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REINHOLD HOPPE
Über die Bedeutung der
psychologischen Begriffsanalyse

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"In dem erfolglosen Streben, die Mathematik zur Universalmethode zu machen, die allgemeinen Denkgesetze ihr unterzuordnen, und aus diesen die Naturgesetze abzuleiten, vergingen mehr als tausend Jahre. Heutzutage stehen wir auf einem gleichen Punkt, indem es sich um die Methode der Psychologie handelt, und nochmals wird dasselbe erfolglose Spiel begonnen: man erwartet von der Methode der Naturwissenschaft dieselben Wirkungen für die Erkenntnis der Seele, wie sie sich in ihrem eigenen Bereich bewährt hat; man verlangt als Bedingung der Erkenntnis, daß sich der neue Gegenstand den alten wissenschaftlichen Begriffen fügen soll."

"Das erste Geschäft der Philosophie ist die Orientierung im Gegebenen und die Fixierung von dessen Merkzeichen, welche der Beobachtung des Gegenstandes entsprechen müssen. Sie ist das rationale Zuwerkegehen gegenüber dem vulgären, aber ungenügenden, welches des vorgefundenen Stoff nur bereit liegenden Begriffen unterzuordnen sucht."

Die Untersuchung des Ursprungs eines Begriffs in der Geschichte der geistigen Entwicklung der Menschen nenne ich die psychologische Analyse desselben. Aus ihr geht hervor einerseits der rein gegebene, erkenntnislose, der Erkenntnis bedürftige Gegenstand des Begriffs, die Tatsache, andererseits das Werk des Geistes, welches ihm die vorgefundene Gestalt erteilt hat, die intellektuelle Genesis. Den Zweck der gegenwärtigen Abhandlung fasse ich in folgende zwei Thesen zusammen:
    1) Die psychologische Analyse der Urbegriffe ist eine notwendige Erfordernis jeder streng wissenschaftlichen Logik.

    2) Alle Widersprüche und Konflikte, welche die allseitig befriedigende Grundlegung der Philosophie bisher verhindert haben, beruhen auf nachweisbaren logischen Fehlern und sind für eine auf die psychologische Analyse gegründete Logik nicht vorhanden.
Im ersten Abschnitt werden ich die Gesichtspunkte darlegen, welche ich bei der beabsichtigten *voraussetzungslosen Grundlegung der Philosophie als maßgebend betrachte, im zweiten die Fehler ans Licht ziehen, welche am bisherigen Mißlingen schuld waren, und den Erfolg davon zeigen.


Erster Abschnitt
ERFORDERNISSE DER ANALYSE

Über Begriffsbestimmung. Die Definition oder Begrenzung der Begriffe kann wegen folgender wesentlicher Mängel nicht das ausschließliche Mittel zu ihrer Bestimmung und Überlieferung sein.
    1) Die Definition jedes Begriffs setzt notwendigerweise eine Anzahl anderer als feststehend voraus, borgt also nur das, was sie geben soll, unvermögend es zu schaffen, und ist insofern auf Urbegriffe nicht anwendbar.

    2) Grenzen können keinen Inhalt darstellen, wenn sie nicht auf festem Boden verzeichnet werden, gleichwie eine geschlossene Linie im leeren Raum kein Feld markiert. Sobald daher die intellektuelle Grundlage fehlt oder zweifelhaft ist, vermag die Definition nichts.

    3) Die Definition setzt, oft gegen die Natur der Begriffe, eine konstantes Verhalten derselben voraus.

    4) Sie unterscheidet nicht die notwendigen von den willkürlich gebildeten Begriffen.
Die Definition erscheint leicht als die einzig mögliche Art der Begriffsbestimmung, teils weil die prinzipiell fertig gegründeten Wissenschaften keine andere kennen, teils weil man Forderungen polemischer Dialektik in die Logik der Forschung einmischt und überflüssigerweise für eine Versperrung jedes Abwegs sorgen zu müssen glaubt, wo es sich doch nur darum handelt, den rechten Weg genügend kenntlich zu machen.

Damit das Verfahren allseitig genügt, muß es aus der Beobachtung der Natur der Begriffe hervorgehen. Ich werde zunächst die Punkte, welche ich für maßgebend halte, übersichtlich zusammenstellen, um sie später an den einzelnen Urbegriffen nachzuweisen.

Jeder notwendige Begriff entspricht einem durch Tatsachen auferlegten intellektuellen Bedürfnis, das bei nicht reifem Bewußtsein einen Zweck vertritt, zum Bewußtsein gezogen als Zweck erscheint, und welches die treibende Idee des Begriffs genannt werden kann.

Die Begriffe können im Allgemeinen nicht auf die Tatsachen beschränkt bleiben, welche sie hervorgerufen haben: sie erweitern sich mehr und mehr bei fortschreitender Erkenntnis. Anfänglich bei instinktiver Anwendung werden sie dadurch oft bis zur Unkenntlichkeit verwandelt; bei gereifter Erkenntnis ist die Veränderung kaum merklich im Vergleich mit dem bleibenden Inhalt.

Unter den Erweiterungen lassen sich graduelle Unterschiede wahrnehmen, je nachdem sie mehr oder weniger notwendig sind. Durch dichterische Kombinationen werden Erweiterungen geschaffen, welche, nicht für die Dauer bestimmt, doch Dauer erlangen können, manchmal zugleich intellektuellen Bedürfnissen dienen, oft aber auch willkürlich sind. Notwendig wiederum können Erweiterungen sein für die gesamte Realisierung der treibenden Idee oder für partielle Zwecke.

Einschränkungen der Begriffe werden sowohl von den Wissenschaften, als auch von der Praxis des gemeinen Denkens vollzogen. Beide schneiden den anfänglichen Entwicklungsgang der Begriffe, welcher die stärksten Veränderungen enthält, ab. Für die Fachwissenschaften wird derselbe ersetzt durch ihre eigenen Prinzipien. Sie nehmen den Begriff in einem bestimmten Zustand auf und gestatten nur Erweiterungen infolge ihrer eigenen Erkenntnisse unter eigener Kontrolle. Im gemeinen Denken fällt die ursprüngliche Form der Begriffe von selbst weg, weil sie aus der Übung kommt. Die neue Form verdrängt die alte, was nur ein Zeichen der Erfüllung des Bedürfnisses ist.

Umfassende Begriffe gelangen oft entstellt und verkümmert zur Aufnahme, wenn ihr geschichtliches Auftreten mit Hemmnissen und Verirrungen verbunden ist. Dies gibt sich daran zu erkennen, daß Mängel und negative Merkmale als bestimmend für Begriffe erscheinen, die einen spezifischen Inhalt haben.

Die genannten Umstände muß nun die Philosophie in ihrer Stellung zu den Begriffen berücksichtigen. Sie würde ihrer umfassenden Aufgabe nicht genügen können, wenn sie das Verfahren der Fachwissenschaften befolgte, welches nur auf eine Geltung der Begriffe innerhalb ihrer Grenzen berechnet ist. Sie kann auch nicht die ursprüngliche Form der Begriffe festhalten, weil sie damit ihre Anwendung vernichten würde. Sie muß vielmehr jeden Begriff in seiner ganzen organischen Entwicklung auffassen.

Was, gleich der Seele eines Organismus, die Identität des Begriffs bei aller Verwandlung begründet, ist die treibende Idee, die sich wiederum zum Nachweis ihrer Berechtigung auf gegebene Tatsachen stützt. Es ist das erste und Hauptgeschäft der Begriffsbestimmung, die Tatsachen und die treibende Idee aufzufinden und zum Zweck der Überlieferung zu kennzeichnen. Hierzu müssen alle Mittel aufgeboten werden; was nicht erreicht wird, bleibt ein unersetzlicher Mangel. Man darf daher nicht fordern, daß es in Kürze oder nach einem Schema geschehen soll; es würde sonst die Durchführung leicht als unmöglich erscheinen.

Eine Überlieferung intellektueller Gegenstände im gewöhnlichen Sinne erspart dem Aufnehmenden die Arbeit des Auffindens und gibt ihm fertige Resultate. Diese leichtere Didaktik ist hier nicht anwendbar. Reine Tatsachen können nur sehr wenige unmittelbar überliefert werden; ihre Auffindung bleibt notwendigerweise der Selbsttätigkeit des Aufnehmenden überlassen. Denn die Sprache bedarf des Allgemeinen zum Ausdruck des Individuellen. Sie muß die Tatsachen erst mittels vielfacher Kombinationen und Transformationen zu umfassenden Vorstellungen gestalten, die den verschiedenen Menschen dauernd gemeinsam sind oder werden können. Nur mit den Ergebnissen dieser Umgestaltung wird aller Verkehr vollzogen.

Die Ausscheidung der reinen Tatsachen aus allen Vorstellungen ist eine Tätigkeit, zu deren Übung weder die Praxis des gemeinen Lebens noch die Fachwissenschaften Veranlassung bieten, die daher eine ausschließlich philosophische bleibt. Sie ist das Postulat der elementaren Logik gleich dem Linienziehen in der Geometrie; denn sie kann nicht ein für allemal vollzogen werden, sondern muß wie Sehen und Hören sich beständig erneuern. Bei einer Beschränkung auf Tatsachen ist Denken und Reden unmöglich; man muß bei jedem Weitergehen von ihnen stets zu den transformierten Vorstellungen zurückkehren.

