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SALOMON MAIMON
Kritische Untersuchungen
über den menschlichen Geist

[2/2]

"Was nun die erste Frage betrifft, so ist es gewiß, daß Logik in der weitesten Bedeutung des Wortes, die Wissenschaft von den Regeln des Denkens ist. Sie ist für das Denken, was die Grammatik für das Sprechen ist und so wie der gemeine Mann die Regeln der Sprachlehre in concreto befolgt, ohne sich derselben in abstracto bewußt zu sein, so ist es auch mit dem Denken."


Erstes Gespräch

Kriton: Ob die Bearbeitung der Erkenntnisse, die zum Vernunftgeschäft gehören, den sicheren Gang einer Wissenschaft gehen, oder nicht, das läßt sich bald aus dem Erfolg beurteilen, nachdem man auf dem einmal eingeschlagenen Weg ohne Hindernis immer vorwärts gehen, ohne auf demselben rückwärts zu gehen, oder gar einen anderen Weg zu nehmen genötigt hat; und die verschiedenen Mitarbeit in der Art, wie sie ihre gemeinschaftliche Absicht zu erreichen glauben, einhellig sind, oder nicht.
Philalethes: Dieses hat allerdings seine Richtigkeit!
Kriton: Daß die Logik diesen sicheren Gang, schon von den ältesten Zeiten her, gegangen ist, läßt sich daraus ersehen, daß sie, seit dem ARISTOTELES, keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen, und noch bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können, und also, allem Anschein nach, geschlossen und vollendet zu sein scheint.
Philalethes: Wenn Sie unter dem Rückwärtsgehen die, durch den gehinderten Fortgang in einer Wissenschaft veranlaßte Untersuchung über die Festigkeit der ihr zugrunde gelegten Prinzipien selbst; und unter dem Vorwärtsgehen den ungehinderten Fortgang in Erweiterung dieser Wissenschaft haben wollen: so kann ich Ihnen in Anbetracht der Logik, so wenig das eine als das andere zugeben. Daß man darin bisher nicht einen Schritt rückwärts hat gehen dürfen, ist noch kein Beweis, daß man es nicht hat tun sollen; und daß man noch bis jetzt darin keinen Schritt vorwärts hat tun können, ist noch kein Beweis, daß man es nie können wird, und also diese Wissenschaft geschlossen und vollendet ist. Ich hoffe Sie vielmehr vom Gegenteil zu überzeugen. Die Logik ist eine analytische Erkenntnis, d. h. eine solche, die nicht (wie die Mathematik z. B.) unsere Erkenntnis von Objekten erweitert, sondern bloß dieselbe auflöst, das ursprünglich Formale darin, vom Materiellen abstrahiert, als Grundsätze und Forderungen, in Beziehung auf das Denken eines Objekts überhaupt, aufstellt, und daraus, ohne Hilfe einer anderen Erkenntnis, ihre Lehrsätze herleitet. Nun aber setzt eine jede Analysis eine Synthesis voraus; und die Richtigkeit von jener hängt von der Richtigkeit von dieser ab. Kann ich nun zeigen, daß gewisse, durch die Analysis herausgebrachten Formen des Denkens auf keiner wahren, sondern einer bloß vermeintlichen Synthesis beruhen, so müssen diese Formen aus der Logik gänzlich wegfallen, nicht nur deswegen, weil sie leere Formen ohne allen Gebrauch sind, sondern auch, weil durch sie ein fehlerhafter Zirkel veranlaßt wird, indem ihnen eine falsche Synthesis zugrunde gelegt und nachher diese Synthesis selbst auf sie gegründet wird. Dieses hat mit dem Verfahren der Chemiker einige Ähnlichkeit, die, um die Bestandteile der Körper zu finden, dieselben auflösen, und nachher aus den vermeintlichen Bestandteilen jene Körper wieder zusammensetzen wollen; ohne erst die Natur der Auflösungsmittel, d. h. ob sie wirklich bloß Auflösungsmittel, ohne sonst etwas an dem aufzulösenden Körper zu ändern, oder von der Art sind, daß sie sich selbst oder gewisse Teile von ihnen mit jenen, bei der Auflösung verbinden. Im ersten Fall wird das dadurch Herausgebrachte ein wahres Edukt [Ausgangsstoff - wp], im zweiten aber ein Produkt sein. Man muß also in der Logik allerdings rückwärts gehen, und ihre Analysis durch die, ihr vorhergehende Synthesis berichtigen. Was aber das zweite betrifft, so kann man nicht sagen, daß, weil die Grundsätze und Postulate der Logik einmal festgesetzt sind, deswegen die Logik als Wissenschaft schon geschlossen und vollendet ist. Welche Kombinationen von Formen der Urteile und Schlüsse sind nicht alle möglich, deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit durch Auflösung und Zurückbringung auf die ursprünglichen, als Grundsätze und Forderungen aufgestellten Formen bewiesen werden kann. Eine Wissenschaft ist nur dann vollendet, wenn ihre Lehrsätze und Aufgaben aus ihren Prinzipien a priori vollzählig gemacht werden können. Dieses findet z. B. in der Trigonometrie statt, die die Axiome und Postulate, wie auch einige Lehrsätze der Geometrie, die sie als Lehrsätze, zum Beweis der ihr eigentümlichen Prinzipien, gebraucht, vorausschickt, und nachher alle möglichen ihren Gegenstand betreffenden Aufgaben dadurch auflöst, welches sonst bei keiner anderen Wissenschaft, und ebensowenig in der Logik stattfindet.
Kriton: Insofern aber eine jede andere Wissenschaft außer der Logik, nicht bloß formell, sondern auch materiell ist, d. h. einen bestimmten Gegenstand hat, und doch darin etwas durch reine Vernunft bestimmt werden soll, so muß darin etwas a priori erkannt werden, und ihre Erkenntnis kann auf zweierlei Arten auf ihren Gegenstand bezogen werden, entweder diesen und seinen Begriff (der anderweitig gegeben werden muß) bloß zu bestimmen; oder ihn auch wirklich zu machen. Die erste ist eine theoretische, die andere eine praktische Vernunfterkenntnis.
Philalethes: Wie die Vernunft als ein bloßes Erkenntnisvermögen, etwas wirklich machen kann, ist mir ganz unbegreiflich! Erkenntnisvermögen ist der Grund der Möglichkeit der Erkenntnis, und ist selbst kein wirkliches in der Anschauung gegebenes Objekt, sondern bloß der Begriff von dem als Objekt gedachten logischen Subjekt aller möglichen Erkenntnis. Ein (auf eine individuelle Art) gegebenes Subjekt aber ist nicht ein bloßes Erkenntnisvermögen, sondern eine Erkenntniskraft, die selbst wirklich und zugleich Grund der Wirklichkeit der Erkenntnis ist. Ein Erkenntnisvermögen kann nicht nur nichts außer der Erkenntnis, sondern nicht einmal die Erkenntnis selbst, wirklich machen!
Kriton: Die Mathematik ist von den frühesten Zeiten her, wohin die Geschichte der menschlichen Vernunft reicht, im bewunderungswürdigen Volk der Griechen, den sicheren Weg einer Wissenschaft gegangen. Mit der Naturwissenschaft ging es weit langsamer zu, bis sie den Heeresweg der Wissenschaft getroffen hat. Der Metaphysik, einer ganz isolierten, spekulativen Vernunfterkenntnis, die sich gänzlich über die Erfahrungsbelehrung erhebt, und zwar durch bloße Begriffe (nicht wie die Mathematik, durch eine Anwendung derselben auf Anschauung), ist das Schicksal bisher noch so günstig gewesen, daß sie den sicheren Gang einer Wissenschaft einzuschlagen vermocht hätte. Woran mag nun dieses liegen?
Philalethes: Diese Frage ist allerdings wichtig, und verdiente eine eigene Untersuchung.
Kriton: Man sollte denken, die Beispiele der Mathematik und Naturwissenschaft, die durch eine, auf einmal zustande gebrachte Revolution (nämlich in jener, durch eine Entdeckung der wahren Beschaffenheit einer Konstruktion a priori; und in dieser, durch die Entdeckung, daß Naturwissenschaft bloß nach den, von der Vernunft selbst zugrunde gelegten, Naturgesetzen, möglich ist), das geworden sind, was sie jetzt sind, wäre merkwürdig genug, um dem wesentlichen Stück der Umänderung der Denkart, die ihnen so vorteilhaft geworden ist, nachzusinnen, und sie, so viel ihre Analogie als Vernunfterkenntnis mit der Metaphysik gestattet, hierin, wenigstens zum Versuch nachzuahmen.
Philalethes: Dieses ist nicht mehr als billig!
Kriton: Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten. Aber alle Versuche über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen, unter dieser Voraussetzung, zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten. Es ist hiermit eben so, wie mit dem ersten Gedanken des KOPERNIKUS bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe läßt. In der Metaphysik kann man nun, was die Anschauung der Gegenstände betrifft, es auf ähnliche Weise versuchen. Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müßte, so sehe ich nicht ein, wie man a priori von ihr etwas wissen kann; richtet sich aber der Gegenstand (das Objekt der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese Möglichkeit wohl vorstellen; und ebenso verhält es sich mit den Begriffen, wodurch ich einen Gegenstand denke. Der Versuch gelingt nach Wunsch, und verspricht der Metaphysik, insofern sie sich bloß mit Begriffen a priori beschäftigt, davon die korrenspondierenden Gegenstände in der Erfahrung jenen angemessen gegeben werden können, den sicheren Gang einer Wissenschaft.
