tb-2Kampits - Ernst MachMach - Die VergleichungMach und Mauthner    
 
ALLAN JANIK / STEPHEN TOULMIN
Ernst Mach
und die metaphysische Spekulation


Wenn wir Tatsachen in Gedanken nachbilden, so bilden wir nie die Tatsachen überhaupt nach, sondern nur nach jener Seite, die für uns wichtig ist.


Während der letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts wurden Status und Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis von vielen deutschen Gelehrten und Wissenschaftsphilosophen, unter ihnen so herausragende Gestalten wie GUSTAV KIRCHHOFF, HERMANN von HELMHOLTZ, ERNST MACH, HEINRICH HERTZ und LUDWIG BOLTZMANN, auführlich diskutiert. Der Terminus "Darstellung" (respektive "Vorstellung"), der eine wichtige Rolle in dieser Debatte spielte, war von KANT und SCHOPENHAUER in Umlauf gesetzt worden.

Der Ausdruck verband zwei Begriffsnuancen, die damals häufig nicht klar unterschieden wurden und auch heute noch manchmal verwechselt werden. In dem einen Sinn hatte der Terminus einen "sensorischen" oder "Wahrnehmungs"-Bezug - wie etwa in der physiologischen Optik von HELMHOLTZ und in der Psychologie MACH's -, der ihn mit HUME verband. Im anderen Sinn hatte er einen eher "öffentlichen", also auf Sprachfunktionen zielenden Bezug - wie in der Mechanik von HERTZ -, nicht unähnlich dem Ausdruck "graphische Darstellung" etwa in der heutigen Physik.

Im allgemeinen war die "sensorische" Bedeutungsnuance assoziiert mit dem deutschen Wort "Vorstellung", die "sprachfunktionale" mit dem Wort "Darstellung" (wobei "Vorstellung" zum Beispiel die übliche deutsche Übersetzung für LOCKEs Ausdruck "idea" ist.) Es gibt aber wichtige Ausnahmen von dieser üblichen Praxis der Wortverwendung (MAUTHNER selbst beispielsweise), und die Berichte über den Status der "wissenschaftlichen Erkenntnis" in der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts sind durchsetzt von den daraus resultierenden Zweideutigkeiten.

So erscheint es an dieser Stelle unserer Rekonstruktion angebracht, einen genaueren Blick auf jene Debatte in der Wissenschaftsphilosophie zu werfen, und wir wollen hierbei mit der beherrschenden Gestalt ERNST MACHs beginnen.

Selten hatte ein Wissenschaftler einen vergleichbar großen Einfluß auf die Kultur seiner Zeit wie ERNST MACH. Wie wir schon gesehen haben, hatte seine Psychologie eine direkte Wirkung für die ästhetischen Anschauungen der "Jung-Wiener". HOFMANNSTHAL besuchte Vorlesungen MACHs an der Universität und glaubte eine Verwandtschaft von MACHs Problemen mit seinen eigenen zu erkennen. ROBERT MUSIL stand als Wissenschaftler unter ganz erheblichem MACHschen Einfluß.

MACHs Ideen hatten große Wirkung auf HANS KELSENs Rechtspositivismus und fanden so unmittelbar Eingang in die Nachkriegsverfassung Österreichs, die weitgehend KELSENs Werk war. Sie wurden auch von den revisionistischen Austromarxisten mit Begeisterung aufgenommen. Diese "MACHsche" Version des Marxismus durchdrang durch die Vermittlung BOGDANOVs sogar den russischen Sozialismus und wurde zur theoretischen Herausforderung für den LENINismus (LENINs scharfe Absage an BOGDANOV, "Materialismus und Empiriokritizismus", war so durch MACHs Theorien oder gewisse Anwendungsvarianten davon provoziert worden).

