cr-2W. WindelbandH. MaierB. ErdmannA. RiehlH. CohenDrobisch     
 
FRANZ LOTT
Zur Logik

"An und für sich ist kein Gedanke  S  oder  O  oder  P,  er wird dazu vermöge der erörterten Beziehungen."

§ 1. Methodologie und Geschichte der Philosophie sind wohl die beiden höchsten Standorte der Besinnung für den Philosophierenden; freilich droht auch Gefahr -  dort  des Verbleichens der Gedanken durch Abstraktionen,  hier  ihres Zerfließens in gar vielförmigen Versuchen.

Die Aufschrift dieser Abhandlung zeigt, daß sie dem Streben nach Besinnung in zuerstgenannter Weise zu dienen wünscht.

Was die Aufgabe der Logik sei? die Beantwortung dieser Frage ist bei weitem nicht über den Streit erhoben. Dieser Mangel an Einverständnis kommt natürlich am meisten in den Grenzstreitigkeiten zutage, zwischen der Logik einer- und der allgemeinen Metaphysik, der Psychologie, ja Ästhetik (im engeren, gewöhnlichen Sinne) und Ethik andererseits; ohne Feststellung der Aufgabe einer Wissenschaft lassen sich die Bestimmungen des Dies- und Jenseits für dieselbe nicht entwickeln; der Sinn ihrer Aufgabe hält sie innerhalb der gebührenden Schranken; weshalb Grenzstreitigkeiten zwischen Wissenschaften stets prinzipieller Natur sind.

ADOLF TRENDELENBURGs geistvolle "Logische Untersuchungen" führen unter anderem auch die Behauptung durch, die "formale" Logik könne ihrer Aufgabe nicht genügen. Wie sehr auch diese Behauptung im Sinne der Mehrzahl des heutigen philosophierenden Publikums sein mag, so gestehen wir doch sogleich an der Schwelle, hier vornehmlich mit der Bekämpfung derselben zu tun zu haben; nicht etwa als ob wir alle wider jene Logik erhobenen Einwürfe für grundlos hielten; vielmehr verrät schon der unzulängliche Widerstand, welchen sie der, namentlich von neueren metaphysischen Forschungen ausgehenden Gewalt entgegengesetzte, tieferliegende Fehler als die lange Dauer ihrer Herrschaft bis FICHTE fürchten ließ. Jedoch dürfte es sich herausstellen, daß jene Einwürfe keineswegs im  Formalismus  der Logik begründet sind, so wie die Wegschaffung der Mängel zugleich Aussichten auf große noch brachliegende Teile des logischen Gebietes eröffnen mag; und eben durch deren Bearbeitung bereichere sich die Logik, statt durch Scham über ihre Armut zum Einbruch in fremde Gebiete verleitet zu werden.

Für dieses unser Unternehmen kann der Umfang dieser Abhandlung viel zu eng scheinen. Allein der erwähnte Logiker ist mit dem trefflichen Beispiel vorangegangen, bei solchen Besprechungen Leser vorauszusetzen, welche im Ganzen der Logik schon heimisch sind; ebenso hat FRANZ EXNER musterhafte logische Einzelbetrachtungen veröffentlicht; diese Vorgänge können wohl das Folgende gegen den Vorwurf einer ins Fragmentarische ausartenden Kürze verteidigen.

Zuerst werden wir die Art, wie wir die Aufgabe der Logik fassen, so wie ihre Lösung in den ersten Hauptzügen darstellen, darauf in jene Grenzstreitigkeiten so weit eingehen, als es dann noch notwendig, auch für manche zurückgreifende Erläuterung dienlich scheint.

§ 2.  Die Logik hat denjenigen Unterschied der Urteile, welchen man durch "wahr" und "falsch" bezeichnet, zum Gegenstand,  wenn man will: zu ihrer  Voraussetzung.  Wem es etwa zu sagen beliebte: Dasjenige, was in bestimmter Weise beurteilt wird, lasse es sich ebensowohl gefallen, in entgegengesetzter beurteilt zu werden, - eine und dieselbe Frage lasse sich ebenso füglich mit Ja als mit Nein beantworten, - kurz: jener der logischen Betrachtung als Gegenstand zugewiesene Unterschied sei eben nichts als ein leeres Wort, - einem solchen Logos-Leugner die Gültigkeit desselben demonstrieren zu wollen, hieße: sich zu einem törichten Kreislauf verurteilen.  Welcherlei  Urteile wahr, welche falsch seien?  worin  dieser Unterschied bestehe?  Das  ist für die Logik in Frage, keineswegs aber  ob  ein solcher bestehe? Von der Anerkennung desselben geht sie aus, seine Gediegenheit ist ihr ein Gegebenes. Allerdings bleibt sie dabei nicht stehen; sie strebt über die bloße  Zuversicht  hinaus zur  Einsicht,  nicht aber aus Mißtrauen, als ob jene Anerkennung schwankte, sondern im Vertrauen auf sei; ein verdächtiger Unterschied würde die Mühe der Forschung nicht lohnen. Ein solcher Verdacht gilt ihr als Verwicklung in Mißverständnisse, als Befangenheit, aus welcher nur die Untersuchung selbst befreien könne, desto mehr, je besser und weiter diese geführt sein werde; unter anderem kann auch nur diese direkt zeigen, warum die verlangte Anerkennung sich jeder logischen Ableitung entziehe. (§ 18)

