Alltag
M. Nemo - Die Logik des Alltags
p-2siehe auch Allgemeinheit, Leben, Volk, Konformismus, Mehrheit, Praxis, Nützlichkeit


001 der reflexionslose Standpunkt des gewöhnlichen Lebens

002 Die Millionen Menschen lassen sich immer nur durch die Macht und Logik der Tatsachen hinreissen und verstehen und berücksichtigen meist nur die unmittelbaren Interessen und die momentanen, immer mehr oder weniger blinden Leidenschaften.

003 Die große Menge glaubt nur an das Geld.

004 Das ist der Standpunkt des naiven Realismus: die Welt ist, wie sie wahrgenommen wird.

005 die öde Werkeltagsgesinnung.

006 Der große Haufen der Menschen lebt mit sehr geringer Besinnung.

007 Die platteste Mittelmäßigkeit ist obenauf und erstickt jeden Drang nach Neuerung bereits im Keim.

008 "Gegen die gewöhnlichen meinungsbildenden Kräfte mit den üblichen Methoden im Rahmen der Verfassung mehr als einen eng begrenzten Erfolg zu erzielen, ist sehr schwer." - Bertrand Russell, Autobiographie, Bd. 3, Ffm 1977, Seite 203

009 Die breite Masse spricht man nicht durch einen Appell an die Vernunft an, sondern durch die Anregung ihrer Einbildungskraft.

010 Der unverbildete, an seinen Alltag gebundene, instinktsichere Mensch denkt existenziell.

011 In seiner konsequenten Durchsetzung des Idealismus wird am Ende gar die Realität der Materie geleugnet. Das jedoch erscheint dem großen Publikum als ein Spaß, der etwas zu weit getrieben wird.

012 "Es darf natürlich nicht vergessen werden, daß der  man in the street  felsenfest überzeugt sein kann von der Realität einer ganzen Menge Sachen, die nie und nimmer existieren. In gewissem Sinne ist alle Wissenschaft und noch mehr alle Philosophie ein oft hoffnungsloser Kampf gegen unrichtige Vorstellungen, die mit Vorliebe vom gesunden Menschenverstand gehegt werden." - Gunnar Myrdal, Das politische Element in der nationalökonomischen Doktrinbildung, Berlin 1932, Seite 219

013 Harmlose Gemüter durchschauen den Definitionscharakter vieler wissenschaftlicher Theoreme nicht.

014 Unter "Wortrealismus" kann die Neigung verstanden werden, überall dort, wo die Sprache für etwas einen eigenen Namen, eine selbständige Bezeichnung hat, einen Wirklichkeitssachverhalt, ein reales Ding anzunehmen und das Wort für eine Entsprechung derselben zu halten.

015 Die empirische Feststellung sagt uns allein, was ist, erklärt aber nicht "warum". Berkeley und Hume waren, als sie die von Vorstellungen unabhängige Realität materieller Substanzen leugneten, notwendigerweise in Konflikt gerieten mit der "communis opinio", dem allgemeinen Denken, das sich an das Sein der physischen Objekte hält.

016 "Die Existenz oder Nichtexistenz der Dinge ist eine primitive Denkform." - Arthur S. Eddington, Philosophie der Naturwissenschaft, Bern 1949, Seite 197

017 Der natürliche Ausgangspunkt ist die Empfindung. Das erste Denksystem, das wir annehmen, besteht in einer möglichst geringen Umformung dieser Empfindung. Das so entstehende Weltbild ist das des gemeinen Menschenverstandes. Der Ausdruck ist übrigens sehr gut gewählt. Dieses Weltbild vereinfacht nämlich unsere Beziehungen zu unseresgleichen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt es wenig darauf an, ob unsere Vorstellungen den Dingen mehr oder weniger angemessen sind, so eliminieren sie sich, wenn wir mit ihnen verkehren.

018 Den Alltagsverstand interessieren lediglich die unmittelbaren Wirkungen der Dinge.

019 "Die Leute streben danach, ihre Wertkonflikte unter Kontrolle zu halten. Sie wünschen, sie aus ihrem Denken zu halten und haben Geschick darin, sie zu übersehen. Konventionen, Stereotype und bequeme Lücken im Wissen über die soziale Wirklichkeit tragen erfolgreich dazu bei, den Leuten eine relative Gewissensruhe zu bewahren." - Gunnar Myrdal, Das Wertproblem in der Sozialwissenschaft, Bonn-Bad Godesberg 1975, Seite 108

020 "Der naive Empirismus versucht das Unmögliche: die Wirklichkeit zu beobachten, ohne vorgefaßte Meinungen, bis sich der Stoff von selbst ordnet und wissenschaftliche Gesetze gebiert. Damit gibt man sich natürlich einer Illusion hin, der man nur dadurch einen Schein von Objektivität gibt, daß man die gleichwohl vorhandenen aprioristischen Ideen sorgfältig zu verbergen sucht; ohne solche wäre man selbstverständlich gar nicht zu  Resultate gekommen." - Gunnar Myrdal, Das Wertproblem in der Sozialwissenschaft, Bonn-Bad Godesberg 1975, Seite 232