Philalethes: Der Gedanke ist vortrefflich! Aber die Art, wie Sie ihn aufstellen, ist nicht so eingerichtet, daß dadurch allem Mißverständnis vorgebeugt werden könnte. Was heißt es, wird man sagen, die Anschauung muß sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten, oder umgekehrt, anders, als die Gegenstände haben gewisse Beschaffenheiten an sich (auch wenn wir sie nicht anschauen), wodurch etwas in ihrer Anschauung bestimmt (hervorgebracht) wird oder umgekehrt. Aber von einer Kausalverbindung (da diese selbst eben diesem Zweifel unterworfen ist, ob sie im Subjekt oder in den Objekten begründet ist) kann hier gar nicht die Rede sein. Erlauben Sie mir also, daß ich Ihnen diesen Gedanken, nach der Art, wie ich ihn mir entwickelt habe, vorlegen darf. Zu diesem Zweck will ich mich eben des Beispiels, das Sie anführen, bedienen. Ich frage erstens: worin besteht der Unterschied zwischen dem ptolemäischen und dem kopernikanischen Weltsystem? Was heißt es in jenem, die Sonne bewege sich um die Erde und in diesem umgekehrt, die Erde bewege sich um ihre Achse oder um die Sonne? Da doch beide auf gleiche Art ihre Stellungen in Beziehung aufeinander verändern. Vermutlich, wird man sagen: der Unterschie dieser Systeme betrifft nicht die relative Bewegung dieser Körper (in Bezug aufeinander), sondern ihre absolute Bewegung. Nun aber kann absolute Bewegung dreierlei Bedeutung haben. Erstens kann es heißen, die Bewegung eines Körpers, d. h. die Veränderung seines Ortes im absoluten Raum. Eine Bewegung dieser Art aber ist bloß denkbar; aber nicht in einer Anschauung erkennbar. Man denke sich, ein einziger Körper A existiert im absoluten leeren Raum, so kann man sich allerdings denken, daß dieser Körper darin seinen Ort verändert. Aber woran kann man es dann erkennen? Da die Örter selbst, die der Körper zu verschiedenen Zeiten einnehmen soll, nicht erkennbar sind? Zweitens kann absolute Bewegung zwar nicht die Bewegung eines Körpers oder die Veränderung seines Ortes im absolut leeren, sondern in einem relativen, durch Objekte die ihn erfüllen, erkennbaren Raum heißen. Aber so, daß diese Bewegung, nicht bloß in Beziehung auf dieses oder jenes Objekt, sondern auf alle Objekte in diesem Raum stattfindet. So ist z. B. wenn ich sage: das Schiff bewegt sich absolut, die Gegenstände am Ufer aber bloß relativ, nicht die Bedeutung, daß das Schiff sich im absoluten Raum bewegt, die Gegenstände am Ufer aber darin ruhen, denn woher weiß ich es, indem so wenig Bewegung als auch Ruhe in einem absoluten Raum erkennbar ist; sondern die Bedeutung davon ist diese: Das Schiff bewegt sich nicht nur in Bezug auf diesen oder jenen, sondern in Bezug auf alle Gegenstände am Ufer. Die Gegenstände am Ufer aber bewegen sich bloß in Beziehung auf das Schiff; in Bezug aufeinander aber sind sie in Ruhe, indem sie ihre Stellungen gegeneinander durch diese Bewegung nicht verändern. Aber auch diese Bedeutung können wir in Anbetracht der Himmelsbewegungen nicht gebrauchen. Denn durch die tägliche Bewegung (von der jährlichen abstrahiert) verändert die Erde in der Tat ihre Stellung nicht bloß in Bezug auf die Sonne, sondern auf das ganze Himmelsheer; die Sonne hingegen verändert bloß ihre Stellung in Bezug auf die Erde, nicht aber in Bezug auf die übrigen himmlischen Körper. Dies ist eine Tatsache, die selbst im ptolemäischen System zugegeben werden muß, und vom Absoluten in dieser auf das Absolute in der ersten Bedeutung zu schließen, dazu haben Sie kein Recht. [...]
Kriton: Aber was hat das alles mit unserer Untersuchung über den Ursprung unserer reinen Erkenntnis a priori gemein?
Philalethes: Der Gebrauch der reinen Erkenntnis a priori ist so, wie die Bewegung der Himmelskörper, als Erscheinung, ein Faktum des Bewußtseins. Sie sind Verhältnisse zwischen dem Subjekt und den Objekten der Erkenntnis, oder bestimmte Vorstellungsarten, wie sich diese aufeinander wechselseitig beziehen. Nimmt man nun an, der Grund dieser Erscheinung liegt in den Objekten, so kommt sie ihnen absolut, dem Erkenntnisvermögen aber bloß relativ zu. Um aber dieses nicht bloß zu denken, sondern auch zu erkennen, so muß diese Erscheinung nach der zweiten Bedeutung des Absoluten, nicht eine Beziehung auf dieses oder jenes Objekt, sondern auf Objekte überhaupt haben. Jene reinen Erkenntnisse a priori müssen also aus dem Begriff des Objekts (möglicher Erfahrung) überhaupt hergeleitet werden, wenn sie dem Erkenntnisvermögen absolut beigelegt werden sollen.

Hier findet eben ein gedachter Unterschied statt. Die dogmatischen Metaphysiker betrachten die von den Objekten gebrauchten reinen Erkenntnisse a priori, als wären sie Bestimmungen dieser Objekte ansich (von unserer Art sie anzuschauen und zu denken abstrahiert). Aber aus der bloßen Beziehung, die zwischen dem Subjekt und den Objekten stattfindet, haben sie noch kein Recht, den Grund dieser Beziehung jenem oder diesem beizulegen. Sie hingegen legen erstens hypothetisch den Grund dieser Beziehung dem Subjekt bei (weil, wie Sie sagen, der Versuch mit der anderen Hypothese mißlungen ist). Nun versuchen Sie ferner, ob nicht jene Erscheinung von der Beziehung reiner Erkenntnis a priori auf empirische Gegenstände sich aus dem Begriff eines Objekts der Erfahrung überhaupt herleiten und begreiflich machen läßt, so daß sie sich a priori auf alle Objekte der Erfahrung beziehen. Denn findet sich dieses, so haben Sie ein Kriterium, woran Sie erkennen können, daß jene Erkenntnisse a priori dem Subjekt zugehören, und von den Objekten nur insofern gültig sind, als sie Objekte für dasselbe sind; und dieser Versuch gelingt Ihnen nach Wunsch!
Kriton: Ihre Entwicklungsart gefällt mir, obgleich, wie ich dafür halte, die Analogie darin etwas zu weit getrieben ist.
Philalethes: Bei dunklen, tief in der Natur unserer Erkenntnis verborgenen Materien können die Analogien gar nicht weit genug getrieben werden.
Kriton: Das, was uns über die Grenze der Erfahrung und aller Erscheinungen hinaus zu gehen treibt, ist das Unbedingte, welches die Vernunft in den Dingen-ansich notwendig und mit allem Recht zu allem Bedingten, und dadurch die Reihe der Bedingungen als vollendet verlangt. Findet sich nun, wenn man annimmt, unsere Erfahrungserkenntnis richtet sich nach den Gegenständen, als Dingen-ansich, daß das Unbedingte nicht ohne Widerspruch gedacht werden kann; dagegen, wenn man annimmt, unsere Vorstellung der Dinge, wie sie uns gegeben werden, richtet sich nicht nach diesen, als Dinge-ansich, sondern diese Gegenstände vielmehr, als Erscheinungen, richten sich nach unserer Vorstellungsart, fällt der Widerspruch weg; und daß folglich das Unbedingte nicht an Dingen, sofern wir sie kennen (sie uns gegeben werden), wohl aber an ihnen, sofern wir sie nicht kennen, als Sachen ansich, angetroffen werden muß: so zeigt sich, daß, was wir anfangs nur zum Versuch annehmen, gegründet ist.
Philalethes: Wenn alles, was von uns erkennbar ist, durch etwas, welches von uns nicht erkennbar ist, bedingt sein muß, so ist schon freilich darin auch enthalten, daß die Vernunft zu allem Bedingten das Unbedingte verlangen muß. Aber ist das Antezdens [das Vorausgehende - wp] bewiesen? für mich zumindest nicht. Sie nennen freilich das Erkennbare Erscheinung (welche etwas, das erscheint, voraussetzt), aber mit welchem Recht, sehe ich nicht ein. Ich bleibe bei der vorigen Analogie. Absolute Bewegung in der ersten Bedeutung (Bewegung im absoluten leeren Raum) ist von uns nicht nur nicht erkennbar, sondern ich sehe nicht einmal die Notwendigkeit ein, zu einer jeden von uns erkennbaren relativen Bewegung (wechselseitige Veränderung der Örter verschiedener Körper in Bezug aufeinander) eine absolute hinzuzudenken. Die durch Kräfte und Gesetze bestimmte absolute Bewegung (im erfüllten Raum) aber ist nicht nur denkbar, sondern auch von uns erkennbar. Der Begriff von Dingen ansich hat hier so wenig Gebrauch als der Begriff von einer absoluten Bewegung in der Naturwissenschaft.
Kriton: Aber dieser Begriff des Unbedingten ist doch deswegen nicht ganz leer (ohne allen Gebrauch), wenn, wie es sich in der Folge zeigen wird, ist er, wenn auch nicht von theoretischem (objektbestimmendem), dennoch von praktischem (willensbestimmenden) Gebrauch. Wir können ihn also nicht gänzlich verwerfen.
Philalethes: Wie weit es damit seine Richtigkeit hat, wollen wir nachher sehen.
Kriton: In jenem Versuch das bisherige Verfahren der Metaphysik umzuändern, und dadurch, daß wir nach dem Beispiel der Geometer und Naturforscher, eine gänzliche Revolution mit derselben vornehmen, besteht nun das Geschäft unserer Kritik der reinen spekulativen Vernunft. Philalethes: Ich erkenne die Unentbehrlichkeit einer solchen Kritik. Aber warum eben der reinen Vernunft und nicht vielmehr des reinen Erkenntnisvermögens überhaupt? Vermutlich weil, nach Ihrer Untersuchung, Erklärung und Einteilung der verschiedenen Erkenntnisvermögen, bloß die Vernunft, als ein besonderes Erkenntnisvermögen kritisiert, d. h. ihre Beziehungen auf Gegenstände in Anspruch genommen, und ihr Gebrauch auf Gegenstände, inwiefern sie von uns nicht erkennbar sind, eingeschränkt wird; die übrigen Erkenntnisvermögen aber (Sinne, Einbildungskraft, Verstand) nicht durch diese Untersuchung kritisiert, sondern auf sichere Prinzipien gegründet, und in ihre Rechte eingesetzt werden. Aus meiner Untersuchung hierüber aber ergibt es sich, daß nicht nur die Vernunft, sondern auch die übrigen Erkenntnisvermögen, in Anbetracht ihrer Beziehung auf Objekte, einer Kritik bedürfen. Ich will Ihnen daher in dieser Untersuchung Schritt für Schritt folgen, woraus sich die Verschiedenheit meiner Idee zu einer Kritik, von der Ihrigen leicht ergeben wird.
Kriton: Wo sollen wir aber mit dieser Untersuchung anfangen, da Sie selbst die Logik als die Wissenschaft von der Form der Erkenntnis ansich in Anspruch nehmen?
Philalethes: Wir müssen also mit der Logik den Anfang machen, dieses wird den ersten Teil unserer Kritik ausmachen. Von da wolen wir zu einer Kritik unserer realen Erkenntnis übergehen; diese wird wiederum aus zwei Teilen bestehen, aus der Kritik unserer realen sinnlichen, und aus der realen Verstandeserkenntnis und letztlich wollen wir zur Kritik der reinen Vernunft schreiten.
Kriton: Ich bin damit zufrieden.
Philalethes: Also unsere erste Untersuchung muß die Methode betreffen, wie die Logik bisher behandelt worden ist, und wie sie, ihrem Begriff nach, behandelt werden sollte; nachher wollen wir ins Detail gehen, und alles, was in der Logik, als Wissenschaft, vorkommt, dieser Methode gemäß behandeln.
Kriton: Ehe wir zu den Untersuchungen über die Logik, wie sie behandelt werden soll, und wie sie bisher behandelt worden ist, fortschreiten, müssen wir uns folgende Fragen, deren Beantwortung in eine Einleitung zu einer Wissenschaft überhaupt gehört, auch in Anbetracht der Logik zu beantworten suchen. 1) Was versteht man unter dieser Wissenschaft; oder mit anderen Worten, mit welchen Gegenständen beschäftigt sie sich?
