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CONRAD HERMANN
(1819 - 1897)
Die Theorie des Denkvermögens
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"Denkvermögen, Sprache und Freiheit sind untrennbar im Menschen aneinander gebunden, eben in seinem Denken oder in der Festhaltung allgemeiner Begriffe erhebt sich der Mensch zur Freiheit gegenüber der Macht der auf ihn eindringenden, unausgesetzt wechselnden Vorstellungen seiner sinnlichen Natur; in der Sprache aber gibt er seinem Denken einen allgemein verständlichen, über ihn selbst hinaus bedeutsamen Ausdruck; durch die Sprache schlingt sich um alle Einzelnen unseres Geschlechts ein gemeinsames, mächtiges geistiges Band; das menschliche Leben ist das Reich der Freiheit oder des Geistes im Unterschied von der Natur als dem des unfreien oder sinnlichen Daseins."

"Indem der Zweck allen Denkens in einem Erkennen beruth, so entsteht die Frage, wie dasselbe beschaffen sein muß, um diesem seinem Zweck entsprechen zu können. Alles Denken ist ansich nichts, als eine subjektive Bewegung des Vorstellens der Seele; unter welchen Bedingungen also ist eine solche Bewegung imstande, den Inhalt einer bestimmten Objektivität des Seins, auf welche sie sich richtet, in sich einzuschließen oder durch welche allgemeine Kennzeichen wird die von einem jeden Denken behauptete Einstimmigkeit seines inneren Vorstellungsinhaltes mit dem Inhalt eines bestimmten äußeren Seins festgestellt und vermittelt?"

"Alle Abstraktion ist wesentlich eine Tat und ein Dokument unserer Freiheit; alle Verinnerlichung des menschlichen Seelenlebens beruth zunächst auf einem Prozeß der Abstraktion: das Tier aber, da es des Abstrahierens unfähig ist, bleibt überall nur im Einzelnen oder unmittelbar Sinnlichen seiner Anschauungen befangen."

Der Ausdruck  Denken  im weitesten Sinne des Wortes bezeichnet das ganze Vorstellungsleben der menschlichen Seele. Man sagt gemeinhin: der Mensch denkt immer, wenn man zunächst hierunter nur die ununterbrochene Tätigkeit im Wechsel der Vorstellungen versteht. In einer genaueren Fassung aber bezeichnet der Begriff des Denkens nur einen einzelnen Akt oder eine bestimmte Abteilung des Lebens der Seele; hier begrenzt sich das Denken namentlich mit zwei anderen wichtigen Funktionen unseres Innern, einmal mit dem Fühlen oder Empfinden, andererseits mit dem Wollen; das ganze Seelenleben des Menschen wird gemeinhin unterschieden in diese drei hauptsächlichen Zweige, jedes Einzelne, was in uns ist, ist seinem Wesen nach entweder ein Gedanke, oder ein Moment des Fühlens, oder ein solches des Wollens; wie also unterscheidet sich dasjenige, was wir Denken im engeren Sinne des Wortes nennen, von all dem, was sich sonst etwa in der Seele vorfinden mag?

Das Vermögen des Denkens im engeren Sinne ist offenbar etwas, das wir nur der Seele des Menschen im Unterschied von derjenigen des Tieres zuzugestehen pflegen. Das Vermögen des Empfindens als solches hat auch das Tier mit uns gemein, wenngleich auch der Inhalt dieses tierischen Empfindens ein unendlich dürftigerer und niedrigerer sein mag als der des menschlichen; das Vermögen des Denkens dagegen ist uns, den Menschen, im spezifischen Unterschied vom Tier eigentümlich; einen Gedanken aber im strengen Sinn des Wortes nennen wir dasjenige, was in den Formen der Sprache ausgedrückt oder Anderen durch sie mitgeteilt werden kann; das Tier aber, da es der Sprache entbehrt, hat auch am Denkvermögen in diesem strengen und eigentlichen Sinn des Wortes keinen Anteil; durch den Besitz der Sprache zieht sich eine bestimmte scharfe Grenzlinie zwischen dem Seelenleben des Menschen und jenem des Tieres; alles eigentlich Höhere, wodurch wir uns von diesem letzteren unterscheiden, ist wesentlich gebunden an den Besitz und an die Befähigung zur Sprache; die Form der Sprache ist das Merkmal, wodurch wir den Inhalt des Denkens von all dem, was sonst zur Seele gehört, unterscheiden; - der innere Akt des Denkens selbst aber besteht zuletzt in nichts anderem, als darin, unsere ansich noch unklaren oder ungeordneten Vorstellungen in die Formen der Sprache einzuführen; mit diesem Geschäft selbst ist die innere Operation des Denkens geschlossen; durch die Sprache allein ist es, daß sich der fertige Gedanke in uns mit allem, was zur Empfindung oder zum Wollen gehört, in der Seele begrenzt.

Der Gesamtcharakter des Menschen im Unterschied von dem des Tieres beruth auf dem Prinzip oder der Eigenschaft der Freiheit. Der Begriff der Freiheit ansich ist ein rein negativer, indem derselbe zunächst nur die Relation auf irgendeinen Zwang, dessen Stattfinden hierdurch in Abrede gestellt wird, in sich schließt; der Arten der Freiheit sind daher ansich ebenso viele, als es Arten oder Möglichkeiten des Zwanges gibt. Eine vollkommene Freiheit aber findet sich allein bei Gott; denn auch die menschliche Freiheit ist eine höchst mannigfache, die politische, die religiöse, die sittliche Freiheit usw., und unbedingt frei sind wir insofern niemals, als unserem Wollen doch immer eine gewisse innere oder äußere Grenze gesteckt ist; in einem bestimmten Sinne aber gilt uns auch das Tier als frei, wenn wir z. B. sagen: frei wie der Vogel in der Luft. Worin besteht demnach dasjenige, was wir die Freiheit in einem spezifischen Sinn oder nach dem technischen Gebrauch der Philosophie als ein charakteristisches Unterscheidungsmerkmal des Menschen vom Tier zu nennen gewohnt sind?

"Der Mensch ist frei und wär' er in Ketten geboren", in diesem Satz drückt sich dasjenige aus, was uns die Freiheit im angegebenen Sinn des Wortes heißt. Nicht die Abwesenheit eines äußeren Zwanges ist es, welche für uns den Begriff der sogenannten höheren, rein menschlichen oder metaphysischen Freiheit konstituiert; Das Tier an der Kette verliert den Gebrauch seiner Freiheit, während der Mensch sie überall da noch bewahrt, wo er sich im Besitz seiner Vernunft oder seines inneren Selbstbewußtseins befindet. Wer aber der Sklave seiner Leidenschaften oder Begierden ist, enthebt sich selbst des Gebrauchs seiner menschlichen Freiheit; dieser Zwand aber ist immer von der Art, daß ihn der Mensch selbst von sich abzustreifen vermag; jeder hat es in seiner eigenen Hand, frei zu sein, wenn er sich selbst in seinem inneren Ich der Gewalt seiner sinnlichen Triebe gegenüber behauptet; die Freiheit in diesem Sinne des Wortes aber ist dem Tier versagt: der Mensch ist nicht wie das Tier ein einfaches, sondern ein doppeltes, aus zwei Hälften zusammengesetztes Wesen, von welchen die eine sich vom Druck oder Zwang der anderen zu befreien vermag: die Fessel der Freiheit ist nicht wie bei jenem eine außerhalb von uns, sondern allein eine in unserer eigenen Natur selbst liegende; die spezifische Freiheit des Menschen ist identisch mit seiner Herrschaft über sich selbst, oder damit, daß nicht seine sinnliche, sondern seine geistige Natur das bestimmende und Ausschlag gebende Element für ihn ist.

Der Besitz der Freiheit und der Sprache, dieses sind die beiden allgemeinen und entscheidenden Merkmale, durch welche der ganze hervorragende Charakter des Menschen vor dem Tier festgestellt und bedingt wird. Wie aber an der Freiheit, so hat auch an der Sprache das Tier anscheinend und einem gewissen Sinn des Wortes nach einen bestimmten Anteil; zumindest reden wir von einer Sprache der Tiere oft in einer ähnlichen Weise, als wir uns wohl auch des Ausdrucks der Freiheit im Hinblick auf sie zu bedienen pflegen. Durch die Laute seiner Stimme verständigt sich das Tier ebenso mit anderen seines Gleichen, wie der Mensch; nur die menschliche Sprache aber ist die Ausdrucksform von Gedanken, während jeder tierische Laut nichts als eine sinnliche Empfindung in sich schließt. Das ganze geistige Leben des Menschen aber beruth wesentlich und vorwiegend auf dem Vermögen des Denkens; die höhere artikulierte Gestalt seiner Sprache aber ist durchaus kongenial [gleichwertig - wp] der Natur seines Denkens; was in den Worten der Sprache enthalten ist, ist immer ein Begriff oder eine etwas Höheres und Allgemeines in sich schließende Abstraktion, im Unterschied von der unmittelbaren und dumpfen Empfindungsvorstellung des Tieres; das ganze Seelenleben des Tieres ist gebunden und abhängig von seiner Sinnlichkeit; nur im Denken und seiner äußeren Form, der Sprache, befreit sich der menschliche Geist von der Gewalt seines unmittelbaren, aus der Sinnlichkeit hervorgehenden Empfindens; Denkvermögen, Sprache und Freiheit sind untrennbar im Menschen aneinander gebunden, eben in seinem Denken oder in der Festhaltung allgemeiner Begriffe erhebt sich der Mensch zur Freiheit gegenüber der Macht der auf ihn eindringenden, unausgesetzt wechselnden Vorstellungen seiner sinnlichen Natur; in der Sprache aber gibt er seinem Denken einen allgemein verständlichen, über ihn selbst hinaus bedeutsamen Ausdruck; durch die Sprache schlingt sich um alle Einzelnen unseres Geschlechts ein gemeinsames, mächtiges geistiges Band; das menschliche Leben ist das Reich der Freiheit oder des Geistes im Unterschied von der Natur als dem des unfreien oder sinnlichen Daseins; alles andere aber, womit sich sonst das menschliche Leben erfüllt, hat dieses Doppelte, die Freiheit und die Sprache, in seiner gemeinsamen Wurzel, dem Denkvermögen, zuer ersten und notwendigsten Voraussetzung.

Das Verhältnis unseres Denkens zu seiner Form, der Sprache, ist ansich oder zunächst genommen ein rein äußerliches, insofern wir unter Sprache nichts verstehen als die hörbare Lauterzeugung, durch welche das von uns in der Seele Gedachte anderen zugeführt oder mitgeteilt wird. Von der Sprache in diesem Sinne machen wir bloß dann Gebrauch, wenn wir unseren eigenen Gedankeninhalt in das Verständnis anderer übergehen zu lassen wünschen. In einem anderen Sinn des Wortes aber können wir die Sprache auch beim Ausbildungsprozeß unseres eigenen inneren Denkens selbst in keiner Weise entbehren: ist die Sprache einmal im Hinblick auf ihren physischen Charakter, die artikulierte Lauterzeugung der menschlichen Stimme, so schließt sie andererseits zugleich in der Bedeutung ihrer Worte und in den möglichen Verknüpfungsverhältnissen derselben untereinander einen bestimmten allgemein geistigen oder außerhalb von uns selbst, den einzelnen Redenden und Denkenden, liegenden Inhalt von Begriffen und Denkformen in sich ein; jeder neue Gedanke, den wir bilden, ist seiner vollendeten äußeren Gestalt nach wesentlich nichts, als eine neue Verknüpfung oder Synthese der bereits gegebenen Worte der Sprache innerhalb derjenigen gesetzlichen Grenze, in der diese überhaupt miteinander verknüpft werden können; auch in unserem inneren Denken selbst aber sind wir durchaus gebunden an die Worte und Denkformen der Sprache, indem wir nur mit Hilfe von diesen in die unklare und wirre Masse unserer unmittelbaren anschaulichen Vorstellungen Ordnung zu bringen vermögen; wir denken überhaupt gar nicht anders, als nur in und mittels der in der Sprache enthaltenen Begriffe und allgemeinen logischen oder grammatischen Formen; alles bei uns selbst Gedachte ist zumindest der Möglichkeit nach immer zugleich ein Gesprochenes; gleich von Anfang an übt die besondere Sprache, welche wir reden, auf die Bildung unserer Gedanken einen bestimmenden Einfluß aus: der innere Vorgang des Denkens ist an die äußere gegenständliche Realität der Sprache in einer ganz ähnlichen Weise gebunden, wie die Bewegung des Schwimmers an den Stoff des Wassers oder die des Reiters an den lebendigen Körper des Pferdese; der Mensch ohne die Sprache ist überhaupt nicht zu denken imstande; alles Denken ist in der Tat nichts anderes, als eine geschickte Benutzung der gegebenen Verhältnisse der Sprache zum Ausdruck der eigenen Vorstellungen unserer Seele.

