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CARL PRANTL
(1849 - 1893)
Reformgedanken zur Logik
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"Der wirklich gewordene Gedanke (als Verwirklichung der Denkfähigkeit) existiert nur in lautlicher Form und umgekehrt ist jedes Sprachelement gedankenhaltig."

"Wenn Wilhelm von Humboldt sagt, daß die sprachlich-logischen Formen nicht eigentlich der Sprachwissenschaft angehören und wenn Herbart sich kurz dahin aussprach, daß die Logik keine Sprachlehre sei, so hatten sicher beide recht."


Wäre demnach im Zeitsinn oder Kontinuitätssinn die letzte und ursprünglichste Quelle all jener Unterschiede erfaßt, mittels deren sich der Mensch in hochgradiger Steigerung über das Tier erhebt, so können wir nun in dieser Beziehung auf die oben erwähnten Funktionen des Wollens, des Denkens und des Sprechens zurückdenken. Während wir nämlich ungescheut auch dem Tier einen Willen zuschreiben, ergibt sich von selbst, daß der Wille des Menschen ein andersartiger ist, denn eben wenn bei beiden der Wille durch das Wesen bedingt ist, wird die Andersartigkeit des Wesens, welche wir durch obige heterogene Begabung begründen, auch eine Andersartigkeit des Willens zur Folge haben. Wenn beim Tier wie beim Menschen die durch die Sinne vermittelten Reize sich im Zentral-Organ in Motive umsetzen, so ist diese beständige Umsetzung beim Menschen dadurch eine gesteigerte und bereicherte, daß derselbe außer den Raum-Sinnen einen Zeit-Sinn besitzt; und um bei der primitivsten Erscheinung dieser Steigerung zu verbleiben, dürfen wir nur darauf hinweise, daß der Mensch auf gewisse Reize des Kontinuitäts-Sinnes die motorischen Nerven mit der Absicht anwendet, der Reihe nach die einzelnen Finger zu strecken oder zu betasten, um eine Vielheit vorliegender Gegenstände zu zählen. Der Zeit-Sinn aber enthält die Befähigung vom konkret momentanen Sensualen abzusehen und den Faden der reinen Sukzession fortzspinnen und din dieser Fähigkeit der Selbständigkeit liegt schlicht und einfach, aber zugleich auch unabweisbar die vielbestrittene Freiheit des menschlichen Willens begründet, welche von den einfachsten Regungen des Zeitsinns an die untrennbare Begleiterin aller idealen Impulse ist. Wir machen den Anschauungen, welche der Materialismus in seiner Weise ausspricht, das Zugeständnis, daß auch beim Menschen sämtliche Regungen des Willens durch vorhergehende kausal wirkende Momente determiniert sind, aber wir erbitten hinwiederum für uns das Zugeständnis, daß in jenem Kausalzusammenhang beim Menschen auch eine Gruppe von Momenten mitwirkt, deren das Tier entbehrt. Die im Zeitsinn liegende Begabung, welche sich von selbst über das momentane Materielle erhebt und somit das Motiv einer Selbständigkeit enthält, ist wesentlich mit allen Willensentschlüssen des Menschen verbunden, welcher sonach die Möglichkeit und den Beruf in sich trägt, innerhalb des Materiellen über dasselbe hinauszugehen. Gewohnheit und Übung führt auch bei der Verflechtung des Zeitsinnes mit den Raumsinnen (ebenso wie beim Erlernen des Gehens, des Sehens, des Lesens usw.) zu gesteigerter Entwicklung und hiermit ist es auf dieser unserer Basis spekulativ erklärbar und verstänlich, daß der Mensch eine "Geschichte" hat. Ist auf solche Weise gegenüber dem Materialismus die Willensfreiheit des Menschen wirklich gerettet, so sind wir zugleich von jenen Gefahren unberührt, welche der folgerichtige Supranaturalismus in dieser Beziehung unabweisbar in sich birgt; denn daß derselbe die menschliche Freiheit aufhebt, kann für den Denkenden durch keine Künstelei scholastischer Argumente vertuscht werden.

Das Gleiche gilt nun auch vom Denken und vom Sprechen, um deren willen wir zur ganzen längeren Digression [Abweichung - wp] genötigt waren, um eine möglichst tiefe und unzweifelhafte Basis zu gewinnen. Das menschliche Denken ist eine hochgradige Steigerung der obigen Auffassungsgabe, welche auch den Tieren innewohnt, denn des Menschen Auffassung ist von vornherein mit Kontinuität durchwoben und das erwähnte Motiv der Selbständigkeit tritt analog der spontanen Rückerinnerung darin auf, daß das denkende Subjekt ebensosehr die Möglichkeit hat, sich mit einem äußeren Gegenstand zu beschäftigen, als auch die Möglichkeit, denselben absichtlich beiseite zu lassen. Aus dem Selbstbewußtsein, welches wir als eine Folge des Kontinuitätssinns betrachten, ergibt sich die Befähigung des Menschen, die äußeren Perzeptionen in "Sinneswahrnehmung" und "Gefühl" zu zerlegen, d. h. an der Auffassung selbst ein Objektives und ein Subjektives zu unterscheiden und, indem der Faden des letzteren gleichfalls mit Kontinuität fortgesponnen wird, dasselbe selbst wieder gegenständlich zu erfassen, daher es für den Menschen zahllose Gegenstände der denkenden Auffassung gibt, welche unmittelbar weder konkrete äußere Dinge noch sinnenerregende Eigenschaften derselben sind, sondern mittelbar aus solchem in der Denkwerkstätte als Erzeugnisse und Gegenstände hervorgegangen waren. Die einfache und primitive Erscheinung des Zeitsinnes, welche im Zählen und zählenden Messen den Faden der reinen Sukzession fortzuspinnen vermag, führt in weiterer Entwicklung, deren Erhabenheit über das konkret momentan Sensuale zweifellos einleuchtet, zu dem unendlich weittragenden Gedankenkreis der gesamten Mathematik, deren einzige Anknüpfung an Sinnliches darin besteht, daß auch sie in Worten oder in Abkürzungs-Surrogaten gesprochener Worte kundgegeben werden muß. (Den Tieren Mathematik zuzuschreiben, wäre lächerlich; immerhin mag man die Arbeitsleistungen der Biene oder der Spinne staunend bewundern, aber indem dieselben mit echt tierischer Borniertheit stets nur in  einer  bestimmten geometrischen Form auftreten, beurkunden sie schon hierdurch, daß sie nicht auf spontanem mathematischen Denken beruhen.) Und wenn wir oben die Entwicklung berührten, durch welche der Kontinuitätssinn mit einem über das Momentane hinausreichenden Blick sich zum idealen Sinn gestaltet, welcher in Gestaltung und Beherrschung des Realen ideale Zwecke setzt, so erwächst in den dort erwähnten maßgebenden Trieben ein anderweitiger unendlich reicher Gedankenkreis, welcher allseitigst und durchdringendst der "Geschichte" des Menschengeschlechts zugrunde liegt. Hätten die Tiere auch nur eine einzige jener "Ideen", welche in Familie, Sittlichkeit, Rechtsordnung, Kunst, Religion und Wissenschaft walten, so besäßen auch die Tiere eine Geschichte. Mit größtem Dank sind sicher all jene Studien zu begrüßen, welche der Erforschung der Tierpsychologie und des Tierlebens gewidmet sind, denn es erwächst hieraus hundertfältige Aufklärung auch für die Psychologie des Menschen; aber all solches erstreckt sich nur auf jenes psychische Leben, welches durch die Raumsinne vermittelt wird und man sollte sich hüten, durch vage Analogien und Metaphern dem Tier Gebiete zuzuschreiben, deren es einmal grundsätzlich entbehrt. (Wenn ich z. B. oben die Ansicht aussprach, daß den Tieren wohl auch das Gefühl der Reue oder ein Gewissen zuzusprechen sei, so ist hiermit nicht gesagt, daß das Tier im Hinblick auf eine sittliche Idee handle, denn Reue kann auch lediglich um des Wohlbefindens willen eintreten und ebenso verhält es sich z. B. mit der Dankbarkeit des Hundes und dgl.; von einem Staat Bienen zu sprechen, ist, wenn auch noch so beliebt, doch nur Metapher und eine Verirrung war es, wenn man in der Aufklärungsperiode Abhandlungen über den Kunsttrieb der Tiere schrieb, denn wir fordern von der Kunst, daß sie eine Idee verwirkliche.) Des Menschen Denken und Wollen entfaltet sich auf der Grundlage des Kontinuitätssinns zu einer tausendfältigen Betätigung, welche sich den höchsten vom Menschen erfaßbaren idealen Zielen zuwenden kann. Daß aber die Funktion jener immanenten Kraft, welche die Menschen-Seele ist, außen den Raumsinnen auch einen Zeitsinn umfaßt, ist eine zur Heterogenität führende hochgradige Steigerung der Tierseele.

Eben aber weil die Heterogenität, durch welche das Wesen des Menschen sich von jenem des Tieres unterscheidet, nur als das Ergebnis einer in Steigerung fortschreitenden Entwicklung betrachten, in welcher die unter sich weit abliegenden Stufen sich als "Abstände" ergeben, so bleibt dabei eine grundsätzlich gleichmäßige Betrachtungsweise der verschiedenen Stufen bestehen. Das heißt sowie wir bei den Tieren dasjenige, was als Kundgebung derselben zu bezeichnen ist, nicht dualistisch von den sogenannten inneren psychischen Vorgängen der Auffassung zu trennen vermögen, ebenso werden wir beim Menschen eine untrennbare Wesenseinheit des Denkens und des Sprechens durchzuführen versuchen müssen und nach diesem Gesichtspunkt erscheint mir die Logik als reformbedürftig.