021 "Für Bergson bestand der Grundirrtum der philosophischen Systeme der Vergangenheit darin, daß sie auf dem Weg der Wissenschaft das Wesen der Welt zu erkennen suchten. Das wissenschaftliche Erkennen geschieht durch den Verstand und dieser ist auf die Bedürfnisse des praktischen Lebens abgestellt. Handeln geht auf Umgestaltung und beruht auf Vorausberechnung. Dazu ist Gesetzmäßigkeit notwendig, d.h., daß sich Gleiches wiederholt, und dafür ist wiederum erforderlich, daß es etwas gibt, das beharrt und dasselbe bleibt, und das verlangt wieder Abgegrenztes und Gesondertes. Deshalb zerlegt der Verstand und Fluß der Erscheinungen in konstante und gesetzmäßig verknüpfte Elemente. Das Schema dafür gibt ihm der Raum mit seiner Starrheit und unendlichen Teilbarkeit. Die Zeit wird durch ihn zur Linie. Die Natur wird zerstückelt und mechanisiert. Indem der Verstand die Erscheinungen nach diesen seinen praktischen Kategorien auffaßt, kommt er zu einem ganz einseitigen, verzerrten Bild der Welt. Er hebt nur das Rationalisierbare - das Quantitative und das Gesetzmäßige - aus ihr heraus. Auf diese Weise läßt sich das Wesen der Welt nicht erkennen.
      Was Leben und was Bewußtsein ist, das läßt sich so nicht erfassen. Denn Leben und Bewußtsein ist nicht starres, diskretes Sein, sondern kontinuierliches Werden. Bewußtsein besteht im Fluß der Erlebnisse, es entfaltet sich in der seelischen Entwicklung und in geistiger Produktivität. Hier geht immer Neues hervor, nicht Gleiches kehrt wieder. Hier kommt es wesentlich auf Qualitatives an, nicht auf Quantitäten. Diese Seite der Welt ist der wissenschaftlichen Erkenntnis unzugänglich. Das ganze der Welt bleibt jenseits der Wissenschaft. Darum besteht ein unüberwindbarer Dualismus von Mechanismus und Determinismus in der Natur einerseits und schöpferischer Entwicklung und Freiheit im Leben und Bewußtsein anderseits. Er wurzelt in der Verschiedenheit dessen, was durch Verstand erfaßbar, rationalisierbar, der Wissenschaft zugänglich ist, und dem, was sich solchem Erkennen grundsätzlich entzieht." - Viktor Kraft, Einführung in die Philosophie, Wien 1950, Seite 61f

022 Masse im soziologischen Sinn ist jeder, der in gewissem Sinn seiner individuellen Persönlichkeit verlustig gegangen ist.

023 das alltägliche Besorgen im öffentlichen Miteinander.

024 Das Alltagsdenken ist mit dem wissenschaftlichen Denken überhaupt nicht in Einklang zu bringen.

025 Die populäre Auffassung ist die, daß eine Vorstellung die ihr entsprechende Wirklichkeit abbilden muß. Wie andere volkstümliche Ansichten richtet sich auch diese nach der Analogie der allergewöhnlichsten Erfahrung.

026 die mit dem Schmutz des Alltagslebens behafteten Einzelerfahrungen.

027 Die Vorherrschaft der wirtschaftlichen Probleme und des wirtschaftlichen Denkens überschattet alle anderen Formen des menschlichen Denkens.

028 "Es ist ein Trugschluß der Sentimentalität, über Gerechtigkeit, Edelmut oder Schönheit in abstracta Tränen zu vergießen, diese Eigenschaften aber, wenn man ihnen auf der Straße begegnet, nicht zu erkennen, weil die Umstände sie gemein machen." - William James in Reiner Wiehl (Hrsg), Geschichte der Philosophie Bd. 8, Stuttgart 1981, Seite 449

029 "Die  natürliche Weltansicht die Ansicht des  gesunden Menschenverstandes  gegenüber aller philosophischen Grübelei ist vor allem eben kein theoretisches und darum kein systematisches Gebilde von bewußter Allgemeinheit, sondern ein Geschöpf des praktischen Lebens, eine Begriffsbildung, die auf die Zusammenfassung von Einzelnem, Geläufigen eingestellt ist und nur auf eine ungefähre Bezeichnung, die geworden ist und nicht gesucht. Darum sind ihr auch die Grundformen des Wirklichen, in die sie die Welt gliedert: die Dinge und das Ich und das Du, so deutlich und einfach und ohne Fraglichkeit. Sobald man aber diese anscheinend bis zur Selbstverständlichkeit klaren Unterscheidungen des gewöhnlichen Lebens ins Begriffliche heben will, dann zeigen sich sofort schwere Unklarheiten und Widersprüche; dann sieht man, daß sie unfertig und unzulänglich sind, daß sie erst zuende gedacht werden müssen. Mit der Notwendigkeit, sie selbständig auszubauen und umzugestalten, bis sie den Anforderungen theoretischer Begrifflichkeit genügen, kommt man eben zur philosophischen Reflexion und gerät in die Probleme. So, wie sich das naive Bewußtsein die Welt denkt, ist sie unklar und widerspruchsvoll, die Wirklichkeiten, die ihm die Welt aufbauen, sind nicht eindeutig und scharf gefaßt, und auch nicht faßbar. Sobald wir dem auf den Grund zu gehen suchen, was wir gewöhnlich mit Dingen, mit dem Ich, mit Beseeltheit meinen, treffen wir teils auf geradezu falsche, teils auf innerlich zwiespältige Vorstellungen, auf Begriffsbildungen, die eigentlich nach gegensätzlichen Richtungen auseinandergehen und die sich dann eben der präzisierenden theoretischen Fassung als Problem darstellen." - Viktor Kraft, Weltbegriff und Erkenntnisbegriff, Leipzig 1912, Seite 25f

030 Bürgerliches Ansehen zu genießen heißt festgebunden zu sein durch tausend Konventionen, Vorschriften, Gewohnheiten und Pflichten.

