cr-4F. M. MüllerG. RunzeO. GruppeC. Hermann    
 
CONRAD HERMANN
(1819 - 1897)
Philosophische Grammatik
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"Die Wortbildung ist die Prägstätte für die Münze des Denkens, durch die dieses den Inhalt der Welt erkauft."

"Der ganze Satzbau der lateinischen Sprache ist auf militärische und oratorische Kürze, der der französischen auf kokette konversationelle Eleganz, der der griechischen auf fließende, in jedem Augenblick der Veränderung fähige Beweglichkeit, der der deutschen schließlich auf systematisch zusammenfassende, in die Tiefe hinabsteigende Periodologie berechnet; das Interesse an der Form oder äußeren konzentrischen Wirkung des Denkens ist in den beiden ersteren, das am Inhalt oder der Sache selbst, das in den beiden letzteren Sprachen das vorherrschende."

Vorwort von Hermann Josef Cloeren
In seiner "Philosophischen Grammatik" sieht CONRAD HERMANN die Philosophie nach KANTs kritischen Arbeiten wieder auf die Abwege metaphysischer Spekulationsbestrebungen geraten, von wo aus sie es belächeln würde, wenn man ihr empfähle, sich zuerst um die Sprache zu kümmern. Nach HERMANNs Ansicht ist eine solche Beschäftigung bislang unterblieben.

Offenbar sind ihm GRUPPEs Arbeiten unbekannt geblieben. Gleichwohl sieht er wie GRUPPE in HEGELs System das abschreckendste Beispiel für eine sprachvergessene Philosophie. Gerade sprachkritische Untersuchungen hält er dagegen für unbedingt erforderlich, wenn eine im Geiste KANTs sich kritisch begründende Philosophie als Wissenschaft möglich sein soll. HERMANN schlägt deshalb eine transzendentale Untersuchung der Sprache als des empirischen  a priori  der Philosophie vor.

Während HERMANN damit bewußt an KANTs transzendentale Frage zur Wissenschafts- und Philosophiebegründung anknüpft, stimmt er in vielem mit WILHELM von HUMBOLDT überein, zeigt oft grundsätzliche Übereinstimmung mit GRUPPE, noch häufiger jedoch fundamentale Differenzen zu ihm und antizipiert wie GRUPPE vor ihm manche Aspekte des Philosophierens des frühen sowohl wie des späten WITTGENSTEIN.

Die Grenzen der Sprache sind HERMANN wie später WITTGENSTEIN die Grenzen der menschlichen Welt. Sprache ist das empirische  a priori  für das Denken. Wie HUMBOLDT und GRUPPE lehnt er darum eine rein instrumentalistische Auffassung der Sprache ab. Ferner hält er wie HUMBOLDT die Sprache für den charakteristischsten Ausdruck eines Volksgeistes und betont wiederum in fast wörtlicher Anlehnung an HUMBOLDT, daß nicht Sprache überhaupt, sondern ganz bestimmte historische Sprachen die im voraus bedingenden Formen unserer Erkenntnis sind.

HERMANNs Überzeugung, daß Sprache und Geschichte das den Menschen Formende sind, rückt in die Nähe von HAMANN und HERDER. Sprache wird von ihm nicht als etwas Isoliertes aufgefaßt, sondern als ein wesentlicher Bestandteil menschlichen Lebens. Sätze aus WITTGENSTEINs  Tractatus  klingen uns heute im Ohr, wenn wir bei HERMANN lesen, daß die Sprache das geistige Abbild des ganzen Umfanges der Wirklichkeit ist.
    "Eine jede einzelne Sprache ist ein besonders geschliffener Spiegel, in dem sich daher auch der geistige Inhalt der Welt von einer besonderen Seite reflektiert."
Dagegen folgt HERMANN GRUPPE und nimmt den späten WITTGENSTEIN vorweg, wenn er betont, daß Wortbedeutungen nicht zu gewinnen sind durch Definitionen, sondern aus Beobachtung des konkreten und individuellen Wortgebrauchs. Damit zusammen hängt seine Hochachtung der Alltagssprache:
    "Die vornehme Verachtung des gewöhnlichen Sprachgebrauchs aber als eines Unzusammenhängenden, Widersprechenden und Wertlosen ist durchaus unwissenschaftlich und falsch."
Einer solchen Passage entspricht allerdings schon, was LICHTENBERG viel früher erarbeitet hat. In seinen  Sudelbüchern  nämlich bezieht er bereits eine ausgesprochen definitionskritische Haltung, faßt Philosophie als Analyse und Korrektur des Sprachgebrauchs auf und stellt die Unentbehrlichkeit der Umgangssprache für die philosophische Fachsprache - und sinngemäß für jede technisch spezialisierte Sprache - heraus.

Trotz seiner Ablehnung des HEGELschen Systems ist HERMANN weder wie GRUPPE ein Feind jeglichen Systems noch gänzlich frei von HEGELs Einfluß, wie folgende Stelle beweist: "Das Erkennen aus Begriffen ist Zweck an sich selbst ... Wir sind überhaupt bald dahin gelangt, daß das Wissen aus der Erfahrung der Gegensatz und Tod ist für das Denken."