Nachdem im obigen der Dualismus, auf dessen Grundlage man den Laut als ein Kleid oder ein Zeichen oder eine Vergegenständlichung des Gedankens bezeichnet, in Kürze abgewiesen worden, darf ich vielleicht dem monistischen Standpunkt, welcher jede Präexistenz des Gedankens vor der Verlautbarung verneint, einen Ausdruck dadurch geben, daß ich die artikulierte Sprache als "Verwirklichung der Denkkraft im natürlichen Laut" definiere. Der Wortlaut dieser Definition schließt auch die Annahme aus, daß der natürliche Laut ein Mittel des Denkens sei, wie JOHN STUART MILL meinte. Derselbe sagte ja, es sei zu den logischen Funktionen überhaupt nichts weiteres als nur Sinneswahrnehmung und Ideenassoziation erforderlich und indem die Worte nur Bewahrer der ansich flüchtigen Geistesprodukte seien, müsse die Sprache als ein künstliches Gedächtnis betrachtet werden, dessen Hilfeleistung zuweilen auch entbehrt werden könne; aber es hat hierbei dieser Vertreter der induktiven Logik, welcher doch so häufig an materialistischen Sensualismus streift, in eigentümlicher Inkonsequenz den Inhalt der Ideenassoziation in nicht geringerem Grad von dem sensitiven Apparat und von den motorischen Nerven isoliert, als auch die Dualisten ihrerseits die denkende Seele vom ausgedehnten Leib trennen und außerdem bleibt die Frage unbeantwortet, warum denn der denkende Mensch in der großen Mehrzahl der Fälle zu jenem halb entbehrlichen Mittel greife. Aber selbst wenn die sprachliche Verlautbarung (- was MILL verneint -) als das ausschließliche und unerläßliche Mittel des Denkens zu bezeichnen wäre, käme es immerhin noch auf eine nähere Prüfung des Begriffs "Mittel" an. Und infolge dieses letzteren Bedenkens kann ich mich auch nicht mit SIGWART einverstanden erklären, welcher (Logik I, Seite 43) sagt, daß die geistige Entwicklung des Menschen sich "tatsächlich nur mit Hilfe der Sprache und unter ihrem mächtigen Einfluß vollziehe"; denn abgesehen davon, daß der Gebrauch des Wortes "tatsächlich" in der Stille einen Gegensatz gegen das innere Wesen, welches von diesem tatsächlichen Bestand unberührt wäre, mit sich zu führen scheinen könnte, möchte ich die Bezeichnung der Sprache als eines Hilfsmittels für nicht zutreffend halten. Ich darf vielleicht zur Verdeutlichung ein Gleichnis wählen, indem ich der obigen Definition der Sprache es parallel stelle, wenn der Diamant als kristallisierter reiner Kohlenstoff definiert wird. Es ist nämlich gewiß keinesfalls der Diamant ein Mittel für den Kohlenstoffe, sondern allenfalls mag man die Kristallisation ein Mittel nennen, aber auch dies nicht für den Kohlenstoff, sondern etwa für den Diamant; und ebenso kann ich die Sprache keinesfalls für ein Mittel des Denkens halten, hingegen mag etwa der natürliche Laut als Mittel bezeichnet werden, aber auch das nicht für den Gedanken, sondern allenfalls für die Sprache. Auch könnte das so eben gewählte Gleichnis (- unter Vorbehalt der bekannten Eigenschaft aller Gleichnisse -) zugleich verwendet werden, um den Begriff der Wesenseinheit zu versinnlichen, welche wir als  unitas naturae  [natürliche Einheit - wp] im Gegensatz gegen  unitas compositionis  [künstliche Einheit - wp] zu verstehen haben. Daß nämlich der Diamant nicht eine Zusammensetzungseinheit aus reinem Kohlenstoff und der Kristallform sei (etwa wie Zinnober eine Zusammensetzungseinheit aus Quecksilber und Schwefel ist), wir gewiß zugegeben; und im Hinblick darauf, daß in der Natur (also abgesehen von künstlicher Herstellung) der reinste Kohlenstoff ausschließlich nur im Diamant existiert, könnte gleichnisweise gesagt werden, daß, wie der Diamant eine Wesenseinheit des reinsten Kohlenstoffes und der Kristallform ist, ebenso die Sprache eine Wesenseinheit des Denkens und des natürlichen Lautes ist; ja es ließe sich endlich das Gleichnis noch dahin ausdehnen, daß, wie der reine Kohlenstoff die wesentliche Eigenschaft an sich trägt, in bestimmter Form zu kristallisieren, ebenso die Denkkraft (bei Tieren die Auffassungsgabe) die wesentliche Eigenschaft an sich trägt, die motorischen Nerven, welche zur Kehle und dgl. führen, in Bewegung setzen. Doch genug des hinkenden Gleichnisses; - zur Klarstellung meiner Auffassung kann es vielleich dennoch gedient haben.

Der wirklich gewordene Gedanke (als Verwirklichung der Denkfähigkeit) existiert demnach nur in lautlicher Form und umgekehrt ist jedes Sprachelement gedankenhaltig. Jede Priorität des wirklichen Denkens vor dem Sprachausdruck ist ebenso wie jedes losgetrennte Dasein des ersteren grundsätzlich zu verneinen; hingegen der natürliche Laut tritt auch neben der wesenseinheitlichen Verbindung, welche er mit dem Denken eingeht, losgetrennt als physikalischer und musikalischer Ton auf und geht auch in der Entwicklung des neugeborenen Kindes mit zeitlicher Priorität jenem Stadium vorher, in welchem die der tierischen Auffassungsgabe nahe stehende Keimform des Denkvermögens allmählich dazu gelangt, die zu den Sprachwerkzeugen leitenden motorischen Nerven zu verwerten. So fällt allerdings (wie ich schon oben sagte), insofern man scheiden will, das Hauptgewicht auf die Auffassungsgabe, welche beim Menschen zum Denkvermögen gesteigert ist, aber die Scheidung ist überhaupt falsch, insofern die genannte Kraft ausschließlich nur in der Verlautbarung ihre Verwirklichung findet. Die Wesenseinheit des Denkens und Sprechens ist so innig, daß von den primitivsten Gestaltungen an jeder Denkakt ein Sprachakt und jeder Sprachakt ein Denkakt ist, sowie in weiterer Entwicklung alle Begriffsbildung usw. beides zugleich ist. So befände ich mich allerdings in einiger Entfernung von der sogenannten Ding-Dang-Theorie [Anklingen von Empfindungen durch Töne der Außenwelt - wp] und ebenso möchte ich es für einen Abweg nach der entgegengesetzten Seite halten, wenn GEIGER (Ursprung der Sprache I, Seite 135) meint, daß nicht die Sprache durch die Vernunft, sondern die Vernunft durch die Sprache verursacht worden sei. Keines der beiden ist die Kausalität des anderen, sondern sie entwickeln sich in fortschreitender wesenseinheitlicher Vereinigung.

Wenn im Zeit- oder Kontinuitätssinn jene Begabung des Menschen liegt, durch welche sich derselbe grundsätzlich vom Tier unterscheidet, so wird hierin auch die Begründung jener Steigerung zu suchen sein, durch welche die tierische Kundgebung sich zu menschlichen Sprache erhebt. Allerdings nämlich lassen auch die Tiere beim Eintritt der gleichen Wahrnehmungsobjekte die gleichen Kundgebungen ertönen, so daß der aufmerksame Beobachter z. B. sofort die verschiedenen Arten des Bellens eines Hundes richtig versteht und auf die sachgemäße Kausalität zurückführt oder desgleichen z. B. bei Vögeln die eigentümlichen Locktöne genau unterscheidet, je nachem den Jungen von den Alten entweder der Fund eines Futters oder die Anwesenheit einer Gefahr signalisiert wird. Aber beim Menschen ist diese Verwendung verschiedener phonologischer Funktionen, welche auch bei ihm je nach verschiedenen Reizen eine konstante ist, von vornherein mit dem Kontinuitätssinn durchwoben, d. h. er hat ein Bewußtsein nicht bloß der Töne und Laute, sondern auch der Gleichmäßigkeit selbst und indem er so den einheitlichen Faden als solchen fortzuspinnen vermag, schreitet er durch die fortgesetzte Auffassung der Eindrücke in steter Gestaltung zahlreichster Gebilde fort, in welchen die erschöpfte Mannigfaltigkeit aller Abstufungen der Laute und Töne wesenseinheitlich mit Bewußtseinsmomenten verflochten ist, so daß aus einem relativ beschränkten Reichtum des phonologischen Materials eine allmählich sich mehrende Fülle von Worten erwächst, deren jedes eine Wesenseinheit der Verlautbarung und der bewußt festgehaltenen Bedeutung ist. Dieser Prozeß der Sprachbildung gestaltete sich auf der Grundlage klimatischer und somatischer Bedingungen in mannigfaltigsten Modifikationen und er ist vom ersten Auftreten des Menschengeschlechts in der fortschreitenden Entwicklung desselben beileibe nicht etwa der Begleiter, sondern geradezu der ausschließliche Träger aller idealen Impulse der Menschheit. Ja, er wiederholt sich in gewissem Sinne auch im heranreifenden Einzelindividuum, d. h. im Kind; - ich sage "in gewissem Sinn". Denn wenn es in physiologischer Beziehung richtig ist, daß das Ei und der Embryo des Menschen auch jetzt noch eine Wiederholung der zoologischen Vorstufen in rascher Entwicklung zur Darstellung bringt, so darf diese Tatsache nicht sofort durch Analogie als vollgültig auf die Sprache übertragen werden. Dem Kind wird ja bereits zu Zeit der ersten Regungen des Sprachvermögens ein gewisser fertiger Sprachschatz durch die Umgebung aufgedrängt und hierdurch die Erzeugung der Sprache derartig erleichtert und beschleunigt, daß es sich schlechterdings der Beobachtung entzieht, ob die ersten Kundgebungen der Kinderseele etwa Verba oder Pronomina oder Substantive seien und dgl. Doch bricht zuweilen auch hier die Macht eines individuellen Waltens hervor, denn Kinder schaffen in der Tat auf Grundlage der aufgedrängten Sprache manches neue Wort, welches aber dann seine Geltung im Strom der weiteren Spracherlebnisse verliert und jedenfalls dieselbe nicht über die Kinderstube hinaus erstreckt.

