des Gleichartigen oder des Ungleichartigen enthält. Das erste ist bei den ersten Antinomien, den mathematischen, der Fall, das letztere bei den beiden letzten, den dynamischen, welche eine Bedingung der Erscheinungen außerhalb der Reihe, nämlich eine solche, die selbst nicht Erscheinung ist, zulassen. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit einer verschiedenartigen Auflösung der Antinomien. Die dialektischen Gegenbehauptungen der mathematischen Antinomien müssen beide für falsch erklärt werden; die Welt kann weder das Prädikat der Thesis noch das der Antithesis haben, und aus der Ungültigkeit des einen darf nicht die Gültigkeit des anderen geschlossen werden. Als regulatives Prinzip unserer Forschung aber muß die Forderung gelten, keine Grenze als eine absolut letzte zu betrachten. Bei den dynamischen Antinomien könnten aber beide Gegenbehauptungen wahr sein, indem die eine auf die Welt der Erscheinungen, die andere auf die nichtsinnliche geht. Von besonderer Bedeutung ist die dritte Antinomie; ihre Auflösung zeigt, wie Natur und Freiheit miteinander zu vereinigen sind. Alles, was in der Welt der Erscheinungen geschieht, hat seine ihm in der Zeit vorangehende Ursache, die wiederum eine andere voraussetzt, und so fort, so daß in dieser Welt nirgendwo eine Handlung von selbst anheben kann. Nun kann auch die Kausalität jedes Gegenstandes der Sinne von zwei Seiten aus betrachtet werden. Nichts hindert, daß wir dem transzendentalen Gegenstand außer der Eigenschaft, dadurch er erscheint, nicht auch eine Kausalität beilegen sollten, die nicht Erscheinung ist, obgleich ihre Wirkung dennoch in der Erscheinung angetroffen wird. Es muß aber jede wirkende Ursache einen Charakter haben, nämlich ein Gesetz ihrer Kausalität, ohne welches sie gar nicht Ursache sein würde. Ein solches Subjekt der Sinnenwelt hätte erstens einen empirischen Charakter, wodurch seine Handlungen als Erscheinungen durch und durch mit anderen Erscheinungen nach beständigen Naturgesetzen im Zusammenhang ständen und von ihnen als ihren Bedingungen abgeleitet werden könnten. Zweitens würde man ihm aber noch einen intelligiblen Charakter einräumen müssen, dadurch es zwar die Ursache jener Handlungen als Erscheinungen ist, der aber selbst unter keinen Bedingungen der Sinnlichkeit steht und selbst nicht Erscheinung ist. Dieses handelnde Subjekt würde nun nach seinem intelligiblen Charakter unter keinen Zeitbedingungen stehen, in ihm würde keine Handlung entstehen oder vergehen, seine Kausalität stände gar nicht in der Reihe empirischer Bedingungen, welche die Begebenheit in der Sinnenwelt notwendig machen. Von ihm würde man ganz richtig sagen, daß seine Wirkungen in der Sinnenwelt von selbst anfangen, ohne daß die Handlung in ihm selbst anfängt. Für ein solches Subjekt gewinnen wir einen intellektuellen Begriff seiner Kausalität, der dem Begriff der Freiheit entspricht. Eine solche doppelte Seite, das Vermögen eines Gegenstandes der Sinne sich zu denken, widerspricht keinem von den Begriffen, die wir uns von Erscheinungen und von einer möglichen Erfahrung zu machen haben. |