Mit einer solchen Ansicht stellt HERMANN sich in schroffen Gegensatz zu GRUPPE, der gerade das Erkennen aus Begriffen als das Erzübel aller Spekulation verwirft und zwar mit der Begründung, daß die wesentliche Relativität aller Begriffe einen solch spekulativen Gebrauch nicht zuläßt. Es ist darum höchst überraschend, bei HERMANN zwar völlige Übereinstimmung mit GRUPPE in der Einschätzung der Begriffe als wesentlich relativ zu finden, ohne ihn jedoch zu denselben Resultaten gelangen zu sehen.

Unvermeidlich ergibt sich so ein merkwürdiger Kontrast zwischen HERMANN und GRUPPE. Unumwunden nämlich erklärt HERMANN: "Das gegebene Element alles Denkens ist der Begriff" und folgert daraus, daß die Lehre von den Urteilen nur die Folge von der Lehre von den Begriffen sei. Kurz darauf jedoch betont er: "Alles wirkliche Denken als solches aber ist ein Urteil."

HERMANN zeigt sich hier der traditionellen Logik durchaus verhaftet; GRUPPE andererseits lehnte sie gerade als unzulänglich ab. HERMANN muß sich damit erhebliche Einwände machen lassen. GRUPPE weicht solcher Gefahr aus, dadurch daß er den umgekehrten Weg einschlägt: nicht vom Begriff zum Urteil und Schluß, sondern vom synthetischen Erkenntnisakt, wie er sich im Urteil vollzieht, zur Begriffsbildung. Für GRUPPE drückt sich darin eine fundamentale philosophische Erkenntnis aus, und einige seiner Zeitgenossen - unter ihnen kein geringerer als A. TRENDELENBURG - haben ihm die Richtigkeit und Bedeutsamkeit dieser Erkenntnis mehrfach zustimmend bestätigt.

HERMANN will einerseits "jeden falsch einseitigen philosophischen Idealismus" verwerfen und erklärt es für notwendig, über HEGEL hinauszugehen und einen höheren Standpunkt zu erreichen, hält dies aber wieder nur in einem neuen System für möglich. Sosehr er damit Front bezieht gegen HEGELs System, als eine paradigmatisch sprachvergessene Philosophie, ebensosehr bleibt ihm "der gedankenlose Empirismus" zuwider.

Was er meint, wenn er behauptet, "Die Philosophie hebt sich an einem bestimmten Punkte ihrer Entwicklung auf in den Begriff der wahren und vollkommenen Wissenschaft", - es darf sicher nicht im positivistischen Sinne verstanden werden, - wird trotz weiter Erklärungen, die auf seine "ideal-logische oder begrifflich-philosophische Auffassungsweise" verweisen, nicht in überzeugender Weise klar. Sein Insistieren auf dern Notwendigkeit sprachkritischer Reflexion dagegen ist unmißverständlich und steht außer Zweifel.

Sprechen die hier vorgelegten Texte nun heute für sich selbst oder bedürfen sie ausführlicher einleitender Interpretationen? Die Antwort auf diese Frage wird abhängen vom Grad der Vertrautheit mit der sprachanalytischen Philosophie. Wer sich in ihr gut auskennt, wird interessantes und weitgehend unbekanntes Material finden, was sein Verständnis für die Vorläufer modernen sprachanalytischen Philosophierens erweitern wird.

Wer diesem Philosophieren bisher fremd gegenübersteht, mag erste Anregungen erhalten, sich mit den Problemen zu befassen, die darin zentrale Stellen einnehmen und die nicht mehr vom methodologisch geschärften philosophischen Bewußtsein unserer Zeit übergangen werden können.




Philosophische Grammatik
(Leipzig 1858)

Die Sprache als Form der denkenden Erkenntnis

Wenn es überhaupt etwas gibt durch welches der ganze Inhalt unserer denkenden Erkenntnis durch sich selbst oder von vornherein in eine bestimmte Grenze eingeschlossen oder an eine feststehende Form gebunden erscheinen kann, so wird aus dem ganzen Umfange des menschlichen Geisteslebens und der Einrichtungen unserer Vernunft nichts mit größerem Recht als ein solches angesehen werden dürfen als die Sprache.

Denn über alles dasjenige was außer uns gegeben ist sind wir uns überall nur insofern bestimmte Begriffe oder Gedankenreihen bei uns selbst zu bilden imstande, als uns dieses durch die im voraus gegebenen Worte und möglichen syntaktischen Verknüpfungsformen der Sprache, welche wir reden, verstattet wird, während ein Denken außerhalb und unabhängig von diesen gegebenen Formen und Mitteln seines Ausdruckes überhaupt jedes Haltes und jeder Bestimmtheit für uns entbehren würde.

Daher ist die Sprache ihrer Natur nach das gegebene Instrument oder die allgemeine Vorbedingung alles unseres Denkens und es vermag auch das hochfliegendste scharfsinnigste und angestrengteste Vermögen des Denkens doch niemals über diese gegebene Grenze der Sprache und ihrer Bedingungen hinaus vorzudringen, oder die natürliche Schranke und Fessel welche ihm hierdurch auferlegt wird, von sich abzustreifen.

