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F. W. J. SCHELLING
Vom Ich als
Prinzip der Philosophie

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"Unser bisher unabsichtlich gebrauchtes deutsches Wort  Bedingen  ist nebst den abgeleiteten in der Tat ein vortreffliches Wort, von dem man sagen kann, daß es beinahe den ganzen Schatz philosophischer Wahrheit enthält.  Bedingen  heißt die Handlung, wodurch etwas zum  Ding  wird,  bedingt,  das, was zum Ding  gemacht  ist, woraus sich zugleich erhellt, daß nichts  durch sich selbst  als  Ding  gesetzt sein kann, d. h. daß ein unbedingtes Ding ein Widerspruch ist.  Unbedingt  nämlich ist das, was gar nicht zum Ding  gemacht  ist, gar nicht zum Ding werden kann."

"Das vollendete System der Wissenschaft geht von einem absoluten, allem entgegengesetzte ausschließenden  Ich  aus. Dieses als das  eine  Unbedingbare bedingt die ganze Kette des Wissens, beschreibt die Sphäre alles Denkbaren und herrscht durch das ganze System unseres Wissens als die absolute alles begreifende Realität."

"Ist das Ich nicht sich selbst gleich, ist seine Urform nicht die Form reiner Identität, so ist eben dadurch wieder alles aufgehoben, was wir bisher gewonnen zu haben schienen. Denn das Ich ist, nur  weil  es ist. Wäre es also nicht reine Identität, d. h. schlechthin nur das, was es ist, so könnte es auch nicht  durch sich selbst  gesetzt sein, d. h. es könnte sein, auch, weil es das ist, was es  nicht  ist. Das Ich aber ist entweder gar nicht, oder nur durch sich selbst. Also muß die Urform des Ichs reine Identität sein." 



Vorrede
zur ersten Auflage 
 

Statt all der Bitten, mit welchen ein Schriftsteller seinen Lesern und Beurteilern entgegenkommen kann - hier nur eine einzige an die Leser und Beurteiler dieser Schrift, sie entweder gar nicht, oder in ihrem ganzen Zusammenhang zu lesen, und sich entweder allen Urteils zu enthalten, oder den Verfasser nur nach dem Ganzen, nicht nach einzelnen aus dem Zusammenhang gerissenen Stellen, zu beurteilen. Es gibt Leser, welche in jede Schrift nur einen flüchtigen Blick werfen, um in der Schnelligkeit irgendetwas aufzufassen, das sie dem Verfasser als Verbrechen aufbürden, oder eine aus dem Zusammenhang unmöglich verständliche Stelle zu finden, mit der sie jedem, der die Schrift nicht selbst gelesen hat, beweisen können, daß der Verfasser Unsinn geschrieben hat. So könnten z. B. Leser jener Art bemerken, daß in der vorliegenden Schrift von SPINOZA sehr häufig nicht "wie von einem toten Hund" (um LESSINGs Ausdruck zu gebrauchen) geredet wird, und dann - die Logik solcher Leute ist ja bekannt - den schnellen Schluß machen, der Verfasser suche die längst widerlegten spinozistischen Irrtümer aufs Neue geltend zu machen. Für  solche  Leser (wenn man diesen Ausdruck hier überhaupt gebrauchen darf) bemerke ich einerseits, daß diese Schrift gerade dazu bestimmt ist, das  nicht  schon  längst  widerlegte spinozistische System in seinem Fundament aufzuheben, oder vielmehr durch seine eigenen Prinzipien zu stürzen, andererseits aber, daß mir das spinozistische System mit all seinen Irrtümern doch durch seine kühne Konsequenz unendlich achtungswürdiger ist, als die beliebten Koalitionssystem unserer gebildeten Welt, die, aus den Lappen aller möglichen Systeme zusammengeflickt, der Tod aller wahren Philosophie werden. Zugleich räume ich solchen Lesern recht gerne ein, daß diejenigen Systeme, die nur immer zwischen Erde und Himmel schweben, und nicht mutvoll genug sind, auf den letzten Punkt allen Wissens hinzudringen, vor den gefährlichen Irrtümern weit sicherer sind, als das System des großen Denkers, dessen Spekulation den freiesten Flug nimmt, alles auf's Spiel setzt, und entweder die  ganze  Wahrheit in ihrer ganzen Größe, oder gar keine Wahrheit will: dagegen bitte ich sie nun wiederum zu bedenken, daß, wer nicht kühn genug ist, die Wahrheit bis auf ihre ganze Höhe zu verfolgen, zwar den Saum ihres Kleides hie und da berühren, sie selbst aber niemals erringen kann, und daß die gerechtere Nachwelt den Mann, der, das Privilegium tolerierbarer Irrtümer verachtend, der Wahrheit frei entgegenzugehen, den Mut hatte, weit über die Furchtsamen hinaufsetzen wird, die, um nicht auf Klippen und Sandbänke zu stoßen, lieber ewig vor Anker liegen.

Für Leser der anderen Art, die durch herausgerissene Stellen beweisen, daß der Verfasser Unsinn geschrieben hat, erinnere ich, daß ich auf die Ehre gewisser Schriftsteller, bei denen  jedes  Wort, in und außerhalb seines Zusammenhangs gleichviel bedeutet, verzichte. Bei aller Bescheidenheit, die mir gebührt, bin ich mir doch bewußt, daß ich die hier vorgetragenen Ideen meinem eigenen Nachdenken verdanke, und glaube daher keine unbillige Forderung zu erheben, wenn ich nur von selbstdenkenden Lesern beurteilt sein will. Überdies geht die ganze Untersuchung auf Prinzipien, sie kann also auch nur nach  Prinzipien  geprüft werden. Ich habe versucht, die Resultate der kritischen Philosophie in ihrer Zurückführung auf die letzten Prinzipien allen Wissens darzustellen. Die einzige Frage also, die sich Leser dieser Schrift beantworten müssen, ist die: ob jene Prinzipien wahr oder falsch sind) ob durch sie wirklich die Resultate der kritischen Philosophie begründet sind. Eine solche auf die Prinzipien selbst gehende Prüfung  wünsche  ich dieser Schrift;  erwarten  kann ich sie nur von solchen Lesern nicht, denen alle Wahrheit gleichgültig ist, oder die voraussetzen, daß nach KANT keine neue Untersuchung der Prinzipien möglich ist und die höchsten Prinzipien seiner Philosophie schon von ihm selbst aufgestellt wurden. Jeden anderen Leser - sein System sei, welches auch immer, muß die Frage über die höchsten Prinzipien allen Wissens interessieren, weil auch sein System, selbst wenn es das System des Skeptizismus ist, nur durch seine  Prinzipien  wahr sein kann. Mit Leuten, die alles Interesse an einer Wahrheit verloren haben, läßt sich deswegen nichts anfangen, weil man ihnen nur  mit  Wahrheit beikommen könnte; hingegen glaube ich, gegen solche Anhänger KANTs, die voraussetzen, daß er selbst schon die Prinzipien allen Wissens aufgestellt hat, bemerken zu dürfen, daß sie wohl den Buchstaben, aber nicht den Geist ihres Lehrers gefaßt haben, wenn sie nicht einsehen lernen, daß der ganze Gang der Kritik der reinen Vernunft unmöglich der Gang der Philosophie als Wissenschaft sein kann, daß das Erste, wovon sie ausgeht, das Dasein ursprünglicher, nicht  durch  die Erfahrung möglicher Vorstellungen selbst nur durch höhere Prinzipien erklärbar sein muß, daß z. B. jene Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit, die KANT als ihren auszeichnenden Charakter aufstellt, schlechterdings nicht auf das bloße  Gefühl  derselben gegründet sein kann (was doch notwendig der Fall sein müßte, wenn sie nicht durch höhere Grundsätze bestimmbar wäre, die selbst der Skeptizismus, der durch keine bloß  gefühlte  Notwendigkeit umgestürzt werden kann, voraussetzen muß): daß ferner Raum und Zeit, die doch nur  Formen  der  Anschauung  sein sollen unmöglich vor  aller  Synthesis vorhergehen, und also keine  höhere  Form der Synthesis voraussetzen können (1), daß ebensowenig die  untergeordnete,  abgeleitete Synthesis durch  Verstandesbegriffe  ohne eine ursprüngliche Form, und einen ursprünglichen Inhalt, der  aller  Synthesis, wenn sie Synthesis sein soll, zugrunde liegen muß, denkbar ist. Dies fällt desto mehr auf, da die kantischen  Deduktionen  selbst es auf den ersten Anblick verraten, daß sie höhere Prinzipien voraussetzen. So nennt KANT als die einzig möglichen Formen sinnlicher Anschauung Raum und Zeit, ohne sie nach irgendeinem Prinzip (wie z. B. die Kategorien nach dem Prinzip der logischen Funktionen des Urteilens) erschöpft zu haben. So sind zwar die Kategorien nach der Tafel der Funktionen des Urteilens, diese selbst aber nach gar keinem Prinzip, angeordnet. Betrachtet man die Sache genauer, so findet sich, daß die im Urteilen enthaltene Synthesis zugleich mit der durch die Kategorien ausgedrückten nur eine  abgeleitete  ist, und beide nur durch eine ihnen zugrunde liegende ursprünglichere Synthesis (die Synthesis der Vielheit in der Einheit des Bewußtseins überhaupt), und  diese  selbst wieder nur durch eine höhere absolute Einheit begriffen wird, daß also die Einheit des Bewußtseins nicht durch die Formen der Urteile, sondern umgekehrt diese zugleich mit den Kategorien nur durch das Prinzip jener Einheit bestimmbar sind. Ebenso lassen sich die vielen scheinbaren Widersprüche der kantischen Schriften, die man den Gegnern der kritischen Philosophie schon lange (besonders insofern sie die Dinge-ansich betreffen) hätte einräumen sollen, schlechterdings nur durch höhere Prinzipien schlichten, die der Verfasser der "Kritik der reinen Vernunft" überall nur  voraussetzte.  Endlich gesetz auch, daß die theoretische Philosophie KANTs überall den bündigsten Zusammenhang behauptete, so ist doch seine theoretische und praktische Philosophie schlechterdings durch kein gemeinschaftliches Prinzip verbunden, die praktische scheint bei ihm nicht ein und dasselbe Gebäude mit der theoretischen, sondern nur ein Nebengebäude der ganzen Philosophie zu bilden, das noch dazu beständigen Angriffen vom Hauptgebäude aus bloß gestellt ist, dagegen, sofern das erste Prinzip der Philosophie gerade wieder ihr letztes ist, wenn das, womit  alle,  auch theoretische Philosophie anfängt, selbst wieder letztes Resultat der praktischen ist, in dem alles Wissen endet, die ganze Wissenschaft in ihrer höchsten Vollendung und Einheit möglich werden muß.

