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JOHANN FRIEDRICH HERBART
Psychologie als Wissenschaft
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"Die sogenannte empirische Psychologie, welche aus einer solchen Behandlung des Gegenstandes entsteht, ist bekannt genug, es wird auch noch jetzt hie und da daran gekünstelt, obgleich das Interesse dafür sich großenteils verloren hat. Hier aber ensteht ein Kreislauf von Übeln. Unrichtiges Verfahren gibt schlechten Erfolg; das Mißlingen bricht den Mut und hemmt den Fleiß; je nachlässiger nun gearbeitet wird, desto weniger bessert sich das Verfahren; und der Irrtum, dessen man längst müde geworden ist, fährt gleichwohl fort zu täuschen."

"Es ist zu bemerken ist, daß hier lediglich von Prinzipien der Erkenntnis, das heißt von den Anfangspunkten des Wissens die Rede sein kann; keineswegs aber von Realprinzipien, das heißt, Anfangspunkten des Seins und Geschehens. Denn wie - und ob überhaupt - wir die letzteren zu erkennen vermögen, das ist eben die Frage. Es ist keinerlei Gewißheit, von der man ausgehen könnte. Und den Lehren, nach welchen es irgendein Reales geben soll, das man unmittelbar und ursprünglich erkenne, steht die Tatsache entgegen, daß sie bezweifelt werden, da doch kein Zweifel möglich wäre, wenn durch irgendein  Prinzip  des Wissens geradezu ein realer Gegenstand gewußt würde."


Einleitung

Die Absicht dieses Werkes geht dahin, eine Seelenforschung herbeizuführen, welche der Naturforschung gleicht; insofern dieselbe den völlig regelmäßigen Zusammenhang der Erscheinungen überall voraussetzt und ihm nachspürt durch Sichtung der Tatsachen, durch behutsame Schlüsse, durch gewagte, geprüfte, berichtigte Hypothesen, endlich, wo es irgend sein kann, durch Erwägung der Größen und durch Rechnung. Daß die Seelenlehre sich von mehreren Seiten der Rechnung darbietet, diese Bemerkung hat mich auf die Bahn der jetzt vorzulegenden Untersuchungen gebracht; und je weiter ich sie verfolge, umso mehr überzeuge ich mich, daß nur auf solchem Weg das Mißverhältnis zwischen unseren Kenntnissen von der äußeren Welt und der Ungewißheit über unser eigenes Inneres, kann ausgeglichen, nur auf solche Weise der Stoff, welchen Selbstbeobachtung, Umgang mit Menschen und Geschichte, uns darbieten, gehörig verarbeitet werden kann.

Von den Meinungen derer, die auf innere, auf intellektuelle Anschauungen eine Naturlehre gründen, werde ich mich freilich weit entfernen müssen.  Ihre  Naturlehre ist nicht das passende Gleichnis für die Psychologie; ihre Anschauungen sind der Selbsttäuschung mehr als verdächtig, denn es sind offenbar nur unrichtige Begriffe, die aus spekulativen Verlegenheiten entsprangen; hätte es aber auch mit diesen Anschauungen, als Tatsachen, seine Richtigkeit, so würde dabei doch vergessen oder verkannt sein, daß alle Anschauung, innere sowohl als äußere, um eine sichere Überzeugung zu begründen, erst die Probe machen muß, ob sie sich im Denken halten kann? oder ob sie ein bloßer Stoff für Kritik und Umarbeitung werde, sobald der Denker sie ernstlich angreift? Des leichten Beispiels, welches die Astronomie uns liefert, indem sie die scheinbaren Bewegungen auf die wahren zurückführt, ist kaum nötig, zu erwähnen.