Philalethes: Ich glaube, daß die Erklärung einer Wissenschaft, und die Erklärung einer Wissenschaft durch ihren Gegenstand nicht eben dasselbe mit anderen Worten ist, weil eine Wissenschaft nicht bloß durch ihren Gegenstand, sondern auch durch die Quelle, woraus sie Erkenntnis schöpft, und ihre Behandlungsart erklärt werden kann. So wird z. B. die Philosophie als Vernunftwissenschaft aus Begriffen erklärt, wo durch Vernunftwissenschaft (im Gegensatz von Erfahrungswissenschaften) die Quelle, woraus die Philosophie ihre Erkenntnis schöpft, und durch den Zusatz: aus Begriffen (im Gegensatz zur Mathematik, die aus der Konstruktion der Begriffe ihre Erkenntnisse bestimmt) die Behandlungsart angegeben wird. Aber fahren Sie fort.
Kriton: 2) Was für eine Stelle nimmt sie unter den übrigen Wissenschaften ein? 3) Aus was für Quellen schöpft sie ihre Sätze? 4) Was für eines Grades von Gewißheit ist sie fähig? 5) Welches sind die Hauptteile dieser Wissenschaft?
Philalethes: Ob diese Fragen vollzählig sind, und ob es nicht mehrere geben kann, und ob sie nicht auf eine geringere Anzahl gebracht werden können, indem einige derselben schon in den anderen enthalten sind, wollen wir jetzt dahin gestellt sein lassen. Nun zur Beantwortung!
Kriton: Was nun die erste Frage betrifft, so ist es gewiß, daß Logik in der weitesten Bedeutung des Wortes, die Wissenschaft von den Regeln des Denkens ist. Sie ist für das Denken, was die Grammatik für das Sprechen ist und so wie der gemeine Mann die Regeln der Sprachlehre in concreto befolgt, ohne sich derselben in abstracto bewußt zu sein, so ist es auch mit dem Denken.
Philalethes: Das alles hat seine Richtigkeit!
Kriton: Wie nun eine Sprachlehre eine allgemeine und besondere sein kann; so kann auch die Logik eine allgemeine und eine besondere sein.
Philalethes: Dieser Vergleich, mit Ihrer Erlaubnis, hinkt. Die Regeln einer besonderen Logik haben in der Natur des zu behandelnden Gegenstandes ihren Grund. Die Regeln einer besonderen Sprachlehre haben bloß einen subjektiven (in den besonderen physischen, politischen und moralischen Verhältnissen desjenigen Volkes, welches sie einführt, liegenen) Grund. Sie können also miteinander nicht verglichen werden.
Kriton: Die allgemeine Logik abstrahiert von allem Inhalt des Denkens, und beschäftigt sich mit der bloßen Form. Denn gesetzt, sie nähme auf die Gegenstände des Denkens Rücksicht, so könnte sie, da diese veränderlich sind, und auch oft durch Erfahrung gegeben werden, von ihren Regeln nicht strenge Allgemeinheit und Notwendigkeit aussagen.
Philalethes: Die Sache ansich hat ihre Richtigkeit; aber der Grund, den Sie davon angeben, kommt mir sonderbar vor. Die Gegenstände der Erfahrung mögen noch so sehr veränderlich sein, so werden sie doch in der Logik (wie in einer jeden Wissenschaft a priori) nicht insofern sie veränderlich sind, ihrer Wirklichkeit nach, sondern ihrem Wesen nach (welches unveränderlich ist) betrachtet. Die Logik könnte also, so wie die reine Mathematik, immerhin auf die Gegenstände des Denkens Rücksicht nehmen, ohne deswegen von ihrer strengen Allgemeinheit und Notwendigkeit etwas nachzugeben. Denn ich hoffe, Sie werden unter dieser strengen Allgemeinheit, nicht die Erstreckung auf alle Gegenstände (welches nicht immer mit Notwendigkeit verknüpft sein muß) verstanden haben wollen, sondern bloß die Allgemeinheit, die eine Folge der Notwendigkeit ist, und die keine Erstreckung auf alle Gegenstände überhaupt, sondern auf alle Gegenstände, worauf sie sich bezieht, ohne Ausnahme bedeutet, wie z. B. die Allgemeinheit der mathematischen Sätze. Also deswegen, weil die Logik von ihren Regeln strenge Allgemeinheit und Notwendigkeit aussagt, würde noch nicht folgen, daß sie von allem Inhalt des Denkens abstrahiert, und sich mit der bloßen Form beschäftigt. Der wahre Grund aber, warum die Logik von der Materie des Denkens abstrahiert, ist - weil sie davon abstrahiert. Denn es ist doch wahrhaftig erlaubt, und der wissenschaftlichen Methode gemäß, ein Subjekt von gewissen Bestimmungen zu abstrahieren, um zu sehen, welche Prädikate ihm nach dieser Abstraktion zukommen werden. Was unmittelbar aus dem Begriff einer Sache folgt, braucht nicht erst indirekt bewiesen zu werden.
Kriton: Die zweite Frage: was für eine Stelle die allgemeine Logik unter anderen Wissenschaften einnimmt? ist leicht zu beantworten. Da die Logik von ihren Regeln absolute Allgemeinheit und Notwendigkeit aussagt, so können sie nicht aus der Erfahrung geschöpft sein, und müssen also in der Vernunft selbst, a priori ihren Grund haben. Die Logik gehört also nicht zu den empirischen, sondern zu den Vernunftwissenschaften.
Kriton: Ich glaube, nichts ist leichter als diese Frage.
Philalethes: Aus der Beantwortung sehe ich, daß ich mich im Sinn dieser Frage geirrt habe. Sie wollten bloß die Klasse von Wissenschaften angeben, zu welcher die Logik gehört, welches sich aus der Beantwortung der Frage über die Erkenntnisquelle leicht ergibt; ich hingegen verstehe unter der Frage: welche Stelle die Logik unter anderen Wissenschaften einnimmt? ganz was anderes. Nach mir stand die Stelle einer Wissenschaft unter anderen nicht durch eine bloße Klassifikation, noch Ähnlichkeit, sondern durch ihre Abhängigkeit von anderen Wissenschaften oder die Abhängigkeit dieser von derselben, bestimmt. Denn soll eine Wissenschaft aus Gründen vorgetragen werden, und diese nicht in ihr selbst, sondern in anderen Wissenschaften anzutreffen sein, so müssen diese jener vorhergehen; im umgekehrten Fall aber muß sie denselben vorhergehen. So hat z. B. die theoretische Astronomie ihre Stelle nach der sphärischen Trigonometrie und vor der astronomischen Geographie und dgl. Diese Frage in diesem Sinn genommen, wird nicht so leicht zu beantworten sein, als die von Ihnen aufgeworfene.
Kriton: Ich glaube, nichts ist leichter als diese Frage, in dem Sinn, den Sie ihr beilegen, zu beantworten. Da nämlich die Regeln der Logik sich auf das Denken eines Objekts überhaupt beziehen, so gelten sie, als conditio sine qua non [Grundvoraussetzung - wp] für die Objekte aller Wissenschaften. Die Logik muß also unter anderen Wissenschaften die oberste Stelle einnehmen.
Philalethes: Hätten wir bloß eine allgemeine Logik, so wäre diese Frage freilich auf diese Art leicht zu beantworten. Da wir aber sowohl eine allgemeine als auch eine transzendentale Logik haben, wovon jene die Gesetze des Denkens eines Objekts überhaupt; diese aber die Gesetze des Erkennens (in der Anschauung) zum Gegenstand hat, so entsteht allerdings die wichtige Frage: welche Stelle die allgemeine Logik, zwar nicht im Hinblick auf andere Wissenschaften, wohl aber im Hinblick auf die transzendentale, einnehmen kann?
Kriton: Auch hier sehe ich keine Schwierigkeit. Die allgemeine Logik hat zumindest eine negative Stimme (enthält eine condition sine qua non) in der transzendentalen; diese ist also von jener abhängig; aber nicht umgekehrt. Jene muß also dieser vorhergehen.
Philalethes: Wie aber, wenn ich Ihnen zeigen werde, daß beide voneinander abhängig sind, wie soll man sie dann untereinander rangieren?
Kriton: Ich begreife nicht, wie die allgemeine Logik von der transzendentalen abhängig sein kann!
Philalethes: Laßt uns einmal die allgemeinen Logik (von der transzendentalen) isolieren und als eine für sich bestehende Wissenschaft betrachten. Erstens stellt sie die Sätze des Widerspruchs und der Identität als Grundsätze auf, dann trägt sie die Formen des Denkens als Postulate (ein jeder gibt zu, daß Objekte in diesen Formen gedacht werden können) vor. Aber diese Grundsätze und Postulate sind von den mathematischen Axiomen und Postulaten sehr verschieden. Diese erhalten sowohl ihre Bedeutung als auch ihre objektive Realität durch Konstruktion a priori; jene aber nicht. Können nun die logischen Grundsätze und Postulate nur durch transzendentale Bedingungen, Bedeutung und objektive Realität erhalten, so wird offenbar in dieser Rücksicht, die allgemeine von der transzendentalen abhängen.
Kriton: Ich begreife das noch nicht recht.
Philalethes: Werden Sie nicht eingestehen, daß, wenn die allgemeine Logik als eine für sich bestehende von der transzendentalen Logik unabhängige Wissenschaft betrachtet werden soll, die die Form des Denkens eines unbestimmten Objekts überhaupt zum Gegenstand hat, sie wenigstens diese Form selbst bestimmen muß.
Kriton: Allerdings.
Philalethes: Der Satz des Widerspruchs, den die allgemeine Logik zugrunde legt, ist: von einem Subjekt A kann nicht ein Prädikat B zugleich bejaht und verneint werden.
Kriton: Richtig! Wenn Sie unter diesem zugleich keine Zeitbestimmung, wovon die Logik abstrahiert, sondern bloß eine Verbindung in einer Einheit des Bewußtseins verstehen.
Philalethes: Soll nun die Form der Bejahung wie die der Verneinung in der allgemeinen Logik, unabhängig von der transzendentalen, eine Bedeutung haben, muß nicht unter Verneinung die Vorstellung eines Widerspruchs, und unter Bejahung der Mangel eines Widerspruchs verstanden werden?
Kriton: Allerdings!
Philalethes: Denn sonst hat das Setzen und Aufheben in der Logik, wie es ein nihil negativum [was unmöglich existieren kann - wp], aber kein nihil privativum [Nichtexistentes, dessen Existenz aber möglich ist - wp] gibt, gar keine Bedeutung. Die Form eines verneinenden Satzes wird also nicht A ist nicht non A, sondern A ist nicht B und die eines bejahenden nicht A ist A, sondern A ist nicht B, sein; denn das Aufheben setzt ein vorhergegangenes Setzen, d. h. ein in einer Einheit des Bewußtseins gedachtes (sich nicht widersprechendes) Mannigfaltiges voraus. A ist nicht non A ist nicht die Formel für den Satz des Widerspruchs (indem durch die bloße Vorstellung A nichts logisch gesetzt wird, und also auch durch die bloße Vorstellung non A nichts logisch verneint wird), sondern bloß der diesem Setzen zugrunde liegenden Entgegensetzung.
Kriton: Richtig!
