cr-4ra-3 Christoph SigwartErnst TroeltschEdmund KoenigThomas Achelis    
 
FRIEDRICH ADOLF TRENDELENBURG
Logische Untersuchungen
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"Die Macht des Ganzen ist gleichsam im Samen zusammengedrängt und beherrscht im ganzen Verlauf die Entwicklung. Das Ganze, als das Bildende, ist hier mit der wirkenden Ursache verwachse. Daher geschieht es, daß auf diesem Gebiet des organischen Lebens der Teil, wie er aus dem Ganzen hervorgegangen ist, nur im Leben des Ganzen besteht und, aus diesem Verband gelöst, abstirbt. Im Staatskörper ist zwar eine größere Freiheit der Glieder. Aber auch da wiederholt sich das Gesetz. Der Einzelne hat nur im Ganzen Bestand. Seine lebendige Tätigkeit erlischt, wenn er sich losreißt. Was in den organischen Gebilden von den Gliedern gilt, das gilt ebenso von den Gliedern der Gliede. Das Auge dient dem Leib und ist aus dem Ganzen wie ein notwendiges Organ herausgebildet und wieder die Teile des Auges, Hornhaut, Linse, usw., aus dem Zweck des Ganzen des Gesichts. Die Teile leben ebenso nur im Ganzen, wie sie vom Ganzen gefordert und bestimmt sind."

IX.
DER ZWECK

1. Wir haben im vorangehenden Abschnitt ordnende Begriffe gewonnen, die so weit reichen wie die Bewegung, woraus sie entstehen. Es gibt kein größeres Gebiet, als dieses, denn das Gebiet der Bewegung ist die ganze Welt. Diese Kategorien, die uns durch die eigene Tat verständlich sind, bilden den Ariadnefaden, durch den wir uns auf den Irrwegen der bunten und wirren Wahrnehmungen zurecht finden. Sie vermögen sich nach der ihnen eingebornen Beweglichkeit durch einen verschiedenen Inhalt näher zu bestimmen. Werden sie aber zulangen, um die ganze Erfahrung zu beherrschen?

2. Wir suchen die Antwort in hervorragenden Tatsachen der Erfahrung und werfen daher den Blick auf einige bedeutsame Erscheinungen. Es möge der Sprung nicht auffallen, den wir tun. Wir verlassen einige Augenblicke die logische Ableitung und Zergliederung und versetzen uns mitten in die Gestalten der Natur. Nur da können wir beurteilen, was uns noch an Mitteln fehle, um der Erkenntnis zu genügen; nur da können wir erfahren, wie weit die schöpferische Bewegung mit den aus ihr entspringenden Begriffen, mit der durch ihre Hilfe augenomenen Materie ausreiche. Wir halten die von uns aus der Entwicklung gewonnenen Begriffe gegen den Erwerb und Besitz der Wissenschaften, die Theorie gegen Tatsachen, denen sie gewachsen sein soll.

Betrachten wir, wie ein Beispiel statt aller, das höchste Sinnesorgan, das Gesicht des Menschen.

In der Augenhöhle lagert sich ein Nerv musivisch ab, von allen Nervenzweigen allein für das Licht und die Farben empfänglich. Das Licht von außen und der Nerv von innen entsprechen sich einander im geheimen Verstännis und der Nerv ist für das Licht geboren. Es würde indessen im Auge nur hell schimmern und flimmern, wenn der lichtempfindende Nerv allein das Gesicht bilden sollte. Von allen Seiten strömten dann die sich verbreitenden Strahlen auf alle Punkte der Netzhaut, und die Strahlen verwischten sich gegenseitig. Ein einzelnes Bild würde nicht erscheinen können. Die Natur ist deutlicher und bestimmter. Die Strahlenkegel, die von  einem  Punkt kommen, werden nach  einem  Punkt der Netzhaut zu gebrochen. Die gewölbte Hornhaut, die wässrige Feuchtigkeit, die sammelnde Linse, der dünnere Glaskörper verrichten die Umkehrung des Strahlenkegels innerhalb des Auges, damit die äußeren Punkte in Punkten wieder erscheinen und damit so im sonst verschwimmenden Lichtmeer des Sehnerven Gestalten emporsteigen. So entsprechen den Formen der Oberfläche und der farbigen Zeichnung der Welt die durchsichtigen sammelnden Mittel des Auges und die dem Brechungsvermögen angemessene Tiefe der Augenkugel. Es malt sich nun in verjüngendem Maßstab das Bild der äußeren Welt im Rahmen des Auges. Farbe und Form der Dinge auf der einen und Stoff und Bau der Medien des Auges auf der anderen Seite sind für einander da.

Wenn die Spitzen der umgekehrten Lichtkegel die Netzhaut treffen sollen, um das Bild darauf hinzuzeichnen, so fordern verschiedene Entfernungen der Gegenstände eine verschiedene Brechung der Strahlen. Es ist daher den äußeren Abständen diejenige Fähigkeit des Auges angemessen, die durch innere Veränderung, namentlich durch die wahrscheinlich verschiebbare Wölbung oder Abplattung der Linsengestalt die Strahlen näher oder entfernter sammelt. Den Abständen des Raumes entspricht die zarte Beweglichkeit der inneren Medien des Auges.

Was diese Teile im Großen und Ganzen wollen, das erhellt sich auf diese Weise. Aber kein Werkzeug gehorcht völlig; sowie der Gedanke ausgeführt wird, gibt er sich dem Zufall der Materie preis und muß, um sich zu behaupten, auch den Zufall besiegen. Wären die Augenwände weiß oder farbig, so würden sie Strahlen zurückwerfen und die Deutlichkeit stören; aber ein schwarzes Pigment kleidet die Höhlung aus und schlürft das überschüssige Licht auf. Die sphärische Linse würde, wenn sie ganz verwandt wäre, am Rande die Strahlen ablenken und es würde dann ein Zerstreuungskreis das durch die Zentralteile entworfene Bild verwischen; aber der Schirm der beweglichen Iris deckt den Rand der Linse, der sonst durch einen Schein der Wahrheit trüben würde. Die Linse würde, indem sie die Strahlen bricht, zugleich die Farben zerstreuen und von Neuem die Deutlichkeit des Bildes gefährden; aber die sammelnden Mittel des Auges von ungleicher Brechungskraft, von ungleicher Wölbung und ungleicher chemischer Beschaffenheit sind so gegen einander ausgeglichen, daß das Auge bei richtiger Akkomodation [Anpassung der Brechkraft des Auges - wp] in der Vereinigungsweit achromatisch wird. Der notwendige Fehler des Werkzeugs ist durch schöpferische Vorsicht überwunden.

So wird das Auge im Dunkel des Mutterleibes zubereitet, damit es geboren dem Licht geöffnet werde. Das Auge bildet sich in der verschlossenen Werkstatt der Natur; aber dennoch entspricht es dem Licht, das in unendlicher Entfernung von derselben entspringt, mehr aber noch der wechselnden Farbe, die das Licht auf der Erde, dem Wohlplatz des Geschöpfes, im Zusammenstoß mit der dunklen Materie hervorzaubert.

Reichen hier die obigen Kategorien aus? Auch hier ist ein Vorgang der Bewegung; auch hier stellen sich Materie und Form, Intensives und Extensives, Kraft und Wechselwirkung in einer klaren Reihe hin. Aber treffen sie das eigentliche Wesen der Sache? - Das Licht hat das Auge nicht gemacht noch erregt und doch sehnt sich nach ihm die schlummernde Kraft des lichthellen Nerven. Die Farben und Bilder der Außenwelt gehen ihren Weg und können den Bau der sammelnden Medien und den durchsichtigen Stoff derselben nicht hervorgebracht haben; aber das sinnige Auge setzt die ausstrahlenden Lichtkegel wieder in ihre Quelle, in die sich zum Bild vereinigenden Punkt um, und ist darin ein Vorspiel des tieferen Denkens, das die ausströmende Wirkung wieder in den Grund zu konzentrieren weiß. Die Abstände liegen ruhig in der Welt da, wie geometrische Größen und ändern im Auge nicht; aber das Gesicht geht ihnen entgegen oder eilt ihnen nach. Den äußeren Entfernungen entsprechen die zarten Veränderungen, die im Auge auf verschiedene Weise angelegt sind. Die mögliche Ablenkung des Lichtes und das vorsorgende Diaphragma [Zwischenwand - wp] der Iris, die mögliche Spiegelung der Strahlen und das sie verhütende schwarze Pigment, die eine mögliche Farbenzerstreuung und die kaum zu berechnende Achromasie [Farbenblindheit - wp] des Auges weisen tiefsinnig aufeinander hin. Es ist hier eine Kausalität, aber noch eine andere, als die gestaltende Bewegung. Allenthalben erscheint in den entsprechenden Gegensätzen der äußeren und der inneren Tätigkeit eine Übereinstimmung.

Im Bau des Organs muß doch entweder das Licht die Materie überwunden und gestaltet haben oder die Materie aus sich des Lichtes Herr geworden sein. So scheint es nach dem Gesetz der wirkenden Ursache, aber es ist keins von beiden geschehen. Kein Blick des Lichts fällt in den abgeschiedenen Mutterschoß, wo das Auge gebildet wird: das Licht ist nicht die erregende Ursache noch der Baumeister des Organs; und noch weniger möchte für sich die träge Materie, die nichts ist ohne das energische Licht, das Licht verstehen. Aber doch sind Licht und Auge für einander und es liegt im Wunder des Auges das enthüllte Bewußtsein des Lichtes. Die bewegende Ursache mit ihrer notwendigen Gestaltung ist hier in einen höheren Dienst getreten. Der  Zweck  regiert das Ganze und bewacht die Ausführung der Teile; und durch den Zweck wird das Auge "des Leibes Licht."

Wie sich im Werkzeug des Gesichts der Zweck offenbart, so wiederholt er sich auf ähnliche Weise in den empfänglichen Organen der übrigen Sinne. Wir verlassen sie und werfen beispielsweise einen Blick auf eine entgegengesetzte Tätigkeit des Lebens.

Die Bewegungswerkzeuge des Tieres sind dem Element angemessen, in dem sich das Tier bewegen soll. Bei den Fischen sind der kielförmige Bau des Leibes, die schnellen Schläge des beweglichen Schwanzes, die stützenden und tragenden Flossen auf das flüssige Element gleichsam berechnet. Der Vogel, der die Luft durchschneiden soll, ist nicht bloß mit dem fächerartigen Flügel ausgerüstet und der Kraft und Festigkeit zu den Schwungbewegungen; vielmehr ist sein ganzer Bau luftig und leicht. Die Knochen der Vögel, mit Luft gefüllt, sind leichter und die Luft, von der erhöhteren Lebenswärme ausgedehnt, verhält sich in kleinerem Maße, wie die Luft des steigenden Ballons. Alles entspricht dem elastischen Element der Luft. Die höheren Tiere, die für das Land bestimmt sind, stemmen die festen Knochen gegen den festen Boden, um eine Unterlage für die Bewegung der Schenkel zu gewinnen. Wie das Leben auch nach dieser Seite aus  einem  Gedanken entworfen ist, das erkennt man ebenso in den überraschenden Entdeckungen, die auf diesem Gebiet gemacht sind. Wir erinnern an die merkwürdige Tatsache, daß beim Menschen in der Atmosphäre, in welcher wir leben, der Schenkelkopf durch den bloßen Luftdruck in der genau anpassenden Pfanne zurückgehalten wird und in dieser Lage wie in freier Schwebe seine schwingenden Bewegungen vollführt. Nur wenn sich die Luft verdünnt, wie auf den Bergen, so hebt sich dieses wunderbare Gleichgewicht auf, durch welches den umschließenden Muskeln die volle Kraft für die eigentlichen Verrichtungen der Ortsbewegung verbleibt. Der innerste Bau des Gelenkes und die unteren umgebenden Luftschichten der Atmosphäre, in welcher der Mensch atmet, weisen aufeinander hin. Die prästabilierte Harmonie, welche nach LEIBNIZ das Reich der Natur und das Reich der Sitten verknüpft, begegnet uns auf jedem Schritt in der Natur selbst.

Was die Wissenschaft der Statik und Mechanik durch Versuche und Schlüsse als Lehre vom Schwerpunkt und Hebel mühsam erworben hat, das liegt in den Bewegungswerkzeugen der höheren Tiere und namentlich des Menschen in einem großen Beispiel vor Augen. Was aus den gefundenen Gesetzen als Regel folgen könnte, das findet sich hier, wenn auch unter weiser Beschränkung höherer Rücksichten, verwirklicht; und umgekehrt ließen sich jene Gesetze aus dem Studium der Organe und namentlich durch die Zergliederung ihrer Wechselverhältnisse auffinden. Der Bau des ganzen Körpers und der dadurch bedingte Schwerpunkt mit seiner Beweglichkeit bilden auf der einen Seite eine Forderung, welcher auf der anderen in einem verschiebbaren Unterstützungspunkt und der ausgleichenden Bewegung der verschiedensten Glieder genügt wird.

Sollen die Schritte größer und geschwinder werden, so muß es möglich sein, die beiden Schenkelköpfe in geringerer Höhe über den Boden hinzutragen. Dafür, wie für die Beweglichkeit des zu unterstützenden Schwerpunktes, wirken die Gelenke der Knie, Füße und Zehen mit. Die Bewegung des einen fordert unter gewissen Bedingungen die Bewegung des andern und nimmt sie gleichsam zu einer gemeinsamen Wirkung in sich auf. Mehrere Verrichtungen sind zusammen einem höheren Zweck unterworfen und werden von ihm regiert.