Alle Tätigkeit des Denkens hat an sich ihren Zweck in einem Erkennen. Denn eine jede geordnete Verknüpfung von Begriffen schließt eine bestimmte Ansicht oder Behauptung über irgendetwas Wirkliches in sich ein. Alles geordnete oder im Zusammenhang fortschreitende Denken ist keineswegs ein bloßes inneres Spiel unseres Vorstellens, sondern wir haben hierbei zugleich immer einen bestimmten Punkt vor Augen, auf den sich diese unsere Tätigkeit richtet oder den wir durch dieselbe zu erkennen und festzustellen uns bestreben. Wie der Tätigkeit des Denkens aber, so liegt auch derjenigen des Fühlens oder Empfindens in uns an und für sich immer ein Bestreben zugrunde: auch jedes Gefühl der Seele hat an und für sich immer ein bestimmtes Objekt, auf welches es sich richtet oder durch welches es in uns selbst erst hervorgerufen und veranlaßt wird; in unseren Empfindungen über die Dinge aber suchen wir ebenso wie in unseren Gedanen dieselben ihrem inneren Wesen nach in uns aufzunehmen und zu ergründen; alle Erkenntnis des Menschen ist teils eine denkende, teils eine empfindende; die letztere unter ihnen aber beruth überall auf einem einheitlichen Anschluß des Lebens der Seele an die Wahrnehmungen und Zustände des Körpers, während die erstere eine im spezifischen Sinne geistige ist, indem sie sich auf eine abstrahierende Erhebung der Seele über alles Sinnliche oder Körperliche im Menschen gründet. Der Gegenstand aller empfindenden Erkenntnis aber ist ansich immer etwas Einzelnes oder Konkretes, der der denkenden etwas Allgemeines oder Abstraktes; die Prinzipien und die ganze Natur des ästhetischen Erkennens aber sind in meinem Buch "Grundriß der allgemeinen Ästhetik", zur Untersuchung gezogen worden.

Die allgemeine Grenze dieser beiden Abteilungen unseres Erkennens wird durch die Sprache gebildet, indem eben nur diese das äußere Merkmal oder Kriterium des Gedankens ist, die Empfindung als solche aber niemals in sie einzutreten oder durch sie ausgedrückt zu werden vermag. Der Dualismus dieser beiden Erkenntnisvermögen aber ist ansich keineswegs ein von Anfang an im Menschen vorhandener gewesen: von der Sprache wissen wir, daß sie zuerst aus der Bildung einfacher, aus wenigen Lauten bestehender Wurzeln, deren jede zunächst nur die Ausdrucksform einer bestimmten unmittelbaren Empfindungsanschauung der Seele gewesen ist, entstanden sein muß - erst allmählich haben sich die aus der Verbindung dieser einfachen Wurzeln gebildeten Wörter zu den Trägern oder Repräsentanten der festen allgemeinen Begriffe des Denens im Gebrauch verhärtet; erst mit der fortschreitenden Erschaffung der Sprache hat sich das Denkvermögen im Menschen ausgebildet oder entwickelt; das ganze Seelenleben des Menschen ist zuerst ein im anschaulichen Empfinden befangenes gewesen; als geordneter Niederschlag aber aus der Masse der ursprünglichen Empfindungen des Menschen ist dann die Sprache in ihm entstanden; diese aber bildet gleichsam das Festland, auf welchem sich unser gegenwärtiges Denken in bestimmter Begrenzung gegenüber dem unklaren Aufundniederwogen der Empfindung bewegt; das Vermögen des Denkens ist das der Zeit nach spätere, als das des Empfindens, wie beim einzelnen Menschen, so bei der Gattung im Ganzen; in weiterer Folge aber wird dann der Gedane mehr und mehr vorwiegen über die Empfindung. Das ganze erkennende Seelenleben des Menschen überhaupt beruth auf dem Zusammenwirken und der wechselseitigen Ergänzung beider Vermögen untereinander.

Der Charakter des dritten Hauptvermögens der Seele, des Wollens, ist im Unterschied von den beiden theoretischen oder erkennenden des Empfindens und des Denkens, ein praktischer. Der Mensch als wollender tritt von sich aus der Welt gestaltend gegenüber, während er in seinem Empfinden und seinem Denken dieselbe in dem, was sie ansicht ist, erkennt. Das Tier aber hat, wie am Vermögen des Denkens, so auch an dem des Wollens keinen Anteil; alles tierische Begehren ist nichts als ein einfacher Gegenstoß einer unmittelbaren sinnlichen Empfindung, während das menschliche Wollen auf der bewußten Verfolgung eines durch das Denken erfaßten Zieles beruth. Das Vermögen des Wollens in uns hat das des Denens zu seiner Voraussetzung; alle drei Vermögen: Empfinden, Denken und Wollen, gehen insofern in einer Reihe hintereinander her; der Schwerpunkt aber und die charakteristische Differenz des ganzen menschlichen Seelenlebens ist im mittleren unter ihnen enthalten; die Theorie des Vermögens aber ist zugleich eine für die Wissenschaft überhaupt, da diese durchaus in einer Anwendung desselben besteht, wichtige und bedeutungsvolle Disziplin.

Die Wissenschaft von den Gesetzen und Formen des menschlichen Denkens ist die Logik. Die Erklärung des Denkens als einer rein inneren Erscheinung der Seele ist eine Aufgabe der Psychologie; inwiefern aber allem Denken ein Bestreben des Erkennens zugrunde liegt, so wird es von der Logik unter dem Gesichtspunkte betrachtet, als es diesem seinem Zweck entweder entspricht oder nicht; die Logik ist daher keine erklärende oder naturwissenschaflich beschreibende, sondern allein eine kritische oder gesetzgebende Wissenschaft über das Denken, obgleich die von ihr aufgestellten Gesetze des Denkens überall nur aus der eigenen Natur von diesem entnommen sein können; die Stellung der Logik aber zum Vermögen des Denkens ist ansich vollkommen dieselbe, als die der Ästhetik zu dem des Empfindens und die der Ethik zu dem des Wollens; durch eine jede dieser drei Wissenschaften wird das eine der drei Grundvermögen der Seele bestimmt, nicht wie dasselbe unmittelbar ist, sondern nur so, wie es unter dem Gesichtspunkt des von ihm zu erreichenden Zieles oder seiner eigenen, in ihm selbst liegenden begrifflichen Vollendung sein soll. Das Vermögen des Denkens aber hat an der Region des Wahren, das des Empfindens an der des Schönen, das des Wollens an der des Guten den allgemeinen Stoff oder Inhalt, auf den es sich richtet.

Die Wissenschaft der Logik ist in der Absicht ihrer äußeren Wertschätzung einer doppelt entgegengesetzten Auffassung unterworfen. Nach der einen von ihnen ist die Logik mit den in ihr enthaltenen allgemeinen Formen des Denens der erste einführende Schlüssel in das geordnete Verständnis der ganzen übrigen Wissenschaft; nur die Logik ist es, welche vermöge des ihr innewohnenden Charakters eines rein formalen Maßstabes für die Beurteilung des Denkens das oberste Richteramt über alle in der Wissenschaft und auch außerhalb derselben, insofern diese unter einen wissenschaftlichen Gesichtspunkt fallen, hervortretenden Streitfragen ihrer Natur nach zusteht: die logischen Denkformen bilden im Allgemeinen, wie es scheint, die notwendige Scheidemünze für den ganzen inneren Verkehr der Wissenschaft mit sich selbst, indem überall nur durch dieselben eine Auseinandersetzung und ein Ausgleich der abweichenden Meinungen und Standpunkte in derselben ermöglicht werden kann. Nach der anderen Ansicht dagegen ist die Logik im engen Schematismus ihrer Formen durchaus unfähig, den wirklichen oder konkreten Inhalt des Wissens in sich zu umspannen, und es ist nicht sowohl sie selbst und ihr eigener innerer Wert, als vielmehr eine bloße, ihrem Altertum gezollte, traditionelle Pietät, welcher sie die noch gelegentlich und oberflächlich von ihr genommene Notiz zu verdanken hat; die Wahrheit des wissenschaftlichen Inhaltes aber kann hiernach in jedem einzelnen Fall nicht nur durch die äußere Übereinstimmung mit dem Gesetz der Logik, sondern auch vielmehr nur durch gesunde Vernunft und durch einen Anschluß an die Erfahrung aufgefunden und festgestellt werden; - die ganze Stellung der Logik zur Wissenschaft ist eine ähnliche, wie jene des Papstes zur Kirche, indem sie zwar ebenso wie dieser der Theorie nach die oberste Spitze und Einheit dieses ganzen Gebietes bildet, in Wirklichkeit jedoch ihre Autorität immer nur einem beschränkteren Umfang nach Anerkennung findet. Jedenfalls aber knüpft sich an diese doppelte Auffassung der Logik eine doppelte Gesamtansicht vom Wesen der Wissenschaft überhaupt an, die eine, nach welcher die innere Verfassung von dieser gleichsam eine monarchische oder eine in einer bestimmten höchsten Einheit, dem logischen Denkgesetz, zentralisierte ist, die andere, nach welcher jeder einzelne Teil des Wissens nur unmittelbar aus sich selbst und aus der konkreten Natur seiner Verhältnisse erkannt oder festgestellt werden kann.

Zwei Eigenschaften sind es, welche der Logik allgemeinhin und ohne Widerspruch zugestanden zu werden pflegen, die eine der unzweifelhaften Gewißheit oder Richtigkeit ihres wissenschaftlichen Inhaltes, des Denkgesetzes als solchem, die andere der ebenso unbestrittenen Dürftigkeit und nüchternen, reizlosen Trockenheit, welche dieser Inhalt für uns besitzt. Nichts ist ansich in der Wissenschaft gewisser, als das Denkgesetz der Logik, und alles andere, was sonst zur Wissenschaft dazugehört, besitzt für uns nur insofern wesentlich Geltung, als es ein mit diesem Gesetz einstimmiges ist; die Trockenheit der Logik anlangend aber, so ist diese noch eine andere, als z. B. diejenige der Mathematik; in der Mathematik enthält jeder einzelne Satz einen vollkommen neuen, synthetisch sich an den vorhergehenden anschließenden Gedanken; die Mathematik ist, wenn auch eine Sache des reinen Verstandes, doch jedenfalls überall anregend und spannend: der wissenschaftliche Inhalt der Logik dagegen ist nicht bloß ansich ein ungleich eingeschränkterer und dürftigerer, als der der Mathematik, sondern es ist auch die ganze Art und Weise des gedankenm+AOQA3w-igen Fortschritts in demselben wesentlich nur eine analytische, d. h. eine solche, die in einer bloßen Erläuterung und genaueren Entwicklung von ansich eigentlich selbstverständlichen und uns aus unserem eigenden Denken schon gegebenen und bekannten Verhältnissen besteht. Der ganze wissenschaftliche Inhalt der Logik ist ein in sich selbst streng und einheitlich konzentrierter, so daß es überall nur die genauere mikroskopische Untersuchung eines in sich einfachen Punktes ist, in welcher die wissenschaftliche Darstellung desselben besteht.

Das Interesse, welches uns zu einer Wissenschaft hinführt, kann aber überhaupt ein doppeltes sein, das eine an ihr selbst, das andere an ihrer Anwendung zu fernerweiten wissenschaftlichen oder sonstigen Zwecken.

Eine jede Wissenschaft ist sich entweder Selbstzweck oder Mittel für Anderes, das uns zu ihr hinführende Interesse entweder ihr eigenes oder ein fremdes; bei einer jeden Wissenschaft aber müssen wir uns zunächst die Frage beantworten, welches der allgemeine Gesichtspunkt oder das eigentlich wahre und berechtigte Motiv unseres ganzen Interesse an derselben ist.