Die (gleichsam pädagogische) Bemühung, jemanden untadelige Lehren, z. B. mathematische, vorzuhalten, damit er daran die Evidenz des Wahren inne werde, darf man der Logik nicht zumuten. Eine solche Evidenz ist für die Logik das Ursprüngliche, jene verdunkelnden Verdächtigungen gehören schon zu den Nachwehen mißratener Untersuchungen; es zeigt die Geschichte der Wissenschaften überhaupt, wie sich durch ein solches Mißraten eine Menge Schutt, der die Quellen verdeckt, ansammeln kann, wie sie denn zugleich auch warnt, man möge sich nicht schon von vornherein viel damit zu schaffen machen.

Übrigens könnte immerhin auch wer die Anerkennung, von welcher die Logik ausgeht, seinerseits zum bloß hypothetischen Zugeständnis abschwächen möchte, mit ihr weitergehen; die  Richtung  des Fortgangs wird dadurch nicht alteriert [verändert - wp].

§ 3. Diese Beziehung von Wahr und Falsch auf  Urteile  ist ihre primitive; es genügt hierfür auf ARISTOTELES zu verweisen und ist erfreulich das zu dürfen. Allerdings aber  überträgt  sich jene Beziehung auch auf vereinzelte  Begriffe,  sofern in diesen Urteile liegen; so heißt ein widersprechender Begriff falsch, Widerspruch ist Konflikt von  Urteilen. 

Demnach hat die Logik mit der Betrachtung des Urteils zu  beginnen,  während man überall die Lehre von den Begriffen vorausschickt - selbst da wo vom Werden Begriffe aus Urteilen, in zu unbedingter Weise (§ 4. Ende), gesprochen wird -, durch welches Verkehren die logischen Überlegungen in eine gezwungene Stellung kommen müssen.

Da auch Schlußsätze Urteile sind, so wäre es minder unpassend gewesen, mit der Syllogistik zu beginnen und so die gewöhnliche Orndung rein umzukehren; bei ARISTOTELES bildet diese Lehre ja den Schwerpunkt seiner logischen Arbeiten; auch HERBARTs Methodologie (Metaphysik, Bd. 2, Seite 39 oder schon "Hauptpunkte der Metaphysik", Seite 5) konnte hierzu anregen.

Daß sich das Urteil unmittelbar als eine Entscheidung und zwar über das Verhältnis zwischen  S  (Subjekt) und  P  (Prädikat), darstelle, bedarf wohl kaum mehr der Erwähnung; man denke dieses Verhältnis noch unentschieden, noch in der Schwebe begriffen, so hat man die  Frage,  worauf das Urteil die Antwort ist (ob man nun in der Frage schon beide Verhältnisglieder vor Augen habe, oder ob man für das  S  sein  P  - oder jenes für dieses - erst suche). (1)

§ 4. Das Gebiet der Logik kann somit nicht enger, nicht weiter sein als das der Urteile.

Worüber kann denn nun geurteilt, wovon etwas prädiziert werden?

Diese Frage erledigt sich wohl am besten durch die Gegenfrage, worüber  nicht  gedacht,  nicht  geurteilt werden könne?

Die Logik wird also  Nichts  worüber (und wiefern darüber) geurteilt werden mag, aus ihrem Gebiet  ausschließen,  - gewiß in Übereinstimmung mit ARISTOTELES dessen logische Untersuchungen sich an die  Sprache  wandten, die ohne Zweifel gleichfalls dem  gesamten  Gedankenkreis dient.

Wie klar das auch sei, dennoch läßt es sich trüben durch eine Vermengung der Begriffe  Wahr  und  Wirklich so daß man versuchte die Logik auf das Erkennen  realer  Gegenstände zu beschränken. Jenes Mengen hängt mit der Opposition wider "formale" Logik zu wesentlich zusammen, als daß nicht schon hier vorläufig etwas darüber zu sagen wäre (mit Enthaltung freilich von metaphysischen Kontroversen); ohnedies geht der Begriff des Wahren bei dieser Erörterung nicht leer aus.