Die Begriffsbestimmung im Einzelnen setzt diese im Allgemeinen zu erwerbende Fähigkeit eines Übergehens von Vorstellungen auf Tatsachen und wieder zurück bei Allen, die davon Kenntnis nehmen sollen, voraus, und ist darauf gerichtet, diese zu bewußten Teilnehmern der treibenden Idee zu machen. Ist nun letztere überhaupt erst halb entwickelt, und von der zukünftigen Weltgeschichte noch zur Reife zu bringen, oder ist sie eine Folge besonderer Studien, folglich nicht jedermann dabei beteiligt, so kommen Erfordernisse hinzu, die sich nich in der Kürze angeben lassen. Beide Fälle liegen bei einer Bestimmung der Urbegriffe nicht vor. Sofern sie eine Bedingung allen Verkehrs sind, müssen sie von allen Menschen mit gleichem Ergebnis ausgebildet sein, ihren nächsten Zweck vollständig erreicht haben, und die treibende Idee muß auf dieses selbe Ende gerichtet gewesen sein. Es bedarf daher nur des Hinweises auf Geschehenes.

Übereinstimmung in den Tatsachen wird nie gefordert. Soviel unter ihnen auch Ähnlichkeiten stattfinden, so können doch sehr verschiedene dasselbe Bedürfnis hervorrufen, und dessen Erfüllung allein derselben Weise umfassen.

Ist durch die treibende Idee die Identität des Begriffs festgestellt, und jeder Verwechslung und Unterschiebung wesentlich abweichender Begriffe vorgebeugt, so bleibt noch übrig über die Ausdehnung zu verfügen. Je nach der Anwendung, welche man von ihm machen will, hat man diejenigen Zweige der Entwicklung abzuschneiden, welche dem Verständnis hinderlich sein würden. Dieser nachträgliche Akt der Definition ist, sofern er an einem positiv vorliegenden Inhalt bloß negierend vollzogen wird, immerhin leicht zu einem vorübergehenden Zweck herzustellen.

Die vorstehenden Andeutungen schienen mir nötig, um das im Folgenden beobachtete Verfahren zu motivieren. Ich gehe nun zur Bestimmung dreier Begriffe über, welche mit der Gesamtstellung der Philosophie im engsten Zusammenhang stehen.

Tatsache, glauben, erkennen. Das Wort "Tatsache" kommt der Philosophie dadurch sehr zustatten, daß es bei aller Dehnung des Gebrauchs den Grundgedanken bewahrt hat, und eine Verbindung von den entwickeltsten Begriffen und Vorstellungen bis zur ihren dunkelsten Anfängen hin bildet. Weicht auch die Bezeichnung als Tatsache absolut vom strengen Sinn weit ab, so gibt sich doch im Gegensatz immer deutlich dieselbe Tendenz zu erkennen.

Die Tatsache ist, was sie ist, nicht erst durch Auffassung und Urteil, sondern bleibt es trotz jeder geistigen Aktion.

Der natürliche Gegensatz zwischen Tatsache und Auffassung bleibt auch im abschweifenden Gebrauch noch in Geltung, welcher selbst theoretische Sätze Tatsachen nennt; denn das, was ihnen gegenüber nicht Tatsache sein soll, ist die Betrachtungsweise, die der unanfechtbare Satz frei läßt.

Während nun der Sprachgebrauch, indem er Berichte von Tatsachen und Urteilen über sie selbst Tatsachen nennt, den spezifischen Unterschied vielfach außer Augen setzt, und nur relativ festhält, so haben wir jetzt letzteren in voller Strenge durchzuführen. Diese Reinigungsoperation darf man nicht als eine Kultivierung des Begriffs ansehen. Wenn beiläufig dadurch Irrtümer und Ungenauigkeiten abgestreift werden, so ist dies nur eine sekundäre Folge. Der Akt in seinem eigentlichen Sinn besteht darin, daß ich die Kultivierung, welche der Begriff auf dem Weg der Erkenntnis gewonnen hat, rückgängig mache, um hernach den ganzen Entwicklungsgang auffassen zu können.

Streift man nun von Bericht und Urteil, Begriff und Vorstellung, überhaupt von allen Gegenständen des Denkens alle freie Zutat des Geistes ab, so bleibt nur die Tatsache, was und solange es erlebt wird. Jede reine Tatsache ist demnach das Erlebnis einer Person, und wiederholte Erlebnisse gleicher Art, so wie Erlebnisse verschiedener Personen sind immer verschiedene gesonderte Tatsachen, weil jede Verbindung zwischen ihnen nicht zur Tatsache gehört. Die Person ist jedoch eins mit der Tatsache und erst, indem sie eine Tatsache in Verbindung mit gleichzeitig erlebten neuen Tatsachen auffaßt, scheidet sich das Ich als Gemeinsames aus. Es entsteht durch das Zusammenwachsen von Tatsachen.

Diejenigen Beispiele reiner Tatsachen, welche sich in ihrer Eigenschaft am deutlichsten darstellen, weil sie am wenigsten Verbindungen eingehen, sind Schmerz und Lust; diejenigen, welche durch ihre Verbindungen am fruchtreichsten für Begriffe und Vorstellungen sind, darum aber auch der Scheidung den größten Widerstand entgegensetzen, sind die Sinnesempfindungen, namentlich die des Gesichts, Gehörs und des Tastsinns.

Die reine Darstellung der Tatsachen ist eine Vergegenwärtigung der Eindrücke in ihrer ganzen unmittelbaren Qualität, wobei jede vergleichende und einordnende Frage wegfallen muß. Die Deutlichkeit des Eindrucks ist nicht ein und dasselbe mit der Distinktion [Bestimmung - wp] der Auffassung: bei jener verhalten wir uns passiv, bei dieser machen wir uns etwas dauernd zu eigen. Da wir nun zur Beobachtung einer solchen auffassenden Tätigkeit bedürfen, so muß der Auffassung die Zumutung gemacht werden, ihre eigene Tätigkeit wahrzunehmen und nicht mit zum beobachteten Gegenstand zu rechnen. Die Erwerbung der Fähigkeit des Ausscheidens der Tatsachen, von der oben die Rede war, beruth demnach hauptsächlich auf einer Kenntnisnahme dessen, was zur Auffassung gehört, um es nicht mit dem Aufgefaßten zu verwechseln.

Der Begriff der Tatsache in seiner Beschränkung auf reine ist unbrauchbar, weil er nur Tatsachen der Gegenwart kennt, letztere aber bei der Auffassung aufhört, Gegenwart zu sein. Folgende notwendige Erweiterungen befähigen ihne erst für die Praxis.

Zunächst müssen Reproduktionen der Tatsachen in der Betrachtung die Stelle der erlebten vertreten und mit den gleichzeitig eintretenden gleich gerechnet werden. Ferner müssen um des Verkehrs willen die von den anderen Personen erlebten Tatsachen als gleichartige in den Begriff aufgenommen werden. Drittens müssen, wie später gezeigt werden soll, zur Herstellung der Objektivität die wirklichen Tatsachen durch hypothetische ergänzt werden. Unter ihnen bilden dann bestimmte unter unbestimmten Umständen die Tatsachen der Zukunft.

Die Tatsachen sind demnach teils unmittelbar und gleichzeitig erlebte, teils reproduzierte, teils überlieferte, teils erwartete; und ihnen sind in mancher Beziehung die hypothetischen koordiniert. Immer aber bildet das Erlebtwerden den Mittelpunkt und das Kriterium des Begriffs.

Eine Nachbildung unter den Begriff der Tatsache aufnehmen, heißt glauben. Der Begriff des Glaubens erweitert sich daher mit dem der Tatsache. Es ist wesentlich für den Begriff, daß jede Tatsache einzeln für sich geglaubt wird; ihre Verbindungen gehen den Glauben nichts an.

Aus dem Zustand des passiven Erlebens unzähliger einzelner wechselnder Tatsachen heraus strebt nun der Geist einen Zustand zu erlangen, in welchem er dieselben einschließlich der geglaubten und erwarteten dauernd vereinigt umfaßt. Alle auf ein solches Endziel gerichtete Tätigkeit heißt Erkenntnis. Die Form der gesuchten Einheit kann in keiner Weise im Voraus festgestellt werden. Nur mit Vorbehalt läßt sich der erstrebte Zustand eine Herrschaft über die Tatsachen nennen: Einesteils nämlich ist die Mitbestimmung derselben im Handeln als beschränkt auf die Gegenwart völlig davon ausgeschlossen, so daß die Erkenntnis nur in Nachbildungen geübt werden kann. Andernteils kann und muß die Einheit mit Umgehung jeder Herrschaft erstrebt werden, wo die Tatsachen aus der Willensfreiheit entspringen.

Das Resultat der Erkenntnis, sofern sie in größerem oder geringerem Umfang zu einem Abschluß gelangt ist, ist das Wissen.