Um nichts besser werde ich zusammenstimmen mit denen, welche durch das Dogma von der sogenannten  transzendentalen  Freiheit des Willens einen großen Teil der psychologischen Tatsachen der allgemeinen Gesetzmäßigkeit entweder geradezu entziehen oder doch diese Gesetzmäßigkeit für eine bloße Erscheinung erklären. Diese häufen irrige Ansichten der praktischen Philosophie auf psychologische Vorurteile; indem sie die Selbständigkeit des sittlichen Urteils mit einer Selbständigkeit des Willens verwechseln; die Zurechnung, welche den Willen treffen sollte, über ihr Ziel hinaustreiben und sich dabei in müßige Fragen nach dem  Ursprung  des Willens verlieren; endlich das Urteil mit dem Gebot zusammenschmelzende sich eine praktische Vernunft erfinden, deren Verhältnis zur theoretischen sie in die unnützesten Streitigkeiten verwickelt. Das Gewebe dieser Täuschungen auzulösen, ist zum Teil die Sache der praktischen Philosophie und insofern muß ich mich auf eine frühere Schrift beziehen; (1) damit aber auch die Psychologie von ihrer Seite zu Hilfe komme, muß erst sie selbst mit vorurteilsfreiem Geist bearbeitet werden.

Abweichen muß endlich von all denen, welche die inneren Tatsachen zu erklären glauben, indem sie sie klassifizieren und nun für jede Klasse von Tatsachen eine besondere, ihr entsprechende Möglichkeit annehmen, diesen Möglichkeiten aber in ebensoviele  Vermögen  übersetzen; wobei die logischen, zur vorläufigen Übersicht der Phänomene brauchbaren Einteilungen, wider alles Recht, für Erkenntnisse realer Vielheit und Verschiedenheit ausgegeben werden; und wodurch statt des echten Systems, der, unter sich notwendig zusammenhängenden psychologischen Gesetze ein bloßes Aggregat von Seelenvermögen herauskommt, ohne Spur einer Antwort auf die Frage: warum doch gerade solche und so viele Vermögen in uns beisammen und warum sie in dieser und keiner anderen Gemeinschaft begriffen werden? - Die sogenannte empirische Psychologie, welche aus einer solchen Behandlung des Gegenstandes entsteht, ist bekannt genug, es wird auch noch jetzt hie und da daran gekünstelt, obgleich das Interesse dafür sich großenteils verloren hat. Hier aber ensteht ein Kreislauf von Übeln. Unrichtiges Verfahren gibt schlechten Erfolg; das Mißlingen bricht den Mut und hemmt den Fleiß; je nachlässiger nun gearbeitet wird, desto weniger bessert sich das Verfahren; und der Irrtum, dessen man längst müde geworden ist, fährt gleichwohl fort zu täuschen.

Nach den vorstehenden Erklärungen werden manche dieses Buch für immer beiseite legen; möchten nun die Wenigen, welche noch nicht abgeschreckt sind, sich zuerst der längst anerkannten, höchsten Wichtigkeit einer echten Wissenschaft von uns selbst, von unserem Geist und Gemüt, erinnern! Einer Wissenschaft, die wir im Grunde immer, als ob wir sie schon besäßen, im Stillen voraussetzen, wo wir  von uns  etwas fordern,  für uns  etwas wünschen, wo wir mit unseren Kräften etwas unternehmen oder daran zweifelnd etwas aufgeben, wo wir im Wissen oder im Handeln oder im Genießen vorwärts streben oder rückwärts gleiten. Uns selbst schauen und denken wir in alles hinein, darum weil wir mit  unseren  Augen sehen und mit  unserem  Geist denken; in unseren eigenen Zuständen liegt das Glück und das Übel, welches wir empfinden und dessen Vorstellung wir auf andere übertragen; nach dem Standpunkt, auf welchem der Mensch steht, richtet sich sein Begriff von Gott und vom Teufel, so wie  von der Erde aus  und mit  irdischen  Werkzeugen wir in das Licht der Sonnen und in die Nebel der Kometen hineinblicken. Können wir nun das, was wir in unser Wissen und Meinen selbst hineintrugen, wieder abrechnen? Und bleibt alsdann noch ein wahrhaft objektives Wissen übrig? Oder ist die Abrechnung unmöglich und ist die ganze Welt, die ganze Natur, bloß für uns und in uns? Oder sind wir selbst dergestalt in der Welt, daß in der Selbstanschauung der Welt auch die Geister der Menschen, wie Teile im Ganzen enthalten sind? - Solche Fragen, ohne  alle  Psychologie zu beantworten, wird wohl niemand versuchen. Dadurch aber, daß man in die Lehren vom Ich oder von der Weltseele die gemeinen Vorstellungsarten der  empirischen  Psychologie einwickelt, ohne sie zu verbesser, kommt die Wissenschaft nicht von der Stelle. Und gleichwohl, wo wäre die Wissenschaftslehre oder die Naturphilosophie, die nicht auf der  Einbildungskraft,  der  Urteilskraft der  Vernunft dem  Verstand dem  freien Willen,  als auf ebensovielen unentbehrlichen Krücken sich gelehnt hätte und einhergegangen wäre? die nicht, obgleich undankbar, dennoch Dienste von der empirischen Psychologie angenommen und dadurch ein mittelbares Bekenntnis von der Wichtigkeit unseres Gegenstandes abgelegt hätte?