Indem wir aber dem Zeitsinn in der gesamten Entfaltung des Menschenwesens und folglich auch in der allumfassenden Tätigkeit der Sprachbildung die entscheidende Rolle zuschreiben, so ist hierdurch ein Standpunkt eingenommen, für welchen eine philosophische Auffassung die Verantwortung übernehmen muß und möglicherweise könnte es die Philosophie von ihrer rein spekulativen Aufgabe aus versuchen, durch die grundsätzliche Betonung des Zeitsinnes und seiner Konsequenzen eine zeitgemäße Lösung mancher Fragen anzuregen, welche weder durch Materialismus noch durch Supranaturalismus eine genügende Beantwortung finden können. Wenn jüngst MAX MÜLLER (Contemporary Review, Januar 1875) im Interesse der Begründung seiner Ansicht über die Sprache es als ein Problem bezeichnet, die letzte feste Grenzlinie zwischen Tier und Mensch und hiermit den ursprünglichen Keim des menschlichen Logos zu suchen, so dürfte vielleicht vom philosophischen Standpunkt aus die Anfrage gestellt werden, ob nicht im Zeitsinn dieses gesuchte gefunden sei. Aber die Philosophie oder vielmehr der Vertreter derselben wird trotz der Annahme, einen richtigen und vielleicht sogar weittragenden Anstoß gegeben zu haben, sich gewiß bescheiden müssen, nicht im Besitz aller Einzelwissenschaften zu sein. Darum kann auch nur von der Fachwissenschaft der Linguistik die Beantwortung der Frage erwartet werden, ob die Philosophie sich wirklich grundsätzlich auf einen durch die Sprachwissenschaft öfters hervorgehobenen Tatbestand stützen dürfe. Wir lesen nämlich z. B. bei JAKOB GRIMM (Ursprung der Sprache), daß alle Nomina aus ursprünglichen Verbal-Wurzeln entstanden seien und während z. B. STEINTHAL die Voranstellung der Verba als einen geistreichen Irrtum bezeichnet, hat hinwiederum ein anderer Linguist die Ansicht ausgesprochen, daß aus einer primitven Wurzelperiode eine sogenannte Determinativ-Periode hervorgegangen sei, welche in ihrem ersten Stadium als Verbalperiode bezeichnet werden müsse und erst in einer späteren Stufe zur Gestaltung der Nomina geführt habe. Es fand diese Annahme einer Priorität des Verbums zuweilen auch seitens der Philosophie ihre Verwertung, z. B. teilweise bei TRENDELENBURG und in jüngster Zeit bei GUSTAV GERBER, welcher (Die Sprache als Kunst I, Seite 229f) die immerhin vorsichtige Ausdrucksweise wählt, daß die ursprünglichen Wurzeln eine "verbale Natur" hatten. Auch SIGWART berücksichtigt diesen linguistischen Standpunkt in folgender hypothetischer Form (a. a. O. Seite 30). "Wenn es wahr wäre, daß die Urbedeutungen der Wurzeln verbaler Natur und daß Vorgänge, Veränderungen, Bewegungen das Erste gewesen wären, was bezeichnet wurde, so bewiese das nur, daß die lebendige Bewegung und Tätigkeit den stärkeren Reiz ausgeübt und leichter den begleitenden Laut erregt hätte, nicht daß die Vorstellung des Tuns früher gewesen wäre, als die des Tätigen." Ich meinerseits würde allerdings bei gleicher Voraussetzung den äußeren Eindruck nicht so sehr in den Vordergrund stellen, da der Mensch mi den Tieren es gemein haben dürfte, daß lebendige Bewegungen einen stärkeren Reiz ausüben, sondern ich würde es als Eigentümlichkeit des Menschen bezeichnen, daß seine Auffassungsweise von vornherein mit Zeitsinn durchwoben ist und er folglich gegen äußere Reize in seinen Kundgebungen grundsätzlich auf eben solche Weise reagiert; d. h. nach meinem Standpunkt würde (unter der gegebenen Voraussetzung) die sprachliche Bezeichnung auch bei jenen äußeren Gegenständen, welche keine lebhafte Tätigkeit aufweisen und nur unmerklichen Veränderungen unterliegen, eben notwendig auf Sprachwurzeln beruhen, welche aus der subjektiven Auffassungsweise des Menschen den zeitsinnlichen Bestandteil eines Geschehens, eines Vorgangs schöpfen und hiermit eine "verbale Natur" besitzen würden. So würde die Philosophie es allerdings freudigst aufnehmen, wenn seites der Linguistik die sogenannte verbale Natur der Wurzeln allseitig einer positiven Fachwissenschaft erst noch abgewartet werden dürften, möge diese Freude vorerst auf sich beruhen.

Hingegen eine feste Basis besitzen wir gewiß in dem Zugeständnis, gegen welches auch seitens der Linguisten keinerlei Einwand erhoben werden wird, daß mit der Entwicklung und reichen Gestaltung des Verbums der wahre Höhepunkt der menschlichen Sprache erreicht wurde (über die Sprachen, welche infolge eines Mangels des Verbums auf einer niedrigeren Stufe stehen, siehe sogleich unten eine Bemerkung). Und es verbleibt sonach dem Verbum, welches jedenfalls aus einer verbalen Keimanlage herangereift sein muß, eine grundsätzlich bevorzugte Stellung in der ganzen reichhaltigen Betätigung des Sprachvermögens. Daß sich aber im Verbum ein Walten des Zeitsinnes kundgibt, wird gewiß von niemandem bestritten werden und es wird demnach die Philosophie einen Stützpunkt ihrer Auffassung in den vollkommeneren Sprachen erblicken dürfen. Für diese letzteren muß unzweifelhaft der Grundsatz gelten, daß der Mensch in Sätzen redet. Ja, daß dieses in gewissem Sinn auch von den primitiveren und rudimentären Sprachformen angenommen werden dürfe, spricht, wie mir unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Linguistik dünken will, in zutreffender Weise GUSTAV GERBER (a. a. O.) mit den folgenden Worten aus: "Die Wurzel meinte ein solches, wie es die entwickelte Sprache in Form eines Satzes auseinanderlegt." Und wir dürfen vielleicht in unserer herangereiften Sprache die aus einem unpersönlichen Verbum bestehenden Sätze (z. B. es blitzt, es grünt, es schmerzt usw.) als ein Analogon dessen betrachten, was in den ursprünglichen Sprachäußerungen zutage trat. Derlei unpersönliche Sätze wird man in der Tat für Vorstufen der vollendeteren Urteilsform halten müssen, in welcher Subjekt und Prädikat eine geschiedene Existenz haben und es ist demnach wohl zweifelhaft, ob man das Wort "es" als das Subjekt des Satzes "es blitzt" bezeichnen dürfe (im Griechischen und Lateinischen fehlt hierzu überhaupt jede Veranlassung). Man sollte daher die Frage gar nicht aufwerfen, wer denn jenes "Es" sei und jedenfalls sehr ungeschickte ist (wie LOTZE, Seite 71, richtig bemerkt) die Antwort, daß der Satz "es blitzt" den Sinn habe "das Blitzen ist"; will man aber um jeden Preis eine Antwort, so dürfte das einzig vernünftige sein, daß die unbestimmte Allgemeinheit der Wahrnehmungswelt das Subjekt aller derartigen Sätze sei und hiermit kommen wir auf obigen Gedanken zurück, wonach wir in denselben eine primitive rudimentäre Redeform erblicken. Eine ähnliche Bewandtnis hat es mit den Interjektionen [aha, nanu, pfui etc. - wp], bei welchen jedoch vielleicht eine nähere Unterscheidung vorgenommen werden muß, denn ich möchte dieselben nicht sämtlich (wie es LOTZE tut, Seite 17 und 70) als bloße formlose Ausdrücke einer Erregung von den übrigen Redeteilen lostrennen. Gewiß steht der Schmerzensschrei eines Kindes, welches sich sticht oder gestochen wird oder jenes bekannte "ah", welches die Leute ausrufen, wenn eine Rakete steigt oder dergleichen auf derselben Stufe wie die einfache tierische Kundgebung; aber ein tiefgefühltes "weh, weh" und ein spöttisch bewunderndes "ei, ei" und jeder gewöhnliche Fluch und dgl. gehören einer weit entwickelteren Stufe an und enthalten in abgekürzter Form einen zuweilen sehr ausführlichen Gedankengang. Daher werden alle derartigen Interjektionsausdrücke von den Kindern erst durch den Verkehr mit ihrer Umgebung gleichzeitig und gleichartig mit dem übrigen gereiften Sprachschatz erlernt; ja gewisse solche Worte, nämlich z. B. alles Fluchen, halten wir auch in der Erziehung für ein Prärogativ [Vorrecht - wp] der Erwachsenen oder andere Ausdrücke hinwiederum erscheinen uns, mit Recht im Kindermund als affektiert und unkindlich. Kurz eine ganze Gruppe sogenannter Interjektionen enthält schlechterdings den Sinn vollständiger Sätze und ich halte es nicht bloß sprachlich, sondern auch logisch für völlig synonym, ob ich in der Umgebung denkend redender Menschen "husch" sage oder "ei wie kalt" oder "kalt ist's". Eben dahin gehört auch, daß Kinder so häufig einen ganzen Gedankengang in ein einziges Wort zusammenpressen, welches wir dann zweifellos wie einen ausführlichen Satz verstehen und wohl jedem dürfte hier die bekannte Erzählung von der Aufrichtung eines Obelisken in Rom einfallen, wobei der Papst dem Publikum unter Androhung schwerer Strafe absolute Stille auferlegt hatte und doch  einer  aus dem Volk im bedenklichsten Augenblick das inhaltsreiche und rettende Wort "aqua" ausrief. Endlich aber scheint unserer grundsätzlichen Auffassung, daß der Mensch in Sätzen rede und das Verbum das entscheidende sei, der Hinweis auf die einsilbigen Sprachen, vor allem auf das Chinesische, sowie auf die von WILHELM von HUMBOLDT so genannten einverleibenden Sprachen entgegenzustehen und es würde wohl der unsererseits vorgebrachte Einwand, daß solche Sprachen auf einer ursprünglicheren Stufe stehen geblieben seien, nicht nach allen Seiten genügen. Hingegen möchtezu erwägen sein, daß, wenn auch der Prozeß der Sprachbildung hier nicht zu besonderen wesenseinheitlichen Gestaltungen (eines Verbums usw.) geführt hat, dennoch die Denkfunktion in derartigen Sprachen gleichfalls in ein Lautliches, d. h. etwa in den Akzent oder in die verschiedene Abfolge und Verbindung der einsilbigen Wurzeln, gelegt und verflochten sei, so daß unter Bewahrung des Wesens der Sprache hier mit primitiveren Mitteln gewohnheitsmäßig das Gleiche erreicht wird, was der Satzbau vollendeterer Sprachen in erleichterter Weise darbietet. Die Logik aber wird für die Philosophie der Jetztzeit berechtigt sei, sich auf den Boden der höheren Sprachstufe zu stellen und dabei an dem Hinweise Genüge zu haben, daß es auch niedrigere Stufen gab und gibt.