Das Maß der Muskelkraft verlangt in den tragenden Knochen ein bestimmtes Maß der Festigkeit, damit die Kraft den Hebelarm nicht biege und breche. Muskel und Gelenk fordern einander. Ein Muskel hat keinen Sinn, wo nicht mittels eines Gelenkes Bewegung möglich ist. Gelenke wären ohne Muskeln lahm und schlaff und nichts als hindernde Abschnitte im Zusammenhang der Glieder. Die Tatsache des Organismus bestätigt diesen Gedanken. Die vergleichende Anatomie soll es belegen. (1) Wenn zwei Knochen, die im Menschen beweglich verbunden sind, in anderen Tieren zu einem Ganzen verwachsen, so finden sich auch die entsprechenden Muskeln nicht.

Die Macht des Ganzen reicht noch weiter. Die Bewegungsorgane sind wertlos, wenn sie nicht eine Richtung empfangen; und Richtung ist nur möglich, wenn der umgebende Raum von einem Sinn, wie das Gesicht, durchdrungen wird. Schon ARISTOTELES hat auf die notwendige Übereinstimmung zwischen dem vorschauenden Gesicht und den bewegenden Organen aufmerksam gemacht. Der Blick der Augen ist nach vorn gerichtet, wie die Gelenke der Bewegungsorgane. (2) Diese innige Einheit erscheint am schönsten in der zarten Hand des Zeichners, die so vom Blick regiert wird, als zeichneten die Augenachsen mit ihrem Durchschnittspunkt selbst. Die Bewegung fordert den Blick und das Gesicht fordert die Bewegung; denn welcher Widerspruch wäre der freie Blick in einem regungslosen Leibe! Durch das Auge gehen die Beziehungen zur Außenwelt in die Seele ein; der Trieb wird erregt und das Geschöpf muß ihm durch die Bewegung entsprechen.

Das Naturgesetz ist erst herrschendes Gesetz, wenn auch die scheinbaren Ausnahmen aus ihm begriffen werden und die Störungen, wie in der Astronomie, den Grund der Regel nicht nur nicht aufheben, sondern bestätigen. So geschieht es auch mit der Zweckmäßigkeit des Organismus. In den meisten Fällen scheinen Kraft und Hebel, wo sie die Gliedmaßen bewegen, unvorteilhaft angelegt zu sein. Die Muskeln wirken gemeinhin in sehr schiefer Richtung auf die Hebel und ihr Ansatz liegt meistens nahe dem Stützpunkt und fern vom Ende des Hebels. Dadurch bedarf es einers größeren Kraftaufwandes, als sonst nötig wäre. Aber die einseitige Zweckmäßigkeit der Mechanik weicht einer höheren des ganzen Organismus. (3) Wären die Gesetze der besten Hebeleinrichtung die letzte Norm gewesen, so hätte die Form des Körpers eckig und unbeholfen werden müssen; die Ausdehung der Bewegung und das Ebenmaß und harmonische Zusammenwirken der Glieder hätte notwendig darunter gelitten. Der Zweck erscheint in dieser vermeintlich unzweckmäßigen Anordnung nur desto umsichtiger.

ARISTOTELES versucht seiner teleologischen Ansicht gemäß die einzelnen Tätigkeiten und Teile des tierischen Lebens auf das Ganze als den bestimmenden Grund zu beziehen und gleichsam aus dem Ganzen als notwendige Forderungen zu entwerfen. (4) Die neuere Wissenschaft tut ähnliche Blicke, aber umfassender und sicherer. CUVIER hat z. B. in schönen Umrissen den innigen Zusammenhang dargestellt, in welchem die ganze Organisation eines Tieres zu seiner Nahrung steht. (5) Es ist wichtig, in einem solchen von Meisterhand gezeichneten Beispiele zu sehen, wie die abhängigen Glieder aus einem Gedanken des Ganzen hervorgehen.

Jedes lebende Wesen, sagt CUVIER, bildet ein Ganzes, ein einziges und geschlossenes System, in welchem alle Teile gegenseitig einander entsprechen und zu derselben Wirkung des Zweckes durch wechselseitige Gegenwirkung beitragen. Keiner dieser Teile kann sich verändern ohne die Veränderung der übrigen und folglich bezeichnet und gibt jeder Teil einzeln genommen alle übrigen. Wenn daher die Eingeweide eines Tieres so organisiert sind, daß sie nur Fleisch und zwar bloß frisches verdauen zu können, so müssen auch seine Kiefer zum Fressen, seine Klauen zum Festhalten und zum Zerreißen, seine Zähne zum Zerschneiden und zur Verkleinerung der Beute, das ganze System seiner Bewegungsorgane zur Verfolgung und Einholung, seine Sinnesorgane zur Wahrnehmung derselben in der Ferne eigenrichtet sein. Es muß selbst in seinem Gehirn der nötige Instinkt liegen, sich verbergen und seinen Schlachtopfern hinterlistig auflauern zu können. Der Kiefer bedarf, damit es fassen könne, einer bestimmten Form des Gelenkkopfes, eines bestimmten Verhältnisses zwischen der Stelle des Widerstandes und der Kraft zum Unterstützungspunkt, eines bestimmten Umfangs des Schlafmuskels und letzterer wiederum einer bestimmten Wölbung des Jochbogens, unter welchem er hinläuft und dieser Bogen muß wieder eine bestimmte Stärke haben, um den Kaumuskel zu unterstützen. Damit das Tier seine Beute forttragen könne, ist ihm eine Kraft der Muskeln nötig, durch welche der Kopf aufgerichtet wird; dieses setzt eine bestimmte Form der Wirbel, wo die Muskeln entspringen und des Hinterkopfes, wo sie sich ansetzen, voraus. Die Zähne müssen, um das Fleisch verkleinern zu können, scharf sein. Ihre Wurzel wird umso fester sein müssen, je mehr und je stärkere Knochen sie zu zerbrechen bestimmt sind, was wieder auf die Entwicklung der Teile, die zur Bewegung der Kiefer dienen, Einfluß hat. Damit die Klauen die Beute ergreifen können, bedarf es einer gewissen Beweglichkeit der Zehen, einer gewissen Kraft der Nägel, wodurch bestimmte Formen aller Fußglieder und die nötige Verteilung der Muskeln und Sehnen bedingt werden; dem Vorderarm wird eine gewisse Leichtigkeit, sich zu drehen, zukommen müssen, welche bestimmte Formen der Knochen, woraus er besteht, voraussetzt; die Vorderarmknochen können aber ihre Form nicht ändern, ohne auch im Oberarm Veränderungen zu bedingen. Kurz, die Form des Zahns bringt die des Kondylus [knöcherner Teil eines Gelenks - wp] mit sich, die Form des Schulterblattes die der Klauen, gerade so wie die Gleichung einer Kurve alle ihre Eigenschaften mit sich bringt; und so wie man, wenn man jede Eigenschaft derselben für sich zur Grundlage einer besonderen Gleichung nähme, sowohl die erste Gleichung als alle ihre anderen Eigenschaften wiederfinden würde, so könnte man, wenn eins der Glieder des Tieres als Anfang gegeben ist, bei gründlicher Kenntnis der Lebensökonomie das ganze Tier darstellen. Man sieht ferner ein, daß die Tiere mit Hufen sämtlich pflanzenfressende sein müssen, daß sie, indem sie ihre Vorderfüße nur zur Stützung ihres Körpers gebrauchen, keiner so kräftig gebauten Schulter bedürfen, woraus denn auch der Mangel des Schlüsselbeins und des Akromium [höchster Punkt des Schulterblatts - wp] und sich die Schmalheit des Schulterblatts erklärt; da sie auch keine Drehung ihres Vorderarmes nötig haben, so kann die Speiche bei ihnen mit der Ellenbogenröhre verwachsen oder doch am Oberarm durch einen Ginglymus [Scharniergelenk - wp] und nicht durch eine Arthrodie [Kugelgelenk - wp] eingelenkt sein; das Bedürfnis der Pflanzennahrung erfordert Zähne mit platter Krone, um die Samen und Kräuter zu zermalmen; diese Krone wird ungleich sein und zu diesem Ende der Schmelz mit Knochensubstanz abwechseln müssen. Da bei dieser Art von Krone zur Reibung auch horizontale Reibung nötig ist, so wird hier der Kondylus des Kiefers nicht eine so zusammengedrückte Erhabenheit bilden, wie bei den Fleischfressern; er wird abgeplattet sein und zugleich einer mehr oder weniger platten Fläche am Schläfenbein entsprechen; die Schläfengrube, welche nur einen kleinen Muskel aufzunehmen hat, wird von geringer Weite und Tiefe sein.

So entwirft CUVIER, wie ein Architekt der Natur, aus dem Zweck der Nahrung die Mittel und das Gefüge des Baus. WILHELM TISCHBEIN, voll Poesie ein Vertrauter des Tierlebens, verfolgte in seinen Physiognomien der Tierköpfe den selben Unterschied der Fleischfresser und Pflanzenfresser und deutete aus der Nahrung, die sie erjagen und erlisten oder finden und nehmen, die Seelenzustände und den Ausdruck des Tieres, die mutige Kraft oder die friedliche Ruhe, den durchdringenden Blick und scharfen Verstand oder die aufgeschüchterte Phantasie und den matteren Blick eines Tiefkopfes. So ist hier an die Weise der Selbsterhaltung als den höchsten Zweck alles Weitere geknüpft und es hängt davon der äußere Bau und die innerste Lebensregung ab.

Will man die Analogie fortsetzen und den Menschen gleicher Weise von dieser äußeren Seite deuten, so stimmt auch hier das Niedrige zum Höchsten. Soll die Nahrung des Menschen Fleischspeise sein, wie das schon die anatomische Vergleichung ergibt: so fehlt dem Menschen jener ganze Apparat der scharfen Klaue, jene Gewalt des Gebisses, jene schneidende Kraft der zerfleischenden Zähne, um unmittelbar, wie die Tiere, der Beute Herr zu werden. Soll er sich hingegen von Pflanzen nähren, die keinen Widerstand entgegensetzen und daher ohne solche Werkzeuge zu fassen sind: so fehlt ihm hinwiederum jener größere Aufwand tierischer Apparate, der zur Verdauung vegetabilischer Nahrung erfordert wird und im vierfachen zu verschiedenen Verrichtungen ausgebildeten Magen der Wiederkäuer am deutlichsten hervortritt. So steht von vornherein das leibliche Bedürfnis und die leibliche Ausrüstung beim Menschen in Widerspruch; und was im Tier sich völlig entspricht, der Zweck der Nahrung und die Organe des Fangens und der inneren Aneignung, fällt im Menschen auseinander und er steht mit diesem Zweck der Natur von der Natur verlassen da. Aber nur scheinbar. Aus der physischen Gewalt, die ihm abgeht, wird er an die List des Verstandes gewiesen, um die physisch oder chemisch wirkenden Organe zu ersetzen; und er muß sich die Waffe zur Klaue und zum Zahn machen; und ehe er die vegetabilische Nahrung in den Mund nimmt, verdaut er sie gleichsam schon mit Hilfe des Feuers im Voraus bis zu einem Grad, den die Pflanzennahrung bei den Tieren im zusammengesetzten Bau des vielfachen Magens erfährt. Das Kochen vertritt ihm die Stelle des ganzen Verdauungsapparates in den kräuterfressenden Wiederkäuern.

Das nächste Bedürfnis, jener Widerspruch zwischen der Nahrung und den Organen, lehrt den Menschen die Waffe und das Feuer suchen. Mit dem Feuer wuchert dann der zur List erzogene Menschengeist weiter; mit dem Feuer besiegt er Zeit und Raum, die Nacht und die unwirtbaren Zonen; mit dem Feuer beginnt er das trotzige Prometheuswerk der Kultur, durch die er sich von der Natur emanzipiert oder vielmehr das eigentümlich menschliche Leben, durch das er die Natur dem humanen Zweck dienstbar macht. So treibt schon der Stachel des ersten Bedürfnisses den Menschen auf die Bahn einer menschlichen Entwicklung. BLUMENBACH hatte daher Recht, wenn er in seinem System der Naturgeschichte das Menschengeschlecht mit dem prägnanten Charakter  inermis  [unbewaffnet - wp] bezeichnete; und FRANKLIN hatte ebenso Recht, wenn er, der mit neu ersonnener Waffe "dem Himmel den Blitz entriß," den Menschen das  animal instrumentificum  [das werkzeugmachende Tier - wp] nannte. Der Widerspruch, der aus dem befürfnisvollen und doch wehrlosen Zustand des Menschen hervorblickt, steht in der Hand eines höheren Gedankens, damit dem herrlichsten Keim der anregende Antrieb nicht fehle.

Im Niederen liegt ein Vorblick auf das Höhere und das Ganze ist aus  einem  Gedanken entworfen. Was sich in sich zu vollenen scheint, wie selbständig in sich geschlossen, dient wieder als Glied einem umfassenderen, bedeutsameren Leben. Die Pflanzenwelt, in sich groß und schön, opfert ihre Größe und Schönheit der Tierwelt, deren Leben und Erhaltung die Vegetation wie eine Voraussetzung fordert.

Wir dürfen in ähnlicher Weise an die Stufen des Seelenlebens erinnern, welche ARISTOTELES schied und einander unterordnete. Wie die ausgebileten Figuren der Geometrie, war seine Ansicht, wie die Polygone, der Kreis usw. nur aus der einfachsten Figur, aus dem Dreieck begriffen und gemessen werden und wie das Dreieck zwar ohne sie ist, aber sie nicht ohne das Dreieckt sind: so findet sich z. B. die Stufe des ernährenden Lebens ohne das empfindende, aber das empfindende nicht ohne die Ernährung. Wenn der Zweck sich erhebt, so ergreift er den schon verwirklichten Zweck als Mittel.

