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FRIEDRICH GOTTL-OTTLILIENFELD
(1823-1900)
Haushalten und Unternehmen

Über die Grundbegriffe
Herkömmliche Logik
Werben und Erwerben
Wirtschaft und Gesellschaft
"Das wortselige Denken ist gleichsam auch nur ein Rechnen in Worten, die ohne weiteres für Einheiten genommen werden; ob's stimmt oder nicht."

Die Ausdrücke "Haushalten" und "Unternehmen" sollen zwar auf meinen engeren Gegenstand vorbereiten; aber sie tun es aus guten Gründen anders, als es nationalökonomischer Brauch ist. Dieser Widerspruch gegen das Herkommen, und seine Gründe, das ist mein weiterer Gegenstand, mein eigentlicher; dort handelt es sich nur um ein sachliches Beispiel.

Ich stelle jene Ausdrücke keineswegs aller Erörterung so voran, wie es mit ihresgleichen immerzu geschieht; mit den Ausdrücken "Wirtschaft", "Gut", "Wert", "Kapital", "Geld", und wie diese Wegweiser nationalökonomischer Theorie lauten.

Dieser Brauch legt mir zwei Fragen nahe. Vor allem die, ob eine Erfahrungswissenschaft dazu gezwungen sei, mit ihren theoretischen Erwägungen stets von neuem an gewisse Ausdrücke anzuknüpfen, deren Kreis dabei außer Erwägung bleibt. Vielleicht ist es überhaupt nur der letztere Umstand, der jene Ausdrücke ernst nehmen läßt. So lautet daher die zweite Frage, ob derlei Ausdrücke von Haus aus fähig wären, einen Gegenstand wissenschaftlicher Erörterung außer Zweifel zu setzen.

Diese zweite Frage mag für den Teil der Ausdrücke "Haushalten" und "Unternehmen" offen bleiben. Denn so, wie diese Worte in der Ausgabe meines Themas erscheinen, sind es schlecht und recht  Namen;  Sprachzeichen, in verständiger Willkür zu etwas hinzugewählt, das sich ganz unabhängig von ihnen entwickeln läßt. Dieses Etwas büßte nicht die Faser von seinem Wesen ein, hätte ich es irgendwie genannt. So aber bin ich dem Sprachgefühle treu geblieben.

Einmal entwickelt erzwingt sich jenes Etwas diese Nennung; man könnte sagen, es wächst bei seiner freien Entwicklung just in diese Ausdrücke hinein. So kommt es auch, daß mit diesen Worten der sachliche Kern einer Erörterung anklingt, die mit ihnen selber zunächst gar nichts zu schaffen hat. Es nimmt diese Erörterung nicht von diesen, noch von anderen Worten ihren Ausgang, sondern von einem richtigen  Probleme.  Und ich verhehle nicht, daß ich hiermit jene bedeutsame erste Frage in bewußter Tat zu vermeiden suche.

An einem schlichten Beispiele möchte ich Ihnen zeigen, wie nationalökonomische Theorie möglich ist, ohne die alte Weise jener "Lehren" anzustimmen: von der "Wirtschaft", vom "Wert", und so weiter. Eine eigentliche Darstellung von Ergebnissen ist in diesem Rahmen nicht möglich; weder in Bezug auf die engere Sache, noch in der Richtung der allgemeinen Ansichten, die ihr zur Seite treten. Es handelt sich rein nur um einen aufklärenden Vorstoß, ohne jede Sicherung der Etappen.

Das Problem, von dem ich ausgehe, muß Sie bei seiner ersten Aussprache etwas befremden. Es ist mit der Aufgabe eins,  die Formeln zur Erkenntnis des Alltäglichen zu suchen.  Ich bin also vor allem Aufschluß schuldig, was unter solchen "Formeln" zu verstehen sei. Im Äußeren wird dies auf eine Erklärung der Ausdrücke hinauslaufen, in die ich das Problem bündig fasse. Dem Wesen nach aber handelt es sich einzig darum,  das Problem selber zu entwickeln. 