Eben daher ist auch unser ganzes Denken niemals ein Denken an sich oder im reinen und absoluten Sinne des Wortes, d.i. ein solches, von dem gesagt werden könnte, daß es den Inhalt des Seins so wie dieser an sich ist, einschlösse oder zur Darstellung brächte, sondern immer ein durchaus enges und beschränktes, teils an eine allgemein menschliche, teils innerhalb dieser wiederum an eine besondere nationale Grenze der sprachlichen Gestaltung gebundenes, so daß wir an und für sich durchaus nicht zu wissen vermögen, ob die uns von der Sprache  suppeditirten  Begriffe und syntaktischen Vernüpfungsformen auch wirklich die dem Wesen der Dinge außer uns entsprechend seien und ob es nicht außer ihnen an und für sich noch ganz andere reichhaltigere und vollkommenere solche an irgend einem anderen uns verborgenen Orte oder bei irgend einer anderen höheren und freieren Kraft des gedankenmäßigen Erkennens werde geben können.

Nun ist zwar die Sprache durchaus nicht so wie dieses KANT von seinen reinen Formen der menschlichen Vernunft behauptet etwas unserem Geist schlechthin und ursprünglich oder vor aller Vermischung mit den Dingen außer ihm Eigentümliches und Angeborenes, sondern vielmehr etwas erst durch eine frühere und anfängliche eindringende Beziehung seines Erkennens auf die Außenwelt in ihm Entstandenes und nach dem Vorbild von dieser für ihn Erschaffenes, wobei es auch jedenfalls mit einer gewissen organischen durch die Natur der Sachen oder den Inhalt der Dinge geforderten Regelmäßigkeit zugegangen sein wird.

Aber für uns mindestens ist das Werk jener Früheren bei denen die Sprache zuerst entstanden war binden und nur aus der Hand von diesen haben wir selbst sie als etwas Gegebenes und fertig Ausgebildetes überkommen, während wir gegenwärtig über sie durchaus nicht hinauszugehen oder nicht noch einmal auf jenen anfänglichen Zustand der ersten Entstehung der Sprache zurückzufliegen vermögen.

Obgleich aber durch die neu hervortretenden Bedürfnisse des Denkens die aus der Vergangenheit überkommene Gestaltung der Sprache eine fortwährende Erweiterung zu erleiden pflegt, so ist doch auch diese letztere selbst durch jene von Anfang an in eine bestimmte Grenze eingeschlossen oder ihr eine feste Anlage und Richtung gegeben gewesen.

Daher befindet sich zwar nicht wie dieses die KANTische Meinung war, der menschliche Geist in dem Apparat seiner ursprünglichen Formen auf einer einsamen Insel in dem Meere der ihn umgebenden Sachen, wohl aber hat er von den frühesten Zeiten her da wor die Sprache als das Mittel der denkenden Erkenntnis zuerst in ihm entstanden ist, eben in ihr in Bezug auf diese letztere eine solche von sich selbst aus aufgeführt und errichtet, die er selbst dann weiterhin unter keiner Bedingung zu verlassen imstande ist.

Daher muß die Frage entstehen welches das natürliche Verhältnis oder der ursprüngliche Anschluß der Sprache an den gegebenen Inhalt der Dinge außer dem menschlichen Geist gewesen sein möge und es wird deswegen nur als ein dem Geiste der KANTischen Philosophie oder dem für diese charakteristischen Prinzip des Kritizismus durchaus entsprechendes Verfahren angesehen werden müssen, eine Untersuchung über die Sprache an die Spitze der Philosphie überhaupt und der Theorie vom logischen Erkennen insbesondere zu stellen.

Insofern aber der ganze Stoff unserer logischen Begriffe zuerst selbst aus den sinnlich ästhetischen Anschauungen entstanden oder aus einer vereinfachenden Abstraktion des in ihnen Enthaltenen hergekommen ist und sich eben erst durch die Sprache das logisch deutliche Selbstbewußtsein aus der dunklen Tiefe des anschaulich ästhetischen Empfindens hervorgehoben hat: so ist die Sprache ihrer ganzen Stellung nach die Schwelle des ästhetischen Erkenntnisvermögens gegenüber dem logischen und es ist die Frage nach ihr insofern zugleich eine wesentlich innere unseres Geisteslebens selbst, als nur durch sie diese doppelte Abteilung desselben begrenzt und miteinander verbunden wird.

Nur über diese Schwelle hinweg aber kann dann in die Theorie des Denkvermögens selbst der Eingang genommen werden. Die Sprache ist die Erdfeste unseres Denkens, durch welche allein dieses letztere etwas spezifisch Inneres und rein Geistiges von der schwankenden Unbestimmtheit unseres unmittelbar an die Sachen gebundenen anschaulichen Empfindens abgesondert und auf das Niveau seines eigenen unabhängigen Begriffes gestellt wird.