Man darf, denke ich, alles Bisherige nur nennen, um das Bedürfnis einer durch höhere Prinzipien geleiteten Darstellung der kantischen Philosophie begreiflich zu machen; ja, ich glaube, daß gerade bei einem solchen Schriftsteller der Fall eintritt, da man ihn  einzig und allein  den Prinzipien gemäß, die er vorausgesetzt haben muß, erklären und selbst gegen den ursprünglichen Sinn seiner Worte den noch ursprünglicheren der Gedanken, behaupten muß. Der vorliegende Versuch nun soll diese  Prinzipien  aufstellen. Ich wüßte mir für diesen Versuch kein größeres Glück zu versprechen, als die Prüfung der in ihm aufgestellten Prinzipien; selbst die strengste Prüfung, wenn sie nur diesen Namen verdient, würde ich mit einer Dankbarkeit aufnehmen, die gewiß mit der Wichtigkeit des Gegenstandes, den sie betreffen müßte, im Verhältnis stünde. Der achtenswerte Rezensent der obengenannten Abhandlung in den hiesigen "Gelehrten Anzeigen" (1795, 12. Stück) hat über das dort aufgestellte Prinzip eine Bemerkung mitgeteilt, die gerade den eigentlichen Hauptpunkt der ganzen Untersuchung trifft. Ich glaube aber seinen Zweifeln in der folgenden Abhandlung Genüge getan zu haben. Wäre freilich das aufgestellte Prinzip ein objektives Prinzip, so würde man unmöglich begreifen können, wie dieses Prinzip von keinem höheren abhängig sein sollte; das Unterscheidende aber des neuen Prinzips liegt gerade darin, daß es gar kein  objektives  Prinzip sein soll. Darüber bin ich mit dem Rezensenten einverstanden, daß ein objektives Prinzip nicht das höchste sein kann, weil ein solches nur wieder durch ein anderes Prinzip gefunden werden kann; die einzige zwischen ihm und mit streitige Frage ist also nur die: ob es kein Prinzip geben kann, das schlechterdings nicht objekti ist und doch die gesamte Philosophie begründet? Wenn wir freilich das, was das letzte in unserem Wissen ist, nur als ein stummes Gemälde außer uns (nach SPINOZAs Vergleich) betrachten müßten, so würden wir niemals wissen,  daß  wir wissen: wenn dies aber selbst Bedingung allen Wissens, ja die Bedingung seiner eigenen Erkenntnis, alle das einzig Unmittelbare in unserem Wissen ist, so wissen wir eben dadurch,  daß  wir wissen, wir haben ein Prinzip gefunden, von dem SPINOZA sagen konnte, es sei das Licht, das sich selbst und die Finsternis erhellt.

Es steht der Philosophie überhaupt übel an, das Urteil über die  Prinzipien  durch eine vorhergehende Aufzählung der  Resultate  zu bestechen, oder sich überhaupt gefallen zu lassen, daß man ihre Prinzipien nur am materialen Interesse des gemeinen Lebens mißt. Da jedoch ein wohlmeinender Mann dann doch in guter Absicht die Frage tun kann, wohin eigentlich solche Grundsätze, die man als ganz neue aufstellt, führen sollen, ob sie in bloßes Eigentum der Schule bleiben sollen, oder ins Leben selbst übergehen werden, so kann man ihm, wenn man nur nicht sein Urteil dadurch bestimmen will, immerhin auf die Frage antworten. Nur in dieser Hinsicht allein, und nur in Bezug auf gewisse Leser, sei es mir erlubt, in Anbetracht der Prinzipien, die der folgenden Abhandlung zugrunde liegen, zu bemerken, daß eine Philosophie, die auf das Wesen des Menschen selbst gegründet ist, nicht auf tote Formeln, als ebensoviele Gefängnisse des menschlichen Geistes, oder nur auf ein philosophisches Kunststück gehen kann, das die vorhandenen Begriffe nur wieder auf höhere zurückführt, und das lebendige Werk des menschlichen Geistes in tote Vermögen begräbt; daß sie vielmehr, wenn ich es mit einem Ausdruck JACOBIs sagen soll, darauf geht, Dasein zu enthüllen und zu offenbaren, daß also ihr  Wesen Geist nicht Formel und Buchstabe, ihr höchster Gegenstand aber nicht das durch Begriffe vermittelte, mühsam in Begriffe zusammengefaßte, sondern das unmittelbare nur sich selbst gegenwärtige im Menschen sein muß: daß ferner ihre Absicht nicht bloße auf eine Reform der Wissenschaft, sondern auf eine gänzliche Umkehrung der Prinzipien, d. h. auf eine Revolution derselben, geht, die man als die zweite mögliche auf dem Gebiet der Philosophie betrachten kann. Die  erste  erfolgte, da man als Prinzip allen Wissens eine Erkenntnis der Objekte aufstellte: bis zur zweiten Revolution war alle Veränderung nicht Veränderung der Prinzipien selbst, sondern ein Fortgang von einem Objekt zum anderen, und da es zwar nicht für die Schule, aber doch für die Menschheit selbst gleichgültig ist,  welchem  Objekt sie dient, so konnte auch der Fortgang der Philosophie von einem Objekt zum andern kein Fortschritt des menschlichen Geistes selbst sein. Darf man also noch von irgendeiner Philosophie Einfluß auf das menschliche Leben selbst erwarten, so darf man dies von der neuen nur durch eine gänzliche Umkehrung der Prinzipien möglichen Philosophie.

Es ist ein kühnes Wagestück der Vernunft, die Menschheit freizulassen, und den Schrecken der objektiven Welt zu entziehen; aber das Wagestück kann nicht fehlschlagen, weil der Mensch in dem Maße größer wird, wie er sich selbst und seine Kraft kennen lernt. Gebt dem Menschen das Bewußtsein dessen, was er  ist,  er wird bald auch lernen, zu sein, was er  soll:  Gibt ihm  theoretische  Achtung für sich selbst, die  praktische  wird bald nachfolgen. Vergebens würde man vom guten Willen der Menschen große Fortschritte der Menschheit erhoffen, denn um besser zu werden, müßten sie schon vorher gut sein: eben deswegen aber mußt die Revolution im Menschen vom  Bewußtsein  seines Wesens ausgehen, er muß theoretisch gut sein, um es praktisch zu werden, und die sicherste Vorübung auf eine mit sich selbst übereinstimmende Handlungsweise ist die Erkenntnis, daß das  Wesen  des Menschen selbst nur in der Einheit und durch Einheit besteht, denn der Mensch, der einmal zu dieser Überzeugung gekommen ist, wird auch einsehen, daß die Einheit des Wollens und des Handelns ihm ebenso natürlich und notwendig sein muß, wie die Erhaltung seines Daseins: und -  dahin  soll ja der Mensch kommen, daß die Einheit des Wollens und des Handelns ihm so natürlich wird, wie der Mechanismus seines Körpers, und die Einheit seines Bewußtseins.

Einer Philosophie nun, die als ihr erstes Prinzip die Behauptung aufstellt, daß das Wesen des Menschen nur in absoluter Freiheit besteht, daß der Mensch kein Ding, keine Sache, und seinem eigentlichen Sein nach überhaupt kein Objekt ist, sollte man freilich in einem erschlafften Zeitalter wenig Fortgang versprechen, das vor jeder aufgeregten, dem Menschen eigentümlichen Kraft zurückbebt, und bereits das erste große Produkt jener Philosophie, das den Geist des Zeitalters bisher noch  schonen  zu wollen schien, zur hergebrachten Unterwürfigkeit unter die Herrschaft objektiver Wahrheit, oder zumindest zu einem demütigen Bekenntnis, daß die  Grenzen  derselben keine Wirkung absoluter  Freiheit,  sondern bloße Folgen der anerkannten  Schwäche  des menschlichen Geistes, und der  Eingeschränktheit  seines Erkenntnisvermögens sind, herabzustimmen versucht hat. Aber es wäre eine der Philosophie unwürdige Verzagtheit, wenn sie nicht selbst hoffte, mit dem neuen großen Gang, den sie zu nehmen beginnt, auch dem menschlichen Geist eine neue Bahn vorzuzeichnen, den Erschlafften Stärke, den zerknirschten und zerschlagenen Geistern Mut und Selbstkraft zu geben, den Sklaven objektiver Wahrheit durch eine Ahnung der Freiheit zu erschüttern, und den Menschen, der in nichts, als in seiner Inkonsequenz, konsequent ist, zu lehren, daß er sich nur durch die Einheit seiner Handlungsweise, und durch eine strenge Verfolgung seiner Prinzipien retten kann.