Wenn dies geschieht, wird nicht etwa mit Gedanken ein kurzweilig Spiel getrieben. Probleme, wie ich sie meine, lassen sich in einer Erfahrungswissenschaft nicht erfinden. Man kann sie immer nur aufspüren. Es gelangt das Forschen, das bei sich selber Einkehr hält, vor Aufgaben hin, die es lösen muß, wenn es seinem Berufe genügen will. Meist werden es Aufgaben sein, denen das Forschen schon nachgekommen ist, ehe es ihrer recht bewußt war. Einfach um sich selber zu ermöglichen, war die Forschung zu Leistungen genötigt, die einer Lösung gleichkommen. Nur steht zu erwarten, daß solche Lösungen wider Willen und Wissen etwas fragwürdig sind. Es lohnt immerhin die Mühe, an der Hand der Probleme die Arbeit zu wiederholen.

Nun einen Blick voraus, auf meinen Weg.  Die Erkenntnis des Alltäglichen  will ich aus einem Gegensatze deuten; ich stelle sie für ihre Erklärung jener  Kenntnis  der Alltäglichkeit" gegenüber, die keinem mangeln kann. Denn wir alle sind ja in der Lehre des täglichn Lebens, dem niemand zu entrinnen wüßte.

Aus dieser Kenntnis der Alltäglichkeit werde ich die Erkenntnis des Alltäglichen an der Hand gewisser Forderungen ableiten, die sich einfach schon aus der Natur des wissenschaftlichen Denkens ergeben. Und diese Forderungen sind es, die sich zu unserem Probleme verweben. So hängt im Grund alles an der Selbstbesonnenheit. Wir brauchen uns nur auf unser Denken zu besinnen, um das Problem zu finden; und so wird später eine einfache Besinnung auf unser Handeln genügen, um das Problem zu lösen.

Nach diesem Plane gehe ich dann vor. Eines aber sei laut und hell betont: Um meinem Vorhaben treu zu bleiben, muß ich rückhaltlos die Strenge opfern, die so leicht zu erzielen ist,  sobald man von Problemen, statt von Worten ausgeht.  Denn hier besteht die Gefahr nicht, daß sich das Streben nach größerer Schärfe in die Sackgasse der worterklärenden Definition verrennt. Ein Vorzug, auf den ich nur kurz verweise; ich kann ihn nicht ausnützen. Sonst brächte ich es in diesem engen Rahmen nicht fertig, das ganze Gebaren vorzuführen, von der Wurzel an gleich bis zu Früchten, zu greifbaren Ergebnissen. Daher können auch diese Ergebnisse nur von der Wahrheit der rohesten Skizze sein. Denn schon das Problem selber, wie es hier entwickelt wird, ist nur vom Range einer gültigen Losung, die auf kecken Durchgriff ausgeht.

Es läßt sich in voller Schärfe nur aufrollen, sobald man es aus seinem Zusammenhang mit anderen Problemen herleitet, die ihm vorantreten; in einer lückenlosen Kette, bis zu ursprünglichsten zurück. Das wären vom Standpunkte der Nationalökonomie jene ersten Probleme, mit denen diese Wissenschaft ihr eigenes Dasein in Frage stellt; Aufschluß begehrt über ihre Möglichkeit und ihres Wesens Art.

Probleme, von denen freilich nicht viel die Rede ist, solange sich die Nationalökonomie für die Kenntnis ihrer Eigenart auf ein Schlüsselwort verläßt; sei es "Wirtschaft", oder "Gut" oder sonst ein "Begriff", der dann auch in den Namen eingeht, und von dessen "Bestimmung" diese Kunde erwartet wird. Aber es wäre ja traurig um eine Wissenschaft bestellt, wenn sie dauernd bei ihrem Namen anfragen müßte, wie sie über sich selber denken soll.

Jenen tieferen Zusammenhängen kann ich bei der Entwicklung unseres Problems nicht folgen. Sonst würde es besser erhellen, wie jene Erkenntnis des Alltäglichen, die hier nur zur Not eine einseitige Deutung finden soll, im Grunde gar nichts anderes betrifft, als das  nationalökonomische Denken, das sich auf sich selber besonnen hat.  Nur kleidet sich diese Selbsterkenntnis dabei in eine schlagwörtliche Wendung. Ähnlich, wie man im gleichen Geiste von der Nationalökonomie sagen kann, daß sie die Erfahrungswissenschaft vom  Alltagsleben aller Zeiten  sei.