Ideen, welche erst Erzeugnisse, dann Mittel der Erkenntnis sind, heißen objektiv, sobald sie, ohne Einbuße ihrer Bestimmung für Tatsachen, Dauer und Gemeinsamkeit für alle Menschen erlangt haben.

Glauben und Wissen sind zwei durchaus heterogene, nicht graduell verschiedene Begriffe: der Glaube ist immer absolut und beschränkt sich auf die einzelne Tatsache; das Wissen ist immer relativ und hat es nur mit der Verbindung von Tatsachen zu tun. Folgende drei Beziehungen jedoch verflechten sie im wirklichen Auftreten miteinander:
    1) Der Glaube schafft und begründet die Fragen, welche das Wissen erledigt.

    2) Der Glaube muß die Form des Wissens annehmen, um mitgeteilt zu werden.

    3) Der Glaube geht oft aus dem Wissen hervor.
Namentlich ist es die zweite Beziehung, welche die Verwechslung herbeizuführen pflegt.

Leben und Erkenntnis. Zur Entwicklung des Begriffs der Erkenntnis ist es nötig, ihre Bedeutung für das Leben näher zu betrachten; doch soll auch dies hier nur zur Übersicht, zur Motivierung und leichteren Bezeichnung für das Spätere geschehen.

Im Ganzen würde man die Stellung der Erkenntnis zum Leben folgendermaßen ausdrücken können: Das Leben geht von Tatsachen zu Tatsachen durch das Medium der Objektivität, mit welchem der erkennende Geist dieselben umgibt, um sie überschauend zu beherrschen und mitzubestimmen.

Dieser Satz gründet sich auf eine wesentlich neue Disjunktion [Unterscheidung - wp]; denn eine prinzipielle Trennung und Entgegensetzung der Tatsächlichkeit und Objektivität ist der gewöhnlichen Betrachtungsweise durchaus fremd. Die objektive Gültigkeit ist nach ihr nicht nur Ziel der Erkenntnis, sondern vorausgehende Bedingung, damit etwas der Erkenntnis würdig ist; darum wird das Tatsächliche nur, sofern es objektiv ist, als Tatsächliches anerkannt. Diese ursprüngliche Bevorzugung ist aber ein Fehler. Die Wertschätzung muß erst der unparteiischen Prüfung folgen und darf nicht in die ersten Untersuchungen eingemischt werden.

Das unmittelbar Tatsächliche und das Objektive sind zwei deutlich zu trennende Elemente des Lebens, die aber fast nie nebeneinander als gleich und gleich auftreten, sondern in verschiedenen Funktionen wechselseitig übereinander dominieren. Der tätige, strebende Geist verweilt beständig und mit ungeteiltem Interesse im objektiven Element. Das vorübergehende individuell Tatsächliche braucht ihn nicht zu beschäftigen, weil es in der Objektivität zum dauernden Ganzen verbunden ist. Allein eine Rückkehr zu den Tatsachen ist unausbleiblich: sie tritt bei jedem Abschluß der Tätigkeit ein; jede Kette von Zwecken endet in Tatsachen, und den Tatsachen kommt die höchste Entscheidung zu über die objektive Erkenntnis, die bestimmt war, über sie zu herrschen, es aber nur in der Voraussicht kann, daß der Richterspruch günstig ausfällt. Während der Wert der individuellen Tatsachen gegen den der umfassenden Objektivität zu verschwinden scheint, wird doch der letztere durch den Wegfall der Tatsachen ganz vernichtet und besteht nur aufgrund des Zusammenhangs mit ihnen. Die Tatsachen gleichen in diesem Punkt einem hinterlegten ungeprägten Metall, das nicht kursieren kann, die Objektivität den dafür eingetauschten Scheinen, mit denen aller Handel vollzogen wird. Von ersterem ist nie die Rede, und doch ist der ganze Wert des Papiers durch sein Dasein und den Anspruch darauf bedingt.

Das genannte Verhältnis erklärt einerseits leicht, warum man geneigt ist, mit einer Übergehung des Individuellen das objektive Element allein anzuerkennen; andererseits tritt durch die Betrachtung die damit begangene Einseitigkeit zutage. Die objektive Erkenntnis bleibt beim höchsten Wert, den sie erlangen kann, doch nur Mittel zum Zweck.

Auf der Erfüllung ihrer Bestimmung beruth ihre Rechtfertigung. Könnte sie nun diese auf verschiedenen Wegen erreichen, gäbe es also verschiedene Systeme von Wissen, deren eins so gut wie das andere dieselben Tatsachen umfaßt, so würde jedes gerechtfertigt sein. Es existiert aber die durch immer neue Erfahrung bestätigte und durch keine entgegenstehende widerlegte Überzeugung, daß im Ganzen wie im Einzelnen nur eine Art des Wissens und in allen Stücken eine möglich ist.

Dieser Umstand stellt die Richtigkeit des Wissens auf eine gleiche Linie mit der Wahrheit, d. h. Übereinstimmung der freien Ideenbildung mit der Tatsache. Er erweckt und befestigt die Vorstellung, als sei das Resultat der Erkenntnis schon vor der Erkenntnis unbekannterweise vorhanden, gleichwie die Tatsache für den, der sie denkt, ohne sie selbst erlebt zu haben. Es bedarf daher einiger Aufmerksamkeit, um beide Begriffe vor der Vermischung zu bewahren.

Beide stimmen in einem bedingenden Merkmal der Gewißheit überein. Wir halten an der Tatsache wie an jeder Theorie umso fester, je höher für uns ihr Wert und je geringer der Wert des Zweifels ist. Jener wie dieser können steigen und sinken; es gibt aber einen dauernden Grund des beständig steigenden Werts, welcher unmittelbar für das Wissen, erst entlehnend für den Glauben Bedeutung hat. Die Resultate der Erkenntnis werden nämlich wieder Werkzeuge zu ihrer Fortbildung. Jeder Gewinn nun, der aus ihrer Anwendung entspringt und der in unzähligen Tatsachen als eingeerntet fortdauert, fügt sich zum Wert des Wissens hinzu.

Dieser Grund der theoretischen Gewißheit ist stärker als irgendein anderer. Die Gewißheit des Wissens beruth demnach vor allem auf seiner Fruchtbarkeit und wird, sobald erst diese genügend zutage tritt, unabhängig vom Weg der Erkenntnis, welcher mit den ungewissesten Versuchen begonnen haben kann. Nur solange die Fruchtbarkeit in suspenso [strittig - wp] ist, treten andere Gründe der Gewißheit in Geltung. Es muß alsdann ein Wissen auf das andere gestützt, die Gewißheit des neuen von der des alten geborgt werden. Dieses Mittel ist zwar das leichteste, schnellste und vollkommenste, wo es angewandt werden kann; doch reicht die Anwendbarkeit nicht weit. Es ist ferner das bekannteste, weil es wegen der augenblicklichen Wirkung der Beobachtung am nächsten liegt, aber nicht ausreichend, daraus das Verhältnis der Gewißheit zur Erkenntnis im Ganzen zu entnehmen. Die zuerst genannte Bedingung der Gewißheit, welche nicht augenblicklich herbeigeführt werden kann, sondern erwartet werden muß, zeigt, daß die Gewißheit zur fortschreitenden Erkenntnis nicht notwendig, aber eine unausbleibliche, wenngleich oft späte Folge ihrer Richtigkeit ist. Es würde sogar, wenn man nur überhaupt eine Frage darüber zulassen wollte, sogleich deutlich sein, daß die Gewißheit zum Fortschritt gar nichts beiträgt, sonern nur dem Suchenden Mut und Hoffnung gibt, die andernfalls auch die Not ersetzen kann. Der Gedanke, daß irgendwo eine Sache sein könnte, reicht zum Suchen aus; letzteres aber, wenn es am bestimmten Ort stattfindet, kann durch die vorausgehende Gewißheit nicht erfolgreicher werden.

Um der Natur der Erkenntnis im Allgemeinen etwas näher zu treten, betrachten wir noch das Nacheinander ihrer Entwicklung und das Nebeneinander ihrer Verzweigung. Der Anfang der Erkenntnis ist immer ein instinktiver, weil ohne Erkenntnis keine Willenstätigkeit möglich ist. So wenig sich nun auch eine Grenze angeben läßt, wo der Instinkt aufhört und der Wille anfängt, so ist doch das Gesamtresultat der instinktiven Erkenntnis ein sehr bestimmtes, abgeschlossenes und zur Vollkommenheit gediehenes. Die variable Vielheit von sinnlichen Tatsachen der einzelnen Seelen hat sich darin bereits zu einer dauernden und gemeinsamen Vielheit von Dingen gestaltet, und in den Beziehungen des Raums und der Zeit ist für die Vielheit schon die Einheit gewonnen; sie ist in eine objektive Gesamtvorstellung übergegangen, welche für alle Folgezeit wesentlich dieselbe bleibt, und die Grundlage der Auffassung aller später erlebten Tatsachen bildet. Dieser Teil der Erkenntnis, die Erwerbung der gemeinen Vorstellung, ist es, worauf ich im gegenwärtigen Aufsatz die Aufmerksamkeit lenke.

