cr-4ra-1F. RittelmeyerNietzscheMauthnerG. Brandes    
 
UWE SPÖRL
Friedrich Nietzsche
als Sprachskeptiker


"Das Ähnliche ist kein Grad des Gleichen: sondern etwas vom Gleichen völlig Verschiedenes."

Die erste skeptische Äußerung von FRIEDRICH NIETZSCHE, die mir bekannt ist, stammt aus dem Jahre 1866, also NIETZSCHEs Leipziger Studienzeit, und zwar aus einem Brief (datiert auf Ende August) an seinen Studienfreund CARL von GERSDORFF. Der junge NIETZSCHE weist in dem Brief auf seine Sympathien für SCHOPENHAUER hin und im Zusammenhang mit diesem auf FRIEDRICH ALBERT LANGE "Geschichte des Materialismus", die in diesem Jahr erschienen ist. Dabei interpretiert er LANGEs Schrift ganz offensichtlich bereits in einem an SCHOPENHAUER angelehnten Sinn und faßt ihr "Resultat" wie folgt zusammen:
  • die Sinnenwelt ist das Produkt unsrer Organisation;
  • unsre sichtbaren (körperlichen) Organe sind gleich allen andern Teilen der Erscheinungswelt nur Bilder eines unbekannten Gegenstandes;
  • unsre wirkliche Organisation bleibt uns daher ebenso unbekannt wie die wirklichen Außendinge. Wir haben stets nur das Produkt von beiden vor uns. (1)
LANGE kann hierbei durchaus als stellvertretend für eine ganze Reihe von naturwissenschaftlichen und/oder naturphilosophischen Autoren angesehen werden, die in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts entweder durch (eine physiologisierende) Wiederaufnahme des KANTschen Kritizismus (v.a. HELMHOLTZ, HERTZ, Du BOIS_REYMOND, LIEBMANN) oder des Empirismus (v.a. GRUPPE) zu einer relativistischen Erkenntnistheorie gelangten, die v.a. in der Leugnung der Erkennbarkeit des Dings an sich , also der materiellen Welt jenseits unserer Sinneswahmehmungen gipfelt, LANGEs Ablehnung des Materialismus als Metaphysik, der NIETZSCHE hier offenbar zustimmt, dürfte neben der Philosophie SCHOPENHAUERs die zweite große Beeinflussung für den jungen NIETZSCHE dargestellt haben: Vieles davon bleibt seinen eigenen philosophischen Positionen erhalten, die sich freilich um ein Vielfaches radikaler geben: die Ablehnung jeglicher Metaphysik, das Interesse für und die umdeutende Aufnahme von aktuellen naturwissenschaftlichen Theorien, die Akzeptanz der materialistisch-positivistischen Naturwissenschaft als nützlicher, weil lebenserhaltender Hypothese, die Skepsis gegenüber einer wahrnehmbaren bzw. überhaupt vorhandenen (materiellen) Außenwelt und die u.a. daraus resultierende Entwicklung einer eigenen Ästhetik, die sich in dem zitierten Brief bereits andeutet, wo NIETZSCHE aus LANGEs Positionen folgert: "Die Kunst ist frei, auch auf dem Gebiete der Begriffe." (2)