Unser Interesse an den einzelnen Wissenschaften ist zunächst ein verschiedenes nach Maßgabe unserer besonderen Subjektivität, indem dem Einen unter uns diese, dem Anderen jene Wissenschaften als vorzugsweise interessant oder begehrenswert erscheinen mögen. Im Allgemeinen aber pflegen alle diejenigen Wissenschaften, die, wie z. B. die von der Natur und Geschichte, eine reichere Fülle konkreter Einzelheiten in sich einschließen, als die in einem höherem Grad interessanten oder anziehenden für uns zu erscheinen, während umgekehrt diejenigen, die, wie z. B. die Mathematik oder die Philosophie mehr auf einem reinen oder abstrakten Denken beruhen, ebenso als die trockeneren oder interesseloseren zu gelten pflegen. Andererseits aber wohnt diesen letzteren Wissenschaften insofern wiederum ein höherer Grad und ein eigentümlicher Reiz des Interesses für uns bei, als uns in ihnen das allgemeine Gesetz und die notwendige Form aller Wissenschaft, das Prinzip des strengen logischen Denkens, in einer reineren und durchsichtigeren Weise entgegentritt, als in jenen; alles Interesse an der Wissenschaft ist entweder ein solches an ihrem Inhalt oder an ihrer Form und bei jeder einzelnen Wissenschaft ist durchschnittlich aufgrund ihres besonderen Charakters entweder das eine oder das andere dieser beiden Interessen für uns das vorwaltende; unter allen einzelnen Wissenschaften aber ist es ganz vorwiegend die Logik, welche, da sie eben an der reinen Form allen Wissens, dem Denkgesetz als solchem, ihren Inhalt hat, dieses allgemeine, auf die Wissenschaft überhaupt sich richtende Interesse für sich in Anspruch zu nehmen und zu befriedigen geeignet erscheint. Das Denkgesetz der Logik ist die allgemeine und notwendige Form allen geordneten Wissens; in ihr also haben wir es nicht wie überall sonst mit einem bestimmten einzelnen Inhalt, sondern mit demjenigen zu tun, worin das Wesen oder die Natur der Wissenschaft überhaupt besteht, und es kommt ihr insofern die Eigenschaft einer Theorie oder Lehre vom wissenschaftlichen Erkennen in seiner Gesamtheit zu.

Die Logik gehört ihrer engeren wissenschaftlichen Stellung nach dem Gebiet der Philosophie oder des sich auf die höchsten Prinzipien des Wissens überhaupt richtenden Erkennens an. Aus dem ganzen Gebiet der Philosophie aber ist die Logik als solche beinahe der einzige Punkt, welcher in der Mitte der divergierenden Meinungen der einzelnen Systeme derselben unberührt dasteht; die Logik als solche ferner in ihrem innere wesenhaften Kern, dem einfachen Gesetz des wissenschaftlichen Denkens, hat auch keine Geschichte, indem bei aller Veränderung des Inhaltes oder Stoffes des Wissens doch dieses Gesetz selbst immer dasselbe bleibt; die Geschichte der Logik besteht wesentlich nur in der einmaligen Auffindung dieses Gesetzes durch ARISTOTELES, welcher eben hierdurch der Meister und Begründer aller geordneten Wissenschaft überhaupt geworden ist; mit der Entdeckung der Logik tritt die Wissenschaft in dem, was sie ist, als das Gebiet der strengen und systematischen Erkenntnis der Dinge durch den Verstand, in die Wirklichkeit ein; alle weitere Entwicklung des Wissens beruth auf dieser ihm durch ARISTOTELES gegebenen methodischen Grundlage, während alle frühere Gedankenbewegung des Altertums eben hierin ihr höchstes Ziel fand; mit der Logik wird die Wissenschaft als solche geboren; die Stellung des ARISTOTELES in der Geschichte der Wissenschaft ist analog der eines Gesetzgebers, durch welchen das ungeordnete und schwankende Verfassungsleben eines Staates in einem bestimmten einfachen Grundgesetz für alle spätere Zeit seine gesicherte Feststellung findet.

Die Frage nach einem objektiven und allgemeinen Kriterium des Wissens war es, durch welche diese erste Entdeckung er Logik eingeleitet wurde. Bis auf ARISTOTELES hatte alles Wissen nur den Wert einer großen genialen Vermutung; erst mit ARISTOTELES kam der Satz zur Geltung, daß nur dasjenige, was in der Form des denkenden Verstandes bewiesen worden ist, Anspruch auf allgemeine und zwingende Wahrheit zu erheben vermag; der Beweis und der mit ihm verbundene verstandesmäßige Syllogismus ist insofern die notwendige und allgemeine Form des Wissens; der Inhalt des Wissens ist seiner Natur nach ein mannigfacher und verschiedenartiger, während seine Form ansich nur eine durchaus einfache sein kann, wie sie sich aus dem Begriff und Prinzip unserer denkenden Erkenntnis überhaupt ergibt.

In gewisser Weise aber ist allerdings auch die Form des Wissens im Zusammenhang und nach Maßgabe des Inhaltes eine verschiedene. Denn zunächst ist es fast nur der Inhalt der Mathematik und neben diesem der der exakten Naturwissenschaft, welcher sich rein und ausschließlich in jener strengen Form des wissenschaftlichen Denkgesetzes bewegt; auf allen anderen Gebieten aber ist es immer bloß annähernd, daß die Strenge jener Form erreicht oder durchgeführt werden kann; der Historiker, der Sprachforscher, der Philosoph usw. sind zum Teil noch an ganz andere Methoden und Prinzipien des Erkennens gebunden, als der Mathematiker und Naturforscher; nicht alle Wahrheiten der Wissenschaft können in einer so stringenten Form erwiesen werden, als diejenigen der Mathematik; daher ist das Formgesetz der Wissenschaft immer ein gewisser Weise elastisches, und es hat bis zu einem gewissen Grad eine jede Wissenschaft auch eine bestimmte Erkenntnisform für sich allein, die sich aus den besonderen Verhältnissen oder der konkreten Natur ihres Stoffes für sie ergibt.

Am schwierigsten ist die Frage nach der besonderen Form oder dem genaueren wissenschaftlichen Erkenntnisprinzip der Philosophie selbst. Die ganzen Verhältnisse, in denen sich die Philosophie befindet, sind offenbar wesentlich verschieden von denen einer jedn anderen Wissenschaft sond; gerade bei der Philosophie aber gibt es nicht, wie auf jedem anderen Gebiet des Wissens, eine bestimmte allgemein anerkannte und von jedem in derselben Weise zur Anwendung gebrachte Form oder Methode des denkenden Erkennens, sondern es geht fast jedes System von einer gewissen, nur ihm eigentümlichen Grundanschauung über die Methode des philosophischen Erkennens aus, und es findet deswegen auch zwischen den einzelnen philosophischen Systemen fast gar keine Möglichkeit einer Ausgleichung ihrer materiellen Meinungsverschiedenheiten statt; die Frage aber nach der Form oder Methode ihres Erkennens ist zuletzt diejenige, in welcher der ganze wissenschaftliche Schwerpunkt des Problems der Philosophie enthalten liegt; denn von der Beantwortung dieser Frage ist mittelbar auch die wissenschaftliche Sicherheit aller anderen Sätze und Auffassungen der Philosophie abhängig.

Im ganzen Umfang der Philosophie pflegen ursprünglich drei einzelne Hauptabteilungen oder wichtigste Grundprobleme unterschieden zu werden, die der Metaphysik, Logik und Ethik oder der Fragen nach den Prinzipien des Seins, des Erkennens und des Handelns. Die Ethik aber steht als angewandte oder praktische Philosophie den beiden anderen Disziplinen als den Unterabteilungen des reinen oder theoretischen Wissens der Philosophie gegenüber; die Metaphysik bezieht sich auf dasjenige, was außerhalb von uns liegt, und sie ist insofern als der objektive Teil der Philosophie den beiden anderen Disziplinen, die an den Erscheinungen unserer eigenen inneren Subjektivität ihren Inhalt haben, entgegengesetzt; das Eigentümliche der Logik aber ist schließlich dieses, daß sie sich auf die bloße Form des Wissens im Unterschied von der in den beiden anderen Teilen enthaltenen Materie desselben bezieht; der dreifache Gegensatz des Praktischen und Theoretischen, des Objektiven und des Subjektiven, des Formellen und des Materiellen ist es, durch welchen das Verhältnis dieser drei Disziplinen zueinander festgestellt wird, indem das Spezifische einer jeden von diesen immer auf einer bestimmten ausschließenden Entgegensetzung zum gemeinsamen Charakter der beiden anderen beruth. Das System der eigentlich oder im engeren Sinne philosophischen Wissenschaften aber wird vervollständigt durch das Hinzutreten zweier fernerer Disziplinen, einmal der Psychologie, andererseits der Ästhetik, oder der Lehre von der menschlichen Seeleund der von der Natur des Schönen; die Psychologieoder Anthropologie aber schließt sich, der gemeinhin angenommenen Auffassung des Charakters beider Disziplinen zufolge, an die Metaphysik, die Ästhetik dagegen an die Ethik als eine weitere Fortsetzung oder Ableitung an.

Durch die Logik wird von der Philosophie aus zunächst die allgemeine Form oder Methode des wissenschaftlichen Erkennens überhaupt bestimmt. Zugleich aber hat die Logik im engeren Sinne die Bedeutung einer Theorie des philosophischen oder geistig spekulativen Erkennens im Besonderen; in dieser Eigenschaft ist sie die begründende Hauptdisziplin der Philosophie selbst,als derjenigen Wissenschaft, die ganz vorzugsweise oder in einem spezifischen Sinn eben nur auf dem reinen Denken als solchem im Unterschied von der bloßen gedankenmäßigen Bearbeitung eines empirischen Stoffes in den anderen Wissenschaften beruth; hier ist von der Logik insbesondere die Frage zu beantworten, ob und in welcher Weise es überhaupt eine solche Wissenschaft der reinen oder spekulativen Erkenntnis aus dem bloßen Gedanken geben kann; im Ganzenalso ist es ein dreifaches Moment, welches sich im wissenschaftlichen Begriff der Logik miteinander verbindet, einmal das einer Theorie oder Lehre vom Denkvermögen als solchem, sodann das einer Lehre vom allgemeinen Gesetz der wissenschaftlichen Form, schließlich aber das einer Begründung des eigenen engeren Formalprinzips der Philosophie selbst.

Indem der Zweck allen Denkens in einem Erkennen beruth, so entsteht die Frage, wie dasselbe beschaffen sein muß, um diesem seinem Zweck entsprechen zu können. Alles Denken ist ansich nichts, als eine subjektive Bewegung des Vorstellens der Seele; unter welchen Bedingungen also ist eine solche Bewegung imstande, den Inhalt einer bestimmten Objektivität des Seins, auf welche sie sich richtet, in sich einzuschließen oder durch welche allgemeine Kennzeichen wird die von einem jeden Denken behauptete Einstimmigkeit seines inneren Vorstellungsinhaltes mit dem Inhalt eines bestimmten äußeren Seins festgestellt und vermittelt? Unter allen einzelnen Arten des Denkens aber ist das wissenschaftliche von jedem anderen unterschieden durch die beiden Momente der Allgemeinheit seines Inhalts und der Notwendigkeit seiner Form; der Inhalt des wissenschaftlichen Denkens ist immer eine Allgemeinheit oder eine gesetzliche Beschaffenheit des Wirklichen; die Form desselben aber ist immer eine solche, die eine Notwendigkeit der Anerkennung [Gelting] seines Inhalts aus sich bedingt. Ein seinem Inhalt nach allgemeiner Satz oder Gedanken wird gelegentlich auch im Werk eines Dichters ausgesprochen oder niedergelegt; aber die Form desselben ist hier keine solche, die eine zwingende Nötigung zu seiner Anerkennung in sich enthielte; eine kaufmännische Berechnung und dgl. dagegen ist zwar wohl etwas seiner Form nach Zwingendes, aber ihr Inhalt ist doch immer nur etwas Einzelnes und nichts Allgemeines. Die Wissenschaft aber ist das Gebiet des geordneten oder systematischen Erkennens durch das Denken; gerade für die Wissenschaft ist daher die unmittelbare und genaue Übereinstimmung mit dem allgemeinen Gesetz des Denkens mehr als für irgendein anderes einzelnes Gebiet der letzteren erforderlich.