Schlagwörtlich sind diese Aussagen, weil ihr buchstäblicher Sinn nur höchst mittelbar die Sonderheit der Nationalökonomie un ihres Denkens wiedergibt. Denn bloß im tatsächlichen Hergang kommt es dazu, daß sich diese Wissenschaft gerade dem Alltäglichen zukehrt. Daraus rechtfertigen sich jene Schlagworte; auch nur scheinbar spannen sie den Rahmen dieser Wissenschaft viel zu weit. Aber die Wendung gegen das Alltägliche besagt schon eine  Folge,  und ist durchaus nicht der  Grund  der nationalökonomischen Sonderheit. Der sitzt tiefer und läßt sich ungleich schärfer fassen. Auch darüber gleich eine Andeutung, auf die ich mich in der Folge oftmals beziehe. Damit wird sich das Bild erst beleben, das ich hier bloß in schroffen Umrissen erscheinen lasse.

Den  entfernteren  Grund ihrer Eigenart teilt die Nationalökonomie noch mit anderen Wissenschaften; ich nenne sofort die Historik, mit dem historischen Zusammen, ist das nationalökonomische Denken ein eigenartiges, und trennt sich z.B. aufs Schärfste vom naturwissenschaftlichen, weil es sich gleichsam einer anderen Welt vermählt. Jener  Welt des Handelns,  die als das selbstherrliche und ursprüngliche Dritte zwischen Sinnenwelten und Seelenwelt steht.

Eine Welt, voll der eigenartigsten Gebilde, die aber einheitlich ruhen auf dem  Erlebnis der Tat;  jenem, unserem Denken urwüchsig un noch  unzerfällt  Gegebenen, vom dem man schon die toten Teile in der Hand hält, sobald man sinnlich oder seelische Erscheinungen vor sich sieht. Und diese andere, die Welt der Erlebungen, vermählt sich mit unserem Denken auch ganz anders, als die Welt der Erscheinungen. Da ergibt sich der Zusammenhang im Geschehen nicht in jenem ursächlichen Sinne, wie dort, wo das Einzelne in der Art untergehen muß, ehe uns die Abfolge der Erscheinungen aus Gesetzen verständlich wird.

Gleich seinen Abkömmlingen, können wir schon ds einfachste Erlebnis stets nur aus dem Zusammenhang des Geschehens erfassen, der uns schon mit dem Erleben des letzteren zufällt. Es heftet das Erlebnis gleichsam seinen Grund schon an die eigene Gegebenheit. Und so verknüpfen sich diese Erlebnisse und ihre Gebilde von Haus aus jenem viel verschlungenen Gewebe, als das uns die Welt des Handelns ganz unmittelbar begreiflich ist, nach dem Vorbild unseres eigenen Handelns.

Für unser Begreifen dieser Welt kommen "Gesetze" hoffnungslos zu spät. Das scheinbar Gesetzmäßige in dieser Welt steht auf einer Stufe mit dem scheinbar Zufälligen in der Natur: ein gelegentliches Alpha, nicht das grundsätzliche Omega der Erkenntnis. Das will sagen, es harrt gleichsam seiner Auflösung in jenen einen und großen Zusammenhang, den zu durchschauen hier das letzte Ziel alles Forschens bleibt.

Dieses Reich der Tat nun ist Gemeinbesitz mehrerer Wissenschaften. Ich deute es an einer gesonderten Stelle an, wie sich die letzteren, unter ihnen die Nationalökonomie, nur des verschiedenen  Gesichtspunktes  wegen absondern, aus dem sie jenes Einerlei beschauen. In diesem Geiste ist die Nationalökonomie aber eine Wissenschaft für sich, weil sich das nationalökonomische Denken als eine echte Spielart besondert, von jenem erfahrungswissenschaftlichen Denken, das der Welt der Erlebungen ganz ebenso gerecht wird, wie das naturwissenschaftliche Denken der Welt der Erscheinungen. Sagen wir etwa, das nationalökonomische Denken erkennt sich selber als die einer der Möglichkeiten, "aktionswissenschaftlich" zu denken. Der Name "Aktionswissenschaften" wäre mir natürlich für jeden besseren feil.