Viel deutlicher zu fassen, unabhängig von anderen Autoren und um einen entscheidenden Aspekt erweitert ist NIETZSCHEs (sprach)skeptische und ästhetische Position, wie er sie sieben Jahre später in dem Essay "Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne" darlegt. Dieser Essay übrigens CARL von GERSDORFF diktiert - entstand im Frühsommer 1873, also z.Zt. der ersten beiden unzeitgemäßen Betrachtungen und NIETZSCHEs Plänen zu einem Philosophenbuch. Zumindest die ersten drei Sätze des Essays, die denkbaren Sätze eines  gefühllosen Dämons über die Lächerlichkeit menschlicher (Erkenntnis-)Bemühungen, wurden schon um Weihnachten 1872 formuliert, da sie sich bereits in der ersten der "Fünf Vorreden zu fünf umgeschriebenen Büchern" mit dem Titel "Über das Pathos der Wahrheit" (in der Widmung für COSIMA WAGNER auf Weihnachten 1872 datiert) finden lassen. lassen. (3) Diese "Vorrede" nimmt das Ergebnis von "Über Wahrheit und Lüge..." vorweg, wenn sie über den Menschen mit HERAKLIT sagt:
Die Wahrheit würde ihn zur Verzweiflung und zur Vernichtung treiben, die Wahrheit, ewig zur Unwahrheit verdammt zu sein. (...) Die Kunst ist mächtiger als die Erkenntnis, denn sie will das Leben, und jene erreicht als letztes nur - die Vernichtung. Vernichtung. (4)
Dies ist das Ergebnis des Essays Über Wahrheit und Lüge, dessen erster Abschnitt sich mit der Unmöglichkeit von Wahrheit beschäftigt, während der zweite die daraus resultierenden Folgen für den Menschen als Künstler behandelt. Die Schrift wurde allerdings nicht 1873 veröffentlicht, da NIETZSCHE sie nie für die Veröffentlichung vorsah, sondern erstmals 1896, nicht wie vielfach behauptet erst 1903. Die Veröffentlichung fand also ohne den Willen NIETZSCHEs im Rahmen der Herausgabe seines Nachlasses im Band X ("Schriften und Entwürfe 1872-1876", hg. v. FRITZ KOEGEL, S.161-179) der NAUMANNschen Gesamtausgabe statt.

Der oben angesprochene entscheidende Aspekt der Erweiterung der Erkenntnisskepsis von 1866 ist die Skepsis gegenüber der Sprache aufgrund ihrer prinzipiellen Metaphorizität. Dieser Grundsatz, daß nicht nur die künstlerische Sprache, sondem daß die Sprache an sich (v.a. in ihrem Wortmaterial) metaphorischen Ursprungs ist, findet sich jedoch nicht nur in NIETZSCHEs Über Wahrheit und Lüge, sondem auch in seinen kurz vorher, wohl Ende 1872 (5) entstandenen Notizen zu einer Rhetorik-Vorlesung (6), insbesondere im dritten Abschnitt dieser Notizen. In diesen Notizen verweist NIETZSCHE auf ein Buch, das er im Wintersemester 1872/73 nachweislich aus der Baseler Universitätsbibliothek ausgeliehen hat. (7) Es ist der erste Band eines zweibändigen Werkes von GUSTAV GERBER, das den Titel "Die Sprache als Kunst" trägt und dessen erster Band 1871, dessen zweiter Band 1873 erschienen ist.

Wenden wir uns nun also dem Inhalt von NIETZSCHEs Essay zu (8), der die grundsätzliche und wesentliche Metaphorizität aller Sprache ins Zentrum einer skeptischen Philosophie der Sprache stellt: Ausgangspunkt jeglicher Erkenntnis muß nach NIETZSCHE (entsprechend dem Empirismus und den modernen Naturwissenschaften) die Sinneswahrnehmung sein, physiologisch ausgedrückt: der "Nervenreiz" (9). Von diesem auf ein davon unabhängiges Ding als seinem Ursprung zu schließen, ist nach NIETZSCHE bereits die erste unzulässige Übertragung, die "erste Metapher"(10). Die zweite Übertragung in einen fremden Bereich betrifft nun schon den Bereich der Sprache: vom Bild eines Dinges in einen Laut.(11) Der eigentliche Bereich der sprachlichen Metapher und damit NIETZSCHEs Sprachskepsis beginnt bei der Begriffsbildung:
Jedes Wort wird sofort dadurch Begriff, dass es eben nicht für das einmalige ganz und gar individualisierte Urerlebniss, dem es sein Entstehen verdankt, etwa als Erinnerung dienen soll, sondern zugleich für zahllose, mehr oder weniger ähnliche, d.h. streng genommen niemals gleiche, also auf lauter ungleiche Fälle passen muss. Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nicht-Gleichen.(12)
Oder wie NIETZSCHE in einem etwa zur selben Zeit entstandenen Fragment klarstellt:
Metapher heißt etwas als gleich behandeln, was man in einem Punkte als ähnlich erkannt hat. (13)
Auffällig ist dabei v.a. zweierlei:
  • NIETZSCHE unterscheidet zwar Worte als Lautkomplexe von Begriffen, aber nicht Worte als Bedeutungsträger von Begriffen.
  • Abstraktion ist es also, die menschliche Erkenntnis unmöglich macht, weil sie Wahrheit zu einem"bewegliche(n) Heer von Metaphern", also zu einer "Summe von menschlichen Relationen" d.h. letztendlich zu einer Menge von "Illusionen" macht, "von denen man vergessen hat, dass sie welche sind"(14), die sich aber zunehmend verfestigen. Menschliche Begriffe geben also ebensowenig das Wesen von Dingen wieder wie Chladnische Klangfiguren Töne. (15)
Der Wahrheitsbegriff, den NIETZSCHE hier zugrundelegt, ist - dies hat auch WARNOCK erkannt (16) - korrespondenztheoretisch und zwar in einer sehr strengen, essentialistischen Interpretation, die das jeweilige Wesen eines Dings als Gegenstand eines Begriffs ansetzt. Er könnte ja nicht von Begriffen als Metaphern, d.h. als Abweichungen sprechen, wenn sie nicht von etwas abweichen würden, das er implizit voraussetzt. Dieses Etwas ist die uns unzugängliche Welt, das KANTsche Ding an sich.