In den zwanziger Jahren gründete der prominente österreichische Philosoph und Soziologe OTTO NEURATH den "Verein Ernst Mach", den unmittelbaren Vorläufer des Wiener Kreises. Von der Literatur bis zur Rechtsphilosophie, von der Physik bis zu den Sozialwissenschaften war MACHs Einfluß allgegenwärtig in Österreich und weit über dessen Grenzen hinaus. Einer der bedeutendsten Männer, die in den Sog des MACHschen Denkens gerieten, war der junge Physiker ALBERT EINSTEIN, der zeitlebens MACHs "tiefen Einfluß" auf sein frühes Denken anerkannte. Es ist gezeigt worden, daß EINSTEINs theoretischer Beginn auf dem Fundament der MACHschen Wissenschaftskonzeption stand. Nachdem WILLIAM JAMES 1882 mit MACH in Prag zusammengetroffen war, sprach er begeistert von diesem "rein intellektuellen Genie", das "anscheinend alles gelesen und über alles nachgedacht hatte.

MACHs Reduktion jeder Erkenntnis auf eine letzte Basis von Empfindungen ist die Grundlage seines ganzen Denkens. Es ist Aufgabe aller wissenschaftlichen Bemühungen, die grundlegenden Sinnesdaten auf einfachste und ökonomischste Weise zu beschreiben und zu systematisieren. MACH zieht es terminologisch vor, die "Sinnesdaten" mit dem neutralen und unverbindlichen Ausdruck "Elemente" zu bezeichnen. Das Merkmal der Einfachheit und Denkökonomie ist das spezifisch wissenschaftliche Charakteristikum einer Darstellung von Erfahrung.

MACHs Perspektive ist also die des Phänomenalisten; die Welt ist die Gesamtheit aller Empfindungen und ihrer Verknüpfungen. In diesem Sinn konstituieren Träume "Elemente" in der Welt genauso wie jede andere Klasse von Elementen, denn "innere" Erfahrung ist so sehr Erfahrung, wie es die "äußere" ist. (Freilich muß man sich nach MACH hüten, Träume direkt mit der physikalischen Wirklichkeit zu verbinden, denn sie sind bloße "Gedankenverknüpfungen" ohne äußeres Korrelat als ihrem Veranlasser, sei sind - in MACHs Worten "Wucherungen des Vorstellungslebens").

Abstrakte Begriffe, Ideen, komplexe Vorstellungen werden in ähnlicher Weise auf Sinnesempfindungen zurückgeführt: sie werden als Art- oder Allgemeinbegriffe aufgefaßt, die uns einen abgekürzten, also "ökonomischen" Umgang mit zusammengefaßten Gruppen oder Komplexen von "Elementen" ermöglichen.

Als Positivist war MACH kompromißloser Gegner jeder metaphysischen Spekulation. Für ihn war die Metaphysik Mystizismus und damit in der Wissenschaft Obskurantentum. In der Psychologie lehnte er die Konzeption des "Ich" als einer einheitlichen Entität vollständig ab; er verwarf jede Position, die einen Anklang an den DESCARTESschen Dualismus von "Materie" und "Geist" verriet, denn dieser Dualismus führte für MACH zu den "wunderlichen, monströsen Theorien" der Metaphysik.

Als überzeugter Positivist gestand er auch der Philosophie keine legitime Unabhängigkeit von den Naturwissenschaften zu, und er wies oft darauf hin, daß er nicht als Philosoph gelten wolle, sondern Naturforscher sei. Er schätzte, den Zerstörer der metaphysischen Wahrheitsansprüche, so sehr wie GEORG CHRISTOPH LICHTENBERG, den satirischen Gegner alles aufgeblasenen Schwindels in Wissenschaft und Kultur. MACH war einer der ersten, die auf die philosophische Bedeutung LICHTENBERGs hinwiesen, dessen Schriften später in den intellektuellen Kreisen Wiens bekannt und einflußreich wurden.