Es ist schwer, der Begeisterung zu widerstehen, wenn man den großen Gedanken denkt, daß, so, wie alle Wissenschaften, selbst die empirischen nicht ausgenommen, immer mehr dem Punkt vollendeter Einheit entgegeneilen, auch die Menschheit selbst, das Prinzip der Einheit, das der Geschichte derselben von Anfang an als Regulativ zugrunde liegt, am Ende als konstitutives Gesetz realisieren wird: daß so wie alle Strahlen des menschlichen Wissens, und die Erfahrungen vieler Jahrhunderte sich schließlich in  einem  Brennpunkt der Wahrheit sammeln, und die Idee zur Wirklichkeit bringen werden, die schon mehreren großen Geister vorgeschwebt hat, daß nämlich aus allen verschiedenen Wissenschaften am Ende nur  eine  werden muß - ebenso auch die verschiedenen Wege und Abwege, die das Menschengeschlecht bis jetzt durchlaufen hat, schließlich in  einem  Punkt zusammenlaufen werden, an dem sich die Menschheit wieder sammeln, und als  eine  vollendete Person demselben Gesetz der Freiheit gehorchen wird. Mag dieser Zeitpunkt noch so entfernt, mag es auch noch so lange möglich sein, über die kühnen Hoffnungen vom Fortschritt der Menschheit ein vornehmes Gelächter aufzuschlagen, so ist doch für diejenigen, denen diese Hoffnungen keine Torheit sind, das große Werk aufbehalten, durch gemeinschaftliches Arbeiten an der  Vollendung  der Wissenschaft, jene große Periode der Menschheit zumindest vorzubereiten. Denn alle Ideen müssen sich zuvor auf dem Gebiet des Wissens realisiert haben, ehe sie sich in der Geschichte realisieren: und die Menschheit wird nie  eine  werden, ehe ihr Wissen zur Einheit gediehen ist.

Die Natur hat für menschliche Augen nachweisbar durch die Einrichtung gesorgt, daß sie nur durch Dämmerung zum vollen Tag übergehen. Wen wundert es da, daß noch in den unteren Regionen kleine Nebel zurückbleiben, während die Berge schon im Sonnenglanz dastehen. Wenn aber die Morgenröte einmal da ist, kann die Sonne nicht ausbleiben. Diesen schöneren Tag der Wissenschaft wirklich herbeizuführen, ist nur Wenigen - vielleicht nur Einem - vorbehalten, aber immerhin möge es dem Einzlnen, der den kommenden Tag ahnt, vergönnt sein, sich im Voraus desselben zu freuen.

Was ich im folgenden Versuch und auch in der Vorrede gesagt habe, ist, wie ich wohl weiß, für Viele zu  viel,  für mich selbst zu  wenig;  desto größer aber ist der Gegenstand, den beide betreffen. Ob es zu große Kühnheit war, über einen solchen Gegenstand mitzusprechen, darüber kann nur der Versuch selbst Rechenschaft geben - sie mag nun ausfallen, wie sie will, so wäre jede vorher gegebene Antwort verlorene Mühe gewesen. Daß ein Leser, der auf Verdrehungen und Mißverständnisse ausgeht, Mängel genug  finden  kann, ist natürlich: daß ich aber nicht im Voraus jeden Tadel als ungerecht, jede Belehrung als zwecklos ansehe, glaube ich durch eine bescheidene Bitte um strenge Prüfung deutlich genug zu erklären. Daß ich Wahrheit  gewollt  habe, weiß ich ebensogut, als ich mir bewußt bin, in einer Lage, die fragmentarisches Arbeiten in diesem Feld nicht notwendig macht, mehr tun zu können und hoffen darf ich es, daß mir noch irgendeine glückliche Zeit vorbehalten ist, in der es mir möglich wird, der Idee, ein Gegenstück zu SPINOZAs  Ethik  aufzustellen, Realität zu geben.



§ 1.

Wer etwas wissen will, will zugleich, daß sein Wissen Realität habe. Ein Wissen ohne Realität ist kein Wissen. Was folgt daraus?

Entweder muß unser Wissen schlechthin ohne Realität - ein ewiger Kreislauf, ein beständiges wechselseitiges Verfließen aller einzelnen Sätze ineinander, ein Chaos sein, in dem sich kein Element scheidet, oder -

Es muß einen letzten Punkt der Realität geben, an dem alles hängt, von dem aller Bestand und alle Form unseres Wissens ausgeht, der die Elemente scheidet und jedem den Kreis seiner fortschreitenden Wirkung im Universum des Wissens beschreibt.

Es muß etwas geben, in dem und durch welches alles, was da ist, zum Dasein, alles, was gedacht wird, zur Realität, und das Denken selbst zur Form der Einheit und Unwandelbarkeit gelangt. Dieses Etwas (wie wir es vorerst problematisch bezeichnen können), müßte das Vollendende im ganzen System des menschlichen Wissens sein, es müßte überall, wo unser letztes Denken und Erkennen noch hinreicht - im ganzen  kosmos  unseres Wissens - zugleich als Urgrund aller Realität herrschen.

Gibt es überhaupt ein Wissen, so muß es ein Wissen geben, zu dem ich nicht wieder durch ein anderes Wissen gelange, und durch welches allein alles andere Wissen Wissen ist. Wir brauchen nicht eine besondere Art von Wissen vorauszusetzen, um zu diesem Satz zu gelangen. Wenn wir nur überhaupt etwas wissen, so müssen wir auch  eines  zumindest wissen, zu dem wir nicht wieder durh ein anderes Wissen gelangen, und das selbst den Realgrund all unseres Wissens enthält.

Dieses Letzte im menschlichen Wissen kann also seinen Realgrund nicht wieder in etwas anderem suchen müssen, es ist nicht nur  selbst  unabhängig von irgendetwas  Höherem,  sondern, da unser Wissen nur von der Folge zum Grund aufsteigt, und umgekehrt vom Grund zur Folge fortschreitet, muß auch das, was das Höchste, und für uns Prinzip allen Erkennens ist, nicht wieder durch ein anderes Prinzip erkennbar sein, d. h. das Prinzip seines Seins und das Prinzip seines Erkennens muß zusammenfallen, muß  eines  sein, denn nur, weile es  selbst,  nicht weil irgendetwas anderes ist, kann es gedacht werden. Es muß also gedacht werden, nur weil es ist, und es muß sein, nicht weil irgendetwas anderes, sondern weil es selbst gedacht wird: sein Bejahen muß in seinem Denken enthalten sein, es muß sich durch sein Denken selbst hervorbringen. Müßte man, um zu seinem Denken zu gelangen, ein anderes denken, so wäre dieses höher als das Höchste, das sich widerspricht: um zum Höchsten zu gelangen, brauche ich nichts, als dieses Höchste selbst - das Absolute kann nur durch das Absolute gegeben werden.

Unsere Untersuchung wird also nun schon bestimmter. Wir setzten ursprünglich nichts, als einen letzten Grund der Realität allen Wissens: nun haben wir durch das Merkmal, daß er letzter, absoluter Grund sein muß, schon zugleich sein Sein bestimmt. Der letzte Grund aller Realität nämlich ist ein Etwas, das nur durch sich selbst, d. h. durch sein Sein denkbar ist, das nur insofern gedacht wird, als es ist, kurz,  bei dem das Prinzip des Sens und des Denkens zusammenfällt.  Unsere Frage läßt sich nun schon ganz bestimmt ausdrücken, und die Untersuchung hat einen Leitfaden der sie niemals verlassen kann.


§ 2.

Ein Wissen, zu dem ich nur durch ein anderes Wissen gelangen kann, heiße ich ein  bedingtes  Wissen. Die Kette unseres Wissens geht von einem Bedingten zum andern: entweder muß nun das Ganze keine Haltung haben, oder man muß glauben können, daß es so ins Unendlich fortgeht, oder es muß irgendeinen letzten Punkt geben, an dem das Ganze hängt der aber wegen allem, was noch in die Sphäre des Bedingten fällt, im Hinblick auf das Prinzip seines Seins geradezu  entgegengesetzt,  d. h. nicht nur unbedingt, sondern schlechthin  unbedingbar  sein muß.

Alle möglichen Theorien des Unbedingten müssen sich, wenn die einzig richtige einmal gefunden ist, a priori bestimmen lassen; solange diese selbst noch nicht aufgestellt ist, muß man dem empirischen Fortgang der Philosophie folgen; ob in diesem alle möglichen Theorien liegen, muß sich am Ende erst ergeben.

Sobald die Philosophie Wissenschaft zu werden anfängt, muß sie auch einen obersten Grundsatz und mit ihm irgendetwas Unbedingtes wenigstens  voraussetzen. 

