cr-4 Die ImpersonalienWundtCohenErdmannJerusalem    
 
CHRISTOPH SIGWART
L o g i k  I
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    Einleitung
§ 1. Aufgabe der Logik
§ 2. Grenzen der Aufgabe
§ 3. Postulat der Logik
§ 4. Einteilung der Logik
§ 5. Der Satz als Ausdruck des Urteils
§ 6. Die obersten Gattungen des Vorgestellten
§ 7. Die allgemeine Vorstellung und das Wort
§ 8. Notwendigkeit des Worts für das Prädikat
§ 9. Die Benennungsurteile
§ 10. Eigenschafts- und Tätigkeitsurteile
§ 11. Impersonalien und verwandte Urteilsformen
§ 12. Relationsurteile
§ 13. Urteile über Abstrakta
§ 14. Die objektive Gültigkeit des Urteils
§ 15. Die Zeitbeziehung der erzählenden Urteile
§ 16. Die erklärenden Urteile
§ 17. Der sprachliche Ausdruck des Urteilsaktes
§ 18. Analytische und synthetische Urteile
§ 19. Der Prozeß des synthetischen Urteils

"Die objektive Gültigkeit beruth nicht unmittelbar darauf, daß die subjektive Verknüpfung den Verhältnissen des entsprechenden Seienden entspricht, sondern  auf der Notwendigkeit der Ineinssetzung.  Diese Notwendigkeit wurzelt im  Prinzip der Übereinstimmung,  welches zugleich die  Konstanz der Vorstellungen  zur Voraussetzung hat; diese logischen Prinzipien vermögen aber die  reale Identität der Dinge  nicht zu gewährleisten."

"Wenn ich behaupte  dies ist rot,  so kann zunächst in Anspruch genommen werden, ob ich das  rot  nenne, was alle Welt  rot  nennt; die Objektivität, die meinem Urteil bestritten wird, bezieht sich auf den Sprachgebrauch, der dem subjektiven Belieben als eine objektive Norm, als ein allgemeines Gesetz gegenübersteht. Aller  Wortstreit  dreht sich um die Frage  dieser  Gültigkeit; er ist möglich teils dadurch, daß die subjektiven und individuellen Bedeutungen der Wörter verschieden sind von dem, was allgemein anerkannt ist, teils dadurch, daß der allgemeine Sprachgebrauch selbst nicht fest bestimmt und die Grenzen der einzelnen Wörter schwankend sind."

"Woher wissen denn die Astronomen, daß der Stern, den  sie  Uranus nennen, auch  wirklich  der Uranus ist?"

"Man hat dem  Prinzip der Identität  zu vielerlei Bedeutungen gegeben und zu vielerlei Leistungen zugemutet, als daß es ratsam wäre, den eben gefundenen Grundsatz mit diesem Namen zu belegen; es wäre auch ansich unpassend, denn um absolute Identität zwischen Subjekts- und Prädikatsvorstellung handelt es sich im strengsten Sinne nicht, sondern nur darum, daß das unter dem Prädikatswort vorgestellte Subjekt wiedergefunden wird. Zutreffender würde, was hierher gehört,  Prinzip der Übereinstimmung  genannt."

"Unsere Überzeugung von der realen Identität der einzelnen Dinge mit sich meint ihre Beharrlichkeit im Wechsel des Tuns, ihre Fortdauer unter verschiedener Erscheinung. Es ist auch solches  A ist A  kein Prinzip, mit welchem wir im Denken weiter kämen und worauf wir die Gültigkeit unserer Urteile gründen könnten; denn das  A A  sei in dem Sinne, daß dieses Einzelne dieses Einzelne sei, diese Hand diese Hand und dieser Pudel dieser Pudel, fällt keinem Menschen je ein zu behaupten, weil absolut Ununterschiedenes in Eins zu setzen keinen Sinn hat und die Formel also völlig leer ist, wenn sie mehr als die  Konstanz des Vorgestellten  bezeichnen will; die Urteile aber, welche reale Identität treffen wollen,  beziehen verschiedene Vorstellungen  auf ein und dasselbe Subjekt, also z. B. beim Wiedererkennen eine Anschauung und ein Erinnerungsbild auf dieselbe Person."