031 Der gemeinen und dogmatischen Vorstellung gemäß wird die Erscheinung als Ding an sich genommen.

032 Alle praktischen Vorstellungen gehen letztlich auf Gegenstände der Lust und Unlust zurück.

033 Die allgemeine Denkungsart ist eingeschränkt und borniert.

034 Hinter jeder Abstraktion verbirgt sich die Gefahr, daß die konkrete Alltagssituation ausgeblendet wird.

035 "Den im Alltag lebenden Männern und Frauen die Tatsachen bekanntzumachen ist schwierig, weil die Regierungen dies nicht wollen und weil sich einer Verbreitung von Wissen, das Unzufriedenheit mit der Staatsführung herbeizuführen möchte, starke Kräfte widersetzen." - Bertrand Russell, Autobiographie, Bd. 3, Ffm 1977, Seite 201

036 Die tägliche ist die anschauliche Erfahrung.

037 In den Interessen des praktischen Lebens sind die Personen auf den Verkehr miteinander angewiesen.

038 Wo der Gehalt verlorengeht und das Ergreifende verschwindet, bleiben lediglich triviale Allgemeinheiten übrig.

039 Nicht eine falsche Ruhe vorwegnehmen, sich keine Selbstzufriedenheit zu gestatten, sich herauszulösen aus allen Verschleierungen der Konvention, der Selbstverständlichkeiten, der Gedankenlosigkeiten.

040 "Was im Kleinen des Alltags so verbreitet ist: die Haltung des Bescheidwissens, die Zufriedenheit mit bloßer Plausibilität, der, trotz kritiklosen Sehens und Behauptens, Unfähigkeit zu wirklicher Untersuchung, zum Hören, Erwägen, Prüfen und zum gründlichen Selbstbesinnen." - Karl Jaspers, Was ist Philosophie, München 1980, Seite 189

041 "Alles menschliche Tun und Handeln ist  Ablenkung."  - Blaise Pascal, Über die Religion und über einige andere Gegenstände, Heidelberg 1978, Fragment 138

042 Für den Common Sense ist der naive Realismus eine Selbstverständlichkeit.

043 Das Volk leidet unter geistiger Abstumpfung.

044 die gemütliche Schwachköpfigkeit

045 "Ich bin der Krankste von euch allen und umso bedauernswürdiger, da ich weiß, was Gesundheit ist. Ihr aber, ihr wißt es nicht, ihr Beneidenswerten! Ihr seid kapabel zu sterben, ohne es selbst zu merken. Ja viele von euch sind längst tot und behaupten, jetzt erst beginne ihr wahres Leben. Wenn ich solchem Wahnsinn widerspreche, dann wird man mir Gram und schmäht mich - und entsetzlich! die Leichen springen an mich heran und schimpfen, und mehr noch, als ihre Schmähworte belästigt mich ihr Moderduft." - Heinrich Heine, Beiträge zur deutschen Ideologie, Ffm/Berlin/Wien 1971, Seite 73

046 eine steife und abstrakte Form, die alle Vertraulichkeit der niederen Geistesklassen kalt ablehnt.

047 Die Mehrzahl der Menschen ist durch Gewohnheit und Trägheit und dadurch, daß sie ihre Kraft für die Anforderungen der Selbsterhaltung und der Sorge um die Familie verbrauchen muß, außerstande, mit Energie nachzudenken und zu tieferen Wahrheiten vorzustoßen.

048 "Die große Mehrzahl der Menschen ist so beschaffen, daß ihrer ganzen Natur nach, es ihnen mit nichts Ernst sein kann, als mit Essen, Trinken und sich Begatten." - Arthur Schopenhauer, Auswahl aus seinen Schriften, München 1962, Seite 81

049 der natürliche und kindliche Realismus, in dem wir alle geboren sind.

050 Der ungebildete Mensch hat keine anderen als Unterleibsbedürfnisse und -interessen.

051 "Die Wahrheit widerspricht der gemeinhin zugelassenen Ansicht." - Guillaume Apollinaire, ohne weitere Quelle

052 "Das verflachende des  Alltags  in diesem eigentlichsten Sinn des Wortes besteht ja gerade darin: daß der in ihm dahinlebende Mensch sich dieser teils psychologisch, teils pragmatisch bedingten Vermengung todfeindlicher Werte nicht bewußt wird und vor allem: auch gar nicht bewußt werden  will daß er sich vielmehr der Wahl zwischen  Gott  und  Teufel  und der eigenen letzten Entscheidung darüber: welcher der kollidierenden Werte von dem Einen und welcher von dem Andern regiert werde, entzieht. Die aller menschlichen Bequemlichkeit unwillkommene, aber unvermeidliche Frucht vom Baum der Erkenntnis ist gar keine andere als eben die: um jene Gegensätze zu wissen und also sehen zu müssen, daß jede einzelne wichtige Handlung und daß vollends das Leben als Ganzes, wenn es nicht wie ein Naturereignis dahingleiten, sondern bewußt geführt werden soll, eine Kette letzter Entscheidungen bedeutet, durch welche die Seele, wie bei Platon, ihr eigenes Schicksal: - den Sinn ihres Tuns und Seins heißt das -  wählt."  - Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1988, Seite 507f

053 der gesunde, d.h. einfache Menschenverstand.