Dem Denken, insofern es in seinem Inhalt mit dem Inhalt desjenigen Seins, auf welches es sich richtet, einstimmig iat, kommt die Eigenschaft der Wahrheit zu, im entgegengesetzten Fall aber die der Unwahrheit. Jedes Denken aber gibt sich selbst mit innerer Notwendigkeit als wahr, und es kann in dieser Behauptung von sich selbst nicht angegriffen oder widerlegt werden, solange nicht ein anderes, in seinem Inhalt abweichendes oder mit ihm konkurrierendes Denken über dieselbe äußere Sache vorliegt, wobei in diesem Fall dann von diesem doppelten Denken notwendigerweise das eine, möglicherweise aber auch beide falsch und die Wahrheit über die Sache selbst erst in einem dritten noch aufzufindenden Denken enthalten sein wird. Alle anderen möglichen Mittel der Auffindung oder Feststellung der Wahrheit über eine Sache aber, der Augenschein, die Erfahrung, das instinktive Verständnis, die Autorität Anderer usw., sind ansich machtlos dem Denken gegenüber, oder haben doch eine Geltung und eine Berechtigung neben demselben bloß insofern, als sie von ihm selbst geprüft und als unverfälscht oder glaubwürdig anerkannt worden sind. Nichts ist für uns ansich gewisser, als der Gedanke; eine Prüfung der Wahrheit des Gedankens aber kann überall nur durch ihn selbst erfolgen, ebenso wie auch der Diamant immer nur durch den Diamanten geschliffen werden kann. Die allgemeinen Prinzipen der Wahrheit des Denens sind demnach diese einmal, daß es kein mehrfaches, mit sich widersprechendes wahres Denken über dieselbe Wirklichkeit des äußeren Seins geben, andererseits daß nur der Gedanke selbst der höchste Richter oder Prüfstein seiner inneren Wahrheit sein kann.

Indem aber die Existenz eines solchen anderweitigen, in seinem Inhalt abweichenden oder konkurrierenden Denkens üebr dieselbe äußere Sache ansich in keinem Fall ausgeschlossen ist, so muß es im Interesse eines jeden neu auftretenden Denkens liegen, sich gegen die bloße Möglichkeit einer solchen Konkurrenz im Voraus auf einem rein gedankenmäßigen Weg sicherzustellen. Diese Sicherstellung aber erfolgt dadurch, daß sich das neu auftretende Denken zu einem anderen in sich selbst unzweifelhaft gewissen Denken in ein solches Verhältnis einführt, daß es selbst als eine notwendige Folge oder Ableitung aus diesem erscheint. Hieraus aber entspringt desweiteren als eine subsidiarische [unterstützende - wp] Eigenschaft des Denkens die der formalen Wahrheit oder Richtigkeit desselben, welche sich auf die Einstimmigkeit der einzelnen Glieder, aus welchen es besteht, untereinander selbst gründet, und es ist allein hierdurch, daß die von ihm behauptete materielle Wahrheit oder Einstimmigkeit seines Inhaltes mit dem äußeren Sein selbst in einer gedankenmäßigen Weise festgestellt werden kann. Die allgemeinen Prinzipien der logischen Richtigkeit aber sind diese, einmal, daß jenes höhere oder vorausgesetzte Denken, welches den Anfang einer ganzen Gedankenreihe bildet, ein in seiner Wahrheit unbedingt feststehendes, andererseits aber daß alles weitere hieraus abgeleitete Denken ein in seinem Inhalt mit diesem selbst einstimmiges sein muß.

Die bloße Richtigkeit des Denkens wird gemeinhin als ein zureichendes Mittel für die Feststellung der behaupteten Wahrheit desselben betrachtet, oder es gilt für gewöhnlich der Satz, daß dasjenige, was aus begründeten Prämissenin logisch richtiger Weise oder ohne inneren Widerspruch gefolgert worden ist, deswegen auch notwendig wahr sein muß. In Wirklichkeit jedoch unterliegt dieser Satz einer bestimmten und wesentlichen Einschränkung; denn zunächst kann überall nur da, wo, wie in der Mathematik und den exakten Wissenschaften, das Denken sich auf eine bestimmte äußere oder empirische Basis gestellt findet, die bloße Richtigkeit seiner Form als ein untrügliches Mittel für die Feststellung der Wahrheit seines Inhaltes angesehen werden, während bei allem rein begrifflichen oder von der erfahrungsmäßigen Wirklichkeit abgelösten Denken die bloße Richtigkeit allein noch keineswegs als ausreichend hierfür erscheint; nicht selten steht hier in Bezug auf dieselbe Sache oder Wirklichkeit ein doppeltes, gleich richtiges und doch in seinem Inhalt mit sich widersprechendes oder konkurrierendes Denken gegenüber; der ganze Irrtum aber, daß die bloße Richtigkeit des Denkens als solche überall auch die Wahrheit desselben aus sich bedingt, hat namentlich in der Philosophie zu den gröbsten Verunstaltungen und fehlerhaftesten Auffassungen ihres wissenschaftlichen Stoffes Anlaß gegeben; dieser ganze Irrtum ist überhaupt eine Krankheit, welche sich von der Scholastik an durch den Spinozismus, der geradezu die mathematische Methode in ihrer nackten Gestalt auf den Stoff der Philosophie überträgt, bis in die neuere Zeit fortgepflanzt hat; die bloße verstandesmäßige oder sogenannte mathematische Demonstration ist nicht überall ausreichend, die Wahrheit über eine Sache zu begründen; alles Denken ist überhaupt entweder ein solches, welches, wie das der Mathematik und Naturwissenschaft, an bestimmten empirischen Tatsachen und Verhältnissen einen sicheren und festen Halt seiner Bewegungen besitzt, oder ein solches, welches, wie dasjenige der Philosophie, in einer bloßen Verknüpfung reiner oder abstrakter Begriffe besteht; für das letztere aber sind notwendig noch ganz andere allgemeine oder formale Garantien seiner inneren Wahrheit und Vollendung gefordert, als für jenes erstere; in der Mathematik ist dasjenige, was richtig ist, mit Notwendigkeit auch wahr; in der Philosophie aber und bei jedem anderen freien oder rein begrifflichen Denken ist ansich niemals die Möglichkeit der Konkurrenz einer mehrfachen, in sich selbst gleich richtigen Verstandesargumentation über dieselbe Sache oder Streitfrage ausgeschlossen, und es entsteht daher hier das logische Problem, unter welchen Bedingungen überhaupt allem derartigen Denken ein Anspruch auf Wahrheit seines Inhaltes zugestanden werden könnte.

Die Richtigkeit des Denkens ist in allen denjenigen Fälle, wo sich dasselbe nicht auf einer festen empirischen Basis bewegt, nur dann als eine genügende Sicherung seiner Wahrheit zu betrachten, wenn sich hiermit noch eine fernere allgemeine Eigenschaft verbindet, die der Vollständigkeit oder der allseitigen Erschöpfung des über einen bestimmten Begriff, der den Gegenstand der verstandesmäßigen Reflexion bildet, überhaupt möglichen oder berechtigten Denkens. Denn nur dadurch, daß alles dasjenige, was über einen bestimmten Begriff möglicherweise gedacht oder ausgesagt werden kann, in die geordnete Gedankenbewegung über denselben aufgenommen wird, kann auch die bloße Möglichkeit der Konkurrenz eines mehrfachen, in sich gleich richtigen Denkens in Bezug auf den in ihm liegenden Inhalt im Voraus aufgehoben oder abgeschnitten werden; über die Frage nach der menschlichen Freiheit z. B., nach der Existenz der Gottheit oder der menschlichen Seele ist ansich immer ein mehrfaches, gleich richtiges, von besonderen Prämissen ausgehendes und in seinem Inhalt konkurrierendes Denken möglich, indem hier überall von der einen Seite die Existenz, von der anderen aber die Nichtexistenz all dieser Objekte des Erkennens in der Weise der rein verstandesmäßigen Argumentation darzutun versucht werden mag; immer aber ist dann das wahre wissenschaftliche Verfahren dieses, unter gleichmäßiger Berücksichtigung aller gegebenen Prämissen jede einzelne Seite des begrifflichen Problems vollständig ans Licht treten zu lassen und durch eine wechselseitig begrenzende Abwägung derselben untereinander den Begriff selbst in der geordneten Verbindung all seiner notwendigen Momente richtig zu erschöpfen; es handelt sich hierbei ansich noch gar nicht darum zu wissen, ob die menschliche Freiheit, die Gottheit oder die Seele wirklich existieren, da diese Begriffe, als solche genommen, für uns zuerst noch gar keinen Inhalt besitzen, sondern nur darum, in welchem Sinn dem Handeln des Menschen das Prädikat der Freiheit in seiner festen Begrenzung mit dem entgegengesetzten der Unfreiheit aufgrund seiner ganzen gegebenen natürlichen Verhältnisse beigelegt oder in welcher Weise auf das Dasein der Gottheit und der Seele in der Eigenschaft von selbständigen Substanzen aus den vorliegenden Bedingungen der Wirklichkeit und des Menschen ein Schluß abgeleitet werden darf; jeder einseitigen Argumentation aber tritt hierbei notwendig immer eine andere von ebenso einseitigem Charakter gegenüber; nur in Verbindung mit der ferneren subsidiarischen Eigenschaft der Vollständigkeit ist bei all diesem höheren oder begriffsmäßigen Denken die Richtigkeit desselben ein genügendes Sicherungsmittel für die Wahrheit seines Inhaltes. - ZENO, der Eleate, folgerte aus der unendlichen Teilbarkeit des Raumes die Unmöglichkeit der Bewegung: ein Raum, der von einem Körper durchlaufen werden soll, zerfällt zunächst in zwei Hälften, von denen die eine notwendig früher vom Körper durchlaufen werden muß, als die andere; da nun aber auch auf jene erste Hälfte dasselbe Anwendung findet und so fort ins Unendliche, indem auch der kleinste Teil des Raumes einer immer weiteren Teilbarkeit unterliegt, und da auch jeder kleinste Teil immer früher durchlaufen werden muß, als ein anderer, so ist alle Bewegung ansich oder vom Standpunkt einer reinen Verstandesargumentation aus unmöglich, und ZENO hatte insofern vollkommen Recht zu sagen: der fliegende Pfeil steht. Hier also liegt ein in sich durchaus richtiges Denken vor, welches aber nichtsdestoweniger ein in seinem Inhalt entschieden unwahres ist, da die Bewegung trotz all dem existiert. Eine Widerlegung aber von ZENOs Beweisführung ist vollkommen unmöglich, da teils der Vordersatz derselben, die unendliche Teilbarkeit des Raumes, teils auch das weiter hieraus Abgeleitete etwas unbestreitbar Feststehendes ist. Irrig aber war dieses ganze Denken des ZENO nichtsdestoweniger insofern, als es, wenn auch ansich richtig, doch der Eigenschaft der Vollständigkeit entbehrte; denn derjenige Begriff, von welchem hier alles abhängt, der des Raumes, schließt nächst der Eigenschaft der unendlichen Teilbarkeit noch die fernere des stetigen oder kontinuierlich fließenden Zusammenhangs all seiner unendlichen Teile in sich ein; wäre der Raum in der Tat ein bloßes Auseinander seiner Teile, so wäre nach der Argumentation des ZENO eine Bewegung unmöglich; erklärt aber wird dieselbe allein dadurch, daß die Verbindung dieser Teile zugleich eine stetige oder kontinuierliche ist.

Alle Ausartung des Denkens ist entweder eine solche, welche auf dem ausschließlichen Vorhandensein der Eigenschaft der Richtigkeit, oder eine solche, welche auf dem entsprechenden derjenigen der Vollständigkeit ruht. Dasjenige begriffliche Denken, welches richtig ist, ohne vollständig zu sein, ist spitzfindig, dasjenige aber, welches, wenngleich vollständig, doch der inneren Richtigkeit in der Verknüpfung seiner Glieder entbehrt, ist verworren. Das Denken des ZENO und anderer Sophisten war spitzfindig, das des JAKOB BÖHME dagegen und aller sonstiger Mystiker ist verworren. Die Wahrheit des Denkens gründet sich auf seine Übereinstimmung mit seinem äußeren sachlichen Inhalt; die Richtigkeit auf die innere oder formale Übereinstimmung seiner einzelnen Glieder untereinander, die Vollständigkeit auf die allseitige Erschöpfung der in seinem Objekt oder Gegenstand liegenden Moment.