Philalethes: Ein Widerspruch kann also, demzufolge nur zwischen Sätzen, nicht aber zwischen Begriffen (die bloß einander entgegengesetzt sein können) stattfinden. Non A ist dem A entgegengesetzt. Daher widerspricht der Satz X ist non A dem Satz X ist A.
Kriton: Sie scheinen Recht zu haben, obgleich, so weit mir bekannt ist, noch niemand dieses bemerkt hat.
Philalethes: Also in dem Satz A ist B wird B als von A verschieden, aber doch nicht demselben entgegen gesetzt gedacht; denn ist B mit A identisch, so ist hier kein Setzen eines Mannigfaltigen überhaupt; ist aber B gleich non A, so ist hier kein Setzen nach dem Satz des Widerspruchs. Aber alsdann kann auch non B dem A nicht entgegengesetzt sein, weil sonst B mit A einerlei sein würde. Man würde also logisch sagen können: A ist B und non B, oder welches (in der allgemeinen Logik, die von allem Inhalt abstrahiert) und worin also ein unendliches mit einem verneinenden Urteil gleichgeltend ist, einerlei ist, A ist und ist nich B. Dieses ist aber ein offenbarer Widerspruch. Die allgemeine Logik also, die allen unseren Erkenntnissen den Satz des Widerspruchs als Grundgesetz vorschreibt, wird sich selbst davon dispensieren [ausnehmen - wp]. Ein Verfahren, welches sich nur unsere irdischen Gesetzgeber erlauben dürfen. -
Kriton: Wie soll aber nun diesem Mangel durch die transzendentale Logik abgeholfen werden, da doch die allgemeine Logik von den transzendentalen Bedingungen abstrahieren muß?
Philalethes: Sobald die Bedeutung und objektive Realität gewisser Begriffe bestimmt und dargetan worden ist, kann eine Wissenschaft, die sich auf diese Begriffe ansich bezieht, allerdings von dem, wodurch diese Begriffe bestimmt und ihre objektive Realität dargetan wird, abstrahieren. Eine jede Konstruktion in der Mathematik ist individuell, und doch ist der konstruierte Begriff nebst seinen Folgen allgemein gültig. Die Konstruktion diente nur dazu, dem Begriff Bedeutung und objektive Realität zu verschaffen. Ist nun dies einmal durch die Einbildungskraft auf eine individuelle Art bewerkstelligt worden, so abstrahiert der Verstand vom Individuellen darin, d. h. er erkennt in der individuellen Konstruktion den Begriff in seiner Allgemeinheit; und dieses kann mit Recht a priori konstruieren genannt werden, indem die Allgemeinheit nicht in der Konstruktion gegeben, sondern vom Verstand a priori gedacht wird.
Kriton: Aber nun die Anwendung auf den gegenwärtigen Fall.
Philalethes: Diese ist sehr leicht. Nachdem die transzendentale Logik die Bedeutung der Begriffe der absoluten, in der Anschauung darstellbaren, Realität und Negation festgesetzt hatte, kann die allgemeine Logik von aller Anschauung abstrahieren, und von diesen Begriffen einen allgemeinen Gebrauch machen. A ist B heißt nicht mehr, B widerspricht dem A nicht, sondern A und B in einer Einheit des Bewußtseins gedacht, bestimmen ein reales Objekt; und A ist nicht B heißt, A und B in einer Einheit des Bewußtseins gedacht, heben einander in eben derselben Konstruktion auf. Man kann also nicht mehr sagen: A ist und ist nicht B; dies würde ein Widerspruch sein, der durch ein absolutes Setzen und Aufheben eben desselben Objekts entspringt, d. h. ebenfalls kein Objekt bestimmen, sondern A als Objekt voraussetzen. Von den übrigen Formen der allgemeinen Logik und ihrer Abhängigkeit in Anbetracht ihrer von der transzendentalen Logik werde ich nachher Gelegenheit haben zu sprechen.
Kriton: Wie es scheint, wollen Sie also der transzendentalen Logik den Vorrang vor der allgemeinen einräumen.
Philalethes: Wenigstens verdient dieser Rangstreit untersucht und die Ansprüche beider Parteien ins Licht gesetzt zu werden. Die Frage hat mit der Frage über den Vortrag in der Algebra einige Ähnlichkeit; nämlich soll (wie es von den meisten Mathematikern geschieht) die Buchstabenrechnung der eigentlichen Algebra (Auflösung der Aufgaben) vorhergehen? oder umgekehrt, (wie DUIRANT in seiner Algebra tut) sollen die Regeln der Buchstabenrechnung erst aus ihrem Gebrauch in möglichen (konstruierbaren) Fällen, nach und nach entwickelt dargestellt werden? Die Buchstabenrechnung hat Größe überhaupt (sie mag konstruierbar sein oder nicht) und alle darin denkbaren Verhältnisse (Verbindungsarten) zum Gegenstand. Sie sollte also, aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, der Auflösung der sich auf, durch gegebene Verhältnisse zu bekannten, a priori bestimmte unbekannte Größen beziehenden Aufgaben vorhergehen. Von der anderen Seite aber ist wiederum jene durch diese in ihrem Gebrauch eingeschränkt. Was hilft es uns zum Beispiel, wenn wir √-a in Anbetracht der Konstruktion, eine unmögliche Größe ist? Die größere Ausdehnung also, die die Buchstabenrechnung als die eigentliche Algebra zu haben scheint, beruth auf einer Täuschung, weil, was nicht durch diese als Objekt bestimmbar ist, in jener eine bloß negative Bedeutung haben kann. Durch die Formel X = √-a wird X nicht als eine bestimmbare Größe, sondern umgekehrt, als keine bestimmbare Größe, gedacht. Wozu sollen also unnütze Formen, die keinen reellen Gebrauch haben? Man wird also am Besten tun, wenn man, anstatt die Buchstabenrechnung, wie weit sie sich ansich erstreckt, in ihrem ganzen Umfang vorzutragen, und nachher das Unbrauchbare darin, als eine lästige Acquisition fahren zu lassen, lieber gleich Anfangs, was davon zur Auflösung der auf reelle Objekte brauchbarer Aufgaben, nach und nach bestimmt, und das Übrige gänzlich wegläßt; oder wenn man sie zum Zweck der Allgemeinmachung der formalen Wissenschaft behalten will, wenigstens ihre wahre Bedeutung und Bestimmung zum negativen Gebrauch angibt, wodurch man die formale Wissenschaft von allen Bedingungen des reellen Gebrauchs abstrahiert erhält, und zugleich durch Rücksicht auf diesen Gebrauch, allem Mißbrauch vorbeugt. Die Buchstabenrechnung, da sie sich auf den Begriff von Größe überhaupt bezieht, und von den Bedingungen reeller (durch das Gegebene konstruierbarer) Größen abstrahiert, konnte also in einem Lehrvortrag in ihrer völligen Allgemeinheit, der eigentlichen Algebra vorhergehen; sollten auch darin willkürliche, bloß zum Zweck der Allgemeinmachung vorgenommene Kombinationen vorkommen, so sind diese doch nicht ganz leer; sie haben doch, wie schon bemerkt wurde, einen negativen Gebrauch; vor dem Mißbrauch eines positiven Gebrauchs aber werden nur die Bedingungen einer möglichen Konstruktion hinlänglich sichern. Ganz anders aber verhält es sich mit der Logik. Es kommen darin nicht nur Formen vor, die erst aus der transzendentalen Logik ihre Bedeutung erhalten, sondern auch solche, die gar keine Bedeutung haben, indem die transzendentale Logik ihren Begriff für problematisch erklärt, indem sie zeigt, daß sie so wenig einen positiven als einen negativen Gebrauch haben, und Formen ohne allen Gebrauch sind ganz leer. Hier soll also mit Recht die transzendentale Logik, die die Bedingungen des möglichen Gebrauchs dieser Formen von Objekten bestimmt, der allgemeinen Logik, die diese Formen ansich aufstellt, vorhergehen. In der allgemeinen Logik kommt zum Beispiel die Form eines hypothetischen Satzes vor. Diese ist zwar ansich möglich. Untersuchen wir aber, wie wir zum Bewußtsein dieser Form gelangen, so findet es sich, daß wir dazu bloß durch den vermeintlichen Gebrauch des Satzes der Kausalität, mittels einer Abstraktion, haben gelangen können, und daß dieser vermeintliche Gebrauch selbst auf einer Täuschung beruth, die die transzendentale Logik aufdecken, und die sich darauf stützende Form, als eine leere Form, ohne allen Gebrauch von der allgemeinen Logik auf ewig verbannen soll.
Kriton: Erlauben Sie, daß ich Ihnen eine ähnliche Frage vorlegen darf. Geht die Arithmetik der Geometrie oder diese jener vorher?
Philalethes: Es ist mir lieb, daß Sie eine Frage rege gemacht haben, deren Beantwortung viel zur Aufklärung der von mir vorgelegten Frage beitragen kann. Nicht die Geometrie als Wissenschaft, sondern der Begriff vom Gegenstand der Geometrie geht der Arithmetik vorher. Diese aber als Wissenschaft geht allerdings jener vorher.
Kriton: Erklären Sie sich darüber deutlicher.
Philalethes: Die Arithmetik ist die Wissenschaft der Zahlen. Eine Zahl ist eine bestimmte Vielheit. Sie setzt die Einheit und eine bestimmte Synthesis dieser Einheit voraus; oder, eine Zahl ist ein Quantum, das bloß durch eine bestimmte Quantität bestimmt wird. Ein Viereck z. B. und ein Zirkel sind Quanta, die nicht durch die Quantität (indem ein jedes derselben, von welcher Qualität man will, also auch beide von gleicher Quantität, angenommen werden kann), sondern durch ihre Qualität, als verschiedene Quanta, bestimmt werden. Die Zahl 3 und die Zahl 5 hingegen sind gleichfalls Quanta, die aber durch nichts anderes als durch ihre Quantität, als verschiedene Quanta, bestimmt werden. Hieraus ergibt es sich, daß der, der Arithmetik und Geometrie gemeinschaftliche (generische) Begriff von Größe (Quantum) in jener ansich gar keine Bedeutung haben kann. Eine Größe ist das, was sich vermehren und vermindern läßt, d. h. welches, ohne sein Wesen zu verändern, verschiedene Quantitäten annehmen kann; z. B. ein Dreieck kann größer und kleiner gedacht werden, ohne deswegen aufzuhören, ein Dreieck zu sein. Dieses findet aber bei einer gegeben Zahl nicht statt, z. B. die Zahl 3 kann nicht größer oder kleiner werden, ohne aufzuhören zu sein, was sie, ihrem Wesen nach, sein soll. Nicht die Zahl, sondern das, was den Begriff einer Zahl überhaupt subsumiert wird, kann größer und kleiner, d. h. einer größeren oder kleineren Zahl subsumiert werden. Der Begriff von Größe hat also in der reinen Arithmetik, von ihrem Gebrauch abstrahiert, gar keine Bedeutung. Nicht eine Zahl, sondern das, was gezählt werden kann, ist eine Größe, die durch eine bestimmte Zahl bestimmt wird. Ebenso ist die einer Zahl zugrunde liegende Einheit, keine nach Willkür angenommene, sondern die absolute Einheit, die als solche bloß gedacht, aber nicht konstruiert werden kann. Die Lehre der Brüche, welche nicht die absolute, sondern eine nach Willkür angenommene Einheit zugrunde legt, kann also in der reinen Arithmetik gar nicht stattfinden. Man sieht also, daß die in der Arithmetik zugrunde liegenden Begriffe von Einheit und Zahl, den Begriff einer stetigen Größe (welche der Gegenstand der Geometrie ist) vorauszusetzen, ohne welchen sie gar keine Bedeutung haben.