054 "Meisel und Schlegel können ganz wohl dazu dienen, ein Stück Zimmerholz zu bearbeiten, aber zum Kupferstechen muß man die Radiernadel benützen." - Immanuel Kant, Prolegomena, Werke IV, Seite 8

055 "Der Gebrauch der undifferenzierten Kollektivbegriffe, mit denen die Sprache des Alltags arbeitet, ist stets Deckmantel für Unklarheiten des Denkens oder Wollens, oft genug das Werkzeug bedenklicher Erschleichungen, immer aber ein Mittel, die Entwicklung der richtigen Problemstellung zu behindern." - Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1988, Seite 212

056 Wer getrieben wird von der Sorge um den täglichen Lebensunterhalt, den unabweislichen Bedürfnissen des menschlichen Körpers, gehört zur Mehrheit der unfreien Menschen.

057 die täglichen, ganz privaten Leiden.

058 die Trübsal der häuslichen Routine.

059 Der Alltagsmensch hat nichts weiter als sein privates Vergnügen und seine materielle Sicherheit im Sinn.

060 die unmenschliche Hölle ewiger Täglichkeit.

061 Die ganze Alltagsexistenz ist auf primitive Bedürfnisse ausgerichtet, ohne daß höhere erkannt würden.

062 "Die Selbstwahrnehmung des empirischen Ich ist die alltägliche Sache, die dem Verständnis keine Schwierigkeiten bietet. Das Ich wird so gut wahrgenommen, wie irgend ein äußers Ding." - Edmund Husserl, Logische Untersuchungen Bd. 2, Teil1, Tübingen 1980, Seite 362

063 Die tägliche Erfahrung lehrt uns die Beständigkeit der Körper.

064 Wenn wir uns keinen Zwang antun, sehen wir die Erde feststehend, die Sonne und den Fixsternhimmel aber bewegt. Diese Auffassung ist für praktische Zwecke die vorteilhafteste.

065 "Im täglichen Leben können wir gerade das Haften an solchen Abstraktionen, das Blindwerden bei Menschen beobachten, die auf das abstrakte Denken schelten, die wenig denken, aber immerfort ihre gewohnten Abstraktionen für die Wirklichkeit halten." - G. W. F. Hegel in Karl Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen, Berlin/Heidelberg/New York 1971, Seite 82

066 "Der Bornierte verharrt in den Gewohnheiten des Bestehenden, für die er ihn befriedigende Rechtfertigung gefunden hat." - Karl Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen, Berlin/Heidelberg/New York 1971, Seite 183

067 Durch Kant haben die Begriffe "Wahrheit" und "Objekt" ihren naiven Sinn verloren.

068 Der Wortrealismus ist eine Überschätzung der Logik, d.h. der Aberglaube an die Substantialität der abstrakten Begriffe.

069 Ein Zwang, der unerbittlicher und drängender zwingt, als alle Gewalt, ist die unpersönliche Macht der täglichen Notdurft.

070 die Natürlichkeit des flachen Rationalismus

071 "... jene fragwürdige Anschaulichkeit des  dunklen Klumpens,  den der Common sense vor sich sieht, wenn von  Materie  die Rede ist." - Richard Hönigswald, Grundprobleme der Wissenschaftstheorie, Bonn 1965, Seite 80

072 "Es bedeutet also eine unerfüllte Aufgabe, die Ursachen irgendeiner Erscheinung aufzuzählen. Man muß die Aufgabe begrenzen und sich mit einer teilweisen Erfüllung zufrieden geben. Aus diesem Grunde gleichen wir alle, wenn wir von Ursachen sprechen den Kindern, die mit den unmittelbaren Antworten auf ihre Fragen zufrieden sind; oder besser noch: jenem gläubigen Hindu, dem die Brahmanen erklären, daß die Erde auf dem Rücken eines Elefanten ruht, der seinerseits auf einer Schildkröte steht; diese aber sitzt auf einem Walfisch." - Èmile Meyerson, Identität und Wirklichkeit, Leipzig 1930, Seite 37

073 "Dem unreinen, den gemeinen Nutzen der Sprache wird niemand leugnen. Für das irdische Wirtshaus natürlich, für das Mitteilungsbedürfnis ist sie ja brauchbar, für das Schwatzvergnügen der Wirtshausgäste und für die Zurufe an den Speisenträger. Da kommt man mit der Sprache recht weit." - Joachim Kühn, Gescheiterte Sprachkritik - Fritz Mauthners Leben und Werk, Berlin/NY 1975, Seite 55

074 Neuformulierungen der Wirklichkeit sind immer eine schmerzhafte Angelegenheit.

075 Daß visuelle Sinneswahrnehmungen durch die Augen entstehen ist jedermanns wirkliche Überzeugung.

076 Praktische Menschen gehen in den Geschäften des täglichen Lebens auf.

077 Dem natürlichen Denken eines einfachen Menschen liegt die dualistische Auffassung zwischen Geist und Materie am nächsten.