Wir finden ein überraschendes Beispiel in den Sinne, die der Mensch mit den höheren Tieren gemein hat. In den Tieren dienen die Sinne nur dem Organismus, der seine Erhaltung sucht. Das Tastgefühl, das sich in der menschlichen Hand am freiesten herausbildet, ist auf den niederen Stufen des Tierlebens mit den Werkzeugen zum Bewegen, Greifen, Wehren verwachsen. Der Sinn will hier nur diesen Verrichtungen dienen. Das dumpfe Ernährungssystem hat den prüfenden und warnenden Geschmack empfangen, damit nur gesunde Stoff zur Aufnahme eingelassen werden. Der Geruch ist dem Atmen zugeordnet, wie ein Sinn der Lunge, damit das Lebendige der ungesunden Luft ausweichen könne. Erst später dient er den scharf witternden Tieren für ihre ganze Lebensökonomie. Das Gesicht, als der Sinn des Raumes, ist mit der Anlage zur Bewegung gefordert, damit die Bewegung eine Richtung empfange. Für die Selbsterhaltung genügt die Beschränkung des Auges, wenn die neuere Physik zeigt, daß es noch dunkle Strahlen gebe, welche außerhalb des Farbenspektrums fallen. Das Gehör, das die innersten Schwingungen und Spannungen der Körper anzeigt, dient zunächst Zwecken des einzelnen Organismus. Bald ist es der wachsam horchende Sinn, um die Gefahr zu meiden, bald vernehmen die Tiere durch das Gehör die durch den Ton offenbarte Spannung ihrer Lebensgefühle und es dient dem Geschlechtssinn. So sind in den Tieren die Sinne eng gebunden.

Aber der Mensch befreit sie aus dem selbstischen Zweck des einzelnen Naturorganismus. In den Menschen erscheint ein höherer Zweck und indem sie sich diesem ergeben, verklären sie sich selbst. Nun vermittelt das Tastgefühl in der Hand die mannigfaltigsten Künste; der Geschmack erkennt chemische Differenzen; der Geruch verfolgt die Substanz noch in den Zustand der Verflüchtigung; durch das Gehör wird die verständige Sprache möglich, der Wechselverkehr des Geschlechts, die Bedingung alles Denkens; und das bewegliche Auge erschließt die Unendlichkeit der Welt und ihrer Erkenntnisse. Alle Sinne treten in den Dienst des denkenden Geistes. Selbst die Organe der Ortsbewegung werden von einem höheren Zweck erfaßt und vermitteln die Möglichkeit einer Wissenschaft des Raumes, der Geometrie. So werden die Organe des Lebens von innen gebildet und umgebildet und das Niedere vom Höheren emporgehoben. Wir messen aber das Höhere allein nach dem allgemeineren und mächtigeren Zweck.

Wir wollen die Tatsachen nicht häufen, sondern deuten. Es mag daher nur noch auf das  Eine  hingewiesen werden, die alles Vorangehende gleichsam in Eins zusammenfaßt. Es ist der Same und Keim und seine Entwicklung.

Der Same und die Befeuchtung, der Pflanzenkeim und die Reize des Bodens, des Lichts, der Atmosphäre und zwar in bestimmten klimatischen Unterschieden, entsprechen sich einander. Sie sind gleichsam aus  einem  Geist gedacht. In diesem ununterschiedenen Keim liegen die Unterschiede verborgen und im ganzen Verlauf der Entwicklung regiert jeden Schritt das künftige Ganze. Daß das Ganze früher sei als die Teile, wie ARISTOTELES sich ausdrückt, das liegt im Samen und der Entwicklung desselben sichtbar vor Augen. Die Macht des Ganzen wirkt, ehe es da ist, damit es werde. Der Keim ist das künftige Ganze in der Möglichkeit und Anlage, durch die Entwicklung entstehen die Glieder des Ganzen in der Wirklichkeit. Was ARISTOTELES durch die Dynamis und Energie,  potentia  und  actu  unterschied, das sind dieselben Stufen in logischen Namen festgehalten. Der Same, der sich verändert, gibt sich selbst nicht auf. Das Ende der Entwicklung bringt wieder den Anfang hervor. In der Frucht hat sich der Same vervielfacht. Der Organismus hat seine eigene Möglichkeit von Neuem erzeugt und sogar dasselbe ungeschwächte Leben in vervielfachter Gestalt. Wenn der Organismus in der Samenbildung zu sich selbst zurückkehrt, so teilt er sich gleichsam in dieser Rückkehr, aber er teilt sich so, daß im einzelnen Teil wieder das volle Ganze ist und die Kraft des Lebens nicht abnimmt, sondern wächst. So wird die Vergänglichkeit besiegt und mitten im Physischen drängt sich der metaphysische Gedanke auf, den schon PLATO im Gastmahl und ARISTOTELES in den Büchern von der Seele bezeichnen. "Ein Tier erzeugt ein Tier, wie es selbst, eine Pflanze eine Pflanze, damit sie am Immer und dem Göttlichen Teil haben, so weit sie es können; denn danach streben alle und darum tun alle, was sie nach dem Zweck der Natur tun; weil sie nun am Immer und dem Göttlichen in der Fortsetzung des Lebens nicht teil haben können, da ja kein vergängliches Geschöpft der Zahl nach ein und dasselbe bleiben kann: so sucht es diese Gemeinschaft, so weit es kann und bleibt nicht selbst, sondern  wie  es selbst, zwar nicht der Zahl nach eins, aber der Gattung nach." Von Neuem greift die Zukunft und zwar selbst das Dasein jenseits des eigenen Lebens, in das Leben ein. Es kann dieser Zweck der fernen Zukunft dem nach menschlicher Kraft messenden Verstand kein größeres Paradoxon sein, als der Zweck des fernen Raumes, den die deutliche Tatsache anzuerkennen nötigt, wenn das Auge mit der Quelle des Lichtes harmoniert, die um viele Erdhalbmesser vom Auge weg entrückt ist. Wenn das aus einem Keim entwickelte Leben gleichsam von Zwecken durchdrungen ist und der Außenwelt, für die es bestimmt ist, Werkzeuge entgegenstellt, bald um sie anzueignen und zu genießen, bald um sie abzuwehren und sich selbst zu erhalten, wenn diese Organe darum wie Wunder erscheinen, weil sie, scheinbar von blinden Ursachen hervorgebracht, einen Gedanken darstellen, der die Welt beherrscht, indem er sie durchschaut: so drängen sich im Samen, aus dem sich das Ganze erhebt, diese Wunder wie im kleinsten Raum zusammen.

Der Begriff des Zwecks, der sich in diesen Beispielen der gegenwärtigen Natur kund gibt, hat das Zeugnis der unvordenklichen Vergangenheit für sich. Denn wi die Astronomie in KOPERNIKUS das bis dahin geschlossene Weltall öffnete und den Menschengeist in den unendlichen unendlich erfüllten Raum hinauswies: so öffnet heute die Geologie, welche in der Erde, einem Fragment dieses Weltalls, forschend liest, rückwärts die geschlossene Geschichte bis in eine Perspektive von Perioden, welche nach Millionen von Jahren messen. Sie zeigt uns wilde Kräfte, aber schon in den urältesten den Gegensatz des Lebens; sie zeigt uns die Gewalt physikalischer Zerstörungen und Zertrümmerungen, aber immer wieder das neu und größer über den Trümmern sich erhebende Leben; sie zeigt uns die mannigfaltigen Gestalten der Pflanzen- und Tiergeschlechter, deren Dasein, aus physikalischen Bedingungen unerklärt, ja ihnen entgegengesetzt, immer den gegebenen herrschenden Kräften abgewonnen wird; und wenn die einförmigen physikalischen Bedingungen des Lichts und der Luft, des Wassers und des Bodens für sich eine einförmige Wirkung haben müßten, zeigt sie zu einer und derselben Zeit mannigfaltige Stufen und Formen des Lebens in eigener Bewegung und Empfindung denselben einförmigen Bedingungen gegenüber und aus ihnen ihre Erhaltung und Entwicklung ziehend. (6) In der aufsteigenden Stufenreihe der Wesen steigt die Bedeutung des inneren Zwecks und in diesem Umfang seiner Macht angeschaut, wird er ein Weltbegriff.

3. Was auf den letzten Blättern in einigen Umrissen entworfen ist, soll in  Tatsachen  zeigen, daß die aus der Bewegung entspringenden Kategorien für das Gebiet unserer Erfahrung nicht ausreichen. In der Anschauung der Bewegung herrscht die hervorbringende Ursache; in den angedeuteten Beispielen tritt ihr ein unerörterter Begriff deutlich entgegen, der  Zweck. 

Es wäre zwar leichter gewesen, diesen Begriff aus dem Bereich des menschlichen Willens herzuholen; den auch diesem Gebiet muß die Logik genügen. Aber der Zweck erscheint in der Natur schöpferischen und tiefer; und wir können es uns nicht erlassen, ihn gerade da aufzusuchen, wo er am schwierigsten ist. Es fragt sich daher nun weiter, was denn in diesen Tatsachen als das Wesen des Zwecks erscheint.

Wenn wir zergliedernd in die Tatsache eingehen, so liegt als das Nächste  Entzweiung  und  Vielheit  vor. Nur wo diese ist, findet sich der Zweck. Im unterschiedslosen, einförmigen Kontinuum des Raums, in dem sich gleichmäßig ausdehnenden Luftmeer oder in der zum Niveau strebenden Wassermasse erscheint ursprünglich und an und für sich der Zweck nicht. Alles liegt da gleichgültig nebeneinander. Eins dringt in das Andere; aber nichts setzt sich ab, um wieder in Beziehung zu treten. In diesem Zustand kann sich kein Zweck erheben. Erst wo Entgegensetzung ist, wird der Zweck möglich, der darin sein Wesen hat, daß das Eine für das Andere ist und das Eine auf das Andere bezogen wird, wie der Weg auf das Ziel. Diese Entgegensetzung zeigt sich allenthalben in den obigen und ähnlichen Tatsachen. Die Tiere und die Elemente, in welchen sie leben sollen, das Aug und das Licht, die Lunge und die Luft, die Verdauungswerkzeuge und die äußere Nahrung, die beweglichen Hebelarme der Hand und das Feste, das sie fassen sollen, die Sprache des Einen und das Gehört des Andern, die große Anlage zur Mitteilung durch die Sprache, gleichsam eine geistige Funktion des ganzen Geschlechts und die Individuen, die auf der Basis einer gemeinsamen Gleichartigkeit die Gedanken empfangen können, stehen sich gegenüber und weisen aufeinander hin. Am deutlichsten spricht die Entzweiung, welche der Zweck fordert, aus den beiden Geschlechtern, die sich nach der griechischen Anschauung wie zwei Hälften, aus der Hand der bildenden Natur an entlegenen Orten in die Welt entsandt, unaufhörlich suchen, um das ursprünglich gedachte Ganze herzustellen.

Schon KANT hat nachgewiesen, daß alle geometrische Figuren eine mannigfaltige Zweckmäßigkeit zeigen. (7) Sie sind zur Auflösung vieler Probleme nach einem einzigen Prinzip geeignet. Mit der geraden Linie und dem Kreis, den beiden einfachsten Gestalten, werden eine große Menge von Aufgaben konstruiert. Zwei Linien sollen sich, um KANTs Beispiel beizubehalten, dergestalt einander schneiden, daß das Rechteck aus den zwei Teilen der einen dem Rechteck aus den zwei Teilen der andern gleich sei. Die Aufgabe ist dem Ansehen nach schwierig. Aber alle Sehnen des Kreises, die sich irgendwo schneiden, teilen sich von selbst in dieser Proportion. Die anderen Kurven lösen andere Aufgaben. Es liegt hier eine Zweckmäßigkeit vor, die in der Sache selbst ruht; aber sie tritt erst ein, wenn beide ansich selbständige Figuren zueinander gebracht werden. Das Prinzip der Bildung z. B. beim Kreis oder bei der geraden Linie hat mit dieser Zweckmäßigkeit nichts zu tun. Kreis und gerade Linie sind für sich da. Indem sie jedoch zusammenwirken, erscheint ihre Zweckmäßigkeit. Dasselbe läßt sich in der Arithmetik zeigen. Soll eine Gleichung aufgelöst werden, so regiert ein bestimmter Zweck die Methode. Aber alles Transponieren und Eliminieren, alles Substituieren und Ergänzen setzt getrennte und vereinbare Zahlgrößen voraus.

Wie demnach in der Natur des Zwecks der Begriff der Beziehung liegt, so fordert der Zweck, um überhaupt möglich zu sein, eine Vielheit der Dinge oder Elemente.

Was sich demgemäß im Zweck entspricht, ist von einer Seite selbständig; die Dinge setzen sich gegeneinander ab. Wo die wirkende Ursache der Bewegung alles bestimmt, da erscheint das einzelne Ding nur wie ein abgerissenes Stück des Ganzen. Auf dem Gebiet des Zwecks aber schließt sich die Substanz in sich, um sich entgegenstellen zu können; und die Glieder des Gegensatzes stellen sich unter ein neues Ganzes. Die gerade Linie und der Kreis bestehen für sich unabhängig, aber wenn sie zur Lösung einer Aufgabe zusammentreten, so bilden sie durch den Gedanken, der sich darin verwirklicht, ein gegliedertes Ganzes. Das organische Leben, das sich selbst erhalten will, steht nur in relativer Selbständigkeit dem Leben der Natur gegenüber, in das es mit seinen Organen eingreift; es ist ein Verhältnis des Bedürfens. So strebt das Auge dem Licht entgegen; die Lunge verlangt nach Luft usw. Die Entzweiung, die der Zweck fordert, wird durch den Zweck wieder aufgehoben. Vielheit für eine Einheit ist demnach der Ausdruck der einfachen Tatsache.