Unabhängig von diesen Uberlegungen entwickelt NIETZSCHE in  Über Wahrheit und Lüge allerdings noch einen anderen Wahrheitsbegriff, formuliert in Termini der Konventionalität, Kohärenz und Nützlichkeit: Was Wahrheit heißen soll, wird unter den Menschen in einer Art "Friedensschluss" festgesetzt, damit "wenigstens das allergröbste  bellum omnium contra omnes (Krieg aller gegen alle.) aus seiner (des Menschen) Welt verschwinde."(17) Dies hat die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge sowie entsprechende Sanktionen zur Folge. Der Grund für den Menschen, diese Wahrheit einzurichten, ist folgender: "Er begehrt die angenehmen, Leben erhaltenden Folgen der Wahrheit" Wahrheit"(18). Eine Folge davon ist, daß es der Mensch innerhalb seines Systems von Wahrheitskonventionen, seines "Begriffsdomes" anderes"(19), nur noch mit analytischen Urteilen zu tun bekommt, was Erkenntniszugewinn NIETZSCHEs Meinung nach unmöglich macht.(20)

Nach MARY WARNOCK bestimmt das Oszillieren NIETZSCHEs zwischen diesen beiden Wahrheitsbegriffen, dem der Korrespondenz und dem anderen, der dem des Pragmatismus weitgehend entspricht, sowie ihre Vermischung nicht nur diesen Essay, sondem Großteile von NIETZSCHEs Werk. Vermischt sind beide ganz offensichtlich, wenn NIETZSCHE "von der Verpflichtung nach einer festen Konvention zu lügen"(21) spricht. Ähnliches ist oft der Fall, insbesondere dann, wenn von "Täuschungen", "Fiktionen", (unbewußten) "Lügen" u. Ä. die Rede ist.

Den Konventionen und Abstraktionen ist dabei v.a. eines gemein: ihre (zunehmende) Starrheit und Festigkeit, die der Vielfalt, Buntheit und Variabilität der ursprünglichen individuellen Nervenreize und Bilder gegenübersteht.(22)

Nach NIETZSCHE vergißt nun der mit Intellekt begabte Mensch, daß seine Begriffe bloße Täuschungen oder Setzungen sind. Deshalb setzt er die von ihm selbst geschaffenen Begriffe und Gesetze in die Welt als dort vermeintlich objektiv vorhandene hinein und richtet sein gesamtes Leben, insbesondere die Wissenschaft, nach Konventionen, Abstraktionen und (moralischen/sozialen) Ordnungsregeln ein, die freilich mit der (sinnlich wahrgenommenen) Welt gar nichts zu tun haben, denn nur so "lebt er mit einiger Ruhe, Sicherheit und Konsequenz"(23)23), zumal auch das menschliche Selbstbewußtsein auf diesem Vergessen basiert.