Die Geometrie ist die Wissenschaft der stetigen Größen, d. h. solcher Quantorum, die erstens ansich (durch Bestimmung ihrer Qualität, die eine jede Quantität annehmen kann) und dann auch durch diese Wissenschaft in ihrem Verhältnis zueinander bestimmt werden können (wovon die Lagen und andere Affektionen bloße Folgen sind). Sie setzt also die Arithmetik, als die Wissenschaft von der Art, wie Quanta, durch Verhältnisse zueinander, in ihrer Quantität bestimmt werden können, voraus.
Kriton: Nun die Anwendung davon auf den vor uns liegenden Gegenstand.
Philalethes: Ich habe gezeigt, daß die allgemeine Logik, zur Bestimmung der ihr zugrunde liegenden Begriffe, die transzendentale voraussetzt. Aber nicht diese ganze Wissenschaft, sondern bloß den ihr zugrunde liegenden Begriff des realen Denkens; da hingegen diese, jene in ihrem ganzen Umfang als Wissenschaft voraussetzt. Es kann keinen Satz in der transzendentalen Logik geben, der irgendeinem Satz in der allgemeinen Logik widerspricht; hingegen können in dieser (wenn man ihr den Begriff des Denkens überhaupt und nicht des realen Denkens zugrunde legt) Sätze vorkommen, die den in jener aufgestellten Bedingungen der Erkenntnis widersprechen, wie dieses in der Folge gezeigt werden soll.
Kriton: Dieses alles ist mir noch nicht recht verständlich, und ich hoffe, daß Sie in der Folge Gelegenheit nehmen werden, dieses näher zu entwickeln und verständlicher zu machen. Ich fahre also fort. Die allgemeine Logik hat also die Regeln des Denkens zum Gegenstand. Das Denken ist aber entweder ein bloß mögliches, oder ein wirkliches, oder ein notwendiges Denken.
Philalethes: Das wirkliche Denken ist kein Gegenstand der Logik. Es geschieht nicht nach bloß logischen, sondern nach physischen Gesetzen, daß ich dasjenige, was ich bloß denken kann, wirklich denke. Die Logik hat mir das mögliche und notwendige Denken zum Gegenstand.

Nicht das wirkliche Denken, sondern das Denken des Wirklichseins, und selbst dieses, ist kein Gegenstand der allgemeinen, sondern der transzendentalen Logik. Ein gleichseitiges Dreieck, bloß nach dem Satz des Widerspruchs gedacht (daß seine Merkmale einander nicht widersprechen), ist bloß möglich. Als eine Figur gedacht, ist es notwendig. Als durch eine Konstruktion gegeben, aber ist es wirklich.
Kriton: Der oberste Grundsatz der Logik für das mögliche und notwendige Denken, ist der Satz des Widerspruchs oder der daraus unmittelbar folgende Satz der Identität. Der Grund, warum die Logiker lieber den Satz des Widerspruchs als den der Identität gebrauchen, ist, weil der Satz des Widerspruchs den Charakter der Notwendigkeit deutlicher an sich trägt.
Philalethes: Dieser Grund scheint mir sonderbar! Was verstehen Sie unter dieser Notwendigkeit? Verstehen Sie darunter die, allen unseren Erkenntnissen gemeinschaftliche, der bloß subjektiven entgegengesetze objektive Notwendigkeit, die nicht ausgedrückt, aber doch in allen unseren Erkenntnissen vorausgesetzt wird, so trägt der Satz des Widerspruchs diese Notwendigkeit nicht deutlicher an sich, als der Satz der Identität; das mögliche ist so notwendig möglich, als das Notwendige notwendig und das Unmögliche unmöglich ist. Verstehen Sie aber darunter die besondere Form der Notwendigkeit (nicht das Verhältnis der Erkenntnis zum Subjekt der Erkenntnis, sondern zum Subjekt in der Erkenntnis), so ist es gerade umgekehrt; der Satz der Identität, deren Gegenteil Widerspruch, also Unmöglichkeit ist, trägt den Charakter der Notwendigkeit deutlicher an sich, als der Satz des Widerspruchs, der den Charakter der Unmöglichkeit an sich trägt. A ist notwendig A, weil dessen Gegenteil, A ist nicht A unmöglich ist. Der wahre Grund, warum man der Logik vielmehr den Satz des Widerspruchs, der bloß ein negatives Prinzip ist, zugrunde legt, ist, weil der Satz der Identität bloß durch den Satz des Widerspruchs seine Bedeutung erhält, indem Identität bloß ein Mangel an Entgegensetzung ist. A ist A an sich hat keine andere Bedeutung als A ist mit sich selbst einerlei. Es fehlt also hier das als innere Bedingung des Denkens gedachte Mannigfaltige (indem die Einerleiheit ein Reflexionsbegriff ist, der nicht Objekte in Anbetracht ihres Verhältnisses zur Einheit des Bewußtseins überhaupt bestimmt). Es wird also dadurch allein gar nichts gedacht. A ist nicht non A, hingegen ist ein reelles Denken der Entgegensetzung zwischen A und non A (obschon nicht Denken eines reellen Objekts), weil A und non A als ein Mannigfaltiges, durch die Form der Verneinung, in einer Einheit des Bewußtseins verbunden wird. Die Identität wird also nicht als eine eigene Form, sondern bloß durch die Aufhebung eines Widerspruchs bestimmt. Es ist also gerade umgekehrt, als es Anfangs zu sein schien; nämlich der Satz des Widerspruchs ist ein positives, und der Satz der Identität ein negatives Prinzip (obschon durch jenen das Objekt aufgehoben, durch diesen aber gesetzt wird).
Kriton: Der Grundsatz für das Gedachte (logisch wirkliche) ist: alles, was gedacht ist, hat einen zureichenden Grund.
Philalethes: Nun sehe ich erst, daß ich mich in der Bedeutung dessen, was Sie das wirkliche Denken nennen, geirrt habe. Ich glaubte, Sie verstehen darunter, was (von einem wirklichen Subjekt) wirklich gedacht wird; ich machte Ihnen daher die Einwendung, daß das wirkliche Denken kein Gegenstand der Logik ist, indem es nicht nach logischen Gesetzen bestimmt wird. Nun aber sehe ich, daß Sie darunter ein bloß logisches wirkliches Verstehen, d. h. ein Denken, das nicht bloß negativ (als nicht unmöglich) nach dem Satz des Widerspruchs, sondern positiv, nach dem Satz des Grundes, bestimmt wird; und mich wundert, daß Sie mir dieses auf meine Einwendung nicht geantwortet haben. Aber, wie paßt dann das Beispiel, das Sie zur Erläuterung dieses Begriffs anführen? Für den Schwarzafrikaner, sagen Sie, ist der Begriff der besten Regierungsform möglich, für ROUSSEAU, MONTESQUIEU usw. war er wirklich, welches nichts anderes heißen kann, als diese haben den Begriff wirklich gedacht; jener aber kann bloß denselben denken. Denn inwiefern dieser Begriff einen Grund hat, hat er es für ein jedes Subjekt; es mag denselben wirklich denken oder nicht.
Kriton: Sie gestehen also doch ein, daß der Satz des zureichenden Grundes zur allgemeinen Logik gehört, obschon man ihn in der Metaphysik vorzutragen pflegt?
Philalethes: Der Satz des Grundes überhaupt gehört allerdings zur allgemeinen; der Satz des zureichenden Grundes aber gehört nicht zur allgemeinen, sondern zur transzendentalen Logik oder Metaphysik. Denn der in der allgemeinen Logik aufgestellte Grundsatz des Widerspruchs ist selbst als ein Erkenntnisgrund (der negativen Möglichkeit) aufgestellt. Er setzt also den Satz des Grundes voraus. Er ist aber kein (zur Bestimmung eines Objekts) zureichender Grund. Ich denke A und B bloß darum als in einer Einheit des Bewußtseins verbunden, weil B dem A nicht widerspricht. Aber ebensowenig widerspricht non B dem A, weil sonst B mit A identisch, und das Denken, A ist B, nicht bloß möglich, sondern notwendig sein, d. h. ebenfalls kein Objekt bestimmen, sondern A als Objekt voaussetzen wird. Dieses Denken ist also unzureichend, ein Mannigfaltiges als Objekt zu bestimmen. Die allgemeine Logik setzt also zwar zu ihrem Gebrauch die Notwendigkeit eines zureichenden Grundes voraus, stellt aber denselben nicht aus.
Kriton: Ihre Gedanken über Grund und zureichenden Grund sind mir ganz neu! Ich halte dafür, daß ein jeder Grund zureichend sein muß, weil, insofern er nicht zureicht, er gar keinen Grund abgibt. - Ich unterscheide nicht Grund von zureichendem Grund, sondern bloß Erkenntnisgrund von Realgrund, der zur Metaphysik gehört. Ein jeder Erkenntnisgrund muß meiner Meinung nach, hinreichend sein, die Erkenntnis, wozu er Grund ist, zu bestimmen.
Philalethes: Ich habe Ihnen aber dennoch gezeigt, daß der Satz des Widerspruchs ein Erkenntnisgrund, aber dennoch unzureichend ist, die Erkenntnis zu bestimmen, weil zu einer bestimmten Erkenntnis, ein bestimtmes Mannigfaltiges als Objekt der Erkenntnis, erfordert wird, welches der Satz des Widerspruchs nicht geben kann.
Kriton: Wir wollen nun die verschiedenen Erkenntnisvermögen durchgehen. Verstand in weiterer Bedeutung ist das Vermögen der mittelbaren Vorstellungen.
Philalethes: Dieses mag immerhin gelten!
Kriton: Verstand in engerer Bedeutung ist das Vermögen, das Besondere im Allgemeinen darzustellen. So ist der Verstand tätig, wenn er aus den besonderen Vorstellungen einen allgemeinen Begriff bildet.
Philalethes: Dies heißt aber nicht, das Besondere im Allgemeinen darstellen, weil das Besondere schon vor dem Denken des Allgemeinen dargestellt sein muß. Ich würde lieber sagen: Verstand in engerer Bedeutung ist das Vermögen, in einer besonderen Darstellung das Allgemeine zu erkennen. So wird jeder Begriff in einer besonderen Anschauung dargestellt, und doch durch diese Darstellung als ein allgemein gültiger Begriff erkannt.
Kriton: Urteilskraft ist das Vermögen, das Besondere unter das Allgemeine zu subsumieren. Vernunft, das Vermögen, das Besondere im Allgemeinen zu erkennen.
Philalethes: Dies sind bloß neue Ausdrücke für längst bekannte Erkenntnisvermögen.