Wir sehen vom neuen Ganzen weg, in das sich das Entzweite zusammenfügt. In diesem einen Glied pflegt der Zweck seine architektonische Macht besonders auszusprechen, indem das andere, mehr die Gewalt der wirkenden Ursache, gleichsam das Ziel ist, für welches gearbeitet wird. So ist im Gegensatz des Lichts und des Auges das Organ vom Zweck durchdrungen, um sich mit dem Licht zu vereinigen, während sich das Licht still hält und sich nur dem tätigen Auge fügt, das seine Gesetze berücksichtigt. So geschieht es in der Mehrzahl der Fälle. Der Zweck erscheint als die bildende Ursache zuerst im Werkzeug. Im Auge verwirklicht sich der Zweck zu sehen, in den Bewegungsorganen der Zweck der Ortsveränderung, in den Geschlechtsorganen die Fortpflanzung usw.

Wo die wirkende Ursache etwas erzeugt, da erzeugen die Teile das Ganze. Zwar mag man dialektisch sagen, die Teile seien nur Teile durch das Ganze; und Teile werden nicht eher unterschieden, als bis das Ganze da sei. Allerdings ist es so, wenn wir die Bezüglichkeit des Namens drängen und von Erkenntnis sprechen, nicht von Entstehung. Die blinde Bewegung, welche die Linie erzeugt, treibt die Teile der Linie stetig hervor; wenn die Bewegung anhält, ist das Ganze da, und die vorangehenden Teile haben das Ganze hervorgebracht. Wo der Zweck regiert, kehrt sich das Verhältnis um. Wenn wir uns, um das äußerlichste Beispiel zunächst anzuführen, ein System einer geometrischen Figur denken, in welchem eine Aufgabe gelöst ist, z. B. jene sich kreuzenden Sehnen im Kreis, deren Abschnite die gesuchten gleichen Rechtecke geben: so geht das Ganze voran, inwiefern es in der Aufgabe angedeutet ist und die Teile werden vom Ganzen hervorgebracht. Es läßt sich dies sogar in der Weise erkennen, wie die Analysis Aufgaben löst. Das Ganze wird, wie es die Aufgabe fordert, als verwirklicht gedacht und sodann gefragt: Wie ist die Verwirklichung möglich? Die Bedingungen, die sich dadurch ergeben, führen erst auf den Entwurf der Teile. Aus dem Ganzen werden die Teile bestimmt. Jenes ist vor diesen. Die Mechanik der Bewegungswerkzeuge steht der geometrischen Aufgabe zunächst, da sie wesentlich auf einer solchen beruth. Im Auge, dem tiefsinnig entworfenen Organ, bestimmte die Tätigkeit des Ganzen die mitwirkenden Teile, damit das deutlichste Bild erscheine. Jene Architektonik der Natur, in welche uns CUVIER beim Bau der Fleischfresser und Kräuterfresser blicken läßt, gibt aus dem Grundzug der ganzen Lebensökonomie die Umrisse der Teile. GOETHE hat in dem Aufsatz über GEOFFROI de Saint HILAIRE, seinem wissenschaftlichen Schwanengesang, diese geheimnisvolle Übereinstimmung der Teile, die im Tier aus dem determinierenden Ganzen stammt, in einzelnen Linien weiter gezeichnet. (8) Wenn auf diese Weise ideell das Ganze vor den Teilen ist, so zeigt es sich ebenso real im Samen, der mit Recht das potenzielle Ganze genannt ist. Die Macht des Ganzen ist gleichsam im Samen zusammengedrängt und beherrscht im ganzen Verlauf die Entwicklung. Das Ganze, als das Bildende, ist hier mit der wirkenden Ursache verwachse. Daher geschieht es, daß auf diesem Gebiet des organischen Lebens der Teil, wie er aus dem Ganzen hervorgegangen ist, nur im Leben des Ganzen besteht und, aus diesem Verband gelöst, abstirbt. Im Staatskörper ist zwar eine größere Freiheit der Glieder. Aber auch da wiederholt sich das Gesetz. Der Einzelne hat nur im Ganzen Bestand. Seine lebendige Tätigkeit erlischt, wenn er sich losreißt. Was in den organischen Gebilden von den Gliedern gilt, das gilt ebenso von den Gliedern der Gliede. Das Auge dient dem Leib und ist aus dem Ganzen wie ein notwendiges Organ herausgebildet und wieder die Teile des Auges, Hornhaut, Linse, usw., aus dem Zweck des Ganzen des Gesichts. Die Teile leben ebenso nur im Ganzen, wie sie vom Ganzen gefordert und bestimmt sind.

ARISTOTELES, der die Natur mit dem Zweck verklärt und auch noch in der Betrachtung des Staates organischer Physiologe ist, sagt zu Anfang seiner Politik (9) kurz und bezeichnend: "Auch ist offenbar von Natur der Staat früher als die Familie und jeder Einzelne von uns. Denn das  Ganze muß notwendig früher sein als der Teil.  Denn wird das Ganze aufgehoben, so wird auch nicht Fuß noch Hand mehr sein, ausgenommen dem gleichen Namen nach, wie man etwa auch von einer steinernen Hand redet; indem die natürliche Hand abstirbt, wird sie solcher Art sein." Dies ist der schlagende Ausdruck für die Absicht des Zwecks. Wir stellen demselben als den einseitigen Gegensatz das Wort des ROSCELLIN gegenüber:  omnis pars naturaliter prior est suo toto  [Das Ganze ist allem Naturgemäßen vorgeordnet. - wp] (10). Es ist der beschränkte Ausdruck für die durchgeführte Ansicht der wirkenden Ursache. Da sich überhaupt der Nominalismus auf das sinnlich Einzelne und Vorliegende versteift, so muß er gegen den Zweck die Augen verschließen, der den Grund aus dem Allgemeinen und aus der Zukunft gewinnt.

Hiernach erzeugt die wirkende Ursache das Ganze aus den Teilen und umgekehrt der Zweck die Teile aus dem Ganzen. Wir gehen diesem merkwürdigen Gegensatz weiter nach.

Wir unterscheiden im Vorgang der wirkenden Ursache die Ursache als das Frühere und die Wirkung als das Spätere. Wenn der Begriff der Kausalität, in dem der Zusammenhang der Erkenntnis ruht, den Sturm der Skepsis zu bestehen hatte, so rettete man sich häufig in diesen Unterschied hinein als in den letzten festen Punkt. (11) Im Urteil der wirkenden Ursache: die Reibung des Bernsteins erzeugt Elektrizität, geht die hervorbringende Ursache der Zeit nach voraus (das Reiben), und die hervorgebrachte Wirkung (die Elektrizität) schließt sich nachfolgend an. Der Prozeß ist zwar ein Kontinuum, aber der Unterschied stellt sich deutlich heraus, wenn man nicht bloß auf die Endpunkte der Ursache sieht, die schon der Anfang der Wirkung sind, sondern den  ganzen  Verlauf der Ursache auffaßt. Vergleichen wir mit diesem Grundverhältnis die Wirksamkeit des Zwecks. Wir verwandeln jenes Beispiel in ein Urteil des Zwecks, indem wir etwa sagen: wir reiben den Bernstein, damit Elektrizität entstehe. Die Wirkung ist hier der Zweck und dieser Zweck ist wieder Ursache. Das Nachfolgende wird zu einem Früheren; die Zukunft, die noch nicht da ist, regiert die Gegenwart. Das Verhältnis der wirkenden Ursache dreht sich geradezu um und es verschwindet die Ordnung der Zeit, die sonst in der Kausalität als das Feste angeschaut und als die Ordnung der Dinge gepriesen wird; denn das Ende wird zum Anfang.

Die obigen Darstellungen belegen es in Tatsachen. Das Auge hat brechende Medien, damit sich die von einzelnen Punkten ausgehenden Strahlenbüschel wieder in einzelne Punkte sammeln. Die Sammlung der Strahlen ist die Wirkung des durch den Bau des Auges vermittelten Vorganges. Diese Wirkung, das Spätere, wird zum bestimmenden Grund, zum Früheren. Dieses umgekehrte Verhältnis der wirkenden Ursache wiederholt sich in einem und demselben Organ und zwar so weit, daß selbst eine mögliche Zukunft, die nicht eintreten soll, den Bau bestimmt. Die Natur selbst fällt ein negatives Urteil des Zwecks, wenn sie durch den die Linse bedeckenden Rand der Iris verhütet, daß sich ein farbiger Zerstreuungskreis auf der Netzhaut bilde. Die mögliche Wirkung greift hier schon bildend ein. Wenn nach einem anderen oben angedeuteten Beispiel die Festigkeit der Knochen zur Stärke der Muskeln stimmt, wie der unbiegsame Hebelarm zur Kraft und Last: so hat die Bestimmung des Knochens den Knochen gebaut. Der Knochen ist so und so stark, damit er die feste Widerlage dieses Muskels bilde. Diese Wirkung der Festigkeit ist die Ursache derselben. Wenn der Same das Geheimnis der Entwicklung verbirgt, die ganze Zukunft des Organismus: so ist er von dieser gleichsam durchdrungen und gebunden und hat in dem, was werden soll, also in seiner Wirkung den Grund seiner Eigenschaften und Tätigkeiten. Die Natur spricht es demnach als einfache Tatsache aus, daß dasjenige, was von Seiten der wirkenden Ursache das Nachfolgende und Hervorgebrachte ist, im Zweck gerade das Vorangehende und Hervorbringende wird. Was in der wirkenden Ursache wie ein unwandelbares Gesetz der Sukzession unterschieden wird, das verkehrt sich im Zweck mit einer der Zeitfolge spottenden Kühnheit ins Gegenteil.

Wie kann aber die Wirkung zur hervorbringenden Ursache werden? Schon ARISTOTELES hat einfach angedeutet, (12) wie es in der analytischen Aufgabe der Geometrie geschieht. Das Erkennen und das Hervorbringen stehen in einem Gegensatz. Die Forderung der Aufgabe, das Ganze, das werden soll, wird zwar zuerst erkannt, aber ist erst der Abschluß der Konstruktion. Hingegen wird der Anfangspunkt des hervorbringenden Entwurfs gerade zuletzt erkannt. Was das Erste im Erkennen ist, wird im bildenden Vorgang das Letzte und was das Letzte im erkennenden ist, wird im bildenden das Erste. Auf ähnliche Weise geschieht es, wie ARISTOTELES zeigt, im freien menschlichen Leben. Der Gedanke des Zwecks ruft, wie in der mathematischen Aufgabe, den Gedanken der Bedingungen hervor und sucht das Prinzip dieser Bedingungen in einer eigenen möglichen Tätigkeit. Das freie Denken, das als solches in die Zukunft hineinschaut und Zweck und Bedingungen, Möglichkeiten gegen Möglichkeiten abmißt und endlich entschieden die Vorstellung in die Tat überspielt, ist dabei die Voraussetzung. Die eigentlich logische Frage ist zwar in einer solchen Betrachtung nicht gelöst. Denn es erhellt noch nicht im letzten Grund, wie das Denken, das gegenwärtige, eine Macht über die zukünftige Wirkung gewinnt. Es mag indessen auf diesem Gebiet des menschlichen Lebens die Erklärung einstweilen genügen.

Wer die Wirklichkeit einer Ursache nach Zwecken leugnete, wie SPINOZA, (13). der suchte allen Zweck in ein Spiegelbild der menschlichen Vorstellung zu verwandeln und ließ dann dieses Spiegelbild - diesen Schein des Zwecks - durch die Bewegung einer wirkenden Ursache, z. B. durch einen natürlichen Trieb, entstehen, so daß der Zweck in einen Flimmer der Vorstellung aufgelöst und die wirkende Ursache zur Alleinherrschaft erhoben wurde. Bewußtsein und Trieb ist hier der Mittelbegriff, der alle Schwierigkeit heben soll. Wir wollen die faßliche Erklärung zugeben, wenn irgendjemand Bewußtsein und Trieb in ihrem innersten Wesen ohne den Zweck begreifen kann. Dringt man in die Gründe derselben ein, so zeigt sich bald die Unmöglichkeit. Doch wir verlassen lieber vorläufig diese zweifelhafte Sphäre, indem wir nur andeuten, daß auf solche Weise das Problem zwar zurückgeschoben, aber nicht gelöst wird; und wir wenden uns an die vorliegenden Tatsachen der bewußtlosen Natur, wo wir wenigstens zu einer solchen Erklärung durch die Sache selbst nirgends angewiesen werden. Die Begriffe der wirkenden Ursache bekennen hier, daß sie nicht genügen. Wo sie allein anerkannt werden, da bleiben die größten Werke der Natur ein unbegriffenes Wunder. Denn es ist danach unmöglich, daß das Spätere, was noch nicht ist, zum Früheren werde, die Wirkung zur Ursache.