Alles Denken ist ansich ein rein innerer Vorgang der Seele. Bloß auf einem mittelbaren Weg also können wir uns über die Einstimmigkeit dieses Vorgangs mit dem wirklichen Wesen der Sachen Gewißheit verschaffen; dem Denken als solchem steht in der Außenwelt nichts unmittelbar oder im strikten Sinne des Wortes Gleichartiges gegenüber; die ganze Wahrheit des Denkens über die äußeren Sachen ist also jedenfalls eine durchaus andere, als etwa die eines Bildes oder eines mechanischen Abdruckes; immer aber muß doch, wenn wir dem Denken überhaupt Wahrheit zuschreiben, es etwas ansich Vorhandenes oder Wirkliches geben, welches in ihm für uns eingeschlossen liegt oder auf der Einstimmigkeit und Identität mit welchem seine ganze Bedeutung und Berechtigung für uns beruth.

Allem Denken liegt zunächst ein Prozeß oder ein Verfahren der Abstraktion zugrunde. Der ganze Ausdruck des Abstrahierens ist für den Charakter des Denkens in erster Linie entscheidend; wir bedienen uns aber dieses Ausdrucks im Allgemeinen in einer dreifachen Weise, indem wir einmal zu sagen pflegen: ein Merkmal oder eine Eigenschaft von einer Sache abstrahieren, z. B. also den Duft von der Rose, d. h. dasseleb durch einen einfachen Akt unseres Inneren aus ihr entfernen oder wegdenken, analog der arithmetischen Operation des Subtrahierens; sodann aber, sich einen Begriff oder eine Idee aus allen ihren einzelnen Erscheinungen oder wirklichen Fällen des Vorkommens abstrahieren, z. B. also den der Pflanze aus der Vergleichung aller einzelnen wirklichen Arten oder Gestalten derselben, d. h. das Allgemeine und Wesentliche aus einer ganzen Klasse von Einzelheiten durch die Ausscheidung des Besonderen und Indifferenten festhalten oder gewinnen; endlich aber überhaupt von einer Sache abstrahieren oder Abstraktion machen, z. B. von der Anwesenheit eines Menschen, d. h. sie einfach ignorieren oder als nicht vorhanden setzen. Immer aber ist hierbei auf der einen Seite ein gewisses Moment der Negation, wie auf der anderen zugleich ein solches der Erhebung unserer selbst über das Gegebene im Spiel; alle Abstraktion ist wesentlich eine Tat und ein Dokument unserer Freiheit; alle Verinnerlichung des menschlichen Seelenlebens beruth zunächst auf einem Prozeß der Abstraktion: das Tier aber, da es des Abstrahierens unfähig ist, bleibt überall nur im Einzelnen oder unmittelbar Sinnlichen seiner Anschauungen befangen.

Dem Prozeß der Abstraktion ist entgegengesetzt der der Kombination oder der zusammenführenden Verknüpfung der einzelnen durch jenen ersteren gewonnenen oder festgestellten Vorstellungsmoment der Seele. Die Abstraktion bildet im Allgemeinen den Stoff, die Kombination hingegen die Form allen Denkens; jeder einzelne Gedanke ist seiner Form nach eine Kombination von Begriffen, während diese letzteren selbst ihrem Stoff nach durch eine Abstraktion entstehen. In jedem einzelnen Denken aber ist gemeinhin entweder das abstrahierende oder das kombinierende Element vorwaltend; so wie z. B. das mathematische Denken vorzugsweise auf Abstraktion, das poetische auf Kombination beruth. Alle Abstraktion aber besteht näher in einer Verdichtung, alle Kombination in einer Erweiterung des Inhaltes der Seele.

Das allgemeine Element allen Denkens ist der Begriff. Nur wo Begriffe sind, ist überhaupt ein Denken möglich, und alles Denken beginnt zuerst mit der Bildung der Begriffe. Ein Begriff aber entsteht in uns dadurch, daß aus einer gewissen Klassen von Einzelheiten das Allgemeine oder gattungsmäßig Verbindende ausgeschieden und unter Wegfall alles bloß Zufälligen und Besonderen für sich allein zurückbehalten wird. Ein jeder Begriff also ist etwas seinem Stoff oder seiner elementaren Möglichkeit nach ansich in der Objektivität Vorhandenes, indem er immer einen bestimmten allgemeinen und notwendigen Wesenscharakter der äußeren Dinge in sich einschließt oder zu seinem Inhalt hat. Die Anzahl der möglichen Begriffe aber ist gleich der Menge der objektiven Wesenheitsmomente und Gattungscharaktere selbst; dasjenige innere oder subjektive Kennzeichen aber, durch welches wir eine solche Vorstellung unserer Seele, die etwas ihrem Inhalt nach Allgemeines oder ein Begriff ist, von einer anderen gewöhnlichen oder Einzelvorstellung unterscheiden, ist ein bestimmtes Wort der Sprache; denn nur Begriffe sind es, für welche es in der Sprache Worte gibt, und umgekehrt ist jedes Wort der Sprache nichts anderes, als die Ausdrucksform eines logischen Begriffs. Überhaupt entsprechen sich daher oder decken sich untereinander, einmal in der Außenwelt die objektive Gattungsallgemeinheit oder der Artcharakter der Dinge, welcher auch nach dem Voranschreiten PLATOs die Idee heißen kann, sodann im menschlichen Geist oder im Denken der Begriff, schließlich aber in der Sprache das Wort. Das Wort aber ist ansich der Repräsentant einer allen Einzelnen gemeinsamen Vorstellung, die zu ihrem Inhalt immer einen logischen Begriff oder eine objektive Idee hat.

Alle Vorstellungen unseres Inneren sind im Allgemeinen teils unmittelbare oder direkte, teils mittelbare oder indirekte, d. h. solche, welche in ihrem Inhalt mit bestimmten einzelnen Momenten des sinnlichen einstimmig sind, und solche, welche aus einer gewissen Abwandlung, Vermischung oder Zusammenziehung von diesen untereinander entspringen. Alle direkten oder unmittelbaren Vorstellungen aber werden von uns untereinander verglichen nach dem Gesichtspunkt ihrer Ähnlichkeit und Unähnlichkeit; das letzte Resultat dieses Vergleichs aber ist immer ein Begriff oder eine höhere Gesamtvorstellung, die das einer ganzen Klasse von unmittelbaren oder sinnlichen Einzelvorstellungen Gemeinsame in sich enthält. Alle Vorstellungen unseres Inneren aber gründen sich zuletzt auf sinnliche Wahrnehmungen, durch welche sie aus den äußeren Dingen selbst geschöpft und abgeleitet werden. Auch die Bildung unserer Begriffe selbst aber erfolgt nicht nach irgendeiner subjektiven Willkür oder Laune, sondern nach einer bestimmten objektiven, in den Dingen und ihren Beschaffenheiten enthaltenen Regel.

Bezeichnen wir mit dem Ausdruck der Vorstellung überhaupt jedes einzelne, zu einer bestimmten Zeit vor der Seele stehende Moment unseres Inneren, so ist, wenn auch der Inhalt der Vorstellungen immer ein mannigfach verschiedener, doch die äußere Form derselben überall die gleiche, nämlich die der sinnlichen Anschauung. Denn überall nur insofern sind wir uns irgendetwas Bestimmtes vorzustellen oder es in der Seele festzuhalten imstande, als sich dasselbe mit einem gewissen, entweder notwendig oder auch bloß gelegentlich mit ihm verbundenen Bild oder Moment des sinnlichen Anschauens für uns umkleidet. Selbst der abstrakteste Begriff hat doch immer nur insofern eine Existenz oder ein wirkliches Dasein in unserer Seele, als er in der Hülle irgendeiner bestimmten sinnlichen Form, wenn auch diese vielleicht keine andere wäre, als die der bloßen Schriftzüge des ihn vertretenden Wortes, von uns angeschaut wird. Ein reines oder schlechthin abstraktes Denken existiert demnach in uns überhaupt nicht, indem der Mensch in keinem Fall seine sinnliche Natur jemals vollkommen von sich abzustreifen vermag.

Durch die geordnete Zusammenführung oder Verknüpfung der einzelnen Begriffe des Denkens strebt der menschliche Geist, sich den Inhalt der ihn umgebenden Welt deutlich zu machen oder ihn in sein erkennendes Bewußtsein eintreten zu lassen. Wenn die Begriffe ihrem geistigen Inhalt nach gleich sind den allgemeinen Elementen oder Artbeschaffenheiten der wirklichen Dinge, so wird durch die Zusammensetzung dieser Elemente das Gebäude der wirklichen Welt, nachdem es zuerst in sie aufgelöst worden war, wieder von Neuem in unserem Bewußtsein aufgeführt oder errichtet. Der ganze Prozeß des Denkens ist demnach zuerst, in der Bildung der Begriffe selbst, ein analytischer, sodann aber, in der geordneten Vereinigung derselben, ein synthetischer. Jede logische Begriffsverknüpfung aber hat zu ihrem Inhalt einen Gedanken oder ein Urteil; dasjenige, was im Gedanken ausgedrückt liegt, ist immer ein Verhältnis gewisser objektiver Gattungscharaktere oder Ideen; die sprachliche Bezeichnungsform eines Urteils aber ist der Satz. Daher entsprechen sich hier in derselben Weise als oben die Idee, der Begriff und das Wort, so in der Wirklichkeit das objektive Verhältnis, im Denken das Urteil und in der Sprache der Satz.

Alles Denken ist zunächst nur Sache der einzelnen Person oder des Individuums. In einem gewissen Sinn hat jeder Einzelne unter uns andere begriffliche Vorstellungen von den Dingen, ebenso wie er dieselben auch in einer eigentümlichen Weise zu ordnen und miteinander zu verknüpfen pflegt. Sodann aber ist auch das ganze System der Begriffe und Denkformen jeder einzelnen Sprache ein in bestimmter Weise von dem aller anderen verschiedenes. Daher kann an und für sich noch nicht sowohl von einem allgemein menschlichen oder rein objektiven, sondern zunächst immer nur von irgendeinem bestimmten subjektiven persönlichen oder nationalen Denken des menschlichen Geistes die Rede sein.

Die Art und Weise, wie der ansich allgemeine oder objektiv logische Inhalt der Dinge in das besondere Denken der einzelnen Subjektivität eintritt, ist überall eine verschiedene. Immer aber liegt dieser Besonderen oder unittelbar wirklichen Denken ansich das Bestreben zugrunde, sich zur Einstimmigkeit mit dem objektiven oder ansichseienden logischen Wesensinhalt der Dinge zu erheben; dieses Ziel aber wird von jedem besonderen Denken immer teils in einer verschiedenen Weise, teils auch in einem verschiedenen Grad der Vollkommenheit erreicht: die Theorie des Denkens ansich aber hat es nicht mit den verschiedenen subjektiven Abspiegelungen oder Modifikationen, sondern nur mit der Natur jenes objektiven oder ansichseienden Gedankeninhaltes selbst oder doch mit einem bestimmten menschlichen Denken eben nur insofern zu tun, als es ein in seinem eigenen Inhalt mit diesem letzteren einstimmiges oder zusammentreffendes ist.

Über die ganze Natur des menschlichen Denkens ist sich zu jeder Zeit eine doppelte Grundansicht gegenüber gestanden, die eine, welche in demselben eine bloße subjektive oder menschlich psychologische, die andere, welche in ihm eine gleichsam objektive oder sachlich metaphysische Erscheinungsgestalt erblickt hat. Nach PLATO sind die Begriffe unseres Denkens dem Inhalt nach identisch mit den Ideen oder den gegenständlichen Urbildern der allgemeinen Beschaffenheiten der Dinge; alles Denken in reinen Begriffen ist demnach ansich schon ein Erkennen des reinen Wesenscharakters des Wirklichen; auch nach ARISTOTELES aber ist doch der Inhalt der Begriffe immer ein in einem geistigen oder Formelement der Dinge ansich eingeschlossener oder vorhandener; im Mittelalter aber standen sich die objektive und die subjektive Ansicht vom Denken in den Parteien der Realisten und Nominalisten in schroffer Ausschließlichkeit gegenüber, indem den ersteren die Begriffe als Abbilder der äußeren Ideen, den letzteren als bloße, an die Worte der Sprache gebundene, innere Vorstellungen galten; in der neuesten Zeit hat HEGEL durchaus die platonische Anschauung vom Denken erneuert, indem ihm die Wirklichkeit die bloße Erscheinung des ihr innewohnenden objektiven oder substantiellen Begriffs ist, dessen Inhalt daher ganz ähnlich so wie dort durch eine bloße Konstruktion aus dem inneren subjektiven Denken erkannt werden kann, während dagegen für HERBART das Denken im Licht eines einfachen Produktes unseres inneren subjektiven Vorstellens erscheint.