Das Verhältnis der Sprache
und des Denkens


Die Bedeutung der Sprache für das Denken überhaupt hat kein Gebiet dieses letzteren mehr an sich zu empfinden Veranlassung gehabt als die Philosophie selbst. Nur Beschränktheit könnte behaupten, daß wenn ARISTOTELES ein Römer, KANT ein Franzose gewesen wären, sie diese Sprachen nach dem Bedürfnis ihrer Philosophien zu gestalten oder den Inhalt ihres Denkens mit den Formen derselben zu umkleiden imstande gewesen sein würden. In der ganzen Geschichte erscheint die wahre und erfolgreiche Betreibung des Geschäfts der Philosophie immer an die besondere Eigentümlichkeit irgendeines einzelnen Volksgeistes und innerhalb dieser vorzugsweise an ihren am meisten charakteristischen Ausdruck, die Sprache gebunden, während sich andere gleichzeitige solche der Regel nach nur mit geringerem Erfolg und in einer bestimmten einseitigeren durch die Unbehilflichkeit ihres Geistes und ihrer Sprache gehemmten Weise an demselben zu beteiligen pflegen. So wie es vorzugsweise religiöse, kriegerische, handeltreibende usw., ebenso gibt es vorzugsweise philosophische Völker in der Geschichte, und insbesondere sind es innerhalb des Okzidents aus dem Altertum die Griechen und aus der neuen Zeit die Deutschen, welche vermöge der gegebenen Disposition ihres Geistes und ihrer Sprache und der hieraus hervorgegangenen Erfolge auf den Namen von solchen Anspruch zu erheben vermögen. An und für sich zwar ist dies ein Widerspruch, daß die Philosophie, welche etwas schlechthin Allgemeines und durch sich selbst Wahres sein soll, an eine solche besondere Eigentümlichkeit der menschlichen Disposition gebunden erscheint; aber eine bestimmte Form wird überall erfordert für die Erreichung eines bestimmten anundfürsichseienden Zwecks. Nicht bloß die Sprache überhaupt also ist die im Voraus bedingende Form unserer ganzen selbstbewußt vernünftigen Erkenntnis, sondern es ist auch da die Sprache eine mehrfache, die eine dieser Formen immer das geschicktere und bessere Mittel hierzu als die andere. Gerade hieraus aber geht die Beschränktheit dieses Mittels als solche mehr als aus etwas anderem hervor, indem wenn zwischen den einzelnen Sprachen der Menschen auf der Erde selbst ein Gradunterschied in Bezug hierauf stattfindet, es keinen Grund gibt, warum es nicht noch höhere und vollkommenere Sprachen oder Mittel der denkenden Erkenntnis an irgendeinem anderen Ort der Welt geben sollte, durch welche das in den unsrigen Enthaltene vielleicht weit überschritten und in den Schatten gestellt werden möchte. In der Tat geraten wir selbst zuweilen in den Fall, daß uns für bestimmte in unserer Seele hervortretende Anschauungen in der Sprache die erforderlichen Begriffe abgehen und es wird hierdurch die Ahnung in uns erweckt, daß die Sprache allerdings als Ausdrucksform des Denkens eine Grenze besitzt oder daß es vielleicht bestimmte jenseits dieser Grenze liegende an und für sich oder ihrem Stoff nach vorhandene Begriffe geben kann, für deren Darstellung nur die Mittel von jener nicht ausreichend sind.

