cr-4ra-1K. VorländerOckhamB. RussellF. MauthnerH. J. Störig    
 
WILHELM VOSSENKUHL
Wilhelm von Ockham
Logik und Sprachphilosophie

Eine biograpische Annäherung
Zeichen und Bilder
"Frustra fit per plura quod potest fieri per pauciora
(Es ist überflüssig, daß etwas mit mehrerem geschieht, was mit wenigerem geschehen kann.)"

Das Studium der Logik hatte im frühen 14.Jahrhundert in Oxford ein außergewöhliches Gewicht. Es nahm etwa die Hälfte der Lehrpläne in den sog. Freien Künsten in Anspruch. Eigentlich gehörte die Logik zum sog. Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik). Sie sprengte dann aber diesen engen Rahmen und wurde zur Wissenschaft und Kunst des richtigen Argumentierens und Schlußfolgerns in allen Bereichen menschlichen Wissens.

Ein ähnlich herausragende Bedeutung gewann in Oxford zur gleichen Zeit die Physik. Sie gehörte zur Naturphilosophie, die wiederum mit der Moralphilosophie und der Metaphysik die sog. drei Philosophien bildete. Auf Logik und Physik verteilten sich etwa zu gleichen Teilen die Kurse in den 6 bis 8 Jahren des Studiums, das auf das eigentliche Ziel, das Studium der Theologie, vorbereitete.

Gegenstand der Logik-Kurse war zunächst die Logik des Aristoteles. Aber aus den Techniken der scholastischen Disputation erwuchs ein eigener Kanon von Regeln des vernünftigen Argumentierens. Diese Regeln waren ursprünglich nichts weiter als Handreichungen für den Studenten. Er sollte lernen, in Disputationen den Part der Gegenrede und der Antwort auf die Thesen anderer zu übernehmen. Aus den Handreichungen wurden dann aber eigene Abhandlungen, die schließlich zur Entwicklung einer neuen Logik führten.

Terministische Logik
Die Logik der Modernen (logica modernorum) unterscheidet sich deutlich von der Logik des Aristoteles. Es ist eine Logik der Termini bzw. eine  terministische Logik.  Das lateinische Wort  terminus  bedeutete ursprünglich Grenze oder Grenzstein und nahm dann eine übertragene Bedeutung an. Termini sind nun sprachliche Ausdrücke, z.B. Substantive, Verben, Pronomen, Adjektive oder Partizipien.

Entscheidend für Ausdrücke dieser Art ist ihre Rolle in Sätzen. Sie dienen in Sätzen in als Subjekt oder Prädikat und haben eine bestimmte, fixierte und abgrenzbare Bedeutung (sog.  kategorematische  Termini). Bestimmt ist in diesem Sinn die Bedeutung des Satzes  diese Rose ist rot  im Unterschied zu derjenigen des Satzes  eine ist rot. 

Ausdrücke wie  jeder, einer, keiner, neben, nur, als  sind sog.  synkategorematische  Termini. Sie haben keine feste, begrenzte Bedeutung. Die Logik der Termini setzt sich mit beiden Arten, den  kategorematischen  und den  synkategorematischen  und ihrer Rolle in Aussagen auseinander.

Die Logik der Termini hat ihre Wurzeln in der sog. neuen Logik des Aristoteles. Als dessen neue Logik galten die vier Bücher des  Organon  und die  Sophistischen Widerlegungen,  im Unterschied zur alten Logik der Bücher  Categoriae  und  De interpretatione.  Insbesondere die  Sophistischen Widerlegungen,  die sich mit Fehlschlüssen beschäftigen, die auf den falschen Gebrauch oder die Mehrdeutigkeit sprachlicher Ausdrücke zurückgehen, fanden im Mittelalter großes Interesse. Aus diesem Interesse heraus entwickelte sich als eine eigenständige Art logischer Untersuchung, als Disputationshilfe für Studenten, die Logik der Termini.