Dürfen wir also vom Grundsatz ausgehen, daß die Verwirklichung der Denkkraft im natürlichen Laut, d. h. die gedankenhaltige Sprache sich in Sätzen bewegt (wenn auch in primitiver oder in abgekürzter Form), so ergibt sich von selbst die Forderung, daß die wissenschaftliche Betrachtung und Durchführung des menschlichen Denkens notwendig von diesem unmittelbaren Auftreten desselben beginnen müsse, um es zu jenem rückvermittelten Abschluß zu führen, welcher im erreichten Ziel der verwirklichten Wissenschaft überhaupt (d. h. abgesehen von den besonderen Gegenständen derselben) liegt. Ein weitgreifendes Ergebnis demnach unserer bisherigen Untersuchung ist für das System der Logik die entschiedene Forderung einer  Voranstellung der Lehre vom Urteil.  Indem wir Denken und Sprechen nicht voneinander trennen können, gilt uns jeder Satz für die Logik als ein Urteil und ein jedes aus dem Satz hervorgehobene und bewußt festgehaltene Wort gilt uns für die Logik als  Begriff  und jede Verbindung von Sätzen, welche in der gedankenhaltigen Rede verschiedene Beziehungen an  ein  begrifflich erfaßtes Wort knüpft, gilt uns für die Logik als ein  Schluß,  welcher ein Mittel zu dem Zweck ist, daß jener Begriff in  definitorischen Wissen  sich vollständig entfalte und darlege; die stete Wechselbeziehung endlich, welche bei Letzterem zwischen idealer Allgemeinheit und empirischer Einzelheit besteht, führt zur logischen Bewältigung dieses Zwiespalts selbst mittels einer  Methodenlehre durch welche das Zustandekommen der Wissenschaft seinen Abschluß findet. Solcher Art wäre der Entwurf eines Bildes, welches mir betreffs einer Logik der Zukunft vorschwebt.

Wenn die Geschichte der Logik über zahlreiche Autoren des 14. und 15. Jahrhunderts berichtet, welche die Darstellung der Logik mit der Lehre vom Urteil eröffneten und hierauf die Lehre vom Begriff folgen ließen, so waren das allerdings Leute, welche nicht wußten, was sie taten, sondern blindlings der hartnäckig festgehaltenen Tradition der byzantinischen Logik des PETRUS HISPANUS folgten. (2) Seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts begann die byzantinische Logik in den Hintergrund zu treten, um bald fast gänzlich zu verschwinden und nicht ohne Einfluß der reichen Literatur der Terministen machte sich jene Anordnung der Hauptteile der Logik geltend, welche fortan ausschließlich üblich bliebt (siehe meine Geschichte der Logik, Bd. IV, Seite 289f). In neuerer Zeit hatte wohl SCHLEIERMACHER darauf hingewiesen, daß Urteil und Begriff sich einander wechselseitig voraussetzen, dabei aber schließlich die Wendung genommen, daß das unvollständige Urteil dem unvollständigen Begriff vorhergehe und das vollständige Urteil dem vollständigen Begriff nachfolge; doch entnahm sich hieraus der SCHLEIERMACHERianer L. GEORGE nicht mit Unrecht das Motiv, für die Darstellung der Logik dem Urteil den Vortritt zu geben. Auch OTTO GRUPPE (Der Wendepunkt der Philosophie, Seite 48 und 80) stützte auf sprachliche Gründe den Nachweis, daß jeder Begriff auf einem Urteil beruth. TRENDELENBURG knüpfte in seinen logischen Untersuchungen an den erwähnten Gedanken SCHLEIERMACHERs an und machte wenigstens das Zugeständnis, daß nicht die fertigen Begriffe das erste und das Urteil als Zusammensetzung derselben das zweite sei, sondern daß es eine Stufe des Urteils gebe, welche dem Begriff und der auf demselben beruhenden weiteren Entwicklung des Urteiles vorangehe, aber eben aus letzterer Erwägung schloß er sich seinem Vorgänger an und erblickte einen für die übliche Reihenfolge sprechenden Grund darin, daß der Begriff seine wesentlichen logischen Funktionen im Inhalt und im Umfang besitzte und die lebendige wechselseitige Beziehung dieser beiden sich erst nachträglich im Urteil entfalte. In jüngster Zeit haben HARTSEN und insbesondere SIGWART die Lehre vom Urteil vorangestellt, letzterer von seinem grundsätzlichen Gesichtspunkt aus, daß alles logische Denken nur im Urteil auftrete und die Logik jene Disziplin sei, welche den in den menschlichen Urteilen möglichen Irrtum und Streit vermeiden lehre und hierdurch den Zweck des Urteilens verwirklichen helfe (a. a. O. Seite 8 und 16) LOTZE hingegen erklärt sich (a. a. O. Seite 23f) mit Lebhaftigkeit gegen die Voranstellung des Urteils; während er nämlich zugibt, daß in den hauptsächlichsten Bestandteilen der Urteile Vorstellungen liegen, deren Inhalt sich nicht ohne vorhergehende Urteile, ja zuweilen nicht ohne zusammenhängendere Untersuchungen erreichen ließ, weist er darauf hin, daß eben jene dienstleistenden Urteile selbst wieder aus Vorstellungen zusammengesetzt seien, welche die höhere logische Form des Begriffes besitzen; d. h. LOTZE denkt schließlich an einfache ursprüngliche Begriffe und weist die Verwertung der auf sie bezüglichen Urteile an die angewandte Logik weiter. Allerdings müßte ich nun an jenen einfachen ursprünglichen Begriffen Anstoß nehmen, da ich nur eine ursprüngliche Tätigkiet statuieren zu dürfen glaube und jede getrennte Präexistenz logischer Momente verneinen muß. Aber wenn LOTZE sich dahingehend ausspricht, daß sich die Vorstellung des Urteils nur denjenigen empfehlen könne, welche "das Denken überhaupt nur als Wechselwirkung der uns von Außen angeregten Eindrücke betrachten und die rückwirkende Tätigkeit übersehen", so dürfte nach obigem ersichtlich sein, daß meine Auffassung jedenfalls diesem Einwand nicht preisgegeben ist, denn durch den spezifischen Zeitsinn steht mir die menschliche Denkkraft in hochgradiger Steigerung über der tierischen "Auffassung", welche sicher nur in jener äußeren Wechselwirkung verharrt und mit meinem Kontinuititätssinn erfasse ich zweifellos ein ideales Motiv, wenn sich dasselbe auch nicht in fertigen einfachen Begriffen kundgibt, sondern nur in gedankenhaltiger Satzform ausgesprochen wird.

Im Urteil muß man das unmittelbare Auftreten der menschlichen Denkbegabung erblicken, welche von dieser ersten Stufe ausgehend ihrer weiteren Vermittlung durch Fixierung und Durchführung der Begriffe harrt, um sich schließlich in rückvermittelter Gestalt als das Wissen bezüglich eines begrifflichen Umkreises kund zu geben. Das Urteil in seiner Unmittelbarkeit steht in gewisem Sinne auf dem Standpunkt der tierischen Kundgebungen, nur, - wie sich von selbst versteht -, mit dem Vorbehalt der im Zeitsinn beruhenden Steigerung. Tier und Mensch beabsichtigen (wollen) bei ihren Kundgebungen irgendetwas. Nämlich der Mensch will mit jedem Wort und jeder Rede entweder ein Tun hervorrufen, sei es aus ihm selbst oder aus einem Nebenwesen, - und diese Stufe hat er mit dem Tier gemein, denn auch dieses beabsichtigt durch seine Kundgebung das Gleiche -, oder er will ein weiteres Denken hervorrufen, sei es aus ihm selbst oder aus einem Nebenmenschen, - und diese gesteigerte Stufe ist ausschließlich dem Menschen allein eigen -, oder endlich er will beides zugleich, was klärlich gleichfalls nur beim Menschen vorkommen kann. Beide Zwecksetzungen aber und insbesondere die letztere auf das Denken gerichtete kann sowohl in embryonaler Keimform verbleiben als auch über diese hinaus weiter fortwirken. So ist jedes Wort und jeder Satz teils momentan unmittelbar verstanden, teils zugleich nicht nach seiner vollen Fülle verstanden, d. h. in jedem Urteil liegt etwas, welches sowohl beiseite liegen gelassen als auch dazu benützt werden kann, daß mit demselben über das unmittelbare Urteil hinausgegangen wird. Aus dem Wahrnehmungsurteil "Heute hat es getaut" kann unter bestimmten Umsätnden ein wirksamer Bestandteil der Wissenschaft der Meteorologie werden und das einfache Urteil "Sokrates war ein Athener" kann sich zu einem Element der wissenschaftlichen Einsicht in eine hervorragende Kulturperiode gestalten usw. Der über die Unmittelbarkeit hinaustreibende Impuls begegnet uns tausendfältig bei den Kindern, welche nach allem, was wir sagen, uns mit der oft peinlichen Frage "warum?" bestürmen. Im unmittelbar auftretenden Urteil stecken unbewußt rechenschaftslose Momente, welche nur Keime und Embryonen desjenigen sind, was im vermittelnden Prozeß mit Recht als Begriff bezeichnet wird. Jeder, der mit Kindern oder von irgendeiner Fachbildung aus mit Mindergebildeten spricht, macht sofort diese Erfahrung und wird vollberechtigt sagen, daß diejenigen, mit denen er gesprochen hat, eben keinen Begriff haben (ebenso kann es auch der Hochgebildete oder Gelehrte z. B. in einer Zimmermanns-Werkstätte erfahren, daß er von einem "Brett" oder einem "Laden" oder einem "Riegel" keinen Begriff hat). So verstehen wir es auch, daß SOKRATES im redenden Verkehr mittels seiner Hebammenkunst die Begriffsbildung förderte. Mit dem Begriff beginnt die wissenschaftliche Arbeit des erkennenden Denkens, welches sich allmählich aus der Unmittelbarkeit des Urteilens empor ringt und jede gebildete Rede- und Schreibweise befleissigt sich, das Wort in begrifflicher Fassung beim Wort zu nehmen. All jene sogenannten Verbindungen von Begriffen, welche man nach üblicher Reihenfolge in zweiten Hauptteil der Logik als Urteile erörtert, sind wesentlich nur zu einer richtigen Auffassung der Begriffe dienstbar und es wird dementsprechend von dieser Erwägung aus als das wirklich naturgemäße erscheinen, das vorbereitende Mittel dem nächsten Zweck vorangehen zu lassen.