"Die am Subjekt vorgestellte Eigenschaft oder Tätigkeit kann mit objektiver Gültigkeit nur unter der Voraussetzung behauptet werden, daß die Einheit von Ding und Eigenschaft, von Ding und Tätigkeit überhaupt ein reales Verhältnis ist, daß wir also ein Ding durch seine Eigenschaften zu erkennen und einen Wechsel in unserer Vorstellung als seine Veränderung anzuschauen vermögen. Dieses Verhältnis des Dings zu seinen Eigenschaften und Tätigkeiten ist ebenso schon unter den Begriff der  Identität  gestellt worden; aber auch hier hat man dem Terminus eine Elastizität zugemutet, die ihm nicht zukommt. Identisch ist das Ding nur mit sich selbst als der dauernde Träger seiner Eigenschaften, als das in der Tätigkeit  eins  mit sich bleibende Subjekt, aber es ist weder mit seinen Eigenschaften, noch mit seinen Tätigkeiten identisch, es ist nicht diese selbst, der Zinnober ist nicht mit seiner Röte und die Sonne nicht mit ihrem Leuchten identisch; und das Prinzip, das die Urteile:  der Zinnober ist rot, die Sonne leuchtet,  legitimieren soll, kann nicht Prinzip der Identität heißen."



Zweiter Abschnitt
D i e  e i n f a c h e n   U r t e i l e

I. Die erzählenden Urteile

§ 13.
Urteile über Abstrakta

Diejenigen Urteile über Einzelnes, deren  Subjekte Abstrakta, deren Prädikate adjektivisch oder verbal  sind, können nicht auf die Kategorien des Dings und der Eigenschaft oder Tätigkeit zurückgeführt werden. Es liegt ihnen vielmehr als erste Synthese teils die  Einheit der Eigenschaft oder Tätigkeit mit ihrer Modifikation,  teils die Betrachtungsweise zugrund, welche einem Ding  nur vermöge einer bestimmten Eigenschaft, Tätigkeit oder Relation  ein Prädikat beilegt.

1. Die nächstliegende und einem wenig entwickelten Denken natürliche Auffassung wahrgenommener Vorgänge ist die Beziehung derselben auf die konkreten Dinge und der Ausdruck alles dessen was ist und geschieht als Eigenschaft, Tätigkeit, Verhältnis des Einzelnen; HOMER hat nur wenige Sätze, deren Subjekte nicht einzelne Personen oder Dinge sind. Erst das Bedürfnis des genauer unterscheidenden und in weiterem Umfang vergleichenden Denkens kann veranlassen, Eigenschaften,  Tätigkeiten  oder Verhältnisse des Einzelnen für sich zum Gegenstand einer Aussage zu machen; und es geschieht vor allem in zwei Richtungen, teils in der Absicht einen Vorgang oder eine Eigenschaft unterscheidend genauer zu bestimmen oder eine kausale Relation auf ein bestimmtes Element eines Dinges zu beziehen.

2. In Urteilen wie: "dieses Rot ist lebhaft", "der Gang dieses Tieres ist hüpfend" usw. ist das Eigenschafts- oder Tätigkeitsurteil schon vorausgesetzt, welches das Gegebene in ein Ding und seine Bestimmungen zerlegt; die Synthesis des Urteils besteht einerseits in der Synthesis der Eigenschaft oder Tätigkeit mit ihrer Modifikation, andererseits der Benennung dieser (vgl. § 6, 2, d - f)

3. Wenn eine Eigenschaft oder eine Tätigkeit Subjekt einer kausalen Relation wird: so setzt das voraus, daß die allgemeine Vorstellung des Wirkenden, welche sich zunächst an ein Ding knüpft, das Ursache ist, infolge von Vergleichung näher dahin bestimmt wird, daß ein Ding nur wirkt, vermöge einer seiner Eigenschaften oder wirkt, sofern es in einer bestimmten Tätigkeit begriffen ist. Wenn wir sagen, daß die Reibung erhitzt und das Gewicht drückend sei, so ist das eigentliche Subjekt, das zu den Verben gehört, der in Reibung begriffene Körper, das schwere Ding; nur dieses ist fähig, als eigentliches Subjekt eines Wirkens zu gelten. Aber unser vergleichendes Denken unterscheidet am Körper dasjenige, vermöge dessen er die Wirkung ausübt und drückt es durch ein Abstraktum aus, weil auf diesem Weg der Vorgang schon als Ausdruck eines allgemeinen Gesetzes hingestellt wird.