Kriton: Der Begriff ist von einer Anschauung darin unterschieden, daß sich diese mittelbar, jener aber unmittelbar auf einen Gegenstand bezieht. Die Merkmale, die eine Anschauung enthält, sind unendlich. Die Merkmale, die in einem Begriff vorkommen, können nicht unendlich sein, denn da der Verstand diese Merkmale zusammen verbindet, und jedes derselben sich daher abgesondert im Bewußtsein befinden müßte, so würde, um unendlich viele Merkmale in eine Einheit des Bewußtseins zu verbinden, eine unendliche Zeit erfordert, d. h. ein solcher Begriff kann nicht gedacht werden.
Philalethes: Was soll das heißen? "die Merkmale einer Anschauung sind unendlich" und wie kann das Unendliche angeschaut und doch nicht begriffen werden? Da es sich gerade umgekehrt verhalten muß, daß nämlich das Unendliche bloß darum nicht begriffen wird, weil es nicht angeschaut werden kann. Nicht das Verbinden unendlich vieler Merkmale in einer Einheit des Bewußtseins (welches ohne Zeitfolge geschieht), sondern die dieser Verbindung notwendig vorhergehende Vorstellung dieser Merkmale ansich, erfordert eine unendliche Zeit.
Kriton: Begriffe, die durch eine Vergleichung der Objekte und Absonderung des ihnen Gemeinschaftlichen von dem einen jeden Eigentümlichen entstehen, heißen gegebene Begriffe. Man kann aber auch willkürliche Merkmale zusammen setzen, und dadurch einen Begriff bilden; solche Begriffe heißen gemacht oder willkürliche Begriffe. So sind z. B. die Begriffe der Mathematik größten Teils gemachte Begriffe.
Philalethes: Ich bemerke hierüber erstens, daß die erste Art Begriffe nicht gegebene Begriffe, sondern Begriffe gegebener Objekte sind. Nicht der Begriff Mensch ist mir gegeben, sondern besondere Menschen werden mir als Objekte gegeben, woraus ich durch Abstraktion den Begriff Mensch mache. Wie aber ferner die mathetmatischen Begriffe willkürliche oder gemachte Begriffe heißen können, ist mir völlig unbegreiflich. Sie sind a priori gegebene Begriffe. Nicht nur das Mannigfaltige darin ansich, sondern auch seine Verbindung wird, nach einem Grundsatz (wovon bei Gelegenheit die Rede sein soll) a priori bestimmt. Der Begriff Mensch z. B. konnte eher mit Recht willkürlich heißen, als der Begriff Dreieck, weil jener bloß dadurch veranlaßt wird, daß wir seine Merkmale in Zeit und Raum verbunden wahrnehmen. Dieses ist aber nicht hinlänglich, um dieselbe in einer objektiven Einheit des Bewußtseins zu verbinden. Wir machen also, oder denken diesen Begriff willkürlich. Dieser hingegen braucht keine Veranlassung, indem er uns schon a priori gegeben ist. Begriffe machen, kann sonst keine andere Bedeutung haben, als sie (in einem wirklichen Bewußtsein) hervorbringen, davon ist aber in der allgemeinen Logik gar nicht die Rede. Hier kann also Begriffe machen nichts anderes heißen, als das Mannigfaltige darin, ohne zureichenden Grund, in einer Einheit des Bewußtseins verbinden, dieses aber kommt den von empirischen Objekten abstrahierten, eher als den mathematischen Begriffen zu.
Kriton: Diejenigen Merkmale, die man nicht aufheben kann, ohne den Begriff zu zerstören, heißen wesentliche Stücke oder unveränderliche Merkmale; die man nicht aufheben kann, ohne den Begriff zu zerstören, heißen wesentliche Stücke, oder unveränderliche Merkmale; diejenigen hingegen, die sich verändern können, ohne daß der Begriff selbst geändert wird, heißen veränderliche, zufällige Merkmale.
Philalethes: Wenn ich einmal die Merkmale a b c d in einen Begriff verbunden habe, so kann ich freilich keines derselben weglassen, ohne den Begriff zu zerstören; sie sind also in dieser Hinsicht notwendige Merkmale. Aber was sind nun die so genannten zufälligen Merkmale? Vermutlich diejenigen, die ich in meinem Begriff nicht mitgenommen habe. Aber diese sind gar keine Merkmale dieses Begriffs. So ist z. B. ein geometrischer Ort das, wodurch die wesentlichen Bestimmungen eines Begriffs konstruiert werden, wodurch aber der Begriff in Anbetracht seiner zufälligen Modifikationen auf unendliche Arten konstruiert werden kann.
Kriton: Eine Vorstellung, deren wir uns gar nicht bewußt sind, ist für uns keine Vorstellung. Eine jede Vorstellung muß also mit Bewußtsein verknüpft sein. Dieses Bewußtsein ist entweder ein unmittelbares oder ein mittelbares. Bei jenem ist das mit der Vorstellung verknüpfte Bewußtsein hinreichend, die Vorstellung von anderen zu unterscheiden; bei diesem aber nicht. Jene ist eine nicht dunkle; diese eine dunkle Vorstellung oder Begriff. Die nicht dunklen Begriffe sind wiederum deutliche oder undeutliche. Deutlich ist ein Begriff, dessen Merkmale man sich bewußt ist; im entgegengesetzten Fall ist er undeutlich. Klar ist ein Begriff, wenn man sich zwar des ganzen Begriffs, aber keiner seiner Merkmale bewußt wird, im Hinblick auf die Merkmale, ein verworrener Begriff genannt.
Philalethes: Wenn einmal eine jede Modifikation des Bewußtseins (ein jedes mögliche bestimmte Bewußtsein) Vorstellung heißen soll, so gibt es nicht nur keine Vorstellung ohne Bewußtsein überhaupt, sondern auch keine ohne ein bestimmtes Bewußtsein. Der Unterschied der Vorstellungen in dunkle, klare usw. betrifft nicht die Vorstellungen an sich, sondern ihre Beziehung auf das Objekt. Es tritt ein Fremder, den ich noch nie gesehen habe, in mein Zimmer, ein je ne sais quoi [Ich weiß nicht was - wp] zieht mich unwiderstehlich nach ihm, ohne mir irgeneinen Grund davon angeben zu können. Dieses je ne sais quoi ist ansich ein bestimmtes Bewußtsein, eine klare Vorstellung, obschon ich den Grund davon, oder die Entstehungsart dieser Vorstellung nicht angeben kann. Vorstellung überhaupt kann nie ohne Beziehung auf das dadurch Vorgestellte gedacht werden. Abstrahiert von dieser Beziehung, als Modifikation des Bewußtseins ansich betrachtet, ist sie immer klar, d. h. bestimmt, und von allen anderen Modifikationen des Bewußtseins unterschieden; bloß die Beziehung läßt die gedachte Unterscheidung zu. Wird die Vorstellung als Vorstellung, auf ein Objekt bezogen, dessen Bestimmungen man nicht mehr angeben kann, so ist diese Beziehung dunkel, im entgegengesetzten Fall aber ist sie klar. Dies ist auch dem Sprachgebrauch gemäß. Wenn ich etwas im Dunkeln sehe, so bemerke ich einige mir schon bekannte sichtbare Merkmale, nur daß ich nicht angeben kann, welchem Gegenstand sie gehören, so daß ich denselben dadurch nicht erkenne. Die bekannten Merkmale als bestimmte Modifikationen des Bewußtseins ansich sind klar. Die Beziehung aber ist dunkel, weil man von dem Gegenstand, worauf sie geschieht, kein bestimmtes Bewußtsein hat.
Kriton: Was ist nun nach Ihnen eine verworrene Vorstellung?
Philalethes: Eine verworrene Vorstellung entsteht dadurch, daß man eben dieselben Merkmale, als Merkmale, auf verschiedene Objekte zugleich bezieht. Dies trifft bei den Gesichtsvorstellungen ein, wenn die Strahlen, die aus einem Punkt des sichtbaren Gegenstandes ausgehen, sich nicht wieder in einem Punkt auf der Netzhaut im Auge vereinigen, weil alsdann die Strahlen, die aus verschiedenen Punkten des Gegenstandes ausgehen, sich einander im Auge durchkreuzen, und der Eindruck, der auf jeden Punkt im Auge geschieht, mehrere Punkte des Gegenstandes vorstellt. So hat derjenige eine verworrene Vorstellung von einem Gegenstand, der die Wirkung davon im Ganzen aufnimmt, und das Formale vom Materiellen darin nicht unterscheidet und dgl.
Kriton: Die formale Wahrheit, d. h. die Übereinstimmung der Begriffe untereinander, nach den Gesetzen des Denkens überhaupt, ist ein Gegenstand der Logik. Aber nicht die materiale Wahrheit, d. h. die Übereinstimmung der Begriffe mit den Objekten. Man kann aber auch überhaupt kein Kriterium der materialen Wahrheit angeben, weil der Begriff eines allgemeinen Kennzeichens der materialen Wahrheit einen Widerspruch in sich schließt. Denn materiale Wahrheit besteht in der Übereinstimmung eines Begriffs mit bestimmten Objekten. Sie ist also ihr eigenes Kriterium.
Philalethes: Ich getraue mir gerade das Gegenteil behaupten zu können, daß es nämlich ein allgemeines Kriterium der materialen Wahrheit eines Begriffs geben muß, und daß nur unter dieser Voraussetzung es ein allgemeines formales Kriterium der Wahrheit geben kann. Denn soll der Begriff X, dessen Merkmale A B sind, logisch wahr sein, so muß B dem A nicht widersprechen, d. h. nicht non A sein, weil sonst nichts (nihil negativum) dadurch gedacht werden wird. Es muß aber auch nicht mit A identisch sein, weil dadurch abermals nichts (kein in einer Einheit des Bewußtseins verbundenes Mannigfaltiges (nihil privativum) gedacht werden wird. Es wird also so wenig B als auch non B dem A widersprechen. Es wird also logisch wahr sein, A ist B und non B (so wenig B als non B widerspricht A). Dieses allgemeine formale Kriterium der Wahrheit wird also sich selbst aufheben, d. h. kein Kriterium sein. Es muß also notwendig ein allgemeines materiales Kriterium der Wahrheit geben, das zwar die allgemeine Logik nicht angibt, aber doch voraussetzt, wodurch der Begriff nicht bloß als ein ens logicum (kein nihil negativum), sondern auch als ein ens reale (kein nihil privativum) bestimmt wird. In dem Begriff A B wird also erstens gedacht, daß B dem A nicht widerspricht, d. h. daß B nicht non A ist. Zweitens, daß B mit A in einer Einheit des Bewußtseins verbunden, ein ens reale bestimmt. Nun ist es zwar wahr, daß auch A mit non B in einer Einheit des Bewußtseins verbunden, ein ens reale bestimmt (z. B. ein Dreieck kann sowohl recht- als schiefwinklig sein). Man kann aber deswegen nicht sagen, A ist B und non B, weil B und non B nicht in einer Einheit des Bewußtseins gedacht werden kann. Hier bedeutet "ist nicht" bloß eine logische, nach dem Satz des Widerspruchs mögliche, sondern eine reale, nach dem Satz des Grundes wirkliche Verbindung, die die ihr entgegengesetzte Verbindung ausschließt. Bloß logisch, nach dem Satz des Widerspruchs, kann ich allerdings sagen: ein Dreieck ist recht- und schiefwinklig (dem Dreieck widerspricht so wenig das Recht- als auch das Schiefwinkligsein). Logisch wird das Subjekt mit den beiden einander entgegengesetzten Prädikaten in einer Einheit des Bewußtseins verbunden. Denke ich hingegen das Dreieck (nach dem materialen Kriterium, wovon nachher geredet werden soll) wirklich als rechtwinklig, so kann ich nicht mehr dasselbe, in eben derselben Einheit des Bewußtseins, als schiefwinklich denken, weil rechtwinklig und schiefwinklig zwar mit dem Dreieck in besonderen Einheiten des Bewußtseins verbunden werden können, in eben derselben Einheit des Bewußtseins aber sich einander ausschließen.