Zu einer weiteren Teilung im Stoffe der Erfahrung kommt es also nicht. Im entscheidenden, im grundsätzlichen Sinne ist demnach die Sonderheit der Nationalökonomie keineswegs auf ein besonderes, nur dieser Wissenschaft eigentümliches "Gebiet" gegründet. Weder in jenem Sinne, an den uns im Voraus, also zur großen Bequemlichkeit unseres Denkens, der vertraute Klang gewisser Worte glauben macht; ich meine die liebgewohnten Schlüsselworte, wie etwa "Wirtschaft", "Staat", "Gesellschaft". Die Aussonderung aus der Welt des Handelns etwa das "Alltägliche" vorbehalten bliebe.

Beachten Sie, daß in diesem Zusammenhange hier dieses Wort zwischen Gänsefüßchen hinein gehört. Denn gewiß, man kann es sagen, es wende sich die Nationalökonomie in der tatsächlichen Sachlage dem "Alltäglichen" zu. Aber damit stellt man sich bereits auf den Boden eines Denkens minderer Strenge.

Vor dem eindringlichen Blick jener ersten Probleme fänden eben Ausdrücke, wie "Alltägliches" und "Alltagswelt" keine Gnade. Und so verrät es das Walten eines gelockerten Denkens und kennzeichnet die durchfahrige Art, in der ich zur engeren Sache reden muß, wenn ich von da ab die Wendung von der "Erkenntnis des Alltäglichen" buchstäblich nehme, und daher zunächst in vollem Ernste vom  Alltäglichen  spreche.

Alltäglich ist freilich vieles; zum Beispiel gleich der Wechsel zwischen Tag und Nacht. Der kann nicht gemeint sein, obwohl auch er für die Welt des Handelns zur Geltung kommt, unter den zahllosen Determinanten des erlebten Geschehens. Aber wie ist nun das Alltägliche gemeint? Der Definition ganzer Jammer scheint da zu drohen. Dennoch, sofern man nur darauf achtet, daß hier das  alltägliche Handeln  in Frage kommt, ist alle Definition mehr als entbehrlich; sie wäre von Übel.

Definieren könnte man das Alltäglich nur als die Art eines Geschehens. Wie aber zwischen dem, was alltäglich, und jenem, was nicht alltäglich ist, zu scheiden wäre, darüber müßte sich unser Denken sofort entzweien. Jedoch das genaue Gegenteil tut hier not: ein sicherer, eindeutiger Ausgang für unser Denken! Der aber liegt mit dem Alltäglichen als  Inbegriff  vor, unabhängig von aller Definition. Nur dieser günstige Umstand erlaubt es ja, unser Problem an das Alltägliche anzuknüpfen; wir klammern uns an dessen unzweideutigen Kern, während uns das Verschwimmen der Grenzen gleichgültig bleibt.

So ist es wesentlich, daß wir uns wirklich nur diesen losen Inbegriff von erlebtem Geschehen vorhalten; der zwar nicht Greifbares besagt, und von dem ich nun erst erwägen will, wie er uns im Einzelnen begreifbar wird, der uns aber trotzdem so vertraut, so ganz außer Zweifel und Mißverständnis ist, weil wir mit unserem ganzen Tun und Treiben, mit unserem ganzen Wohl und Wehe in diesem Inbegriff das Inbegriffene sind.

Umschreiben läßt sich dieser Inbegriff allerdings; zum Beispiel als das Ganze des mehr oder minder nüchternen, hausbackenen Geschehens durch uns und um uns, mit dem in nie aussetzendem Flusse aus dem Gestern das Heute und aus dem Heute das Morgen wird. Derlei Umschreibung erläutert wohl die Sache, bei der wir einsetzen. Aber schon zum Überfluß; so wenig verbindlich solche vorausgeworfene Erläuterung ist, in diesem Fall, so wenig sind wir zu ihr verbunden. Wir sind uns einmal dieser Sache viel zu gewiß, als daß sie erst eindeutig würde, sofern wir ihren Namen scharf und gültig definieren.

