ra-2 J. Ruskinde LaveleyeL. SteinO. EngländerJ. G. Fichte    
 
FRANZ VORLÄNDER
Über die ethische und soziale Bedeutung
des Wohlstands und Eigentums


"Wenn die Güter der Gesundheit und des Wohlstands nur sinnliche äußere Güter sind, wenn durch dieselben das menschliche Dasein im Grunde nur von der physischen Seite vermittelt wird, so können dieselben in die sittliche Gesinnung gar nicht, oder doch nur als gleichgültige Mitteldinge, die man sich nur für des Lebens Notdurft aneignen soll, aufgenommen werden. In diesem Fall läßt sich nicht behaupten, daß die Handlungen, welche auf den Erwerb dieser Güter gerichtet sind, zur Darstellung der sittlichen Idee dienen. Umgekehrt aber, wenn der Erwerb und die Erhaltung des Wohlstands unter die sittlichen Pflichten gehört, wie dies ziemlich allgemein anerkannt ist, so muß demselben noch eine andere Bedeutung zukommen, als die eines äußeren Mittels für das physische Leben oder eines Gutes des Selbsterhaltungstriebs."

Es kann auf den ersten Anblick als überflüssig erscheinen, eine Untersuchung über etwas anzustellen, was jedermann vermöge seiner Lebenserfahrung oder eines gewissen natürlichen Gefühls hinreichend würdigen zu können meint. Allein bei näherer Erwägung findet sich sehr bald, daß die Ansichten der Menschen hierüber ganz verschieden sind, ja daß in demselben Individuum das sehr lebhafte Gefühl der Neigung zu den Gütern des Wohlstands nicht selten in einem schneidenden Widerspruch steht mit seinen religiösen oder philosophischen Ansichten über den geringen Wert dieser Güter. Die Philosophie nämlich wie die Theologie, indem sie Geist und Natur, Inneres und Äußeres, ideelle und materielle Güter einander entgegensetzten, lehrten eine Geringschätzung des Wohlstands als eines äußeren Mittels für sinnliche Bedürfnisse und Genüsse, als eines scheinbaren Gutes, mehr geeignet, den Menschen in seinem Streben zum Höchsten zu hemmen als zu fördern; Manche sogar verwerfen geradezu den Wohlstand als die Hauptquelle der Verderbnis der Welt und das Streben danach als ein Werk der Selbstsucht, des Bösen in uns. Solche Ansichten sind nicht ohne Einfluß geblieben auf den Geist unseres Volkes: sie erschwerten eine richtige Auffassung des wirklichen Lebens überhaupt und der sozialen und politischen Ordnung insbesondere, sie leisteten hierdurch jenem idealistischen Hochmut Vorschub, welcher vom Standpunkt der Wissenschaft auf die praktischen gewerblichen Bestrebungen hoch und vornehm herabsehen zu können sich berechtigt wähnt - ein Hochmut, der für die Wissenschaft und für das praktische Leben gleich verderblich ist. Wäre über die Bedeutung des Wohlstands eine tiefere Einsicht verbreitet, so würde diese zwar nicht die Verschwendung roher genußsüchtiger Naturen zu hemmen imstande sein; wohl aber würden durch dieselbe viele bessere Menschen abgehalten, ihre Familie zugrunde zu richten mit einem Leichtsinn, welcher in der Verachtung und Verschwendung des Wohlstands eine edle großmütige Gesinnung zu bewähren sich einbildet.

Man sollte denken, die Wissenschaft der neueren Zeit, welche immer tiefer alle Gesetze der Natur und der sittlichen Welt zu erfassen strebte, hätte einem so gewichtigen Gegenstand die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet. Allein diejenige Wissenschaft, deren Aufgabe die sittliche Wertbestimmung aller Güter des menschlichen Lebens ist, die Sittenlehre oder Ethik, hat, mit wenigen Ausnahmen, Wohlstand und Arbeit so ziemlich außer acht gelassen. Die auf das soziale Leben gerichtete empirische Sittenlehre der Engländer und Franzosen gewährte von ihrem subjektiven anthropologischen Standpunkt aus kein objektives Prinzip für die Wertschätzung der Güter; sie beschränkte sich darauf, die verschiedenen Normen für das Gefühl der sittlichen Billigung aufzusuchen, blieb also bei einem, seiner Natur nach sehr unbestimmten und veränderlichen Maßstab stehen. Es genüge uns, hier, zur Bestätigung des Bemerkten, die Lehren des berühmten Entdeckers der Gesetze des Wohlstands, ADAM SMITH, über den eigentlichen Wert desselben anzudeuten. Er führt aus (Theorie der sittlichen Gefühle IV, Seite 1), der Reichtum werde geschätzt nicht nur wegen der vielfachen Nützlichkeit, indem der Zuschauer mit den Gefühlen des Besitzers sympathisiert (nach der Lehre HUMEs), sondern vorzugsweise wegen der Vollkommenheit der Einrichtung des Reichen, wegen der Angemessenheit der Mittel zu den Zwecken, die in derselben liegt, und endlich, weil der Wohlstand den natürlichen Hang des Menschen, sich auszuzeichnen, so wirksam befördert. Aber in den Zuständen des Alters und der Krankheit, lehrt er, erscheinen die Dinge des Wohlstands als das, was sie sind, als ungeheure schwerfällige Maschinen, ersonnen, um dem Körper einige unbedeutende Bequemlichkeiten zu verschaffen; sie erfordern eine außerordentliche Mühe und Arbeit, sind aber im Hinblick auf den reellen Genuß, den sie gewähren, geringfügig und verächtlich und setzen ihren Besitzer in noch höherem Grad als zuvor den Sorgen, dem Gram, den Krankheiten, den Gefahren und dem Tod aus. Der Reiche ist im Wesentlichen nicht glücklicher als der Arme. Aber nur selten, fährt er fort, betrachten wir den Wohlstand in diesem abstrakten philosophischen Licht. Die Natur leitet uns durch die Einbildungskraft, daß wir uns an der Schönheit und Bequemlichkeit der Einrichtung der Reichen ergötzen, die Ordnung des Ganzen bewundern und demnach den Wohlstand als etwas Großes, Schönes und Edles ansehen, dessen Erwerb die Arbeit wohl wert ist. - Und sehr gut ist es, daß die Natur uns auf diese Weise täuscht! Denn diese Täuschung ist es, welche die Betriebsamkeit der Menschen unaufhörlich anspornt und hierdurch nach und nach - alle Kultur hervorruft. SMITH adoptiert also die philosophische Ansicht, welche hier zugleich als ein Ergebnis der trüben Stimmung des Alters und der Krankheit erscheint; er muß demnach, um die große Neigung zum Wohlstand und die Betriebsamkeit zu erklären, zu einer Täuschung der Natur seine Zuflucht nehmen, eine Annahme, die mit seiner philosophischen Grundansicht, daß die Natur den Menschen überall richtig leitet, in direktem Widerspruch steht. Die Erfahrung freilich konnte diesen, sonst so umsichtigen Denker hier nicht leiten, wo es offenbar eines umfassenden Überblicks über das ganze sittliche Leben bedarf, um die Bedeutung einer gewissen Gattung von Gütern zu schätzen.