Nun werde ich aber aufgrund der Wesenseinheit, in welcher Sprechen und Denken verbunden sein sollen, wohl die Folgerungen jener oben vorgeschlagenen Auffassung auf mich nehmen und rechtfertigen müssen, wonach jeder Satz für die Logik als ein Urteil und jedes Wort als Begriff usw. zu gelten habe. Was nun hierbei zunächst das Urteil betrifft, tritt uns vor allem der Einwand entgegen, daß alle Frage-, Bitte-, Wunsch- und Befehlssätze keine Urteile seien und sich der logischen Betrachtung entziehen, da bezüglich derartiger Kundgebungen keinerlei Entscheidung über Wahrheit oder Unwahrheit getroffen werden solle. Mir scheint jedoch, daß auch diese Satzformen einer logischen Beurteilung unterworfen werden müssen, sowie sie derselben häufig genug tatsächlich unterworfen werden. Die Frage ist jedenfalls eine Aufforderung zu einem Urteil und zwar zu einem ganz bestimmten Urteil und sie enthält daher bereits potentiell die Antwort in sich; jene Aufforderung aber kann gewiß unlogisch sein, indem sie entweder aller logischen Motive entbehrt (daher die häufige Gegenfrage "Wie kommst du zu dieser Frage") oder in der Fragestellung selbst gegen die Gesetze der Logik verstößt, was dadurch geschehen kann, daß sie entweder durch Undeutlichkeit eine Ignoratio Elenchi [irrelevanter Beweis - wp] hervorruft oder durch ein Mißverständnis den Gefragten sofort in eine schiefe logische Stellung versetzt. So muß auch die Frage nach ihrem logischen Urteilswert untersucht werden. Das Gleiche gilt von der Bitte und dem Befehl; denn zunächst ist es schon der Form nach ein Verstoß gegen die Logik, wenn derjenige bittet, welcher in der Lage ist zu befehlen oder jener befiehlt, welcher nur bitten könnte; und außerdem ist der Inhalt der Bitten und der Befehle stets ein logischer Untersatz, welcher im Kausalnexus zur Realisierung eines Obersatzes steht, welcher Zusammenhang unweigerlich einer logischen Prüfung unterliegt. Durch Denktätigkeit geschieht es, daß Bitten abgeschlagen werden und Befehlen der Gehorsam verweigert wird, sowie daß auf eine Frage eine Antwort folgt. Bei den Wünschen endlich besteht jenes nämliche Verhältnis der logischen Unterordnung unter die Folgerungen, welche der erfüllte Wunsch mit sich bringen würde und es gibt daher ebensosehr motivierte als unlogische Wünsche. Es soll jedoch mit diesen Bemerkungen nur gesagt sein, daß auch die genannten Satzformen für die Logik als Urteile gelten und in diesem Sinne Gegenstand einer logischen Beurteilung werden müssen; nicht hingegen will hiermit behauptet sein, daß jede derselben eine besondere logische Urteilsform sei.

Blicken wir auf auf jene Satzformen, welche in der gewöhnlich üblichen Logik mit der Geltung logischer Formen zur Entwicklung logischer Gesetze verwertet wurden und werden, so stoßen wir unter dem Eindruck einer haltlosen Willkür und einer arglosen Halbheit auf schwere Bedenken, welche uns mahnen, der Wesenseinheit zu gedenken, in welcher Denken und Sprechen verbunden sind. Dankbarst ist anzuerkennen, was teilweis schon TRENDELENBURG, inbesondere aber in neuester Zeit SIGWART und LOTZE geleistet haben, durch deren Scharfsinn das Gebäude der gewöhnlichen formalen Logik teils manchen Riß bekam, teils anderweitig als ungenügend und unwohnlich dargetan wurde. Die Neubauten, welche die beiden letztgenannten Meister aufführten, wollen wahrlich nicht in den Schatten gestellt werden, wenn ich den Entwurf eines anderen Bauplanes vorlege.

Teilt man die Urteile in assertorische [behauptete - wp], problematisch, apoktische [bewiesene - wp], d. h. in Urteile des Stattfindens, der Möglichkeit und der Notwendigkeit, so sind das Schablonen der Modalität, welche wohl an den Sprachausdruck anknüpfen, aber den feinen Schattierungen desselben und hiermit einem mannigfaltigeren Gedankeninhalt keineswegs Rechnung tragen. Schon die Urteile des Stattfindens erhalten betreffs des logischen Wertes bedeutsame Modifikationen, wenn ihnen ein "jetzt", ein "damals", ein "hier", ein "dort", ein "diesmal", ein "zufällig", ein "ausnahmsweise" einverleibt ist und gerade bei einer logischen Erörterung kommen wir häufig in den Fall, dem Gegner zu sagen, daß er, um präzise zu reden, eines dieser Worte hätte einfügen müssen. Noch mißlicher verhält es sich mit den Möglichkeitsurteilen, wenn man sie sämtlich in  einen  Topf wirft; denn einerseits schwankt das Wort "möglich" in die Bedeutung "vielleicht" (z. B. der kranke Sowieso ist möglicherweise bereits gestorben) und bis in die sich fast ausschließenden Begriffe "glaubhaft" und "zweifelhaft" hinüber, und andererseits enthält das Wort "kann sein" selbst eine bunte Fülle verschiedener logischer Erwägungen in sich; man denke in dieser Beziehung z. B. über folgende Sätze nach (deren drei ich aus LOTZE, Seite 68, entnehme): "Es kann heute noch regnen", "Die nächsten Wahlen können schlimm ausfallen", "Der Papagei kann Worte aussprechen", "Das Viereck kann in zwei Dreiecke geteilt werden", "Unter meinen Losen kann ein Treffer sein", "Du kannst dieses Schachspiel gewinnen", "Sowieso kann sich oft übermäßig erzürnen". Auch die Notwendigkeitsurteile sind verschiedener Art und es ist unstatthaft, dabei bloß an die Mathematik zu denken, da jedenfalls z. B. auch die Rechtssätze eine  opinio necessitatis  [Überzeugung von der Notwendigkeit - wp] für sich haben; oder man denke an die verschiedene logische Geltung des "müssen" in den Sätzen: "Wenn du das willst, mußt du jene tun", "Es muß jemand in meiner Wohnung gewesen sein", "Er muß es jetzt büßen", "Die Welt muß sich drehen" usw. Auch wäre noch zu erwägen, inwieweit "kann nicht" mit einem gegenteiligen "muß" und "muß nicht" mit einem gegenteiligen "kann" synonym ist.

Eine bekannte zweite Einteilung der Urteile in kategorische, hypothetische und disjunktive verlockt bei einigem Nachdenken sofort zu der Frage, waruhm wohl die Logik gerade diese beiden grammatischen Satzformen des "wenn" und des "oder" herausgegriffen und viele andere (z. B. das "weil" und das "damit" usw.) beiseite gelassen habe. Und wenn die Geschichte der Logik den Ursprung dieser sonderbaren Grille bei den ersten Peripatetikern [Anhänger des Aristoteles - wp] THEOPHRASTOS und ENDEMOS lediglich im Dienste der Syllogistik aufweist, so ist die ganze Sache bei diesen ihren Erfindern wohl das Erzeugnis einer formalistischen Schulmeisterei, aber doch nicht so unsäglich einfältig, wie die erwähnte Einteilung der Urteile. Schon HERBART wies darauf hin, daß zwischen kategorischen und hypothetischen Urteilen kein logischer Unterschied bestehe und auf einem gleichen Standpunkt haben TRENDELENBURG, LOTZE und SIGWART teils die hypothetischen Urteile auf kategorische zurückgeführt, teils daran erinnert, daß kategorische Urteile in der Stille die hypothetische Form mit sich führen. Aber diese Zurückführung der einen Form auf die andere oder diese Gleichstellung der beiden Formen ist doch wieder nach den verschiedenen Bedeutungen des "wenn" sehr modifiziert und von dieser Seite her stellt sich eine anderweitige Verschiedenheit der logischen Beurteilung ein. Das "wenn" kann Ausdruck einer Identität sein (z. B. "Wenn der Luftdruck geringer wird, fällt das Barometer") oder es kann Artunterschiede zu Bewußtsein bringen (z. B. "Wenn ein Dreieck gleichschenklig ist, sind die Winkel an der dritten Seite gleicht") oder es kann Gleichzeitigkeit bedeuten ("Wenn es zwölf Uhr ist, wird geläutet"9 oder es ist synonym mit "so oft" (z. B. "Wenn ich ihn sehe, fällt mir immer die Geschichte von  X  ein") oder synonym mit "falls" (z. B. "Wenn du das tust, reise ich ab") oder es bedeutet den Kausalnexus (z. B. "Wenn ich diese Flüssigkeit rüttle, kristallisiert sie") oder es hat den Sinn, daß der sogenannte Nachsatz eine berechtigte logische Folgerung des sogenannten Vordersatzes ist. Sowie es jedenfalls ein sträflicher Leichtsinn wäre, all diese mannigfachen Bedeutungen unterschiedslos gleichzustellen, so ist andererseits bei vorgenommener Ausscheidung jenen hypothetischen Sätzen, welche weder einen Kausalzusammenhang noch eine logische Folgerung aussprechen, darum noch nicht jeder logische Wert genommen, sondern es handelt sich eben um die richtige Würdigung aller einzelnen Modifikationen. Und wenn man die Formen des kategorischen Urteils auch auf das hypothetische bezog, d. h. Satzformen unterschied, welche mit "jedesmal, wenn" oder mit "zuweilen, wenn" oder mit "niemals, wenn" beginnen, so mag es immerhin noch als fraglich erscheinen, ob man z. B. (wie SIGWART tut) das sogenannte partikular hypothetische Urteil ("zuweilen, wenn") grundsätzlich überhaupt ablehnen solle; denn unter Umständen kann dasselbe einen logischen Wert haben, welcher allerdings dem Wert des partikularen kategorischen Urteils gleich käme. Das disjunktive Urteil hat, wie schon STEINTHAL hervorhob, eine wesentliche Verwandtschaft mit dem hypothetischen, d. h. der Satz  "A  ist entweder  B  oder  C"  hat den Sinn "Wenn  A  nicht  B  ist, ist es  C";  aber auch hierbei ist zu unterscheiden, denn in dieser Umgestaltung hat das "wenn" entweder die Bedeutung von "falls" oder es drückt den Kausalnexus aus oder es bringt Artunterschiede zu Bewußtsein und wenn diese letztere Funktion von TRENDELENBURG als die ausschließliche und grundsätzliche dem disjunktiven Urteil zugewiesen wurde (da dasselbe stets eine Darlegung des Umfangs eines Begriffs sei), so war das entschieden ein Mißgriff und SIGWART ist völlig im Recht, wenn er sich hierin gegen TRENDELENBURG richtet. Die formale Schablone der gewöhnlichen Logik ist auch bei der disjunktiven Satzform weit davon entfernt, den logischen Wert derselben erschöpfend zu erfassen; denn in den drei vorhin genannten Beziehungen (Fallsetzung, Kausalnexus und Einteilung) spielt sowohl die sogenannte kopulative als auch die partitive Satzform unter gleichzeitiger Verwendung einer Exklusiv-Partikel herein (z. B. "Nur Kreis und Ellipse und Parabel und Hyperbel sind Kegenschnitte" oder "Diese Tat findet ausschließlich teils durch Unkenntnis teils durch Eitelkeit ihre Erklärung" und dgl.).