4. In demselben Sinn können auch Relationsvorstellungen - Entfernung, Unterschied usw. - als Subjekte von Adjektiven oder Verben auftreten, die eine Wirkung ausdrücken. Wenn die Entfernung zweier Körper ihre Anziehung vermindert, so ist durch den Wortlaut einer Veränderung einer räumlichen Relation ein Wirken zugeschrieben, wie einer substantiellen Ursache. Allein es bedarf keines Beweises, daß hier nur, was wir aufgrund allgemeiner Gesetze, welche mit der Tatsache des Wirkens auch die Bedingungen seiner Modifikation enthalten, als notwendige Folge des veränderten Abstands erkennen, durch eine abgekürzte Redeweise als die Wirkung dieser Veränderung selbst hingestellt wird. In je höheren Abstraktionen sich unser Denken und Wissen bewegt, desto inkongruenter werden ihm die ursprünglichen Bedeutungen der Wörter und der Konstruktionen; ohne daß wir es fühlen, kürzt vorzugsweise mit Hilfe ihrer Abstrakta die Sprache ab und läßt unausgesprochen, was sich nach den Gewohnheiten unseres Denkens von selbst versteht; sie schiebt den einfachen Ausdrucksformen die verwickelten Verhältnisse wissenschaftlicher Gesetze unter, die das Einzelne von einer Reihe von Bedingungen abhängig machen und damit die wirkende Ursache selbst in den Hintergrund stellen gegen die wechselnden Umstände unter denen sie wirkt; die ursprüngliche Vorstellung des Wirkens vergeistigt sich zu gesetzmäßigen Abhängigkeit verschiedener Bewegungen, deren adäquater Ausdruck nur die mathematische Formel ist, welche aber in Worten nur mit Hilfe von Personifikationen und Metaphern dargestellt wird, die wir gar nicht mehr als solche empfinden.


§ 14.
Die objektive Gültigkeit des Urteils und
das Prinzip der Identität

Mit der Ineinssetzung verschiedener Vorstellungen ist das Wesen des Urteils noch nicht erschöpft; es liegt zugleich in jedem vollendeten Urteil als solchem  das Bewußtsein der objektiven Gültigkeit dieser Ineinssetzung. 

Die objektive Gültigkeit aber beruth nicht unmittelbar etwa darauf, daß die subjektive Verknüpfung den Verhältnissen des entsprechenden Seienden entspricht, sondern  auf der Notwendigkeit der Ineinssetzung. 

Diese Notwendigkeit wurzelt im  Prinzip der Übereinstimmung,  welches zugleich die  Konstanz der Vorstellungen  zur Voraussetzung hat; diese logischen Prinzipien vermögen aber die  reale Identität der Dinge  nicht zu gewährleisten.

1. Alle die Definitionen des Urteils, welche dasselbe auf die bloß  subjektive Verknüpfung von Vorstellungen oder Begriffen  beschränken, übersehen, daß der Sinn einer Behauptung niemals ist, bloß dieses subjektive Faktum zu konstatieren, daß  ich  im Augenblick diese Verknüpfung vollziehe; vielmehr macht das Urteil durch seine Form Anspruch darauf, daß diese Verknüpfung die Sache betreffe und daß sie ebendarum von jedem anderen anerkannt werde. Dadurch scheidet sich das Urteil von den bloß subjektiven Kombinationen geistreicher und witziger Vergleichung, welche die äußere Form des Satzes annehmen, ohne im Sinn des Urteils eine objektiv gültige Behauptung aufstellen zu wollen; und ebenso von den bloßen Vermutungen, Meinungen, Wahrscheinlichkeiten. (1)

2. Die  objektive Gültigkeit  aber hat mehrfachen Sinn. Zunächst ist eine  nominale  Gültigkeit von einer  realen  zu unterscheiden. Wenn ich behaupte "dies ist rot", so kann zunächst in Anspruch genommen werden, ob ich das  rot  nenne, was alle Welt "rot" nennt; die Objektivität, die meinem Urteil bestritten wird, bezieht sich auf den Sprachgebrauch, der dem subjektiven Belieben als eine objektive Norm, als ein allgemeines Gesetz gegenübersteht. Aller  Wortstreit  dreht sich um die Frage  dieser  Gültigkeit; er ist möglich teils dadurch, daß die subjektiven und individuellen Bedeutungen der Wörter verschieden sind von dem, was allgemein anerkannt ist, teils dadurch, daß der allgemeine Sprachgebrauch selbst nicht fest bestimmt und die Grenzen der einzelnen Wörter schwankend sind.

3. Ist aber die nominale Richtigkeit vorhanden, die in jedem Urteil, sofern es gesprochen wird und verstanden sein will, implizit mitbehauptet wird; verbindet der Sprechende mit seinen Wörtern dieselben Vorstellungen, die jeder damit verbindet: so handelt es sich jetzt darum, daß die Verbindung der Vorstellungen als eine objektiv gültige, der ausgesprochene Satz als wahr behauptet und damit der Anspruch erhoben wird, daß er geglaubt und von jedem in Beziehung auf denselben Gegenstand dasselbe Urteil vollzogen werde.