Möchten ferner die Leser, die sich entschlossen haben, mir ernstlich und beharrlich auf meiner Bahn zu folgen, in der Überlegung dessen, wonach sie zuerst zu fragen haben, mir zuvorkommen! Dieses aber sind die  Prinzipien,  die ich zugrunde lege und die  Methoden,  deren ich mich bedienen werde. Wobei sogleich zu bemerken ist, daß hier lediglich von Prinzipien der Erkenntnis, das heißt von den Anfangspunkten des Wissens die Rede sein kann; keineswegs aber von Realprinzipien, das heißt, Anfangspunkten des Seins und Geschehens. Denn wie - und ob überhaupt - wir die letzteren zu erkennen vermögen, das ist eben die Frage; es ist keinerlei Gewißheit, von der man ausgehen könnte. Und den Lehren, nach welchen es irgendein Reales geben soll, das man unmittelbar und ursprünglich erkenne, steht die Tatsache entgegen, daß sie bezweifelt werden, da doch kein Zweifel möglich wäre, wenn durch irgendein  Prinzip  des Wissens geradezu ein realer Gegenstand gewußt würde. Meinerseits benachrichtige ich den Leser, daß ich alle vorgebliche Identität von Ideal- und Realprinzipien schlechthin leugne und jede Behauptung der Art als einen Schlagbaum betrachte, wodurch der Weg zur Wahrheit gleich anfangs versperrt wird. Alles unmittelbar Gegebene ist Erscheinun; alle Kenntnis des Realen beruht auf der Einsicht, daß das Gegebene nicht erscheinen könnte, wenn das Reale nicht wäre. Die Schlüsse aber von der Erscheinung auf das Reale, beruhen nicht auf auf eingebildeten Formen des Anschauens und Denkens; - dergleichen manche im Raum und der Zeit, ja sogar im Kausalgesetz oder noch allgemeiner in einem sogenannten Satz des Grundes zu finden glauben; dergestalt, daß sie diese Formen für zufällige Bedingungen halten, auf welche nun einmal das menschliche Erkenntnisvermögen beschränkt ist, während andere Vernunftwesen wohl eine andere Einrichtung ihres Denkens haben könnten. -

Wer dieser Meinung zugetan ist, der verfährt konsequenz, wenn er die Schlüsse von der Erscheinung auf das Reale für ein bloßes Ereignis in unserem Erkenntnisvermögen hält; der Fehler liegt aber daran, daß er die Formen des Denkens bloß empirisch kennt, ohne Einsicht in deren innere und unabänderliche Notwendigkeit. Wäre ihm diese klar, so würde er auch richtigen Schlüssen vertrauen; und das Suchen nach einem höheren Standpunkt, auf welchem die einmal erkannte Wahrheit wohl wieder zum Irrtum werden möge, würde er als eine Träumerei betrachten, deren Ungereimtheit daraus entsteht, daß die Evidenz des Wachens verloren geht und vergessen wird. Diejenigen, welche auf verschiedenen Standpunkten Verschiedenes wahr fanden, hatten auf keinem richtig gesehen.