Dieser Zweck schlug sich in den Untersuchungen nieder. Sie hatten zunächst das praktische Ziel, Schlußregeln für bestimmte problematische Ausdrücke des gewöhnlichen Sprachgebrauchs zu formulieren. Später ging es dann um die Entwicklung einer allgemeinen Theorie, in welcher Weise Worte für Dinge, für Begriffe und für andere Worte stehen können und welche Bedeutung sie dabei haben (sog. Suppositionslehre)

Schon im 13. Jahrhundert wurde die terministische Logik in Paris gelehrt, u.a. von Wilhelm von Shyreswood, Petrus Hispanus und Lambert von Auxerre. In Oxford wurde diese junge Tradition fortgesetzt und ausgebaut. Ockham hatte daran einen entscheidenden Anteil. Er gab der Logik der Termini eine neue Grundlegung.

Da die Grundlage und den Ausgangspunkt aller Disputationen die verwendeten Termini bilden, geht es aber der Logik der Modernen zunächst darum, die Bedeutung der Termini zu klären. Die Bedeutung der Termini hängt einmal davon ab, welche Funktion sie in Sätzen haben; zum anderen haben sie auch unabhängig von dieser Funktion eine Bedeutung.

Die unabhängige Bedeutung der Termini wird durch eine Definition festgelegt, die entweder die Bedeutung des Terminus als Namen (Nominaldefinition) oder als realen Gegenstand (Realdefinition) bestimmt. Die Nominaldefinition haben wir bereits am Beispiel der konnotativen Namen kennengelernt.

Jede dieser Definitionen bestimmt, was ein Terminus bezeichnet. Der lateinische Ausdruck für  Bezeichnen,   significatio  wird daher für diese Art der Bedeutung verwendet. Die signifikative Bedeutung des Terminuns  Mensch  ist also ein bestimmter Mensch. Im Unterschied dazu kann der Terminus  Mensch  verschiedene Bedeutungen in Sätzen haben, z.B.  "Mensch" hat sechs Buchstaben  oder  Mensch ist ein Lebewesen.  Je nachdem, wie der Terminus in einem Satz verwendet wird, steht er für verschiedene Dinge.  Mensch  kann für einen bestimmten Menschen stehen, für ein Wort oder einen Begriff.

Die genaue Bedeutung des Terminus im Satz hängt von dem ab, wofür es steht. Dieses  Stehen-für  drückt das lateinische Wort  suppositio  aus. Die Supposition ist neben der Signifikation eine eigene Art von Bedeutung. In knapper Form können wir sagen, Signifikation ist die Wort-, Supposition die Gebrauchs-Bedeutung eines Ausdrucks. Mit  Gebrauch  ist nur die Funktion eines Ausdrucks in einem Satz gemeint.

OCKHAM versteht Signifikation und Supposition anders, als die meisten seiner Vorgänger. Die Termini und Begriffe beziehen sich unmittelbar signifikativ auf einen Gegenstand. ARISTOTELES sah zwischen den Worten und den Dingen keine direkte Beziehung. Für ihn waren Worte Symbole, aber auch Symptome für Begriffe in der Seele des Menschen. Zwischen diesen Symbolen und den Dingen gibt es eine Ähnlichkeit.