Das Alltägliche hört nicht auf, weil es alltäglich ist, ein Wunder zu sein; denn soll dieses Wort einen Sinn haben, so deutet es das stumme Staunen an, das billig den sich allmächtig dünkenden Gedanken befällt, wenn die Mittel der begreifenden Erkenntnis und die in den Tatsachen herandringende Aufgabe derselben in Widerspruch stehen. Das Wunder ist heutzutage ein verrufenes Wort und sollte, meint man wohl, in logischen Untersuchungen nicht vorkommen. Man glaubt es abgefertigt zu haben, wenn man dagegen die "immanenten Naturgesetze" aufruft. Ob aber diese selbst nicht das Wunder sind? Es wird das Wunder erzählt, daß von sieben Broten fünftausend Mann gespeist wurden; und dies ist leicht in Abrede zu stellen, weil ein solcher Bericht den beobachteten Naturgesetzen widerspreche. Aber ist man nun damit das Wunder los geworden? Dieses freilich; aber dasselbige kehrt gerade innerhalb der Naturgesetze größer wieder. Alljährlich werden fünftausend Mann von sieben Broten gespeist. Alljährlich wird das Korn verzehrt und es bleibt für die Bevölkerung ganzer Länder nicht mehr übrig als etwa das Korn der sieben Brote; und alljährlich wächst wieder aus diesen übrig gebliebenen Brosamen die ganze Ernte, die volle Speisung für alle. Die ihr nun das  eine  Wunder geschlagen habt mit der Tatsache des Naturgesetzes, erkennt doch an, daß in derselben die Wunder umso großartiger erscheinen. Es bedarf keiner Nachweisung, daß in diesem Beispiel das Gesetz der äußeren Natur und das Bedürfnis des Lebens auf eine Weise zusammenstimmen, die einen höheren Zweck voraussetzt. Auch hier ist jenes große Hysteronproteron [das Spätere ist das Frühere - wp], jene Verwandlung des Endes zum Anfang, jener Umsturz des einleuchtenden Kausalnexus. Eine solche Verkehrung des natürlichen Laufes wollte selbst großen Geistern, wie SPINOZA, so wenig in den Sinn, daß sie lieber den Zweck ganz leugneten. Aber er ist da; und es fragt sich nur, in welcher Ausdehnung. Die historische Kritik hat ihr Recht und es soll ihr nicht verkümmert werden. Wir hassen nur den Triumph eines kleinlichen Verstandes, der, wenn er nur das Wunder in der christlichen Erzählung beseitigt, durch alle Welt hindurch eine eigene Bahn zu haben meint, wie eine schnurgerade Chaussee. Die Alten waren tiefer; sie leiteten alles Philosophieren aus der Bewunderung her. Denn wenn der Geist vor den unbegriffenen Erscheinungen staunt, so stachelt ihn das Staunen zum Erkennen an. Jene zog die Größe und Hoheit der Tatsachen hinauf; wir ziehen diese lieber zu uns in die flache Faßlichkeit herab und setzen dem Anfang der Philosophie, der nach PLATO aus der Bewunderung stammt, die konsequente Vollendung entgegen, das abgestumpfte  nil admirari  [nichts bewundern - wp]. Das ist aber für das Erkennen das Ende aller Tage. Daher scheuen wir uns nicht, etwas so lange als ein Wunder auszusprechen, bis es gelöst ist.

Eine  bewußtlose Zweckmäßigkeit  ist zwar das Faktum der bildenden Natur, aber nicht mehr als ein Faktum. Wenn man in dem Wort schon das Rätsel glaubt gelöst zu haben, so hat man es vielmehr nur geschärft, - denn wie kann die tiefsinnige Zweckmäßigkeit bewußtlos und blind gedacht werden?

Diese Frage darf stehen bleiben, auch nachdem EDUARD von HARTMANN eine Philosophie des Unbewußten schrieb (1869), welche den Zweck umfassend und reichhaltig in der organischen Natur und im Menschen verfolgt. Der Begriff des Unbewußten, ansich negativ, kann als solcher kein Prinzip der Möglichkeit für positive Tatsachen enthalten. Wenn dem Unbewußten ein absolutes Hellsehen zugeschrieben wird, dem immer und und momentan alle Data zu Gebote stehen, (14) so ist diese Analogie des Hellsehens pathologischer Natur und weder als Tatsache kritisch festgestellt noch in ihren Gründen erkannt. Daher bedarf diese Theorie der unbewußten Zweckmäßigkeit noch weiterer Aufklärung.

Die wirkende Ursache, der gewöhnliche Gesichtspunkt des Verstandes, zeigt sich im ganzen vorliegenden Fall ohnmächtig. Die schaffende Natur umschließt ihre Werkstatt so sorgsam, als wollte sie gleichsam die Möglichkeit abschneiden, an eine Erklärung aus der wirkenden Ursache zu denken. Wäre z. B. das Auge, indem es sich bildet, dem Licht zugekehrt: so würde man zunächst vermuten, daß sich der berührende Lichtstrahl dieses edle Organ zubereitete. In der Kraft des Lichtes würde man die wirkende Ursache vermuten. Aber das Auge bildet sich im Dunkel des Mutterleibes, um geboren dem Licht zu entsprechen. Ebenso ist es mit den übrigen Sinnen. Zwischen dem Licht und dem Auge, zwischen dem Schall und dem Ohr, zwischen dem Festen und der Mechanik der Bewegungsorgane usw. zeigt sich eine vorherbestimmte Harmonie. Denn ohne daß sie eine Gemeinschaft hatten, treten sie plötzlich, und zwar nicht indem sie werden, sondern nachdem sie geworden sind, in die innigste Gemeinschaft. Das Licht hat nicht das Gesicht erregt, noch der Schall das Ohr, noch das Element, in welchem sich das Geschöpf bewegen soll, die Bewegungswerkzeuge; aber die Organe sind für diese Erscheinungen da. Der Zirkel offenbart sich deutlich. Das Organ fällt mit seinem zweckverkündendem Bau unter das Gesetz seiner eigenen Wirkung. Das Auge sieht, aber das Sehen selbst hat das Auge gebaut. Die Füße gehen, aber das Gehen selbst hat die Gelenke der Füße gerichtet. Die Organe des Mundes sprechen, aber die Sprache selbst, die Notwendigkeit der Gedankenäußerung, hat sie von vornherein beweglich gebildet. Dieser Zirkel ist der Zauberkreis der einfachen Tatsache; und die praestabilierte Harmonie [die allen Dingen innewohnende Ordnung - wp] scheint auf eine die Glieder umfassende Macht hinzuweisen, in welcher der Gedanke das  A  und  O  ist.

Daß der Gedanke als das Erste der Erscheinung zugrunde liegt, das zeigt eine einfache Betrachtung des Urteils. Wenn wir sagen, das Auge sieht: so ist die äußere Tätigkeit (die wirkende Ursache) als das Erste gesetzt und das Urteil beschränkt sich darauf, diese Tätigkeit geistig nachzubilden. Die äußere Tätigkeit ist das Ursprüngliche und in dieser Tätigkeit ist kein Urteil eingehüllt. Sagen wir hingegen: das Auge hat brechende Medien, damit es sehe: so geht das Urteil (damit es sehe) der Tätigkeit voran; es ist das Urteil in der Tatsache selbst hervorgehoben. Die äußere Erscheinung (das Auge hat brechende Medien) steht selbst auf der Basis des Urteils. Wo die wirkende Ursache rein und lediglich für sich betrachtet wird, da ist der Gedanke nur ein Abbild, nur eine Darstellung der ihm selbst fremden Tätigkeit. Sobald indessen der Zweck hineinscheint, stellt vielmehr die wirkende Ursache einen Gedanken dar. Wenn der Kreis durch die Bewegung des Radius entsteht, so ist der Gedanke Zuschauer und die wirkende Ursache besteht für sich und bestimmt das auffassende Urteil. Werden dagegen zwei sich schneidende Sehnen im Kreis gezogen, damit durch die Abschnitte die Seiten gleicher Rechtecke entstehen: so hat sich die wirkende Ursache nach dem Urteil des Zweckes gerichtet. Die aus der Bewegung als der wirkenden Ursache abgeleiteten Kategorien konnten demgemäß nichts anderes sein, als die aus der ursprünglichen Tätigkeit notwendigen und demnächst beobachteten Begriffe. Der Gedanke verfolgte sie, indem sie wurden; und der Gedanke begegnet sich in ihnen nur insofern selbst, als die entsprechende Tätigkeit seinem eigenen Wesen zugrunde liegt. Wo sich mitten in den wirkenden Kräften die vorherbestimmte Harmonie des Zwecks erhebt, da ist diese Vorherbestimmung, wie die vom Gedanken durchdrungene Tatsache beweist, unmöglich Zufall. Die strenge Unterordnung der Funktion, die kräftige Selbsterhaltung, die geheimnisvolle Fortpflanzung, diese weitgreifende Fürsorge geht über die Ohnmacht eines blinden Würfelspieles hinaus.

Es ist ein einfaches, aber bedeutsames Ergebnis, daß, soweit der Zweck in der Welt wirklich geworden, der Gedanke als Grund vorangegangen ist.

Genügt denn der vorangegangene Gedanke, dieses ideale Prius, um die Tatsache des verwirklichten Zweckes zu verstehen? und wie muß ein solcher Gedanke beschaffen sein? Der nackte Gedanke, der sein Reich für sich hat, genügt nicht. Aus ihm wird nichts als ein Bild und zwar, wenn es für sich bleibt, nur ein leeres und ohnmächtiges Bild. Wir kennen es noch nicht weiter, als in dieser Abgeschiedenheit der inneren Bewegung.

Der zugrunde liegende Gedanke ist kein stummes Bild, wie die Figur auf der Tafel, denn er  will  etwas. Das Auge hat brechende Medien, damit es sehe. Die einzelnen Tiere haben diesen bestimmten Bau, damit sie Fleisch fressen. Muskeln und Gelenke dienen zur Bewegung. In allen solchen Fällen hat der Gedanke eine bestimmte Richtung (Sehen, Nahrung, Bewegung). Der Gedanke ist mitten unter die Dinge gestellt und setzt sie voraus, wie sie ihn voraussetzen. Ohne die Entzweiung und den Unterschied ist kein Zweck möglich. Wenn der Gedanke im Zweck das Entzweite wiederum ergänzt und die Einheit herstellt, so tut dies nur der erfahrene Gedanke. Nur der die Kräfte durchschauende Blick gewinnt ihnen etwas ab. Dem das Auge bauenden Gedanken lagen die Natur des Lichts und die Mittel des organischen Lebens durchsichtig da. Denn sonst hätte er das Eine nicht so wunderbar dem Andern zugebildet, daß es nun in ihm seine Sehnsucht erfüllt und Leben empfängt. Die Mechanik der Bewegungsorgane offenbart einen Gedanken, der die Gesetze des Festen und Starren ihrem eigenen Gegenteil, der lebendigen Bewegung, dienstbar macht. Der Gedanke, der dem organischen Leben die Nahrung zuweist und der zugewiesenen Nahrung die Organe bereitet, hat die Chemie der Stoffe durchdrungen und dem chemischen Prozeß die mechanischen Vorrichtungen zuzuordnen gewußt.

Wir fragen hier noch nicht, wie sich dieser Kreislauf öffnen soll, wenn das zweckvolle Dasein auf dem regierenden Gedanken ruht und wieder erst der Gedanke die Dinge voraussetzt. Wenn sich die Ansicht des Ganzen zur philosophischen Weltansicht ausbilden soll, so bildet gerade diese Einheit den tiefsten Punkt. Wir lassen hier den Anfang und Gang der gegenwärtigen Untersuchung nicht außer Augen. Es waren die Kategorien aus der Bewegung entwickelt, als die aus derselben erzeugten allgemeinen Begriffe. Genügen sie, wurde gefragt, den Tatsachen, die wir erkennen? Da traten unzweideutige Erscheinungen hervor, die nach allen Seiten den Zweckbegrif als den Grund ihres Wesens verkündeten und wir suchen daher das auf, was darin weiter reicht, als die Kategorien der in der Bewegung dargestellten wirkenden Ursache. Indem sich im Zweckbegrif das Zeitverhältnis von Ursache und Wirkung umgekehrte, erschien der vorausgehende Gedanke als die nächste Lösung des Wunders. Die Erscheinungen sind nur Glieder des Ganzen. Diesen einzelnen Gliedern - nur das lag in den Tatsachen - geht der bestimmende Gedanke voran und zwar der als solcher in die wirkende Ursache einsichtige. Ob überhaupt und das Ganze angesehen die wirkende Ursache dem Zweck vorangeht oder der Zweck der wirkenden Ursache: das bleibt zunächst unerörtert. Denn die Sache selbst frägt danach noch nicht.

Ist es allein der einsichtige und erfahrene Gedanke? Wenn derselbe baut und dadurch den Zweck erreicht, so ist er zugleich wirkende Ursache. Ohne diese Verbindung ist er matt und platt und schlägt nimmer etwas Neues aus dem Lauf der Kräfte hervor. Der Gedanke ist mit den wirkenden Ursachen eins und richtet sie gegeneinander, daß sie ihm dienen.

Ist nun dieses Verhältnis des Gedankens zur wirkenden Ursache List oder Macht? Es wäre List, wenn die wirkende Ursache als ein Fremdes gegenüber stehend gleichsam durch sich selbst abgestumpft oder abgerieben würde, um sich dem Gedanken zu ergeben. In der List herrscht ein Mißverhältnis. Der Gedanke fühlt seine Ohnmacht im Reich der Kräfte; aber indem er die Übermacht der wirkenden Ursache kennt, weiß er sie als gedankenlos und wiegt sie durch den Vorteil auf, in dem er als Gedanke steht. Dann ist der Gedanke immer nur teilweise in der Welt anerkannt, immer nur wie der schlaue Sklave im Hause des Herrn oder der verschlagene Hofmann in der Nähe des Fürsten. Der Gedanke bleibt dann doch nur ein Fremdling in der Welt. Ist aber der Gedanke das Erste und Letzte und keine wirkende Ursache vor ihm: dann erst liegt die Macht in seiner Hand. Wenn der Gedanke nur auf der  einen  Seite des Gegensatzes steht und ihm also die andere Seite wie eine blinde und fremde Gewalt gegenüber bleibt: so ist seine Tat List und sein Werk eine Tugend aus Not. Wenn aber der Gedanke nicht zwischen den Dingen steht, sondern mitten drin und über ihnen als das für alle Gleiche: so ist seine Einheit mit der wirkenden Ursache Herrschaft und Macht. Aus  einzelnen  Erscheinungen vermag diese Frage nicht beantwortet werden; aber es ergibt sich, wie auch das Verhältnis gedacht werden mag, die Einheit von Zweck und Kraft als notwendig.