Den Sinn dieser sachlichen Gültigkeit festzustellen ist nicht so einfach, als es da scheinen möchte, wo gesagt wird, es müsse zwischen den entsprechenden objektiven Elementen dieselbe Verbindung bestehen, wie zwischen den Elemente des Urteils oder das Gedachte müsse stattfinden. Denn es ist das Eigentümliche unseres im Urteil sich bewegenden Denkens, daß seine Prozesse  dem Seienden,  das sie treffen wollen,  inkongruent  sind. Bleiben wir bei den bisher betrachteten Urteilen über einzelne Dinge stehen: so ist zunächst der Prädikatsvorstellung als solcher, die ihrer Natur nach immer allgemein ist und direkt nichts Einzelnes, als einzeln seiend Vorgestelltes bezeichnet, nichts Reales in demselben Sinne kongruent wie der Subjektsvorstellung und alle Wörter sind unmittelbar Zeichen von Vorstellungen, die wohl aus Anschauungen des Seienden gebildet sind, aber dieses nicht als Einzelnes darstelle, wie es im einzelnen Falle existiert. Damit hängt ein zweites zusammen. Das Urteil setzt die Trennung von Subjekt und Prädikat in Gedanken voraus; es vollzieht sich in der Vereinigung zweier Vorstellungselemente, die vorher ein gesondertes Dasein für unser Bewußtsein hatten. Im Seienden, das wir durch unser Urteil treffen wollen, besteht diese Trennung nicht; die Eigenschaft  ist  nicht ohne die bestimmten einzelnen Dinge, die Bewegung nicht ohne die Körper, die sich bewegen. Das Allgemeine und Einzelne, das Prädikat und das Subjekt finden also in ihrer vorangehenden Trennung und dem Akt ihrer Vereinigung schlechterdings kein Gegenstück im Seienden und man kann darum nicht sagen, daß die Verknüpfung der Elemente des Urteils einer Verknüpfung analoger objektiver Element entspreche. Nur indem die subjektive Trennung von Subjekt und Prädikat durch den Urteilsakt wieder aufgehoben und dadurch die Einheit beider gedacht wird, kehren wir zum Seienden zurück, das ungeschieden Eins bleibt und nie eine reale Trennung durchmach, die ein Gegenbild der bloßen Unterscheidung wäre; der  distinctio rationis  [rationaler Unterscheidung - wp] hat keine  distinctio realis  [sachliche Unterscheidung - wp] entsprochen.

Ist es also das charakteristische Wesen des Urteilens, eine Funktion von bloß subjektiver Form zu sein, so muß auch seine objektive Gültigkeit einen anderen Sinn als den obigen haben, der nur mit Berücksichtigung der eigentümlichen Natur unserer Prädikatsvorstellungen verstanden werden kann.

4. Bleiben wir bei den einfachsten, den bloßen Benennungsurteilen stehen, wie sie, unvermittelt durch Subsumtionsschlüsse, die unmittelbare Koinzidenz von Bildern aussprechen: so beruth die Gültigkeit des Urteils, seine nominale Richtigkeit voraussetzt, nur darauf, daß einmal Anschauung und Vorstellung sich decken, was ein rein inneres Verhältnis ist und dann, daß das subjektive Anschauungsbild, welches Abbild eines objektiven Dings sein will, diesem wirklich entspricht, d. h. daß dasselbe subjektive Bild vorhanden ist, das nach den allgemeinen Gesetzen unserer sinnlichen Anschauung bei  jedem  durch denselben Gegenstand geweckt werden müßte. Das Urteil: "dies ist Schnee" ist objektiv gültig, wenn das Gesehene mit der von allen durch "Schnee" bezeichneten Vorstellung sich deckt und wenn es von einem normalen Auge deutlich gesehen wird. Die objektive Gültigkeit reduziert sich also darauf, daß sowohl der Prozeß der Bildung der Anschauung als der Urteilsakt auf allgemeingültige Weise vollzogen sind. Ein Streit kann sich nun, bei Übereinstimmung über die Bedeutung des Prädikats, nur darauf beziehen, ob, wer das Urteil "dies ist Schnee" ausspricht, richtig, d. h. so wie alle andern, oder ob er unter den Bedingungen des richtigen Erkennens sieht; dies ist aber eine rein individuelle  quaestio facti  [Tatsachenfrage - wp], die nach keiner allgemeinen Regel entschieden werden kann.