Wenn demnach das bezeichnete Problem  über  dem Horizont der empirischen Sittenlehre liegt, so mochte dagegen die idealistische von der Höhe des idealen Lebens nicht herabsteigen zur Schätzung der sogenannten äußeren materiellen Güter des Wohlstands; es lag das  unter  ihrem Horizont. Sie läßt den Wohlstand nur als ein äußeres Mittel gelten; pflegt aber den ARISTOTELES darüber zurechtzuweisen, daß er denselben für nötig hielt zu einem glücklichen sittlichen Leben. SCHLEIERMACHER ist unseres Wissens von den neueren Sittenlehrern der einzige, der, wie er überhaupt in seiner Philosophie eine Durchdringung des Idealismus und Realismus anstrebte, so stellte er in der Ethik eine die Organisation der ganzen Natur und des sozialen Lebens umfassende Güterlehre auf, und suchte in diese auch dem Wohlstand eine Stelle anzuweisen. Er setzt nämlich an die Stelle des gewöhnlichen Begriffs des Mittels oder der Mitteldinge, welchen er schon in seiner Kritik der Sittenlehre als einen auf ethischem Gebiet unstatthaften nachwies, den des Organs oder sittlichen Gutes, und will demnach auch den Wohlstand als ein solches angesehen wissen, als eine sittlich hervorgebrachte Darstellung der Vernunfttätigkeit in der Natur oder der bildenden Herrschaft des Menschen über die Erde. Er hat jedoch in seinem Entwurf der Sittenlehre diesen Gedanken weder spekulativ begründet, noch auch näher ausgeführt. Der Begriff der organisierenden und der symbolisierenden sittlichen Vernunfttätigkeit blieb zu unbestimmt, als daß die Güterlehre hierin eine bestimmte spekulative Grundlage gewonnen hätte (vgl. meine Preisschrift über Schleiermacher Sittenlehre).

Hierin liegt es wohl auch, daß die Sittenlehrer der neuesten Zeit den von SCHLEIERMACHER angedeuteten Weg nicht näher verfolgt haben. In der neuesten Zeit ist durch den zunehmenden Pauperismus [strukturelle Armut - wp], sowie durch die sozialistischen und kommunistischen Schriftsteller auch die Aufmerksamkeit der deutschen Denker mehr auf Wohlstand und Arbeit gelenkt worden. Das größte Verdienst hierin hat sich bekanntlich LUDWIG STEIN erworben. Schade nur, daß dieser scharfsinnige Schriftsteller hierbei den ökonomischen Gesichtspunkt der Naturbeherrschung als den sittlichen überhaupt geltend machte und den eigentlich ethischen nicht näher in Betracht zog. Dagegen tritt bei den neuesten Sittenlehrern: WIRTH, CHALYBÄUS, I. H. FICHTE, wiederum überwiegend der idealistische Gesichtspunkt hervor. Der Kürze wegen wollen wir hier nur die Lehre IMMANUEL HERMANN FICHTEs erwähnen, welcher sich im Allgemeinen keineswegs einem extremen Idealismus zuneigt und das Recht auf Eigentum zu würdigen weiß, als das auf eine eigentümliche Sphäre selbständiger rechtlich sittlicher Zwecksatzungen (Ethik II, Seite 2, 3, 27, 64). Er faßt die Güter der Gesundheit, des Wohlstands, des Gattungstriebes, welche er als Güter des Selbsterhaltungstriebs bezeichnet, zusammen und bemerkt von denselben im Wesentlichen Folgendes (Seite 103):
    "Diese sinnlichen Güter insgesamt sind insofern unmittelbar berechtigte und unabweisbare, weil sie die äußeren Bedingungen (Mittel) enthalten, unter denen sich überhaupt nur ein Menschendasein, also auch ein  sittliches,  denken läßt. Sie sind deshalb allgemein menschliche, noch nicht sittliche Güter. Aber aus dem gleichen Grund können sie, auf ihren wahren Begriff zurückgebracht, nichts enthalten, was der Idee der Sittlichkeit  widerspräche:  in die sittliche Gesinnung aufgenommen und von ihr durchdrungen, werden sich aus ihnen vielmehr  Pflichten  der Selbsterhaltung ergeben", insofern nämlich, wie später genauer erklärt wird, "die Selbsterhaltung nicht Zweck ansich, sondern nur Mittel ist zur Darstellung der sittlichen Idee."
Hier wird allerdings dem Wohlstand ein ethischer Zweck zugestanden, aber derselbe steht im Widerspruch mit der zugrunde liegenden Auffassung. Denn wenn die Güter der Gesundheit und des Wohlstands nur sinnliche äußere Güter sind, wenn durch dieselben das menschliche Dasein im Grunde nur von der physischen Seite vermittelt wird, so können dieselben in die sittliche Gesinnung gar nicht, oder doch nur als gleichgültige Mitteldinge, die man sich nur für des Lebens Notdurft aneignen soll, aufgenommen werden. In diesem Fall läßt sich nicht behaupten, daß die Handlungen, welche auf den Erwerb dieser Güter gerichtet sind, zur Darstellung der sittlichen Idee dienen. Umgekehrt aber, wenn der Erwerb und die Erhaltung des Wohlstands unter die sittlichen Pflichten gehört, wie dies ziemlich allgemein anerkannt ist, so muß denselben noch eine andere Bedeutung zukommen, als die eines äußeren Mittels für das physische Leben oder eines Gutes des Selbsterhaltungstriebs.