MACH bestimmte das Problem der Wissenschaft als ein dreifaches:
"Wir lernen sehr bald, unsere Vorstellungen von unseren Empfindungen (Wahrnehmungen) zu unterscheiden. Die Aufgabe der Wissenschaft kann es nun sein:
  • Die Gesetze des Zusammenhangs dre Vorstellungen zu ermitteln (Psychologie).
  • Die Gesetze des Zusammenhangs der Empfindungen (Wahrnehmungen) aufzufinden (Physik).
  • Die Gesetze des Zusammenhangs der Empfindungen und Vorstellungen klarzustellen (Psychophysik).
Die MACHsche Konzeption der Psychophysik geht auf GUSTAV THEODOR FECHNER zurück. Grundsätzlich ist die Psychophysik eine Art monistischer Philosophie, die zu erklären versucht, wie Psychisches und Physisches als zwei Aspekte ein und derselben Wirklichkeit zusammenhängen. Der damals erfolgreichste Versuch, Physik und Psychologie zu einer Wissenschaft zusammenzubinden, war der von RICHARD AVENARIUS, den MACH als Kollegen sehr schätzte:
"In Bezug auf R. AVENARIUS ist die Verwandtschaft eine so nahe, als sie bei zwei Individuen von verschiedenem Entwicklungsgang und verschiedenem Arbeitsfeld, bei voller gegenseitiger Unabhängigkeit überhaupt erwartet werden kann."
In seiner "Kritik der reinen Erfahrung" versuchte AVENARIUS Scylla und Charybdis von Materialismus und Idealismus durch den Rekurs auf einen naiven Realismus zu vermeiden, der gewisse Affinitäten zu den Philosophien G.E. MOOREs und EDMUND HUSSERLs aufweist. Wie MOORE versuchte er die Rätsel der Metaphysiker durch einen Appell an den Common-sense -Realismus zu unterlaufen. Auf die Frage etwa: "Wie "weiß" ich, daß hier zwei Hände sind?" antwortete MOORE, indem er erst eine, dann die andere Hand hochhielt und sagte: "Weil hier die eine ist und hier die andere."

AVENARIUS hätte das Schlagende dieser Art von Beweisführung geschätzt. Und ähnlich wie HUSSERL glaubte AVENARIUS, daß die Aufgabe der Philosophie in einer abstrahierenden Verallgemeinerung dessen besteht, was in den Einzelwissenschaften die "Beschreibung" der Welt ist, und zwar der Welt wie wir sie in unserer Alltagserfahrung erleben, also in einer Explikation des "natürlichen Weltbegriffs":
"Wichtig ist für die Erfahrung, wie sie charakterisiert ist, nicht, was ohne sie existiert."
So setzt AVENARIUS die Frage nach den Gegenständen des Bewußtseins gewissermaßen in Klammern, ähnlich wie es HUSSERL mit seinem Begriff "epochè" tut. Beide Denker stimmen in der Auffassung überein, daß es kein "reines Bewußtsein" gibt, daß Bewußtsein nur insofern erfahren wird, als es Bewußtsein "von etwas" ist.

Weiter reicht allerdings die Ähnlichkeit der beiden nicht. AVENARIUS behauptet, daß in der Perspektive der "reinen Erfahrung" Realismus und Solipsismus zusammenfallen, weil es für seine phänomenalistische Beschreibung der Erfahrung keinen Unterschied macht, ob andere Wesen mit Bewußtsein existieren oder nicht. Die Gegenstände der reinen Erfahrung sind "Tatsachen", nicht Wahrnehmungen:
"... unter reiner Erfahrung verstehen wir Erfahrung als unmittelbares Erkennen der Tatsachen; diese Tatsachen können Dinge oder Verhältnisse, Gedanken, Gefühle, Überzeugungen oder Ungewißheit sein."
AVENARIUS Ziel is die Systematisierung alles dessen, was unsere Erfahrung ausmacht in einer zentralen Vorstellung, die einen vollkommen abstrakten Begriff, den "reinen Universalbegriff", liefere, welcher das einfachste mögliche (ökonomischste) Bild unserer Erfahrung wäre und somit die philosophische Version des "natürlichen Weltbegriffs" darstelle.

Diese Systematisierung müßte eine physiologische Beschreibung physikalischer Phänomene beinhalten, die zum Kontext einer Gesamtheit der Erfahrung auf der Basis einer Assoziationspsychologie entwickelt würde. Das Ziel der Konstruktion dieser Welt-Abbildung wäre die Vereinfachung und Systematisierung des Erfahrungsbegriffs, so daß er in der Theorie leichter handhabbar würde. Philosophie wird für AVENARIUS zum "Denken der Welt gemäß den Prinzipien des kleinsten Kraftmaßes". (So lautet der Titel seiner "Prolegomena zu einer Kritik der reinen Erfahrung".)