Den Rahmen für diese erkenntnisskeptischen Gedanken bilden innerhalb des Essays anthropologische Äußerungen NIETZSCHEs: Wesentlich für den Menschen ist in erster Linie der Intellekt, dieser ist des Menschen Instrument zum Überleben in der Welt. Dies, das menschliche Dasein innerhalb seiner Umwelt zu ermöglichen und zu verbessern, ist seine einzige Aufgabe, so NIETZSCHE. Daraus erklärt sich, "wie kläglich, wie schattenhaft und flüchtig, wie zwecklos und beliebig sich der menschliche Intellekt innerhalb der Natur ausnimmt"(24). Wie stellt der Intellekt dies an? NIETZSCHEs Antwort: durch Verstellung! Diese beherrscht der Mensch perfekt. Deshalb wird er auch gerne getäuscht, solange er dabei nicht geschädigt wird. Zu beantworten bleibt für NIETZSCHE nur diese Frage:
Woher, in aller Welt, bei dieser Konstellation der Trieb zur Wahrheit!(25)
Die Antwort gibt er durch seine Äußerungen zur Erkenntnistheorie: Unterstützt durch die Entdeckung der Wahrheit (als Unterschied zur Lüge) innerhalb des  Friedensschlusses der Konventionen und durch die eigene Vergeßlichkeit strebt der Mensch nach der Wahrheit, deren Illusionscharakter NIETZSCHE nachweist, wegen ihrer lebenserhaltenden Folgen.

Da nun aber das Ordnungssystem der Wahrheit in Sprache und Wissenschaft, die "Begräbnissstätte der Anschauung"(26) zunehmend starrer und allgemeingültiger wird, sucht sich, so NIETZSCHE, "jener Trieb zur Metaphernbildung, jener Fundamentaltrieb des Menschen"(27) - ich glaube, man darf diesen Trieb aufgrund dieser Charakterisierung und seines systematischen Ortes innerhalb des Essays durchaus mit dem auf Verstellung ausgerichteten Intellekt in Verbindung bringen, auch wenn NIETZSCHE selbst dies nicht explizit tut - jener Trieb also sucht sich ein neues Wirkungsfeld: "im Mythus und überhaupt in der Kunst."(28) Die Kunst agiert dabei wie der Traum.;(29) Beide benutzen die vorliegende Begriffsordnung, die als Welt gilt, als Gegenstand, dessen Bestandteile sie durcheinanderbringen und in neuerlichen metaphorischen Übertragungen neu zusammensetzen, d.h. sie gestalten die Welt neu. Der Mensch als Künstler
copirt das Menschenleben, nimmt es aber für eine gute Sache und scheint mit ihm sich recht zufrieden zu geben. Jenes ungeheure Gebälk und Bretterwerk der Begriffe, an das sich klammernd der bedürftige Mensch sich durch das Leben rettet, ist dem frei gewordenen Intellekt nur ein Gerüst und ein Spielzeug für seine verwegensten Kunststücke: und wenn er es zerschlägt, durcheinanderwirft, ironisch wieder zusammensetzt, das Fremdeste paarend und das Nächste trennend, so offenbart er, dass er jene Nothbehelfe der Bedürftigkeit nicht braucht, und dass er jetzt nicht von Begriffen sondem von Intuitionen geleitet wird.(30)
Der Mensch liebt diese Kunst, weil er es liebt, getäuscht ohne geschädigt zu werden. Und auch bei diesem anthropologisch, aus dem Metapherntrieb hergeleiteten Kunstbegriff ist in Analogie zur Ambivalenz der beiden Wahrheitsbegriffe ein doppelter Kunstbegriff auszumachen: Kunst "copirt" die Welt, ahmt sie nach, wie die Begriffe dies (scheinbar) auch tun und gleichzeitig schafft sie sie ausgehend von der alten Begriffswelt neu.