1) Es ist für Wahr- oder Falschheit eines Urteils irrelevant, ob das Beurteilte Anspruch auf Realität habe oder nicht; beidemale kann das Urteil wahr oder falsch sein. Man denke doch z. B. nur an die Subjekte arithmetischer Lehrsätze! Wer möchte hier seine Zustimmung von der Realität der Gegenstände der Zählung und dgl. abhängig machen?

Oder beliebt es, damit man jene Beschränkung des Gebiets der Logik durchführe, alle Beurteilungen, außer denen des Reellen (oder doch der Beziehung auf solche), für logische Adiaphora [nicht Unterschiedenes - wp] zu erklären? (in welchem Fall man gerne "Wahrheit" mit "Objektivität" identifiziert, "Objekt" aber vom Gedankeninhalt unterscheidet, dem Gedanken voraussetzt, gegenübrstellt). Aus solcher partiellen logischen Blasiertheit etwa durch Deduktionen herausversetzen zu wollen, verbietet sich nach § 2 auch hier. Übrigens mag ein Sprachgebrauch erwähnt werden, der beirren kann; es frägt z. B. die Mathematik häufig nach der "Realität" eines Begriffs, etwa der Ebene, in dem Sinne nämlich, wie eine Konstruktion nach zwei Dimensionen zu denken sei, damit jede Gerade zwischen zwei beliebigen Punkten dieser Konstruktion in dieselbe falle, nicht als neue Linie, sondern bloß als Wiederholung einer in der Konstruktion bereits begriffenen; unter "Realität" ist hier offenbar genug kein Gegensatz wider bloßes Gedankengebilde gemeint. Ebenso spricht man überhaupt von "reellen Ansichten", ihr Gegenstand sei welcher er wolle, gegenüber bloß scheinbaren Einfällen, unhaltbaren, vielleicht in sich widersprechenden Hirngespinsten. hier überall ist "Realität" synonym mit "Wahrheit" des Gedankens gemeint, als logische Solidität, ohne aber im Mindesten die Realität des beurteilten Gegenstandes anzuzeigen. (2)

Andererseits sträubt man sich auch wieder, Vorstellungen, die individuell-Wirkliches bedeuten, als  S  oder  P  von Urteilen zuzulassen; diese (vor allem bei Antiformalisten) seltsame Ausschließung hängt mit Ansichten namentlich vom "Allgemeinen" zusammen, kann daher jetzt noch keine Aufklärung erhalten. -

Wir werden, da sich der Name "Begriff" den Gliedern eines Urteils wohl nicht versagen läßt, jede Vorstellung also bezeichnen, ob ihr Vorgestelltes Realität anspreche oder nicht, ein individuell-Wirkliches bedeute oder nicht. Oder will man mit dem Wort "Begriff" nicht so freigiebig sein? Wortstreit bleibe hier fern; nur darf nicht etwa die Ausschließung ganzer Klassen von Urteilen aus dem Gebiet der Logik dadurch erschlichen werden, daß man  S  und  P  zwar Begriffe nennt, "Begriff" aber kurzweg, unserer Erörterung zuwider, in irgendeinem  engeren  Sinn nimmt.

2) Die Vermengung, deren Abwehr uns hier vorläufig beschäftigt, drängt sich noch in einem anderen Punkt ein; nicht bloß der Gegenstand der Vorstellung kann reell sein - wie wenn man ihn etwa als Original faßt, und die Vorstellung davon als seine Darstellung, als Bild desselben -, jedenfalls ist auch das Vorstellen und Urteilen eine  wirkliche  Tätigkeit, des denkenden Subjekts. Allein diese Wirklichkeit des Denkens hat nichts mit seiner Richtigkeit zu tun; auch die sinnlosesten und sinnwidrigsten Gedankenspiele des Toren, des Träumenden, ... sind, nur zu gewiß! wirklich (3). Die Frage, ein wie beschaffenes Denken sich rechtfertigen lasse, liegt der Logik im Sinn; nicht aber die Frage nach seiner Wirklichkeit, folglich auch danach nicht wie und wodurch es wirklich  geworden  ist.  Angenommen,  es würde so oder so geurteilt, hat man ein  Recht  dazu! dies ist die Sprache der Logik. Wer sich darauf nicht gleich von vornherein besinnt, verliert eben ihre eigentümliche Aufgabe aus dem Sinn und gerät auf das Gebiet der Psychologie, ja der Metaphysik überhaupt; er gräbt nach den reellen Entstehungsgründen der wirklichen Gedanken, nach ihrer Geschichte, sei es daß er sich hierbei auf das menschliche Individuum beschränke oder auf die Entwicklung seines ganzen Geschlechts ausdehne. Was Wunder, wenn man sich auf einem solchen Weg zu jener Standpunktsweisheit verirrt, die Wahrheit einer Ansicht nämlich dadurch festzustellen wähnt, daß man ihren Ort im tatsächlichen Entwicklungsgang des urteilenden Subjekts bestimmt! Ob sich wohl z. B. ein Mathematiker dadurch, daß ihm nachgewiesen wird, wie man zu einer Behauptung kam - wohl gar kommen mußte, zur Anerkennung derselben bewegen läßt?
    Anmerkung.  Längst sollte es sich von selbst verstehen, daß die Frage nach der Verwirklichungsweise wahrer und falscher Gedanken nicht einmal einen hinreichend bestimmten Gegenstand hat, bevor die Charakteristik des Wahren und Falschen gewonnen ist, d. h. die Logik ihre Aufgabe (sei es auch nur in ihren Hauptzügen) gelöst hat.