Auch AUGUSTINUS, BOETHIUS und AABAELARD verstanden Signifikation nicht als direktes Verhältnis zwischen Worten (signa bzw. voces) und Dingen. Signifikation war für Augustinus und Abaelard eine Beziehung zwischen den Worte als Zeichen und dem menschlichen Intellekt. Bei Boethius war Signifikation eine Beziehung zwischen lautlichen Gebilden (voces) und einzelnen Arten ( Huhn  z.B. als Lautgebilde für Hühner). Erst für Petrus Hispanus stehen Worte für Einzeldinge (suppositio accidentalis) allerdings noch nicht in unmittelbar signifikativem Sinn. ROGER BACON, der zwei Generationen vor Ockham in Oxford vor allem Naturphilosophie lehrte, vertrat eine empiristische Position. Für ihn signifizieren wie für Ockham die Zeichen unmittelbar Dinge. Allerdings ist Bacon noch insoweit Aristoteliker als er Zeichen als Symptome für Begriffe versteht, die wiederum eine Ähnlichkeit mit den Dingen haben. OCKHAM lehnt diese Ähnlichkeits-Beziehung ebenso ab, wie das Verständnis von Zeichen als Symbolen für Begriffe. Termini und Begriffe signifizieren bei Ockham erstmals direkt Dinge.

Für die meisten philosophischen Vorgänger Ockhams war Signifikation also eine Beziehung zwischen Worten, Zeichen, Lautgebilden und geistigen, seelischen Entitäten. Die Beziehung auf Dinge war nur vermittelt durch den Intellekt bzw. durch Begriffe, also nur indirekt möglich. OCKHAM entwickelte seine Lehre von Signifikation in enger Verflechtung mit der Suppositions-Lehre. Erst die Supposition, das Stehen-für, ermöglichte eine klare Vorstellung von einer direkten Beziehung zwischen Termini, seien sie laut-sprachlich oder mental, auf die Dinge.

Suppositions-Lehre
I. BOCHÉNSKI weist in seiner  Formalen Logik  darauf hin, daß die Suppositions-Bedeutung eine scholastische Besonderheit ist, für die es weder in der antiken noch in der modernen Logik eine Entsprechung gibt. Ursprünglich wurde zwischen der echten und der unechten Supposition unterschieden. Ein Terminus supponiert unecht, wenn er figürlich, z.B. metaphorisch oder ironisch verwendet wird. Metaphorisch wird etwa  Löwe  gebraucht, wenn der Terminus für einen Menschen steht, der besonders furchtlos ist.

Bei der echten Supposition wurde die formale von der materialen unterschieden. Material steht ein Terminus nur für sich selbst als sprachlicher Ausdruck, z.B.  Mensch ist ein Substantiv,   Mensch ist einsilbig,  Mensch hat sechs Buchstaben  (suppositio materialis). Die formale Supposition (suppositio formalis) kann entweder personal oder einfach sein. Sie ist personal, wenn der Terminus für ein Einzelding steht, wie in  Mensch ist ein Lebewesen.  Einfach ist eine Supposition, wenn der Terminus für eine Form steht, wie in  Mensch ist eine Art. 

Allen Suppositionen gemeinsam ist, wie PETRUS HISPANUS feststellt, daß ein substantivischer Terminus für etwas anderes angenommen wird. Dem Gebrauch von Termini in Sätzen liegt also eine Annahme (acceptatio) zugrunde, je nachdem, wie sie gebraucht werden, einfach, personal oder material. Petrus Hispanus und auch DUNS SCOTUS verstanden die einfache Supposition (z.B. in  Mensch ist eine Art ) als Annahme eines allgemeinen Terminus für einen universalen Gegenstand.  Mensch  soll als etwas Universales verstanden werden, weil von allen Menschen gilt, daß sie eine Art sind. Die einfache Supposition verstehen Petrus Hispanus und Duns Scotus realistisch; d.h. das Universale, wofür der Terminus  Mensch  in dem Beispeil steht, wird von ihnen als etwas Wirkliches betrachtet.

Wir wissen von Ockhams Kritik an der Universalienlehre, daß er diese Auffassung der einfachen Supposition nicht gutheißen konnte. Am Verständnis der einfachen Supposition scheiden sich die Geister. Ockham versteht in dem Satz  Mensch ist eine Art  den Terminus  Mensch  als Supposition eines Begriffs; d.h.  Mensch  steht für den geistigen Begriff (intentio animae) Mensch, von dem gesagt wird, er bezeichne eine Art. Wenn wir verstehen, was der Satz sagt, nehmen wir geistig etwas wahr, was außerhalb des Geistes nicht existiert. Ein Mensch existiert nämlich nicht als Art, sondern als Individuum. Was immer die Aussage, der Mensch sei eine Art bedeutet, sie kann sich, nach OCKHAM, auf nichts Wirkliches, konkret Existierendes beziehen.

