ra-1cr-2ra-1cr-4MauthnerW. HaasR. HönigswaldH. Lanzvon der Pfordten    
 
CHRISTOPH SIGWART
Der Begriff des Dings

"Das Motiv, die Vorstellung eines Dings zu erzeugen, kann in nichts anderem liegen, als in dem Bedürfnis, die subjektive Synthese als eine begründete, das räumliche und zeitliche Zusammensein als ein notwendiges zu denken. Die logische Bearbeitung des Begriffs  muß von der Frage ausgehen, unter welchen Bedingungen der Vollzug jener Synthesen nicht willkürlich und zufällig, sondern objektiv notwendig und dadurch vollkommen bestimmt sei."

"Was wir als ein Ding betrachten, muß jedenfalls ein Ding sein - ein einheitliches Objekt, das wir in einem abschließenden Akt vorstellen, zugleich von anderen Dingen unterscheiden, und in dieser Unterscheidung festhalten. Diese Bestimmung der Einheit allein macht es fähig, Subjekt eines einfachen Urteils zu werden."

"Das, was an einer bestimmten Stelle des Raumes sowohl dem Gesichtssinn als auch dem Tastsinn geboten ist, muß ein und dasselbe sein, weil an derselben Stelle des Raumes nicht Zweierlei vorgestellt werden kann. Diese Einheit des Raumes ist also nicht ein Produkt unserer Wahrnehmungen, sondern die Voraussetzung, unter der wir unsere verschiedenen Empfindungen zu Vorstellungen von Dingen gestalten; die Synthese von Farbe, Härte, Kälte usw. steht unter dem Gesetz, daß, was an derselben Stelle des Raums ist, nur eines sein kann."

"Der Grundsatz, daß an demselben Ort des Raums nicht zwei verschiedene Dinge sein können, ist also nicht ein Grundsatz, der zu der schon fertigen Vorstellung von Dingen erst hinzukäme, sondern ein Grundsatz, der die Bildung dieser Vorstellung selbst leitet, und bei dem ebenso sein Ursprung aus der Einheit des Selbstbewußtseins klar zu Tage liegt."

"Der empiristisschen Ansicht einer bloß äußerlichen, in der Wahrnehmung gegebenen und durch Gewohnheit sich befestigenden Assoziation verschiedener Empfindungen ist der Satz gegenüberzustellen, daß im Begriff des Dings eine Synthese vorhanden ist, welche nicht aus den sinnlichen Faktoren unseres Vorstellens erklärt werden kann, sondern in letzter Instanz auf eine ursprüngliche Funktion zurückgeht, vermöge der wir die Empfindungen verschiedener Sinne aufeinander beziehen, um sie zur Vorstellung eines räumlichen Objekts zu gestalten."


Die zuletzt betrachteten Bestimmungen der sinnlichen Qualitäten und ihrer Veränderungen sind in unserem gewöhnlichen Vorstellen immer verknüpft mit der Vorstellung von Dingen, welche Eigenschaften haben und sich verändern.

Das Streben, diese Vorstellung eines Dings logisch zu vollenden und im Begriff der Substanz  zu fixieren, muß zunächst von der Analyse dessen ausgehen, was in dieser Vorstellung enthalten ist, und von der Frage, was uns bestimmt sie zu vollziehen.

1. a. Sehen wir von der Veränderung zunächst ab, so liegt der Vorstellung des Dings zuerst die einheitliche Zusammenfassung einer im Raum abgegrenzten und dauernden Gestalt zugrunde, also eine räumliche und zeitliche Synthese. Da ferner die Empfindungen verschiedener Sinne auf denselben Raum bezogen werden, vollzieht sich eine Synthese verschiedener Empfindungsinhalte, um, was an demselben Ort des Raumes verlegt wird, als Eines zu denken, und hieraus entspringt die Unterscheidung des einen Dings von seinen verschiedenen Eigenschaften; indem dieses zugleich als seiend gedacht wird, schließt sich der Kreis von elementaren Funktionen, die in der Vorstellung des Dings enthalten sind.

Das  Motiv diesen Gedanken zu erzeugen, kann in nichts anderem liegen, als in dem Bedürfnis, die subjektive Synthese als eine begründete, das räumliche und zeitliche Zusammensein als ein notwendiges zu denken. b. Die  logische Bearbeitung des Begriffs  muß von der Frage ausgehen, unter welchen Bedingungen der Vollzug jener Synthesen nicht willkürlich und zufällig, sondern objektiv notwendig und dadurch vollkommen bestimmt sei. Dies führt zunächst auf den Versuch, die Antinomie zwischen der  Einheit des Dings  und seiner  räumlichen Ausdehnung,  die immer eine Vielheit enthält, zu lösen, sei es durch den Begriff der einheitlichen  Form,  sei es durch den des  Atoms;  in beiden Fällen muß die Fixierung des Substanzbegriffs auf mathematische Elemente zurückgehen, im letzteren den Kausalitätsbegriff zu Hilfe nehmen.

2. Weitere Aufgaben enthält die Vorstellung von  Veränderungen der Dinge. 

a.  Entsprungen ist sie aus dem Bedürfnis der Zusammenfassung des kontinuierlich an demselben Ort Geschehenden zu innerer Einheit;  insofern ist die Synthese, welche verschiedene aufeinanderfolgende Sensationen auf  ein  Ding bezieht, vollkommen gleichartig des Synthesen, welche die Vorstellung des ruhenden, sich gleich bleibenden Dings hervorbringen.

b. Die logische Fixierung des Dings, das sich verändert, gerät in die Schwierigkeit, seine Einheit auf festen Ausdruck zu bringen und zu sgen,  was dasjenige ist, das in der Veränderung beharrt;  und so entspringt der Versuch, alle Veränderung auf den  Wechsel der Relationen unveränderlicher Subjekte  zu reduzieren, als der nächste Weg die Einheit des Dings im Laufe seiner Veränderungen festzuhalten. Indem dann aber einerseits der erscheinende Wechsel nur eine  veränderliche Relation zum wahrnehmenden Subjekt  sein kann, andererseits die Frage entsteht, ob der  Grund zusammen erfolgender Veränderungen verschiedener Dinge  in jedem für sich, oder in ihrem Verhältnis liege, leitet die logische Bearbeitung des  Substanzbegriffs  auch von dieser Seite zum Begriff der  Kausalität  über.