    Nur einige Worte über die verschiedenen Formen in welchen die in 2) zurückgewiesene Heterozetesis [verfängliche Frage mit versch. Antwortmöglichkeiten - wp] auftritt! Sie müssen natürlich mit den Grundansichten über Psychologie variieren (die weiters von allgemein-metaphysischen abhängen); wer etwa verschiedene angeborene Seelenvermögen voraussetzt, für den wird die Prüfung der Wahrheit ganz und gar zu einem unerquicklichen Kompetenzstreit zwischen verschiedenen Vermögen: Geht die Behauptung vom Verstand aus? oder von der Urteilskraft? oder der Vernunft? Welcher Ausspruch wahr sei, wird nicht aus der Sache d. i. dem zur Frage gehörigen Gedankeninhalte heraus entschieden, sondern danach,  wer  den Ausspruch tue.  Wessen  Behauptung nun erfreut sich denn eines Vorrechts vor dem die übrigen zurückzuweichen haben? Es ist gerade wie wenn es sich fragte, welches von mehreren Individuen eine größere wissenschaftliche Autorität sei? wo man solche zugesteht, geschieht es doch keineswegs im Wahn, ein Urteil sei wahr weil jene es ausspricht, sondern sie spreche es aus, weil es ein wahres ist; jenes Individuum sei urteilsfähiger als andere. Und wie verfahren, die den Aussprüchen z. B. der "Vernunft" den Vorrang zuerkennen? sie charakterisieren diese eben durch Ideen ..., welche sie und weil sie solche als wahr schon anerkennen; falsche schreiben sie ihr (wissentlich) nicht zu, sondern bringen solche auf Rechnung der - Unvernunft (mag man diese nun als Abirrung der Vernunft von sich selbst oder gar als eigenes Vermögen ansehen). Den Unterschied von Wahr und Falsch setzen sie somit stillschweigend voraus. Oder will man ihm entfliehen? ihn zu einem bloß subjektiven verflüchtigen?

    Die Sachlage bleibt dieselbe, falls man die angeborenen Vermögen zu "Entwicklungsstufen" umbildet; denn welche erklärt man für die theoretisch-höchste? doch nicht die modernste? wohl keine andere als worauf diejenigen Ansichten, welche man als die gültigen anerkennt, auch zur Geltung gelangen.

    Oder spricht man lieber von Urfunktionen des Geistes, von seinen Grundvoraussetzungen, von reiner Selbsttätigkeit, von Ausdrücken des Wesens, des höchsten Allgemeinen, der tiefsten Individualität, usf.? Immer wird man doch nur solche Hauptgedanken, an deren  Wahrheit  man nicht zweifelt, zur Würde solcher Urfunktionen und dgl. erheben oder damit in Verbindung setzen; die gegenteiligen wird man anderswo, wie gut oder wie schlecht es eben gehen mag, unterzubringen suchen.
§ 5. Kommt es demnach für die logische Grundfrage wieder auf das Objekt der Beurteilung, als ein reelles, an, noch darauf  wer  urteilend tätig ist (nicht auf das psychologische Subjekt), so ist die Rechtfertigung oder Verwerfung eines Urteils an den Inhalt seiner in ihm sich verhaltenden Begriffe gewiesen. (4) Die Natur  dieses  Verhaltens ist daher in's Auge zu fassen. Jedoch bedarf es noch einiger Vorbereitungen zur Lösung dieser Aufgabe, besonders der Vereinfachung derselben.