Alles Denken hat unmittelbar genommen seine Existenz nur in der Seele des Einzelnen. Die Individualität des besonderen Subjekts ist es, von der dasselbe seine Form oder seine jedesmalige spezifische Gestaltung erfährt; nichtsdestoweniger aber ist es doch immer etwas seinem Stoff oder seiner Materie nach objektiv Vorhandenes; alles Denken ist ansich ein Reflex des allgemeinen oder begriffsmäßig geistigen Inhaltes der Dinge im aufnehmenden Medium einer bestimmten menschlichen Subjektivität; weder der logische Idealismus, der das Denken allein aus dem Abdruck irgendeiner metaphysischen Wesenheit, noch auch der logische Realismus, der dasselbe allein aus einem psychologischen Vorgang der menschlichen Subjektivität ableitet, ist ausschließlich in seinem Recht: überall verbindet sich im wirklichen Leben dieses Doppelte, ein objektives und ein subjektives, ein materiales und ein formelles Element, in bestimmt begrenzter Weise miteinander; alles Denken ansich entspringt aus einer Beziehung unseres Geistes auf den ihm in der Außenwelt gegenüberstehenden Stoff; die Objektivität selbst hat es ansich, durch das Denen des menschlichen Geistes aufgefaßt und begriffen werden zu können; durch unser Denken wird immer nur etwas, was ansich in der Objektivität vorhanden ist, frei gemacht und zu eigener Selbständigkeit ausgeschieden oder entwickelt; der Objektivität selbst ist das Moment des Begrifflichen oder geistig Gedankenmäßigen ihres Inhaltes immanent; immer aber bedarf es bei der Untersuchung des wirklichen Denkens einer Ausscheidung seines reinen objektiven oder ansichseienden Inhaltes von der besonderen aktuellen Modifikation oder Form, in welcher es innerhalb einer bestimmten Subjektivität existiert.

Der Inhalt eines allgemeinen oder objektiv logischen Begriffs ist für uns zunächst immer verkörpert in einem bestimmten Wort der Sprache. Immerhin aber mag es objektive Begriffe oder allgemeine Momente des Daseins geben, die noch nicht in bestimmten Worten der Sprache ihre Vertretung gefunden haben; es gibt daher überhaupt ein System objektiver oder ansichseiender Begriffsallgemeinheiten, mit denen sich das empirische Begriffssystem der Worte der Sprache nicht überall und notwendig decktf; es ist immer ein gewisser Stoff allgemeinen Begriffsinhalts in der Realität vorhanden, der in den Worten der Sprache noch nicht ausgeprägt ist und der also für uns noch keine anerkannte und fest in sich abgegrenzte Geltung besitzt; - außerdem aber weichen die Begriffssystem der einzelnen Sprachen überall sehr wesentlich nicht bloß in der Menge des in ihnen eingeschlossenen allgemeinen Begriffsinhaltes, sondern auch in der Verteilung desselben zwischen die einzelnen Wortindividuen voneinander ab; die Anzahl derjenigen Worte verschiedener Sprache, die sich in ihrem Inhalt oder in ihrer Bedeutung unbedingt und vollständig miteinander decken, ist verhältnismäßig immer nur eine geringe; das in der einen Sprache Gesagte kann in den meisten Fällen nur durch eine gewisse Umschreibung mittels anderweitiger Worte und Wendungen, seltener aber durch genau im Einzelnen zusammentreffende Synonyme in einer anderen vollkommen genügend ausgedrückt werden; jenes allgemeine System des logischen Begriffsinhaltes, wie es in der Objektivität selbst angezeigt und präformiert liegt, wird in der Auffassung einer jeden einzelnen Sprache gleichsam in einer ganz anderen Weise zerlegt und nach seinen einzelnen Gliedern an ihre besonderen Worte oder Begriffsgestalten verteilt; im Unterschied von einem ansich allgemeinen oder rein logischen Begriff, der mit einem bestimmten objektiven Wesensmoment einstimmig ist, ist unter dem besonderen subjektiv nationalen oder grammatischen Begriff immer der ganz konkrete und individuelle Bedeutungsinhalt des Wortes irgendeiner einzelnen Sprache zu verstehen; dieser letztere allerdings schließt sich immer an einen bestimmten, rein logischen oder objektiven Begriff als eine Modifikation oder Abwandlung an; immer aber ist es irgendeine besondere konkrete Anschauung oder Vorstellung, welche sich hier mit demselben verbindet, und es entsteht daher überall die Frage, inwieweit der in einem bestimmten Wort verkörperte, subjektive oder grammatische Begriff mit demjenigen objektiven oder rein logischen Begriffsinhalt, auf den er sich ursprünglich richtet oder den er in einer gegebenen Sprache vertritt, einstimmig ist oder nicht.

Inwiefern sich auch in ein und derselben Sprache für einen bestimmten objektiven Begriffsinhalt oft eine Mehrheit anscheinend synonymer Wortgestaltungen vorfindet, so ist es gemeinhin irgendeine bestimmte nähere, subjektive Vorstellungsnuance, mit welcher derselbe in einer jeden von ihnen umkleidet wird, und es ist insofern zumindest die Gebrauchsanwendung all dieser Synonyme in der wirklichen Rede immer ein in gewisser Weise verschiedene. Überhaupt aber ist immer zu unterscheiden der eigentliche reine oder objektive Begriff als solcher und die besondere subjektive oder konkrete Vorstellungsform, in welcher derselbe teils im Denken eines ganzen Volkes als Wort, teils auch wohl in der Seele des Einzelnen existiert. Durch die wirkliche Anwendung des Denkens im Erkennen aber werden die subjektiven oder grammatischen Begriffsvorstellungen der Sprache immer an die objektiven oder ansichseienden Begriffscharaktere der Dinge herangehalten und mit diesen verglichen, woraus eine fortwährende Verschärfung, genauere Berichtigung und allseitigere Bereicherung jener ersteren entspringt. Das Begriffssystem einer gebildeten und durch wissenschaftliches Denken veredelten oder geschulten Sprache schließt sich deswegen überall genauer an den objektiv begrifflichen Inhalt der Dinge selbst an, als das einer anderen. In einer jeden Sprache aber sind außerdem auch immer gewisse Begriffe enthalten, denen etwas Objektives oder eigentlich Wirkliches nicht entspricht, und die deswegen als subjektive Begriffsgestalten in einem spezifischen Sinn erscheinen mögen, wie z. B. die des  Gespenstes  oder des  Nichts;  immer aber sind doch auch diese Begriffe von der Art, daß sie zumindet als möglich gedacht werden können müssen; unter einem objektiven Begriff ist überall nur dasjenige zu verstehen, wozu im Wesen der Dinge selbst die Veranlassung oder die Nötigung es zu denken sich gegeben findet.

Diese ganze Auffassung der Stellung des Denkvermögens zu seinem Stoff ist durchaus dieselbe, welche ich in meinem "Grundriß der allgemeinen Ästhetik" in Bezug auf das Vermögen des Empfindens zur Geltung zu bringen versucht habe. Wie unser Denken, so schließt auch unser Empfinden ansich immer den Anspruch auf Objektivität seines Inhalts in sich ein; mittelbar gründen sich alle unsere Empfindungen auf das in den Sinnen erscheinende oder durch sie von uns wahrgenommene Wesen der äußeren Dinge, ebenso wie auch mittelbar alle unsere Begriffe aus einer Abstraktion des allgemein geistigen oder logischen Wesensinhaltes der Wirklichkeit entspringen; wie das Denken, so ist auch das Empfinden bei den einzelnen Völkern und Individuen überall ein in gewisser Weise verschiedenes; ähnlnich aber wie die Logik, so ist auch die Ästhetik ansich nur eine gesetzgebend kritische oder Idealwissenschaft vom menschlichen Empfinden, d. h. es ist nicht dieses letztere, so wie es zunächst oder unmittelbar genommen in der menschlichen Seele ist, sondern nur so wie es seiner reinen und eigentlichen Bestimmung nach unter dem Gesichtspunkt der Einstimmigkeit seines Inhaltes mit dem Wesen der äußeren Sachen, auf die es sich richtet, sein soll, wie es von derselben aufgefaßt und bearbeitet wird; die Ästhetik dem wahren Charakter ihrer wissenschaftlichen Stellung und Aufgabe nach ist die Wissenschaft von einem ansich Empfindungsmäßigen in den Erscheinungen der äußeren Dinge oder von denjenigen Empfindungen, die sich als notwendige Wirkungen mit den Wahrnehmungen der äußeren Dinge in der Seele verbinden; es gibt ein objektives Denen des menschlichen Geistes, geradeso wie es auch ein objektives Empfinden desselben gibt; die Produkte des objektiven Denkens des menschlichen Geistes aber sind Werke der Wissenschaft, diejenigen des objektiven Empfindens sind die Werke der Kunst; die Logik aber als die Lehre von den objektiven Gesetzen und Bedingungen des Denkens ist zugleich Theorie der Wissenschaft, ebenso wie die Ästhetik unter dem gleichartigen Gesichtspunkt die Stelle einer Theorie der Kunst einnimmt.

Durch HEGEL wird, unter Ausschluß an den ihm zur Vorbereitung dienenden Standpunkt SCHELLINGs, das menschliche Denken einfach als mit seinem Inhalt oder Stoff, dem Sein,  identisch  hingestellt oder bezeichnet. Die Objektivität selbst ist nichts als die Erscheinung oder das Produkt des ihr innewohnenden substantiellen Begriffs oder Gedankens; die Aufgabe der Wissenschaft fällt für HEGEL einfach zusammen mit einer begrifflich dialektischen Konstruktion dieses objektiv begrifflichen Inhaltes innerhalb der Sphäre unserer eigenen Subjektivität; dem Denken als solchem oder unmittelbar genommen kommt nach ihm die Fähigkeit einer Erkenntnis der äußeren Welt, da diese eine ihm durch sich selbst innerlich gleichartige ist, zu; die Möglichkeit einer kritischen Unterscheidung des wahren und falschen, des in seinem Inhalt mit der Objektivität einstimmigen und nicht einstimmigen Denkens fällt nach dieser Auffassung weg; das HEGELsche System ist insofern ein reiner und einseitiger idealistischer Dogmatismus; ähnlich wie für PLATO im Altertum schließt auch für HEGEL die bloße subjektive Begriffsdialektik die wahrheitsgetreue Erkenntnis des objektiven Wesens der Dine selbst in sich ein: in aller Geschichte der Logik aber ist seit ARISTOTELES das hegelsche System mit der ihm eigentümlichen Grundauffassung vom Denken das einzige wirklich entscheidende und Epoche machende Ereignis; mit einem Mal wird hier die Theorie des Denkens auf eine ganz andere und neue Basis gestellt als zuvor; der älteren subjektiven tritt durch HEGEL eine neue objektive oder aus dem Wesen der Sachen selbst abgeleitete Logik und Denkform gegenüber; Denken und Sein ist nicht mehr wie früher voneinander unterschieden, sondern durchaus ein und dasselbe: - nicht der unmittelbaren Wirklichkeit, sondern nur der eventuellen Möglichkeit nach aber ist unser Denken einstimmig mit dem Sein; daher bedarf es zuerst einer kritischen Prüfung und Feststellung desselben nach seinem ganzen Verhältnis zu seinem äußeren Stoff; das Ziel oder Problem einer rein gedankenmäßigen Erkenntnis des menschlichen Geistes wird durch HEGEL unter uns ähnlich wie durch PLATO im Altertum gestellt; aber die formale methodische Begründung der Mittel zu diesem Ziel ist ebenso wie dort eine unreife und mangelhafte; eine rein empirische Untersuchung des Denkvermögens allein ist das Mittel, durch welches das Prinzip einer derartigen Erkenntnis begründet werden kann.