Was will Ockham damit sagen, daß ein Substantiv wie  Mensch  für einen Begriff, für eine geistige Wahrnehmung steht? Was unterscheidet eine geistige Wahrnehmung (intentio animae) von einem wirklichen Ding? Alles, was außerhalb unseres Geistes existiert, können wir unmittelbar sinnlich wahrnehmen, d.h. evident erkennen. Wir können, wie wir schon sahen, auch geistige Akte unmittelbar wahrnehmen, aber nicht sinnlich, sondern abstrakt. Geistige Akte und ihr Inhalt sind keine absoluten Dinge.

Begriffe sind geistige Dinge, die für OCKHAM identisch sind mit der Tätigkeit menschlichen Erkennens. Also steht der Terminus  Mensch  in dem Satz  Mensch ist eine Art  für eine geistige Tätigkeit. Die geistige Tätigkeit ist ein geistiges Sprechen, das aber nicht nur geistige Begriffe, sondern die Termini auch in den anderen Bedeutungen verwendet.

OCKHAM versteht das geistige Sprechen als eigentlichen Träger der Bedeutung, d.h. all dessen, was wir verstehen. Aber auch in diesem Sprechen gibt es keine Universalien. Der geistige Akt, in dem wir Menschen als eine Art verstehen, ist ebenos singulär, wie die sinnliche Wahrnehmung eines Menschen. Wir erkennen zwar jedesmal dasselbe, wenn wir den Menschen als Art denken, aber wir tun es jeweils in einem einzelnen geistigen Akt.

Für den Inhalt dieses Aktes steht der Terminus  Mensch  in unserem Beispiel. Trotz der Wiederholung desselben Inhalts steht der Terminus nicht für einen universalen, sondern für einen bestimmten geistigen Akt aus der Menge aller Akte des gleichen Inhalts. Aus diesem Grund sagt Ockham, daß das Menschsein als Begriff zwar auf jeden einzelnen in gleicher Weise angewandt werden kann, dennoch sei das Menschsein in SokratesSokrates wesentlich verschieden vom Menschsein in Platon. Die geistigen Akte, in denen wir das Menschsein verschiedener Personen erkenne, sind jeweils voneinander als Akte verschieden.

Geistiges Sprechen und gesprochene Rede
Ockhams Verständnis der einfachen Supposition ist eingebettet in seine Auffassung von Sprache. Er unterscheidet das geistige Sprechen von der gesprochenen Rede und vom Geschriebenen. Das geistige ist das primäre Sprechen. In ihm werden die Termini in ihrer natürlichen Bedeutung verwendet.

Die gesprochene Rede verwendet eine Sprache, z.B. Deutsch oder Englisch. Die gesprochene Sprache versteht Ockham als eine Konvention; d.h. was die einzelnen Worte in Deutsch oder Englisch für eine Bedeutung haben, führt er auf eine Übereinkunft der Menschen zurück. Wir können  Mensch, homo  oder  man  sagen, das ändert nichts an der natürlichen oder eigentlichen Bedeutung dieser Worte.

Diese Bedeutung enthält das Sprechen des geistigen Wortes. Wir sprechen auch immer geistig, wenn wir in einer Sprache sprechen, müssen aber nicht notwendig eine Sprache benutzen, wenn wir geistig sprechen, d.h. denken. Das Geschriebene ist in seiner Bedeutung wiederum von der gesprochenen Rede abhängig.