Wenn sodann das kategorische Urteil nach dem Gesichtspunkt der Qualität in ein bejahendes und ein verneinendes eingeteilt wird, so erwächst sofort die Forderung, das Wesen der Negation etwas tiefer zu untersuchen, worauf ich jedoch hier nicht näher einzugehen brauche, da ich bereits früher über diesen Gegenstand meine Ansicht ausgesprochen habe (Sitzungsbericht des Jahres 1869), welche hernach auch bei TRENDELENBURG ihre Verwertung fand (Logische Untersuchungen II, 3. Auflage, Seite 281). Auch die Einteilung nach der Quantität läßt noch mancherlei Erwägungen offen, welche den logischen Wert des Sprachausdrucks betreffen. Wenn z. B. STEINTHAL hervorhob, daß die Grammatik auch einen Dual kenne, die Logik aber nicht, so möchte ich letzteres doch bezweifeln, da das Wort "beide" entschieden in einem Sinn verwendet wird, welcher dem allgemein bejahenden Urteil gleich steht und außerdem ja nur an das Dilemma erinnert zu werden braucht. Auch besondere Eigentümlichkeiten einzelner Sprachen müssen notwendig bei der Erörterung der Quantität erwogen werden, nämlich der Gebrauch des unbestimmten Artikels und des sogenannten Teilungsartikels, sowie der Mangel eines Artikels überhaupt oder die Weglassung desselben in einer Sprache, die ihn besitzt. Trefflich sind die feinen Bemerkungen SIGWARTs (Seite 170f) über die Notwendigkeit einer Unterscheidung der allgemeinen Urteile in empirisch allgemeine und unbedingt allgemeine, sowie LOTZEs scharfsinnige Äußerungen (Seite 264) über das partikulare Urteil, insofern dasselbe einem Möglichkeitsurteil gleich steht. Die übliche Sinnlosigkeit in der Behandlung des partikularen Urteils muß überhaupt der Einsicht weichen, daß der logische Wert desselben in der Bedeutung "nicht alle" oder "vorläufig noch nicht alle" beruth.

Nun aber würde sich hieran noch ein reichhaltiges Register sprachlicher Satzformen knüpfen, welche aufzunehmen der gewöhnlichen Logik nicht beliebte, während dieselbe an den hypothetischen und disjunktiven Sätzen einen wichtigen Gegenstand formaler Gesetze besitzen will. Man wird darum nicht befürchten, daß ich etwa dem unsinnigen Wust der byzantinischen Logik das Wort zu reden gedenke: aber  ein  Punkt, welcher sich aus derselben in die spätere Zeit hinein erhalten hat, gehört wirklich in die Logik und sollte nicht, wie jetzt öfter geschieht, wieder entfernt werden, nämlich die Lehre von den sogenannten exponiblen Urteilen, d. h. den Exklusiv-, Exzeptiv- und Restriktivsätzen; denn die Art und Weise, wie in denselben Bejahung und Verneinung miteinander verflochten sind, hat in der Tat logisches Interesse und logische Bedeutung. Hieran aber schließt sich unmittelbar von selbst der logische Wert der Adversativ- und der Konzessiv-Sätze, sowie der mannigfaltig abgestuften Konjunktionen, welche zum Ausdruck derartiger Verhältnisse dienen. Ferner wird das Zugeständnis nicht versagt werden können, daß in der sogenannten Attributiv-Verbindung und allen ihr gleichstehenden Relativ-Sätzen eine determinierende Beschränkung der logischen Geltung und somit von anderer Seite her betrachtet ein Einteilungsmotiv waltet; und da auch durch örtliche und zeitliche Determination eine beabsichtigte oder angebliche Allgemeingültigkeit eingeengt wird, muß ein logischer Wert der Lokal- und Temporal-Sätze seine Anerkennung finden. Vor allem aber ist es der Kausalzusammenhang, welcher in der gewöhnlichen Logik nur durch eine schlimme Vermengung mit dem vieldeutigen "Wenn" eine unklare Stellung gefunden hat, aber doch wahrlich einer besonderen und einläßlichen logischen Darlegung bedarf, wenn nicht z. B. betreffs der Aetiologie [Ursachenlehre - wp] der Krankheiten auch fortan die monströsesten rückläufigen Kausalitätsschlüsse gemacht werden sollen. Mit den Kausalsätzen aber stehen die Finalsätze in innigem Zusammenhang, welche bereits von DROBISCH und TRENDELENBURG in engere oder fernere Verbindung mit dem hypothetischen Urteil gebracht wurden, aber auch dann, wenn ich nicht irre, jedenfalls einer Ausscheidung des "weil" aus dem "wenn" bedürfen (z. B. "ich schüttle die Flüssigkeit damit sie kristallisiere", d. h. weil sie kristallisiert, wenn sie geschüttelt wird).

Soll nun etwa infolge solcher Erwägungen die ganze Grammatik zu einer Logik gemacht werden oder umgekehrt die Logik in Grammatik aufgeben? Gewiß nicht. Es wurde ja auch nur betont, daß es mehrerlei grammatische Formen gibt, welche in Anbetracht ihres logischen Wertes nicht beiseite gelassen werden sollten, nicht hingegen wurde behauptet, daß jede einzelne grammatische Form als solche sofort zugleich eine bestimmte einzelne logische Form sei. Wenn WILHELM von HUMBOLDT sagt, daß die sprachlich-logischen Formen nicht eigentlich der Sprachwissenschaft angehören und wenn HERBART sich kurz dahin aussprach, daß die Logik keine Sprachlehre sei, so hatten sicher beide Recht. Aber dennoch scheint es mir unzulässig, die angeblich zwischen Grammatik und Logik bestehende Kluft in dem Grad zu erweitern, wie es STEINTHAL tut, welcher z. B. darauf hinweist, daß, wenn die Sprache als solche logisch wäre, notwendig jeder Denkfehler zugleich als Sprachfehler auftreten müßte. Dieser Einwand nämlich ist unrichtig, denn die logischen Fehler beruhen auf einer mangelhaften oder verkehrten Ausbeutung des Denkwertes der gedankenhaltigen Sprache, welche samt ihren grammatischen Formen bereits vorliegt und geübt wird, ehe zwecks logischer Operationen der Denkwert als solcher festgehalten und in weiterer Verbindung fortgesponnen wird; und eben hierdurch findet auch der Umstand seine Erklärung, daß, - wie sich STEINTHAL ausdrückt -, die Sprache an der Logik gemessen bald Lücken bald Überfluß zeigt. Ungenügend dürfte es auch sein, wenn CONRAD HERMANN (Philosophische Grammatik, Seite 45) den Unterschied zwischen Logik und Grammatik dahin feststellt, daß erstere gesetzgebend sei und die Grenzen des Berechtigten ziehe, während letztere theoretisch beschreibend verfahre; denn auch die Logik ist eine theoretische Darlegung und auch die Grammatik weist Unberechtigtes ab.

Wenn wiederum von anderer Seite anerkannt wurde, daß irgendwelche Wechselbeziehungen zwischen Grammatik und Logik bestehen, so würde es sich nach meiner Ansicht wohl darum handeln, hierüber zu einer grundsätzlichen Verständigung zu gelangen. Allerdings dürfte die Art und Weise schwerlich der entsprechen, in welcher KARL FERDINAND BECKER, welcher nicht ohne Einfluß auf TRENDELENBURG war, die Sache auffaßte; denn wenn die Sprache die sinnliche Veranschaulichung oder Einkleidung des dualistisch daneben stehenden und vorher daseienden Gedankens sein soll, so müssen die Denkgesetzes als solche unter die grammatischen Anschauungsformen gestellt weren und es wird bei einer solchen Annahme schwer sein, dem obigen Einwand STEINTHALs zu entgehen. Einen teilweisen Ausweg hatte auf Grundlage des üblichen Dualismus ERNST REINHOLD dadurch gefunden, daß er zwischen absolut notwendigen grammatischen Formen, deren Begründung zur Aufgabe der Logik gehöre und anderweitigen nur zur Gewandtheit und Bequemlichkeit des Redens dienenden Sprachformen unterschied, so daß z. B. die Flexion, die Pronomina, Adverbia, Präpositionen, ja sogar die Verbalform für die Logik unwesentlich seien. REINHOLDs Standpunkt fand in gewissem Grad Billigung bei TRENDELENBURG, welcher jedoch in dieser ganzen Frage wahrlich unklare Äußerungen kund tat. Denn sowie es sicher nur die Geltung einer Phrase beanspruchen darf, wenn er sagt, Grammatik und Logik seien Zwillingen (Logische Untersuchungen I, 3. Auflage, Seite 380), so kommen wir mit diesem Ausspruch auch nicht viel weiter, daß die Logik in vieler Hinsicht eine in sich selbst vertiefte Grammatik sei (a. a. O. Seite 28); und wenn er vor einer Entzweiung der grammatischen und der logischen Betrachtung warnt, so könnten wir allerdings das hieran geknüpfte Zugeständnis (a. a. O. Seite 381 und 387) begrüßen, daß bei psychologischer Erklärung des Denkens die Sprache die erste Stelle einnehmen müßte; aber mit der an K. F. BECKER sich anlehnenden Unterscheidung zwischen einer objektiven und einer subjektiven Beziehung der Begriffe dürfte für die Lösung des Problems wenig geleistet sein. ÜBERWEG gab wohl zu, daß eine logische Basis der grammatischen Verhältnisse nicht bestritten werden dürfe, sowie daß nur einzelne derselben bisher durch die Logik herausgehoben worden seien, aber er machte von seiner eigenen Auffassung, wonach er beim einfachen Urteil ein prädikatives und ein Objekts- und ein attributives Verhältnis und beim zusammengesetzten Urteil ein koordiniertes und ein subordiniertes Verhältnis unterschied, überhaupt für die Entwicklung der Logik keinerlei weiteren Gebrauch. LOTZE und SIGWART treffen, so sehr im Allgemeinen ihre Wege verschieden sind, betreffs der logischen Basis der sprachlichen Formen in eine ihnen nahezu gemeinschaftliche Auffassung zusammen; LOTZE nämlich, welcher gewiß mit Recht sagt, daß nicht ebenso viele logische Handlungen zu unterscheiden seien, als es grammatische und syntaktische Formen gibt, gelangt schließlich auf die vier logisch-sprachlichen Grundelemente:  Etwas, Beschaffenheit, Werden, Verhältnisse,  und SIGWART, welcher in einer Menge betreffender Einzelheiten seinen Scharfsinn betätigt, führt die logisch-sprachlichen Verhältnisse auf die vier realen Kategorien zurück:  Ding, Eigenschaft, Tätigkeit, Relation  (letztere mit Einschluß der Kausalität und der Modalität).