1. Die Betrachtung der sinnlichen Qualitäten und ihrer Veränderung führt von selbst zur Untersuchung derjenigen Begriffe, durch deren Hilfe erst die bis jetzt betrachteten Elemente die Form annehmen, in welcher sie gewöhnlich in unserem Denken vorkommen. die Form von  Dingen,  denen  Eigenschaften  und  Tätigkeiten  zukommen, welche wir in unseren Urteilen von denselben aussagen können. All die Hilfsmittel der Begriffsfixierung, die wir bis jetzt kennen gelernt haben, scheinen uns im Stich zu lassen, wen wir auf unzweideutige Weise sagen sollen, was wir denn damit meinen, daß wir etwas als  ein Ding  bezeichnen. So unzweifelhaft fest steht, daß unsere Rede sich fast immer in Sätzen bewegt, welche diesen Gedanken voraussetzen, so schwierig hat sich, wie die bisherigen Versuche zeigen, die Frage erwiesen, in welcher Weise der dadurch angedeuteten Vorstellung die begriffliche Schärfe und Unzweideutigkeit zu verleihen sei; und gerade je selbstverständicher es scheint, daß wir es im Bereich unserer Vorstellungen mit Dingen zu tun haben, je unnötiger und spitzfindiger zuerst die Frage scheinen möchte, desto größere Vorsicht ist geboten; zumal wenn eine der eingehendsten Untersuchungen, die HERBARTs, zu dem Resultat gekommen ist, die geläufige Vorstellung eines Dings mit vielen Eigenschaften sei ein  widersprechender Begriff,  dessen Widersprüche die Logik aufzudecken, die Metaphysik wegzuschaffen habe.

2. Der Methode, auch in diesem Gebiet zu begrifflicher Bestimmtheit zu gelangen, kann zunächst kein anderer Ausgangspunkt gegeben sein, als das immer schon vorhandene Vorstellen, welches zu verdeutlichen, zu berichtigen und zu erweitern die allgemeine Aufgabe aller Methodenlehre ist. Wollten wir nun aber den Prozeß einer  vergleichenden Abstraktion  anwenden, um durch ihn zunächst zu finden, was denn in allem, was wir ein Ding zu nennen gewöhnt sind, das Gemeinschaftliche sei, so würde hier uns die Schwierigkeit entgegentreten, auf welche § 40, 5 (Bd. I, Seite 327f) hingewiesen hat, daß nämlich der  Umfang des Gebiets nicht feststeht,  innerhalb dessen der Prozeß zu beginnen hätte. Denn was wir ein  Ding  nennen und in logischen Operationen formal gleich behandeln, ist noch ein Verschiedenes; das Wort ist ein  pollachos legomenon  [was in verschiedener Bedeutung mehrmals erscheint - wp]; zwischen  dem als wirklich existierend gedachten Einzelding  und dem bloß  logischen Subjekt,  von dem etwas prädiziert wird, macht weder die substantivische Sprachform eine Unterscheidung, noch ist es ohne vorangegangene Begriffsbestimmung möglich, sofort die Grenzen zu erkennen, an denen die eine Bedeutung in die andere übergeht, an denen sich das wirkliche Ding unserer täglichen Erfahrung von der Fiktion unserer Einbildungskraft, diese von der geometrischen Figur und diese vom abstrakten Substantiv scheidet.

3. In solchen Fällen bietet die Natur der Sache keinen anderen Weg dar, als zunächs auf die Übersicht des Ganzen verzichtend an den faßlichsten Beispielen die Operation zu beginnen, das was in diesen gedacht wird zu analysieren, und dann zu sehen, welchen Umfang und welche Grenzen der so gewonnene Begriff sich selbst setzt; ein  Versuchsverfahren  allerdings, das wir aber in ähnlicher Weise schon beim Begriff der Zahl kennengelernt haben, bei dem es die Natur des Begriffs selbst mit sich bringt.

Beginnen wir also beim Nächstliegenden, bei dem, was ganz unzweifelhaft von jedermann als "Ding" bezeichnet wird, bei den einzelnen Gegenständen der uns umgebenden Welt, bei denen, auch wenn sie uns unbekannt sind, sich doch sofort die Frage einstellt: was ist das für ein  Ding:  so läßt sich unschwer durch eine Analyse dessen, was wir damit bezeichnen und durch die Weglassung der Differenzen der uns vorschwebenden Beispiele feststellen, daß wir damit zunächst ein Vorgestelltes meinen, das sich uns, zuerst Gegenstand der Wahrnehmung, und weiterhin der reproduzierenden Erinnerung, vor allem als  e i n e räumlich abgegrenzte in der Zeit dauernde Gestalt darstellt.  (Ein Blitz, ein Schuß, ein Geruch sind uns keine "Dinge" in demselben Sinn, wie ein Stein oder ein Stück Holz.) Besinnen wir uns, was uns zuerst bestimmt, irgendein Wahrgenommenes als Ding zu betrachten, so ist es die  Unveränderlichkeit seiner Gestalt;  räumliche Abgrenzung wie Dauer einer Gestalt aber kommt uns dann besonders leicht zum Bewußtsein, wenn diese in der  Bewegung  sich von andern loslöst und an verschiedenen Orten des Raums als dieselbe erscheint. Daß wir der wahrgenommenen Gestalt  ein wirkliches Sein  beilegen, liegt ebenfalls in dem Sinn, in welchem wir von Dingen zu sprechen pflegen.

4. Sehen wir von der letzteren Bestimmung zunächst ab, so tritt in den Vordergrund jedenfalls die Bestimmung der  Einheit Was wir als ein  Ding  betrachten, muß jedenfalls  "ein" Ding  sein - ein einheitliches Objekt, das wir in  einem  abschließenden Akt vorstellen, zugleich von anderen Dingen unterscheiden, und in dieser Unterscheidung festhalten (1). Diese Bestimmung der  Einheit  allein macht es fähig, Subjekt eines einfachen Urteils zu werden.