Die Untersuchung nimmt, von der Sache selbst geführt, einen eigenen Weg. Die wirkende Ursache, wie sie in der Bewegung erschien, schloß zuerst den Zweck aus. Der Zweck stellte sich ihr gerade entgegen, indem er ihr Zeitgesetz umkehrte und das Spätere zum Früheren, das Frühere zum Späteren machte. Der vorauseilende Gedanke schien den Widerspruch zu heben; aber damit er ihn heben könne, fordert er die Einheit mi der wirkenden Ursache. Diese Durchdringung von Zweck und Kraft, von Denken und Sein ist daher ebensosehr das einfache Faktum, als die Voraussetzung allen Verständnisses desselben. Diese Durchdringung stellt sich am anschaulichsten im Samen dar. Der Same ist das vorgebildete Ganze. Wenn er befruchtet den natürlichen Reizen hingegeben ist, so entwickelt er sich. Vom Keim bis zur Blüte und Frucht ist in der Entwicklung der regierende zusamenhaltende Zweck und die aneignende hervortreibende Kraft eins und dasselbe. Es mag scheinbar nur die wirkende Ursache tätig sein, daß die Entwicklung wie eine Bewegung blindlings abzulaufen scheint; aber die Entwicklung geschieht von innen und behauptet den Zweck. Es steht die Kraft im Dienst des Zweckes.

Wo der Zweck erscheint, will er eine Tätigkeit; denn die Ruhe ist das schlechthin Leidende und verfällt als solches der wirkenden Ursache. Sehen, Gehen, Atmen, Erzeugen usw. sind solche Tätigkeiten, die sich als Zwecke in Organen verwirklichen. Und wenn diese Zwecke zusammenwirkend die Harmonie des Organismus bilden, so ist dieses Leben, der bestimmende Zweck des Ganzen, wiederum Tätigkeit. So kehrt als das Letzte die Bewegung wieder, die sich als das Erste erwies, obzwar in starkem Unterschied. Als das Letzte erscheint sie in sich reich und erfüllt, gleichsam das vollendende Ende; als das Erste zeigte sie sich einfach und fast leer, der begründende Anfang. Was dazwischen liegt, ist der Stoff der Erfahrung.

Der Zweck, einsichtig oder erfahren, bemächtigt sich des Stoffes oder der im Stoff wohnenden Kraft und nötigt ihn durch seine Vorrichtungen und Verfügungen zu der Tätigkeit, die er fordert. Wie man den hellen Funken aus dem harten Stein schlägt, so gibt der Zweck im widerspenstigen Stoff dem Gedanken Dasein. Wenn PLATO im  Timaeus  sagt, daß der Begriff die Notwendigkeit überrede, so deutet er in diesem schönen Bild an, daß der Gedanke des Zwecks in die eigenste Natur des Stoffes eingehe und aus ihr heraus das Werk vollführe. Indem nun der Zweck die Kräfte des Stoffes beherrscht, hat er ihnen im Bau und in der Gliederung die eigenen Spuren wie Schriftzüge eingedrückt und der hinzutretende eindringende Gedanke wird diese Zeichen wiederum lesen können.

Die Wirkung des Zwecks auf den Stoff hat ARISTOTELES das aus der Voraussetzung Notwendige genannt. (15) Der Zweck ist die Voraussetzung. Soll sie erfüllt werden, so muß im Stoff oder mit den Kräften des Stoffes dies oder jenes geschehen. Wir wählen, um dies in der Materie Notwendige zu bezeichnen, das einfache Beispiel des ARISTOTELES, ein Werkzeug wie eine Säge. Der Gedanke des Zwecks ist etwa Zerschneiden durch Reibung. Der Begriff der Reibung weist auf die Natur des Stoffes hin. Niemand macht eine Säge aus Wolle. Es wird ein hartes Metall, z. B. Eisen, als der Stoff des Werkzeugs gefordert. Die dünne Platte, der Bau der Zähne liegt auf gleiche Weise im Gedanken des Zwecks (Zerschneiden durch Reibung) als das Notwendige vorgebildet. Was hier am Werkzeug der Kunst geschieht, das erscheint an den Organen der Natur, die der Zweck gestaltet. Was die neuere Physiologie in der Deutung der Organe leistet, ist nur eine Bestätigung des aristotelischen Grundgedankens. So fordert ARISTOTELES, daß aus dem bestimmten Zweck des Atmens aufgezeigt werde, wie dieser Zweck sich notwendig nur durch ein anderes Bestimmtes erreichen lasse. Dadurch soll die Natur der Atemwerkzeuge begriffen werden. Was ARISTOTELES dabei von Erwärmung und Abkühlung sagt, ist wohl nur eine Ahnung. Aber die wissenschaftliche Aufgabe ist scharf hingestellt. Die neuere Physilogie hat sie gelöst. (16) Da der Zweck des Atmens in der chemischen Veränderung der Luft ruht und das Blut den Sauerstoff derselben empfangen und Kohlensäure absetzen soll: so muß eine Berührung der äußeren Luft und des Blutes eingeleitet werden. Daher ergibt sich notwendig, daß sich das Atemorgan, um die Berührung zu vermehren, in einem kleinen Raum zu einer ausgedehnten Oberfläche vergrößere. Diese Vergrößerung der die Luft zersetzenden Oberfläche geschieht nun entweder nach innen in den sackförmigen oder verzweigten vielfältigen Höhlungen der Lungen oder nach außen in den mannigfaltig vorspringenden Bildungen der Kiemen oder in dem durch alle Organe verbreiteten Tracheensystem der Insekten. In diesem Beispiel liegt außer der notwendigen Bestimmung, die der Stoff empfängt, noch ein Zweites vor Augen. Die Bestimmung fließt aus der Natur des Stoffes und ist daher für denselben Zweck bei verschiedenem Stoff verschieden. Ein Zweck vollzieht sich hier in den verschiedensten Gestalten und zwar nach der höheren Forderung eines übergreifenden Ganzen, z. B. des Elements, in welchem die Tiere leben sollen. Der Zweck verlangt Flächenvermehrung und dieses Gesetz des Zweckes geht durch alle Formen durch und es kehrt auf ähnliche Weise in der mannigfaltigen Blattbildung des Baumes wieder. Die vielfachen Formen absondernder Drüsengebilde beruhen alle auf  einer  in dem Zweck enthaltenen Grundforderung. Es muß eine große absondernde Fläche im kleinen Raum verwirklicht werden und diese  eine  Aufgabe wird in den verschiedensten Formen gelöst. Die Faserbildung der Muskeln ist notwendig, wenn ein Organ durch Kräuselung der Muskeln kürzer werden soll. Die Ortsbewegung verlangt mehrere Stützpunkte und die mögliche Abwechslung derselben und demgemäß eine bewegliche Gliederung des Leibes, welche sich in den Tiergeschlechtern nach verschiedenen Rücksichten verschieden anlegt und gestaltet. (17) Auf solche Weise empfängt allenthalben der Stoff vom Zweck eine notwendige Einwirkung und wird, indem er sich in diesen notwendigen Dienst begibt, in verschiedenen Gestalten das  Mittel.  Was im Physiologischen wie ein Urteil der schöpferischen Natur zutage tritt, das zeigt sich ebenso in der ethischen Welt. Die verschiedenen Regierungsformen sollen dorch nur  eine  Idee verwirklichen, Einheit von Gesinnung, Einsicht und Macht. Nach den gegebenen Elementen der Geschichte und des Landes kann die Verfassung große Unterschiede zeigen; aber die Elemente müssen sich so fügen, daß sie immer diesem  einen  Begriff zu genügen streben. Der Zweck legt dem Stoff eine Notwendigkeit auf und wenn sich in der Notwendigkeit zugleich eine Freiheit der Möglichkeit zeigt, auf verschiedene Weise denselben Zweck zu erreichen: so wird diese Freiheit wiederum durch höhere Rücksichten, unter welchen der Zweck steht oder durch Verhältnisse der wirkenden Ursache selbst eingeengt und in Notwendigeit verwandelt. Aber diese Notwendigkeit ist hier eine Durchdringung von Zweck und Kraft; denn der Zweck ist ohne die Kräfte des Stoffes leer und diese sind ohne jenen blind. Wo beide zusammen, sich wechselseitig unterstützend, in die Erscheinung treten, da ahnen wir den künstlerischen Trieb, der die Dinge aus dem Ganzen entwirft und das Entworfene von innen anlegt.

In menschlichen Erfindungen geschieht es ebenso häufig, daß erst aus den sich darbietenden Kräften der Gedanke des Zweckes, der sie zu Mitteln macht, hervorspringt, als daß umgekehrt zum Gedanken die Mittel gesucht werden. Das scheint indessen nur die menschliche Armut zu verraten und wir sehen ein Abbild der höheren Einheit im Künstler, dessen Gedanke mit der Ausführung wächst und reift.

Wenn der Zweck zu einer Verwirklichung etwas Notwendiges fordert, so wird dieses Notwendige, wenn es nicht unmittelbar da ist, von Neuem Zweck, damit es entstehe; und dieses Notwendige fordert ein anderes Notwendige. Was einem herrschenden Zweck dient als ein Glied, herrscht wiederum über ein Neues, das sich ihm unterwerfen muß. So renkt sich eine Tätigkeit in die andere ein und es stellt sich eine  Unterordnung  der Zwecke dar. Wir erläutern es einfach an einer geometrischen Aufgabe. Es soll zwischen zwei gegeben Linien die mittlere Proportionale gefunden werden. Damit sie entstehe, bedarf es eines rechtwinkligen Dreiecks über den beiden zu  einer  geraden zusammengelegten Linien als Basis und zwar muß es dergestalt entworfen werden, daß das Perpendikel aus der Spitze desselben den Grenzpunkt der beiden Linien treffe. Das Perpendikel kann errichtet werden. Wohin sollen aber die Schenkel gezogen werden, daß unter den vielen möglichen Winkeln gerade ein rechter entstehe? Ein Halbkreis über das Basis löst die Schwierigkeit. Hier schiebt sich eine Aufgabe in die andere. Der beherrschende Zweck ist die mittlere Proportionale. Sie ist das Erste des Gedankens und das Letzte in der Wirklichkeit. Die mittlere Proportionale fordert ein bestimmtes rechtwinkliges Dreieck (das nach der Voraussetzung Notwendige. Dieses rechtwinklige Dreieck wird nun der Zweck und dieser Zweck fordert einen Halbkreis über einer gegebenen Linie als Durchmesser; dadurch wird der Halbkreis Zweck und dieser Zweck fordert die Hälfte der Basis, welche den Radius bilden wird. Da diese Halbierung unmittelbar durch zwei Kreise geleistet werden kann: so hebt hier die Konstruktion an und endigt bei der mittleren Proportionale, dem den ganzen Vorgang beherrschenden Zweck. So stellt sich ein System von Zwecken dar. Andere Beispiele finden sich in den obigen Darstellungen leicht. Wir heben noch folgende hervor. Die Ethik des ARISTOTELES beginnt damit, auf die Unterordnung der Zweck in den Kreisen des ethischen Lebens aufmerksam zu machen: die Kunst des Sattlers steht unter der Kunst des Reiters, die jene zu ihrem Werkzeug fordert, die Kunst des Reiters unter der Kunst des Feldherrn, die Kunst des Feldherrn unter der Kunst des Staatsmannes. Die Zwecke des Staatsmannes fordern umgekehrt die Reihe jener Künste als Mittel. Wenn sich der einfache Kern eines Satzes erweitert und die ursprünglichen Begriffe desselben durch Sätze ausgedrückt werden: so sind diese Nebensätze wie Glieder vom Zweck des Gedankens gefordert. Der Gedanke verwirklicht sich darin und sie werden von ihm wiederum getragen. So sind die Nebensätze dem Hauptsatz untergeordnet. Die Feuchtigkeit in der Kristalllinse ist der Tätigkeit und dem ganzen Zweck der Linse unterworfen, die Linse ist vom Gedanken eines die Strahlen durch Brechung sammelnden Organs gefordert, das Auge wiederung ist das notwendige Werkzeug des zur Ortsbewegung bestimmten Tieres; und wenn die Organe ingesamt der Selbsterhaltung des Lebens dienen; soll hier die Reihe der Zwecke abbrechen? Für dieses Individuum vielleicht, das gleichsam aus sich geboren zu sein scheint. Aber das Individuum dient der Gattung. Soll denn bei der Gattung die Reihe also schließen, daß die Gattung, wenigstens was den Zweck betrifft,  causa sui  [Ursache seiner selbst - wp] ist? Schwerlich. Aber die Frage wird transzendent und verläßt den Begriff des Zweckes, um dessen Natur und Beziehungen es sich handelt.

Der vorausgesetzte Zweck ist Gedanke; und indem er Notwendiges fordert und sich das Geforderte, nicht selten in mehrgliedriger Reihe, unterordnet: offenbart sich in der Unterordnung die  Konsequenz  und darin wieder der herrschende Gedanke; denn nur der Gedanke folgert, nur der Gedanke ist konsequent. So steht er im Ursprung, so erzielt er die Durchführung.

Was der Zweck fordert, damit er sich vollziehe, das nach der Voraussetzung Notwendige, ist in Bezug auf den Zweck die hervorbringende und wirkende Ursache und heißt Mittel, während es selbst für ein Anderes Zweck werden kann.

Wo die Kraft allein herrscht, da stirbt die Ursache in der Wirkung ab. Die Bewegung erzeugt die Linie; mit dieser erzeugten Wirkung hat die Ursache als solche ein Ende. Der Stoß erzeugt eine Bewegung, die Bewegung löst den Körper von der Berührung des Stoßes ab und der Stoß hört auf. Die Ursache ist nicht mehr Ursache, indem die Wirkung geworden ist. Eins knüpft sich an das Andere und spinnt sich wie ein gerader Faden fort.