Wir sind aber auf der anderen Seite vielfach geneigt in der Mehrheit oder Verschiedenheit der Sprachen etwas für den Inhalt unseres Denkens durchaus Indifferentes zu erblicken. Die Kluft, welche zwischen ihnen besteht, ist jedenfalls eine größere als sie zu sein scheint. Für gewöhnlich wird der Unterschied der einzelnen Sprachen rücksichtlich ihrer Bedeutung und ihrer Anwendbarkeit für die verschiedenen Zwecke des Denkens nur in die größere Reichhaltigkeit, Schärfe und Bestimmtheit der in ihnen enthaltenen Begriffe gesetzt; die bloßen Begriffe als solche aber sind noch am Leichtesten dasjenige welches aus der einen von ihnen in die anderen übergetragen oder auch in jeder neu gebildet zu werden vermag. Ganz vorzugsweise dagegen und in durchaus spezifischer Weise ist es die Art ihres Satzbaus und die Eigentümlichkeit ihrer ganzen Gedankenverknüpfung wodurch sich die einzelnen Sprachen voneinander unterscheiden, und es gibt ein Volk noch eher das ganze Material der Begriffe als die Besonderheit der syntaktischen Konstruktion seiner Sprache an eine andere hin. Die Virtuosität der einzelnen Sprachen für die Erreichung der verschiedenen Zwecke des Denkens ist eine Art wie dem Grad nach voneinander verschiedene, und es findet im Allgemeinen die Einseitigkeit der einen hierin an derjenigen der anderen ihre natürliche Ergänzung. Der ganze Satzbau der lateinischen Sprache ist auf militärische und oratorische Kürze, der der französischen auf kokette konversationelle Eleganz, der der griechischen auf fließende, in jedem Augenblick der Veränderung fähige Beweglichkeit, der der deutschen schließlich auf systematisch zusammenfassende, in die Tiefe hinabsteigende Periodologie berechnet; das Interesse an der Form oder äußeren konzentrischen Wirkung des Denkens ist in den beiden ersteren, das am Inhalt oder der Sache selbst, das in den beiden letzteren Sprachen das vorherrschende. Eine jede einzelne Sprache ist ihrer Natur nach die Form und Anregung für eine bestimmte Gattung des Denkens; gewisse Gedanken können daher nur in bestimmten Sprachen, nicht aber in anderen gefaßt oder doch mit den Mitteln von diesen nur unvollkommen erreicht werden. Für gewisse Arten des Denkens, z. B. das mathematische oder das einfach erzählende, hört beinahe alle Bedeutung der sprachlichen Verschiedenheit auf, während in anderen die sich mehr vom Boden des Gegebenen entfernen, dieselbe wiederum eine größere wird. Nicht bloß die Sprache selbst, sondern auch die Art des Sprechens und der ganzen Äußerlichkeit des Darstellens desselben ist bei den einzelnen Völkern eine verschiedene; für ein Volk ist seine Sprache und die Art wie es diese behandelt, dasselbe was für den einzelnen Menschen der Vortrag und der Stil, jenes eine im höheren Sinne besondere, dieses eine rein individuelle Modifikation des allgemeinen menschlichen Denkens. Das Französische kann überall nur mit einer gewissen Koketterie wirklich gut gesprochen werden; über Gegenstände der neueren Philosophie wird in lateinischer Sprache nicht wohl im Geist einer anderen als in dem der kantischen mit Kraft und Eleganz gehandelt werden mögen. Überall also ist es etwas unmittelbar Menschliches und in spezifischer Weise Besonderes, was in der einzelnen Sprache seine natürliche Form oder seinen untrennbaren Ausdruck gewinnt, und es ist eine jede Sprache eine durchaus spröde und eigentümliche Hülle des Denkens, die diesem letzteren immer nur von einer gewissen Seite aus die Berührung mit seinem in der Wirklichkeit liegenden Stoff verstattet.

Alle Sprachen sind einander einem bestimmten Grad nach gleich, einem anderen Grad nach ungleich, und es ist hiernach die Verschiedenheit zwischen den einzelnen von ihnen selbst eine größere oder geringere. Ihre Gleichheit wird bewiesen dadurch, daß der Inhalt einer jeden Sprache in die Form einer anderen übersetzt werden kann, ihre Ungleichheit dadurch, daß eine jede Übersetzung immer etwas anderes ist als ihr Original. Im Allgemeinen gibt es keine geistige Tätigkeit, welche ihrer Natur nach undankbarer und mit innerer Notwendigkeit mehr hinter ihrem Zweck zurückbleibend wäre, als die des Übersetzers; die Übersetzung ist gut und nützlich, aber nur in seltenen Fällen schön. Hierdurch unterscheidet sich die Übersetzung vom Porträt, welches ebenso die Wirklichkeit nur annähernd wiedergibt, aber als Kunstwerk höher steht als diese und seinen Zweck zugleich in sich selbst trägt. Eine jede Übersetzung schwankt zwischen den beiden entgegengesetzten Extremen des möglichst genauen Anschlusses an das fremde Original und der möglichst geringen Verleugnung des Geistes der eigenen Sprache, von denen mehr oder weniger immer das eine dem anderen zum Opfer gebracht werden muß. Sie ist unter allen Umständen etwas Unvollkommenes, da sie in der widersprechenden Verbindung eines Inhaltes mit einer ansich von ihm unterschiedenen Form der differenzierenden Bestimmtheit entbehrt. Eine Übersetzung ist eine ebenso unbehagliche Wohnung wie ein Reisewagen. Von der Übersetzung wird, was die Poesie betrifft, unterschieden die Nachdichtung, welche insofern höher steht als jene, da sie sich entscheiden dem Formgesetz der eigenen Sprache unterwirft; aber auch sie ersetzt in der Regel durch Technik die ihr abgehende Frische. Fast die ganze römische Poesie ist eine Nachdichtung der griechischen; im Mittelalter sind die deutschen Nachdichtungen oft besser als die französischen Originale. Unter uns hat RÜCKERT den Geist der arabischen Poesie mit Erfolg nachgedichtet. Gewisse Übersetzungen, wie die von VOSS des HOMER, die SCHLEGELsche des SHAKESPEARE u. a. haben also solche in der Geschichte der Literatur Epoche gemacht, weil sich an sie das Verständnis eines fremden Volksgeistes und seiner Literatur anknüpft. Aus dem Verhältnis der Übersetzung wird mit Unrecht die Indifferenz der sprachlichen Form gegen den gedankenmäßigen Inhalt gefolgert, während dasselbe ebensosehr für das Gegenteil beweist. Auch die beste Übersetzung ist zuletzt nichts als ein mehr oder weniger vollkommenes Surrogat, und es befriedigt im Allgemeinen die Übersetzung ihren Zweck gerade ebenso unvollständig wie etwas als Regenschirm den seinigen im Platzregen.