MACH war mit diesem Programm durchaus einverstanden; er sah in ihm eine Exemplifizierung seines Prinzips der "Denkökonomie" und zugleich einen wichtigen Beitrag zur Klärung des Verhältnisses von Physischem und Psychischem. Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen ging MACH an eine Analyse des Wesens der "Vorstellungen" in der Physik.

Für MACH waren physikalische Theorien Beschreibungen, mit denen die Erfahrungen, welche in Sinnesdaten bestehen, vereinfachend zusammengefaßt werden, wodurch der Wissenschaftler in die Lage versetzt wird, richtige Voraussagen zu treffen. Mathematische und logische Operationen dienen der vereinfachenden Organisation der Sinneswahrnehmungen, als der "Anpassung der Gedanken aneinander" (während die Beobachtung zur "Anpassung der Gedanken an die Tatsachen" führt).

Es ist strenggenommen ungenau, von Theorien als "wahr" oder "falsch" zu sprechen; sie sind einfach mehr oder weniger nützlich, da ihre Aufgabe eher darin besteht, Beschreibungen von Sinnesdaten zu geben, als auf deren Grundlage "Urteile" zu liefern.
"Alle Wissenschaft hat Erfahrungen zu ersetzen oder zu "ersparen" durch Nachbildung und Vorbildung von Tatsachen in Gedanken, welche Nachbildungen leichter zur Hand sind als die Erfahrung selbst und diese in mancher Hinsicht vertreten können. Diese "ökonomische" Funktion der Wissenschaft, welche deren Wesen ganz durchdringt, wird schon durch die allgemeinsten Überlegungen klar. Mit der Erkenntnis des ökonomischen Charakters verschwindet auch alle Mystik aus der Wissenschaft."
Metaphysische Elemente in der Wissenschaft verstoßen gegen deren wesentlichstes Merkmal, die Denkökonomie. Die Konzeption des "Absoluten" in NEWTONs Begriffen von Raum, Zeit und Bewegung sind überflüssig, ein "begriffliches Ungetüm". MACHs Ansicht über NEWTONs Absoluta sind bündig zusammengefaßt in seinen Bemerkungen zur "absoluten Zeit":
"Diese absolute Zeit kann an gar keiner Bewegung abgemessen werden, sie hat also auch gar keinen praktischen und auch keinen wissenschaftlichen Wert, niemand ist berechtigt, zu sagen, daß er von derselben etwas wisse, sie ist ein müßiger "metaphysischer" Begriff."
MACHs Weg, diese überflüssigen Zusätze zu durchschauen - und so zu lernen, wie man sie los wird -, ist ein historisches so gut wie kritisches Studium der Prinzipien der Mechanik. Passend daher der Titel seines Hauptwerkes: "Die Mechanik in ihrer Entwicklung, historisch-kritisch dargestellt"; der Ausdruck der gleichen geistigen Haltung ein anderer Titel: "Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit".