Den Übergang von der instinktiven zur bewußten Erkenntnis bildet die Sprache. Die Objektivität der Vorstellungen und Begriffe ist ihre vorausgehende Bedingung, und sie wiederum ist die Bedingung des bewußten Fortschritts der Erkenntnis, sofern sie die Bewahrung des Wissens möglich macht. Mit ihr geht überdies die Fortentwicklung vom Individuum auf das Menschengeschlecht über.

Es ist der beständige Akt der bewußten Erkenntnis, in der Variabilität das Konstante zu suchen, und die Vielheit auf die Einheit zurückzuführen. Der Fortschritt hierin ist ein extensiver und ein intensiver. Ersterer besteht in der immer weiteren Anwendung der Mittel, welche sich erfolgreich gezeigt haben, letzterer in der Gewinnung neuer Prinzipien aus den Resultaten der abgeschlossenen Erkenntnis. Die Geschichte der Wissenschaften zeigt, daß Prinzip und Methode nie im Ganzen, sondern immer durch Beschränkung gefunden werden.

Unter der größtmöglichen Beschränkung der Variabilität, nämlich auf die rein quantitative, wurde die erste erfolgreiche Methode entdeckt, die der Mathematik. In dem erfolglosen Streben, sie zur Universalmethode zu machen, die allgemeinen Denkgesetze ihr unterzuordnen, und aus diesen die Naturgesetze abzuleiten, vergingen mehr als tausend Jahre, bis abermals unter einer festen Beschränkung, nämlich auf die unter strenger Kausalität stehenden Erscheinungen, die für die Naturerkenntnis geeignete Methode (Hypothese, Theorie, Experiment) und wieder mit dem besten Erfolg entdeckt wurde. Heutzutage stehen wir auf einem gleichen Punkt, indem es sich um die Methode der Psychologie handelt, und nochmals wird dasselbe erfolglose Spiel begonnen: man erwartet von der Methode der Naturwissenschaft dieselben Wirkungen für die Erkenntnis der Seele, wie sie sich in ihrem eigenen Bereich bewährt hat; man verlangt als Bedingung der Erkenntnis, daß sich der neue Gegenstand den alten wissenschaftlichen Begriffen fügen soll.

Ich erwähne den wiederholten Fehler nur, um durch den Gegensatz die Lehre zu verdeutlichen, welche der historische Verlauf darbietet. Die Methode läßt sich nicht von einem Gegenstand auf einen heterogenen übertragen; sie muß dem Gegenstand durch eine Beobachtung seiner besonderen Natur abgelernt werden. Aber bei jedem neuen Fortschritt kommen Methode, Resultate und Prinzipien der früher entdeckten Zweige wieder als Mittel in Anwendung, wie die Mathematik in der physikalischen Theorie, und Mathematik und Physik voraussichtlich in der Psychologie.

Weil nun Prinzip und Methode nur unter der Beschränkung des Gegenstandes unveränderlich sein können, so kann eine Wissenschaft, die auf feste Prinzipien und Methoden gegründet ist, nur bestimmte Zweige der Erkenntnis umfassen. So hat sich dann in der Tat eine größere Anzahl von Fachwissenschaften gebildet, die als Abzweigungen einer Gesamtwissenschaft, der Philosophie, anzusehen sind. Den Fachwissenschaften gegenüber ist die Stellung und Charakteristik der Philosophie, sowohl nach der tatsächlichen Gestaltung als auch nach Maßgabe des genannten Verhältnisses eine fast diametral verschiedene von der, welche ihr die gewöhnliche, größtenteils auf Vorurteilen beruhende Auffassung gibt. Als Gesamtwissenschaft muß sie kompetent für alle Erkenntnis sein und darf keine Frage als außerhalb ihrer Grenzen liegend abweisen. Ihr Anfang kann in keinem Punkt auf Prinzip oder Voraussetzung basiert sein, weil sie dadurch die gegebene Wirklichkeit beiseite schieben würde. Andererseits darf ihr keine beschränkende Forderung in Bezug auf die Mittel gemacht werden. Es gibt keine spezifisch philosophische Methode. Die Methode wird durch die Natur des Gegenstandes gefordert. Es ist mit ihrer Aufgabe nicht vereinbar, gleich der Mathematik in definitiven Sätzen fortzuschreiten, vielmehr ist sie mehr als jede Fachwissenschaft auf einen allmählich bessernden Fortschritt angewiesen. Das erste Geschäft der Philosophie ist die Orientierung im Gegebenen und die Fixierung von dessen Merkzeichen, welche der Beobachtung des Gegenstandes entsprechen müssen. Sie ist das rationale Zuwerkegehen gegenüber dem vulgären, aber ungenügenden, welches des vorgefundenen Stoff nur bereit liegenden Begriffen unterzuordnen sucht. Sie widerlegt das Vorurteil, daß ohne Voraussetzung ein Anfang der Erkenntnis unmöglich ist. Ein zweites Vorurteil, welches die Sicherstellung des Wissens für bedingt durch die Methode der Forschung hält, veranlaßt mich, die Frage zu erledigen, worauf überhaupt die Gewißheit beruth.
    1) Es sei eine Anordnung gefunden, welche in allen Beziehungen befriedigt. Dann wäre es der erste Fall in der Geschichte der Wissenschaften, wenn neben ihr noch eine andere bestände, gesucht oder vermutet würde. Im Gegenteil hat sich stets alles Streben einer Ansicht zugewandt; noch ehe die Befriedigung eine allseitige war. Es wurde auf jeder Seite noch viel vermißt, wenn ein Zweifel Platz gefunden hat.

    2) Die Anordnung sei in manchen Beziehungen mangelhaft oder noch nicht geprüft, es sei aber die Richtung klar, in welcher man sie verbessern könnte. Dann bedarf es offenbar keiner Sicherheit über das Endziel, um in dieser Richtung fortzuarbeiten.

    3) Die Richtung werde zweifelhaft, indem sich zu viele Möglichkeiten darstellen. Dann erst treten die Argumente in Geltung, welche man häufig gleich von Anfang und auf jedem Schritt fordern möchte. Es ist aber nur ihre Bestimmung, auf den zweiten Fall zurückzuführen. Der Beweis hat (unbeschadet seiner definitiven Kraft unter bestimmten Bedingungen) hier, wo es sich um eine Anbahnung der Erkenntnis handelt, wo der Irrtum allein durch Zeit und Mühe gebüßt wird, keine andere als eine ökonomische Sicherheit zu gewähren.
Die Sicherheit der abgeschlossenen Erkenntnis liegt in ihrer Zweckerfüllung und wird gewährleistet durch ein System des Wissens, das auf ihr ruht, oder wovon sie ein notwendiges Glied ist. Jede vorausgehende Sorge um die Gewißheit des Ganzen ist stets überflüssig; denn, solange es Zweifeln Raum läßt, gibt es noch Arbeit im Innern. Sobald die Fragen "Ob" und "Warum" Schwierigkeiten machen, ist die unzureichend geprüfte Frage "Was" ist der Grund und muß vor jeder anderen in Angriff genommen werden.

Analyse der Grundbegriffe. Die Urbegriffe ergeben sich aus dem Vergleich der allem Denken und der Sprache zugrunde liegenden gemeinen Vorstellung mit den gegebenen Tatsachen. Die gemeine Vorstellung kann als abgeschlossen betrachtet werden, sobald die Ideen Objektivität erlangt haben. Die Sprache fordert darüber hinaus die Ideen der Gattung und der Zahl. Sofern das Individuum nicht erst durch die Gattung objektiv wird, brauchen Gattung und Zahl nicht als Urbegriffe behandelt zu werden. Die Benennung der Gattung gilt demgemäß hier bloß als Hinweis auf das Individuum. In gleicher Weise sind die im Folgenden gebrauchten allgemeinen und abstrakten Bezeichnungen nichts weiter als Mittel zum Hinweis auf das entsprechende Spezielle und Konkrete.

Nach der gemeinen Vorstellung besteht die Welt aus sinnlichen Substanzen in einem alles umfassenden Raum und lebenden Wesen, welche einerseits durch den Leib zu jenen gehören, andererseits durch die Seele eine nicht räumliche Existenz haben. An beide sind wieder als Akzidenzen Vorgänge in einer gemeinsamen Zeit geknüpft, welche in einer ursächlichen Verbindung miteinander stehen. Die Substanzen, einschließlich der lebenden Wesen, und der Raum sind ansich dauernd und gemeinsam, die Akzidenzen erlangen die Dauer durch die Reduktion auf Eigenschaften; die Zeitidee besitzt sie als unterschiedslose Ausdehnung. In der gemeinen Vorstellung werden demnach als objektive Ideen die der Substanz, der Kausalität, des Raumes, der Zeit und des Leibes vorgefunden.

Bei der Substanz ist als wesentlich ihre Identität für alle Zeiten, ihre Unabhängigkeit vom wahrnehmenden Subjekt und ihre Wirklichkeit zu beachten.