OCKHAM untersucht in der  Summa Logicae  die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den drei Arten des Sprechens. Das lautliche Sprechen unterscheidet sich vom geistigen u.a. dadurch, daß nicht jede grammatikalische Veränderung eines gesprochenen Terminus eine veränderte Bedeutung voraussetzt. So haben etwa die  Wärme  und  Wasser  in  die Wärme des Wassers  und  das Wasser hat Wärme  eine jeweils andere grammatikalische Form; dennoch ändert sich die Bedeutung nicht. Aber jede grammatikalische Veränderung eines gedachten Terminus bzw. eines geistigen Namens schlägt sich auch im gesprochenen Terminus wieder. So wirken sich etwa Anzahl (Löwe, Löwen) und Geschlecht (Löwe, Löwin) bei Substantiven und Anzahl, Zeit und Person bei Verben aus (er geht, sie gehen, er ging etc.)

Der Vorrang des geistigen Sprechens vor der gesprochenen Rede bedeutet nicht, daß Ockham eine Art geistiger Sprache annimmt, die unabhängig von der gesprochenen wäre. Die geistigen Akte werden nicht in einer eigenen Sprache vollzogen, sondern in einer Sprache wie Deutsch oder Englisch ausgedrückt. Was die konventionell gestalteten Laute bzw. die sprachlichen Zeichen bedeuten, ist abhängig von dem, was sie an geistigen Namen ausdrücken.

Bedeutung haben Laute und sprachliche Zeichen aufgrund von geistigen Akten, die Ockham "Intentionen der Seele" nennt. Laute, sagt er, sind "zweitrangige Zeichen dafür, wofür die Intentionen der Seele erstrangige Zeichen sind". Das geistige Sprechen besteht also aus Zeichen der Dinge, seien sie äußere Gegenstände, Begriffe, Absichten, Erkenntnisse oder Ähnlichkeiten, die in der Seele für diese Dinge stehen.

Ockham diskutiert, was das genau ist, was in der Seele Zeichen für jene so unterschiedlichen Dinge genannt werden kann. Er sagt dann, was er unter  Erkenntnis der Seele  versteht: den  Erkenntnisakt.  Die Intention der Seele, die als Zeichen für etwas innerhalb oder außerhalb des Geistes steht, ist also nichts anderes als das Erkennen und Denken selbst. Wir müssen nicht noch ein besonderes Etwas in der Seele vermuten, was als Zeichen dient. Jeder einzelne Erkenntnisakt ist selbst ein Zeichen.

Ockhams Rasiermesser und die Universalien
An dieser Stelle verwendet OCKHAM zur Begründung seiner These, die Intention der Seele sei als geistiges Zeichen identisch mit dem Erkenntnisakt, das berühmt gewordene Ökonomieprinzip, auch als "Ockhams Rasiermesser" bekannt. Dieses Prinzip besagt, daß es überflüssig und ungerechtfertigt ist, einen größeren Aufwand zu treiben, wo ein geringerer genügt. Der Aufwand kann in Gründen für eine These, in Entitäten, in Begriffen oder Wesenheiten bestehen. Generell soll mit dem geringsten Aufwand wirkungsvoll und erfolgreich argumentiert werden.

Was wir eben umschrieben haben, drückt OCKHAM in zwei Formulierungen aus: "pluritas non est ponenda sine necessitate" (Eine Vielheit darf nicht gesetzt werden, ohne daß es notwendig ist) und "frustra fit per plura quod potest fieri per pauciora" (Es ist überflüssig, daß etwas mit mehrerem geschieht, was mit wenigerem geschehen kann.

Er wendet dieses Prinzip sehr häufig an. Es ist sein wirkungsvollstes Argument gegen die Existenz von Allgemeinbegriffen (Universalien). Was nun das Verhältnis von einer Intention der Seele als Zeichen zu einem Erkenntnisakt angeht, wendet OCKHAM sein Prinzip so an: "Alles, was man erklären kann, wenn man etwas vom Erkenntnisakt Verschiedenes annimmt, kann man ebensogut auch ohne dieses Verschiedene erklären, denn  für ein anderes stehen  und  etwas bedeuten  kann dem Erkenntnisakt ebenso zukommen wie einem anderen Zeichen. Es ist also nicht erforderlich, etwas neben dem Erkenntnisakt anzunehmen.