Zur Rechtfertigung seiner Konzeption von der Naturwissenschaft als einer denkökonomischen Beschreibung von Sinnesdaten, mußte er erklären, wie Faktoren, die damit nichts zu tun hatten, Eingang in frühere physikalische Theorien gefunden hatten. In seiner Analyse der Ursprünge bestimmter wissenschaftlicher Ideen konnte er zeigen, wie Wissenschaftler sich zur Formulierung von Erklärungen verleiten ließen, die die Grenzen des Wahrnehmbaren überschritten. Das Auftregen metaphysischer Elemente, wie etwa des Begriffs der "Kraft" in der Mechanik, wird plausibel durch den Hinweis darauf, daß die Mechanik in einer Zeit mündig wurde, in der die Menschen tief in theologische Probleme verstrickt waren.
"Der Unbefangene wird nicht mehr darüber im Zweifel sein, daß das Zeitalter, in welches die Hauptentwicklung der Mechanik fiel, "theologisch" gestimmt war. Theologische Fragen wurden durch alles angeregt und hatten auf alles Einfluß. Kein Wunder also, wenn auch die Mechanik von diesem Hauch berührt wurde. Das Durchschlagende der theologischen Stimmung wird noch deutlicher, wenn wir auf Einzelheiten eingehen."
Das historische Ingredienz von MACHs Kritik der Naturwissenschaft soll die Grenze aufzeigen, innerhalb deren sinnvolle und nützliche wissenschaftliche Forschung möglich ist. Es hat darüber hinaus auch einen heuristischen Wert, denn:
"Die historische Untersuchung es Entwicklungsganges einer Wissenschaft ist sehr notwendig, wenn die aufgespeicherten Sätze nicht allmählich zu einem System von halb verstandenen Rezepten oder gar zu einem System von Vorurteilen werden sollen. Die historische Untersuchung fördert nicht nur das Verständnis des Vorhandenen, sondern legt auch die Möglichkeit des Neuen nahe, indem sich das Vorhandene eben teilweise als konventionell und zufällig erweist. Von einem höheren Standpunkt aus, zu dem man auf verschiedenen Wegen gelangt ist, kann man mit freierem Blick ausschauen und noch heute neue Wege erkennen."
Einerseits gesteht MACH der Mechanik lediglich einen historisch begründeten Anspruch auf den Vorrang unter den verschiedenen Zweigen der Physik zu, andererseits will er innerhalb der Mechanik durch ein genaueres Verständnis ihrer Entwicklung neue Möglichkeiten eröffnen. MACHs Hinweis auf den teilweise "konventionellen und zufälligen" Entwicklungsstand der Naturwissenschaft seiner Zeit entstammt umfassenderen Überlegungen. Er glaubte, daß alles Erkennen auf eine Anpassung der Lebewesen an ihre Umwelt zielt. Alle Begriffe, Theorien, Maximen und ähnliches waren für ihn Funktionen unseres biologisch programmierten Überlebenstriebes. Konzeptuelle Schemata sind ökonomische Instrumente für die Bewältigung praktischer Probleme. Als solche sind sie von Natur aus gewissermaßen eingefärbt von unseren Interessen und Motiven:
"Wenn wir Tatsachen in Gedanken nachbilden, so bilden wir nie die Tatsachen "überhaupt" nach, sondern nur nach jener Seite, die für uns "wichtig" ist; wir haben hierbei ein Ziel, das unmittelbar oder mittelbar aus einem praktischen Interesse hervorgewachsen ist."
Für MACH sind die Menschen als Erkennende überwiegend passiv. Erkenntnis besteht primär in der Beschreibung der Welt der Empfindungen für uns selbst, um die Anforderungen unserer Umwelt zu bewältigen. In diesem Rahmen wird die Geistesgeschichte zur Geschichte des "Überlebens" im "Daseinskampf" der Ideen. Auch Theoriekonzepte müssen Herausforderungen durch Rivalen bestehen, um Anhänger zu finden, und das heißt eben: um zu überleben. Sie müssen sich an die Tatsachen und aneinander anpassen.

Man sollte erwarten, daß einem Wissenschaftler, der sich als Vorkämpfer gegen die Metaphysik versteht, bei der Darlegung solcher Vorstellungen entgegengehalten würde, er lasse den Gegner zur Hintertüre wieder herein. Einer, der MACH in dieser Perspektive kritisierte, war MAX PLANCK. PLANCK nahm MACH sozusagen bei dessen eigenen Grundsätzen und behauptete, MACHs biologistische Erkenntnistheorie sei genauso metaphysisch wie die Theorien, die sie verwarf. Auch MACHs Konzept vom Wesen physikalischer Theorien, nämlich deren angebliche Fundierung allein in Sinneserfahrungen, lehnte PLANCK ab.

Nach seiner Auffassung schafft der Physiker ein System der Erkenntnis unserer physikalischen Welt, indem er dieser eine Form "aufprägt". Der menschliche Geist schaffte die mathematischen Strukturen, die aus dem empirischen Tatsachenmaterial erst jenes einheitlich organisierte System werden ließen, das die Naturwissenschaften darstellen. Er warf MACH "Anthropomorphismus" vor, also die Kardinalsünde in den physikalischen Wissenschaften. Für PLANCK implizierte MACHs Versuch, die Physik auf eine Beschreibung von Empfindungen zu gründen, die Annahme einer obskuren Identität von "physischen" und "psychischen" Zuständen.
LITERATUR - Allan Janik / Stephen Toulmin, Wittgensteins Wien, München/Wien 1984