Die treibende Idee der substantiellen Identität ist offenbar die Anreihung einer Sukzession von Tatsachen an einen dauerhaften Faden, an welchem sie je nach Bedürfnis herbeigezogen werden können. Er bedarf zu seiner Herstellung der Beschränkung auf einen kleinen Kreis von Tatsachen aus dem Erlebnis jedes Augenblicks, so daß nur die Statuierung vieler Substanzen dasselbe für einen größeren Umfang zu leisten vermag. Zur Bildung der Idee geben insbesondere die teilweise andauernden Gesichtseindrücke eine Anleitung; da, wo der natürlich dargebotene Faden abreißt, tritt das Bedürfnis ein, ihn fortzusetzen; es wird eine frei gebildete Idee an die Stelle der Tatsachen gesetzt, welche dem nächsten Bedürfnis genügt, und diese mehr und mehr bei beständiger Kontrolle durch neue Tatsachen kultiviert. Insbesondere müssen sich zur Kontrolle die Eindrücke verschiedener Sinne und verschiedener Personen vereinigen, so daß der Kreis der Tatsachen, welcher an eine Substanz gereiht wird, aus den unähnlichsten Elementen besteht.

Die Reduktion der Sinneseindrücke auf Substanzen ist mit erwachtem Bewußtsein eine allumfassende, allein die Idee jeder Substanz ist teilweise noch sehr unvollkommen in Bezug auf die Dauer und das Haften der Tatsachen an ihr. In ihrer vernunftgemäßen Fortbildung teilen sich die Gesichtspunkte der Identität. Die ewige Dauer der Substanz wird im Stoff gefunden, daneben die Identität organischer Wesen unabhängig vom Stoffwechsel nach Maßgabe des Organismus festgehalten.

Der Begriff der Identität erweitert sich, indem man immer weiteren Gebrauch von den Wirkungen des Substanzbegriffs macht. Mit der Bildung jedes Substantivs für nicht substantielle Ideen führt die Sprache eine neue Bedeutung oder neue Anwendung der Identität ein.

Es ist leicht, den verschiedenen Sinn kenntlich zu machen, wo es erforderlich ist. Was hingegen eine Veranlassung zur Täuschung werden kann, ist folgender Umstand: Die Identität macht die tatsächliche Vielheit durch ihre Reduktion auf eine ideelle Einheit für die Praxis entbehrlich, aber nicht für die Logik; denn ohne eine Auffassung der ursprünglichen Vielheit ist der Begriff inhaltslos. Die Praxis jedoch betont stets die Einheit allein; ihr Gebot, die Vielheit nicht zu denken, pflegt dann bei der ersten Reflexion in Leugnung überzugehen. Es ist dies eine der Gewohnheiten, welchen die Logik Widerstand zu leisten hat.

Zur Idee der Substanz gehört ferner deren Unabhängigkeit vom wahrnehmenden Subjekt. Sie kommt durch eine Trennung zweier Variablen zustande, dergemäß die ursprünglich ungeteilte sinnliche Tatsache, die mit dem Subjekt eins ist, in zwei zerlegt wird: eine von dessen Willen abhängig, die andere an eine konstante Kausalität gebunden. Nur durch eine Statuierung zweier räumlich getrennter Substanzen, Sinnesorgan und Objekt wird diese Vereinfachung erreicht. In demselben Akt sind daher die noch zu erörternden objektiven Ideen sämtlich beteiligt und wir müssen später darauf zurückkommen.

Eine Folge der Anordnung aber muß schon hier genannt werden. Soll das Objekt unabhängig sein, so darf die Idee sich nicht auf das Erlebte beschränken, sondern muß die jeder denkbaren Lage aller Sinnesorgane im Verhältnis zum Objekt entsprechenden Eindrücke ohne Unterschied mit umfassen. Dadurch wird die Substanz zugleich Träger hypothetischer Tatsachen, die den wirklichen gleich gerechnet werden, solange keine subjektive Frage ihre Unterscheidung fordert.

Die Idee der substantiellen Wirklichkeit wird nicht mit der Substanz erst gebildet, sondern entsteht durch eine einfache Übertragung von den Tatsachen auf deren Vertreter. Das Tatsächliche ist als solches wirklich und unterscheidet sich dadurch von der Fiktion. Die Idee der Substanz hat die Bestimmung, das Denken der Menge einzelner Tatsachen zu ersetzen, und muß dazu das Attribut der Wirklichkeit nebst ihrem Gegensatz auf sich nehmen. Die Substanz ist demnach wirklich, sofern sie Wirkliches umfassen, aufbewahren und wiedergeben soll; sie ist fingiert, wo diese Forderung fehlt.

Das Umfassen bedingt freilich eine Beschränkung des Wiedergebens: die individuelle Begrenzung muß zumindest in zeitlicher Beziehung den Akzidenzen überlassen bleiben. Andererseits erstreckt sich die Bestimmung der Substanz weit über ihre eigenen Akzidenzen hinaus auf Tatsachen, die erst durch vielfache Schlüsse mit ihr in Verbindung treten. Hieran knüpfen sich weitgehende Folgen, sobald die Substanz als Teil eines großen Ganzen aufgefaßt wird. Die Wirklichkeit der materiellen Welt hängt mit den Tatsachen nur in sehr wenigen Bestandteilen unmittelbar zusammen, die aber genügen, das im Übrigen durch intellektuelle Bedingungen bestimmte System außer Zweifel zu stellen: was dazu gehört, steht durch irgendwelche Schlüsse mit jenem kleinen Zugang in Verbindung, und hat sich dadurch als notwendig zur Objektivierung irgendwelcher Tatsachen erwiesen.

Da nun hiernach der größte Teil der materiellen Welt hypothetische Substanz und in den meisten speziellen Bestimmungen unbekannt, da also das Meiste, was als wirklich aufgefaßt wird, durch Erkenntnis vermittelt ist, so ist es erklärlich, daß gemeinhin die Wirklichkeit mit der Objektivität und den Bedingungen der Erkenntnis identifiziert oder zu einem Begriff verschmolzen wird.

In dem so erhaltenen Begriff der objektiven Wirklichkeit sind also Wirklichkeit und Objektivität zwei zueinander tretende Attribute ganz verschiedenen Ursprungs. Sie sind ansich leicht genug zu trennen; nur die aus der Praxis stammende Gewohnheit, nach der Kultivierung eines Begriffs dessen ursprüngliche Form zu verleugnen und als unrichtig zu bezeichnen, bietet der Logik einen Kampf, den sie bestehen muß.

Die treibende Idee der Kausalität entspringt aus der Nichtbefriedigung der Substanzidee, wobei sich an letztere demgemäß ihre Erzeugnisse als Fortsetzung genau anschließen. Die Punkte der Nichtbefriedigung sind die Vielheit der Substanzen, die vielfache Unterbrechung der Reihe von Tatsachen, welche sich an eine Substanz knüpfen, indem sie vielen andern Platz lassen, und deren Verschiedenartigkeit, die der Vereinigung widersteht. Das Bedürfnis der Ergänzung dieser Lücken führt zu Versuchen; erst das Gelingen bestimmt die schließliche Gesetalt der erzeugten Idee. Betrachtet man den Standpunkt ihrer Ausbildung in der gemeinen Vorstellung, so findet man den Begriff der Kausalität als einen alles umfassenden vor, doch ohne feststehende Bedeutung. Vermöge der Substanzidee und ihrer Objektivierung sind bereits an die Stelle der reinen sinnlichen Tatsachen objektive Vorgänge getreten. Jeder Vorgang wird nun als von Ursachen bewirkt und durch diese bestimmt, die Ursache aber bald als Vorgang, bald als Substanz, bald als deren Eigenschaft gedacht. Das Gelingen reicht demnach aus, die Voraussetzung einer auf alle Vorgänge anwendbaren Verbindung zu rechtfertigen, noch ehe die Art der Verbindung völlig ausgemacht ist. Um über diese zu entscheiden, müssen wir die Wissenschaft hinzuziehen. In der Physik ist die Ursache die Eigenschaft einer fremden Substanz, nicht derjenigen, an welcher der zu erklärende Vorgang stattfindet, ihre Wirkung immer die Veränderung des Zustandes der letzteren, und zwar wird die Bewegung als Zustand, nicht als Veränderung gedacht. Die Ursache bestimmt daher nicht ohne Hinzuziehung mindestens eines momentanen Zustands die übrigen Zustände und somit die Vorgänge.

Bei der kausalen Aktion sind demnach alle drei Elemente beteiligt, in welche die gemeine Vorstellung die Ursache setzt. Die Substanz, an der die Ursache als Eigenschaft haftet, kann, obwohl die kausale Erkenntnis ihre jedesmalige Lage hinzuziehen muß, die Ursache nicht sein, weil sie nicht in verschiedenen Kombinationen eine andere werden kann, und die Ursache nicht an die substantielle Identität gebunden ist. Die sukzedierenden [aufeinanderfolgenden - wp] Zustände und Vorgänge können die Ursache nicht sein, weil eine Reduktion längs ihrer Reihe die Erkenntnis um keinen Schritt weiter bringt. In der Eigenschaft hingegen, welche die Wirkungen begrifflich zusammenfaßt, ist an die Stelle der variierenden Vorgänge ein Dauerndes getreten. In ihr nimmt demnach der Begriff der Ursache erst seine feste Gestalt an, welche sich durch ein Gelingen bewährt, und man darf die zwei anderen Bedeutungen des Wortes nicht als Begriffserweiterungen, sondern nur als unvollendete Versuche zum Begriff zu gelangen ansehen. Der Begriff behält jedoch seine Relativität zur Substanz und zum vorausgehenden Zustand, sofern seine Anwendung dadurch bedingt ist; seine Leistung wird wesentlich dadurch beschränkt, daß aus der Ursache allein kein Vorgang gefolgert werden kann, vielmehr außer ihr eine Epoche, ein Anfang gegeben sein muß.