Das Unbedingte im  Objekt,  im  Ding  suchen, kann nicht heißen es im  Gattungsbegriff  von "Ding" suchen. Denn daß ein Gattungsbegriff nichts Unbedingtes sein kann, springt in die Augen. Mithin muß es so viel heißen wie das Unbedingte in einem  absoluten  Objekt suchen, das weder Gattung, noch Art, noch Individuum ist - (Prinzip des vollendeten  Dogmatismus). 

Allein, was Ding ist, ist zugleich selbst  Objekt  des Erkennens, ist also selbst ein Glied in der Kette unseres Wissens, fällt selbst in die Sphäre der Erkennbarkeit, und kann also nicht den Realgrund  allen  Wissens und Erkennens enthalten. Um zu einem Objekt,  als  solchem, zu gelangen, muß ich schon ein anderes Objekt haben, dem es entgegengesetzt werden kann, und wenn das Prinzip allen Wissens im Objekt liegt, so muß ich selbst wieder ein neues Prinzip haben, um dieses Prinzip zu finden.

Ferner soll das Unbedingte (§ 1.) sich selbst realisieren, sich selbst durch sein Denken hervorbringen; das Prinzip seines Seins und seines Denkens soll zusammenfallen. Allein ein Objekt realisiert sich niemals selbst; um zur Existenz eines Objekts zu gelangen, muß ich über den Begriff des Objekts hinausgehen: seine Existenz ist kein Teil seiner Realität: ich kann seine Realität denken, ohne es zugleich als existierend zu setzen. Man nehme z. B. an, daß Gott, insofern er als Objekt bestimmt ist, Realgrund unseres Wissen ist, so fällt er ja, insofern er  Objekt  ist, selbst in die Sphäre unsers Wissens, kann also für uns nicht der letzte Punkt sein, an dem diese ganze Sphäre hängt. Wir wollen auch nicht wissen, was Gott  für sich  selbst ist, sondern was er  für uns  in Bezug auf unser  Wissen  ist; Gott kann also immerhin für sich selbst Realgrund  seines  Wissens sein, aber für  uns  ist er es nicht, weil er für uns  selbst Objekt  ist, also in der Kette unseres Wissens selbst irgendeinen Grund voraussetzt, der ihm seine Notwendigkeit für dasselbe bestimmt.

Objekt überhaupt bestimmt sich als solches, ebendeswegen,  weil  und  insofern,  als es Objekt ist, seine Realität niemals selbst: denn es ist nur  insofern Objekt,  als ihm seine Realität durch etwas anderes bestimmt ist: ja insofern es Objekt ist, setzt es notwendig etwas voraus, in Bezug auf welches es  Objekt  ist, d. h. ein Subjekt.

Subjekt  nenne ich vorerst das, was nur im  Gegensatz,  aber doch  in Bezug  auf ein schon gesetztes  Objekt,  bestimmbar ist.  Objekt  das, was nur im  Gegensatz,  aber  doch in Bezug auf  ein Subjekt, bestimmtbar ist. Wenn also das Objekt überhaupt nicht das Unbedingte sein kann, weil es notwendig ein Subjekt voraussetzt, das ihm durch das Herausgehen aus der Sphäre seines bloßen Gedachtwerdens sein  Dasein  bestimmt, so ist der nächste Gedanke, das Unbedingte in dem durch das Subjekt bestimmten, nur in Bezug auf dieses denkbaren Objekt, oder, da Objekt notwendig Subjekt, Subjekt notwendig Objekt voraussetzt, in dem durch das Objekt bestimmten, nur in Bezug auf dieses denkbaren Subjekt zu suchen. Allein dieser Versuch, das Unbedingte zu realisieren, schließt einen Widerspruch in sich, der auf den ersten Blick einleuchtet. Ebendeswegen, weil das Subjekt nur in Bezug auf ein Objekt, das Objekt nur in Bezug auf ein Subjekt denkbar ist, kann keines von beiden das Unbedingte enthalten: denn beide sind wechselseitig durcheinander bedingt; beide einander gleichgesetzt. Auch muß, um das  Verhältnis  beider zu bestimmen, notwendig wieder ein höherer Bestimmungsgrund vorausgesetzt werden, durch den sie beide bedingt sind. Denn man kann nicht sagen, daß das Subjekt das Objekt allein bedingt, denn Subjekt ist ebensogut nur in Bezug auf ein Objekt, als Objekt nur in Bezug auf ein Subjekt denkbar, und es wäre gleichviel, ob ich das durch ein Objekt bedingte Subjekt, oder das durch ein Subjekt bedingte Objekt zum Unbedingten machen wollte, ja das Subjekt ist selbst zugleich als Objekt bestimmbar, und insofern fiele auch dieser Versuch, das Subjekt zum Unbedingten zu machen, ebenso unglücklich aus, wie der andere mit dem absoluten Objekt angestellte.

Unsere Frage: wo das Unbedingte zu suchen ist, klärt sich nun allmählich und von selbst auf. Anfänglich fragten wir nur: in welchem bestimmten Objekt in der Sphäre der Objekte das Unbedingte zu finden ist: nun zeigt es sich, daß es  überall  nicht in der Sphäre der Objekte, und selbst nicht im Subjekt, das gleichfalls als Objekt bestimmtbar ist, zu suchen ist.


§ 3.

Die philosophische Bildung der Sprachen, die vorzüglich noch an den ursprünglichen sichtbar wird, ist ein wahrhaftes durch den Mechanismus des menschlichen Geistes gewirktes Wunder. So ist unser bisher unabsichtlich gebrauchtes deutsches Wort  Bedingen  nebst den abgeleiteten in der Tat ein vortreffliches Wort, von dem man sagen kann, daß es beinahe den ganzen Schatz philosophischer Wahrheit enthält.

Bedingen  heißt die Handlung, wodurch etwas zum  Ding  wird,  bedingt,  das, was zum Ding  gemacht  ist, woraus sich zugleich erhellt, daß nichts  durch sich selbst  als  Ding  gesetzt sein kann, d. h. daß ein unbedingtes Ding ein Widerspruch ist.  Unbedingt  nämlich ist das, was gar nicht zum Ding  gemacht  ist, gar nicht zum Ding werden kann.

Das Problem als, das wir zur Lösung aufstellten, verwandelt sich nun in das Bestimmtere,  etwas zu finden, das schlechterdings nicht als Ding gedacht werden kann. 

Das Unbedingte kann also weder im Ding überhaupt, noch auch in dem, was zum Ding werden kann, im Subjekt, also nur in dem, was gar kein Ding werden kann, d. h. wenn es ein absolutes  ICH  gibt, nur im  absoluten Ich  liegen. Das  absolute Ich  wäre also vorerst als dasjenige bestimmt,  was schlechterdings niemals Objekt werden kann. Weiter  soll es vorerst noch nicht bestimmt werden.

Daß  es ein absolutes Ich gibt, das läßt sich schlechterdings nicht  objektiv,  d. h. vom Ich als Objekt beweisen, denn eben das soll ja bewiesen werden, daß es gar nie Objekt werden kann. Das Ich, wenn es unbedingt sein soll, muß außer aller Sphäre objektiver Beweisbarkeit liegen. Objektiv  beweisen,  daß das Ich unbedingt ist, hieße beweisen, daß es bedingt ist. Beim Unbedingten muß das Prinzip seines Seins und das Prinzip seines Denkens zusammenfallen. Es ist, bloß  weil  es ist, es wird gedacht, bloß  weil  es gedacht wird. Das Absolute kann nur durch das Absolute gegeben sein, ja, wenn es absolut sein soll, muß es selbst allem Denken und Vorstellen vorhergehen, also nicht erst durch objektive Beweise, d. h. dadurch, daß man über seinen Begriff hinausgeht, sondern nur  durch sich selbst  realisiert werden. (§ 1.) Sollte das Ich nicht  durch sich selbst  realisiert sein, so müßte der Satz, welcher sein Sein ausdrückt,  dieser  sein:  wenn  Ich bin,  so  bin Ich. Allein die Bedingung dieses Satzes schließt selbst schon das Bedingte in sich: die Bedingung ist selbst nicht ohne das Bedingte  denkbar,  ich kann nicht  mich  unter der  Bedingung  meines Seins denken, ohne mich als schon seiend zu denken. In jenem Satz also bedingt nicht die Bedingung das Bedingte, sondern umgekehrt das Bedingte die Bedingung, d. h. er hebt sich selbst als bedingter Satz auf, und wird zum unbedingten:  Ich bin, weil Ich bin. 

Ich bin!  Mein Ich enthält ein Sein, das allem Denken und Vorstellen vorausgeht. Es ist, indem es gedacht wird, und es wird gedacht, weil es ist; deswegen, weil es nur insofern ist und nur insofern gedacht wird, als es  sich selbst  denkt. Es ist also, weil es nur  selbst  sich denkt, und es denkt sich nur selbst, weil es ist.  Es  bringt sich durch sein Denken selbst - aus absoluter Kausalität - hervor.