Kriton: Aber wie kann es ein allgemeines Kriterium der materialen Wahrheit geben, da die materiale Wahrheit in der Übereinstimmung des Begriffs mit bestimmten Objekten und nicht mit Objekten überhaupt besteht?
Philalethes: Ist nicht eben der Charakter eines Kriteriums, daß es allgemeiner sein muß, als das, wozu es ein Kriterium ist?
Kriton: Allerdings! denn das Kriterium ist ein unveränderliches Merkmal, woran das Ding, wozu es Merkmal ist, immer unter allen möglichen zufälligen Umständen erkannt werden kann.
Philalethes: Wie können Sie nun darin einen Widerspruch finden, wenn ich sage: die materiale Wahrheit eines jeden besonderen Begriffs besteht in seiner Übereinstimmung mit einem besonderen Objekt, nach einem allgemeinen Kriterium der materialen Wahrheit eines Begriffs überhaupt. Hierin ist die materiale von der formalen Wahrheit gar nicht unterschieden, welche in der Übereinstimmung der besonderen Vorstellungen untereinander, nach einem allgemeinen Grundsatz dieser Übereinstimmung besteht. Ein Dreieck ist mit sich selbst einerlei nach dem Grundsatz der Identität, ein jedes Ding ist mit sich selbst einerlei und dgl.
Kriton: Die Funktion des Verstandes ist, Mannigfaltiges in einer Einheit des Bewußtseins zu verbinden. Man kann also eine doppelte Überlegung anstellen. 1) Wie verhalten sich Vorstellungen zum Bewußtsein überhaupt? 2) Wie verhaltens sie sich zur Vereinigung im Bewußtsein? Jene ist ein Verhältnis der Vergleichung, die die Einerleiheit oder Verschiedenheit der Vorstellungen bestimmt. Diese ist das Verhältnis der Verknüpfung.
Philalethes: Dies ist einigermaßen dunkel ausgedrückt. Ist denn das Verhältnis der Vergleichung der Vorstellungen in Anbetracht ihrer Einerleiheit oder Verschiedenheit nicht ebenfalls ein Verhältnis zur Einheit des Bewußtsein? (denn durch das Urteil, A ist mit B einerlei, oder von demselben verschieden, werden A und B in einer Einheit des Bewußtseins verbunden). Ich würde mich darüber so ausgedrückt haben: das Verhältnis der Vergleichung ist ein Verhältnis der Vorstellungen zu einem einzigen Bewußtsein; und das Verhältnis der Verknüpfung ist ihr Verhältnis zur Einheit des Bewußtseins. "Vorstellungen sind einerlei", heißt sie machen ein einziges; verschieden aber, sie machen nicht ein einziges Bewußtsein aus. Die Vorstellungen werden zwar hier ebenso wie beim Verhältnis der Verknüpfung in einer Einheit des Bewußtseins verknüpft, aber mit diesem Unterschied, daß diese Einheit im letzten Fall objektbestimmend, im ersten aber nicht ist. Aber gibt es dann nicht noch eine dritte Art von Verhältnissen?
Kriton: Ich wüßte nicht!
Philalethes: Ich glaube noch eine dritte Art bemerkt zu haben, nämlich das Verhältnis der Vorstellungen zu ihrer Abhängigkeit voneinander im Bewußtsein, welches ich "Verhältnis der Abhängigkeit" nennen will; das ich wiederum in drei Unterarten einteile. Vorstellungen können 1) in solchen Verhältnissen stehen, daß sie außer ihrer Verknüpfung zur Einheit des Bewußtseins im Bewußtsein überhaupt nicht stattfinden können; wie z. B. die Vorstellungen von Ursache und Wirkung. Ursache kann nur in Bezug auf Wirkung, so wie diese in Bezug auf jene, im Bewußtsein überhaupt stattfinden. Außer dieser Beziehung aber haben diese Vorstellungen gar keine Bedeutung; sie sind also wechselseitig voneinander abhängig. 2) können sie auch in einem solchen Verhältnis zueinander stehen, daß sie einseitig voneinander abhängig sind, wie z. B. die Vorstellungen Raum und Linie. Raum kann auch außerhalb der Bestimmung durch Linie, diese aber nicht ohne jene im Bewußtsein überhaupt stattfinden. 3) Können sie auch in einem solchen Verhältnis zueinander stehen, daß keine von der anderen abhängig ist. Wie z. B. die gelbe Farbe und die Schwere. Hier liegt der Grund zu einem Kriterium der materiellen (realen) Wahrheit, dessen Notwendigkeit ich schon vorher gezeigt habe, dessen völlige Darstellung aber nicht zur Logik, sondern zur Transzendentalphilosophie gehört.
Kriton: Das Verhältnis der Verknüpfung ist entweder logisch oder real. Es gibt eine logische und eine reale Einhelligkeit und Entgegensetzung; jene wird durch die Form, diese aber durch den Inhalt bestimmt. Begriffe sind logisch einhellig, wenn sie sich in einem Bewußtsein verbinden lassen; logisch entgegengesetzt, wenn sie sich nicht in einem Bewußtsein verbinden lassen. Real einhellig, wenn sie zusammen verknüpft die Vorstellung vermehren; real entgegengesetzt, wenn sie zusammen genommen einander entweder ganz oder zum Teil aufheben. Die logische Entgegensetzung heißt Widerspruch, die reale Widerstreit. Zwei widersprechende Prädikate können nicht ein und demselben Objekt beigelegt werden. Zwei widerstreitende Prädikate können ein und demselben Objekt beigelegt werden, obgleich sich ihre Folgen wechselseitig aufheben. Logische Entgegensetzung durch + A und - A bezeichnet. Jene, aber nicht diese, gehört zur Logik.
Philalethes: Ich bemerkte erstens, daß das Kriterium der realen Einhelligkeit und Entgegensetzung nicht hinreichend ist, sie von der logischen zu unterscheiden. Auch durch die logische Einhelligkeit wird die Vorstellung vermehrt, so wie durch die logische Entgegensetzung etwas darin aufgehoben wird. A und B (unter der Voraussetzung, daß B dem A nicht entgegengesetzt, d. h. nicht non A ist) logisch in einer Einheit des Bewußtseins verbunden, gibt den Begriff A B. Die Vorstellung von A wird also dadurch vermehrt. A und non A in einer Einheit des Bewußtseins verbunden, hebt A auf. Nicht diese Vermehrung der Vorstellung ansich bestimmt die reale Einhelligkeit, sondern die objektive Realität dieser Vermehrung; so wie auch nicht die Verminderung der Vorstellungen ansich, sondern die dadurch aufgehobene objektive Realität, einen realen Widerstreit bestimmt. Ferner eine logische Entgegensetzung ist eine solche, die bloß durch die entgegengesetzten Formen der Kopula (ist und ist nicht) in Beziehung auf eben denselben Inhalt (Subjekt und Prädikat) bestimmt; eine reale aber eine solche, die durch den entgegengesetzten Inhalt, in Bezug auf eben dieselbe Form, erkannt wird. Zwei widerstreitende Prädikate können ebensowenig als zwei widersprechende Prädikate, eben demselben Subjekt beigelegt werden. Nicht in der Beilegung und Nichtbeilegung, sondern in dem Grund davon, sind beide voneinander unterschieden, und weil ein jeder Widerstreit einen Widerspruch schon voraussetzt. Soll ein Körper nach Morgen und nach Abend (zugleich) bewegt werden, so muß er nach Morgen bewegt und nicht bewegt werden. Es ist wahr, daß entgegengesetzte Richtungen nicht logisch durch die bloße Form, sondern in einer Anschauung erkennbar sind. Aber diese Anschauung ist bloß zur Darstellung der einen dieser entgegengesetzten Richtungen erforderlich, die andere aber kann, so wie beim Widerspruch, durch die bloße Form in Bezug auf jene bestimmt werden. + nach Abend heißt - nach Morgen. Es werden nicht eben demselben Körper gleiche und zugleich entgegengesetzte Bewegungen (zu gleicher Zeit), sondern es wird ihm bloß Ruhe beigelegt. Diese mag aus Mangel eines Grundes der Bewegung, oder aus gleichen und entgegengesetzten Gründen herrühren. Wodurch soll nun diese logische von der realen Entgegensetzung unterschieden werden? Die reale Entgegensetzung, sagen Sie, ist so viel als + A und - A die logische A und non A. Was bedeutet aber dieses non A anderes, als - A? Das bloße Setzen und wieder Aufheben von A läßt das Subjekt, in Anbetracht dieses Prädikats, in dem Zustand, worin es vor diesem Setzen war, und kann bloß ein nihil privativum, aber kein nihil negativum bestimmen. Non A bedeutet also nicht bloß eine Aufhebung von A, sondern eine demselben entgegengesetzte Setzung, d. h. - A. Man lege einem Dreieck das Prädikat rechtwinklig bei, und hebe dasselbe in eben derselben Einheit des Bewußtseins auf, so entsteht dadurch kein nihil negativum; von der Vorstellung des Dreiecks wurd nichts aufgehoben, sondern ein nihil privativum, so viel, als wäre dem Dreieck kein in ihm nicht schon enthaltendes Prädikat beigelegt worden. Man lege hingegen dem Dreieck das Prädikat rechtwinklig und das Prädikat schiefwinklig, in eben derselben Einheit des Bewußtseins bei, so entsteht dadurch eine nihil privativum, indem ein Dreieck, das recht- und schiefwinlig ist, gar kein Dreieck sein kann. Es ist also widersinnig zu sagen: daß zwei Prädikate, die ihre Folgen wechselseitig aufheben können, eben demselben Subjekt beigelegt werden; weil eben dieses, daß sie eben demselben Subjekt beigelegt werden können, das Kriterium ist, daß sie ihre Folgen wechselseitig nicht aufheben; und so auch umgekehrt, eben dieses, daß sie ihre Folgen wechselseitig aufheben, das Kriterium ist, daß sie nicht eben demselben Subjekt beigelegt werden können. Rechtwinklig sein und gleichseitig sein, sind einander nicht logisch, sondern real entgegengesetzt. Woran erkenne ich es? Daran, daß wenn sie eben demselben Subjekt (dem Dreieck) beigelegt werden, sie ihre Folgen wechselseitig aufheben, d. h. diese Beilegung würde gar keine Folgen haben, indem dadurch kein rechtwinkliges, gleichseitiges Dreieck als Objekt bestimmt werden kann. Woran erkenne ich, daß das Schiefwinkligsein und das Gleichseitigsein eben demselben Objekt (dem Dreieck) beigelegt werden kann, anders, als dadurch, daß diese Prädikate ihre Folgen wechselseitig nicht aufheben? Rechter Hand und linker Hand, in Bezug auf ein gegebenes Objekt, sind real entgegengesetzt. Woran erkenne ich es? Daran, daß sie nicht eben demselben Objekt in Beziehung auf jenes beigelegt werden können. Die mögliche oder unmögliche Beilegung zweier Prädikate eben demselben Subjekt kann bloß durch die wechselseitige Nichtaufhebung oder Aufhebung der Folgen erkannt werden. Nach mir hingegen ist die logische Einhelligkeit und Entgegensetzung die analytische; die reale aber die synthetische. Real entgegengesetzte Prädikate können also so wenig wie die logisch entgegengesetzten Prädikate demselben Subjekt beigelegt werden.