Das Verhältnis des Denkens und der Sprache kann überhaupt bezeichnet werden als dasjenige der Materie und der Form im aristotelischen Sinn des Wortes. Die Sprache ist nicht in dem Sinne die Form des Denkens, daß sie die bloße äußere erscheinende Hülle oder das spezifisch Unwesentliche desselben wäre, sondern sie ist vielmehr die geistige von sich aus gestaltende Kraft oder der seine Ursache zugleich von sich aus bedingende Endzweck dieses letzteren selbst. Das Denken ist von beiden das ansich Gegebene oder elementarisch Mögliche, die Sprache hingegen das spezifisch Wirkliche oder die vollendete reine Entelechie [Zweck in sich - wp] jenes ersteren. Erst indem das Denken in der Sprache sein äußere allgemein verständliche Form gefunden hat, ist es als solches vollendet oder tritt es in die spezifische Wirklichkeit seines Begriffs über, während es außerdem nichts als unklares und seiner selbst ungewisses Vorstellen ist. Sogleich mit diesem Hervortreten des Denkens aber wird auch seine Form eine bestimmte; daher wie viele Sprachen, ebenso viele Arten oder Formen des Denkens gibt es; und es kann überhaupt von einem reinen und allgemeinen menschlichen Denken keine Rede sein, sondern nur von einem solchen, welches in der bestimmten gegebenen Form einer einzelnen Sprache seine Wirklichkeit hat. Diese Form aber mit der in ihr liegenden Beschaffenheit oder Natur ist wesentlich immer das Frühere oder die von sich aus beherrschende Macht über unser ganzes eigenes individuelles Denken selbst. Daher ist das Denken und die Sprache überhaupt ein und dasselbe, und es wird mir Recht die letztere als die augenfällige spezifische Differenz da wo es sich um die scharfe Begriffsbestimmung ihres gemeinsamen Wesens handelt, an die Stelle des ersteren gesetzt. Die Handhabung des Denkens ohne die Sprache ist ebenso unmöglich wie diejenige der Kunst des Reitens ohne das Pferd, oder der des Schwimmens außerhalb des Wassers, und so wie die erstere von diesen durch die Natur des Pferdes, die letztere durch die des Wassers, so ist diejenige des Denkens durch die Natur der Sprache im Voraus bedingt.


Das Verhältnis von Logik und Grammatik

Die Wissenschaft vom Denken ist die Logik, die von der Sprache die Grammatik. Ebenso aber als das Denken und die Sprache etwas in der Wirklichkeit durchaus untrennbar mit einander Verbundenes sind, ebenso scheint auch zwischen den beiden Wissenschaften der Logik und der Grammatik überall nur schwer eine feste Grenze gezogen werden zu können. Beiden sind verschiedene ihrer wichtigsten Bestimmungen, z.B. die von Subjekt und Prädikat, miteinander gemein und auch sonst findet zwischen dem ganzen inneren Organismus von beiden eine nahe liegende parallele Übereinstimmung statt.

Daher sind es vorzugsweise diese beiden Wissenschaften in welchen die beiden weiteren Gebiete der Philosophie und der Philologie überhaupt sich mit einander begrenzen. Die Grammatik aber obgleich dieselbe ihrer gegenwärtigen Stellung und Gestaltung nach eine von dem lebendigen Zusammenhang mit der Philosophie weit entlegene Wissenschaft ist, war doch ihrer ersten Entstehung nach selbst nichts Anderes als eine philosophischen Disziplin; nicht bloß bei den Griechen, auch bei den Indern und sonst überall ist die Grammatik aus dem Schoße der Philosophie, der gemeinsamen Mutter alles Wissens, hervorgegangen und es müssen daher von Anfang an bestimmte innere wesenhafte Bedürfnisse gewesen sein, welche der letzteren zur Aufstellung derselben Veranlassung gegeben haben.

In Bezug hierauf aber wird die Frage entstehen müssen ob diese Bedürfnisse rechtmäßig und vollständig auch ohne sie ihre Befriedigung werden finden können. Überhaupt daher ist es nichts weniger als eine Neuerung sondern nur ein altes Recht der Philosophie auf die Grammatik und Wissenschaft von der Sprache welches hier geltend gemacht werden soll.

Beide Wissenschaften, die Logik und die Grammatik, sind von einander zunächst dadurch unterschieden, daß die erstere eine einfache und umfassende, sich auf alles menschliche Denken überhaupt erstreckende, die letztere dagegen eine mehrfache und besondere, über jede einzeln Sprache in gewisser Weise verschiedene Disziplin ist, oder daß es zwar nur eine einzige Logik, wohl aber eine Mehrheit von unter sich selbst verschiedenen Grammatiken gibt. Das Denken als solches ist an und für sich das Allgemeine oder gattungsmäßig Verbindende zwischen den einzelnen Sprachen; diese letzteren dagegen das Besondere oder die konkreten Artunterschiede jenes ersteren.

Eben daher aber scheint aber gerade die Logik diejenige Disziplin zu sein, welche da sie das allgemeine Gesetz alles sprachlichen Denkens in sich enthält die Stellung einer allgemeinen oder philosophischen Grammatik über den besonderen oder empirischen Grammatiken einzunehmen habe, für eine eigene Wissenschaft dieses Namens aber zwischen ihr und diesen letzteren überhaupt kein Platz mehr gelassen zu sein.