Ich bin, weil Ich bin! das ergreift jeden plötzlich. Sagt ihm:  das Ich  ist, weil es ist, er wird es nicht so schnell fassen; deswegen, weil das Ich nur insofern  durch sich selbst,  nur insofern  unbedingt  ist, als es zugleich  unbedingbar  ist, d. h. niemals zum Ding, zum Objekt werden kann. Was Objekt ist, erwartet seine Existenz von etwas,, das außerhalb der Sphäre seines bloßen Gedachtwerdens liegt; das  ICH  allein ist nichts, ist selbst nicht denkbar, ohne daß zugleich sein Sein gesetzt wird,  denn es ist gar nicht anders denkbar, als daß es sich selbst denkt, d. h. insofern es ist.  Wir können also auch nicht sagen:  Alles,  was denkt, ist, denn dadurch würde das Denkende als Objekt bestimmt, sondern nur  Ich  denke,  Ich  bin. (Eben hieraus erhellt sich aber, daß, sobald wir das, was niemals Objekt werden kann, zum  logischen  Objekt machen, und Untersuchungen eine ganz eigene  Unfaßlichkeit  haben müssen. Denn es ist als Objekt schlechterdings nicht zu fesseln, und käme uns nicht eine Anschauung zuhilfe, die uns, insofern wir mit unserem Erkennen an Objekte gebunden sind, ebenso fremd ist, wie ein Ich, das niemals zum Objekt werden kann, so würden wir gar nicht darüber sprechen, einander gar nicht verständlich werden können.)

Das  Ich  ist also nur  durch sich selbst  als unbedingt gegeben. (2) Jedoch, wenn es zugleich als dasjenige bestimmt ist, was durch das gesamte System meines Wissens hindurch herrscht, so muß auch ein  Regressus  möglich sein; d. h. ich muß, selbst vom untersten bedingten Satz, zum Unbedingten  auf steigen können, wie ich umgekehrt vom unbedingten Satz zum untersten in der Reihe der bedingten  herab steigen kann.

Man mag also in der Reihe der bedingten Sätze herausnehmen, welchen man will, so muß er im Regressus auf das absolute Ich führen. So muß, um zu einem der vorigen Beispiele zurückzukehren, der Begriff vom Subjekt auf das absolute Ich leiten. Gäbe es nämlich kein  absolutes Ich,  so wäre der Begriff vom  Subjekt,  d. h. der Begriff des durch ein  Objekt  bedingten Ichs der höchste. Allein, da der Begriff vom Objekt eine Antithese enthält, so muß er ursprünglich selbst nur im Gegensatz gegen ein anderes, das seinen Begriff schlechthin  ausschließt,  bestimmt sein, kann also nicht bloß im Gegensatz gegen das Subjekt bestimmbar sein, das nur  in Bezug  auf ein  Objekt,  also nicht mit  Ausschluß  desselben, denkbar ist; mithin muß der Begriff vom Objekt selbst, und der nur in Bezug auf diesen Begriff denkbare Begriff vom Subjekt auf ein Absolutes leiten, das schlechthin allem Objekt entgegengesetzt ist, alles Objekt ausschließt. Denn, gesetzt, es ist ein Objekt ursprünglich gesetzt, ohne daß vor allem anderen Setzen ein absolutes Ich schlechthin gesetzt ist, so kann jenes ursprünglich gesetzte Objekt, nicht  als  Objekt, d. h. als dem Ich entgegengesetzt bestimmt werden, weil dem, das nicht gesetzt ist, nichts entgegengesetzt werden kann. Mithin wäre ein vor allem Ich gesetztes Objekt  kein  Objekt, d. h. jene Annahme hebt sich von selbst auf. Oder gesetzt, es ist zwar ein Ich, aber als schon aufgehoben durch das Objekt, also ein  Subjekt  ursprünglich gesetzt, so zerstört sich diese Annahme abermals selbst: denn, wo kein absolutes Ich gesetzt ist, da kann es nicht aufgehoben werden, und gäbe es kein Ich,  vor  allem Objekt, so gäbe es auch kein Objekt, wodurch das  Ich  als schon aufgehoben gesetzt werden könnte. (Wir stellen uns eine Kette des Wissens vor, die durchaus bedingt ist, und nur in einem obersten unbedingten Punkt Haltung bekommt. Nun kann das Bedingte in der Kette überhaupt nur durch eine Voraussetzung der absoluten Bedingung, d. h. des Unbedingten gedacht werden. Mithin kann das Bedingte nicht  vor  dem Unbedingten (Unbedingbaren), sondern nur  durch  dieses, in der  Entgegensetzung  gegen dasselbe, als  bedingt  gesetzt werden, ist also, da es  nur  als bedingt gesetzt ist, nur durch das, was  gar  kein Ding, d. h. unbedingt ist, denkbar.) - Das Objekt selbst ist also ursprünglich nur im Gegensatz gegen das absolute Ich, d. h. bloße als das dem Ich entgegengesetzte, als  Nicht-Ich,  bestimmbar: und die Begriffe von Subjekt und Objekt sind selbst Bürgen des absoluten, unbedingbaren Ichs.


§ 4.

Wenn einmal das Ich als das Unbedingte im menschlichen Wissen bestimmt ist, so muß sich der ganze Inhalt allen Wissens durch das Ich selbst, und durch die Entgegensetzung gegen das Ich bestimmen lassen: und so muß man auch alle möglichen Theorien des Unbedingten a priori entwerfen können.

Wenn nämlich das Ich das absolute ist, so kann das, was nicht Ich ist, nur im Gegensatz gegen das Ich, also nur unter der Voraussetzung eines Ichs bestimmt werden, und ein schlechthin  gesetztes,  nicht  entgegengesetztes  Nicht-Ich ist ein Widerspruch. Wird hingegen das Ich nicht als das absolute vorausgesetzt, so kann das Nicht-Ich entweder vor allem Ich oder dem Ich gleichgesetzt werden. Ein Drittes ist nicht möglich.

Die beiden Extreme sind Dogmatismus und Kritizismus. Prinzip des Dogmatismus ist ein vor allem Ich gesetztes Nicht-Ich, Prinzip des Kritizismus ein vor allem Nicht-Ich und mit Ausschließung allen Nicht-Ichs gesetztes Ich. Zwischen beiden mittendrin liegt das Prinzip des durch ein Nicht-Ich bedingten Ichs, oder, was dasselbe ist, des durch ein Ich bedingten Nicht-Ichs.

1. Das Prinzip des  Dogmatismus  widerspricht sich selbst (§ 4.), denn es setzt ein unbedingtes Ding, d. h. ein Ding, das kein Ding ist, voraus. Man gewinnt also beim Dogmatismus durch Konsequenz (das erste Erfordernis einer wahren Philosophie) nichts, als daß das, was nicht Ich ist, Ich, das was Ich ist, Nicht-Ich wird, wie dies auch bei SPINOZA der Fall ist. Aber noch hat kein Dogmatiker bewiesen, daß ein Nicht-Ich sich selbst Realität geben und außer der bloßen Entgegensetzung gegen ein absolutes Ich noch irgendetwas anderes bedeuten könnte. Auch SPINOZA hat nirgends bewiesen, daß das Unbedingte im Nicht-Ich liegen kann, und liegen muß; vielmehr setzt er, nur durch seinen Begriff des Absoluten geleitet, dieses geradezu in ein absolutes Objekt, gleichsam als ob er voraussetzte, daß jeder, der ihm nur einmal den Begriff des Unbedingten eingeräumt hätte, ihm darin von selbst folgen würde, daß es notwendig in ein Nicht-Ich gesetzt werden muß. Dabei aber erfüllte er, nachdem er einmal  diesen  Satz, nicht bewiesen, sondern vorausgesetzt hatte, die Pflicht der Konsequenz so streng, wie sie vielleicht keiner seiner Gegner erfüllt hat. Denn es offenbart sich plötzlich, daß er - gleichsam wider seinen Willen, durch die bloße Macht seiner vor keiner Folge aus angenommenen Grundsätzen zurückbebenden Konsequenz, das Nicht-Ich selbst zum Ich erhebt, das Ich zum Nicht-Ich herabsetzt. Die Welt ist bei ihm nicht mehr Welt, das absolute Objekt niemals Objekt; keine sinnliche Anschauung, kein Begriff erreicht seine eigene Substanz, nur der intellektuellen Anschauung ist sie in ihrer Unendlichkeit gegenwärtig. Sein System kann daher überall und bei unserer ganzen Untersuchung an die Stelle des vollendeten Dogmatismus überhaupt substituiert werden. Kein Philosoph war so würdig, wie Er, den großen Mißverstand einzusehen: ihn einsehen und am Ziel sein, wäre - für Ihn  Eins  gewesen. Kein Vorwurf ist unerträglicher, als der, den man ihm so oft gemacht hat, daß er die Idee von absoluter Substanz willkürlich, und wohl gar nur durch eine willkürliche Worterklärung voraussetzt. Aber freilich ist es leichter, ein ganzes System durch eine kleine grammatikalische Bemerkung umzuwerfen, als auf sein letztes Fundament, das, selbst wenn es noch so irrig ist, doch irgendwo im menschlichen Geist entdeckbar sein muß, anzudringen. - Der Erste, der es einsah, daß SPINOZAs Irrtum nicht in jener Idee, sondern darin liegt, daß er sie außerhalb allen Ichs setzte, hatte ihn verstanden und den Weg zur Wissenschaft gefunden.


§ 3.

2. Das System, das vom Subjekt, d. h. von dem nur in Bezug auf ein Objekt denkbaren Ich ausgeht, das also weder Dogmatismus noch Kritizismus ist, widerspricht sich in seinem Prinzip, insofern es ein  höchstes  Prinzip sein soll. so gut wie der Dogmatismus. Es ist aber wohl der Mühe wert, dem Ursprung dieses Prinzips weiter nachzugehen.