Die gemeine oder formale Logik gliedert sich in die drei Abteilungen der Lehre von den Begriffen und deren allgemeinen Beziehungen, der von den Urteilen und der von den Schlüssen. Das unmittelbar gegebene Element allen Denkens ist der Begriff; alles Denken selbst besteht nur in der Verbindung von Begriffen; Begriffe aber können durch das Denken rechtmäßig nur dann und in der Weise in Verbindung gebracht werden, wie sie selbst in Beziehungen zueinander stehen; alles Denken ist wesentlich nichts, als ein Erkennen der Beziehungen der Begriffe untereinander; die logische Ausdrucksform eines Verhältnisses von Begriffen aber ist ein Urteil; die mittelbare Ableitung eines neuen Urteils aus gewissen schon gegebenen aber erfolgt in der Form des Schlusses; die Lehre von den Begriffen und ihren Beziehungsformen hat an den Bedingungen oder der Möglichkeit, die von den Urteilen hat an der spezifischen Wirklichkeit, die von den Schlüssen schließlich hat an der geordneten Notwendigkeit des Denkens ihren Inhalt.

Ein Begriff wird in dem, was er ist, erkannt durch seine Merkmale. Ein Merkmal ist dasjenige an einem Begriff, was demselben im Unterschied von gewissen anderen Begriffen zukommt. Das Merkmal im logischen Sinn des Wortes aber ist bestimmt zu unterscheiden von jedem sonstigen gewöhnlichen oder zufälligen Merkmal, was sich für uns mit einer Sache zum Zweck ihrer empirischen Kennzeichnung verbindet; ein Merkmal in diesem Sinne ist in Bezug auf den Begriff das Wort, welches ihn in der Sprache vertritt; ein Merkmal im höheren oder logischen Sinne aber ist immer eine wesentliche und integrierende Charaktereigenschaft des Begriffs selbst. Jeder Begriff aber muß sich vollständig in Merkmale oder Eigenschaften auflösen lassen, da es immer etwas in sich Einfaches, Allgemeines oder Abstraktes ist, das sich in ihm niedergelegt findet: Denn nur die einzelne individuelle Sache als solche ist ein unendlicher oder nicht zu erschöpfender Komplex von Merkmalen; die Gesamtheit der Merkmale eines Begriffs aber bildet seinen Inhalt und kann für ihn selbst gesetzt werden. Diese Unterscheidung zwischen dem Begriff und seinem Merkmal ist das Fundament, auf welchem die ganze logische Theorie von den begrifflichen Beziehungen beruth.

Ein jedes Merkmal eines Begriffs muß notwendig neben diesem selbst noch gewissen anderen Begriffen in der Eigenschaft eines solchen zukommen, weil es außerdem als nur aus jenem bekannt nicht zur Kennzeichnung oder Charakteristik desselben verwandt werden könnte. Ebenso aber muß auch ein Begriff notwendig mehr als ein Merkmal in sich enthalten, weil er außerdem als mit diesem selbst identisch nicht durch dasselbe charakterisiert oder von anderen Begriffen unterschieden werden könnte. In der Natur des Begriffs liegt es, daß er immer mehrere Merkmale zugleich in sich enthalten, in der des Merkmals aber, daß es immer mehreren Begriffen zugleich als ein solches zukommen muß. Die Gesamtheit derjenigen Begriffe aber, die ein bestimmtes Merkmal miteinander gemein haben, bildet den Umfang dieses letzteren; jeder Begriff ist eine in sich konzentrische Einheit von Merkmalen, jedes Merkmal aber ist eine exzentrische oder sich über sich selbst hinaus erstreckende Vereinigung von Begriffen. Ein jeder Begriff hat einen Inhalt, ein jedes Merkmal hat einen Umfang; jedes Merkmal ist im Inhalt eines Begriffes mit anderen Merkmalen, jeder Begriff ist im Umfang eines Merkmales mit anderen Begriffen verbunden.

Das Merkmal eines Begriffs ist aber selbst niemals etwas Anderes, als ein Begriff, oder nur Begriffe sind es, die sich im Inhalt anderer Begriffe als Merkmale vorfinden können. Alle Eigenschaften der Begriffe, durch die sie sich voneinander unterscheiden, können eben selbst nichts sein, als Begriffe, denn da der Begriff etwas seiner Art nach Anderes ist, als die Welt der einzelnen Sachen, so kann er auch überall nur durch Elemente seines Gleichen anderen Begriffen gegenüber bestimmt oder von ihnen unterschieden werden. Die Bezeichnungen  Begriff  und  Merkmal  werden deswegen auch richtiger vertauscht mit denen des spezifischen Begriffs und des Merkmalsbegriffs, oder es sind der Begriff und sein Merkmal nicht zwei ansich oder der Art nach verschiedene logische Elemente, sondern es ist überall nur ein bestimmtes Verhältnis eines Begriffs zu einem anderen Begriff, welches hierin ausgedrückt liegt.

Der logische Inhalt desjenigen Begriffs, welcher sich als ein Merkmal im Inhalt eines anderen Begriffs vorfindet, ist notwendig immer ein geringerer, als derjenige dieses letzteren selbst, weil eben derselbe außer ihm immer noch gewisse andere Merkmale in seinem Inhalt hat. Alle diejenigen Begriffe aber, die sich als Merkmale im Inhalt eines bestimmten Begriffs vereinigt finden, führen in dieser Hinsicht den Namen von beigeordneten; da aber ein jedes Merkmal eines Begriffs notwendig auch im Inhalt desjenigen Begriffs liegen muß, welchem dieser selbst als ein Merkmal zukommt, so sind alle im Inhalt irgendeines bestimmten Begriffs vereinigten Merkmalsbegriffe zunächst unmittelbare, d. h. solche, welche ihm direkt oder aus sich selbst, teils mittelbare, d. h. solche, welche ihm direkt oder erst durch das Dazwischentreten gewisser anderer näherer Merkmalsbegriffe zukommen; da aber auch auf jeden der letzteren wiederum dasselbe Anwendung findet, so zuerfallen dann weiter die mittelbaren Merkmale eines Begriffs je nach der zunehmenden Entfernung ihrer Stellung von ihm selbst in solche des ersten, zweiten und der ferneren Grade. Hiernach aber ist auch die Beiordnung der im Inhalt eines Begriffs miteinander verbundenen Merkmale immer teils eine direkte, teils eine indirekte, oder eine solche zwischen Begriffen desselben und eine solche zwischen Begriffen verschiedener Grade der Entfernung von ihm selbst.

Es kann aber streng genommen keinen Begriff geben, der nicht ebenso wie er gewisse andere Begriffe als Merkmale in seinem Inhalt hat, ebenso wiederum seinerseits gewissen anderen als ein Merkmal zukäme oder diese selbst in der Eigenschaft eines solche in seinem Umfang hätte. Denn von einem jeden Begriff lassen sich immer gewisse andere zusammengesetztere oder konkretere Artbegriffe als Modifikationen unterscheiden, welche aus dem Hinzutreten gewisser anderer Merkmale außer den in ihm selbst enthaltenen entspringen; jeder Gattungsbegriff verhält sich zu seinen sämtlichen Artbegriffen als ein Merkmal, oder er schließt dieselben als Glieder seines Umfangs in sich ein; im Begriff der  Pflanze  z. B. findet sich der höhere Gattungsbegriff des Organischen als ein Merkmal vor; die Logik als reine Theorie des Begriffs schlechthin und seiner allgemeinen Beziehungen kennt überhaupt durchaus kein anderes Verhältnis, als das des spezifischen Begriffs und seines Merkmals, und es müssen auf dieses erste und einfachste logische Verhältnis alle übrigen zurückgeführt und aus ihm abgeleitet werden; alle Merkmale, die sich im Inhalt eines Begriffes vorfinden, sind als solche einander gleich, oder es finden zwischen denselben noch durchaus keine spezifischen oder Artdifferenzen nach Gattungsbegriffen, Eigenschaftsbegriffen etc. statt; jedes Merkmal eines Begriffs aber hat in Bezug auf denselben den Charakter einer Gattung oder eines höheren Ganzen, indem er selbst sich zu ihm als eine Art oder ein Teilbegriff verhält. Alle Begriffe aber sind sich insofern untereinander gleich, als ein jeder von ihnen sowohl eine Sphäre oder eine Ausdehnungsrichtung des Inhaltes, wie eine solche des Umfangs besitzt, oder als ein jeder teils einen Komplex von Merkmalen, teils einen solchen von Arten oder Teilen in sich umschließt. Die Merkmale eines Begriffs aber sind die Unterschiede seines Inhalts, die Arten oder Teile sind die seines Umfangs. In Bezug auf die letzteren aber gilt dasselbe, was in Bezug auf die ersteren, daß nämlich jeder Begriff immer deren mehrere in sich enthalten muß und daß die Gesamtheit derselben ihm selbst gleich ist oder für ihn gesetzt werden kann. Ebenso wie dort aber sind auch die Arten eines Begriffs teils unmittelbare, teils mittelbar, und diese letzteren selbst wiederum solche der verschiedenen Grade; auch die Beiordnung des Umfangs aber ist ebenso wie die des Inhaltes teils eine direkte, teils eine indirekte.

Der Merkmalsbegriff ist seiner Stellung nach immer der höhere, d. h. einfachere oder abstraktere, während der spezifische Begriff im Verhältnis zu ihm der niedrigere, zusammengesetztere oder konkretere ist. Alle Begriffe sind voneinander wesentlich dem Grad ihres entweder größeren oder geringeren Abstraktionsgehaltes nach verschieden; der dem Inhalt nach ärmere, d. h. höher stehende oder einfachere Begriff ist überall derjenige, der eine größere, der in derselben Weise reichere, niedrigere oder zusammengesetztere dagegen ist derjenige, der eine geringere Menge von einzelnen Momenten des Wirklichen in sich umschließt; Inhalt und Umfang eines Begriffs stehen hinsichtlich des Grades ihrer Ausdehnung oder der Menge der in einem jeden von ihnen eingeschlossenen anderen Begriffe überall in einem umgekehrten Verhältnis zueinander, d. h. je geringer die Anzahl der Merkmale eines Begriffs, umso größer ist überall die seiner Arten oder Teile, indem immer derjenige Begriff, der weniger Merkmale in sich enthält, sich in einer entsprechenden größeren Anzahl anderer Begriffe selbst als ein Merkmal vorfinden kann; von den beiden Begriffen des Organischen und der Pflanze z. B. hat der erstere den geringeren Inhalt und den größeren Umfang, während im letzteren dieses Verhältnisse das umgekehrte ist; ein neuer Artbegriff entsteht überall durch das Hinzutreten eines neuen Merkmals zum Gattungsbegriff; der höhere Begriff aber kann überall auch als der seinem Gewicht nach leichtere, der niedrigere dagegen als der schwerere angesehen werden; alle Begriffe aber begrenzen sich teils auf der gegebenen Fläche des Wirklichen als nebeneinander stehende, teils unterscheiden sie sich voneinander als ihrem allgemeinen Abstraktionsgehalt nach über- und untergeordnete. Diese ganzen Beziehungen der Begriffe aber können, wie es scheint, noch in einer bestimmteren Weise präzisiert und durchgeführt werden.

Ein jeder Begriff kann streng genommen nie mehr als zwei unmittelbare oder nächsthöhere, d. h. ihn direkt in sich einschließende Merkmalsbegriffe in seinem Inhalt haben, weil bei einer größeröen Anzahl derselben sich immer wiederum gewisse in einem bestimmten näheren Merkmal vereinigt finden und durch das Dazwischentreten von diesem in die Stellung von höheren oder mittelbaren Merkmalen emporgeschoben werden würden. Treten z. B. im Begriff des Menschen als Merkmale zuerst die drei allgemeinen Beschaffenheiten hervor,
    1) daß er ein der Erde angehörendes Geschöpft,
    2) daß er mit Denkvermögen und
    3) daß er mit Freiheit begabt ist,
so finden diese beiden letzteren Merkmale im Begriff des  Vernünftigen  ihre nähere Vereinigung und sie stellen sich insofern durch das Dazwischentreten von diesem nur als mittelbare Merkmale des Begriffs des Menschen dar. Da nun aber ferner auch auf alle weiteren Merkmale eines Begriffs, insofern diese selbst Begriffe sind, ganz dasselbe Gesetz Anwendung findet, so wird die Anzahl der einander direkt, d. h. auf derselben Stufe der Erhöhung über einen bestimmten Begriff beigeordneten Merkmalsbegriffe nicht bloß überhaupt eine größere, sondern näher immer die doppelte sein, als auf der vorhergehenden, so daß also ein jeder Begriff immer zuerst zwei unmittelbare Merkmale, sodann vier mittelbare des ersten, acht des zweiten Grades usw. in sich enthalten wird. Alle diese auf derselben Stufe einander beigeordneten Merkmale eines Begriffes aber sind immer nur eine andere Formel des Ausdrucks für ihn selbst, wodurch das allgemeine Gesetz, daß der Inhalt eines jeden Begriffs gleich sei der Summe seiner Merkmale, eine gewisse nähere Einschränkung erfährt.