Denn daß, wenn eine Anschauung und eine Prädikatsvorstellung da ist,  im inneren Akt des Einssetzens Verschiedenes möglich wäre und der Eine gleiche Vorstellungen nicht gleich setzte, der Andere verschiedene gleich, das gilt uns uns unmöglich,  weil wir in uns elbst die unmittelbare Gewißheit über die Notwendigkeit unseres Einssetzens und die Unmöglichkeit des Gegenteils haben, also jeden, bei dem wir ein anderes Resultat voraussetzten, von der Gemeinschaft des Denkens ausschließen müßten. Mit anderen Worten: das Urteil ist uns darum objektiv gültig, weil es  notwendig  ist Übereinstimmendes in Eins zu setzen. (2)

5. Man hat dem  Prinzip der Identität  zu vielerlei Bedeutungen gegeben und zu vielerlei Leistungen zugemutet, als daß es ratsam wäre, den eben gefundenen Grundsatz mit diesem Namen zu belegen; es wäre auch ansich unpassend, denn um absolute Identität zwischen Subjekts- und Prädikatsvorstellung handelt es sich im strengsten Sinne nicht, sondern nur darum, daß das unter dem Prädikatswort vorgestellte Subjekt wiedergefunden wird. Zutreffender würde, was hierher gehört,  Prinzip der Übereinstimmung  genannt; was es aussagt, ist die Notwendigkeit, daß das, was durch die Benennung verbunden und damit in Eins gesetzt wird, in seinem Vorstellungsgehalt übereinstimmt, daß das Urteil, das die Einheit von Subjekt und Prädikat behauptet, nur mit dem Bewußtsein dieser Übereinstimmung möglich ist und daß kein Denkender sich darüber täuschen kann, ob zwei Vorstellungen, die er als Subjekt und Prädikat gegenwärtig hat und sofern er sie gegenwärtig hat, übereinstimmen oder nicht. Das Prinzip der Übereinstimmung spricht also die unmittelbare und unfehlbare Sicherheit in der Vergleichung als eine notwendige Voraussetzung alles Urteilens und zugleich als eine fundamentale psychologische Tatsache aus.

6. Bedingung dieser Sicherheit der Vergleichung aber ist die Möglichkeit, Subjekts- und Prädikatsvorstellung  jede für sich  festzuhalten; denn zwischen fortwährend Schwankendem und Zerfließendem läßt sich keine Einheit vollziehen. Dieses  Prinzip der Konstanz  ist wesentlich von dem der Übereinstimmung verschieden; aber ebenso wie dieses eine notwendige Voraussetzung des Urteilens. Es erstreckt sich zugleich auf die Festigkeit der Wortbezeichnung.

7. Ist das Prädikat eines Benennungsurteils ein  Nomen proprium  [Eigenname - wp] oder überhaupt ein sprachlicher Ausdruck, welcher durch seinen Wortlaut die Vorstellung eines einzeln existierenden Dings als solchen erweckt und als Zeichen derselben gebraucht wird ("dies ist Sokrates", diese Uhr ist die meinige): so ist im Benennungsurteil nicht die Übereinstimmung eines als existierend betrachteten Dings mit der allgemeinen Vorstellung, sondern die reale  Identität  des Subjekts mit dem einzelnen Ding ausgedrückt, das durch das Prädikat bezeichnet wird. Diese  reale Identität des Dinges,  das zwei zu verschiedenen Zeiten entstandenen Vorstellungen deeselben entspricht, ist wiederum etwas von der Übereinstimmung und der Konstanz der Vorstellungen gründlich Verschiedenes; sie betrifft eine  Bestimmung des Seins gegenüber dem Vorgestelltwerden;  es kann immerhin auch in dieser Hinsicht ein Prinzip aufgestellt werden, daß nämlich im  Begriff des einzelnen Dings  selbst einerseits die Einzigkeit und andererseits diese Identität mit sich selbst liege, die allein der Vorstellung der Dauer und Beharrlichkeit der Dinge einen Sinn gibt, daß also die Annahme mit sich identischer Dinge in dem Begriff des Dings selbst enthalten sei. Damit ist aber noch nicht etwa nach der Formel: jedes Ding ist was es ist, das eleatische und das HERBARTsche Prinzip der absoluten Unterschiedslosigkeit oder der Identität und Unveränderlichkeit des  Was  ausgesprochen; im Gegenteil meint unsere Überzeugung von der realen Identität der einzelnen Dinge mit sich ihre Beharrlichkeit im Wechsel des Tuns, ihre Fortdauer unter verschiedener Erscheinung. Es ist auch solches  "A ist A"  kein Prinzip, mit welchem wir im Denken weiter kämen und worauf wir die Gültigkeit unserer Urteile gründen könnten; denn das  A A  sei in dem Sinne, daß dieses Einzelne dieses Einzelne sei, diese Hand diese Hand und dieser Pudel dieser Pudel, fällt keinem Menschen je ein zu behaupten, weil absolut Ununterschiedenes in Eins zu setzen keinen Sinn hat und die Formel also völlig leer ist, wenn sie mehr als die  Konstanz des Vorgestellten  bezeichnen will; die Urteile aber, welche reale Identität treffen wollen,  beziehen verschiedene Vorstellungen  auf ein und dasselbe Subjekt, also z. B. beim Wiedererkennen eine Anschauung und ein Erinnerungsbild auf dieselbe Person.