Man setzte - freilich etwas schnell - voraus, das oberste Prinzip aller Philosophie müsse eine  Tatsache  ausdrücken. Verstand man, allem Sprachgebrauch zufolge, unter Tatsache etwas, das außer dem reinen, absoluten Ich (also in der Sphäre des  Bedingten)  liegt, so mußte notwendig die Frage entstehen: was soll Prinzip dieser Tatsache sein? - Eine Erscheinung oder ein Ding-ansich? - war die nächste Frage, die man, da man einmal in der Welt der  Objekte  war, nun tun konnte? - Eine Erscheinung? - Was sollte Prinzip dieser Erscheinung sein? (z. B. wenn die Vorstellung, die doch selbst nur Erscheinung ist, als Prinzip aller Philosophie aufgestellt wurde.) Wieder eine Erscheinung, und so fort bis ins Unendliche? - Oder wollte man, daß jene Erscheinung, die Prinzip der Tatsache sein sollte, keine andere Erscheinung mehr voraussetzt? - Oder ein Ding ansich? Laßt uns die Sache genauer betrachten!

Das  Ding-ansich  ist das vor allem Ich gesetzte Nicht-Ich. - (Die Spekulation verlangt das Unbedingte. ist nun einmal die Frage, wo das Unbedingte liegt, vom Einen fürs Ich, vom Andern für das Nicht-Ich entschieden, so müssen die Systeme beider ganz gleich fortgehen: was der Eine vom Ich behauptet, muß der Andere vom Nicht-Ich behaupten und umgekehrt: kurz, man muß all ihre Sätze durchaus verwechseln können, wenn man nur beim Einen statt des Ichs ein Nicht-Ich und beim Andern statt des Nicht-Ichs ein Ich setzt, wo man dies nicht ohne Schaden des Systems tun könnte, müßte einer von beiden inkonsequent gewesen sein) -  Erscheinung  ist das durch das Ich bedingte Nicht-Ich.

Soll nun das Prinzip aller Philosophie eine Tatsache, und das Prinzip dieser ein  Ding-ansich  sein, so ist eben dadurch alles Ich aufgehoben, es gibt kein reines Ich mehr, keine Freiheit, keine Realität - nichts als Negation im Ich. Denn es ist ursprünglich  aufgehoben,  wenn ein Nicht-Ich absolut gesetzt ist, alles Nicht-Ich ursprünglich aufgehoben, und als bloße Negation gesetzt wird. (Das System, das vom  Subjekt,  d. h. vom  bedingten  Ich ausgeht, muß also notwendig ein  Ding-ansich  voraussetzen, das jedoch in der Vorstellung, d. h. als  Objekt  nur in Bezug auf das Subjekt, d. h. als  Erscheinung  vorkommen kann, kurz, es verfällt in einen Realismus, der der unbegreiflichste, inkonsequenteste von allen ist.)

Soll das letzte Prinzip jener Tatsache eine  Erscheinung  sein, so hebt es sich selbst unmittelbar als höchstes Prinzip auf; denn eine unbedingte Erscheinung widerspricht sich, und alle Philosophen, die ein Nicht-Ich zum Prinzip der Philosophie machten, erhoben dasselbe zugleich zu einem absoluten, unabhängig von allem Ich gesetzten Nicht-Ich, d. h. zu einem Ding ansich.

Befremdend würde es allerdings sein, aus dem Mund solcher Philosophen, die eine Freiheit des Ichs behaupten, zugleich die Behauptung, daß das Prinzip aller Philosophie eine Tatsache sein muuß, zu hören, wenn man wirklich voraussetzen dürfte, daß sie als nächste Folge jener Behauptung auch die Behauptung gedacht hätten, daß das Prinzip aller Philosphie ein Nicht-Ich sein muß.

(Diese Folge ist notwendig. Denn das Ich ist nur als Subjekt, d. h. bedingt gesetzt, kann also nicht das Prinzip sein. Also muß entweder zugleich mit diesem Prinzip, insofern es das  höchst mögliche sein soll,  alle  Philosophie als unbedingte Wissenschaft aufgehoben, oder das Objekt als ursprünglich und unabhängig von allem Ich vorausgesetzt, das Ich selbst also als nur im Gegensatz gegen ein absolutes Etwas setzbar, d. h. als absolutes Nichts bestimmt werden.)

Allein jene Philosophen wollten wirklich das Ich, und kein Nicht-Ich zum Prinzip der Philosophie, aber der Begriff von Tatsache sollte deshalb nicht aufgegeben werden. Um sich aus dem Dilemma, das sie vor sich sahen, herauszuhelfen, mußten sie also zwar das Ich, aber nicht das absolute, sondern das empirisch-bedingte als Prinzip aller Philosophie wählen. Was konnte auch näher liegen? Sie hatten nun och ein Ich zum Prinzip der Philosophie - ihre Philosophie war kein Dogmatismus, zugleich aber hatten sie eine Tatsache, denn daß das empirische Ich Prinzip einer Tatsache ist, wer wollte das leugnen?

Allein freilich konnte man sich damit nur eine zeitlang zufriedenstellen. Denn, die Sache näher betrachtet, war nun entweder  gar  nichts, oder nur  das  gewonnen, daß man wieder ein Nicht-Ich zum Prinzip der Philosophie hatte. Denn, daß es gleichviel ist, ob ich von dem durch ein Nicht-Ich bedingten Ich, oder von dem durch ein Ich bedingten Nicht-Ich ausgehe, leuchtet von selbst in die Augen. Auch ist gerade das durch das Nicht-Ich bestimmte Ich etwas, worauf auch der Dogmatismus kommen muß, nur etwas später vielleicht, worauf alle Philosophie notwendig hinführt. Auch müßten notwendig alle Philosophen das durch das Nicht-Ich bedingte Ich auf dieselbe Weise erklären, wenn sie nicht  vor  dieser Tatsache (dem Bedingtsein des Ichs) etwas Höheres, worüber sie versteckterweise uneinig sind, als Bedingung (Erklärungsgrund) des bedingten Ichs und Nicht-Ichs aufstellten; was nun nichts anderes mehr sein kann, als entweder ein nicht durch das Ich bedingtes absolutes Nicht-Ich oder ein nicht durch das Nicht-Ich bedingtes (absolutes) Ich. Allein dieses war eben dadurch schon als aufgehoben gesetzt, daß das  Subjekt  als Prinzip der Philosophie aufgestellt war; mithin mußte, wenn man konsequent sein wollte, entweder alle weitere Bestimmung dieses Grundsatzes, d. h. alle Philosophie aufgegeben, oder ein absolutes Nicht-Ich, d. H. das Prinzip des Dogmatismus, also wieder ein sich selbst widersprechendes Prinzip (§ 4.), angenommen werden. Kurz, das Prinzip, wenn es das höchste sein sollte, mußte, es mochte sich wo auch immer hinwenden, auf Widersprüche stoßen, die auch nur durch Inkonsequenz und prekäre Beweise einigermaßen versteckt werden konnten. Und so wäre dann freilich, wenn die Philosophen einmal über dieses Prinzip, als das  höchste,  einig gewesen wären, Friede in der philosophischen Welt entstanden: denn über die bloße Analyse desselben wäre man bald einig geworden, und so wie irgendeiner über diese hinauszugehen, und die aus demselben analysierte Tatsache einer Bestimmung des Ich durch das Nicht-Ich, und des Nicht-Ichs durch das Ich (denn weiter wäre man durch bloße Analyse nicht gekommen) synthetisch zu erklären versucht hätte, hätte er den Vertrag gebrochen und ein höheres Prinzip vorausgesetzt.
    Anmerkung:  Diesen Versuch, das empirisch-bedingte (im Bewußtsein vorkommende) Ich zum Prinzip der Philosophie zu erheben, hat bekanntermaßen REINHOLD gemacht. Man würde sehr wenig Einsicht in den notwendigen Gang aller Wissenschaften verraten, wenn man dieses Versuchs auch dann, wenn die Philosophie weiter vorgerückt ist, nicht mit der größten Achtung erwähnen wollte. Er war nicht  dazu  bestimmt, das eigentliche Problem der Philosophie zu  lösen,  aber  dazu,  es auf die bestimmteste Art vorzustellen, und wer weiß nicht, welche große Wirkung eine solche bestimmte Vorstellung des eigentlichen Streitpunkts gerade in der Philosophie hervorbringen muß, wo diese Bestimmung gewöhnlich nur durch einen glücklichen Vorblick auf die zu entdeckende Wahrheit selbst möglich wird. Auch der Verfasser der "Kritik der reinen Vernunft" wußte bei seiner Ansicht, schließlich den Streit der Philosophen nicht nur, sondern sogar der Philosophie selbst zu schlichten, nichts eher zu tun, als den eigentlichen Streitpunkt, der ihm zugrunde lag, in einer allesbefassenden Frage zu bestimmen, die er so ausdrückte: wie sind synthetische Urteile a priori mögich? Es wird sich im Verlauf dieser Untersuchung zeigen, daß diese Frage, in ihrer höchsten Abstraktion vorgestellt, keine andere, als diese ist: wie kommt das absolute Ich dazu, aus sich selbst herauszugehen und sich ein Nicht-Ich schlechthin entgegenzusetzen? Es war ganz natürlich, daß die Frage, solange sie nicht in ihrer höchsten Abstraktion vorgestellt war, so wie die Antwort darauf, mißverstanden werden mußte. Das nächste Verdienst also, das ein denkender Kopf sich machen konnte, war offenbar dieses, die Frage selbst in einer höheren Abstraktion vorzustellen, und so die Antwort darauf auf eine sichere Art vorzubereiten. Dieses Verdienst hat sich auch der Verfasser der Theorie des Vorstellungsvermögens durch die Aufstellung des Grundsatzes des Bewußtseins wirklich erworben; in ihm war die letzte Stufe der Abstraktion erstiegen, auf der man stehen mußte, ehe man zu  dem  kommen konnte, das höher ist, als alle Abstraktion.