Auch hinsichtlich der Sphäre des Umfangs eines Begriffes aber kann die Zahl der demselben unmittelbar untergeordneten oder nächstniedrigen Artbegriff streng genommen nie mehr betragen als zwei, weil bei irgendeiner größeren Anzahl derselben immer wiederum gewisse unter ihnen ein bestimmtes Merkmal miteinander gemein haben und durch das Dazwischentreten desselben zu mittelbaren Art- oder Teilbegriffen herabgesetzt werden würden. Werden z. B. im Umfang des Begriffs des  Organischen  zunächst die drei Arten des Menschen, des Tieres und der Pflanze unterschieden, so mögen entweder die beiden ersten von diesen unter den gemeinsamen höheren Begriff des Animalischen gegenüber dem des Vegetativen oder auch die beiden letzteren unter den des vernunftlosen Organischen gegenüber dem des vernünftigen Organischen subsumiert werden, so daß also immer nur zwei nächstniedrige Arten im Umfang jenes Begriffs zu unterscheiden sein würden. Da nun aber ebenso auf alle weiteren Arten eines Begriffs ganz dasselbe Gesetz Anwendung findet, so wird die Anzahl der einander direkt im Umfang eines anderen beigeordneten Begriffs nicht bloß überhaupt eine größere, sondern näher auch immer die doppelte sein wie auf der vorangehenden Stufe der Erniedrigung unter diesen selbst. Die Gesamtheit aller der einander direkt beigeordneten Artbegriffe aber ist ebenso immer nur eine andere Ausdrucksformel für ihren gemeinsamen höheren Gattungsbegriff selbst.

Ein jeder Begriff ist im Hinblick auf seinen Inhalt nichts als derjenige Teil des Umfangs eines anderen Begriffs, welcher zugleich im Umfang eines dritten Begriffs liegt. Der Inhalt des Begriffs des Menschen z. B. ist derjenige Teil des Umfangs des Begriffs des Organischen, der zugleich im Umfang des Begriffs des Vernünftigen liegt. Der Inhalt des Begriffs des  Menschen  z. B. ist derjenige Teil des Umfangs des Begriffs des Organischen, der zugleich im Umfang des Begriffs des Vernünftigen liegt. Ebenso aber ist im Hinblick auf seinen Umfang ein jeder Begriff nichts derjenige Teil des Inhalts eines anderen Begriffs, der zugleich im Inhalt eines dritten Begriffs liegt. Der Begriff des Organischen z. B. ist nichts als derjenige Teil des Inhaltes des Begriffs des Animalischen, welcher zugleich im Inhalt des Begriffs des Vegetativen liegt. Überhaupt aber ist jeder Begriff nichts als ein Punkt, in welchem zwei mit ihren Spitzen gegeneinander gekehrte und sich von da in regelmäßiger Fortsetzung erweiternde Pyramiden anderer Begriffe, der einen seiner Merkmale und der anderen seiner Arten oder Teile, sich miteinander berühren.

Da nun aber auch ein jeder Begriff nächst den Verhältnissen der Unter- und der Überordnung, sich immer in gewissen derartigen der Beiordnung und zwar teils des Umfangs, teils des Inhaltes befindet, so sind es näher in jedem einzelnen Fall überhaupt acht andere Begriffe, zu welchen derselbe in einem unmittelbaren Verhältnis steht, und zwar
    1) seine beiden nächsthöheren oder unmittelbaren Merkmalsbegriffe,

    2) die beiden ihm im Umfang eines jeden von diesen direkt beigeordneten Begriffe,

    3) seine beiden unmittelbaren oder nächstniedrigen Artbegriffe,

    4) die beiden ihm im Inhalt eines jeden von diesen direkt beigeordneten Begriffe.
Wenn z. B. im Begriff der  Philosophie  als nächsthöhere Merkmale die beiden hervortreten, daß sie eine Wissenschaft ist und daß sie im reinen Denken besteht, so ist derselbe im Umfang des ersten dieser beiden Merkmale dem Begriff der Empirie oder Erfahrungswissenschaft, in dem des letzteren aber jenem der Poesie, als des anderen im reinen Denken bestehenden Gebietes beigeordnet; sind aber als Teile desselben Begriffes die beiden der theoretischen und der praktischen Philosophie anzusehen, so steht im Inhalt des ersteren der Begriff der Philosophie zum Begriff des Theoretischen, in dem des letzteren zu dem des Praktischen im Verhältnis der direkten Beiordnung. Diese ganzen Verhältnisse werden veranschaulicht durch die gegenwärtige Figur.


in welcher die Buchstaben  b  und  c  die beiden nächsthöheren Merkmale  d  und  e  die im Umfang derselben beigeordneten,  f  und  g  die nächstniedrigen Arten  h  und  i  die im Inhalt derselben beigeordneten Begriffe von  a  vertreten. Überhaupt aber ist hiernach ein jeder Begriff in keiner Weise etwas materiell Selbständiges für sich, sondern überall ein bloßer formaler Vereinigungspunkt auf der Landkarte überall nur aus der Gesamtheit seiner Situation oder Entfernungen von allen anderen Begriffen bestimmt und festgestellt werden kann.

Das wissenschaftliche Verfahren in Bezug auf den Inhalt eines Begriffes ist die Definition. Eine Definitioin ist diejenige rein logische Kennzeichnung eines Begriffes, durch welche derselbe unbedingt von allen anderen Begriffen unterschieden werden kann. Aus der Theorie des Begriffs aber ergibt sich, daß eine jede Definition ansich nur in der Angabe der beiden nächsthöheren oder den Begriff selbst vollkommen in sich einschließenden Merkmale desselben bestehen kann. Von diesen beiden Merkmalen führt das eine zunächst hervortretende den Namen des nächsthöheren Ganzen, das andere aber den der spezifischen Differenz, indem eben durch dieses letztere der Begriff selbst immer aus der Gemeinschaft aller anderen ihm im Umfang jenes ersteren beigeordneten Begriff unterschieden oder abgesondert wird. Dieser ganze Unterschied ist jedoch ansich ein vollkommen relativer oder es können doch vom Standpunkt der reinen Theorie des Begriffs als solchem aus noch durchaus keine näheren Kennzeichen angegeben werden, wodurch sich diese beiden notwendigen Merkmale eines jeden Begriffs voneinander unterscheiden, indem das ganze feste Verhältnis derselben vielmehr nur in einem konkreteren grammatischen Unterschied der Gattungs- und der Eigenschaftsbegriffe seine Wurzel hat. Dem Begriff selbst gegenüber besitzt vielmehr jedes seiner beiden unmittelbaren Merkmale die Eigenschaft eines nächsthöheren Ganzen, indem durch dasselbe der Begriff mit gewissen anderen Begriffen zu einer Einheit oder Klasse zusammengefaßt wird, während in Bezug auf das andere Merkmal ihm die Eigenschaft einer spezifischen Differenz oder eines ihn aus der Gemeinschaft der übrigen im Umfang von diesem liegenden Begriff absondernden Kennzeichens zukommt. Sind daher z. B. im Begriff des  Negers  die beiden Merkmale enthalten, daß er ein Mensch und daß er schwarz ist, so ist es vom Standpunkt der reinen Theorie des Begriffes selbst aus vollkommen gleichgültig zu sagen: der Neger ist ein schwarzer Mensch oder er ist ein menschliches Schwarzes. Die Logik ansich kennt überall nur den Begriff als solchen, und es ist aus der reinen Theorie desselben zunächst alles dasjenige zu verbannen, was nicht in seiner reinen und strengen Idee selbst eingeschlossen liegt.

Von der rein logischen, formalen oder Nominaldefinition eines Begriffes pflegt die genauere sachliche oder Realdefinition unterschieden zu werden, welche sich auf die Angabe der bestimmteren materiellen Kennzeichen desselben im Unterschied von der in jener ersteren erfolten Feststellung seiner bloßen abstrakten Idee richtet. War z. B. im Vorstehenden der Begriff der Definition selbst zuerst dahin bestimmt worden, daß sie diejenige rein logische Kennzeichnung eines bestimmten Begriffs ist, durch welche derselbe unbedingt von allen anderen Begriffen unterschieden werden kann; so hatte sich weiter an diese bloße abstrakte Nominaldefinition die bestimmtere und konkretere Realdefinition angeschlossen, daß eine jede Definition in der Angabe der beiden nächsthöheren oder unmittelbaren Merkmale eines Begriffes zu bestehen hat. Der ganze Unterschied dieser doppelten Gattung der Definition aber hat seine Wurzel darin, daß in gewisser Weise allerdings der Begriff als solcher oder die bloße abstrakte Idee eines sachlichen Inhalts noch etwas anderes ist, als die unmittelbare oder konkrete Wirklichkeit dieses letzteren selbst; streng genommen kann es zwar von jedem Begriff immer nur eine einzige Definition geben, die rein logische oder nominale, und es kann eine jede anderweitige genauere oder Realdefinition immer nur als eine Fortsetzung oder Ableitung aus dieser entspringen; nicht überall aber sind in der ersteren selbst schon alle diejenigen Merkmale mit enthalten, durch welche die sachliche Wirklichkeit eines Begriffs unbedingt festgestellt oder von derjenigen anderer Begriffe unzweifelhaft unterschieden werden kann. Wenn z. B. der Begriff einer  Insel ansich  noch kein anderer ist, als der eines auf allen Seiten von Wasser umgebenden Landes: so ist doch diese Definition für sich allein noch keineswegs ausreichend, um den wahren oder empirisch wirklichen Charakter aller derjenigen Teile der Erde, die in der Tat unter den Begriff von Inseln fallen, mit vollkommener Schärfe zu bezeichnen; denn auch die drei großen Kontinente der Erde sind nach dieser Definition, da sie ringsum von Wasser umgeben sind, nichts als Inseln, und es wäre hiernach überhaupt alles Land auf der Erde nur Insel; auch kann es keineswegs nur das äußere Moment der Größe sein, wodurch sich eine Insel von einem Kontinent unterscheidet, da ja die Inseln selbst von der verschiedensten Größe sind; sondern es ist wesentlich noch das Moment der Zugehörigkeit oder Abhängigkeit von einem größeren geographischen Ganzen, welches den wirklichen oder empirisch genauen Begriff einer Insel im Unterschied vom dem eines Kontinents zu konstituieren scheint. Eine dritte Art der Definition schließlich ist die Verbaldefinition, welche sich auf den bloßen Sprachgebrauch des einen Begriff vertretenden Wortes richtet. Auch hier aber ist oft in der bloßen angewandten Bedeutung eines Wortes ein gewisses Moment enthalten, welches dem Begriff, den es anzeigt, als solchem fremd ist und das auf eine gewisse Verschiedenheit des sprachlichen oder grammatischen Begriffs vom eigentlich logischen hindeutet: wenn z. B. unter dem Begriff einer  Monarchie  ein Land mit einer monarchischen Verfassung verstanden zu werden pflegt, so kann zwar durchaus unbedenklich von einer österreichischen, einer preußischen Monarchie und dgl. gesprochen werden, während es dagegen offenbar ungeeignet sein würde, von einer für den ganzen Umfang der Monarchie des Herzogs von Altenburg erlassenen Verordnung und dgl. zu reden, woraus hervorgeht, daß sich für die Auffassung der Sprache mit jenem Begriff zugleich die Vorstellung von einer gewissen Größe des betreffenden Landes verbindet. Obgleich aber dieses Dreifache, das Wort, der Begriff und die äußere Sache, sich ansich ihrem Inhalt nach miteinander decken, so findet doch in der Wirklichkeit nicht selten eine gewisse Verschiedenheit zwischen ihnen statt, und es muß daher die Definition, wenn sie eine vollständig erschöpfende sein soll, sich auf all diese Drei zugleich erstrecken, indem sie, von der Untersuchung des bloßen grammatischen Sprachgebrauchs ausgehend, dann den rein logischen Begriffsinhalt selbst feststellt und schließlich denselben der äußeren Wirklichkeit der Sache selbst anzupassen oder mit ihr auszugleichen versucht.
LITERATUR - Conrad Hermann, Die Theorie des Denkvermögens, Dresden 1863