Es ist aber nächstdem die ganze Stellung der Logik zu ihrem Stoffe, dem Denken, eine durchaus andere als diejenige der Grammatik. Die letztere zunächst kann rücksichtlich ihres verwandtschaftlichen Verhältnisses mit der Logik überall nur insofern in Betracht kommen als sie sich auf die Sprache eben inwiefern dieselbe der Ausdruck des Denkens ist, nicht aber in der Qualität ihres rein sinnlichen Erscheinens richtet. Die Logik aber ist eine gesetzgebende oder kritisch idealistische, die Grammatik dagegen eine einfach erkennende oder theortisch beschreibende Wissenschaft von den allgemeinen ; d.h. es wird durch jene das Denken bestimmt wie es an und für sich genommen oder seiner reinen Idee nach als das Mittel zur Auffindung des logisch Wahren sein soll, durch diese dagegen so wie es unmittelbar genommen oder seiner eigenen untrennbaren natürlichen Wirklichkeit nach ist.

Alles wirkliche Denken ist mit den Gesetzen der Logik entweder einstimmig oder nicht, die Gesetze der Grammatik dagegen sind einfach in der Natur des Denkens gegeben, die daher dieses der Regel nach überhaupt nicht zu verletzen oder von sich abzutun vermag. Auch das logisch unrichtige Denken ist doch beinahe immer ein grammatisch richtiges; Fehler gegen die Gesetze der Grammatik einer Sprache werden im Allgemeinen nur von Andersredenden, von Ungebildeten und allen solchen begangen, die der natürlichen Bedingungen der genügenden Handhabung derselben nicht mächtig sind.

Ein grammatischer Fehler ist immer eine Sünde gegen die bloße innere Natur, ein logischer dagegen eine solche gegen den äußeren Inhalt oder ansichseienden Zweck des menschlichen Denkens. Wer falsch spricht, gleicht dem der wie bei einem etwa auszuführenden Sprunge seine Muskeln unnatürlich verrenkt; der falsch Denkende aber ist derjenige welcher zu kurz springt oder das seiner Kraftanstrengung gesteckte Ziel verfehlt. Die ganze Stellung der Logik zum Denken ist überhaupt die, daß sie dasselbe als das Mittel ansieht für den Zweck des Erkennens oder daß durch sie diejenigen Kriterien zu bestimmen versucht werden, durch die sich das diesem Zweck entsprechende oder in sich selbst richtige Denken von dem ihn verfehlenden oder unrichtigen unterscheidet.

Diese ganze Verschiedenheit aber in der Stellung der beiden Wissenschaften der Logik und der Grammatik zu den Formen des Denkens ist eine ähnlich als etwa die zwischen den Wissenschaften der Ethik und Politik auf der einen und denen der Psychologie und Geschichte auf der anderen Seite, indem durch die ersteren von beiden die Gesetze des individuellen und des gesellschaftlichen menschlichen Lebens so bestimmt werden wie dieses an und für sich genommen oder seiner reinen Idee nach sein soll, durch die letzteren dagegen so wie es seinen tatsächlich bestehenden Beschaffenheiten nach ist.

Eine jede gesetzgebende oder richtend beaufsichtigende Wissenschaft aber bedarf zu der notwendigen Ergänzung der hierin enthaltenen Einseitigkeit ihrer Stellung einer ferneren unmittelbar in dem gemeinsamen Stoffe selbst wurzelnden oder diesen seiner tatsächlichen Natur und Qualität nach darstellenden Wissenschaft; diese nun ist in Bezug auf die Logik die Grammatik; bloß in der Sprache hat das Denken seine natürliche und wirkliche Heimat oder es können eben nur aus ihr diejenigen Formen, die dem Denken durch sich selbst natürlich oder von seinem eigenen Wesen unzertrennlich sind, festgestellt werden.

Darum aber ist die allgemeine oder philosophische Grammatik eine ihrem Prinzipe nach von der Logik ebenso unabhängige als zu der Vervollständigung der ganzen wissenschaftlichen Erkenntnis vom Denken neben ihr geforderte und insofern zu dem Ganzen der Philosophie organisch hinzugehörende Wissenschaft.

Die Philosophie zerfällt in die drei Hauptwissenschaften der Logik, Metaphysik und Ethik. Unter ihnen hat die erste an die erste an den Prinzipien der inneren Form des Erkennens, die zweite an denen des äußeren wirklichen Seins, die dritte endlich an denen des angewandten menschlichen Lebens und Handelns ihren Gegenstand. Die Logik aber als einleitende Formalphilosophie bildet an und für sich für die Behandlung der beiden übrigen Hauptgebiete so wie für die aller ferneren untergeordneten Teile der Philosophie die Voraussetzung, und es ist immer nur zu derjenigen Zeit in der Geschichte die ganze Gestaltung der Philosophie eine wahrhaft wissenschaftliche gewesen, wo die logischen oder dialektischen Fragen, als die für den Inhalt im Voraus entscheidenden, vor den übrigen im Vordergrund gestanden waren.