Allein diese Bestimmung der  Einheit  ist zunächst selbst vieldeutig. Was mit ihr gemeint ist, ist einerseits die  Einzelnheit,  die sich anschaulich in der räumlichen Abgegrenztheit und der dadurch bedingten Unterscheidung von allem andern darstellt, was sich an anderen Orten des Raums befindet, - andererseits die  Identität  mit sich, die in der Möglichkeit liegt, dasselbe durch verschiedene Zeitmomente als für die Vorstellung dauernd festzuhalten; wogegen von Einheit im Sinne von  Einfachheit  nicht die Rede ist, im Gegenteil die Einheit eines Dings die Unterscheidung verschiedener Teile desselbe oder verschiedener Elemente in seiner Vorstellung durchaus nicht ausschließt. Eine geometrische Figur, wie ein Kreis oder ein Dreieck, kann uns als Beispiel dienen für diese Elemente der Vorstellung; sie ist  eine,  sofern wir sie in  einem  zusammenfassenden Akt vorstellen, räumlich abgegrenzt innerhalb des umgebenden Raums, eine beliebige Zeit sie festhaltend als unveränderliches Objekt; aber nicht  einfach,  denn es lassen sich im Kreis Mittelpunkt und Peripherie, im Dreieck die Seiten voneinander und von den Winkeln unterscheiden; das schlechthin Einfache wäre nur der Punkt. Im selben Sinn wie eine geometrische Figur, können wir dann auch die Dinge unserer wirklichen Wahrnehmung betrachten, sofern sie bloße  Bilder  sind, die wir in der Anschauung festhalten; ein Regenbogen, der Schatten eines ruhenden Körpers haben diese abgegrenzte Gestalt, die für die Anschauung besteht; ihre Einheit beruth auf der räumlichen Abgrenzung und Zusammenfassung eines bestimmten, gleichartigen oder ungleichartigen, aber kontinuierlichen sinnlichen Inhalts; und diese Abgrenzung und Zusammenfassung erweist sich als zunächst  bloß subjektiv  dadurch, daß sie vielfach  willkürlich  ist. Wie es uns am Fixsternhimmel freisteht, alle möglichen Kombinationen der leuchtenden Punkte zu Figuren zu vollziehen, die Sterne des großen Bären, des Orion etc. als eine zusammengehörige Gruppe, als Figur zu betrachten, wobei es sich um nichts als den Rahmen handelt, in den wir für uns eine Mannigfaltigkeit fassen: so können wir einen Holzstoß, oder eine Pyramide von Kugeln, einen Sandhaufen als Einheit, als  ein  Ding bezeichnen, obgleich es eine Vielheit in sich begreift.

Es hängt mit dem Bisherigen zusammen, daß uns zunächst nur die Sinnesgebiete, deren Empfindungen von Haus aus räumlich sind, und die sich zugleich durch ihre ununterbrochene Erregung im Gegensatz zu den intermittierenden Empfindungen der anderen Sinne auszeichnen, die Vorstellungen von Dingen in diesem Sinne vermitteln. Was als ein Einheitliches und Dauerndes abgegrenzt werden kann, ist zunächst entweder durch die Farbe oder durch Empfindungen des Tastsinns bestimmt, eine  gesehene oder getastete Gestalt. 

5. Aber nun kommt als wesentlicher Zug hinzu, daß die Dinge, die wir kennen, meist nicht bloß für  einen  Sinn vorhanden sind, sondern sich in der Regel  verschiedenen Sinnen,  zunächst dem Gesichts- und Tastsinn, zugleich manifestieren.

Es ist hier nicht der Ort zu untersuchen, durch welche Prozesse sich die Beziehung verschiedener Sinnesempfindungen auf  dasselbe Objekt  psychologisch vollzieht; es kommt nur darauf an, uns klar zu machen, welche Vorstellungen in der gewohnten Auffassungsweise liegen.

Und hier ist nun die Grundvoraussetzung, daß  der gesehene und der getastete Raum ein und derselbe Raum ist,  und die Erfüllung des Sehraums keine andere ist als die des Tastraums, daß also das, was an einer bestimmten Stelle des Raumes sowohl dem Gesichtssinn als auch dem Tastsinn geboten ist,  ein und dasselbe  sein muß,  weil an derselben Stelle des Raumes nicht Zweierlei vorgestellt werden kann.  Diese Einheit des Raumes ist also nicht  ein  Produkt unserer Wahrnehmungen, sondern die  Voraussetzung, unter der wir unsere verschiedenen Empfindungen zu Vorstellungen von Dingen gestalten;  die Synthese von Farbe, Härte, Kälte usw. steht  unter dem Gesetz, daß, was an derselben Stelle des Raums ist, nur e i n e s sein kann. 

Damit ist die Vorstellung der  Raumerfüllung  einerseits, der  räumlichen Ausschließung  andererseits gegeben; so gewiß uns Farben- und Tastqualitäten nur mit räumlicher Ausdehnung zusammen gegeben sind, so gewiß sich in Beziehung auf diese verschiedene Farben ausschließen, so gewiß ist auch das vorgestellte Ding dadurch konstituiert, daß uns ein Teil des Raums durch eine bestimmte Farbe und Tastqualität ausgefüllt ist.

6. Aufgrund dieser  Identität des Raums und seiner Orte  erscheinen uns die verschiedenen Sinnesqualitäten als  Eigenschaften ein und desselben Dings;  die Identität ist zunächst die  lokale,  die Einheitlichkeit ist durch die räumliche Grenze gegeben, die für Tastsinn und Gesicht in übereinstimmender Weise vorhanden ist. Es erhellt sich daraus, daß für diesen Standpunkt die Schwierigkeiten gar nicht vorhanden sind, welche die HERBARTsche Metaphysik gegen den Begriff eines Dings mit vielen Eigenschaften erhebt; daß wir nur dadurch den Gedanken der Selbigkeit des Raums für verschiedene Sinne vollziehen, nur dadurch von etwas reden können, was an einem bestimmten Ort desselben Raums wahrgenommen wird. Unsere verschiedenen Sinne kämen in einen unlösbaren Konflikt, wenn die räumlichen Bilder des einen nicht identisch wären mit den räumlichen Bildern des anderen.