Es gibt bekanntlich  indirekte  Rechtfertigungen eines Urteils; sie leiten aus der (versuchsweisen) Annahme des gegenteiligen ein drittes Urteil her, welches an einem bereits feststehenden vierten scheitert. Abgesehen von der Herleitung des dritten aus dem zweiten beruth eine solche Rechtfertigung auf der Evidenz: Wenn das 4. Urteil wahr ist, muß das 3. falsch sein; wenn das 2. falsch ist, ist das 1. wahr. Das 1. und 2. Urteil widersprechen einander (ebenso das 3. und 4.), d. h. sie sind Entscheidungen derselben Frage mit Ja und Nein (Ende von § 3.) Eine dritte, etwa mittlere Art von Entscheidung gibt es nicht (principium exclusi medii); hoffentlich wird Niemand einwenden, man können sich ja doch dahin entscheiden, jene Frage - unentschieden zu lassen!

Ist die Bejahung in ihrem Recht, so ist die Verneinung im Unrecht, und umgekehrt; deshalb decken sich hier die Bestimmungen: Recht und Nicht-Unrecht.

Offenbar ist also das sogenannte  Gesetz des Widerspruchs  schon in der aller Logik zugrunde liegenden Anerkennung (§ 2) enthalten. Veranlassungen an jenem Gesetz irre zu werden, liegen in den Schwierigkeiten seiner Anwendung; ob sich zwei Urteile bestimmt als bejahende oder verneinende Aussprüche über  denselben  Gegenstand verhalten, ist keineswegs immer so klar; man denken an die Lehre von der Opposition der Urteile (§ 11); und die Gegenstände des Nachdenkens sind oft so verwickelt, daß die Identität oder Nicht-Identität des Fragepunkts selbst zu einem sehr schwierigen Fragepunkte werden kann, weshalb auch das "est distinguendeum!" [eine Unterscheidung ist - wp] längst zum geläufigen Sprüchlein geworden.

Manche Aufklärung bleibe dem Folgenden anheimgestellt; nur  ein  Einwurf mag gleich hier erwähnt werden (der freilich der Entschuldigung durch anderweitige, ernsthaftere Schwierigkeiten bedarf): "Wie, wenn einer z. B. spräche, die Seele sei ein Alkali, - so müßtet Ihr nach Eurem Gesetz das Gegenurteil, die Seele sei kein Alkali, für ein wahres erklären. Treffliche Wahrheit! treffliches Gesetz!"

Dieses Gegenurteil aber wäre nicht unwahr, somit das Gesetz dadurch nicht erschüttert; der Eifer, sich auf solche törichte Einfälle widersprechend einzulassen, dagegen in Gesetzesrüstung zu kämpfen, mag töricht sein, keineswegs aber das Gesetz selbst. Dieses bestimmt über den Gegensatz zwischen bejahender und verneinender Antwort, ob auch die Frage besser unterblieben wäre.

Übrigens kann der Einwurf doch einen Mangel fühlbar machen (und durfte deshalb erwähnt werden). Eine  bloß negative  Charakteristik des Wahren genügt nämlich nicht; jenes Gesetz ist auch fir für mehr als ein negatives Kriteriums der Wahrheit ausgegeben worden. Die Logik soll mehr erforschen als daß solche Urteile gelten, deren Gegenteile nicht gelten. Ein Positives, das Bestehen des wahren Urteils, seine logische Realität (§ 4. 1) ist es, woran die Negationen, die Leugnungsversuche scheitern.

Auf eben dieses Ungenügen deutet schon die Formulierung des Widerspruchsgesetzes hin:

Wenn S : ± P  (so möge ein Urteil, mit  ±  seine Qualität, und mit  :  das Verhalten von  S  zu  P,  bezeichnet werden) besteht,  so  zerfällt  S : ± P,  und umgekehrt. Was wahr, was falsch sei, erfährt man hieraus nur gegenüber  anderen  Urteilen, deren Falschheit - deren Wahrheit  bereits festgestellt  ist; also sekundär.

Was hat es nur mit der  primären  Feststellung auf sich?

Eine Hinwendung zu  direkten  Beweisführungen würde hier keineswegs ausreichen; solche leiten bekanntlich Urteile  aus anderen  Urteilen ab; gilt aber nicht schon für diese, die das abgeleitete bedingen, der Unterschied von Wahr und Falsch?

Oder ist dieser vielleicht der Erfahrung gegenüber bedeutungslos, indem Urteile, die nicht aus anderen abgeleitet sind, etwa bloß eine Tatsache aussprechen? Solches Vermengen der Rechtfertigung eines Ausspruchs mit bloßer Tatsächlichkeit des Ausgesprochenen suchten wir schon in § 4. abzuwehren, wodurch auch die den gegenwärtigen § beginnende Ausprägung der logischen Grundaufgabe eingeleitet wurde. (5)

Wir werden somit die Wahrheit eines Urteils an und für sich d. h. hier: ohne Hinblick auf  andere  Urteile, zu erforschen haben.