Der Fortschritt der Erkenntnis in Anwendung des Begriffs der Ursache besteht in der Reduktion der komplizierten Eigenschaften auf einfachere und der größeren Anzahl auf weniger. Die Reduktion objektiver Vorgänge auf Eigenschaften, welche hierin ihre Fortsetzung findet, heißt Erklärung im physikalischen Sinn. Die Erklärung kann demnach sehr wohl eine Ursache der Ursache aufstellen, doch kann dies nicht ansich von ihr gefordert werden, sondern nur wegen vermißter Einfachheit. Die letzte Ursache ist immer diejenige, welche darin nicht übertroffen werden kann, sei es weil sie ganz genügt, sei es weil zur Zeit eine bessere nicht gefunden ist.

Der Anfang der Erklärung ist nicht der Anfang der Reduktionen; denn der objektive Vorgang ist schon Resultat der Reduktion der Tatsachen. Daher ist die Analyse des Vorgangs keine Erklärung, vielmehr ein Akt in entgegengesetzter Richtung: ein Umstand, dessen Beachtung wichtig ist.

Erweiterungen und Übertragungen des Kausalitätsbegriffs geben sich sehr deutlich in der Sprache kund. Der Erkenntnisgrund und der Bestimmungsgrund des Handelns werden mit der Ursache durch dieselben Kausalwörter bezeichnet. Die Ursache ist ein spezieller Erkenntnisgrund, folglich ihr Gebrauch für letztere eine bloße Erweiterung. Die Erkenntnis vermittelt wieder das Verhältnis des Grundes zum Handeln, was zur Übertragung auf dieses führt. Eine davon verschiedene Bedeutung hat die wechselseitige Übertragung zwischen den Begriffen der Ursache und Urheberschaft, worüber später das Nähere zu sagen sein wird. Letztere ist bei der Frage, ob die physikalische Ursache all das umfaßt, was in der gemeinen Vorstellung die Idee der Ursache ausmacht, das noch hinzutretende Element wesentlich verschiedenen Ursprungs.

In der Idee des Raumes unterscheidet sich die gemeine Vorstellung von der gegebenen Sinnlichkeit nur durch die Ordnung. Das spezifisch räumliche Nebeneinander ist tatsächlich enthalten in den Empfindungen des Gesichts und des Tastsinns. Mit der ersten Auffassung ihrer momentanen Verschiedenheit wird ihre räumliche Verschiedenheit als eine solche wahrgenommen, die sich aus dem bloßen Nicht-dieses-sein nicht ableiten läßt. In dem Bestreben, sich in den mannigfaltigen räumlichen Verhältnissen der sinnlichen Tatsachen zurechtzufinden, konstruiert der Geist das System von drei Dimensionen, welches gewöhnlich Raum genannt wird, mit dem Erfolg, daß alle gegebenen räumlichen Verhältnisse vollkommen hineinpassen, und überdies, daß die einmal getroffene Anordnung unverändert auf alle neu hinzukommenden Tatsachen anwendbar ist. Diesem Umstand gemäß gewinnt die Raumvorstellung ein von aller Sinnlichkeit unabhängiges Bestehen, behält jedoch die spezifisch räumliche Qualität an sich, weil spezifisch räumliche Verhältnisse die Anleitung zur Bildung des Systems gegeben haben.

Man muß demnach im Raumbegriff zweierlei voneinander scheiden: die gegebene spezifisch räumliche Qualität der sinnlichen Tatsachen und das System, in welches sie geordnet sind. Letzteres ist nicht auf räumliche Verhältnisse beschränkt, sondern läßt sich, wie es in der graphischen Darstellung häufig geschieht, auf beliebige Größenrelationen anwenden, wo dann die Anzahl der Dimensionen allein durch die Anzahl der unabhängigen Variablen bedingt ist. Wir verbinden es nur gern mit der räumlichen Vorstellung, der wir es abgelernt haben, weil die darin erlangte Fertigkeit die Anwendung erleichtert.

In der Idee der Zeit ist die Reproduktion erlebter Tatsachen gegeben, welche zugleich mit neuen Tatsachen auftritt, so daß im Bewußtsein der Gegenwart zugleich die Vorstellung einer Vielheit von Seelenzuständen liegt, die nicht der Gegenwart angehören. Sofern nun an der reproduzierten Vorstellung jedes Zustands die Reproduktion der früheren haftet, und sowohl mit ihr als auch ohne sie vorgestellt werden kann, bilden die Zustände eine nicht umkehrbare Reihe, deren jedes Glied die sämtlichen vorhergehenden mit sich zieht und als Reproduktionen involviert, folglich sich durch Reichtum von ihnen auszeichnet.

Mit der Reproduktionsreihe, welche die Vergangenheit allein umfaßt, harmoniert nun die Reihenfolge, in welche die Zustände nach Maßgabe der Kausalität geordnet werden müssen. Sie stellt der Anordnung eine zur Bestimmung ausreichende Bedingung, macht sie dadurch von der Veränderung der Vorstellungen unabhängig, folglich objektiv, und erzeugt, sofern sie durch die Gegenwart nicht begrenzt wird, die Vorstellung der Zukunft.

Im Zeitbegriff trennt sich sehr augenscheinlich das gemachte System als ein feststehendes, worin alle Punkte und Teile gleichbedeutend sind, von der an die Gegenwart geknüpften spezifischen Zeitidee, indem die Gegenwart längs der geschaffenen Zeitreihe fortrücken muß. Ersteres ist nichts weiter als eine an keine Qualität gebundene, hier auf Zeit angewandte, aber auch auf alle anderen Größenverhältnisse anwendbare und umkehrbare Dimension, welche auf den Raum angewandt sich als Linie darstellen würde; letztere enthält die durch keinen Begriff ersetzbare Qualität.

In Raum und Zeit ist die Stetigkeit den gegebenen Tatsachen unmittelbar eigen und wird ohne Dazwischentreten eines Aktes mit der ersten Auffassung zugleich erhalten, jede Unstetigkeit hingegen durch Unterscheidung wahrgenommen. Der Begriff der Bewegung bedarf daher nur der Idee der Identität der bewegten Substanz zu seiner Entstehung.

Der lebendige Leib unterscheidet sich in der gemeinen Vorstellung von anderen Substanzen durch die Doppelbeziehung zur Sinnesempfindung und durch Modifikationen der Kausalität. Erstere erhellt sich am einfachsten, wenn man sich die Raumkonstruktion aus den Gesichtsempfindungen vergegenwärtigt. Das unmittelbar gesehene Flächenbild ist eine Radialprojektion des definitiv vorgestellten Körperkomplexes und kann daher nur durch eine topische Bestimmung des Zentrums eine absolute räumliche Anordnung erhalten haben. Jede ansich einfache Gesichtsempfindung führt demnach in der objektiven Gestaltung auf zwei Orte: mit dem des Objekts wird notwendigerweise zugleich ein subjektiver Ort der Empfindung statuiert, und dieser erweist sich dann außerdem als objektiver Ort einer zweiten Substanz, des Sinnesorgans.

Betrachtet man ferner die physikalische Kausalität, welche in der bei einer Wahrnehmung stattfindenden Reihe von Vorgängen geltend ist, so zeigen sich folgene Eigentümlichkeiten. Erstens isoliert sich schon bei der Wirkung des Objekts auf das Organ großenteils die Reihe, so daß nicht mehr, wie im Bereich des Leblosen, die Wirkung eine summarische, aus vielen Ursachen zusammengesetzte bleibt, sondern die Vorgänge im Organ nun vermischt einzeln den Vorgängen im Objekt entsprechen. In der Aktion der Nerven, welche die Fortsetzung der Reihe bildet, wird die Isolierung und das Entsprechen vollständig. Zweitens erstreckt sich die Reihe nicht über den Zeitpunkt der Empfindung hinaus. Ihr Ende wird durch Schwierigkeiten, welche sich der Reduktion der Nervenaktion auf eine allgemeingültige Kausalität entgegenstellen, der Beobachtung entzogen, so daß nirgends eine Anomalie nachgewiesen werden kann. An die Stelle der schwindenden Kausalerkenntnis tritt das vollkommene Entsprechen, so daß das gemeine Denken jene nicht vermißt, indem es die Empfindung als isolierte Wirkung der objektiven Vorgänge auffaßt.