078 "..um zu sagen, daß das Wesen oder daß die Idee das Reale sei, hat seine Veranlassung darin, daß dem ungebildeten Denken, die abstraktesten Kategorien, wie Sein, Dasein, Realität die geläufigsten sind." - G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik, Bd. 1, Ffm 1986, Seite 165

079 "... das erbärmliche Behagen, das  Glück der meisten."  - Friedrich Nietzsche, Werke Bd. 2, Karl Schlechta (Hg), Ffm/Berlin/Wien 1984, Seite 797

080 Im naiven Realismus des alltäglichen Denkens werden die Sinnesqualitäten zu Eigenschaften der Objekte erhoben.

081 Im naturalistischen Fehlschluß werden aus den Sachaussagen Werturteile  gefolgert. 

082 "Mit der Dummheit kämpfen selbst Götter vergebens." -Friedrich Schiller

083 In den Simplifikationen des Alltags sind immer Verdrehungen und Verfälschungen enthalten.

084 "Täglich  sterben  die Menschen und gehen einher, als Puppen ihrer selbst. Jeder Lebende erfährt es, zumindest in den hochindustrialisierten Ländern, daß heute schon die Halb- und Dreiviertelstoten die Mehrheit sind. Der  Halbtote  ist der programmgerecht funktionierende Mensch, der nur noch auf Störungen seines Konsums reagiert." - Hilde Domin in Helmut Kreuzer (Hrsg), Die zwei Kulturen, München 1987, Seite 184

085 "Dieser  Begriffsrealismus  gilt aber heute für überwunden. Das  Wirkliche  haben wir im  Besondern  und  Individuellen,  und niemals läßt es sich aus allgemeinen Elementen aufbauen." - Heinrich Rickert, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, Stuttgart 1986, Seite 63

086 Die Welt unseres gesunden Menschenverstandes ist die Welt der klassischen Physik. Wir glauben an eine Wirklichkeit, die sich zusammensetzt aus atomaren Teilchen und aus trägen Körpern, die sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit bewegen.

087 Im Alltagsdenken folgen wir den trübenden Einflüßen von Gewohnheiten und Leidenschaften.

088 Im Alltagsmaterialismus glauben wir, Töne seien in Wahrheit Luftschwingungen.

089 Gerade hinter dem  Selbstverständlichen  verbergen sich die größten Probleme.

090 "Auch der konsequente Aussteiger kann nicht aus der kommunikativen Alltagspraxis aussteigen." - Jürgen Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Ffm 1991, Seite 110

091 "Die kommunikative Alltagspraxis steht immer schon unausweichlich unter allgemeinen Voraussetzungen, die wir nicht wählen können wie Automarken." - Vgl. Jürgen Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Ffm 1991, Seite 141

092 Nach dem Kausalgesetz richten wir unser gesamtes praktisches Handeln ein.

093 "Ehemals sah man mit ehrlicher Vornehmheit auf die Menschen herab, die mit Geld Handel treiben, wenn man sie auch nöthig hatte; man gestand sich ein, daß jede Gesellschaft ihre Eingeweide haben müsse. Jetzt sind sie die herrschende Macht in der Seele der modernen Menschheit, als der begehrlichste Theil derselben. Ehemals warnte man vor nichts mehr, als den Tag, den Augenblick zu ernst zu nehmen und empfahl das  nil admirari  und die Sorge für die ewigen Angelegenheiten; jetzt ist nur eine Art von Ernst in der modernen Seele übrig geblieben, er gilt den Nachrichten, welche die Zeitung oder der Telegraph bringt. Den Augenblick benutzen und, um von ihm Nutzen zu haben, ihn so schnell wie möglich beurtheilen! - man könnte glauben, es sei den gegenwärtigen Menschen auch nur eine Tugend übrig geblieben, die der Geistesgegenwart. Leider ist es in Wahrheit vielmehr die Allgegenwart einer schmutzigen unersättlichen Begehrlichkeit und einer überallhin spähenden Neugierde bei Jedermann. Ob überhaupt der  Geist  jetzt  gegenwärtig  sei - wir wollen die Untersuchung darüber den künftigen Richtern zuschieben, welche die modernen Menschen einmal durch ihr Sieb raiten werden. Aber gemein ist dieses Zeitalter; das kann man schon jetzt sehen, weil es das ehrt, was frühere vornehme Zeitalter verachteten; wenn es nun aber noch die ganze Kostbarkeit vergangener Weisheit und Kunst sich angeeignet hat und in diesem reichsten aller Gewänder einhergeht, so zeigt es ein unheimliches Selbstbewußtsein über seine Gemeinheit darin, daß es jenen Mantel nicht braucht, um sich zu wärmen, sondern nur um über sich zu täuschen. Die Noth, sich zu verstellen und zu verstecken, erscheint ihm dringender, als die, nicht zu erfrieren." - Friedrich Nietzsche in Colli/Montinari (Hg), KSA Bd. 1, München 1988, Seite 462