§ 6. Ich sage: die  Wahrheit;  worin ihr Gegenteil bestehe, wird wohl offenbar werden, wenn sie es erst selbst ist.

Und zwar die Wahrheit des  bejahenden  Urteils; alle  Verneinung  wäre, ohne Positives was da verneint wird (durch ein anderes Positives), eben ein bares Nichts.

Auch halten wir uns zunächst an die einfachste, an die sogenannte  kategorische Form  des Urteils; daß wir uns hierdurch nicht bloß auf einen speziellen Fall unserer Aufgabe beschränken (was übrigens vorwurfslos wäre, wenn nur die Lösung nicht als allgemeine geltend gemacht würde), wird sich später zeigen.

Nun dürfen wir, zurückblickend auf den Anfang von § 5, unser Problem so formulieren:

Wie läßt sich der Zusammenhang zwischen  S  und  P  rechtfertigen?

hat  S  zu seiner Voraussetzung;  S  zieht  P  nach sich.  S : + P  für ein wahres Urteil erklären (nicht für eine beliebige Zusammenwürfelung von Gedanken, mit der jede andere gleichberechtigt oder vielmehr gleich rechtlos wäre - vgl. § 4. 2.), hat den Sinn: Wer auch  S  denke, und zwar gehörig aus- und durchdenke, werde hierdurch bestimmt,  P  zu denken;  P  kommt dem  S  zu, gebührt ihm. Der Gedanke  S  fordert auf, verpflichtet,  P  zu denken, ja:  S als P,  denn "S ist P", so lautet das Urteil.

So gbe man sich denn dem Gedankeninhalt  S  hin! Warum nun aber hat es hierbei, nämlich:  S  zu denken, nicht sein Bewenden! Wie kann  S  fordern, zugleich  nicht  als  S  gedacht zu werden, nämlich als  P  (und zwar gerade als  P,  nicht: als  Q, R  usw.)?

Es scheint somit, man könne gar nicht urteilen, ohne einen Widerspruch zu begehen!

Der Kenner erschrickt nicht davor, sondern sieht, daß die Logik am Begriff des gültigen Urteils in demselben Sinn ein Prinzip hat, wie HERBART von Prinzipien metaphysischer Untersuchung spricht. Nach Aufstellung desselben dürfen wir daher die nächste Entwicklung d. h. die Auflösung jenes Widerspruchs in kurzer Form darbieten:

Ein Widerspruch läßt sich nur durch Distinktion [Unterscheidung - wp] lösen; in unserem Fall nur durch Distinktion zwischen  S,  sofern dieser Gedanke in sich ruht, - und zwischen  S,  sofern es zu einem von ihm unterscheidbaren  P  fortdrängt (ohne solche Unterscheidbarkeit wäre das Urteile eine alberne Tautologie). Dieses "Sofern" nötigt aber (so wie auch nichts verwehrt), als Voraussetzung des  P  (nicht einen völlig  ein fachen Gedankeninhalt, sondern) eine Gedanken- Mehr heit zu betrachten, so daß wir nun jeden dieser Gedanken in doppelter Weise fassen können - einmal: in Verbindung, zusammen mit den übrigen, dann aber auch: für sich, vereinzelt. Denken wir ihn vereinzelt, so hat es bei ihm sein Bewenden; hat es hierbei nicht sein Bewenden, so ist das durch seine Verbindung (Zusammenfassung) mit anderen motiviert.

Nennen wir diese ein System, den Inbegriff seiner (wenigne oder vielen) Glieder, ohne Rücksicht auf ihr  Zusammen,  seine  Materie,  - deren Verbindungsweise (Konstitution, Konstruktion) seine  Form.  Ein solches System ist somit als Grund des Prädikats zu betrachten, vom Subjekt aber im Allgemeinen unentschieden zu lassen, ob es nur einen Teil dieses Systems (einen Teil des vollständigen Grundes) oder das ganze bildet. Der erste Fall möchte als transitiver [auf ein Objekt übergehend - wp], und der Beziehungspunkt des logischen  S,  dessen Ergänzung zum vollständigen Prädikatsgrund, als logisches Objekt bezeichnet werden, - der zweite Fall als immanenter.

An und für sich ist kein Gedanke  S  oder  O  oder  P,  er wird dazu vermöge der erörterten Beziehungen.

Verschiedenen Prädikaten desselben  S  werden somit verschiedene Verbindungen, desselben oder in demselben, zugrunde liegen; jene folgen aus diesen. Die Folge  richtet  sich nach ihrem Grund (6),  entspricht  demselben;  P  entspricht dem  S,  dem es zugesprochen wird, sie stimmen zueinander;  P  spricht das Verhalten der den Grund bildenden Gedanken zueinander aus, ist der Ausdruck (Exponent) ihres Verhältnisses (vgl. die anfängliche Note zu § 5).