Die Behauptung des Urteils ist aber auch hier wiederum deshalb auf die objektive Gültigkeit dieser Identität gerichtet, weil es vom Bewußtsein der  Notwendigkeit  begleitet ist, die beiden Vorstellungen auf ein und dasselbe Ding zu beziehen. Denn wenn die objektive Gültigkeit in Anspruch genommen würde: so würde das soviel heißen, als das als Subjekt gemeinte und das als Prädikat gemeinte Ding können zwei verschiedene Dinge sein oder seien zwei verschiedene Dinge und die Notwendigkeit sie als Eins zu setzen sei nicht vorhanden. Nur genügt zum Erweis der Notwendigkeit, zwei Vorstellungen auf ein einziges reales Ding zu beziehen, das Gesetz der Übereinstimmung unter unseren Vorstellungen nicht, das bloß die Übereinstimmung ihres Inhalts gewährleistet; hier treten vielmehr Voraussetzungen über die Natur des Seienden und die Kennzeichen realer Identität ein, welche nicht mit der Funktion des Urteilens selbst gegeben sind. So die Voraussetzung, daß in gewissen Gebieten alle Individuen sich sicher unterscheiden lassen und es keine zwei so gleiche Gegenstände gebe, daß wir sie auch bei genauer Betrachtung verwechseln könnten - darauf beruth z. B. die Überzeugung von der Identität der uns bekannten Personen; wo die Sicherheit unserer Erinnerung der äußeren Gestalt zweifelhaft ist, gehen wir auf die Identität des Bewußtseins und die individuelle Verschiedenheit und Einzigkeit seines Inhaltes zurück, wie PENELOPE, wenn sie ODYSSEUS prüft, ob er um die Herstellung des Ehebettes weiß; in Bezug auf die äußeren Dinge aber sind es zuletzt räumliche Bestimmungen und der Grundsatz der Undurchdringlichkeit, durch welche wir ihre Identität feststellen. Erst aus solchen aus der Kenntnis der Natur der Dinge fließenden Voraussetzungen ergibt sich die Notwendigkeit, an reale Identität zu glauben.

8. Was die objektive Gültigkeit der Urteile betrifft, welche Eigenschaften und Tätigkeiten aussagen: so gilt von ihnen vermöge der doppelten darin vollzogenen Synthesis von einer Seite alles, was in Beziehung auf die Benennung gesagt ist; die am Subjekt vorgestellte Eigenschaft oder Tätigkeit muß mit der allgemeinen Prädikatsvorstellung übereinstimmen. Andererseits kann ihre objektive Gültigkeit nur unter der Voraussetzung behauptet werden, daß die Einheit von Ding und Eigenschaft, von Ding und Tätigkeit überhaupt ein reales Verhältnis ist, daß wir also ein Ding durch seine Eigenschaften zu erkennen und einen Wechsel in unserer Vorstellung als seine Veränderung anzuschauen vermögen. Dieses Verhältnis des Dings zu seinen Eigenschaften und Tätigkeiten ist ebenso schon unter den Begriff der  Identität  gestellt worden; aber auch hier hat man dem Terminus eine Elastizität zugemutet, die ihm nicht zukommt. Identisch ist das Ding nur mit sich selbst als der dauernde Träger seiner Eigenschaften, als das in der Tätigkeit  eins  mit sich bleibende Subjekt, aber es ist weder mit seinen Eigenschaften, noch mit seinen Tätigkeiten identisch, es ist nicht diese selbst, der Zinnober ist nicht mit seiner Röte und die Sonne nicht mit ihrem Leuchten identisch; und das Prinzip, das die Urteile: "der Zinnober ist rot", "die Sonne leuchtet", legitimieren soll, kann nicht Prinzip der Identität heißen. Als ein allgemeines Denkgesetz, das zugleich eine fundamentale Tatsache ausdrückt, kann nur das aufgestellt werden, daß wir alles Seiende mittels dieser Kategorien der Inhärenz und Aktion allein zu unterscheiden, festzuhalten und zu erkennen vermögen; und daß das Sein eines jeden Dings zugleich das Sein seiner Eigenschaften und seiner Tätigkeiten ist.

Ist aber dieses vorausgesetzt und behauptet unser Urteilen das Seiende zu treffen: so kann das zuletzt auch hier nur soviel heißen, daß das Seiende, worüber wir urteilen, diese bestimmte Bewegung unseres Denkens, diese Eigenschaft von ihm zu unterscheiden und wieder Eins mit ihm zu setzen,  notwendig  macht.