Auch weiterhin bleiben die Gefahren der worterklärenden Definition vermieden. Vom Alltäglichen aus führt uns eine  sachliche  Erwägung vor jene Kenntnis der Alltäglichkeit hin, an die sich unser Problem des Näheren knüpft. Wir erwägen da, wie sich unser  Denken  zu jener Sphäre der erlebten Gemeinplätze verhält. Dazu sei nun in aller Einfalt ein Vergleich gezogen, zwischen gewissen Vorkommnissen des Alltags, und gewissen Erscheinungen der Natur. Der Vergleich aber rechtfertigt sich aus dem Umstande, daß es hüben und drüben auf ein vielartiges Geschehen ankommt, von jenem innigen Zusammenhalte, als ob jedes Eine um Aller, und Alle um jedes Einen willen da wären.

Ein Mehrerlei des Geschehens, das sich wechselseitig bedingt, unserem Denken also gegliedert, "organisiert" erscheint, das steht in der Tat bei jedem tierischen oder pflanzlichen Organismus in Wirklichkeit. Aber hier durchblicken wir die Gliederung im Geschehen doch nur soweit, als wir mit Absicht beobachtet und über das Beobachtete nachgedacht haben; wobei wir natürlich die Früchte der gleichen Bemühung anderer nutzen.

Von Haus aus erscheinen diese Gebiete für das menschliche Denken fremd. Unser Handeln ist zwar selber durch einen Organismus determiniert; von dem weiß jedoch das urwüchsige Denken blutwenig. So bleibt es dem  wissenschaftlichen  Denken vorbehalten, in diese Gebiete, und gleichsam  erobernd  vorzudringen.

Zum Vergleich nun etwas Ähnliches aus der Alltagswelt; in recht unverhohlener Absicht ausgewählt. Wenn Sie da zum Beispiel durch ein Schaufenster blicken, und die Leute hinter dem Ladentisch beobachten, wie sie dies und jenes tun, bald einen Kunden sehr umständlich, bald einen Reisenden sehr kurz behandeln, dann wieder eine Eintragung in dicke Bücher machen, eine Sendung empfangen, Waren einfächern - ein Vielerlei von Geschehen ergibt sich Ihnen da, das grundsätzlich schon im Einzelnen, sicher jedoch im Ganzen, in seiner Gliederung, für Sie  begreifbar  ist.

Gleichgültig, wie Sie reden, oder von "Erwerb", oder von "Unternehmung". Jeder von uns, soviel ist sicher weiß sich auf dieses bunte Getriebe sofort einen Reim zu machen. Man braucht da wahrlich nicht erst auf den Nationalökonomen zu warten, erfreut sich auch so schon einer Einsicht, die gleich bis in den Kern der Sache vordringt.

So auch, wenn Sie etwa in eine Wohnung blicken, und auch da herum das vielfältigste Gebaren sehen. Ein und Aus von allerlei Leuten, Aufsteigen von Rausch aus den Kaminen, Hantieren mit Besen und Kochlöffel, und so weiter. Auch da wissen Sie natürlich sofort, wieviel es, ins Ganze beschaut, geschlagen hat; so ginge es eben "bei Schulzens" her, oder im "Müllerschen Hauswesen".

Der Alltag birgt keinerlei Rätsel in sich. Da ist uns alles so vertraut, daß wir der  Voraussetzungen  gar nicht mehr gedenken, auf denen unser unbeirrtes Verständnis ruht. Und es ist doch klar, daß uns solche Wissenschaft nicht von Natur aus ist, sondern uns durch unser eigenes Handeln zufällt, durch unser Leben inmitten solchen Getriebes, von Kindesbeinen an. In dieser Richtung geht daher das wissenschaftliche Denken nicht erobernd vor; zunächst ist es vielmehr in der Lage, zu  erben. 