7. Indem sich mit diesem  geometrischen  Begriff der Einheit und Selbigkeit eines Dings noch der nicht weiter abzuleitende Gedanke, daß es  sei,  verknüpft, vollendet sich die gewöhnliche populäre Vorstellung, mit der wir beim Beginn aller Wissenschaft operieren; der Grundsatz, daß an demselben Ort des Raums nicht zwei verschiedene Dinge sein können, ist also nicht ein Grundsatz, der zu der schon fertigen Vorstellung von Dingen erst hinzukäme, sondern ein  Grundsatz, der die Bildung dieser Vorstellung selbst leitet,  und insofern mit weit mehr Recht, als mancher kantische Grundsatz, unter die  apriorischen Voraussetzungen  unserer Erfahrung aufznehmen wäre; bei dem ebenso sein Ursprung aus der Einheit des Selbstbewußtseins klar zu Tage liegt (2).

8. Die bisherige Betrachtung dessen, was wir in der Vorstellung eines Dings eigentlich tun, hat uns eine dreifache Zusammenfassung gezeigt: eine  zeitliche,  sofern wir etwas als dauernd durch unterscheidbare Momente hindurch nur durch eine Zusammenfassung derselben vorstellen können; eine  räumliche,  sofern die einheitliche Abgrenzung eines Raumbildes eine Zusammenfassung verschiedener Teile voraussetzt; eine Vereinigung schließlich der Raumvorstellungen durch den Gesichts-, und der Raumvorstellungen durch den Tastsinn, durch welche die Qualitäten beider Sinne zu  Eigenschaften ein und desselben  Objekts wurden.

9. Nun führt aber vor allem die ursprünglich  räumliche Basis,  auf der die Vorstellung eines Dings als  eines  Dings ruht, ihre Schwierigkeiten mit sich, und erzeugt das Bedürfnis, dieselbe weiter zu bearbeiten. Denn mit der Ausgedehntheit des Raums erhebt sich jetzt die Frage, ob ein  ausgedehntes Ding  wirklich als  Einheit  festgehalten werden kann, ob die Abgrenzung, durch welche es bei einem ersten Schritt als eine Einheit abgesondert und von anderen Einheiten unterschieden worden ist, eine  definitive,  d. h. ob sie eine  notwendige  ist, die nicht anders vollzogen werden könnte?

Denn wenn auch die vollkommene Übereinstimmung in einem allgemeinen Verfahren, durch das die Empfindungen zu Vorstellungen von Dingen verarbeitet werden, auf ein  Naturgesetz  hinweist, das zuletzt in der Einheit des Selbstbewußtseins gegenüber der Mannigfaltigkeit und Unvergleichbarkeit unserer sinnlichen Affektionen gegründet ist, so ist doch damit nicht die  übereinstimmende und objektiv notwendige Anwendung dieses Verfahrens  auf den gesamten Inhalt der Empfindung verbürgt, vielmehr handelt es sich darum, zu fragen, in welcher Weise diese Anwendng gemacht werden muß, um vollkommen feste, aller subjektiven Differenz entrückte Begriffe zu gewinnen?

10. Sehen wir zunächst davon ab, daß nach dem Bisherigen die Beziehung verschiedener Sensationen auf  ein  Ding durch die  Lokalisation  bedingt ist, bei der es sich selbst wieder fragt, in welcher Weise sie allgemeingültig zu vollziehen sei, sehen wir vorerst von allen Schwierigkeiten ab, welche  Bewegung und Veränderung  mit sich führen - wir haben schon darauf hingewiesen, daß es zum Teil  willkürlich  ist, was wir innerhalb der räumlichen Welt als Einheit abgrenzen und zusammenfassen wollen, willkürlich, ob wie einen Holzstoß oder die einzelnen Scheiter desselben als Einheit betrachten. Dasselbe wiederholt sich aber bei jeder ausgedehnten Einheit; schon die bloße Möglichkeit innerhalb jedes ausgedehnten Dings  Teile  zu denken, es als ein  Ganzes  anzusehen, das aus verschiedenen Teilen besteht, eine rechte und linke, eine obere und untere Hälfte desselben zu unterscheiden, eröffnet die Widersprüche zwischen Einheit und Ausgedehntsein, die sich durch die ganze Geschichte des Substanzbegriffs hindurch verfolgen lassen. Denn einerseits ist die Unterscheidung von  Form  und  Materie,  und der platonisch-aristotelische Versuch, die Einheit des Dings in die  Form  als etwas für die Vorstellung feststehendes zu verlegen, hieraus entsprungen, andererseits wurden hierin alle Bestrebungen, durch eine  Teilung der Ausdehnung  auf ein wirklich Einfaches und Letztes zu kommen, dem die Räumlichkeit überhaupt oder wenigstens die faktische Teilbarkeit und Zerlegbarkeit in Vieles abgesprochen wird, um so ein Subjekt zu gewinnen, das dem logischen Bedürfnis einer schlechthin einheitlichen und  einfachen  Aussage entspricht. Die antike wie die moderne  Atomistik  läßt sich in ihrem Grundgedanken also schon aus dem Bedürfnis begreifen,  den Begriff  des  Dings  logisch zu fixieren.