Eine zweite Bemerkung, die gleich hier nötig scheint, betrifft das Verhältnis der Prinzipien und Methoden.  Beide bestimmen einander gegenseitig.  Ein Prinzip soll nämlich die doppelte Eigenschaft besitzen, eigene Gewißheit ursprünglich zu haben und andere Gewißheit zu erzeugen. Die Art und Weise, wie das letztere geschieht, ist die Methode. Daher richtet sich aber auch die Methode nach dem Prinzip, auf welches sie paßt; und ihm selbst muß sie abgewonnen werden. Der Denker, welcher in der Mitte seiner Beschäftigung mit einem (nicht willkürlichen, sondern gegebenen) Begriff, gewahr wird, daß dieser Begriff ihn nötigt,  neue Begriffe an jenen anzuknüpfen,  die wesentlich zu ihm gehören; derselbe findet und erfindet eben dadurch  die  Methode, welche zu jenem Begriff, als dem Prinzip, gehören wird. Über ein solches Verhältnis zwischen Methoden und den enstprechenden Prinzipien lassen sich allgemeine Untersuchungen anstellen; aber in der reinen formalen Logik muß man dergleichen nicht suchen; denn eben weil diese von allem Inhalt der Begriffe abstrahiert, kann sie das Eigentümliche besonderer Erkenntnisquellen und die besondere Art, wie daraus geschöpft werden muß, nicht erreichen. daher kann auch die Frage, wie vieles aus einem einzigen Prinzip abgeleitet werden kann? nicht durch die allbekannte Bemerkung, daß zu einer logischen Konklusion wenigstens zwei Prämissen gehören, zurückgewiesen werden. Wer in der Philosophie gute Fortschritte machen will, der muß sich vor allen Dingen hüten, in der Form seines Denkens nicht eindeutig zu werden und sich keiner beschränkten Angewöhnung zu überlassen. Fast jede Klasse von Problemen hat ihr Eigentümliches, sie verlangt neue Übungen und Anstrengungen.

Hieraus erklärt sich, daß oft die fruchtbarsten Prinzipien lange Zeit ungenutzt liegen bleiben. Man kennt sie in ihrer ersten Eigenschaft, nämlich, daß sie gewiß sind; aber man ist noch nicht aufmerksam geworden auf die zweite, vermöge deren sie neue Gewißheit erzeugen können. Und warum nicht? Weil man die dazu nötige Methode nicht hat und die derselben angemessene Geistesrichtung und Übung nicht besitzt.

Die Gefahr aber, daß vorhandene Prinzipien ungenutzt bleiben, ist umso größer, je mehr unsere Aufmerksamkeit geteilt wird, je mehr die Menge der Prinzipien uns zerstreut; je unbestimmter sie vor unseren Augen gleichsam herumschweben; endlich je mannigfaltiger wir noch außer dem spekulativen Interesse von ihnen beschäftigt werden.

In einem solchen Fall befinden wir uns nun mit den Prinzipien der Psychologie. An ihnen haben wir einen Reichtum, den wir nicht zählen können; ein Wissen, das uns wie ein Irrlicht stets begleitet und stets entflieht; eine Überzeugung, deren Stärke zwar die größte, deren Bestimmtheit aber die allerkleinste ist; eine Basis von Untersuchungen, welche als Ganzes völlig fest liegt und doch in jedem einzelnen Punkt schwankt; endlich eine Aufforderung zum Nachdenken, die so dringend und auf so mannigfaltige Weise einladend, die mit so vielerlei Angelegenheiten unseres Lebens und unserer Geschäfte verflochten ist, daß wir vor lauter Interesse zu derjenigen rein spekulativen Gemütsfassung, deren es zur Untersuchung einzig bedarf, kaum gelangen können.