Allerdings gehört der Wohlstand als solcher, der Existenz seiner Gegenstände nach, der Naturordnung an, denn wir verstehen darunter, nach der gewöhnlichen Definition, alle Gegenstände, welche den Bedürfnissen, Genüssen, Zwecken des Menschen unmittelbar oder mittelbar irgendwie dienen. Allein den Wohlstand bilden diese Naturgegenstände nur, indem sie als Eigentum zur Existenz des Menschen in eine nähere Beziehung treten, einen Bestandteil derselben ausmachen. Wir werden also die äußerliche sogenannte materielle Existenz des Wohlstandes zu unterscheiden haben von seiner Bedeutung, d. h. von dem, was er ist als Eigentum oder vielmehr als Angeeignetes für die ganze Entwicklung des Menschen. Ob in dieser der Wohlstand eine ethische Bedeutung gewinnt, das festzustellen ist die erste Hauptaufgabe dieser Untersuchung. Wir richten zuerst unsere Aufmerksamkeit auf die ursprüngliche Genesis und Stellung des Wohlstands in der menschlichen Kulturentwicklung.


Ursprüngliche Bedeutung des Wohlstands

Der Mensch bedarf zunächst und ursprünglich darum der Gegenständes des Wohlstands, weil er als ein schwaches Naturwesen des Schutzes gegen die Naturmächte und einer beständigen Reproduktion seines Körpers durch Nahrung bedarf. Nun aber vot ihm die Natur die Gegenstände dieser Bedürfnisse und Genüsse selten in so reicher Fülle dar, daß er nur zuzugreifen nötig gehabt hätte, und von der anderen Seite rüstete ihn die Natur auch nicht mit so überwiegenden Geistes- und Körperkräften aus, daß er ohne Mühe die verschiedenen Gegenstände seiner Bedürfnisse hervorzubringen und zu gebrauchen gewußt und vermocht hätte: in beiderlei Rücksicht bedurfte es eines durch mühsame Arbeit vermittelten, langsam fortschreitenden Prozesses der Naturbeherrschung und Aneignung, dessen Produkt eben der Wohlstand ist. Die Begriffe Besitz, Eigentum, Wohlstand, bezeichnen dasselbe in verschiedenen Beziehungen: im Begriff des Besitzes liegt das einfache Faktum, daß die Gegenstände desselben der Gewalt oder dem Willen jemandem unterworfen sind, im Begriff des Eigentums, daß sie jemandem rechtlich angehören, im Begriff des Wohlstands, daß der Besitz oder das Eigentum dieser Gegenstände ein ökonomisch genügendes ist. Wir beschränken hier unsere Aufmerksamkeit auf den bezeichneten Aneignungsprozeß in seinem wesentlichen Inhalt, insofern sein Resultat, der Wohlstand, Bedeutung für den Menschen gewinnt.

Schon auf der niedrigsten Kulturstufe sehen wir den Naturmenschen mit zwei Gattungen des Wohlstandes ausgerüstet: zuerst mit Gegenständen, die zu seinem Schutz gegen die Naturmächte, zu seiner Selbsterhaltung nach Außen dienen, dann mit solchen, welche Hunger und Durst befriedigen. Die erstere Gattung ist als die frühere anzusehen, denn die rohesten unter den sogenannten Wilden, diejenigen welche durch Fischfang und Jagd sich ihre Nahrung verschaffen, trachten gar nicht nach einer Anhäufung von Nahrungsmitteln, und haben gleich den Tieren keine Freude am Besitz derselben, da sie ihre momentanen Bedürfnisse leicht befriedigen können. Sie bedürfen aber fortwährend einer ruhigen Lagerstätte oder Wohnung, ferner auch einer gewissen Kleidung, der Geräte, der Waffen: diese also bilden ihren ersten Besitz oder Wohlstand. Ihrer Bedeutung nach sind diese Gegenstände anzusehen als Fortsetzung und Ergänzung des menschlichen Leibes und der leiblichen Organe: Wohnung und Kleidung ergänzt die Bedeckung der Haut, welche beim Menschen im Verhältnis zum Tier so gering ist. Geräte und Waffen ergänzen die Arme, Hände, Finger, welche im Kampf und in der Arbeit nicht ausreichen. Kein Wunder, daß der Naturmensch diese ihm unentbehrlichen und durchgängig von ihm selbst verfertigten Werkzeuge als ihm selbst, seiner Person angehörend, fühlt, und dieselben als seine Eigentum vom Eigentum anderer absondert. Einen Schritt weiter in der Naturbeherrschung gehen die Stämme und Völkerschaften, welche sich durch die Umstände veranlaßt sehen, Nahrungsmittel zu sammeln und für deren Vermehrung durch Arbeit zu sorgen. Die Gegenstände dieser zweiten Gattung des Wohlstands, Früchte, Getreide, Vieh, treten als Mittel für die Befriedigung der dringendsten Bedürfnisse und als Gegenstände von Genüssen in eine andere, aber nicht weniger enge Beziehung zum Individuum, werden allmählich ein integrierender Bestandteil und Schatz der Wohnung, des Hauses, und der Boden, der ihm diese Schätze gewährt, wird Gegenstand seiner besonderen Fürsorge und Arbeit. Überhaupt aber wird das größere oder geringere Verwachsensein aller dieser Gegenstände des Wohlstands mit der Existenz des Individuums noch dadurch verstärkt und erweitert, daß dieselben mehr oder weniger Produkt seiner Arbeit gewissermaßen mit seinem Schweiß getränkt sind, daß sie seiner besonderen Geschicklichkeit, Kunstfertigkeit, Klugheit, seinen besonderen Talenten ihr Dasein verdanken, daß sie mehr oder weniger seinen eigentümlichen Bedürfnissen, Zwecken, Kräften angepaßt sind und das Gepräge dieser Eigentümlichkeit an sich tragen. Hieran schließt sich endlich die Gewohnheit des Gebrauchs dieser Gegenstände oder des Verkehrs mit denselben, die Gewohnheit der Verknüpfung derselben miteinander, wodurch auch dasjenige, was die gütige Natur dem Menschen schenkte, in den universellen Körper des Eigentums aufgenommen und der Person angeeignet wird.