11. Aber sobald wir diese Richtung einschlagen, wiederholt sich der alte Antagonismus zwischen der  Kontinuität des Raumes und dem Bedürfnis der Einheit.  Solange wir durch die Teilung bloß kleinere und immer kleinere Dinge gewinnen, halten wir zwar die ursprüngliche Anschauung fest, kommen aber zu keinem Ziel; wird aber der Prozeß zu seiner äußersten Spitze hinausgetrieben, auf welcher die Atome alle Ausdehnung verlieren, um absolut einheitlich zu sein, so verschwindet sofort aller Inhalt, den die Vorstellung des Dings in sich faßte, alle Möglichkeit, jene Prädikate anzuwenden, die wir zunächst als Eigenschaften eines räumlich ausgedehnten Dings festgehalten hatten; weder Farbe noch Härte, noch eine andere der mit der Raumvorstellung untrennbar verknüpften Empfindungsqualitäten kann jetzt mehr gelten, und der Begriff des Dings wird der Sphäre des sinnlich Anschaubaren vollkommen entrückt; was früher als einheitliches Ding galt, ist nur eine subjektive Zusammenfassung einer Vielheit von Punkten, die sich in bestimmter räumlicher Lage zueinander befinden, die kontinuierliche Raumerfüllung ist ein Schein, und die Abgrenzung der Dinge gegeneinander nur von der Art und Weise abhängig, wie diese unsinnlichen punktuellen Wesen in ihrer Vielheit unsere Empfindung affizieren. Der Begriff der sinnlichen Eigenschaft verwandelt sich in eine  Kollektiv-Wirkung  auf unsere subjektive Empfindung; und was wirklich  ein  Ding ist, hört auf, wahrnehmbar zu sein. Soll aber die in der gewöhnlichen Redeweise geübte Zusammenfassung einer Vielheit von Atomen zu  einem  Ding noch eine Berechtigung haben, so kann auch diese dann nur in den  realen Beziehungen  gegründet sein, welche eine bestimmte Vielheit von Atomen zueinander hat, in ihrer  Wechselwirkung;  und der Begriff des zusammengesetzten Dings wird vom Kausalitätsbegriff abhängig, die wahrnehmbare Form ist der Ausdruck der Gesetze, unter denen das Zusammensein dieser bestimmten Vielheit steht.

12. Mag man nun den einen oder den anderen Weg einschlagen, den Begriff des Dings durch den der  Form  oder den des  Atoms  fixieren wollen: auf beiden Wegen zeigt sich, daß sich auch hier zur begrifflichen Bestimmtheit nur durch die  mathematischen Begriffe  gelangen läßt. Denn feste  Begriffe von Formen  haben wir ebensoweit, als unsere  geometrische Konstruktion  nach bestimmten Grenzen reicht. Der Begriff des  Atoms  aber setzt ebenso den geometrischen Begriff des  Punktes  voraus, und die Zurückführung eines sinnlich anschaubaren Dings auf Atome verlangt wiederum die  geometrische Konstruktion der gegenseitigen Lagen vieler Punkte.  So daß auch hier bereits die Abhängigkeit der Begriffsbildung in diesem Gebiet von der Ausbildung der mathematischen Vorstellungen ins klarste Licht tritt.

13. Wir dürfen nicht weiter gehen, um die völlige Unzulässigkeit der Lehre einzusehen, welche die populäre Vorstellung des  Dings  auf die bloße  Koexistenz  sinnlicher Qualitäten zu reduzieren sucht. Es war allerdings vom empiristischen Standpunkt aus konsequent, wenn HUME den wankenden und schillernden Substanzbegriff LOCKEs, als dessen greifbarer Gehalt doch zuletzt nur "eine Anzahl einfacher Ideen die immer zusammen vorkommen" (3), übrig blieb, ganz zu eliminieren trachtete, und MILL (4) formuliert die daraus sich notwendig ergebenden Folgerungen, wenn er den Inhalt jedes Urteils über Eigenschaften eines Dings dahin angibt, daß darin die  Koexistenz der Attribute,  welche die Bedeutung des Prädikatworts ausmachen, behauptet wird; wobei wiederum sich die Attribute zuletzt in lauter  Gemütszustände  auflösen lassen, sofern diese alles sind, was wir von den vorausgesetzten äußeren Objekten wirklich erkennen; denn die Sensationen und die Ordnung ihres Eintretens machen alles aus, was wir von der Materie wissen können. Allein ist die populäre Vorstellung eines Dings - und nur mit dieser beschäftigen sich diese Theorien - damit erschöpft, daß eine Anzahl von Sensationen, Farbe, Härte usw. "koexistieren"? Zunächst kann nicht gesagt werden, daß diese Koexistenz im strengsten Sinne Gegenstand unmittelbarer Wahrnehmung ist, denn die Sensationen, durch welche wir ein Ding kennen lernen, sukzedieren sich in der Regel; was aber das wichtigere ist, der Begriff der Koexistenz ist viel zu weit und unbestimmt, denn er läßt die Sensationen unabhängig voneinander bestehen und schließt nicht einmal die  lokale Identität  ein, welche doch jedenfalls in der Vorstellung des Dings mit enthalten ist (denn wenn MILL gelegentlich für  Koexistenz  räumliche Ordnung sagt, so ist auch das ungenau, denn die verschiedenen Eigenschaften eines Dings sind nicht "räumlich geordnet"); würde aber auch die lokale Identität noch hinzugenommen, so fehlte doch der Einheitspunkt, den LOCKE richtig als Bestandteil der geläufigen Vorstellung erkannt hatte und den HUME sich abmüht aus subjektiven Gewohnheiten zu erklären, der aber eben in dem Grundsatz ausgesprochen ist, daß an demselben Ort des Raums nicht zwei verschiedene Dinge sein können.

Der empiristischen Ansicht einer bloß äußerlichen, in der Wahrnehmung gegebenen und durch Gewohnheit sich befestigenden Assoziation verschiedener Empfindungen ist also der Satz gegenüberzustellen, daß im Begriff des Dings eine  Synthese  vorhanden ist, welche nicht aus den sinnlichen Faktoren unseres Vorstellens erklärt werden kann, sondern in letzter Instanz auf eine ursprüngliche Funktion zurückgeht, vermöge der wir die Empfindungen verschiedener Sinne aufeinander beziehen, um sie zur Vorstellung eines räumlichen Objekts zu gestalten; und der eigentliche Begriff des Dings ist dadurch bedingt, daß wir uns das  Gesetz dieser Synthese  zu Bewußtsein bringen, und seine normale objektiv notwendige Anwendung suchen; in welcher Weise diese gelingt, ob durch den Begriff der Form oder durch den des Atoms, darüber kann erst die Beschaffenheit des Inhalts, der vereinigt werden soll, und die Ausbildung des Kausalitätsbegriffs entscheiden.

Fragen wir aber nach dem letzten  Motiv  dieser Synthese, so liegt es einerseits in der Notwendigkeit, die einzelnen Elemente unseres Bewußtseins zu vereinigen, andererseits darin, daß diese Vereinigung nur dann eine notwendige,  begründete  ist, wenn im Objekt selbst der Grund liegt, daß verschiedene Sensationen am selben Ort des Raums zusammen sind. Die  Einheit des Dings  macht das notwendig, was uns in unserem Bewußtsein zusammen gegeben ist.