 Welches sind denn die Prinzipien der Psychologie?  Diese Frage hoffe ich mit allgemeiner Zustimmung so zu beantworten: es sind diejenigen Tatsachen des Bewußtsein, aus welchen die Gesetze dessen, was in uns geschieht, erkannt werden können. - Die Tatsachen des Bewußtseins sind ohne Zweifel die Anfangspunkte alles psychologischen Nachdenkens; abgesehen von ihnen, was hätten wir von der Seele zu sagen oder zu fragen? Nun soll auch aus den Prinzipien etwas weiteres erkannt werden; und hier möchte man sich vielleicht nicht mit den Gesetzen der geistigen Ereignisse begnügen wollen, sondern auch noch Aufschluß über das reale Wesen der Seele verlangen. Allein ob dieses erkennbar sei? wird wohl der Leser das vor der Untersuchung entscheiden wollen? Wir suchen ein spekulatives Wissen; also freilich kein bloßes Register von Tatsachen, sondern eine gesetzmäßige Verknüpfung derselben; darüber hinaus grundlose Behauptungen aufzustellen, würde nichts helfen; ergibt sich aber auf rechtmäßigem Weg noch etwas mehr, so ist das als eine willkommene Zugabe zu betrachten.

Wenn nun gleich die gegebene Antwort einleuchtend ist, so hat sie doch nur den Wert einer Nominaldefinition. Denn wir sehen noch nicht, ob es denn solche Tatsachen des Bewußtseins wirklich gibt, die zu Erkenntnisgründen der aufzusuchenden Gesetze dienen können? Welche sind es aber? Wie kann man sie herauswählen aus der Fülle der inneren Wahrnehmungen? Wie folgt aus ihnen etwas und wieviel? Muß man mehrere solcher Tatsachen verbinden oder nicht? Muß man sich notwendigerweise all derer bedienen, die die Würde von Prinzipien von sich behaupten können bedienen oder sind sie etwa den Toren einer Stadt zu vergleichen, unter denen man wählen darf, weil  jedes  den Eingang zu  der ganzen  Stadt ermöglicht, obgleich vielleicht eines schneller und bequemer als die anderen uns in den Mittelpunkt der Stadt gelangen läßt?

Diese Fragen, ohne Zweifel schwer genug zu beantworten, setzen alle schon voraus, daß man die Tatsachen des Bewußtseins, so wie die innere Wahrnehmung sie darbietet, wenigstens kennt und übersieht. Aber hat uns die empirische Psychologie auch nur so weit vorgearbeitet? Sie erzählt uns vom Vorstellungsvermögen, Gefühlsvermögen, Begehrungsvermögen;  sie ordnet diesen Vermögen unter:  zum Beispiel das Gedächtnis, die Einbildungskraft, den Verstand, die Vernunft, ja in dieser Unterordnung geht sie noch weiter, indem sie ein Ortsgedächtnis, Namensgedächtnis, Sachgedächtnis, einen theoretischen und praktischen Verstand und dgl. aufweist. Ist nun wohl hier ein Ende an Unterordnung? Und ist das Allgemeine, dem etwas subsumiert wird, eine Tatsache? Alle Tatsachen sind etwas individuelles, sie sind weder Gattungen noch Arten. Die letzteren aber müssen durch eine regelmäßige Abstraktion aus der Auffassung des Individuellen entspringen.  Wie nun, wenn das Individuelle nicht still genug hielte,  um sich zu einer regelmäßigen Abstraktion herzugeben?

Wer auch nur einen Versuch macht, die hier aufgeworfenen Fragen ernsthaft zu überlegen: der wird bald inne werden, daß der Stoff, den wir behandeln wollen, äußerst schlüpfrig ist. Daher können wir diejenigen Untersuchungen, welche den wesentlichen Inhalt dieses Buches ausmachen, nicht gleich vornehmen, sondern es sind einige vorbereitende Betrachtungen nötig. Zuerst über die Auffassung und Benutzung der psychologischen Prinzipien. Ferner über das Verhältnis der Wissenschaft, die wir Psychologie nennen, zu allgemeinen Metaphysik. Dann werden wir uns in der Kürze an die neuere Geschichte der Psychologie erinnern; und erst am Ende dieser ganzen Einleitung kann über den Plan des Buches eine nähere Auskunft gegeben werden. Die Leser aber werden gebeten, sich einen ruhigen Schritt gefallen zu lassen und fest zu glauben, daß in der Philosophie allemal der Weg, den man in scheinbaren Geniesprüngen vorwärts macht, langsam wieder rückwärts gegangen wird.
LITERATUR - Johann Friedrich Herbart, Psychologie als Wissenschaft - neu gegründet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik, Königsberg 1824