NIETZSCHE schließt den Essay mit der Unterscheidung der beiden entwickelten Typen von Menschen: Auf der einen Seite steht "der vernünftige Mensch" (31), der lemfähige, aus Bedürftigkeit am Nutzen orientierte Wissenschaftler; auf der anderen Seite "der intuitive Mensch" (32), nicht lernfähig, aber fähig zu leiden, der sich nicht an den menschlichen Bedürfnissen orientiert: der Künstler. Ihm gilt NIETZSCHEs Hochachtung und Sympathie. Denn allein der Mensch als Künstler trägt der Tatsache Rechnung, daß die geordnete Welt nur eine Illusion ist, ein bloßes Als-ob-Prinzip:
Denn zwischen zwei absolut verschiedenen Sphären wie zwischen Subjekt und Objekt gibt es keine Kausalität, keine Richtigkeit, keinen Ausdruck, sondem höchstens ein ästhetisches Verhalten, ich meine eine andeutende Uebertragung, eine nachstammelnde Uebersetzung in eine ganz fremde Sprache. (33)
In "Menschliches, Allzumenschliches" (Nr. 16) wird z.B. die erkenntnistheoretische Kernthese unseres Essays wiedergegeben, ohne daß damit - ganz im Sinne seiner positivistischen Periode -wissenschaftsnegierende Konsequenzen gezogen werden, sondern vielmehr das Endziel aller Wissenschaft, eine "Entstehungsgeschichte des Denkens" (34) anvisiert wird, die womöglich einst zu diesem Resultat kommen wird:
Das, was wir jetzt die Welt nennen, ist das Resultat einer Menge von Irrthümem und Phantasien, welche in der gesammten Entwickelung der organischen Wesen allmählich entstanden, in einander verwachsen sind und uns jetzt als aufgesammelter Schatz der ganzen Vergangenheit vererbt werden, - als Schatz: denn der Werth unseres Menschenthums ruht darauf.(35)
Wieder sprachkritisch äußert sich NIETZSCHE in einem Aphorismus (Nr.47) aus der "Morgenröthe":
Die Worte liegen uns im Wege! - Überall, wo die Uralten ein Wort hinstellten, da glaubten sie eine Entdeckung gemacht zu haben. Wie anders stand es in Wahrheit! - sie hatten an ein Problem gerührt und indem sie wähnten, es gelöst zu haben, hatten sie ein Hemmniss der Lösung geschaffen. - Jetzt muß man bei jeder Erkenntniss über steinharte verewigte Worte stolpern, und wird dabei eher ein Bein brechen, als ein Wort. (36)
Auch den alten Fehler aller Abstraktion, Ähnliches als Gleiches aufzufassen, nimmt NIETZSCHE in späteren Schriften gerne wieder auf. Dafür nur zwei Beispiele: In der  Fröhlichen Wissenschaft (Nr. III) schreibt er über die "Herkunft des Logischen":
Der überwiegende Hang aber, das Ähnlliche als gleich zu behandeln, ein unlogischer Hang - denn es gibt an sich nichts Gleiches -, hat erst alle Grundlage der Logik geschaffen. (37)
Noch deutlicher trennt er beides in einem Fragment (Nr. II/ 166) von 1881:
Das Ähnliche ist kein Grad des Gleichen: sondern etwas vom Gleichen völlig Verschiedenes.(38)
NIETZSCHE reformuliert und radikalisiert die Gedanken der Schrift von 1873 noch in der späten Götzen-Dämmerung:
Die Sprache gehört ihrer Entstehung nach in die Zeit der rudimentärsten Form von Psychologie: wir kommen in ein grobes Fetischwesen hinein, wenn wir uns die Grundvoraussetzungen der Sprach-Metaphysik, auf deutsch: der Vernunft, zum Bewusstsein bringen. Das sieht überall Täter und Tun: das glaubt an Willen als Ursache überhaupt; das glaubt ans "Ich" [...] und projicirt den Glauben an die Ich-Substanz auf alle Dinge - es schafft erst damit den Begriff "Ding"... Das Sein wird überall als Ursache hineingedacht, untergeschoben;(39) usw.
Dies soll genügen, doch ließe sich die Liste beliebig fortsetzen, ließen sich die Kerngedanken fast beliebig nuanciert wiedergeben.
LITERATUR, Uwe Spörl, Gottlose Mystik in der deutschen Literatur der Jahrhundertwende, Paderborn-München -Wien-Zürich 1997
    Anmerkungen
  1. FRIEDRICH NIETZSCHE, Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1975ff, Bd.12, Seite 160
  2. FRIEDRICH NIETZSCHE, Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1975ff, Bd.12, Seite 160
  3. vgl. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 253
  4. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 254
  5. Das Datum der Entstehung dieser Notizen steht nicht fest. 1872 dürfte jedoch wahrscheinlicher sein als das ebenfalls des öfteren genannte Jahr 1874. Dafür spricht sich auch ANTHONIE MEIJERS, Gustav Gerber und Friedrich Nietzsche. Zum historischen Hintergrund der sprachphilosophischen Auffassungen des frühen Nietzsche, in: Nietzsche-Studien 17 (1988, Seite 383) aus.