Aus allen diesen verschiedenen Beziehungen zusammengenommen erklärt sich die große natürliche Intensität des Eigentumsgefühls. Sie steht der des leiblichen Lebensgefühls nicht weit nach: Verletzung des Eigentums wird vom Kind und Naturmenschen in einem ganz ähnlichen Schmerz empfunden wie Körperverletzungen. Auch der so scharf beobachtenden MACHIAVELLI stellt das Eigentumsgefühl mit dem Lebensgefühl zusammen, wenn er bemerkt, daß die Menschen da, wo es sich nicht um Leben und Eigentum handelt, nicht ohne Verstand seien. Neben dem unmittelbaren Lebensgefühl, dessen Gegenstand die leiblichen Zustände und Affektionen sind, erscheint das Gefühl, welches mit den Zuständen des Eigentums in uns sich natürlich verknüpft, als ein mittelbares: es ist ein Lebensgefühl, weil wir das Eigentum, diesen unseren nach Außen gewendeten universellen Körper unserer Selbsttätigkeit als zu uns, zu unserem Leben gehörend, empfinden; es ist jedoch ein mittelbares, weil es nur durch Vorstellung und Gedanke, nicht aber, gleich den Körperzuständen, unmittelbar als eine Affektion des Ichs empfunden wird.

Gerade dadurch jedoch, daß das Eigentumsgefühl und der Trieb, der sich an dasselbe knüpft, durch Vorstellung und Gedanke vermittelt sind, erheben sich dieselben von Grund auf über das bloß sinnliche Gefühl und die sinnliche Begierde des Nahrungstriebes, entwickeln sich mti der Person selbst, nehmen geistige ethische Elemente in sich auf. Zunächst wir das Gefühl des Eigentums zweifach belebt durch den Gedanken der Selbsttätigkeit und das damit verknüpfte Selbstgefühl denn die Gegenstände des Eigentums werden einerseits größtenteils durch die Selbsttätigkeit hervorgebracht und andererseits sind sie Organe der weiteren Arbeit und Selbsttätigkeit. Ferner fühlt das Individuum an seinem Eigentum oder Wohlstand die erste Emanzipation von der Macht der äußeren Natur und dann auch von der Tyrannei und Unruhe seiner eigenen Begierden; es fühlt in seinem Eigentum sich sicher und behaglich und wird nun empfänglich für andere Bestrebungen als die der Selbsterhaltung. Endlich wird der Wohlstand in der Familie Gemeingut und Organ des Wohlwollens, das letztere dann auf gegen Genossen, Gastfreunde, Dürftige, In der Familie zunächst streift die Neigung zum Eigentum das Egoistische ab, welches sich so leicht mit ihr verknüpft. In ihrer normalen Beschaffenheit ist diese Neigung aus den angeführten Gründen keine egoistische; sie gehört der natürlichen, notwendigen, daher vernunftgemäßen Selbstliebe an, sie trägt ethische Elemente in sich, und muß also, wenn die menschliche Entwicklung mit der des unkultivierten Naturmenschen beginnt, als der Übergang zur sittlichen Entwicklung, ja als das erste Bestandstück derselben angesehen werden. Entgegnet man vielleicht: ein roher Naturmensch, wie wie ihn hierbei voraussetzen, habe niemals existiert, da in ihm die höheren von Gott verliehenen sittlichen Anlagen bereits vorhanden gewesen seien, so wollen wir uns hier in keinen Streit einlassen über die ursprünglichen Zustände des Menschengeschlechts, worüber uns keine Geschichte Kunde gibt. Wir fassen den Begriff des Naturmenschen in der Analogie mit dem des Kindes auf. Welche Anlagen in dem einen und dem andern auch schlummern mögen, so ist doch jede wirkliche Sittlichkeit in beiden notwendig als ein Produkt ihrer Selbsttätigkeit zu betrachten. Auch die geselligen Triebe, die man als die frühesten ursprünglichen ansieht, bedürfen erst der Kultur, um sich wirksam zu erweisen, und diese finden sie nur in und mit dem Wohlstand und zwar ursprünglich in der Familie. Man kann nicht sagen, was früher ist in der menschlichen Entwicklung, Familie oder Wohlstand,, denn das eine von diesen beiden läßt sich ohne das andere nicht denken.

Wollte man gegen die entwickelte Bedeutung des Wohlstands als eines universellen lebenden Organs oder Körpers für das selbsttätige sittliche Subjekt oder die Familie, einwenden, daß dieser Körper denn doch nicht, wie der leibliche, unmittelbar und unzertrennlich mit dem Subjekt verknüpft sei, folglich nicht einen notwendigen Bestandteil seines Lebens bilde, so ist zu erwidern, daß der Wohlstand oder das Eigentum, in seinen einzelnen Teilen, besonders des sogenannten beweglichen Eigentums, allerdings vom Subjekt trennbar ist, nicht aber als Ganzes und überhaupt. Es existiert kein Mensch ohne ein gewisses Eigentum; selbst der dürftigste Bettler bei uns besitzt Kleidung, Geräte, Nahrungsmittel, hat eine Wohnung, wenn auch oft nicht als sein eigentliches Eigentum und würde mit dem Wilden oder Naturmenschen in den niedrigsten Kulturzuständen nicht tauschen wollen. Aber wir sind so gewohnt, ein gewisses größeres Maß von Eigentum als mit dem Menschen verknüpft oder als einen allgemeinen Zustand desselben zu denken, daß wir das, was an diesem Maß fehlt, als einen Mangel an Eigentum oder Wohlstand überhaupt ansehen. Wir können deshalb, in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen Lebenserfahrung, behaupten, daß zum Begriff des gesitteten Menschen, der Familie ein gewisses Maß von Wohlstand gehöre. Daß das Eigentum äußerlich und im Einzelnen von der Person trennbar ist, beweist nichts gegen die Unentbehrlichkeit desselben als universellen Lebensorgans, gegen sein natürliche und sittliche durch den Gedanken vermittelte Bedeutung. Ja diese teilweise Trennbarkeit ist es gerade, welche die unermeßliche Steigerung seines Wertes vermittelt, denn dadurch ist nicht nur bedingt, daß es Gemeingut der Familie und Genossen wird, sondern hieran knüpft sich der Austausch der verschiedenen Gegenstände und Gattungen desselben und der Verkehr der Menschen untereinander - die ganze Entwicklung der Gesellschaft. Andererseits aber setzt dieses Bereiten der Besitzgegenstände für den Verkehr wiederum eine Werkstätte mit Werkzeugen, ein unbewegliches, nicht in den Verkehr zu gebendes Eigentum voraus. Überhaupt steht das unbewegliche Eigentum des Hauses und seines Gerätes, wie oben schon angedeutet wurde, in einer engeren Beziehung zum Individuum oder der Familie.