9. Sofern mit unseren allgemeinen Vorstellungen der Dinge, welche wir als Prädikate von Benennungsurteilen verwenden, bei jeder weiteren Entwicklung des Denkens auch die Eigenschafts- und Tätigkeitsurteile mit reproduziert werden, deren Subjekt es gewesen ist, und "Schnee" z. B. nicht ein unaufgelöstes Bild, sondern ein weißes, lockeres, kaltes, vom Himmel gefallenes etc. Ding bedeutet, der  allgemeine Name also Inbegriff von Eigenschaften  geworden ist, rückt das Inhärenz- und Aktionsverhältnis implizit auch in die Benennungsurteile herein, sofern es zu der dem Bewußtsein gegenwärtigen Bedeutung des Wortes gehört. Tritt die reale Identität von Dingen hinzu, welche unter verschiedene Vorstellungen fallen (Wasser, Eis, Dampf - Knabe, Mann, Greis), so kann ein Substantiv auch nur zur Bezeichnung eines Komplexes von Eigenschaften dienen.


§ 15.
Die Zeitbeziehung der erzählenden Urteile

Da uns alles  einzeln Seiende in der Zeit  gegeben ist, eine bestimmte Stelle in der Zeit einnimmt, als eine Zeitlänge hindurch dauernd und in dieser Zeit wechselnde Tätigkeit entfaltend und seine Eigenschaften möglicherweise verändernd angeschaut wird: so haftet notwendig  allen unseren Urteilen  über das Dasein, Eigenschaften, Tätigkeiten und Relationen einzelner Dinge  die Beziehung zur Zeit  an und jedes derartige Urteil kann  nur für eine bestimmte Zeit  gelten wollen.

1. Während der Satz von  Tätigkeiten  selbstverständlich ist, scheint schon einem Teil der  Eigenschaftsprädikate  die Beziehung zur Zeit zu fehlen, sofern sie als unveränderlich, mit dem Dasein des Subjekts selbst gegeben angesehen werden. Allein der allgemeinen Möglichkeit gegenüber, daß trotz der Identität des Subjekts die Eigenschaften wechseln, kann dieses Verhältnis nur ausnahmsweise stattfinden und ist in der bloßen Form des Urteils nicht enthalten, sondern höchstens in Nebenbeziehungen, welche an der Bedeutung der Prädikate hängen oder in diesen selbst (unveränderlich usw.). Nur die Benennung mit dem Nomen proprium [Eigennamen - wp] schließt die Beziehung auf die Zeit aus und gilt, der Natur des Prädikats nach, für das Subjekt unangesehen von Zeitunterschieden; die übrigen Benennungsurteile aber lassen die Beschränkung ihrer Gültigkeit auf eine bestimmte Zeit insoweit zu, als die Benennung Prädizierung von Eigenschaften und Aktionen in den Vordergrund stellt (siehe Ende des vorigen § 14), dasselbe also nacheinander verschieden benannt werden kann.

2. Damit ist es dem erzählenden Urteil wesentlich, daß es nur dann vollständig ausgedrückt ist, wenn es zugleich die Zeit mit angibt, für welche die Einheit von Subjekt und Prädikat objektiv gültig ist; es muß im  Präsens, Präteritum  oder  Futurum  ausgesprochen sein; und es ist einer der Maßstäbe der logischen Vollkommenheit der Sprachen, wie weit sie imstande sind, zugleich mit der Prädizierung das Zeitverhältnis auszudrücken. Nur dem unzusammenhängenden Denken des Kindes, das dem jeweiligen Gegenstand ganz hingegeben ist, wird alles Gegenwart, was ihm eben vorschwebt; mit der Klarheit des Selbstbewußtseins und seiner ordnenden Kraft wächst auch die Fähigkeit der Unterscheidung der Zeiten.
LITERATUR - Christoph Sigwart, Logik I, Tübingen 1873
    Anmerkungen
    1) Von dieser Seite richtig definiert z. B. ÜBERWEG, § 67: das Urteil ist das Bewußtsein über die objektive Gültigkeit einer subjektiven Verbindung von Vorstellungen.
    2) Der Vertreter einer objektiven Logik könnte einwenden, das Urteil "dies ist Schnee" wolle doch über die Natur und Beschaffenheit eines Dings etwas aussagen und bei seiner objektiven Gültigkeit komme es darauf an, ob dies wirklich Schnee ist oder nicht. Das würde an die Frage eines klugen Kritikers erinnern: Woher wissen denn die Astronomen, daß der Stern, den  sie  Uranus nennen, auch  wirklich  der Uranus ist? Vorausgesetzt, was die Bedingung des Gebrauchs der Wörter überhaupt ist, daß in irgendeinem Stadium unserer Kenntnis "Schnee" nach allgemeiner Übereinstimmung etwas bestimmtes bezeichne und daß unsere Benennungen in einem Gebiet sich bewegen, wo wir vor Verwechslungen geschützt sind, weil die Unterschiede des Gegebenen nicht zahlreicher sind, als die der benannten Vorstellungen, so mögen wir die Behauptung, daß dies wirklich Schnee ist, drehen und wenden wie wir wollen, ihre objektive Gültigkeit kommt auf die obigen Momente hinaus. Legte ich, statt einer sinnlich hinlänglich charakterisierten Vorstellung wie oben, einen strengen Begriff mit genau festgestellten Merkmalen zugrunde, dann hieße die Behauptung "dies ist Schnee": dies hat alle Merkmale des Schnees, ist weiß, besteht aus Kristallen, die unter Winkeln von 60° aneinanderliegen, wird bei 0 Grad zu Wasser usf., aber ich käme doch nicht eiter mit der objektiven Gültigkeit, als zur Behauptung