Ockham hält es für unnötig und ungerechtfertigt, den Zeichencharakter der geistigen Begriffe als etwas Universales in der Seele zu erklären. Statt dessen ordnet er die Zeichenfunktion, d.h. die Funktion für etwas zu stehen und etwas zu bedeuten jedem einzelnen Erkenntnisakt unmittelbar zu. Das Ökonomieprinzip, dies sei am Rande vermerkt, war in der Sache schon früher in Gebrauch. PLATON verwendet es im Dialog  Parmenides,  ebenso auch ARISTOTELES in seiner Kritik an PLATON. Die sinnvolle Eingrenzung der Zahl und der Vielfalt der Ideen war das Problem, das demjenigen Ockhams analog ist. OCKHAM hat das Prinzip allerdings auf eine neue Grundlage gestellt.

Das Ökonomieprinzip ist für ihn als methodisches Prinzip nicht isoliert gültig. Es folgt aus seinem Grundgedanken der Freiheit und absoluten Macht Gottes, und zwar in der gleichen Weise, wie seine Kritik an den Universalien. Nur weil Gott unmittelbar jedes Ding und jedes Ereignis schafft, erhält und verändert, sind die Gegenstände des Erkennens jeweils individuell und die Erkenntnisakte dementsprechend singulär. Jedwede Vermehrung der Dinge oder Erkenntnisakte wäre unvereinbar mit der Wirklichkeit als dem Resultat göttlichen Handelns.

Aber nicht nur die Erkenntnisakte, sondern auch die Mittel, mit denen erkannt wird, dürfen nicht vermehrt werden. Denn jede Vermehrung der Erkenntnismittel z.B. um besondere, eigenständige mentale Zeichen oder Universalien, würde letztlich zu einer unendlichen Vervielfältigung des Erkennbaren ohne Zutun Gottes führen. Jedes mentale Zeichen, das unabhängig vom Erkenntnisakt wäre, könnte nämlich selbst erkannt werden. Für diesen Erkenntnisakt müßte es wieder ein Zeichen geben, das ebenfalls von ihm unterschieden wäre usw.

Ähnlich unhaltbar wäre eine Vermehrung der von Gott geschaffenen Einzeldinge durch Universalien. Wenn jeder Terminus einen real existierenden universalen Bestandteil enthielte, würde das, was Gott als absolute Dinge, als Substanzen und Qualitäten schafft und erhält, nicht nur verdoppelt, sondern ebenfalls ins Unendliche vermehrt. Es würde von jedem Ding nicht nur ein Allgemeinbegriff, sondern viele existieren, von denen wiederum Allgemeinbegriffe existierten etc.

Das Ökonomieprinzip ist bei Ockham kein freischwebendes, methodisches Mittel der Kritik an der sinnlosen Vervielfältigung von Termini, Argumenten, Erkenntnismitteln und Dingen. Es ist ein Prinzip in der Nachfolge seines theologischen Grundprinzips. Damit haben wir nicht nur einen Eindruck von der Reichweite seiner Lehre von Gottes Freiheit und Allmacht. Wir erkennen, wie bedeutsam und folgenreich das theologische Prinzip für Ockhams Suppositionslehre, d.h. für seine Logik und Sprachphilosophie ist. Mit diesem Ausblick wird klar, inwieweit seine neue Auffassung der einfachen Supposition in seine Logik und Bedeutungslehre eingebettet ist.
LITERATUR - Aicher/Greindl/Vossenkuhl, Wilhelm von Ockham - Das Risiko modern zu denken, München o.J.