Dieses Erbe nun, das allem Denken über die Welt des Handelns zufällt, das ist die  Alltagskenntnis.  Ein Wissen, das schon in unserer Fähigkeit zu handeln enthalten ist, und uns doch wieder nur aus dem Handeln selber geworden ist; in jenem tieferen Sinne, wie unser Denken und unser Handeln überhaupt an einander heranwachsen. Es liegt aber diese Kenntnis der Alltäglichkeit mit keinerlei Definitionen oder ausgearbeiteten Theorien vor; höchstens, daß Einzelnes aus ihr zu Sprüchen bündig gefasst ist. So kommt es vor Allem auf das Verhältnis an, das zwischen dieser Jedermanns-Weisheit und den  Worten  besteht, den Kindern der lebenden Sprache.

An sich ruht diese Alltagskenntnis, wie gesagt, als ein gestaltloses Wissen in uns; als das unklare Ganze von lauter ungeklärten Anschauungen, die ihrem Inhalte nach viel zu selbstverständlich sind, als daß uns ihr Besitz im gewöhnlichen Verlauf der Dinge zum Bewußtsein käme. Weil wir nun alle handeln, ist uns allen dieser Besitz gemein. Diese Anschauungen, in denen sich unser gemeinsames Verhältnis zum Handeln spiegelt, sind ja wieder viel zu ungeklärt, um einem Zwiespalte Raum zu geben.

Mit dieser Tatsache nun, daß wir alle die Alltagskenntnis teilen, fällt es in eins, daß uns die Worte verständlich sind, mit deren besonderer Hilfe wir im Handeln selber über das Handeln sprechen. Sie sind uns das Mittel des Ausdruckes, durch das wir uns im nämlichen Gedanken finden, ohne uns den letzteren eigentlich klar zu machen. Und dazu gehören zum Beispiel auch "Haushalten" und "Unternehmen". Nicht also, daß wir diese Worte in Eintracht zu definieren wüßten.

Muß denn so eine Einheit der Sprache gleich auch eine Einheit unserer Gedankenwelt sein? Daran hängt das sprachliche Verständnis ganz und gar nicht. Solche Worte sind uns umso verständlicher, je harmloser wir sie verwenden; je ruhiger sie im Flusse der Rede schwimmen. Dann erst scheinen sie auf jenes gestaltlose Gemeinwissen die erfolgreichste Berufung einzulegen. Wir fruchten einfach diese Alltagskenntnis, wo immer wir jene Worte im zwanglosen Sprechen verwenden.

So wird es gerade durch einen  unbefangenen  Gebrauch dieser Worte möglich, kurzer Hand über Alltägliches zu erörtern. Es erhellt hier, um es im Vorgriff zu sagen, wie nationalökonomische Leistungen möglich sind, auch wenn man auf jene "Theorie vor den Tatsachen" verzichtet, auf die ich später verweise. Es ist gleichgültig, ob dieser Verzicht nun ein bewußter ist, oder uns aus der Gewöhnung zwanglosen Sprechens überkommt. Erörterungen, die diesen Verzicht leisten, können sich kraft mancherlei Tugenden zum Range einer wissenschaftlichen Leistung erheben: Treue gegenüber den Tatsachen, Schärfe der Folgerung, vor allem der Umstand, daß man das Interesse an der Erfahrung über die Interessen am Erfahrbaren stellt.

Eines aber bleiben solche Erörterungen ihrer Wissenschaftlichkeit schuldig, un je geläuterter sie sind, desto drückender das Versäumnis: Sie zehren ja von der Alltagskenntnis,  stellen sich also auf den Boden ungeklärter Anschauungen, von denen sie sich keinerlei Rechenschaft ablegen. 

Hier steht es zweifellos dem Denken frei, in eigener Sache einen guten Schritt vorwärts zu tun. Da keimen die Forderungen, die schon aus der Natur des wissenschaftlichen Denkens zu begründen sind; worunter ich eben ein Denken meine, das stetig über sich selber hinausstrebt. Nur richten sich diese Forderungen nicht etwa deshalb auf, weil die Alltagskenntnis falsch sei. Ein Urteil wäre da immer nur über die Einzelheiten zulässig. Der Inhalt der Alltagskenntnis ist aber viel zu ungeklärt, um das Einzelne daraus auf wahr oder falsch zu beurteilen.