Kriton: Aber Sie werden doch zugestehen müssen, daß ein Körper zwei entgegengesetzte und gleiche Stöße erhalten kann, wodurch er in Ruhe bleiben muß. Hier haben Sie also zwei Prädikate eben desselben Subjekts, die ihre Folgen gegeneinander wechselseitig aufheben!
Philalethes: Wodurch aber werden diese Stöße als einander entgegegesetzt erkannt? Nicht anders, als entweder durch ihre Folgen (die entgegengesetzten Bewegungen, die sie in einem Körper hervorbringen würden, wenn nicht beide zugleich auf dasselbe gewirkt hätten), oder durch ihre entgegengesetzten Ursachen (die dem Stoß vorhergehenden entgegengesetzten Bewegungen). Nimmt man das erste an, so frage ich weiter: woran erkenne ich, daß die Folgen dieser Stöße einander entgegengesetzt sind, anders, als dadurch, daß sie einander in eben demselben Subjekt aufheben? Also durch die Voraussetzung einer wechselseitigen Aufhebung der Folgen, wird zugleich die Erkennbarkeit der Beilegung der Gründe aufgehoben. Wird aber das zweite angenommen, so frage ich wiederum: woran erkenne ich, daß sie den Stößen vorhergegangenen Bewegungen einander entgegengesetzt sind, anders, als dadurch, daß sie eben demselben Objekt nicht beigelegt werden können? Sie müssen also entweder die Vorstellung einer Realentgegensetzung, als etwas, was bloß in einer Anschauung erkennbar ist, ganz unerklärt lassen; oder Sie müssen eingestehen, daß hier keine andere Erklärung als die meinige stattfinden kann.
Kriton: Wie wollen Sie nun die Einhelligkeit und Entgegensetzung erklären und einteilen, so daß darunter alte Arten begriffen sein sollen?
Philalethes: Ich teile die Einhelligkeit und Entgegensetzung in 1) logische, 2) mathematische, 3) transzendentale, und 4) empirische Einhelligkeit und Entgegensetzung. Die logischen betreffen die Begriffe. A und A sind einhellig. A und non A sind entgegengesetzt. Die mathematischen betreffen die Konstruktion bestimmter Begriffe. Gleichseitiges Dreieck und schiefwinkliges Dreieck sind einhellig. Gleichseitiges Dreieck und rechtwinkliges Dreieck sind entgegengesetzt. Die transzendentalen betreffen die Bedingung von der Möglichkeit einer Konstruktion überhaupt. Dreieck und rechter Winkel sind einhellig. Dreieck und Schwere sind entgegengesetzt. Diese alle sind apodiktisch a priori. Die empirische Einhelligkeit, z. B. Körper und Bewegung, Widerstreit, Bewegung nach Morgen und nach Abend (wenn darunter die entgegengesetzten Gründe verstanden werden), die aber bloß in der Anschauung erkennbar ist. Die logischen sind formal; die übrigen aber sind real. Die logische Entgegensetzung bestimmt ein nihil privativum. Die mathematische ein nihil privativum, in Anbetracht des Objekts selbst. Die empirische bestimmt ein nihil privativum in Anbetracht der Folgen. Die transzendentale aber ein unendliches, welches eben darum nicht konstruierbar ist. Dreieck und Schwere stehen in einem unendlichen Verhältnis zueinander, und darum können sie nicht zur Bestimmung eines Objekts (ein schweres Dreieck) in einer Einheit des Bewußtseins gedacht werden.
Kriton: Diese Einteilung scheint mir nicht nur gegründet, sondern auch von großer Wichtigkeit zu sein.
Philalethes: Besonders ist die transzendentale Einhelligkeit und Entgegensetzung neu, und, wie ich bei einer anderen Gelegenheit zeigen werde, das Fundament allen realen Denkens.
Kriton: Wir gehen nun zur Lehre von den Urteilen über. Die Vorstellung des Verhältnisses mehrerer Vorstellungen untereinander, welche zur Deutlichkeit einer Erkenntnis erfordert wird, heißt ein Urteil.
Philalethes: Dies ist mir nicht deutlich genug. Das Wort Urteilen in der deutschen Sprache scheint mir sehr bedeutend zu sein, und heißt so viel wie eine Erkenntnis dadurch erhalten, daß man sie in ihre uranfänglichen Teile, woraus sie besteht, teilt. Die Teile einer Erkenntnis sind das in eine Einheit des Bewußtseins zu verbindende Mannigfaltigkeit, und die Verbindungsart. So bekommen wir z. B. eine Erkenntnis, d. h. einen Begriff von einem Dreieck dadurch, daß wir (unter der Voraussetzung, daß es ein in eine Einheit des Bewußtseins zu verbindendes Mannigfaltiges ist) urteilen: ein Raum kann in drei Linien eingeschlossen sein, oder ein Dreieck ist eine Figur (wodurch wir wenigstens zu einem Teil der Erkenntnis des Dreiecks gelangen), oder ein Dreieck hat drei Winkel (wodurch wir zu einer Eigenschaft des Dreiecks, die gleichfalls ein Teil von dessen Erkenntnis ist, gelangen). In allen diesen Fällen denken wir uns das Dreieck als ein Objekt, in dessen Erkenntnis ein in eine Einheit des Bewußtseins zu verbindendes Mannigfaltiges überhaupt anzutreffen ist, welches Mannigfaltige (ganz oder zum Teil) und die Verbindungsart wir durch dieses Urteil bestimmen.
Kriton: Die Urteile kommen, ihrer Quantität nach, in einzelne, partikuläre und allgemeine Urteile eingeteilt werden.
Philalethes: Diese Einteilung kann nicht die ursprünglichen, sondern die (durch Schlüsse aus anderen) abgeleiteten Urteile betreffen. Die ursprünglichen Urteile abstrahieren von aller Quantität. "Mensch ist Tier" ist ein ursprüngliches Urteil, wodurch bestimmt wird, daß der Begriff Tier im Begriff Mensch enthalten ist. Sage ich hingegen: "alle Menschen sind Tiere", os ist dies ein auf folgende Art abgeleitetes Urteil: "Mensch ist Tier." Alle Menschen (sie mögen voneinander verschieden sein auf welche Art auch immer) sind Menschen; Also sind alle Menschen Tiere.
Kriton: Die Logiker fügen den bejahenden und verneinenden noch die unendlichen oder limitierenden Urteil bei, worin die Kopula bejahend, das Prädikat aber verneinend ist. Sie gehören ihrer Form nach zu den bejahenden, haben aber die Folgen der verneinenden Urteile. Philalethes: Ein unendliches Urteil, dessen Form A ist nicht B ist, kann nicht die Bedeutung haben: A gehört unter die Klasse der Dinge, deren Begriff B widerspricht, oder deren Konstruktion die Konstruktion von B aufhebt; dies würde in der Tat ein verneinendes Urteil sein; wenn ich sage; ein Geist ist - nicht sterblich, so heißt das so viel wie: dem Begriff vom Geist widerspricht der Begriff der Sterblichkeit; Geist kann also nicht zur Klasse von Dingen gehören, denen das Prädikat Sterblichkeit zukommt. Soll also dieses Urteil von einem verneinenden Urteil unterschieden sein, so kann es keine andere Bedeutung haben, als: A gehört zur Klasse von Dingen, denen so wenig das Prädikat B als sein Gegenteil zukommen kann, weil keines von beiden mit A im Verhältnis des Prädikats zum Subjekt steht. Zum Beispiel ist die Tugend - nicht viereckig, d. h. so wenig die viereckige Figur als ihr Gegenteil, ist ein mögliches Prädikat der Tugend.
Kriton: Der Relation nach sind die Urteile entweder kategorisch, hypothetisch oder disjunktiv.
Philalethes: Die hypothetischen Urteile haben gar keine Realität. Sie setzen das Gesetz der Kausalität (von dem ihre Form abstrahiert ist) voraus, dessen objektive Realität in Zweifel gezogen werden kann. Wo aber dieses Gesetz nicht vorausgesetzt wird, ist die Form der hypothetischen Urteile eine leere Form, ohne alle Realität. Man kann einen jeden Satz, der hypothetisch ausgedrückt wird, der Wahrheit unbeschadet, kategorisch ausdrücken. Ich finde nirgends anders die Form der hypothetischen Urteile, außer bei den (ganz oder zum Teil) identischen Sätzen: wenn X ist A, so ist es A oder nicht non A oder in der Schlußform, wenn A ist B, und E ist A, so ist E B, welche alle analytische Sätze sind.
Kriton: Wenn man beweisen will, daß die Form des hypothetischen Urteils von der des kategorischen nicht verschieden ist, so - -
Philalethes: Wer wollte denn dies beweisen? Die Form des hypothetischen Urteils ansich ist allerdings von der Form des kategorischen verschieden. Ich behaupte nur, daß der Gebrauch von jener vom Gebrauch von dieser nicht verschieden ist, oder daß jene keinen von dieser verschiedenen Gebrauch hat oder - was dasselbe ist - daß jene gar keinen Gebrauch hat. Sie hat also selbst als Form ansich keine objektive Realität, weil die objektive Realität einer Form nur durch ihren wirklichen Gebrauch dargetan werden kann.
Kriton: Der Modalität nach sind die Urteile entweder apodiktische oder assertorische oder problematische Urteil.
Philalethes: Assertorische Urteile können nur in Anbetracht der Gegenstände der Erfahrung stattfinden. Wer also Erfahrung im strengen Sinn als notwendige Verknüpfung der Erscheinungen, bezweifelt, wird auch die objektive Realität der assertorischen Urteil mit Rech bezweifeln. Aber, Freund! wir halten uns zu lange bei dieser unfruchtbaren Materie auf. Lassen Sie uns nun aus der Kritik der bloß formalen, zur Kritik der realen Erkenntnis übergehen!

LITERATUR - Salomon Maimon, Kritische Untersuchungen über den menschlichen Geist oder das höhere Erkenntnis- und Willensvermögen, Leipzig 1797