  6. Auch darüber, wann diese Vorlesung bzw. Vorlesungsreihe gehalten wurde, besteht kein Konsens innerhalb der Sekundärliteratur. Das Jahr 1874 erscheint jedoch am wahrscheinlichsten. Die Notizen bzw. Manuskripte zu dieser Rhetorik-Vorlesung sind in den bisher erschienenen Bänden der Kritischen Gesamtausgabe der Werke NIETZSCHEs von COLLI und MONTINARI noch nicht enthalten. Sie sind jedoch (unvollständig und unbearbeitet) sowohl in der Musarion-Ausgabe der Gesammelten Werke (Bd.V, Seite 285ff) als auch in der Kröner-Ausgabe der Werke (Bd.XVIII - Philologica 2, Seite 237ff) zu finden.
  7. Vgl. ANTHONIE MEIJERS, Gustav Gerber und Friedrich Nietzsche. Zum historischen Hintergrund der sprachphilosophischen Auffassungen des frühen Nietzsche, in: Nietzsche-Studien 17 (1988, Seite 380)
  8. Auf einen expliziten Vergleich der Auffassungen NIETZSCHEs und GERBERs kann ich guten Gewissens aus zwei Gründen verzichten. Zum einen sind die Auffassungen fast vollkommen identisch, zum anderen sind alle diese Identitäten, aber auch die wenigen Abweichungen in dem von MEIJERS 1988 angestellten Vergleich sehr gut dokumentiert. Die von mir hervorgehobene skeptische Intention NIETZSCHEs, auf die es im Zusammenhang dieser Arbeit ja hauptsächlich ankommt, wird dabei auch ohne eine vergleichende Absetzung von GERBER deutlich zu fassen sein.
  9. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 372
  10. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 373
  11. vgl. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff. Bd. III 2, Seite 373
  12. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 373f
  13. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 4, Seite 86
  14. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 374f
  15. vgl. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 373
  16. vgl. WARNOCK, M., Nietzsche's Conception of Truth, in: Pasley, M. (Hrsg), NIETZSCHE: Imagery and Thought, London 1978
  17. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 371
  18. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 372
  19. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 376
  20. Er schreibt etwa: "Wenn Jemand ein Ding hinter einem Busche versteckt, es eben dort wieder sucht und auch findet, so ist an diesem Suchen und Finden nicht viel zu rühmen: so aber steht es mit dem Suchen und Finden der Wahrheit innerhalb des Vernunft-Bezirkes." (FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 377)
  21. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 375
  22. Auffälligerweise spricht NIETZSCHE in "Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne" nur von der "Flüssigkeit" und der"hervorströmenden Bildermasse" (FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, S.377) der menschlichen Phantasie und Bilderwelt, nicht aber - wie in den späteren Stadien seiner Philosophie - von einer fließenden Welt, einem dauernd sich ändernden Leben o.ä.
  23. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 377
  24. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 369
  25. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 371
  26. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 380
  27. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 381
  28. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd . III 2, Seite 381 Daß die Ansichten und Theoreme der Frühromantiker, insbesondere der Brüder SCHLEGEL, über Sprache, Traum und Mythos bei NIETZSCHEs Behandlung dieser Gegenstände Pate standen, liegt auf der Hand. ERNST BEHLER, Frühromantik, Berlin/New York 1992, vgl. Seite 81) bestätigt diese Einschätzung.
  29. Dieser Vergleich von Kunst und Traum ist natürlich in Verbindung mit der 1872 erschienen Schrift NIETZSCHEs zur 'Geburt der Tragödie' und ihrer Konzeption des Apollinischen zu bringen.
  30. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III2, Seite 382
  31. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 383
  32. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 383
  33. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. III 2, Seite 378 Daß JOHANN GEORG HAMANNs Überlegungen zur Sprache vielem in diesem Essay Geäußerten insbesondere dieser Formulierung entsprechen, ist deutlich. Inwieweit NIETZSCHE dessen Schriften wie auch Verwandtes von VICO, ROUSSEAU und HERDER kannte und in seine eigenen Überlegungen miteinbezog, ist nicht bekannt.
  34. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. IV 2, Seite 33
  35. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. IV 2, Seite 33
  36. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. V 1, Seite 49
  37. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. V 2, Seite 149f
  38. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. V 2, Seite 403
  39. FRIEDRICH NIETZSCHE, Kritische Studienausgabe, Hrsg. Colli/Montinari, Berlin/New York 1967ff, Bd. VI 3, Seite 71