Wir müssen also eine zweifache Bedeutung des Wohlstands unterscheiden: die eigentliche Totalbedeutung als Ganzes aufgefaßt, als notwendiges Lebensorgan der Selbsterhaltung, des (physischen und geistigen) Genusses, der Arbeit und Selbsttätigkeit der Familie, welche vom Individuum gewöhnlich nur dunkel empfunden wird. Von dieser ursprünglichen ist abgeleitet die sekundäre der einzelnen Gegenstände des Wohlstands, welche jedermann in der Gesellschaft fühlt und kennt, der ökonomische Wert, welcher den Gegenstand der nationalökonomischen Untersuchungen bildet. Dieser besteht, wie SMITH richtig bemerkt, in der Nützlichkeit, d. h. in der vermittelten Lebens- und Gebrauchsfähigkeit derjenigen Gegenstände, die nicht, gleich den Naturelementen, überall verbreitet sind. Aus dem bisherigen ergibt sich von selbst, daß dieser ökonomische Wert keineswegs als aufgehäufte Arbeit zu definieren ist. Denn einerseits haben die Naturdinge schon vor der Arbeit als Rohstoffe einen gewissen natürlichen ökonomischen Wert, der freilich durch die Arbeit unermeßlich vermehrt und erhöht wird. Andererseits aber ist der ökonomische Wert, wie er in einer Gesellschaft wirklich existiert als Tauschwert, ein Produkt von sehr verschiedenen Faktoren, unter welchen mit dem der Arbeit des Individuums der des Bedürfnisses der Gesellschaft in den sehr verschiedenen Beziehungen der Selbsterhaltung, des Genusses, der Arbeit, die bedeutendsten sind.

Die Entwicklung des Wohlstandes bleibt nun aber auch ihrem Inhalt nach keineswegs bei den oben bezeichneten Gegenständen des unbeweglichen und beweglichen Eigentum stehen. Der unbewegliche persönliche Wohlstand des Hauses nimmt nach und nach immer mehr Elemente geistigen und zwar zunächst ästhetischen Inhalts auf. Die Wohnung wie auch der menschliche Körper und die Kleidung wird schon auf den niedrigsten Kulturstufen durch die Kunstfertigkeit mit allen Reizen des Angenehmen und Schönen geschmückt. daran schließt der Schmuck der Geräte zur Jagd und zum Krieg, der Eß- und Trinkgeschirre. Das Meiste, was man vom ökonomischen Gesichtspunkt aus, als Gegenstand des Luxus bezeichnet - ein sehr unbestimmter Begriff - gehört seiner Tendenz nach in dieses Gebiet des gesellig ästhetischen Genusses. Auf diese Weise wird der Wohlstand Vermittler allen Kunstgenusses. In der weiteren sozialen Entwicklung nimmt das Haus die Produkte der organisierten bildenden Künste in sich auf, die Kunstschätze der Skulptur und Malerei, ferner in den Büchern der Bibliothek die wissenschaftlichen Bildungsmittel, so daß, wie dies von manchen Seiten hervorgehoben worden ist, der Wohlstand des Hauses einen gewissen, geistigen Charakter erhält durch die Individualität des Eigentümers. Schon bei den Alten hatte bekanntlich der Herd des Hauses eine eigentümliche religiöse und ethische Bedeutung. Der bewegliche Wohlstand dagegen erhält seine Ausbildung durch den Verkehr. Durch seine mittelbare Lebensfähigkeit wird er Organ für alle Zwecke der Arbeit und Seltbsttätigkiet, wird daher gegen alle Arten der Leistungen, Dienste, Arbeit und Selbsttätigkeit ausgetauscht, wird ein universelles Organ für die Ausführung aller weltlichen Zwecke. Diese verkörperte Mittelbarkeit stellt sich besonders im Geld dar, diesem PROTEUS, welcher sich so leicht in alle Gestalten der Gegenstände von Bedürfnissen, Genüssen, Zwecke verwandelt. Das Geld ist im ausgebildeten Körper des Wohlstands das flüssige Lebenselement, durch welches die festen Elemente desselben beständig durchdrungen und reproduziert werden.

Da nun aber der Wohlstand seine Entwicklung und sittliche Bedeutung nur durch die Arbeit und vorzugsweise auch für dieselbe und die weitere Selbsttätigkeit hat, so fassenwir jetzt ins Auge:


Die sittliche Bedeutung der Arbeit

Die Arbeit ist ihrem Begriff nach diejenige vernünftige freie Selbsttätigkeit des Individuums, welche mit dauernder Aufmerksamkeit oder Anstrengung an irgendeinem Gegenstand etwas zu bewirken strebt für menschliche Bedürfnisse, Genüsse, Zwecke. Sie ist eine vernünftige Tätigkeit, denn das Tier arbeitet nur im Dienst des Menschen als ein Werkzeug, nicht für sich, weil es sich, im Sinnlichen versenkt, nicht zu einer Vorstellung von Zwecken erhebt. Es ist jedoch nicht zu leugnen, daß wir in den kunstfertigen Tätigkeiten mancher höherer Wirbeltiere (besonders im Bauen der Wohnungen, Nester) ein gewisses Analogon von Arbeit finden. Die Arbeit unterscheidet sich durch das objektive Moment des Zwecks und das subjektive der Anstrengung vom Spiel, denn beim letzteren ist Zweck und Anstrengung etwas Sekundäres, Momentanes, Zufälliges. Ihrer universellen Bedeutung nach ist die Arbeit die Ausführung jenes Prozesses der Naturbeherrschung und Aneignung, als dessen Produkt der Wohlstand bezeichnet wurde. Der deutsche Sprachgebrauch unterscheidet zwei verschiedene Bedeutungen des Begriffs "Arbeit", welche der oben bezeichnete umfaßt: im eigentlichen Sinn nennen wir Arbeit diejenige Tätigkeit, welche auf wirtschaftliche Zwecke im engeren Sinne gerichtet ist; dieser Begriff ist übertragen worden auf andere Gattungen der Selbsttätigkeit, insofern sie mit Anstrengung und Mühe verknüpft sind. So hat man von der Arbeit des Denkens, des Lehrens, des Regierens gesprochen. Auch durch die Praxis des Lebens sind diese Tätigkeiten, insofern sie auf die Realisierung notwendiger Zwecke der Gesellschaft gerichtet sind, als Arbeiten anerkannt worden, da der Staat denselben faktisch durch die Besoldung der Staatsbeamten und Lehrer einen ökonomischen Wert zugesteht. Wir unterscheiden nichtsdestoweniger die sittliche Tat und Handlung, welche auf die Bildung der menschlichen Persönlichkeit oder auf das sittliche Wohl der Gesellschaft gerichtet ist, wie die eigentliche Tätigkeit des Künstlers, des Gelehrten von der Arbeit, können aber eine strenge Sonderung dieser verschiedenen Gebiete der menschliche Selbsttätigkeit nicht durchführen und wenden daher den Begriff der Arbeit auch im weiteren Sinne an.

Der Mensch ist schon durch die Naturordnung zur Arbeit bestimmt: einerseits vermöge seiner starken Muskeln und intellektuellen Fähigkeiten, andererseits weil er eine sichere behagliche Existenz nicht ohne sie erreichen kann. Der gesunde Mensch besitzt einen natürlichen Trieb zur Arbeit, hat Freude daran; schon Kinder freuen sich darauf etwas tun zu können. Aber der bloße Naturtrieb ist auf eine schnelle, den Kräften angemessene Abwechslung zwischen Arbeit und Ruhe oder Genuß gerichtet; die dauernde ökonomische Arbeit ist schon dem sogenannten Wilden widerwärtig; das schwächere Geschlecht muß sie übernehmen. Die Arbeit ist natürlich und daher auch angenehm für den Menschen, zunächst dadurch, daß sie ihn von der verzehrenden Langeweile des Müßiggangs und der Unruhe der sinnlichen Begierden und Leidenschaften befreit, dann vermöge einer angemessenen Äußerung und Übung seiner Kräfte durch das Gelingen, durch die Ehre einer schwierigen Ausführung und endlich vermöge des Genusses der Früchte der Arbeit. Sie wird unangenehm und als eine schwere Last empfunden, wenn sie einförmig ist, zu lange dauert, die Kräfte des Arbeiters zu wenig oder zu viel in Anspruch nimmt und besonders wenn der Arbeiter die Früchte der Arbeit wenig oder gar nicht genießt. Mag auch an vielen Orten der Erde schon die Naturordnung dem Menschen durch den Zwang der Bedürfnisse eine gewisse Last der Arbeit auflegen, so wird er doch bald gewohnt sie zu tragen; aber die Naturordnung wurde durch Willkür und Gewalt der Menschen verkehrt: die Schwachen wurden durch den Starken gezwungen für ihn zu arbeiten, und hierdurch ein großer Teil der Bevölkerung der Erde zu übermäßiger Arbeit verdammt.

Die naturgemäße Arbeit aber, auf deren Betrachtung wir uns hier beschränken, übt offenbar einen wohltätigen natürlichen und sittlichen Einfluß auf die Natur des Menschen aus. Die körperlichen und intellektuellen Anlagen werden durch die Arbeit erst entwickelt: zuerst die Geschicklichkeit, Kunstfertigkeit, dann in der weiteren Entwicklung, da die Mittel den Zwecken angepaßt werden müssen, der Verstand, die Talente aller Art und die sittlichen Charaktereigenschaften der Beharrlichkeit, des Fleisses, des Ordnungssinnes. Selbst auf die Geselligkeit üben viele Arbeiten einen wohltätigen Einfluß aus, besonders wenn sie Assoziationen, Genosschenschaften verursachen. Allerdings werden energische tatkräftige Individuen Völkerschaften nicht befriedigt durch die Beschäftigung an Sachen, bei welchen sie nur langsam fortschreiten können und ihre ungestüme Tatkraft keinen Gegenstand findet. Der Jäger und Krieger bedarf, um seine Zwecke zu erreichen, mehr der reellen und raschen Anstrengung seiner Kräfte als der Hirt und Ackerbauer; er entwickelt sich schneller als dieser, vollbringt durch die Entwicklung seiner Tatkraft ausgezeichnete Taten, und das Selbstgefühl der Ehre, des Ruhms, führt ihn immer weiter, so daß er mit Geringschätzung auf die arbeitenden Völkerschaften herabsieht, die des Mutes und des Ehrgefühls ermangeln und daher bald zu seinen Sklaven herabgesunken sind. Aber solche jagdtreibende und kriegerische Völkerschaften haben, wenn sie nicht durch eine Vereinigung mit arbeitenden sich konsolidieren, und Anregungen zur Kultur erlangen, sehr bald den höchsten Punkt ihrer Entwicklung erreicht. Der Einfluß der Tatkraft und kriegerischen Tüchtigkeit entwickelt sehr schnell die Kräfte, aber nur in einer einseitigen Richtung und bei einem gewissen Stand der Bildung nicht über einen gewissen Punkt hinaus. "Die Jagd", bemerkt RAU (Politische Ökonomie I), "macht den Menschen ungestüm, rauh und ruhigeren Beschäftigungen abgeneigt; - es wird nichts erspart, kein Kapital gesammelt, und so nicht einmal der Weg eröffnet, um aus diesem Zustand der Roheit herauszutreten, in welchem es weder Arbeitsteilung noch Verkehr, weder geistige Bildung noch Staatseinrichtungen gibt." - Der Einfluß der wirtschaftlichen Arbeit dagegen, besonders der Landwirtschaft, ist ein höchst langsamer, aber er schreitet, wenn er nicht von Außen gehemmt wird, unaufhörlich fort. Der Landmann tritt durch sein Eigentum und seine Arbeit in eine innigere umfassendere Gemeinschaft mit der Natur, denn er muß die Jahreszeiten, die Temperatur, die Witterungsverhältnisse beobachten, um danach seine Arbeit zu bestimmen, daher finden wir bei den ackerbauenden Völkerschaften die Naturreligionen ausgebildet. Ferner führt das Eigentum des Landmanns die Ausbildung der Gesellschaft herbei: es bilden sich Verhältnisse der gegenseitigen Anerkennung des Eigentums zwischen den benachbarten Familien, die ersten Elemente von Pflichten und Rechten unter ihnen und hiermit, zugleich das Bedürfnis einer gemeinsamen Verteidigung herbeigeführt, der erste Anfang der bürgerlichen Gesellschaft oder des Staates.