Die Ursache des Zwecks verhält sich umgekehrt. Der Zweck erfüllt und behauptet sich in seiner Wirkung. Wenn das Sehen als der Zweck das Auge baut, so stirbt die Ursache nicht ab, sondern wird erst in ihrer Wirkung, dem Organ, lebendig. Oder wenn sich der Gedanke im Satz ausspricht, damit er kund werde: so erhält sich diese Ursache in der Wirkung. Der Zweck (die Ursache) ist die bleibende und innewohnende Seele des Organs (der aus dem Zweck hervorgegangenen Wirkung). Erst in Bezug auf den bildenden Zweck kann man sagen, was im Vorgang der sich entäußernden wirkenden Ursache nur den Schein der Wahrheit hat, daß die Ursache in der Wirkung bei sich selbst bleibe, oder, wie es ausgedrückt wird, sich im Andern mit sich selbst zusammenschließe. (18) Das Reich der blinden Kräfte (das Gebiet der wirkenden Ursache) steht auf den ersten Blick dem Gedanken des Zweckes als ein unheimlich Fremdes und Äußerliches gegenüber; aber wie der Zweck gar nicht Zweck wäre, wenn er nicht in der Erscheinung als Herr und Meister Dasein suchte und fände: so ist es die Verklärung der wirkenden Ursache, daß sie aus dem blinden Ungestüm in den Dienst des Gedankens tritt und dadurch eine Bestimmung des Geistes empfängt. Daher wäre es eine falsche Selbständigkeit, wollten die Dinge etwas ohne den Zweck sein. Im Organischen büßen sie ein solches Beginnen durch den Tod. Diese falsche Selbständigkeit, die die schaffende Natur nicht leidet, sollten die isolierenden Wissenschaften nicht nachahmen, indem sie, das Ganze verkennend und daher den Zweck streichend, dem Einzelnen, als ob es eine für sich wirkende Kraft wäre, Bestand geben.

Fassen wir die versuchte Zergliederung in wenige Worte zusammen. Wo der Zweck erscheint, da unterscheiden wir das Ideale des Gedankes, das PLATO das Göttliche in den Dingen nannte, und das Reale des Mittels, die Kraft der wirkenden Ursache, die PLATO das Notwendige nannte. Wir unterscheiden beide Seiten, aber sie sind innig eins. Der Zweck erreicht durch die Kraft der entgegenstehenden Ursache seine Wirklichkeit, die wirkende Ursache durch den Zweck ihre Wahrheit. Das Ganze ist vor den Teilen, die Wirkung vor der Ursache. Diese invertierte Konstruktion der Zeitfolge ist die direkte des Begriffs.

4. Wir haben die wesentlichen Bestimmungen des Zwecks aus Tatsachen hervorgehoben, welche ihn uns gleichsam entgegentrugen. Wir haben ihn mit Fleiß in Fällen aufgesucht, in welchen er deutlich an den Tag tritt und zwar nicht gerade in der Ethik, die den Zweck nicht lassen kann, ohne sich selbst zu stürzen, sondern vielmehr mitten in der Physik, in welcher die wirkende Ursache ihren eigentlichen Sitz hat. Es geht hier allenthalben ohne den Zweck, so scheint es, das Verständnis zu Ende. Aber vielleicht scheint es nur so.

Wenn wir bis dahin den Zweck unbefangen aufgenommen haben, es sich nun aber um die Begründung handelt: so werfen wir zunächst einen Blick auf die Theorie derer, welche den Zweck einschränkten oder leugneten.

PLATO hatte in der Idee stillschweigend den Zweck gesetzt; ARISTOTELES hatte ihn in scharfer Betrachtung zum Prinzip erhoben; die Stoiker hatten in ihm ihre Lehre von der Einheit der Providenz und des Fatums gegründet; die patristische und scholastische Philosophie hatte ihn in der göttlichen Ökonomie des Heils als einen unbezweifelten Begriff vorausgesetzt. Diese Überlieferung durchbrach BACO von VERULAM, der Logiker der Naturwissenschaften, mit einer einschneidenden Beschränkung, welche er dem Zweckbegriff auferlegte.

BACO verwarf für die Naturbetrachtung den Begriff des Zweckes, ohne ihn schlechthin zu verurteilen. Da er wie ein Allgemeines die erforschende Vernunft in der Auffindung der wirkenden Ursache träge mache, müsse er aus dem Gebiet der Physik in die Metaphysik verwiesen werden. In der wirkenden Ursache sah BACO die Macht der Welt; aus dieser heraus hoffte er durch die Wissenschaft Erweiterung der menschlichen Herrschaft über die Natur. Ihm gilt die Wissenschaft nichts ansich ohne das erfindende Experiment. Die Fruchtbarkeit des Prinzips schätzt er weniger nach dem Maß des den Bann der Erfahrung lösenden Begriffes, weniger nach der Bedeutung der wissenschaftlichen Folgen, als nach dem Nutzen und fast nach eienr noch mittelalterlichen phantastischen Hoffnung der Alchemie, aus den wirkenden Kräften der Natur eine neue Schöpfung als das Werke des Menschen hervorzulocken. BACO fühlt es wohl, daß der Zweck die Natur durch Gott verkläre, aber die Verklärung ist ihm nur wie das nutzlose Leben einer Nonne. Wenn der Zweck aus der lebendigen Physik in die abstrakte Metaphysik verwiesen wird, so wird er dadurch von Fleisch und Blut gewaltsam geschieden und er stirbt an dieser Trennung. Es ist noch dazu unwahr, daß die Erkenntnis des Zweckes nichts erzeuge. Wenn der geniale Arzt durch seine Kunst die Hemmung löst, die auf einem Organ lastet und er ihm die Freiheit wiedergibt, zu welcher es geboren ist oder wenn der umsichtige Erzieher die Anlagen im Ganzen und Einzelnen ihrer harmonischen Bestimmung entgegenführt: so wirken sie dieses Große nur aus dem erkannten Zweck und der Zweck erzeugt hier nicht minder als die physische Ursache im Experimente.

In SPINOZA (19) ist alles Anschauung der mathematischen Notwendigkeit; und daher ist seine Substanz ohne Leben. Die starre Form seiner geometrischen Methode ist der konsequente Ausdruck des starren Inhaltes. Sein Charakter prät sich in der strengen Aufhebung alles Zweckes bestimmter aus, als selbst in der  einen  Substanz und ihrem doppelten Attribut.
    "Gott ist nicht nach der Rücksicht des Guten tätig," heißt es im geraden Gegensatz gegen PLATO; "wer solches behauptet, setzt etwas außer Gott, was von Gott nicht abhängt, worauf Gott in der Tätigkeit als auf das Urbild gerichtet ist oder wonach er wie nach der Scheibe zielt. Und das heißt in der Tat nichts anderes als Gott einem Verhängnis unterwerfen. Wie Gott um keines Zweckes willen da ist, so wirkt er auch um keines Zweckes willen." "Wenn Gott wegen eines Zweckes tätig ist, so begehrt er notwendig etwas, dessen er entbehrt." "Die Zweckursachen sind menschliche Erfindung. Alles quillt aus der ewigen Notwendigkeit. Die Zweckursache ist nichts als der  Trieb  oder das Verlangen des Menschen, inwiefern es als das Prinzip oder die erste Ursache von etwas angesehen wird." (20) "Wenn wir z. B. sagen, die Bewohnung war der Zweck dieses oder jenes Hauses, so heißt das nichts anderes, als daß sich der Mensch die Vorteile, in einem Hause zu leben, vorstellte, und, weil er sie sich vorstellte, das Verlangen hatte, ein Haus zu bauen. Daher ist die Bewohnung, die als Zweck angesehen wird, nichts als dieses einzelne Verlangen, das in der Tat die wirkende Ursache ist. Die Menschen sind nur der Ursachen nicht kundig, wodurch sie etwas zu verlangen bestimmt werden. Es kommt der Natur einer Sache nichts zu, als was aus der Notwendigkeit einer wirkenden Ursache folgt."
Es ist an einem anderen Ort gezeigt worden, wie die Aufhebung des Zweckbegriffs aus jener metaphysischen Anschauung des SPINOZA notwendig folgt, nach welcher die Attribute der  einen  Substanz, welche ihm Gott ist, unendliches Denken und unendliche Ausdehnung, unter sich in keinem Kausalzusammenhang stehen, sondern nur verschiedene Ausdrücke eines und desselben Wesens sind; (21) und wir gehen in diese Seite hier nicht ein.

Wenn SPINOZA an einer Stelle sagt, daß er die menschlichen Dinge und Tätigkeiten nicht anders betrachte, als handle es sich um mathematische Figuren: so spricht zwar dieses Wort die tiefsinnige Ruhe aus, die über die Schriften des SPINOZA als der Ausdruck einer stillen Größe verbreitet ist; aber es bezeichnet auch die ganze Einseitigkeit der Anschauung. Das Leben ist keine geometrische Fläche, die aus der Bewegung einer Linie als aus der wirkenden Ursache notwendig folgt. Allenthalben bewegt sich SPINOZA in mathematischen Beispielen. Nirgends betrachtet er die lebendige Natur, die in jeder Gestaltung dem eindringenden Beobachter die Tatsache der Zweckmäßigkeit entgegenbringt. Schon die Phänomene der damals in den Anfängen begriffenen Chemie sind ihm fremder. (22) Die Untersuchung des Organischen als Organischen vermissen wir bei ihm ganz. SPINOZA versenkt alles in die erhabene Anschauung der mächtigen Substanz; aber eben weil ihm der Zweck fehlt, verschwindet ihm der Wert der Einzelleben, die nur auf der Substanz wie Staub herumwirbeln, um in dieses große notwendige Grab zurückzusinken. Aber hätte denn etwa SPINOZA, der nach dem optischen Gesetz des Auges Gläser schliff, das Auge selbst ohne den Zweck begreifen können, z. B. ohne die Zweckmäßigkeit der Linse, welche vom optischen Glas gleichsam nur nachgeahmt wird? Die Zweckursache ist so wenig eine menschliche Erfindung, daß die Erfindung häufig, wie in diesem Fall, nur dem Zweck der Natur folgt. Gegen NEWTON, der die Erzeugung farbloser Bilder durch Zusammensetzung zweier oder mehrerer brechenden Medien für unmöglich erklärt hatte, berief sich EULER auf das menschliche Auge, das eine solche achromatische Kombination besitze; (23) und wirklich wurden nun die achromatischen Gläser erfunden.

Ist es denn möglich, den Zweck zu beseitigen, wenn man ihn, wie SPINOZA tut, in ein Spiegelbild des Verlangens verwandelt? Das Vorstellen geht nach dieser Meinung aus der Notwendigkeit der wirkenden Ursache hervor. Durch das Vorstellen entsteht ein Verlangen, ein Trieb, und das Verlangen kleidet sich in den Schein des Zwecks. Wenn wir hier näher eingehen, so liegt dem Trieb der Zweck im Hintergrund. Der Trieb ist gleichsam die Sehnsucht des unerfüllten Zwecks. Das Verlangen nach Nahrung ruht auf der Bestimmung zur Nahrung und auf einem ganzen Bau von Zweckbegriffen, die im Organismus verwirklicht sind. Der Trieb des Auges zum Licht, das Verlangen der Seele nach Erkenntnis bezeichnet den innewohnenden Zweck. Daher genügt eine solche Erklärung nicht. SPINOZA löst den Zweck nur darum, weil er die Notwendigkeit zu durchbrechen droht, in ein wesenloses Echo der wirkenden Ursache auf.

Es ist endlich vergeblich, aus dem Begriff Gottes gegen den Zweck zu argumentieren, wie SPINOZA tut. Wenn Gott die Zwecke setzt und das Ziel selbst steckt, so ist er darin weder von einem Äußeren abhängig, wie von einem Fatum, noch entbehrt er etwas, da er alles aus sich selbst hat.

Die Mißhandlung des Zwecks, des edelsten aller Naturbegriffe, rächt sich bei SPINOZA in den Folgen. Die starre Vorstellung des Ganzen und Teiles, nicht die geistigere des Lebens und der Glieder, durchzieht seine Gedanken. Ihm entsteht aller Irrtum, alles Böse, indem wir denken und handeln, inwiefern wir nur als Teile bestimmt sind. Die Vielheit, die mit den Teilen entspringt, ist ihm daher die Mutter des Bösen und alles strebt in die  eine  Substanz zurück, während umgekehrt, wo das Gute in den Zweck gesetzt wird, das Gute nur durch die Vielheit ist. Das Sittliche, das in der freien Hingebung an den höheren Zweck besteht, muß sich bei SPINOZA in die Tat der wirkenden Ursache verwandeln, daß alles sein Wesen behaupte und sein Nützliches suche. (24) Die Schärfe des Bösen wird abgestumpft, indem es nur in die Verneinung gesetzt wird, die mit dem Wesen des Bestimmten und Einzelnen zusammenfällt. Das Recht jedes Dings wird seiner Macht gleichgesetzt. Nach der Natur hat jedes Ding so viel Recht, als es Macht hat zu sein und tätig zu sein. (25) Und auch das ist folgerichtig. Denn die Macht ist nichts als die wirkenden Ursachen, indem sie in einen Punkt zusammengedrängt und in sich gespannt werden. Nur mit der Anerkennung des göttlichen Zwecks erhebt sich die Begründung des Rechts über die flache und wüste Vorstellung der physischen Macht. Wenn endlich SPINOZA die Naturgeschichte der leidenden Zustände der Seele aus dem Grundgedanken entwirft, daß sich der Geist in seinem Sein zu behaupten strebe und sich dieses Strebens bewußt sei: so soll auch darin einzig und allein die physische Ursache zum Gleichgewicht der Selbsterhaltung wirken. (26) Und doch tritt hier im Ganzen, das sich erhalten soll, wie überhaupt im Wesen des Ganzen, der Zweck deutlich an den Tag. Dem Affekt liegt der Zweck zugrunde.