§ 6.

Das vollendete System der Wissenschaft geht von einem absoluten, allem entgegengesetzte ausschließenden  Ich  aus. Dieses als das  eine  Unbedingbare bedingt die ganze Kette des Wissens, beschreibt die Sphäre alles Denkbaren und herrscht durch das ganze System unseres Wissens als die absolute alles begreifende Realität. Nur durch ein absolutes  Ich,  nur dadurch, daß dieses selbst schlechthin gesetzt ist, wird es möglich, daß ein Nicht-Ich ihm entgegengesetzt, ja daß die Philosophie selbst möglich wird, denn das ganze Geschäft der theoretischen und praktischen Philosophie ist nichts anderes als die Lösung des Widerstreits zwischen dem reinen und dem empirisch-bedingten Ich (3). Jene nämlich geht, um diesen Widerstreit zu lösen, von Synthesis zu Synthesis fort, bis zu der höchstmöglichen, in der Ich und Nicht-Ich gleichgesetzt wird, (Gott), wo dann, da die theoretische Vernunft in lauter Widersprüchen endet, die praktische eintritt, um den Knoten zwar nicht zu ösen, aber durch absolute Forderungen zu zerhauen.

Sollte demnach das Prinzip aller Philosophie das empirisch-bedingte Ich sein, (worin im Grunde der Dogmatismus und der unvollendete Kritizismus übereinstimmen), so wäre alle Spontaneität des Ichs, theoretische und praktische, ganz unerklärbar. Das theoretische Ich nämlich strebt, Ich und Nicht-Ich gleichzusetzen, also das Nicht-Ich  selbst  zur Form des Ichs zu erheben; das praktische strebt nach reiner Einheit, mit  Ausschließung  jedes Nicht-Ichs - beide nur insofern, als das absolute Ich absolute Kausalität, und reine Identität hat. Das letzte Prinzip der Philosophie kann also schlechterdings nichts außerhalb des absoluten Ichs liegendes, es kann weder Erscheinung noch Ding-ansich sein.

Das absolute Ich ist keine Erscheinung; denn dem widerspricht schon der Begriff des Absoluten; es ist aber weder Erscheinung, noch Ding-ansich, weil es  überhaupt  kein Ding, sondern schlechthin Ich und bloßes Ich ist, das alles Nicht-Ich ausschließt.

Der letzte Punkt, an dem unser ganzes Wissen, und die ganze Reihe des Bedingten hängt, muß schlechterdings durch nichts weiter bedingt sein. Das Ganze unseres Wissens hat keine Haltung, wenn es nicht durch irgendetwas gehalten wird, das sich durch eigene Kraft trägt, und das ist nichts anderes, als das durch Freiheit Wirkliche. Der Anfang und das Ende aller Philosophie ist -  Freiheit! 


§ 7.

Wir haben das Ich bis jetzt bloß als dasjenige bestimmt, was für  sich selbst  schlechterdings nicht  Objekt,  und für etwas außer ihm weder Objekt noch Nichtobjekt, d. h.  gar nichts  sein kann, was also seine Realität nicht, wie die Objekte, durch etwas außer seiner Sphäre liegendes, sondern einzig und allein  durch sich selbst  erhält. Dieser Begriff des Ichs ist auch der  einzige,  wodurch es als das Absolute bezeichnet wird, und unsere ganze weitere Untersuchung ist nun nicht mehr als eine bloße Entwicklung desselben.

Ist das Ich nicht sich selbst gleich, ist seine Urform nicht die Form reiner Identität, so ist eben dadurch wieder alles aufgehoben, was wir bisher gewonnen zu haben schienen. Denn das Ich ist, nur  weil  es ist. Wäre es also nicht reine Identität, d. h. schlechthin nur das, was es ist, so könnte es auch nicht  durch sich selbst  gesetzt sein, d. h. es könnte sein, auch, weil es das ist, was es  nicht  ist. Das Ich aber ist entweder gar nicht, oder nur durch sich selbst. Also muß die Urform des Ichs reine Identität sein.

Nur  das,  was  durch sich selbst  ist, gibt sich selbst die Form der Identität, d. h. durch sich selbst bedingt; die Existenz jedes anderen Existierenden hingegen ist nicht  bloß  durch seine Identität, sondern durch etwas außerhalb derselben bestimmt. Gäbe es aber nicht etwas, das nur durch sich selbst ist, dessen Identität die einzige Bedingung seines  Seins  ist, so wäre auch überall nichts identisch mit sich selbst; denn nur das, was durch seine Identität ist, kann allem anderen, was ist, Identität verleihen; nur in einem Absoluten, durch sein Sein selbst als identisch Gesetzten, kann alles, was ist, zur Einheit seines Wesens kommen. Wie sollte überhaupt etwas gesetzt werden, wenn alles Setzbare wandelbar wäre, und nichts Unbedingtes, Unwandelbares anerkannt würde, in welchem und durch welches alles Setzbare Bestand und Unwandelbarkeit erhielte: was sollte es heißen, etwas  setzen,  wenn alles Setzen, alles Dasein, alle Wirklichkeit unaufhörlich fort sich ins Unendliche zerstreute, und nicht ein gemeinsamer Punkt der Einheit und der Beharrlichkeit wäre, der nicht wieder durch irgendetwas anderes, sondern nur durch sich selbst, durch sein bloßes Sein absolute Identität erhalten hätte, um alle Strahlen des Daseins im Zentrum seiner Identität zu sammeln, und alles, was gesetzt ist, im Kreis seiner Macht zusammenzuhalten. Nur das Ich also ist es, das allem, was ist, Einheit und Beharrlichkeit verleiht, alle Identität kommt nur dem im Ich Gesetzten, und diesem nur  insofern  zu,  als  es im Ich gesetzt ist.

Mithin wird selbst alle Form der Identität (A = A erst durch das absolute Ich begründet. Gienge diese Form (A = A) dem Ich selbst  voran,  so könnte  A  nicht das  im Ich,  sondern nur das  außerhalb  des Ichs gesetzte ausdrücken, mithin würde jene Form zur Form der Objekte als solcher, und selbst das Ich würde unter ihr, als ein durch sie bestimmtes Objekt, stehen. Das Ich wäre nicht das Absolute, sondern bedingt, und als einzelne Unterart dem Gattungsbegriff der Objekte (den Modifikationen des allein identisch absoluten Nicht-Ichs) untergeordnet.

Da das Ich seinem Wesen selbst nach, durch sein bloßes Sein, als absolute Identität gesetzt ist, so ist es gleichviel, ob der oberste Grundsatz  so  ausgedrückt wird:
     Ich bin Ich,  oder:  Ich bin! 


§ 8.

Das Ich läßt sich nicht anders, als bloß insofern es  unbedingt  ist, bestimmen, denn es ist bloß durch seine Unbedingtheit, bloß dadurch, daß es schlechterdings nicht zum  Ding  werden kann, Ich. Es ist also erschöpft, wenn seine Unbedingtheit erschöpft ist. Denn, da es bloß durch seine Unbedingtheit ist, so würde es eben dadurch aufgehoben, wenn irgendein von ihm denkbares Prädikat anders als durch seine Unbedingtheit denkbar wäre, also dieser entweder widerspräche, oder noch irgendetwas Höheres, in dem sie beide, das Unbedingte und das vorausgesetzte Prädikat, vereinigt wären, voraussetzte.

Das Wesen des Ichs  ist  Freiheit,  d. h. es ist nicht anders denkbar, denn nur insofern es sich aus absoluter Selbstmacht nicht als irgend etwas,  sondern als bloßes  Ich  setzt. Diese Freiheit läßt sich  positiv  bestimmen, denn wir wollen keinem Ding-ansich, sondern dem reinen, durch sich selbst gesetzten, sich allein gegenwärtigen, alles  Nicht-Ich  ausschließenden Ich Freiheit zuschreiben. Dem Ich kommt keine objektive Freiheit zu, weil es gar kein Objekt ist; so wie wir das Ich als  Objekt  bestimmen wollen, zieht es sich in die beschränkte Sphäre, und unter die Bedingungen der Wechselbestimmung zurück - seine Freiheit und Selbständigkeit verschwindet. Objekt ist nur durch Objekt und nur insofern, als es an Bedingungen gefesselt ist, möglich - Freiheit ist nur durch sich selbst, und umfaßt das Unendliche.

Wir sind also in Anbetracht objektiver Freiheit nicht unwissender, als wir es im Hinblick auf jeden Begriff sind, der sich selbst widerspricht. Unfähigkeit aber, einen Widerspruch zu denken, ist keine Unwissenheit. Jene Freiheit des Ich läßt sich also auch  positiv  bestimmen. Sie ist für das Ich nichts mehr und nichts weniger, als das unbedingte Setzen aller Realität in sich selbst durch absolute Selbstmacht. -  Negativ  bestimmbar ist sie als gänzliche Unabhängigkeit, ja sogar als gänzliche Unverträglichkeit mit allem Nicht-Ich.