094 "...denn wer von seinem Tage nicht zwei Drittel für sich hat, ist ein Sklave, er sei übrigens was er wolle: Staatsmann, Kaufmann, Beamter, Gelehrter." - Friedrich Nietzsche, Menschliches Allzumenschliches - Ein Buch für freie Geister, Frankfurt 1982, Seite 201

095 Der theoretische Mensch ist der Gegensatz des Volkes.

096 "Alle sogenannten praktischen Menschen haben ein Geschick zum Dienen: das eben macht sie praktisch, sei es für andere oder für sich selber." - Friedrich Nietzsche, Menschliches Allzumenschliches - Ein Buch für freie Geister, Frankfurt 1982, Seite 479

097 Der gesunde Menschenverstand geht davon aus, daß sich alle seine Begriffe letzten Endes auf wirkliche Einzelwesen beziehen oder wie Newton sie nennt: auf sinnlich wahrnehmbare Größen. Newton faßte die sinnlich wahrnehmbaren Größen als materielle Körper auf.

098 "Daß ich jetzt hier bin, daß ich, mit meinem Winterrock angetan, am Kamin sitze, daß ich dieses Papier mit den Händen betaste und ähnliches; vollends daß die Hände selbst, daß überhaupt mein ganzer Körper da ist, wie könnte man mir das abstreiten? Ich müßte mich denn mit ich weiß nicht welchem Wahnsinnigen vergleichen..." - Rene Descartes in Alfred North Whitehead, Prozeß und Realität, Ffm 1987, Seite 151

099 Die Identifikation ist eine praktische Annäherung an die für das tägliche Leben hinreichende Wahrheit.

100 Der gesunde Menschenverstand ist unbeugsam objektivistisch.

101 "Wenn wir bloß die wären, die wir als Alltagsmenschen sind, wäre jede Revolution nicht bloß ein verzweifeltes, sondern ein hoffnungsloses Unternehmen; denn wie sollten Verhältnisse geändert werden können, wenn wir unser Verhalten zueinander und zu uns selbst nicht ändern? Die aber, die am besten befähigt sind, über den Alltag, über den des Durchschnitts und über den eigenen, hinauszusteigen, sind berufen, die Träger der Revolution zu sein." - Ulrich Linse, Gustav Landauer und die Revolutionszeit 1918 - 1919, Berlin 1974, Seite 208

102 Die Induktion (Schluß vom Einzelnen aufs Allgemeine) ist psychologisch auf Gewohnheit und Glaube begründet.

103 "Der Normalmensch, der in einer Atmosphäre voller Spaltungen aufgewachsen ist, hat seine Ganzheit, seine Integrität verloren. Um wieder ein Ganzes zu werden, muß er den Dualismus in seiner Person heilen, in seinem Denken und seiner Sprache. Er ist gewohnt, Kontraste - kindlich und reif, Leib und Seele, Organismus und Umwelt, Selbst und Realität - so zu denken, als ob sie aus gegenständlichen Größen bestünden." - Perls/Hefferline/Goodmann, Gestalttherapie - Praxis, München 1991, Seite 14

104 Die naiven Realisten glauben, daß das Gras grün ist.

105 "Man könnte den philosophischen Kopf geradezu als den bezeichnen, der sich über das alltägliche zu wundern vermag." - Friedrich Waismann, Logik - Sprache - Philosophie, Stuttgart 1985, Seite 32

106 "Rätsel und Fragwürdigkeiten aufzuspüren, wo die anderen die gerade Straße des Gewöhnlichen vor sich sehen, das macht den philosophischen Geist aus." - Friedrich Waismann, Logik - Sprache - Philosophie, Stuttgart 1985, Seite 596

107 "Die Tatsache, daß der Mensch ein unbedingtes Anliegen hat, offenbart seine Fähigkeit, das beständige Fluten, Wechseln und Dahinströmen der relativen und vergänglichen Erfahrungen seines Alltagslebens zu transzendieren." - Paul Tillich, Wesen und Wandel des Glaubens, Ffm/Berlin/Wien 1975, Seite 18

108 "Man darf im natürlichen Leben nicht mehr als eine  Bedingung  der Kultur sehen, nicht etwas, das schon für sich Eigenwert trägt. Nicht  daß  der Mensch überhaupt lebt, sondern  wie  er sein Leben gestaltet, ist für die Kultur wesentlich." - Heinrich Rickert, Grundprobleme der Philosophie, Tübingen 1934, Seite 168