Die Vernichtung des Zwecks, die Alleinherrschaft der wirkenden Ursache ist demnach das bedeutsamste Kennzeichen des spinozischen Systems und könnte viel mehr der Atheismus desselben heißen, als der gefürchtete Satz, daß Gott die immanente Ursache der Dinge sei. Die intellektuale Liebe Gottes, die aus der notwendigen und ewigen Erkenntnis folgend die fromme Begeisterung dieser Weltansicht ist, hat einen schöneren Namen, als Inhalt. Allerdings jauchzt in den rechten Augenblicken unsere Erkenntnis auf, daß die Liebe Gottes die Vollendung der Freude ist. Aber wo tut sie es? Wir meinen nur da, wo sich im Kleinen wie im Großen dem Geist die Harmonie offenbart, die die schöne Erscheinung der gedankenvollen Zwecke ist. SPINOZA kennt diese nicht und ohne diese ist die Lust der Erkenntnis nur die Freude an der eigenen Macht oder List, welche der strengen Gewalt der wirkenden Ursache wenigstens geistig Herr zu werden weiß. Es bleibt nur die kalte Anerkennung einer Notwendigkeit ohne Leben und Liebe.

SPINOZAs schroffe Härten sind ein indirekter Beweis für die Bedeutung des Zwecks in unserer Weltansicht.

5. Indem wir hiernach die  Tatsache  des Zweckes und seine Bestimmungen anerkennen, wenden wir uns zur  Ableitung  desselben.

KANT, der in seiner Kritik der Urteilskraft die Natur des Zwecks tiefer erforschte, muß in dieser Frage zunächst gehört werden.

KANT hebt mit der Unterscheidung der bestimmenden und reflektierenden Urteilskraft an (27). Indem die bestimmende Urteilskraft unter gegebenes Allgemeines das Besondere unterordnet, sucht die reflektierende zu gegebenem Besondern das Allgemeine; indem jene wie der Richter verfährt, dem das Gesetz vorgezeichnet ist, entwirft diese, wie der Gesetzgeber, aus den Fällen die Regel.

Da die reflektierende Urteilskraft vom Besonderem zum Allgemeinen aufsteigen soll, so bedarf sie eines Prinzips, welches sie nicht aus der Erfahrung schöpfen kann, weil es eben die Einheit aller empirischen Prinzipien und die Möglichkeit der systematischen Unterordnung derselben zu begründen hat. Sie nimmt es aus dem eigenen Verstand und betrachtet die empirischen Gesetze nach einer solchen Einheit als ob gleichfalls ein Verstand, wenngleich nicht der unsrige, sie zum Zwecke unserer Erkenntnisvermögen gegeben hätte, um ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich zu machen. So ergibt sich der Zweck, durch den die Natur so vorgestellt wird, als ob ein Verstand den Grund der Einheit ihrer Mannigfaltigkeit enthalte. Denn der Zweck ist der Begriff von einem Gegenstand, sofern der Begriff zugleich den Grund der Wirklichkeit des Gegenstandes in sich trägt. Der Zweck ist daher nur von uns entlehnt, nichts als eine Analogie, nichts als ein Leitfaden, um die Naturkunde nach einem neuen Prinzip zu erweitern. Wie wir die Möglichkeit einer solchen Kausalität der Natur nach Zwecken gar nicht  a priori  einsehen können, so können wir eigentlich auch nicht die Zwecke in der Natur als absichtliche beobachten. (28). Hiernach wird die Zweckmäßigkeit der Natur nur ein subjektives Prinzip der Vernunft sein, indem es für die menschliche Urteilskraft regulativ wirkt, aber nicht konstitutiv irgendetwas über die Natur der Objekte bestimmend ausmacht. (29) Wie im Praktischen der Gesichtspunkt einer Maxime dem bunten Spiel menschlicher Handlungen Richtung und Konsequenz gibt, ohne daß dadurch schon ein Gesetz der Sache erreicht zu sein braucht: so ist der Zweckbegriff, durch den die sinnlichen Erscheinungen eine geistige Ordnung empfangen, eine solche Maxime für die reflektierende Urteilskraft, gleichsam ein menschlicher Versuch, der unendlich mannigfaltigen Dinge auf eigene Weise Meister zu werden.

So betrachtet KANT dieses ganze Prinzip. Was er mit der einen Hand in der Untersuchung des weitgreifenden Zweckes gibt, das nimmt er uns mit der andern, indem er den Zweck nur wie einen Lichtblick erscheinen läßt, den wir selbst auf die Dinge werfen, ohne daß er das erregende belebende Licht ist, durch das die Dinge werden und wachsen.

KANT kann nicht anders. Die geschlossene Konsequenz seiner ganzen Ansicht fordert es so. Wäre der Zweck etwas in den Dingen, wäre demnach der Verstand der Architekt der Welt: so wäre mit dem erkannten Zweck das Ding ansich erkannt und dieses so sorgsam verschleierte Götterbild gelüftet. Wenn KANT Raum und Zeit zu den Formen der menschlichen Anschauung, die Kategorien zu Stammbegriffen des menschlichen Verstandes, die im Urteil ausgesagte Einheit der Dinge zu einer Folge der Einheit des menschlichen Selbstbewußtseins, die Idee des Unbedingten zu einem bloßen Sporn und Stachel des menschlichen Erkennens macht, damit es einem Nebelbild nachjage, das immer weiter in die Ferne zurückweicht: so muß KANT auf ähnliche Weise den Begriff der Zweckmäßigkeit zu einer menschlichen Maxime herabsetzen. So wandelt denn der erkennende Mensch herum, zwar von den Dingen nach allen Seiten abgeschnitten, doch mit sich selbst in gesetzmäßigem Einklang. Soll es denn aber genug sein, wenn eine Uhr nur mit sich selbst in regelrechtem Gang stimmt, einerlei, ob sie nach der Sonne geht, der großen Weltenuhr?

Wir prüfen daher die Gründe und den inneren Halt der Ansicht.

Wie nach KANT Raum und Zeit darum nicht sollen empirisch sein können, weil sie die Möglichkeit, die einzelnen Räume und Zeiten zu denken, weil sie mithin die ganze Erfahrung bedingen: so soll das Prinzip der Zweckmäßigkeit transzendental sein und nicht aus der Erfahrung stammen, weil es dazu bestimmt ist, "die Einheit aller empirischen Prinzipien unter gleichfalls empirischen aber höheren Prinzipien, und also die Möglichkeit der systematischen Unterordnung derselben unter einander zu begründen." (30) Diese Beweise laufen parallel; und es ist daher hier derselbe Sprung zu erkennen, der oben in der Ansicht von Raum und Zeit nachgewiesen wurde. Wenn Raum und Zeit subjektive Formen sind oder wenn die Vorstellung von Raum und Zeit durch die eigene Tat erzeugt wird, um die Gegenstände der Erfahrung aufzufassen: so folgt daraus gar nicht, daß Raum und Zeit mit den Dingen nichts zu tun haben. Vielmehr werden die Grundformen dergestalt übergreifen, daß die Vorstellung derselben ebenso vom Geist wie sie selbst von den Dingen hervorgebracht werden. Das Subjektive und Objektive drückt nur Beziehungen aus und daher läßt sich das Reich aller Möglichkeit nicht so spalten, daß, was subjektiv ist, nicht objektiv, und was objektiv, nicht subjektiv sei. Wir finden bei der Ansicht des Zwecks denselben Fehlgriff wieder. Mag dieses Prinzip die Erfahrung begründen und daher, aus dem Geist vorangeboren, nicht erst aus der Erfahrung in uns hineinkommen, es beweist dies nicht, daß der Zweck in der Natur keine Wirklichkeit habe. Sein subjektiver Ursprung zeugt gar nicht gegen seine objektive Bedeutung.

Daß aber Dinge der Natur, fährt KANT fort, (31) einander als Mittel zu Zwecken dienen und ihre Möglichkeit selbst nur durch diese Art von Kausalität hinreichend verständlich sei, zu einer solchen Annahme haben wir gar keinen Grund in der allgemeinen Idee der Natur als Inbegriff der Gegenstände der Sinne und wir verlieren uns mit dieser Erklärungsart ins Überschwengliche. (32) Freilich, wenn KANT die Natur auf den "Inbegriff der Gegenstände der Sinne" streng beschränkt und sie dadurch vom Gedanken losreißt: so kann aus einem solchen im Voraus begrenzten Begriff die Wirksamkeit des Zwecks nicht eingesehen werden; aber sie kann auch nicht daraus widerlegt werden, da die Voraussetzung nur willkürlich gebildet ist. Was also in einer solchen Erklärungsart der Natur Überschwengliches liegen soll, schwingt sich nur über die engen Schranken weg, in welche die Natur, als wäre sie nichts als das flache Faktum der Sinne, widerrechtlich eingeschlossen ist.
LITERATUR: Friedrich Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen, Leipzig 1870
    Anmerkungen
    1) Vgl. KARL ERNST von BAER, Vorlesungen über Anthropologie, Königsberg 1824, 1. Teil, Seite 61
    2) ARISTOTELES, Über die Teile der Tiere II, 10
    3) Vgl. von BAER, Vorlesungen über Anthropologie, Seite 61f. MÜLLER, Physiologie II, 1840, Seite 116
    4) Vgl. ARISTOTELES über die Seele, Buch 3 zu Ende, über die Teile der Tiere usw.
    5) Aus MÜLLERs Physiologie I, 1835, Seite 467f und 471f.
    6) Vgl. z. B. LOUIS AGASSIZ, Contributions to the natural history of the united states of North America, Part 1, Essay on Classification, London 1859, Chapter 1, Sect. 21f und 93f.
    7) KANT, Kritik der Urteilskraft, 1790, § 62, Seite 267f. Werke nach ROSENKRANZ, Ausgabe IV, Seite 242f.
    8) Vgl. GOETHE, Werke 50, 1833, Seite 236f.
    9) ARISTOTELES, Politik I, 2. Seite 1253 a 20
    10) Vgl. ABAELARD in der Schrift "De Divisione et definitione", Seite 491 nach COUSINs Ausgabe der "Ouvrages inédits d'Abaelard", Paris 1836
    11) Vgl. TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen I, Seite 344f
    12) ARISTOTELES, Nikomachische Ethik III, 5, Seite 1112 b 21.
    13) SPINOZA, Ethik, Buch 4, Vorrede.
    14) EDUARD von HARTMANN, Philosohie des Unbewußten, Versuch einer Weltanschauung, 1869, Seite 80, 467, 522.
    15) Zum Beispiel phys. II. 9. d. part. an. I. 1. II. 1.
    16) Vgl. ARISTOTELES über die Teile der Tiere I, 1. und MÜLLERs Handbuch der Physiologie I, Seite 281, 2. Auflage und I. Seite 20.
    17) Wenn sich die leuchtenden Punkte der Außenwelt auf der Netzhaut nicht gegenseitig verwischen, sondern einzeln darstellen sollen, so muß das Organ entweder die Strahlenkegel wieder nach  einem  Punkt sammeln und daher brechende Medien enthalten, wie es sich im Auge der höheren Tiere findet oder es muß die Lichtstrahlen sondern, wie es in den dunklen Röhren der Insektenaugen geschieht. Dies den schönen Betrachtungen JOHANNES MÜLLERs "zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes" (Seite 315f) entnommene Beispiel eines und desselben über die Mittel verschieden verfügenden schöpferischen Zweckes wird nach den neueren Beobachtungen ungewiß, wenn es richtig ist, daß auch in den zusammengesetzten Augen der Insekten sich das Bild durch Brechung umkehrt. GOTTSCHE in MÜLLERs Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin, 1852, Seite 488f, vgl. LEYDIG, ebenda, 1855, Seite 442f
    18) So sagt HEGEL treffend von der durch den Zweck bestimmten Tätigkeit des organischen Lebens, Phänomenologie Seite 199: "sie ist an ihr selbst in sich zurückgehende, nicht durch irgendein Fremdes in sich zurückgelenkte Tätigkeit." In demselben Sinne nennt schon ARISTOTELES diese Tätigkeit im Gegensatz gegen eine entfremdende Veränderung einen Fortschritt der eigenen Natur zu sich selbst (Aristoteles über die Seele II. 5)
    19) SPINOZA, Ethik I, 33.
    20) SPINOZA, Ethik IV, Vorrede, Seite 201
    21) "Über Spinozas Grundgedanken und dessen Erfolg" in des Verfassers historischen Beiträgen zur Philosophie. 2. Bd. Vermischte Abhandlungen, 1855, Seite 35f, 53f.
    22) Vgl. SPINOZAs Briefwechsel mit OLDENBURG, Epist. 3f
    23) EULER in den Denkschriften der preussischen Akademie der Wissenschaften, 1747.
    24) SPINOZA, Ethik VI. 24, Seite 219, ed. PAUL
    25) SPINOZA, Tractatus politicus, c2, Seite 307, ed. PAUL
    26) Im dritten Buch der Ethik
    27) Vgl. Kritik der Urteilskraft, Einleitung, Seite XXIIIf, 1. Ausgabe, 1790, vgl. Seite 329. KANTs Werke in der Ausgabe von ROSENKRANZ IV, Seite 17f, vgl. Seite 287.
    28) Vgl. Kritik der Urteilskraft, Seite 291, 332. Kants Werke IV, Seite 259, 289.
    29) Kritik der Urteilskraft, Seite 355f, Kants Werke IV, Seite 291f.
    30) Kritik der Urteilskraft, Einleitung, Seite XXV. Kants Werke IV, Seite 18
    31) Kritik der Urteilskraft, Seite 263. Kants Werke IV, Seite 239
    32) Kritik der Urteilskraft, Seite 351. Kants Werke IV, Seite 303