Es wird kaum bestritten werden, daß sich die Logik mit dem Denkwert der gedankenhaltigen Rede des Menschen zu beschäftigen hat. Der physisch-musikalische Ton ansich hat keinen Denkwert, denn ein solcher stellt sich erst ein in der Erwägung über die durch Musik erweckten Gefühle oder über die allmählich erfaßten Tongesetze. Der Mensch will ja mittels seiner Denkkraft zu einem Erkennen und schließlich zu Wissenschaft vordringen und zu diesem Zweck erwägt er den Denkwert der sprachlichen Kundgebungen. Infolge obiger Definition der Sprache muß jede Modalität des Denkwertes in irgeneinder Weise ihre lautliche Verwirklichung finden und jede Modalität der sprachlichen Gestaltung muß gedankenhaltig sein. Letzteres aber ist, - wie schon bemerkt wurde -, nicht so zu verstehen, daß etwa jedes einzelne sprachliche Element einen einzelnen auf dasselbe beschränkten Denkwert besitze, sondern infolge der Mannigfaltigkeit des lautlichen Materials tritt der gleiche Denkwert in mannigfaltiger Modifikation der sprachlichen Formen auf und auch umgkehrt enthält eine einzelne Sprachform mehrere Modifikationen des Denkwerts, indem an primären Schöpfungen des Sprachgenius, in welchen Denken und Laut wesenseinheitlich verbunden sind, der Faden der Denkkontinuität mannigfach weiter gesponnen wird (man denke unter hundert ähnlichen Dingen z. B. an den Genitiv, welcher von seinen bekannten mehrfachen Bedeutungen bis dahin fortschreiten kann, daß er anstelle eines allgemein bejahenden Urteils tritt, z. B. "der Salzgehalt des Meeres" will sagen "der Umstand, daß jedes Meerwasser salzhaltig ist" oder "die Ministerverantwortlichkeit" ist so viel als "der staatsrechtliche Grundsatz, daß alle Minister verantwortlich sind"). Wenn demnach bekanntlich als Gegenstände der Grammatik die Lautlehre, die Formenlehre, die Satzlehre und die Bedeutungslehre, welche in eine Berührung mit der Logik kommen muß, d. h. es handelt sich hierbei nicht etwa nur um die Bedeutung der sogenannten Substantiva, Adjektiva, Verba usw. und, - was namentlich nicht zu vergessen ist -, der sogenannten Konjunktionen, sondern auch um die Bedeutung der grammatischen und syntaktischen Formen, denn überall ist es ein Denkwert, welcher für die Logik wichtig werden kann. Wenn z. B. betreffs der sogenannten Casus in der Linguistik sich ein Streit zwischen Lokalisten und Kausalisten erhoben hat, ist dies der Logik völlig gleichgültig, weil unter Umständen im einen Fall ein Determinativ-Verhältnis und im anderen ein Kausalnexus versteckt sein kann. Oder z. B. der Geschlechtsunterschied der Substantive mag immerhin von sinnig-ästhetischen Anschauungen ausgehen (sie SIGWART bemerkt), aber dennoch ist er nicht völlig von allem Denkwert entleert, denn wenn z. B. bekanntlich die deutsche Sprache in der Geschlechtsbezeichnung der Sonne und des Mondes ein Gegenstück anderer Sprachen aufweist, so ist es auf der einen Seite die Herrschaft des Mannes, welchem das Weib dient und auf der anderen Seite die Erhabenheit des Weibes, welches umworben wird, ersteres aber ist ein Kausalverhältnis und letzteres ein Finalverhältnis. Ferner wird z. B. den Komparativen und Superlativen ein logischer Wert kaum abgesprochen werden können und auch z. B. die Temporalformen des Verbums sind der Logik nicht völlig gleichgültig, denn sowie schon SIGWART darauf hinweist, daß das Präsens doppelsinnig ist, indem es einerseits momentane Gegenwart und andererseits bleibende Allgemeingültigkeit bedeutet, so wird die Logik auch ein Interesse daran haben, wenn z. B. in einer Sprache mit Feinheit und Ausdauer das Perfektum und der Aorist [Tempus der Vergangenheit - wp] auseinandergehalten werden. Reichen Stoff zum Nachdenken über eine logische Seite grammatischer Formen bieten BERTHOLD DELBRÜCK und ERNST WINDISCH, Syntaktische Forschungen (Halle 1871), LEOPOLD SCHRÖDER, Über die formelle Unterscheidung der Redeteile im Griechischen und Lateinischen (Leipzig 1874), ANTON DRÄGER, Historische Syntax der lateinischen Sprache (Leipzig 1874), HEINRICH HÜBSCHMANN, Zur Kasuslehre (München 1875).

Wird hiermit die in einem solchen Sinn und Umfang gefaßte Bedeutungslehre es sein, welche aus dem Umkreis der Sprachwissenschaft heraus für die Logik in den Vordergrund tritt, so versteht es sich nach dem Gesagten wohl von selbst, daß die Logik nicht zu einer Lexikologie gemacht werden will, denn es handelt sich ja um den Denkwert, insofern derselbe durch eine allseitige Ausbeutung dem Zustandekommen des Wissens dient. Das heißt von der inhaltlich sachlichen Seite des Denkwerts sieht die Logik als solche ab, indem sie dieselbe den einzelnen Fachwissenschaften anheimgibt oder allenfalls aus ihnen zum Zweck zutreffender Beispiele entlehnen mag. Wenn bereits PLATO die Methode der Einteilung als eine hauptsächliche logische Funktion empfahl, so war er sich dabei sehr wohl bewußt, daß einläßliche Sachkenntnis mitwirken müsse, aber letztere nicht für sich bereits ein dialektisches Verfahren sei (z. B. daß die Blindschleiche nicht eine Schlange sei, sondern zu den Eidechsen gehöre, wird auch heutzutage der Logik sich vom Zoologen erzählen lassen müssen). Der Denkwert, welchen die Logik aus der Bedeutungslehre entnimmt, liegt in jenem Impuls der in der Sprache verwirklichten Denkkraft, welcher vermöge des Kontinuitätssinns über die unmittelbare Kundgebung hinaus zu Erkenntnissen und zur Begründung eines Wissens hinstrebt. Die Sprache hat eine gedankenhaltige lautliche Erscheinungsseite, deren Gesetze in der Sprachwissenschaft erforscht und dargelegt werden und die Sprache hat, - um die Worte umzukehren -, eine lautlich erscheinende Gedankenseite, welche die Kundgebung der menschlichen Auffassung enthält; die beiderseits zugleich wirkende Denkkraft entwickelt einen Denkwert, welcher zwecks Verwirklichung des Wissens allseitig zu benützen ist und somit Gegenstand einer eigenen Wissenschaftslehre, d. h. Logik, wird.

Vielleicht ließe sich das Wirken der Denkkraft, welches soeben als ein zugleich beiderseitiges bezeichnet wurde, folgendermaßen näher darlegen, um den Denkwert der menschlichen Rede zu erfassen. Im Kontinuitätssinn welchen ich oben als jene Begabung zugrunde legte, durch welche sich der Mensch vom Tier unterscheidet, erblicke ich als grundsätzlich waltende Motive Sukzession und Selbstgleichheit. Die Sukzession führt zu der durch den Zeitsinn bedingten Entstehung der Verba und hiermit in weiterer Entwicklung zur Satzform der menschlichen Rede überhaupt; der Zeitsinn aber in jener reinen Funktion, welche den Faden der Sukzession lediglich ansich fortzuspinnen vermag, führt zur notwendigen Entstehung der Zahlwörter, welche somit nicht in die Adjektiva eingeordnet werden dürfen; und insofern andererseits der Zeitsinn innerhalb der Auffassung der realen Vorgänge mitwirkt, ergibt sich die Notwendigkeit der sogenannten Tempora des Verbums, sowie die logische Erwägung der Gleichzeitigkeit und der Abfolge, worin bereits Elemente des Kausalzusammenhangs liegen. In der Selbstgleichheit liegt, da die Wahrnehmungssphäre und der Auffassungskomplex des Menschen das Motiv unendlicher Mannigfaltigkeit in sich tragen, das Bestreben des Kontinuitätssinns, das Beharrliche im Wechsel festzuhalten und fortzuspinnen, daher untrennbar mit der Selbstgleichheit verbunden sind der Unterschied, die Vergleichung und die Beziehung. Hieraus aber ergibt sich einerseits die unerlässliche Notwendigkeit negativer Sprachmittel (siehe meine oben angeführte Abhandlung) und andererseits die Entstehung zweier Gruppen der sprachlichen Formen, deren eine überwiegend dem Selbstgleichen und Konstanten zugewendet ist, während die andere überwiegend der Kehrseite der Selbstgleichheit dient; nämlich durch ersteres sind die Pronomina und die Substantiva hervorgerufen, woran sich noch eine verschiedenartige Substantivierung anschließen kann und letzteres führt zur prädikativen Verwendung des Verbums sowie zur Entstehung mannigfaltiger besonderer Formen, seien es Suffixe oder die komparativ-fähigen Adjektiva oder Präpositionen und Adverbia. Durch die reiche Wechselbeziehung und die bunte Kreuzung der Selbstgleichheit und ihrer Kehrseite ergeben sich bei fortschreitender Entwicklung jene Partikeln und beziehungsweise jene Satzformen, welche als kopulativ, deklarativ, disjunktiv, adversativ, konzessiv, restriktiv, exklusiv, exzeptiv bezeichnet werden. Erwächst somit sowohl aus der Sukzession als auch aus der Selbstgleichheit eine bestimmte auf diesen beiden Motiven beruhende Gestaltung sprachlicher Formen, so führt endlich die Vereinbarung und gegenseitige Durchdringung beider zur Auffassung des Kausalzusammenhangs, indem in Anknüpfung an Gleichzeitigkeit und Abfolge das Verhältnis zwischen Selbstgleichheit und deren Kehrseite den Denkwert empfängt, welcher in Ursache und Wirkung und bei fortschreitender Vertiefung in Grund und Folge liegt; hierauf beruhen Partikel und Satzformen, welche man konditional, kausal, konsekutiv, final nennt und schließlich strebt hierin der Kontinuitäts-Impuls bis zur Notwendigkeit vorzudringen, so daß sich eine tiefere Bedeutung der sogenannten modalen Sprachmittel und Urteilsformen ergibt. - So werden durch die gedankenhaltige Sprache im Gesamtumkreis des dem Menschen Zugänglichen jene drei Momente, welche bereits der sogenannten Kategorienlehre des ARISTOTELES zugrunde liegen  (ousia, pathe, pros ti  - siehe meine Geschichte der Logik I, Seite 205f) nämlich "Gegenstand, Zustände, Beziehungen", erfaßt und zur wissenschaftlichen Begründung bereit gelegt.