Wohl aber kann man vom Ganzen sagen, daß mit der Alltagskenntnis ein Denken zur Ruhe kommt, das mit dem Handeln aufwächst, stets nur die Bedürfnisse des Handelns vor Augen hat, unbehütet von aller Kritik bleibt, und daher nie anders an sich bessert, als daß es im Vollzuge des Handelns sich ganz von selber berichtigt. Ein Denken also, von dem wahrlich nicht gilt, es strebe stetig über sich selber hinaus.

Ungefähr in diesem Geiste möchte ich  Kenntnis  und  Erkenntnis  scheiden,  und so ergibt sich die Alltagskenntnis als ein fremder Stoff im wissenschaftlichen Denken, den das letztere ausstoßen muß. 

Meine Darlegung mußte um so roher bleiben, als der Sachverhalt ein sehr in sich verspreizter ist, und sich nur gewaltsam in Kürze abtun läßt. Ein drohendes Mißverständnis ist aber jedenfalls abgewandt: Sie bemerken, mit der Erkenntnis des Alltäglichen steuern wir beileibe nicht einer "Philosophie des Banalen" zu, die irgendwie das nationalökonomische Denken über seine Grenzen drängt. Es handelt sich um eine ungemütlich nüchterne Sache:  Schärfere Zucht im Denken,  auf Kosten seiner Bequemlichkeit, seiner lieben Gewohnheiten.

Jenen Forderungen entspinnt sich nun unser Problem. Auch da gilt es, ungeklärte Anschauungen, auf denen das nationalökonomische Denken fußt, in tätiger Erkenntnis zu läutern. So hilft unser Problem dazu mit, jenes Erbe, das auch dem nationalökonomischen Denken zufällt, erst noch zu erwerben, um es recht zu besitzen. Die besondere Aufgabe, die sich zu unserem Probleme fassen läßt, soll dann auf einem Umwege klar werden, der sich durch besseres Verständnis bezahlt macht. Vorher einen Seitenblick auf die tatsächlichen Verhältnisse der Nationalökonomie.

Die Frage ersteht, ob die Nationalökonomie nicht längst schon versucht hat, jene banausische Art von "Apriori" aus ihrem Denken auszumerzen. Zunächst ist ja nichts natürlichern, als daß sich besonders in der Wissenschaft vom Alltäglichen die Worte herumtreiben, die gleichsam die Leibworte des Alltags sind. Jene vielberühmten Worte "Wirtschaft", "Gut", "Wert", "Kapital", "Geld", "Vermögen" und so weiter, hinter denen die Nationalökonomie ihre "Grundbegriffe" sucht.

Über der Sorge um diese "Grundbegriffe" kommt es ja dazu, daß sich diese Wissenschaft auf den bezüglichen Gebieten in einem hartnäckigen Wechselfieber der Definitionen und Theorien schüttelt. Wenn dies auch den Kern der Wissenschaft so unberührt läßt, wie es einem Außenstehenden kaum begreiflich ist, soll es denn bloße scholastische Spiegelfechterei sein? Spielt da nicht unverkennbar das Streben mit, den Schnitt zu führen zwischen dem nationalökonomischen Denken und dem alltäglichen?

Zum Glück ist kein Anlass da, diese verwickelten Dinge schon in diesem Rahmen aufzurühren. Meine Zweifel brauche ich deswegen doch nicht zu verhehlen. Es scheint mir in der Tat, daß jenes gültige Streben wirkungslos verpuffen muß, solange es sich stets nur mit jenen "wortgebundenen" Problemen entladet, die in ihrer kindlichsten Gestalt eins sind mit Fragen von der Art: "Was ist die Wirtschaft?", "Was ist der Wert?", und so weiter, den ganzen ökonomischen Katechismus herunter. Wie kann man mit dem alltäglichen Denken fertig werden, wenn man sich in den gläubigsten Dienst seiner ureigensten Sprösslinge stellt!
LITERATUR - Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld, Die Herrschaft des Wortes, Untersuchungen zur Kritik des nationalökonomischen Denkens, Jena 1901