Wer sich des begründenden Gedankeninhalts vollständig und (durch fremdartige Einmengungen) ungetrübt bewußt ist, vollzieht auch die Folgerung; bliebe die Folge aus, so müßte auch an der Begründung nocht etwas mangeln. Die Evidenz in diesem Vollziehen, im Hervortreten des  P  aus seinem Grunde, ist jenes Positive, wo wir ein Urteil in nicht bloß indirekter Weise (§ 5) als wahr anerkennen. Das Vermissen  dieser  Positivität gehört ohne Zweifel unter die Antriebe, das Heil der Logik in jener Realität zu suchen, die wir in § 4 zurückwiesen.
    Anmerkung 1:  Wer etwa einwenden möchte, diese Zusammenfassung verschiedener Begriffe zum vollen Grund sei ja doch eigentlich nur eine Wiederholung desselben Rätsels, als welches der Zusammenhang zwischen  S  und  P  dargestellt worden, - den würden wir zu unserer Darstellung zurückweisen müssen; die den Grund konstituierenden Begriffe lassen sich auch jeder für sich denken, während das Prädikat nicht haltbar ist ohne Voraussetzung eines anderen Begriffes, unter dieser Voraussetzung aber mitgesetzt ist.

    Gegen sonstige, voreilende Anstände läßt sich hier, in dieser abstrakten Höhe, nur eine allgemeine Bemerkung aussprechen: den Zusammenhang des logischen Grundes mit seiner Folge einmal vorausgesetzt, versteht es sich von selbst, daß das Nachdenken nicht bloß von jenem zu dieser, sondern auch umgekehrt den Weg nehmen darf, sowie unter gewissen Bedingungen, auch von einer Folge zu einer anderen (7); da aber dem allen eben jener Zusammenhang vorausgesetzt ist, so bildet seine Erwägung die Stammbetrachtung in diesem ganzen Gebiet. -

    Die Untersuchung darüber, wie die Abhängigkeit des  P-Begriffes vom  S- Begriff zu denken sei, hat man auch deshalb übersprungen, weil der Syllogismus sich hierbei gar zu bequem anbietet; man schiebt rasch einen dritten Gedanken, den Terminus medius [Mittelbegriff - wp], dazwischen, durch diesen, werden sie ja wohl zusammengekittet sein! wenn er nur nicht, um dieses zu vermögen, auch seinerseits schon mit jedem der zu vermittelnden urteilsmäßig zusammenhängen müßte (Prämissen) ! Will man zu diesem Zweck ein Paar neuer Interpolationen ... ?

    Selbst HERBARTs Methodologie, obgleich sie der gegenwärtigen Untersuchung kaum ausweichen kann, eilt in ähnlicher Weise darüber hin (vgl. auch seine "Einleitung in die Philosophie", 4. Auflage, § 60, Ende der Anmerkung), indem sie, als Teil der allgemeinen Metaphysik, auf deren erste Probleme lossteuert.

    Anmerkung 2:  Die Verschiedenheit der Kopula kann eine verschiedene Art der Abhängigkeit des  P  vom  S  andeuten; die  Erörterung  jener gehört daher in die Untersuchung über die mögliche Verschiedenheit erwähnter Systeme.
§ 7. Es ist klar, daß sich hier die Frage nach  Axiomen  erhebt; wenn man nicht sämtliche ursprüngliche d. h. (§ 5 am Ende) nicht aus anderen entspringende Urteile so bezeichnen will, so bilden sie doch eine Klasse derselben.

Hier öffnet sich also ein, namentlich in neurer Zeit, die alles aus einem Punkt hervorquellen heißt, gar sehr brachliegendes Gebiet der Untersuchung, worüber wir uns jetzt nicht verbreiten können. Wer zunächst nur Beispiele wünscht, den erinnern wir an die ästhetischen Urteile im Sinne HERBARTs (worin Prädikate wie: schön, erhaben und ihre gegenteiligen zugesprochen werden), so wie auch an seine Metaphysik; - wer eine geometrische Gestalt denkt, dessen (die Begriff der die Gestalt bildenden Linien und ihrer Verhältnisse in sich schließende) Gedanke ist ein Beispiel für das was wir "System" genannt haben; - über alle Polemik hinausliegende Beispiele bietet die Mathematik dar, wo eine Zahl etwa als Summe oder als Produkt oder als Logarithmus ... aufgefaßt wird, im Verhältnis freilich zu verschiedenen anderen Zahlen; oder wenn eine Gerade, je nach ihren Beziehungen zu andern und anderen Elementen einer Konstruktion, als  S  für verschiedene Prädikate auftritt, bald als Diagonale bald als Radius, bald als Sinus ... Wenn möglich noch näher liegen Vergleichungsurteile, welche jeder immerfort fällt; ohnehin liegt in diesem Feld die Lehre von der  Abstraktion  (somit der Klassifikation und ihrer Gegenoperation, der Einteilung), welche wir nun, wie weit es hier nötig ist, auf die dargelegte Grundansicht bauen werden.