109 "Zwischen den Menschen ist nichts gleich, nichts ähnlich außer den Namen der Dinge", sagt Euripides und d'Alembert fragt sich in der Vorrede zur Enzyklopädie, "ob nicht dieser gegenseitige Verkehr (zwischen den Menschen) zusammen mit der Ähnlichkeit, die wir zwischen unseren Empfindungen und denen von unseresgleichen bemerken, viel dazu beiträgt, die unüberwindliche Neigung zu erzeugen, die wir verspüren, die Existenz von allen Gegenständen anzunehmen, die uns in die Augen fallen." Ohne ganz soweit zu gehen wie d'Alembert - denn wir nehmen an, daß die Vorstellung von einem Gegenstand auch noch auf andere Weise zustande kommt - müssen wir doch zugeben, daß die Zustimmung der anderen und die Nützlichkeit des Verkehrs unsere Neigung bestärkt. Indessen leistet uns dieses Denksystem auch große Dienste bei unseren Beziehungen zu den Dingen. Es gibt wirklich, wie Mach es nach Mill ausdrückt, "Gruppen von Empfindungen, die zwar nicht absolut unveränderlich sind, sich aber doch so wenig und so langsam ändern, daß wir mit großem Vorteil annehmen, daß sie im Raum und in der Zeit beharren, d.h. daß es  Gegenstände  sind. Ähnlich drückt sich Poincare aus, wenn er die Gegenstände als Komplexe von Empfindungen bezeichnet, die "miteinander durch irgendeinen unzerstörbaren Kitt und nicht durch den Zufall des Tages verbunden sind." - Henry Poincare, Der Wert der Wissenschaft, Seite 270

110 "Nehmen sie einem Durchschnittsmenschen die Lebenslüge und sie nehmen ihm zur gleichen Zeit das Glück gebrauchen sie doch nicht das Fremdwort Ideale; wir haben ja unser gutes Wort Lügen." - Henrik Ibsen in Gershon Weiler, Fritz Mauthner - Sprache und Leben, Salzburg/Wien 1986, Seite 140

111 Die altehrwürdige Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt müssen wir im täglichen Leben schon aus praktischen Gründen vornehmen.

112 "Die Alltagssprache ist ganz und gar mit dem Begriff der Zeit durchtränkt. Man kann ein Verbum (ein Zeitwort) überhaupt gar nicht anders anwenden, als in der einen oder anderen Zeitform." - Vgl. Erwin Schrödinger, Geist und Materie, Zürich 1989, Seite 114

113 Schon Charles Fourier hatte 1818 gefordert, den Menschenverstand neu zu schaffen und alles, was man gelernt hat, zu vergessen, was erforderlich macht, mit dem angeblich gesunden Menschenverstand aufzuräumen.

114 "Im praktischen Leben hat selbstverständlich immer  das Leben  gegenüber der Theorie das  Recht  auf seiner Seite." - Heinrich Rickert, Grundprobleme der Philosophie, Tübingen 1934, Seite 217

115 "Ein Tisch ist nichts anderes, als ein Komplex derjenigen Sinnesempfindungen, die wir mit dem Wort  Tisch  verbinden. Nehmen wir alle Sinnesempfindungen fort, so bleibt schlechterdings nichts übrig. Die Frage, was ein Tisch  in Wirklichkeit  ist, hat gar keinen Sinn. Und so geht es mit allen physikalischen Begriffen überhaupt. Die ganze uns umgebende Welt ist nichts anderes, als der Inbegriff der Erlebnisse, die wir von ihr haben. Ohne dieselbe hat die Umwelt keine Bedeutung." - Friedrich Nietzsche in Colli/Montinari (Hg), KSA Bd. 1, München 1988, Seite 462

116 "In der Tat, der Philosoph ist ein Mensch, der die versteckten Risse im Aufbau unserer Begriffe spürt, dort, wo andere nur den ausgetretenen Pfad der Alltäglichkeit vor sich sehen." - Friedrich Waismann in Karl R. Popper, Auf der Suche nach einer besseren Welt, München 1989, Seite 202

117 Im physikalischen Mikrobegriff wird der Bereich des Alltäglichen und anschaulich Vorstellbaren verlassen und damit werden zahlreiche alltägliche Begriffe nicht mehr anwendbar, darunter auch insbesondere der Begriff der Ursache.

118 Der Sozialismus ist ein Lernprozess, der sich nicht nur im Bewußtsein, sondern in der alltäglichen Praxis abspielt.

119 "Dein alltägliches, gewöhnliches Bewußtsein, das ist der Weg." - Meister aller Traditionen

120 Es ist eine alltägliche Erfahrung, daß das  reine  Denken nicht zu befriedigen vermag. Kein Mensch kann ein  reiner  Denker sein.

121 Wir nennen die alltägliche Indifferenz des Daseins Durchschnittlichkeit.

122 Die göttliche Welt ist keine andere, als die alltägliche Welt.

123 alltägliche Wirklichkeit als oberste Wirklichkeit

124 "Ihr Erscheinen ist einem plötzlich hervortretenden Lichtstrahl ähnlich, selbst wenn sie das Resultat eines langen, vorbereitenden Prozesses des Denkens, des Experimentierens oder der Betrachtung sind. Die Empfindung des betroffenen Individuums gleicht dem Gefühl, herausgehoben zu sein Über das alltägliche Dahinfließen des seelischen und geistigen Stromes. Für die Dauer dieses einen erleuchteten Augenblicks kommt es mit einem anderen Reich in Berührung. Eine derartige Erfahrung stellt einen tiefen Aufruhr des gesamten Seins dar. Oft liegt Überhaupt keine bewußte, unmittelbar auf die tatsächliche Offenbarung bezogene Vorbereitung vor. Diese Idee, die Intuition oder, besser noch, diese Inspiration - dieser Ausdruck ist etymologisch am überzeugendsten - kann in einem Augenblick oder von einer Seite kommen, die man überhaupt nicht in Rechnung gestellt hatte. Sie kann alle vorhergehende Vorbereitungen und Tendenzen ignorieren, und so kann es geschehen, daß der philosophische oder wissenschaftliche Beweis im Nachhinein durchgeführt werden muß. Die Psychologie großer Erfindungen und Entdeckungen, künstlerischer oder philosophischer Entwürfe und religiöser Offenbarungen verfügt Über umfangreiches Beweismaterial Für diesen Einbruch des Geistes. Eine so gewaltige Erfahrung erweckt im Menschen das Gefühl, weniger ein spontaner Schöpfer, als vielmehr das auserwählte Instrument einer höheren Macht oder vielleicht nur der Schauplatz eines folgenschweren Ereignisses zu sein." - William S. Haas, Westliches und östliches Denken, Reinbek 1966, Seite 87f