Die ethische Bedeutung der Arbeit wird am schlagendsten bewiesen durch die Nichtswürdigkeit aller Müßiggänger, mögen sie Bettler oder Fürsten sein. Schon die Natur straft diese Thoren, die sich ihrer Ordnung entziehen, durch die Qualen der inneren Unruhe und Unzufriedenheit mit sich selbst.

Aber der schlecht gewordene Müßiggänger versteht diese Strafe nicht und sucht in der Befriedigung seiner Begierden und Leidenschaften, in künstlicher Aufregung vergebens das vermißte innere Glück. Dagegen belohnt die Natur die Arbeit mit Freude und Zufriedenheit. Die Arbeit ist demnach im Ganzen der menschlichen Entwicklung keineswegs als ein Mittel zum Zweck oder als eine beklagenswerte Notwendigkeit, auferlegt von einem harten Schicksal oder von einer erzürnten Gottheit anzusehen. Sie ist vielmehr geodnet als ein Segen für uns, damit wir durch sie unsere Anlagen, unsere selbsttätige Natur und dann, auf ihrer und des Wohlstands Grundlage unsere Persönlichkeit weiter zu sittlicher Vollkommenheit und Freiheit ausbilden. Die sittliche Ordnung ist auch hier mit der Naturordnung im Bunde, die Natur leitet uns auch hier den richtigen Weg unwillkürlich, bis wir denselben verstehen lernen, und mit selbstbewußtser Freiheit verfolgen. Denn wären die Menschen nicht zuerst duch die Naturordnung ihrer Bedürfnisse zum Arbeiten getrieben, so würden sie, wie die Erfahrung zeigt, nur zu häufig in trägen Naturgenuß versinken und nicht jene höhere Stufe der sittlichen Freiheit erreichen, auf welcher die Arbeit eine Lust und frei vollbracht wird. Durch die Arbeit und den Wohlstand, welcher aus ihr hervorgeht, emanzipiert sich der Mensch nicht nur von jener drückenden Abhängigkeit, von der äußeren Natur; er lernt, indem er die äußere Natur bekämpft und beherrscht, auch seine eigene Natur bekämpfen und beherrschen. Indem er arbeitet, ist er genötigt, aus sich selbst herauszugehen und sich dem Objekt hinzugeben; wer aber gelernt hat, dem Gesetz des Objekt der Arbeit zu gehorchen, der wird auch leichter dem Gesetz der Sitte, des Staates, der Religion gehorchen, als der Müßiggänger. Wollte man gegen die Sittlichkeit der Arbeit einwenden, daß dieselbe auch aus Motiven der Selbstsucht hervorgehen könne, z. B. wenn jemand nur arbeitet, um die Frucht der Arbeit zu seinem egoistischen Genuß anzuwenden, so ist zu bemerken, daß durch den nachfolgenden Akt der Verschwendung der frühere Akt der Arbeit selbst nicht ein unsittlicher werden kann. Jede wirkliche gelungene Arbeit gewährt einen, wenn auch geringen Beitrag zur Herrschaft über die Natur und zur Freiheit des Menschen.

Welche hohe umfassende Bedeutung wir also der Arbeit auch zugestehen müssen, so können wir doch nicht mit LUDWIG STEIN diese eine Gattung der sittlichen Selbsttätigkeit als dies selbst überhaupt ansehen und aus ihr alle Entwicklung der Gesellschaft und der Menschheit ableiten. Die Arbeit könnte diese Bedeutung nur dann in Anspruch nehmen, wenn die sittlichen Zwecke des Menschen sich auf die Naturbeherrschung beschränkten, wenn, wie STEIN wirklich lehrt, die Idee der Persönlichkeit darin ihre Erfüllung hätte, daß "die natürlichen Kräfte zu Dienern des persönlichen Willens werden - die Gesamtheit des natürlichen Daseins zum Inhalt des persönlichen wird." Bei der Aufstellung dieser Formel ist nicht beachtet worden, daß die sittliche Idee doch vor allen Dingen die Bildung und Entwicklung der Persönlichkeit selbst und ihrer auf sich selbst und die Gesellschaft gerichteten Tätigkeit einschließt. Es ist freilich hierbei nicht nur die eigentlich sogenannte wirtschaftliche Arbeit gemeint, sondern auch, wie STEIN sie bezeichnet, die ideelle. Allein erweitern wir auch den Begriff der Arbeit noch so sehr, so dürfen wir ihn doch nicht auf alle Gattungen freier sittlicher Selbsttätigkeit ausdehnen.