      1. daß ich im Augenblick richtig wahrnehme, meine Sinne mich nicht täuschen und mir andere Eindrücke geben, als derselbe Gegenstand sonst mir und andern gibt;

      2. Die Elemente dieses Bildes, die ich unterscheide, stimmen einzeln vollkommen zusammen mit den Vorstellungen von weiß, Kristallen, schmelzen usw., die ich innerlich als festen Besitz habe und wie alle andern durch diese Wörter bezeichne und also stimmt das Gesamtbild vollkommen mit dem, was ich unter dem Wort  Schnee  zu denken gewohnt bin; und ich bin ferner sicher, erstlich, daß ich nicht vergessen habe, was  weiß  usw. heißt und zweitens, daß ich nicht ein angeschautes Blau oder Rot mit einer Vorstellung von  weiß  identifiziere; daß ich vielmehr  notwendig  das Gesehene und das Vorgestellte  eins  setzen muß.

    Eine andere objektive Wahrheit und subjektive Gewißheit dieses Satzes gibt es nicht und kann es nicht geben, solange das Allgemeine als solches nur in meinem Kopf und realiter nur das Einzelne existiert. - Wollte man sagen, der Satz "dies ist Schnee" heiße, das Gegenwärtig ist gleich oder ähnlich anderem Einzelnem, was ich früher wahrgenommen habe und diese reale Gleichheit existierender Dinge ist der Inhalt meines Urteils: so liegt dies allerdings indirekt mit darin; aber nur sofern diese einzelnen Dinge gleichfalls als Schnee behauptet werden; das Urteil hätte sich nur vervielfältigt.
          Aber, wird man fragen, ist denn aller Irrtum in diesem Gebiet nur sprachlicher Fehler der Bezeichnung oder falsche Wahrnehmung, nicht auch falsche Subsumtion des Einzelnen unter das Allgemeine, so daß also doch in der Synthese beider Vorstellungen Ungleiches gleich gesetzt würde? Allerdings findet das statt, sofern unsere festgewordenen und sicher unterschiedenen und benannten Vorstellungen in keinem Stadium unseres Urteilens ausreichen, um der Mannigfaltigkeit des Einzelnen zu genügen. Ein vollständiges System sicher unterschiedener und unzweideutig bezeichneter Prädikatsvorstellungen herzustellen, welche jeden Irrtum der Subsumtion unmöglich machen, ist die schwere Aufgabe der Wissenschaft; solange dieses Ideal nicht im Ganzen und von jedem Einzelnen erreicht ist, wird es immer Einzelvorstellungen geben, welche die übereinstimmende allgemeine nicht finden und welche, da ein unmittelbares Ineinssetzen nicht möglich ist, durch  Schlüsse  ihre Benennung suchen. Sind diese voreilig und dehnen sie nach bloßer Analogie die Benennungen aus, so ist der Irrtum da; aber er ist in erster Linie ein nominaler, indem er nach einer Seite der Begriffsbildung vorgreift, wo sie nicht folgt und er widerlegt das obige Prinzip nicht, das nur uter der Voraussetzung und für das Gebiet gilt, wo das Allgemeine zum Einzelnen schon gebildet ist. Nur für dieses Gebiet ist auch die volle Gewißheit möglich; wo bloß Schlüsse der gewöhnlichen Art das Prädikat vermitteln, kann wohl mit Worten behauptet, aber die Gewißheit der Notwendigkeit des Urteilsaktes nicht erreicht werden.