In solcher Weise wäre die logische Betrachtung der gedankenhaltigen Redeform, d. h. des Urteils, geeignet, die erste unmittelbare Stufe der Wissenschaftslehre zu bilden, d. h. die Motive einer weiteren Vermittlung, welche schließlich zum Zustandekommen der Wissenschaft führt, zu fordern und vorzubereiten, indem vorerst überhaupt der Denkwert der mannigfaltigen Satzformen aufgewiesen und festgehalten wird. Die Wesenseinheit, zu welcher Denkkraft und Laut untrennbar in der Sprache verbunden sind, dürfte ihre Rechtfertigung gefunden haben und zugleich der Übergang zur Lehre vom Begriff gewonnen sein, mit welchem nach obigem die Verwirklichung des eigentlich wissenschaftlichen Denkens beginnt.

Indem es sich hier aber, wie schon Eingangs bemerkt wurde, nicht um eine allseitige Darlegung der gesamten Wissenschaftslehre handelt, mögen nur noch einige Bemerkungen gestattet sein, welche mit den bereits berührten Gesichtspunkten zusammenhängen. Die wesentliche Bedeutung des Begriffs dürfte darin liegen, daß das Wort aus der unmittelbaren Verbindung, in welcher es sich im Satz befindet, in seiner Besonderheit herausgehoben wird, um nach seinem Denkwert mit Allgemeinheit und Notwendigkeit in sämtlichen Beziehungen, in welchen es auftreten kann, als mit sich identisch erfaßt zu werden, d. h. - populärer gesprochen - daß das Wort vollgültig und allseitig beim Wort genommen werde. Somit lehne ich auf das entschiedenste jene Verwirrung ab, in deren Folge (seit der Stoa) der Begriff der Definition verwechselt wurde, denn letztere kann ich nur als einen aus der Rückvermittlung des Syllogismus sich ergebenden Höhepunkt des Urteils betrachten, in welchem die zwischen Subjekt und Prädikat schwebende Differenz völlig getilgt ist. Es ist eine mir kaum verständliche Unsitte, die Definition bei der Lehre vom Begriff zu besprechen und der Eindruck einer solchen Ungeheuerlichkeit erhöht sich erklärlicher Weise bei der gemeinhin beliebten Voranstellung des Begriffs; denn wenn uns bereits der erste Abschnitt der Logik die Theorie und die Praxis definitorischer Urteile (der denkbar vollkommensten Urteilsform) darzulegen imstande ist, so dürfte kaum abzusehen sein, zu welchem Zweck noch zwei oder drei weitere Abschnitte nachfolgen sollen. Vielleicht mag als Beispiel genügen, wenn ich sage, daß der Begriff "Mensch" einfach "Meinesgleichen" ist, während die Definition desselben in der einen oder anderen der allbekannten Formen ausgesprochen werden muß; zum erwähnten Begriff "Mensch" gelangen auch die Kinder, sowie sie in analoger Weise zu einem Begriff "Löffel" oder "Strumpf" usw. gelangen, d. h. sie gebrauchen die betreffenden Worte mit Notwendigkeit und Allgemeinheit beim betreffenden Vorstellungskreis, aber von hier aus ist noch ein sehr weiter Weg zur Definition zu durchschreiten.

Die Allgemeingültigkeit der Bedeutung eines jeden Wortes, mit welcher dasselbe in seinem Umkreis festzuhalten ist, hat ihrerseits selbst (nach obiger Definition der Sprache) ihre lautliche Verwirklichung und es ist sehr erklärlich, daß hierin der Prozeß der Sprachbildung durchaus nicht bei allen Völkern auf den nämlichen Pfaden wandelte. Sowie es z. B. Sprachen gibt, welche kein Wort für "Baum", sondern nur Bezeichungen der einzelnen Baumarten haben, so fehlt uns Modernen z. B. das Wort  murioi  [sehr viele - wp] während uns wiederum die Worte und Begriffe "Million" und "Milliarde" zu Gebote stehen; oder man denke an die eigentümliche Abgrenzung der Begriffe "Gemüse, Leguminosen, legumes" oder "Obst, fruits, frutti" (daneben sogar frutti del mare) usw. Wenn sich JOHN STUART MILL betreffs der Allgemeingültigkeit grundsätzlich auf den Begriff des "Konnotativen" stellt (das gleiche hatte bereits sein Vater JAMES MILL getan), so erhellt sich daraus wohl einerseits, mit welcher Zähigkeit in England die scholastische Logik fortwirkt, denn "connotativum" weist auf OCKHAM und die Ockhamisten zurück (3), andererseits aber paßt es vollständig zu MILLs empiristischer Denkweise, insofern derselbe in der Tat die Eigennamen für die ursprünglich ersten Worte hält und diesen das Konnotative gegenüberstellt, in welchem er die Allgemeinheit etwas verspätet nachholt. Wir unsererseits werden den Allgemeingehalt des Begriffs weder als nachfolgend zu vorausgegangenen Einzelvorstellungen hinzutreten noch als vorher daseiend mit letzteren eine nachträgliche Verbindung eingehen lassen, sondern für uns wird sich die Wesenseinheit des Denkwertes und des sprachlichen Lautes auch als wesenseinheitliche Vereinigung der Allgemeinheit und der Besonderheit erweisen. Im Kontinuitätssinn liegt der Grund einer Allgemeingültigkeit, welche nie außerhalb des Einzelnen besteht, denn in diesem und an diesem werden Sukzessionen und Selbstgleichheit (siehe oben) erfaßt, wobei sich mit letzterer von selbst ihre Kehrseite in Vergleichung und Beziehung verknüpft. Daher beruth der Allgemeingehalt der Begriffe beileibe nicht auf einer unbestimmten Ununterschiedenheit oder Ungenauigkeit, sondern auf einer Auffassung, durch welche die Einzelvorstellung in eine unmittelbare Beziehung zu benachbartem Verwandten und dieses zusammen in eine wesenseinheitliche Beziehung zu einem selbstgleichen Gemeinsamen gesetzt wird. Darum besitzt der Mensch mittels des Sprachausdrucks bereits mehr, als die Einzelempfindung, welche er ausdrückt. Die Bezugsetzung des Vielheitlichen auf ein Einheitliches, des Besonderen auf ein Allgemeines, enthält den Grund davon, daß in der unmittelbaren Rede und im nichtwissenschaftlichen Gewöhnlichen Gebrauch der Worte der begriffliche Gehalt derselben nach mannigfachen Seiten schwankt und schillert, wodurch der Eindruck einer Unbestimmtheit entstehen mag. Aber eben die Wissenschaftslehre zeigt, wie die Selbstgleichheit des Denkwerts sich mit Notwendigkeit in all den Beziehungen, in welche das Wort treten kann, behaupten muß und diese Notwendigkeit zieht engere bereits dem Erkennen dienende Grenzen.

In einem solchen Sinn sind Allgemeinheit und Notwendigkeit der hauptsächliche Gegenstand der Lehre vom Begriff, welche sich hierbei nicht, wie gemeinhin üblich, auf substantivische oder adjektivische Begriffe beschränken darf, sondern jedes Wort beim Wort nehmend durch den ganzen Sprachschatz hindurch in einheitlich gleicher Weise zu wirken berufen ist. Dabei würden jene sämtlichen Momente des gedankenhaltigen Sprachausdruckes, welche wir oben schließlich in die drei Gruppen "Gegenstand, Zustände, Beziehungen" zusammenzufassen versuchten, ihre begriffliche Darlegung finden, um sodann in der Lehre vom Schluß behufs der Gewinnung eines definitorischen Wissens verwertet zu werden.
LITERATUR - Carl Prantl, Reformgedanken zur Logik, Sitzungsbericht der bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-philologische Klasse, vom 6. März 1875
    Anmerkungen
    2) Ich sage "der byzantinischen Logik" ab und muß auch heute noch bei dieser von mir in die Geschichte eingeführten Bezeichnung verbleiben. Ich gestehe offen, daß es mir nicht verständlich ist, wie z. B. ÜBERWEG sich an THUROT anlehnen konnte, welcher die Summula des PETRUS HISPANUS als ein originelles Erzeugnis des lateinischen Abendlandes und die Schrift des PSELLUS als eine griechische Übersetzung des ersteren erweisen wollte. Wer meine gegen THUROT gerichtete Monographie "Michael Psellus und Petrus Hispanus" (Leipzig 1867) nur einigermaßen mit Verständnis gelesen hat, kann sich unmöglich dem Gewicht der Gründe entziehen, aus welchen ein nicht lateinischer Ursprung der Summula des PETRUS HISPANUS mit zwingender Notwendigkeit folgt.
    3) Siehe meine Geschichte der Logik Bd. III, Seite 364, 367, 368 und Bd. IV, Seite 5, 30, 62, 109