Die Arbeit bleibt in ihrer höchsten Entwicklung doch immer eine auf ein Lebloses, eine Sache gerichtete Tätigkeit, um sie menschlichen Zwecken gemäß aufzufassen, zu verändern, zu gestalten. Der menschliche Geist erfaßt sich zwar in der Arbeit als herrschend mittels der Einsicht und Selbsttätigkeit über den gegebenen Stoff, aber in dieser Herrschaft muß sich der Geist zugleich demselben unterwerfen, zu ihm herabsteigen und ist an ihn gebunden, so daß er sich hierin noch nicht seiner vollen Freiheit bewußt werden kann; seine Herrschaft wie seine Freiheit ist eine beschränkte. Hierin liegt es auch, daß die Arbeit zwar Lust gewährt, aber keine vollständige ungeteilte bei längerer Dauer. Höher als die Herrschaft über das Unpersönliche ist die über die Persönlichkeit, den Menschen selbst, über den Willen des Menschen, damit sie den gemeinsamen Zwecken und Gesetzen der sozialen Ordnung gehorchen. In der Organisation der Arbeit der sozialen Herrschaft und Ordnung gibt sich eine höhere Energie des Geistes zu erkennen, als in der Organisation der Arbeit und des Wohlstands; sie hat auch stets bei den Völkern eine höhere Achtung gefunden. Die soziale und politische Tätigkeit schließt auch mannigfache Arbeiten in sich, ist aber in ihrem eigentlichen Wesen nicht selbst eine Arbeit. Auch in dieser Tätigkeit geht der menschliche Geist aus sich selbst heraus, um die Zwecke der Herrschaft zu erreichen, allein der Gegenstand, den er hier beherrscht, ist der Mensch selbst. Eine noch höhere und die höchste Herrschaft ist die innere des Menschen über sich selbst oder über andere, wie über sich selbst, die eigentlich sittliche im engeren Sinne, deren Inhalt ist: das Erkennen, Wollen und Tun des Guten. Hier ist der Geist, indem er das Objekt beherrscht, zugleich in und bei sich selbst, und je tiefer er in sich geht im Erkennen und Wollen des Guten, in sittlicher Gesinnung, umso umfassender beherrschaft er seinen Gegenstand und die umfassendste Herrschaft fällt ganz mit der höchsten Freiheit des Subjekts zusammen. Auch diese Tätigkeit schließt Arbeiten in sich, niemand aber wird sie selbst als Arbeit bezeichnen.

Vom universellen ethischen Standpunkt betrachtet, erscheint also die Arbeit als die erste Stufe der sittlichen Freiheit, folglich mit dem Wohlstand vereinigt, mit welchem sie ihrer Natur und Entwicklung nach zusammengehört, als die natürliche Grundlage der beiden höheren Stufen derselben, der sozialen Macht und Ordnung und der freien Sittlichkeit. Ehe wir diese weiter verfolgen, werfen wir einen Blick auf die Gestaltung und Bedeutung der verschiedenen Gattungen der Arbeit. Diese sind zweifach verschieden, einerseits nach verschiedenen Gebieten der Gegenstände, andererseits nach der verschiedenen Stellung des Subjekts zu denselben oder nach der Bildung des Subjekts. In der ersteren Beziehung unterscheiden wir von der wirtschaftlichen oder ökonomischen Arbeit, der eigentliche, welche allein der Sprachgebrauch als solche bezeichnet, die an die soziale und sittliche Tätigkeit sich knüpfenden Arbeiten der Staatsbeamten und Soldaten und die der Lehrer und Künstler. Auf allen diesen Gebieten aber gestaltet sich die Arbeit sehr verschieden in ihrer viele Vermittlungen in sich schließenden Anordnung und Ausführung. - Wenn diese Vermittlungen sehr kompliziert sind, so bedarf es zuerst eines Plans, damit sich dieselben in einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt konzentrieren, einer für die einzelnen Arbeiten vorbildenden, anordnenden Tätigkeit, die man gewöhnlich nicht Arbeit nennt, die aber in der weiteren Organisation der Arbeiten oft bei manchen Industriegeschäften eine nicht geringe Anstrengung in Anspruch nimmt, die Arbit des Unternehmers und seiner Gehilfen. Dieser mehr intellektuellen Arbeit steht die ausführende, der Stoff selbst umittelbar bearbeitende durch Hand, Werkzeug oder Maschine, die sogenannte mechanische Arbeit der eigentlichen Arbeiter gegenüber. Zwischen der vorbereitenden und der ausführenden Arbeit in der Mitte steht die leitende der Meister und Aufseher, welche mehr oder weniger an beiden Anteil nimmt. Diese Teilung der organisierten Arbeit beschränkt sich nicht auf das wirtschaftliche Gebiet, wo sie auf dem industriellen am umfassendsten hervortritt, sondern findet auch statt für die Staatsbeamten, Soldaten; ja selbst in der Wissenschaft und für das Lehren gibt es anordnende, leitende und überwiegend mechanische Arbeiter. Die Teilung, wie notwendig sie auch aus der Organisation der Arbeit hervorgeht, ist nicht günstig gewesen für ihren sittlichen Einfluß, denn die Geschicklichkeiten und Talente werden jetzt nur nach einer einzelnen Richtung einseitig ausgebildet, wobei die mechanische der freien Selbsttätigkeit und Bildung wenig Raum läßt. Am wenigsten kann die Teilung der Arbeiten in der Landwirtschaft durchgeführt werden, welche zugleich eine sehr vielseitige Beschäftigung bietet; sie übt daher einen wohltätigen Einfluß auf die Sitten aus, welcher auch zu allen Zeiten gepriesen worden ist. In der Industrie ist die Arbeitsteilung am größten, weshalb die verderblichen Folgen derselben in jener auch am meisten hervortreten. Der Handel ist mit Recht stets als einer der bedeutendsten Hebel der intellektuellen Kultur angesehen worden, da er mittels des Verkehrs die Völkerschaften aus ihrer Isolierung und Beschränktheit hinausführte; weniger rühmt man seinen Einfluß auf die sittliche Kultur, denn er trägt durch Herbeischaffung neuer Genußmittel nicht selten zur Auflösung der Sitten bei und wenn er auch die Gewandtheit, den Unternehmungsgeist, die geistige Beweglichkeit überhaupft fördert, so ist doch mit dem Handelsgeist auch häufig eine gewisse Neigung zu List und Betrug und eine zu große Gewinnsucht verbunden. Auch die Arbeiten der Staatbeamten und der Soldaten, der Gelehrten und der Lehrer üben auf Talent und Charakter einen eigentümlichen, teils wohltätigen, teils einseitigen Einfluß aus, welche Einseitigkeit jedoch in einem gesunden, geselligen und nationalen Leben keine große Bedeutung hat, und von selbst korrigiert wird.
LITERATUR - Franz Vorländer, Über die ethische und soziale Bedeutung des Wohlstands und Eigentums, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 11, Tübingen 1855