Diese Ergänzung der fehlenden Kausalität bringt folgendes Verhältnis zuwege. Die Empfindung liegt als Tatsache vor. Der Geist schafft daraus die Idee eines objektiven Vorgangs, der, obwohl seine Auffassung der Empfindung nachfolgt, doch als ihr vorausgehend gedacht wird. An diesen Vorgang als Gegenstand der Wahrnehmung schließt sich eine ihm nachfolgende stetige Kausalreihe, welche zunächst das Sinnesorgan trifft, sich dann verliert, und als aufgefaßte Sinnesempfindung plötzlich deutlich zutage tritt. Der tatsächliche Anfang wird demnach bei seiner Objektivierung zum Ende gemacht. Diese entgegengesetzte Genesis hat nichts Widersprechendes, sofern nur Tatsächliches und Objektives nicht konfundiert werden.

Dagegen ist eine Subsumption des Verhältnisses zwischen der Empfindung und den materiellen Vorgängen unter den Begriff der physikalischen Kausalität geradezu unrichtig. Zunächst liegt der problematischen Verbindung nichts zugrunde als die Zeitfolge. Jede scheinbare Eigenschaft von Substanzen, Empfindungen zu erregen, erweist sich nur als Ursache materieller Vorgänge, welche den Empfindungen vorausgehen. Es würde nichts ändern, wenn man die Kausalkette bis zum Zeitpunkt der Empfindung, auf alle gewünschte Beobachtung gestützt, fortführen könnte. Die Empfindung würde stets ein isolierter Punkt bleiben, eine Tatsache für sich, die nicht wie die Tatsachen der Beobachtung an einer für alle Menschen gemeinsamen Substanz haftet, sondern einer Seele eigentümlich und nur eine für den ganzen Verlauf der Vorgänge ist. Wäre aber auch eine Kausalverbindung zukünftiger Erkenntnis vorbehalten, so würde sie als zweite Beziehung zu einer ohnehin vorhandenen und bekannten hinzutreten und von dieser unterschieden werden müssen. Es ist daher unter allen Umständen nötig, den bekannten Parallelismus zwischen den materiellen Vorgängen und den Empfindungen als einen heterogenen Begriff der Kausalität gegenüber zu stellen. Ungenauigkeit in diesem Punkt darf die Philosophie umso weniger zulassen, je öfter darin gefehlt wird, daß man die allein bekannte Verknüpfung von Anfang und Ende der Erscheinungen als Kausalnexus ausgibt.

Die Erforschung der sinnlichen Wahrnehmung teilt sich demnach in folgende drei Fragen:
    1) Die psychologische Analyse, welche die Konstruktion des Objekts aus der Empfindung darlegt, kann jederzeit zu einem befriedigenden Abschluß gebracht werden.

    2) Die objektive, auf eine intellektuelle Praxis gerichtete Frage hat einesteils äußere, rein physikalische Gegenstände, Licht, Schall usw. und ergänzt die Untersuchung andernteils durch den Parallelismus zwischen der Wirkung auf die Organe und der Empfindung.
Der letztere bedarf keiner Kausalität; vom Beginn der völligen Isolierung an hat die Frage mit den ferneren Vorgängen nichts zu tun. Eben deshalb aber läßt sie als
    dritte die physiologische Frage übrig, die wiederum mit der Beziehung zur Seele nichts zu tun hat.
Das Verhältnis zwischen Leib und Seele kommt demnach nur in den zwei ersten Fragen in Betracht, und beide sind in Bezug auf dasselbe erledigt.

Außer der sinnlichen Wahrnehmung ist es der äußernde Willensakt, worin Seele und Leib ein Verhältnis darstellen. Beide Verhältnisse sind in ihrer Beziehung zur Kausalität, die sie bei objektiver Betrachtung ersetzen, analog, unterscheiden sich aber sehr durch ihre tatsächlichen Umstände. Dem Willensakt vorher geht eine entwickelte, zur Objektivität und deutlichen Vorstellung gediehene, und mit Begehren verbundene Idee; kurze Zeit nach ihm folgen genau die Tatsachen, welche der Idee zugrunde liegen, die demnach erst geglaubte, dann erlebte, sind. Die vorher gedachten, nachher eintretenden objektiven Vorgänge, welche diese Tatsachen enthalten, sind Glieder einer kausal verbundenen Reihe, welche, soweit sie an den Bewegungsorganen des Leibes stattfindet, ebenso isoliert ist, wie bei den Wahrnehmungen. Handelte es sich nun bloß um die Qualität der Verhältnisse, so gäbe es zu dem bereits Bemerkten nichts Wesentliches hinzuzufügen. Die Analyse findet nur die Kultivierung der Idee, welche bei der Wahrnehmung nachfolgt, beim Willensakt als vorausgehend vor. Die objektive Erkenntnis ergänzt ebenso die Kausalkette vor. Die objektive Erkenntnis ergänzt ebenso die Kausalkette durch eine Substitution des einzeln Entsprechenden, und läßt in der Beziehung der materiellen Vorgänge zur Seele die physiologische Frage unberührt.

Doch in allen Bestimmungen der Qualität ist die Willensentscheidung noch nicht enthalten. Weder die deutliche Vorstellung, noch das Begehren, noch die genaueste Kenntnis der zu bewegenden Muskeln und der Ursachen ihrer Bewegung reicht zum Willensakt, d. h. zum Erfolg des Begehrens aus. Sowohl die Frage nach den objektiven Bedingungen, als auch die Analyse des Begriffs verlangen eine eingehende Betrachtung der Entstehung der Willensfähigkeit. Von Geburt an ist das Begehren, welchem eine entsprechende Leibesbewegung folgt, vorhanden. Die Ideen, welche ohne Leibesbewegung bleiben, und welche gleichfalls begehrende sein können, treten erst später hervor. Ihre Unterscheidung wird geübt, ohne daß es dazu eines Kriteriums in der Idee selbst bedarf. Die Ideen mit und ohne Realisierung erscheinen vollkommen gleich. Kommt ihre Übereinstimmung zu Bewußtsein, so ist damit die Fähigkeit erlangt, dasselbe zu tun oder nicht zu tun, erst bloß zu denken, dann zu tun.

Offenbar sind nun beide Arten Ideen nicht gleich. Es gibt vielmehr einen gewissen Bezirk von Ideen, welche den Leibesfähigkeiten Punkt für Punkt entsprechen und immer realisiert werden, und ein anderes, unbegrenztes Gebiet von nicht realisierten Ideen, welches teilweise damit so in Berührung steht, daß sich die berührenden nach ihrem Inhalt decken. Aus letzterem allein stammt das Bewußtsein, und in ihm werden die Ideen fortschreitend kultiviert. Der bewußte Willensakt besteht dann in der Vertauschung der kultivierten losen Idee mit der gleich gestalteten, aber stets subjektiv bleibenden realisierenden Idee.

Bildliche Vorstellung und Übertragung. Die Urbegriffe werden vom gemeinen Denken mit Gleichnissen umhüllt, welche für dasselbe die Wirkung haben, daß die auf einer Seite erlangte Vertrautheit auf anderen Seiten wieder zustatten kommt, und daß die Gesamtheit der Vorstellungen sich zu einer Weltanschauung vereinigt. Wenn wir diese Gleichnisse Bilder nennen, so ist damit nicht gesagt, daß die als Bild dienende Idee eine fertige sinnliche Vorstellung ist. Vielmehr kann auch umgekehrt die sinnliche Idee durch einen Vergleich mit der nicht sinnlichen ihre Gestalt gewinnen.

Die Bilder sind sehr verschieden im Grad ihrer Durchschaubarkeit, man könnte sagen: bestimmte werden durchschaut, bestimmte andere nicht. Einige nämlich werden stets mit dem Bewußtsein des eigentlichen Sachverhalts, den sie vertreten, als bildliche Redeweisen gebraucht und aufgenommen; bei anderen gehört ein eingehendes Besinnen und eine größere Freiheit des Denkens dazu, um inne zu werden, daß mit der angeregten Vorstellung nicht das wahre Wesen der Sache aufgefaßt wird. Mögen sie aber schwerer oder leichter zu durchdringen sein, immer bleibt ihre Beachtung wichtig, teils zur Berichtigung von Irrtümern, teils zur Beurteilung des Entwicklungsgangs der Sprache, für welchen sie von Grund aus notwendig sind. Aus ihnen gehen Begriffe von Gegensätzen hervor, die erst durch das Gleichnis Sinn erhalten. Während nämlich die verglichenen Gegenstände in der einen Beziehung ähnlich und analog sind, und einander koordiniert werden, erleidet die Nebenstellung wieder Einschränkungen durch wesentliche Verschiedenheiten, welche ohne die Analogie nicht hätten aufgefaßt werden können.

Insbesondere müssen hier folgende Gleichnisse ans Licht gezogen werden: die Vergleichung der Substanz mit der Seele und umgekehrt, die der Kausalität mit dem Willensakt und umgekehrt, die der Kapazität der Seele mit dem Raum, welcher überhaupt viel als Bild zur Anschauung des Zugleich-möglichen gebraucht wird.