Begriffe (8) sollen zusammengefaßt werden, um dadurch Urteile zu motivieren, Prädikate zu begründen; auf den Inhalt der zusammengefaßten Begriffe soll es ankommen.  Verschieden  muß ihr Inhalt sein; sonst wären sie für die Logik nur gleichgültige Exemplare desselben Begriffes und könnten kein vom  S  unterscheidbares  P  begründen.  Bloße  Verschiedenheit jedoch würde deren Zusammenfassung zu einem leeren Wort machen; ihr Inhalt muß sie zur gegenseitigen Beziehung eignen; sie dürfen nicht  disparat  [getrennt - wp] (wie gelb, bitter, glatt, ...) sondern sollen eines Verhältnisses untereinander fähig sein. (9) Als Beispiele für eine derartige Beschaffenheit von Vorstellungen mögen verschiedene Farben, Gestalten usw. dienen. Solche Begriffe sind untereinander im  Gegensatz

Unter denjenigen entgegengesetzten Begriffen, deren jeder auch für sich (ohne Beziehung auf andere) denkbar ist, gibt es solche, daß für je zwei (sie mögen durch  a, e  bezeichnet werden) sich ein dritter (c) denken läßt, welcher zum ersten sich ebenso verhält wie er selbst zum zweiten; wir können  c  als  zwischen  (a und e)- liegenden bezeichnen; er bildet einen Übergang von  a  nach  e,  die aber auch ohne eine solche Vemittlung miteinander vergleichbar wären. Sie bilden eine  Reihe.  Da eine solche Interpolation [Ergänzung - wp] nun ebenso zwischen  a  und  c,  zwischen  c  und  e,  usw. denkbar sein soll, so gewinnt die Reihe  Kontinuität.  Die letzterwähnten Beispiele passen auch hierfür; ihren Gegensatz nennen wir den  konträren  im strengen Sinne. (10)

Durch jenes Interpolieren wird der Unterschied zwischen  a  und  e  kein anderer, wie sehr auch die Menge der Zwischenglieder wächst; Größe der Distanz (Länge der Reihe) und Dichtigkeit der Reihe!

Dieses "Zwischen" der Begriffe hat ohne Zweifel den Versuch mitveranlaßt, dem Gesetz des Widerspruchs das vorgebliche principium tertii intervenientis [Ausschluß eines vermittelnden Dritten- wp] entgegenzusetzen; er möchte daher unterblieben sein, wenn man die Logik mit der Lehre vom Urteil, wohin jenes Gesetz gehört, statt mit der vom Begriff begonnen hätte.
LITERATUR - Franz Lott, Zur Logik, Göttingen 1845
    Anmerkungen
    1) vom problematischen Urteil später (§ 17)
    2) vom sogenannten Existentialsatz später (§ 16)
    3) Pocht man dagegen etwa auch hier darauf, daß eine "höhere" Wirklichkeit gemeint sei? Wolle man's doch endlich merken, daß das Wort "höhere" für die Logik solange gar nicht als eine leere Stelle bezeichnet wie lang das "Wahr" unbestimmt bleibt; in der Wahrheit findet das Denken seine Höhe. (§19)
    4) Wir zeigen (nach HERBARTs Nominaldefinition) "Verstand", sofern wir unabhängig von Gemütsbewegungen ... unsere Gedanken gemäß der Beschaffenheit des Gedachten verknüpfen oder scheiden.
    5) Übrigens finden etwaige Bedenklichkeiten über diesen Punkt im Folgenden, unter anderem in § 16 und 23, Berücksichtigung.
    6) "Richtiges" Denken.
    7) Beiläufig sei hier erwähnt, daß namentlich auf diese Wahl zwischen Vor- Rück- und Seitwärts in der Gedankenbewegung derjenige zu achten hat, welcher die Möglichkeit mannigfaltiger Beweise desselben Satzes erforschen will. (§ 12)
    8) Man möge nicht vergessen, daß wir uns gegen jede Beengung im Gebrauch dieses Wortes verwahrten.
    9) Auf diesen Punkt würde wohl zuletzt die Untersuchung der Sinnlosigkeit gewisser Fragen - siehe den in § 5 erwähnten Einwurf - zurückführen.
    10) Ob nicht  alle  jene gegensätzlichen Begriffe, deren jeder auch für sich denkbar ist, konträre sind?