14. Während uns bisher die Schwierigkeiten beschäftigt haben, in welche die Fixierung des Begriffs  des Dings  gegenüber seiner  räumlichen Ausdehnung und der Vielheit seiner Eigenschaften  gerät: so erwächst eine neue Reihe von Fragen, wenn wir die gewöhnliche Auffassung begrifflich bearbeiten wollen, welche den Dingen nicht bloß  beliebige Dauer,  sondern während ihrer Dauer zugleich eine  Veränderung  zuschreibt. Von dieser Seite hat KANT dem Substanzbegriff seine Bedeutung zu geben unternommen, indem er ihn auf das  Beharrliche im Wechsel  reduzierte, und die Notwendigkeit des Substanzbegriffs eben dadurch einleuchtend zu machen versuchte, daß ohne ein Beharrliches auch der Wechsel nicht als solcher gedacht werden könnte, also jede objektive Zeitbestimmung und damit Erfahrung überhaupt unmöglich wäre.

15. Orientieren wir uns zunächst über den Sinn, in welchem die gewöhnliche Auffassung von  Veränderung  in Bezug auf die Dinge spricht, so beruth die Sicherheit, mit der sie in den einfachsten Fällen die  Veränderung einer sinnlichen Eigenschaft als Veränderung des Dings selbst  bezeichnet, auf der unmittelbar aufgefaßten  Kontinuität der Vorgänge,  welche sich innerhalb des räumlich abgegrenzten Rahmens zutragen, den uns ein bestimmtes Ding ausfüllt. Wenn sich vor unseren Augen ein blaues Papier rötet, ein auf den Ofen gelegtes Stück Wachs zerschmilzt, wenn sich in unserer Hand ein kalter Körper erwärmt, ein harter erweicht: so haben wir überall einen ganz kontinuierlichen Übergang, der sich an  derselben Stelle des Raumes  vollzieht, und das Motiv tritt nirgends ein, etwa anzunehmen, daß, was früher da war, durch eine  ganz andere Substanz  ersetzt worden sei; die Einheit des Dings haftet in dieser Hinsicht, wie vorher an der  räumlichen Abgegrenztheit,  so jetzt an der  zeitlichen Kontinuität der Empfindungsübergänge  innerhalb dieser Grenzen, bzw. an der stetigen Veränderung dieser Grenzen selbst. Um dieser Stetigkeit der Übergänge willen glauben wir die Einheit auch dann festhalten zu müssen, wenn sich, wie im Fall des schmelzenden Eises, alle und jede unmittelbar empfindbaren Qualitäten ändern - Farbe, Gestalt, Temperatur, Härte usw.; in diesem Fall läßt sich von einem  der Anschauung gegebenen Beharrlichen,  einem Komplex von sinnlichen Eigenschaften, in welchem ein Teil bliebe, ein anderer Teil wechseln würde, gar nicht reden. Wären wir auch geneigt, dann von  Verwandlung  eines Dings in ein anderes zu reden, so ist doch der Übergang von diesem Fall zu den anderen Fällen, in denen nur ein Teil der Eigenschaften wechselt, so allmählich, daß eine feste Grenze zwischen Veränderung und Verwandlung nicht gezogen werden kann, und wir befinden uns, wenn wir von einem bloß sinnlichen Augenschein ausgehen wollten, in völliger Verlegenheit, die Begriffe der  Veränderung  und der  Verwandlung  gegeneinander abzugrenzen, zu unterscheiden, wann dasselbe Ding bleibt und nur eine seiner Eigenschaften oder wenige verändert, und wann es sich ganz in ein anderes Ding verwandelt.

Ähnlichen Schwierigkeiten begegnet diejenige Seite der Veränderung, welche sich auf  das Wachsen und Abnehmen des Volumens  bezieht. Wieder ist es die Kontinuität des Vorgangs, die stetige Erweiterung oder Verengung der lokalen Grenzen des zuerst aufgefaßten Dings, was uns nicht zweifeln läßt, daß der wachsende Organismus, der steigende Strom, das sich zusammenziehende Quecksilber, die einschrumpfende Frucht  dasselbe Ding  sei, und von hier führen wieder ganz allmähliche Übergänge zu den Fällen hinüber, wo die Grenzen Null werden, zum  Entstehen und Vergehen.  Die unmittelbare Auffassung berechtigt unzweifelhaft zu sagen, daß am reinen Himmel Wolken entstehen und verschwinden, daß sich Dämpfe bilden und das Feuer erlischt.

16. Sobald wir uns klar machen, daß Veränderung, Wachstum und Abnahme, Entstehen und Vergehen als  Prädikate ein und desselben Dings  eben dadurch zustande kommen, daß unser kontinuierliches Bewußtsein eine Reihe in der Zeit in stetigen Übergängen sukzedierender Bilder zusammenfaßt - eben darum zusammenfaßt, weil nirgends durch ein plötzliches Abbrechen, einen Sprung in der sinnlichen Auffassung das Motiv liegen könnte, eine Grenze zu ziehen und die Existenz des früheren Moments von dem des späteren abzusetzen -, so erhellt sich die  Gleichartigkeit der Synthese,  in der sich dieses Zusammennehmen einer  Vielheit von zeitlich aufeinanderfolgenden Erscheinungen  vollzieht, mit der  Synthese eines räumlichen Kontinuums  und der  Synthese einer Vielheit von Eigenschaften verschiedener Sinne,  und die Bedeutung der dadurch gedachten  Einheit,  welche die Vielheit aufeinanderfolgender Unterschiede nicht ausschließt, sondern voraussetzt. Der Begriff der Veränderung enthält so wenig einen Widerspruch wie der Begriff des Dings mit vielen Eigenschaften; denn wenn gesagt wird, es sei  dasselbe Ding,  das jetzt hart und dann weich ist, so wird ja nicht gesagt, hart und weich seien  dasselbe,  und auch nicht gesagt, das Ding sei  dasselbe  im Sinn einer  unterschiedslosen Identität;  eben die  Unterscheidung des Dings von seinen Eigenschaften  macht den Gedanken widerspruchslos, daß dasselbe Ding verschiedene Eigenschaften zugleich und nacheinander haben kann. Wäre es  nur die Summe der Eigenschaften,  bestünde seine Vorstellung nur durch die Funktionen, durch welche wir die Eigenschaften als solche auffassen, dann könnte es eben gar nicht zum Gedanken eines sich verändernden Dings kommen; wir hätten bei der geringsten Veränderung das Verschwinden der bisherigen Einheit und ihren Ersatz durch eine neue, anders zusammengesetzte; wenn sich in einer Summe auch nur  ein  Summand ändert, kann die Summe nicht dieselbe bleiben, sondern wird selbst eine andere.