Die Substanz ist der Seele ähnlich, sofern beide das Band einer Sukzession, erstere von Vorgängen, letztere von Erlebnissen darstellen. Da die Erlebnisse dem Subjekt näher liegen, so dienen sie als Bild für die Vorgänge: das Ding erleidet gleichsam, was an ihm vorgeht, obgleich es in Wirklichkeit nur eine transformierte Vorstellung von etwas ist, was der Wahrnehmende selbst erleidet. Infolge des Vergleichs wird das Ding als ein dem Subjekt koordiniertes Wesen betrachtet, und für die auf dasselbe bezüglichen Begriffe die Vorstellung von der Seele entlehnt. Hierzu bietet die Kausalität vielfache Gelegenheit. Der Urheber wird als die Substanz betrachtet, an der die Ursache, sein Wille, haftet. Umgekehrt wird die physische Ursache im Bild eines Begehrens, die Unausbleiblichkeit der Wirkung im Bild eines Zwangs veranschaulicht. Die handelnde Person kann auch wieder die Stelle der Substanz vertreten, an der die Wirkungen vorgehen: der Bestimmungsgrund des Handelns gleicht dann der momentanen Kraft im physikalischen Sinn, der Zweck der Ursache. Ebenso wird in der Wahrnehmung die Eigenschaft des Objekts als die Ursache der Sinnesempfindung betrachtet.

Die Gegensätze, welche aus der Betrachtung der Seele als Substanz entspringen, indem sie sich als unteilbar, nicht materiell, nicht räumlich ausgedehnt und begrenzt erweist, liegen offen zutage. Die Vorstellung des Dings im Bild der Seele findet keine natürliche Beschränkung. Da nämlich der Leib alle Mittel der Objektivierung der Seele enthält, so wird in der gewöhnlichen Betrachtungsweise die Seele durch den Leib vertreten, von welchem dann das leblose Ding real unterschieden ist. Erst die Kausalität bringt bildliche Gegensätze dazu. Der Wille kann nur in einem vorübergehenden Interesse als Ursache betrachtet werden: jede eingehende Frage ergibt Abweichungen. Der Wille bleibt Wille, auch wenn er sein eigenes Gesetz regiert; die Ursache hingegen existiert nur dauernd unveränderlich. Durch die vergleichende Entgegensetzung gewinnt die Freiheit des Willens Bedeutung.

Die Immanenz des Gesetzes, welche dieser Freiheit gegenübersteht, und die eigentliche Kausalität unterscheidet, wird gewöhnlich durch Notwendigkeit bezeichnet. Hiermit verbinden sich bildliche Vorstellungen, welche leicht zur Täuschung führen. Der Sinn der Notwendigkeit, wenn diese einer Bedingung zugeschrieben wird, ist nicht zweifelhaft: er geht aus einer bloßen Kombination hervor. Oft aber wird die Sache, wofür etwas Bedingung ist, verschwiegen, vergessen, im Dunkeln gelassen, und die Notwendigkeit erscheint dann als ein rätselhafter Begriff. In den hierher gehörigen Fällen, wenn es sich nämlich um notwendige Wirkungen oder Folgen handelt, wird die Bedingung immer auferlegt durch ein System des Wissens, welches wir nicht von Neuem in Frage stellen wollen, und darum nicht nennen. So gerechtfertigt auch die Auslassung in der einzelnen Anwendung sein mag, zur Klarheit des Begriffs in allgemeinen Fragen muß die Ergänzung ausgesprochen werden, daß mit der als notwendig erkannten Wirkung die Erfüllung des Wissensbedürfnisses fallen würde, daß also ausschließlich dem erkennenden Geist eine Beschränkung, ein Zwang auferlegt ist, nicht der Sache. Dem Bild gemäß wird aber die Wirkung von der Ursache gezwungen, und dem erkennenden Geist (gleichsam durch ihre Oberaufsicht) eine Bürgschaft geleistet. Die Rollen sind demnach in der Vorstellung geradezu vertauschtf. Beachtet mman, daß eine gleiche Vertauschung im Gebrauch des Wortes "müssen" beliebig nach Bequemlichkeit der Satzkonstruktion stattfindet, und doch das Verständnis nie fehl geht, indem es Zwang oder Pflicht nicht der Sache, welche muß, z. B. der Tür, welche offen sein muß, sondern einer beteiligten Person beilegt, so ist es auffällig, daß, so oft das Wissen das Bedingte ist, die bildliche Umänderung nicht durchschaut wird, daß man z. B. den nicht unterstützten schweren Körper irrtümlich für wirklich gezwungen ansieht zu fallen, die Person hingegen vergißt, welche in der Tat gezwungen ist, um des systematischen Wissens willen die hypothetische Tatsache des Fallens aufzunehmen.

Die Erklärung liegt hier in der Verknüpfung zweier Bilder. Dasselbe unbekannte Etwas nämlich, welches den Körper zu Fall zwingt, bürgt zugleich der Vorstellung nach für die Richtigkeit der hypothetischen Tatsache. Das apodiktische Urteil schließt das kategorische in sich, das Interesse knüpft sich an letzteres an und sieht in dem erkannten Zusammenhang nur das Mittel, Gewißheit über dasselbe zu erhalten, sucht daher eine Gewährleistung und glaubt sie in dem Zwang, dem das Ding unterworfen ist, zu finden. Weil demnach der Zwang (der Einbildung nach) wesentliche Dienste leistet, kann man es nicht über sich gewinnen, ihn für eingebildet zu halten. So befestigt eine Einbildung die andere.

Nicht weniger zur Täuschung verleitend ist die Vorstellung der Seele im Bild eines Raumes. Obwohl diesem Bild selbst keine eigentliche Bedeutung beigelegt zu werden pflegt, so bringt es doch durch sein Zusammentreffen mit anderen Bildern Komplikationen hervor, deren irrtümliche Konsequenzen den Schein eines wirklichen Sachverhältnisses angenommen haben. Denkt man nämlich wie gewöhnlich, einen Ort im Leib als Sitz der Seele, so ist zunächst der Leib und seine materielle Umgebung außerhalb der Seele. Dieselbe Anschauung, welche durch das Gefühl der Anstrengung des Kopfes beim Denken hervorgerufen wird und durch die Beobachtung der Lage der Nerven eine rationale Bestätigung erhält, dient zugleich zur Vergegenwärtigung eines anderen rationalen Verhältnisses. Sofern nämlich das substantielle Objekt jeder Wahrnehmung sich unabhängig von der Wahrnehmung verändert, muß es getrennt von der Seele gedacht werden. Indem wir zur Vorstellung dieser Trennung die uns geläufige spezifische räumliche Anschauung verwenden, erreichen wir eine harmonierende Gesamtvorstellung, in der sowohl die gegenseitigen Verhältnisse der Objekte, als auch die der Objekte zur Seele vereinigt sind. Die Verlegung der Seele in das Gehirn ist hierbei eine gleichgültige Spezialisierung: die Lage der Objekte außerhalb der Seele enthält das Wesentliche.

Hierzu kommt nun jenes zweite, ganz verschiedene Bild, welches die Seele als einen Raum darstellt, in welchem alle ihre Ideen, gegebene Empfindungen und freie Nachbildungen, beide objektiv gestaltet oder nicht, umfaßt werden. Letzteres Bild betrifft die bewußte Reproduktion des tatsächlichen Auftretens der Ideen in der Zeit, ersteres das Resultat der bestimmten objektiven Anordnung. Beide Bilder lassen sich einzeln auf objektive Ideen anwenden, nur nicht zugleich auf dieselben; denn nach dem einen ist das Objekt außerhalb, nach dem andern innerhalb der Seele. Das gemeine Denken läßt darum die eine Vorstellungsweise fallen, wenn es die andere anwenden will, oder setzt die zwei Objekte, auf welche es einzeln beide anwendet, in keine koordinierte Beziehung zueinander. Dieser Umstand hält den Widerspruch fern. Versuche des Philosophierens hingegen, welche den abgeschnittenen Faden fortführen zu müssen meinen, geraten in den Widerspruch, wenn sie in der Gewohnheit der bildlichen Vorstellung befangen sind.

Was nun das Verhalten der Philosophie den Bildern gegenüber betrifft, so muß ich den von BENEKE verteidigten Grundsatz, alle bildlichen Ausdrücke zu meiden, entschieden verwerfen, weil er die Gefahr des Irrtums vergrößert, statt sie zu beseitigen. Sie ist gerade bei den Bildern am größten, welche der Sprache unumgänglich notwendig sind; geht man ihr in den leichteren Erscheinungen aus dem Weg, so bleibt die Fähigkeit, ihr in den schwierigeren Fällen zu begegnen, ungeübt. Die Entwicklung dieser Fähigkeit, d. h. der Selbständigkeit des Denkens gegenüber den Apparaten der Fixierung und Mitteilung, halte ich aber für ein Haupterfordernis allen philosophischen Studiums. Der Gefahr entgeht man, wenn man nur an der Bestimmung der Bilder, erkannte Beziehungen zu vergegenwärtigen, festhält, ihre Anwendung zur Begründung neuer zurückweist.

LITERATUR - Reinhold Hoppe, Über die Bedeutung der psychologischen Begriffsanalyse, Philosophische Monatshefte, Bd. IV, Berlin 1869/70