Ihr verlangt, daß ihr euch dieser Freiheit bewußt seid? Aber bedenkt ihr auch, daß erst durch sie all euer Bewußtsein möglich ist, und daß die Bedingung nicht im Bedingten enthalten sein kann? Bedenkt ihr überhaupt, daß das Ich, insofern es im Bewußtsein vorkommt, nicht mehr reines absolutes Ich ist, daß es für das absolute Ich überall kein Objekt geben, und daß es also noch so viel weniger selbst Objekt werden kann? -  Selbstbewußtsein  setzt die Gefahr voraus, das Ich zu verlieren. Es ist kein  freier  Akt des unwandelbaren, sondern ein abgedrungenes Streben des wandelbaren  Ichs,  das durch Nicht-Ich bedingt seine Identität zu retten, und im fortreißenden Strom des Wechsels sich selbst wieder zu ergreifen strebt; (4) (oder  fühlt  ihr euch wirklich  frei  im Selbstbewußtsein?) Aber jenes Streben des empirischen Ichs, und das daraus hervorgehende Bewußtsein wäre selbst ohne Freiheit des absoluten Ichs nicht möglich, und die absolute Freiheit ist als Bedingung der Vorstellung ebenso notwendig, wie als Bedingung der Handlung. Denn euer empirisches Ich würde niemals streben, seine Identität zu retten, wenn nicht das absolute  ursprünglich durch sich selbst  aus absoluter Macht als reine Identität gesetzt wäre.

Wollt ihre diese Freiheit als eine objektive erreichen, so schlägt euch dies immer fehl, ihr mögt sie dadurch  begreifen,  oder  widerlegen  wollen; denn eben darin besteht sie, daß sie alles  Nicht-Ich  schlechthin ausschließt.

Das Ich kann durch keinen bloßen  Begriff  gegeben sein. Denn Begriffe sind nur in der Sphäre des Bedingten, nur von Objekten möglich. Wäre das Ich ein Begriff, so müßte es etwas Höheres geben, in dem er seine Einheit - etwas Niedereres, in dem er seine Vielheit erhalten hätte, kurz: das Ich wäre durchgängig bedingt. Mithin kann das Ich nur in einer Anschauung bestimmt sein. Aber das Ich ist nur dadurch Ich, daß es niemals Objekt, werden kann, mithin kann es in keiner sinnlichen Anschauung, also nur in einer solchen, die gar kein Objekt anschaut, gar nicht sinnlich ist, d. h. in einer intellektualen Anschauung bestimmbar sein. - Wo Objekt ist, da ist sinnliche Anschauung, und umgekehrt. Wo also  kein  Objekt ist, d. h. im absoluten Ich, da ist keine sinnliche Anschauung, also entweder gar keine, oder eine  intellektuale  Anschauung.  Das  Ich also ist für sich selbst als bloßes Ich in einer intellektualen Anschauung bestimmt.

Ich weiß es recht gut, daß KANT alle intellektuale Anschauung geleugnet hat; aber ich weiß auch, wo er dies getan hat, in einer Untersuchung, die das  absolute  Ich überall nur  voraussetzt,  und aus vorausgesetzten höheren Prnzipien nur das empirisch-bedingte Ich, und das Nicht-Ich in der Synthesis mit dem Ich, bestimmt. Ich weiß ebenso, daß diese intellektuale Anschauung, sobald man sie der sinnlichen verähnlichen will, durchaus unbegreiflich sein muß, daß sie überdies ebensowenig als die absolute Freiheit im Bewußtsein vorkommen kann, daß Bewußtsein ein Objekt voraussetzt, intellektuale Anschauung aber nur dadurch möglich ist, daß sie gar kein Objekt hat. Der Versuch also, sie aus dem Bewußtsein zu widerlegen, muß ebenso sicher fehlschlagen, wie der Versuch, ihr durch dasselbe objektive Realität zu geben, was nichts anderes hieße, als sie schlechterdings aufheben.

Das Ich ist nur durch seine Freiheit, mithin muß alles, was wir vom reinen Ich aussagen, durch seine Freiheit bestimmt sein.
LITERATUR - F. W. J. Schelling, Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, Philosophische Schriften, Bd. 1, Landshut 1809
    Anmerkungen
    1) Ich finde, daß BECK in der Vorrede zum zweiten Teil seines Kommentars über KANT einen ähnlichen Gedanken äußert. Ich kann aber noch nicht beurteilen, wie nahe oder entfernt die Gedanken dieses, in den Geist seines Schriftsteller so sichtbar eingedrungenen, Kommentators den meinigen verwandt sind.
    2) Vielleicht kann ich die Sache noch deutlicher machen, wenn ich das oben gebrauchte Beispiel wieder aufnehme. - Gott kann für mich schlechterdings nicht Realgrund meines Wissens sein, insofern er als  Objekt  bestimmt ist, weil er dadurch selbst in die Sphäre des  bedingten  Wissens fällt. Würde ich hingegen Gott gar nicht als Objekt, sondern als  ICH  bestimmen, so wäre er allerdings Realgrund meines Wissens. Aber eine solche Bestimmung Gottes ist in der theoretischen Philosophie unmöglich. Ist aber selbst in der theoretischen Philosophie, die Gott als Objekt bestimmt, doch zugleich eine Bestimmung seines Wesens  ICH  notwendig, so muß ich allerdings annehmen, daß Gott  für sich  absoluter Realgrund seines Wissens ist, aber nicht  für mich,  denn für mich ist er in der theoretischen Philosophie nicht bloß als  Ich,  sondern auch als Objekt bestimmt, da er hingegen, wenn er  ICH  ist,  für sich selbst  gar kein Objekt, sondern nur Ich ist. Beiläufig zu sagen, sieht man hieraus, daß man den ontologischen Beweis für das Dasein Gottes sehr fälschlich als bloß künstliche Täuschung darstellt: vielmehr ist die Täuschung ganz natürlich. Denn was zu sich selbst: Ich! sagen kann, sagt auch: Ich bin! Nur schade, daß Gott in der theoretischen Philosophie nicht als identisch mit  meinem  Ich, sondern in Bezug auf dieses als  Objekt  bestimmt, und ein ontologischer Beweis vom Dasein eines  Objekts  ein widersprechender Begriff ist.
    3) Das Wort  empirisch  wird gewöhnlich in einem gar zu eingeschränkten Sinn genommen. Empirisch ist alles, was dem reinen Ich entgegengesetzt ist, also überhaupt im Bezug auf ein  Nicht-Ich  steht, selbst das ursprüngliche, im Ich selbst gegründete, Entgegensetzen eines Nicht-Ichs, durch welche Handlung dieses überall erst möglich wird.  Rein  ist, was ohne allen Bezug auf Objekte gilt.  Erfahrungsmäßig,  was nur  durch  Objekte möglich wird. - A priori, was nur  in Bezug  auf Objekte (nicht  durch  sie) möglich ist. -  Empirisch  das,  wodurch  Objekte möglich sind.
    4) Der Charakter der Endlichkeit ist, nichts setzen zu können, ohne zugleich  entgegenzusetzen.  Diese Form der  Entgegen setzung ist ursprünglich bestimmt durch die Entgegensetzung des Nicht-Ichs. Es ist nämlich dem endlichen Ich notwendig, indem es sich als sich selbst absolut gleichsetzt, zugleich alles Nicht-Ich sich  entgegenzusetzen,  was nicht möglich ist, ohne das Nicht-Ich selbst zu  setzen.  Das unendliche Ich würde alles Entgegengesetzte  ausschließen,  ohne es sich  entgegenzusetzen:  es würde überhaupt alles sich schlechthin gleichsetzen, also, wo es setzt, nichts als  seine  Realität setzen; es würde also in ihm auch kein  Streben  vorhanden sein, seine Identität zu retten, also keine Synthesis des Mannigfaltigen, keine Einheit des Bewußtseins usw. Das empirische Ich ist daher nur durch die ursprüngliche  Entgegensetzung  bestimmt, also außer dieser schlechterdings nichts. Es verdankt also auch seine Realität, als  empirisches  Ich, nicht sich selbst, sondern einzig und allein seiner Einschränkung durch ein Nicht-Ich. Es kündigt sich nicht durch das bloße: Ich bin; sondern durch das:  Ich denke,  an, d. h. es ist nicht durch sein bloßes Sein, sondern dadurch, daß es  Etwas,  daß es  Objekte denkt.  Um nämlich die ursprüngliche Identität des Ichs zu retten, muß die Vorstellung des identischen Ichs alle anderen Vorstellungen begleiten, um so die Vielheit derselben in Bezug auf Einheit denken zu können. Das empirische Ich existiert also nur  durch  und  in Bezug  auf die Einheit der Vorstellungen, hat also außer dieser schlechterdings  keine  Realität  in sich selbst,  sondern verschwindet, so wie man Objekte überhaupt und die Einheit seiner Synthesis aufhebt. Seine Realität, als  empirisches  Ich, ist ihm also durch etwas  außer  ihm gesetztes, durch  Objekte  bestimmt, sein Sein wird ihm nicht schlechthin, sondern durch objektive Formen - als ein  Dasein  - bestimmt. Jedoch ist es selbst nur  in  einem unendlichen Ich, und durch dasselbe; denn bloße Objekte könnten niemals die Vorstellung von einem Ich, als einem Prinzip ihrer Einheit, hervorbringen.