Nicht in diesen angeblichen Widersprüchen also kann das Motiv liegen, aus dem die wissenschaftliche Betrachtung von den ersten Anfängen an versucht hat, den Gedanken der Veränderung, des Entstehens und des Vergehens los zu werden.

17. Auch KANTs Beweis für die Beharrlichkeit der Substanz, der die Veränderung stehen läßt und nur die Verwandlung und das Entstehen aufhebt, ist nicht zwingend. Das Bestreben, einen physikalischen Grundsatz, den er als Grundstein aller Naturwissenschaft voraussetzt, als a priori notwendig aus den Bedingungen der Möglichkeit einer Erfahrung zu erweisen, verdunkelt den Gang des Beweises selbst und schiebt ein Element - das unveränderliche  Quantum  der Substanz - ein, das aus den Prämissen nicht folgt. Denn kommt es bloß darauf an, daß Zugleichsein und Folge wahrgenommen wird, bloß darauf, daß der für sich leeren Zeit etwas im Dasein entspricht: so ist dieser Forderung schon dadurch genügt, daß überhaupt  irgendetwas Beharrliches  im Ganzen meiner Erfahrung vorhanden ist, an welchem ich den Wechsel messen kann. Dieses Beharrliche bin aber vor allen Dingen  Ich selbst,  als das Korrelat aller Gegenstände  meines  Bewußtseins, und da an diesem meinem Bewußtsein jedenfalls ursprünglich die Zeit hängt, so ist schon damit die Möglichkeit gegeben, Zugleichsein und Folge wahrzunehmen; beharrlich ist aber ebenso der  Raum,  innerhalb dessen alle äußerlich wahrgenommenen Veränderungen vor sich gehen. Die Forderung, die KANT weiter daran knüpft, daß in den  Gegenständen der Wahrnehmung  das Substrat anzutreffen sei, welches die Zeit überhaupt vorstellt, ist tatsächlich in der Allgemeinheit, in der er sie aufstellt, nicht erfüllt; ein Teil dessen, was der Empfindung entspricht, des Realen, ist ja in einem fortwährenden Wechsel begriffen, und was als Substrat immer dasselbe bleiben soll, ist nicht das Reale, d. h. der Empfindung korrespondierende, ist kein Gegenstand der Wahrnehmung. Es ist unrichtig, daß das  Entstehen  oder  Vergehen  schlechthin gar keine mögliche Wahrnehmung sei, weil das  Beharrliche  die Vorstellung vom Übergang aus einem Zustand in den anderen, vom Nichtsein zum Sein allein möglich macht; es genügt, um Entstehen und Vergehen wahrzunehmen, daß ein  Teil  der Erscheinungen beharrt, innerhalb dessen und durch Vergleich mit welchem das Eintreten einer neuen Erscheinung wahrgenommen werden kann. Der Grundsatz von der Beharrlichkeit der Substanz im kantischen Sinn setzt eine  Totalität der Erscheinungen  voraus, die in der Wahrnehmung niemals angetroffen wird; der Beweis desselben redet, als ob alles  eine  Einheit wäre (5).

18. Nach unserer Auffassung ist es ein anderes Motiv, das zum Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz geführt hat; der Beweis für seine Richtigkeit ist nur ein empirischer, und der Grundsatz gilt nur für das Gebiet, in dem er empirisch erwiesen ist.

Das Motiv liegt in der Schlüpfrigkeit, mit welcher sich die Veränderung in jeder Form dem festen Griff entwindet, durch welchen unser Denken sie fassen will. Wie die räumliche Ausdehnung des Dings dazu drängt, die Schwierigkeiten der unendlichen Teilbarkeit zu überweinden durch das Zurückgehen auf ein absolut Einfaches, so drängt die zeitliche Kontinuität des Wechsels, seine Unfaßbarkeit für das scheidende Denken dazu, den Wechsel aus dem Begriff des Dings zu entfernen. Ist nach der gewöhnlichen Auffassungsweise trotz dem Wechsel, wegen der Kontinuität desselben, die Vorstellung eines einheitlichen trotz der Veränderung als dasselbe dauernden Dings gegeben: so ergibt sich jetzt die Aufgabe zu sagen,  was nun dieses Eine ist,  es in einem festen Begriff zu fixieren. Der erste Schritt ist die Trennung des  Bleibenden  vom  Veränderlichen;  beim Blatt, das sich verfärbt, bleibt die  Form,  die  Farbe  wechselt; an jene also kann sich zunächst das fixierende Denken halten; oder es wechselt die Form, wie bei der Flüssigkeit, welche die Form jedes Gefäßes annimmt, aber ihre übrigen Qualitäten bleiben unverändert; und so schwebt uns in der Tat meist, wenn wir vom Verändertsein der Dinge reden, das  gewohnteste Bild als das eigentliche Ding  vor, und wir durchlaufen die Reihe der Veränderungen in der reproduzierenden Einbildung, um uns nachher allmählich an das neue Bild zu gewöhnen. Aber unser Bedürfnis fester Begriffe verlangt nach  strenger Einheit;  was wir als  ein  Ding anerkennen sollen, darf nicht dieser  Proteus  [zugleich Wasser und Feuer - wp] sein, den wir nicht festhalten können; und so versuchen wir das Dauernde und Bleibende  hinter  die wahrnehmbare Erscheinung zu verlegen, und die Veränderung als nur scheinbare von ihm loszulösen; die  Eigenschaften,  durch die wir es von anderem unterscheiden, als etwas schlechthin  Beharrliches,  das  Wechselnde  aber als  bloße Relation  zu denken, welche das Ding selbst in seinem Bestand nicht affiziert. Und je eingreifender die Veränderung ist, auf je mehrere Eigenschaften sie sich erstreckt, wie beim schmelzenden Eis oder beim erstarrenden Erz, desto dringender wird die Aufforderung, der Einheit, zu deren Gedanken nur die zusammenfassende Wahrnehmung zuerst Veranlassung gab, nun auch einen festen Kern zu geben, und bestimmt zu sagen, wie denn das in der Veränderung sich gleich bleibende und beharrende Subjekt zu denken sei. Aus diesem Bedürfnis, das  Wechselnde  auf  unveränderliche Subjekte  zu reduzieren, ist vorzugsweise die  alte Atomistik  entsprungen; aus dieser stammt das  Gigni de nihilo nihil, in nihilum nil posse reverti  [nichts kann aus nichts geboren werden, nichts kann in nichts aufgelöst werden - wp] im Sinne des LUKREZ; während der Grundsatz  ex nihilo nihil fit  [von nichts kommt nichts - wp] viel mehr im Sinne des Kausalitätsprinzis als in dem der Beharrlichkeit der Substanz angewendet zu werden pflegt.