125 Die strenge Identität ist verschieden von der  laxen  Identität der alltäglichen Sprache.

126 Die Struktur der Alltäglichkeit wird zur Ideologie.

127 die irrationale Realität des alltäglichen Lebens.

128 Wirklichkeitsgaranten der Alltagswelt: Die alltägliche Konversation sichert die subjektive Wirklichkeit vor dem Hintergrund einer Welt, die schweigend für gemäß gehalten wird.

129 "Unser alltäglicher Lebensstil ist unser Programm." - der unbekannte Sponti

130 Es ist eine alltägliche Schwäche des menschlichen Verstandes, daß er widerstrebende Grundsätze unter einen Hut bringen will und damit den Frieden auf Kosten von Vielfalt und Pluralität erkauft.

131  "Substanz  ist einer der am meisten vorherrschenden Begriffe bei unserem alltäglichen Ausblick auf die Welt der sinnlichen Erfahrung und es ist einer von denen, mit denen die Wissenschaft ständig auf Kriegsfuß steht. Die Substanz ist wesentlich positiv, im Gegensatz zur Form, die ganz unparteiisch positiv und negativ ist. Eine andere Eigenschaft der Substanz ist ihre Permanenz oder Halbpermanenz: und in dieser Hinsicht hat sich die Physik vom Substanzbegriff zwar freigemacht, aber ihn durch etwas nicht minder permanentes ersetzt. Daher beherrscht die Substanz noch immer unsere Denkweise: eine verwässerte Substanz, von der keine Eigenschaft übrigbleibt, außer ihrer Permanenz.
     Damit die Zerlegung des Universums in seine Teile mit dieser Denkform übereinstimme, wird verlangt, daß sie keine flüchtige Zerteilung sei, sondern eine Trennung in Teile, in irgendeinem Grad von Permanenz haben. Die Permanenz wird wissenschaftlich in Erhaltungsgesetzen formuliert: Erhaltung der Masse, der Energie, des Impulses, der elektrischen Ladung. In Verbindung mit dem Atombegriff führt uns die Forderung nach Permanenz dazu, als letzte Elementarteilchen Einheiten (Protonen und Elektronen) anzuerkennen, die normalerweise und wahrscheinlich überhaupt unzerstörbar sind. Ferner haben wir in der Wellenmechanik, die es ausdrücklich mit der Wahrscheinlichkeit zu tun hat, eine Zerlegung in Elementarzustände vor uns, das heißt Wahrscheinlichkeitsverteilungen, die einen beträchtlichen Grad von Permanenz besitzen.
     Infolge des Unterschiedes in den betreffenden zeitlichen Maßstäben hat die Permanenz in der Makrophysik eine andere erkenntnistheoretische Bedeutung als die Permanenz in der Mikrophysik. Im zeitlichen Maßstab der atomistischen Veränderungen ist ein Hundertstel einer Sekunde tatsächlich eine Ewigkeit. Ein Merkmal muß bei diesem Maßstab "ewig" sein, wenn es überhaupt im Zeitmaß gewöhnlicher menschlicher Wahrnehmung erscheinen soll. Man hat daher guten Grund, die dauernden Grundzüge mikroskopischer Systeme auszuwählen und die flüchtigen unbeachtet zu lassen. Sowohl die klassische als auch die moderne statistische Mechanik beruth auf dieser Überlegung, welche wahrscheinlich das älteste erkenntnistheoretische Prinzip ist, das in der Physik ausdrücklich anerkannt wird. In der Makrophysik aber bezieht sich die Permanenz auf eine viel längere Zeitspanne des Fortdauerns und daher liegt nicht derselbe Grund vor, die Aufmerksamkeit auf Merkmale zu konzentrieren, die permanent sind. Es ist ein natürliches Ergebnis unserer grobkörnigen Zeitwahrnehmung, daß unsere subjektive Formulierung physikalischen Wissens uns eine Auswahl auferlegt zugunsten eines Beharrens ungefähr bis zu einem Hundertstel einer Sekunde." - Vgl. Arthur S. Eddington, Philosophie der Naturwissenschaft, Bern 1949

zuschriften
Hinweis: Bei den nicht näher gekennzeichneten Textstellen handelt es sich um Passagen, die in verschiedenen Quellen mehr oder weniger sinngleich auftauchen, so daß nicht klar ist, wer von wem abgeschrieben hat.