Dieses war ebenso der Fall im Altertum in der Zeit von SOKRATES bis auf ARISTOTELES wie in der Geschichte der neuen Philosophie in dem Zeitabschnitte von KANT an und es ist daher alle wahre oder wissenschaftliche Philosophie in der Geschichte wesentlich nur auf diese beiden Zeitabschnitte beschränkt geblieben. Daher ist in jedem Falle die Logik die wichtigste und entscheidenste Hauptwissenschaft der Philosophie; der Begriff derselben als einer theoretischen Untersuchung über die ganze Art und Weise des philosophischen oder spezifisch gedankenmäßigen Erkennens aber ist noch ein weiterer als der ihrer hergebrachten Bedeutung einer Theorie von den bloßen Formen oder Kennzeichen des an sich richtigen, d.i. syllogistischen Denkens.

Die Logik in diesem letzten dem gewöhnlichen Sinne des Wortes mag im Allgemeinen als ausreichend erfunden werden für die gesetzliche Formbestimmung des empirischen oder aus der Erfahrung herstammenden Wissens, indem an den feststehenden und jeden Zweifel von sich ausschließenden Tatsachen des Wirklichen die Bewegung des begriffsmäßigen Denkens an und für sich immer einen durchaus gewissen und sicheren Anhalt besitzt.

Überall da jedoch wo das Denken nur aus sich selbest oder aus den in ihmm alleine gegebenen und von der festen sinnlichen Erfahrung abgelösten Begriffen sich Erkenntnisse zu gewinnen bestrebt, ist dasseleb an sich immer der Gefahr unterworfen dieseleben miteinander zu vermischen oder den Faden ihrer inneren durch das Gesetz der Logik geforderten Übereinstimmung aus der Hand zu verlieren; denn es ist der einzelne Begriff als solcher immer etwas in vielfacher Weise Unbestimmtes oder in seinen Beziehungen und Begrenzungen anderen Begriffen gegenüber dem Schwanken Unterworfenes, welches daher zuerst immer ehe von ihm ein bestimmter und fester Gebrauch für etwas Anderes gemacht werden kann, in dem was es an sich selbst ist, systematisch untersucht und geprüft werden muß.

Alles wissenschaftliche Denken ist überhaupt entweder ein sich an die Erfahrung anlehnendes oder ein nur auf sich selbst beruhendes begriffsmäßig dialektisches; für das erstere ist in der aristotelischen Logik der allgemeine methodische Anhalt und Führer gegeben; das letztere aber entbehrt bis auf Weiteres noch eines derartigen Organes, indem weder die PLATONische Analyse des Begriffes nach seinen reinen ansichseienden Inhalt noch die HEGELsche Konstruktion des Wirklichen nach der dialektischen Regel seine ihm immanenten Idee als ein solches anerkannt werden kann.

Für die Auffindung eines derartigen Prinzipes aber wird die Untersuchung der eigenen und freien Natur des Denkens, welche die Sprache ist, die erste Voraussetzung bilden müssen; die Begriffe die wir durch das Denken verknüpfen, sind uns in der Gestalt von Worten in der Sprache gegeben; auch sind die wirklichen und berechtigten Formen der denkenden Verknüpfung immer noch in gewisser Weise andere als die in der gewöhnlichen Logik enthaltenen.

Nur in der Wissenschaft von der Sprache besitzt die Bearbeitung der Tätigkeit des reinen oder dialektischen Denkens ein unabhängiges empirisches Fundament; der Boden der philosophischen Grammatik ist ein solcher, welcher indem er für die Logik und Philosophie von höchster Bedeutung ist, sich doch außerhalb aller diese letztere spaltender und bewegender Gegensätze gestellt findet. Schon HEGEL aber hat in seiner objektiven Logik das Bedürfnis einer systematischen Bearbeitung der ganzen Materie unseres rein begriffsmäßigen Denkens als erster Einleitung für die Behandlung aller ferneren Teile seiner Philosophie empfunden.

Das Berechtigte dieser ganzen Philosophie lag in dem durch sie erfaßten Ziele einer begriffsmäßig dialektischen Erkenntnis, während das Unberechtigt in der Prinzipienlosigkeit oder der Abwesenheit alles kritischen Bewußtseins über die methodischen Mittel derselben bestand. Ein jedes weitere Formalprinzip des Denkens aber als dasjenige der gewöhnlichen Logik hat jedenfalls dieses letztere immer zu seiner unverletztlichen Basis oder wird in keinem Falle sich in einem Widerspruch mit demselben befinden dürfen.

Die gewöhnliche Logik aber ist, so wie das abstrakte Sittengesetz für unser Handeln, so für unser Denken nur die äußerste Grenze des Berechtigten oder Erlaubten, durch welch der ganze Umfang desselben eingeschlossen wird, innerhalb deren aber noch für einen weiteren Reichtum wissenschaftlicher Bestimmungen Raum gelassen ist.
LITERATUR - Hermann Josef Cloeren (Hrsg), Philosophie als Sprachkritik im 19. Jahrhundert, Stuttgart-Bad Cannstadt 1971