Der Beweis aber für die Gültigkeit des Grundsatzes, daß das  Quantum der Substanz  unveränderlich sei, konnte erst geführt werden, nachdem ein  Maß  für das Quantum der Substanz gefunden war, nachdem das  Gewicht - also eine  Relation,  eine Wirkung - als dieses Maß anerkannt war, und die Chemie nachweisen konnte, daß in allen chemischen Verbindungen und Trennungen das Gewicht konstant bleibt; darin, sowie in der Möglichkeit, auch äußerlich erkennbar das frühere Ding wieder herzustellen, liegt der empirische Beweis für eine unseren logischen Bedürfnissen entsprechende Hypothese; die Möglichkeit einer Wahrnehmung von Zugleichsein und Nacheinander aber verlangt keineswegs jenen Grundsatz, der auch in keiner Weise, wie er doch tun müßte, eine Anleitung gibt zu bestimmen, was nun in der Erscheinung als das Beharrliche, d. h. als Substanz zu betrachten sei. Denn in dem bloßen Satz, daß das Wechselnde die verschiedenen Modi sein müssen, in denen das Beharrliche existiert, ist wieder das Beharrliche als eine Einheit genommen, als ein einheitliches Substratum, während von unserer ersten Auffassung aus immer die Frage am nächsten liegt, welches Einzelne das Subjekt sei, das sich verändert.

KANT hat in dem Satz: "in allen Erscheinungen ist das Beharrliche der Gegenstand selbst, d. h. die Substanz, alles aber was wechselt oder wechseln kann gehört nur zu der Art, wie diese Substanz oder Substanzen existieren, mithin zu ihren Bestimmungen", schon durch das unbestimmte "Substanz oder Substanzen" auf diese Lücke seiner Lehre hingedeutet. Neben dem aber bleibt die Schwierigkeit, wie nun die  Einheit des Dings im Wechsel seiner Bestimmungen  festzuhalten sei, unvermindert bestehen; das von HERBART betonte Problem der Veränderung ist gar nicht berührt. Und doch geht gerade hierauf das Hauptinteresse in der wissenschaftlichen Fixierung des Substanzbegriffs. Wenn wir uns fragen, was von allgemeinen Gesichtspunkten für die chemische Atomistik spricht, so ist es nichts anderes, als daß wir dieses Problem der wirklichen Veränderung der einem Ding inhärierenden Eigenschaften loswerden; wenn wir fragen, was die Physiologie der Sinnesorgane und die Entwicklung der Mechanik der Aggregatzustände für die Metaphysik geleistet hat, so besteht es darin, daß sich die Veränderungen der Eigenschaften, welche die gewöhnliche Wahrnehmung aufzudrängen scheint, in die Veränderung von lauter Relationen auflöst, in welche unveränderliche Substanzen treten, so daß alle Veränderung jetzt nur neben der räumlichen Bewegung, die allein objektiv bleibt, in die subjektiven Tätigkeiten des empfindenden und wahrnehmenden Subjekts fällt, das von den unveränderlichen Dingen in wechselnder Weise affiziert wird.

Damit lösen sich aber die  Eigenschaften,  durch welche wir zunächst den Begriff des Dings und seiner Veränderung bestimmen wollten, in lauter  Wirkungen  auf, und es zeigt sich auch von dieser Seite, daß der Begriff des Dings sich nicht ohne den der Ursache vollenden kann, sobald er seiner populären Unbestimmtheit entrückt werden soll.

19. Aber noch von einer anderen Seite werden wir auf diesen Begriff hinausgewiesen. Lag weiter oben das letzte Motiv zu der Synthese, die wir im Gedanken des  Dings  vollziehen, darin, daß das Zusammensein der Qualitäten, die uns unser Selbstbewußtsein an demselben Ort zu vereinigen zwingt, als ein  notwendiges  gedacht werden soll: so wendet sich derselbe Gesichtspunkt auch auf die Zusammenfassung der Veränderungen an; auch hier suchen wir einen einheitlichen  Grund des sukzessiven Zusammenseins  der verschiedenen Qualitäten. Der Begriff des  Tuns  in dem Sinne, in welchem die intransitiven Verba ihn enthalten, verlegt den Grund dieser Sukzession in die Einheit des Dings, und er ist ansich so wenig widersprechend, wie der Gedanke der vielen Eigenschaften eines Dings; aber da wir zugleich die  Sukzession des Tuns verschiedener Dinge  haben, so entsteht die Frage, ob auch diesem ein Grund unterliegt, und ob wir nicht den Grund der Veränderung, statt ihn in jedem Ding  für sich  zu suchen, in ihrem  Verhältnis zueinander  zu suchen haben, vermöge dessen ein Ding die Veränderung eines anderen notwendig macht, d. h. in einem  Kausalverhältnis. 
LITERATUR - Christoph Sigwart, Logik II, Methodenlehre, Tübingen 1904