cr-4E. PfleidererFrancis BaconFritz MauthnerGiambattista Vico    
 
JOHANN EDUARD ERDMANN
B a c o n

"Durch Aristoteles wurde es zu einem fast stehenden Axiom, daß das einzig wissenschaftliche Verfahren das syllogistische sei. Zwar wird in der Logik des Aristoteles und der Scholastiker neben dem Syllogismus auch die Induktion angeführt; abgesehen davon aber, daß ihr eine untergeordnete Stellung angewiesen wird, ist auch diejenige Induktion, welche sie meinen, eine ganz untergeordnete, ja kindische, indem sie darin besteht, daß einzelne Beispiele gesammelt werden, was doch allerhöchstens zu einer Vermutung, nie zu einem Wissen, bringt. Für die Scholastiker, die durch ihr Denken nichts Neues gefunden, höchstens das Alte zerlegt haben, war das syllogistische Verfahren, das nur dem schon Bekannten alles subsumiert, das nicht Erfindungen, sondern nur Worte macht und dem am Reich des Menschen wenig, am professionellen Gehabe sehr viel zu liegen scheint, ausreichend. Anders in der Gegenwart. Die Zeit, deren Eigentümlichkeit ist, täglich neues Gemeinnütziges zu erfinden, bedarf einer neuen Logik, durch welche jene Erfindungen aufhören, wie bisher, ein Geschenk des Zufalls zu sein, als die Erfindungskust die erste Stelle einnimmt."

1.  Francis Bacon, der jüngste Sohn des Großsiegelbewahrers von England NICOLAUS BACON, wurde am 22. Januar 1560 geboren und konnte bereits 1575 nach vollbrachtem Studium in Cambridge seinen juristischen Kursus in Gray's Inn beginnen, währenddessen er schon die Aufmerksamkeit der Königin ELISABETH auf sich zog. Ein zweijähriger Aufenthalt in Paris, wohin er den englischen Gesandten begleitete und der für seine Entwicklung sehr wichtig war, konnte nicht verlängert werden, da sein Vater starb, ohne ihm die für den Liebling zurückgelegten Summen durch Testament gesichert zu haben. Der völlige Mangel an Vermögen, bei seinen vornehmen Verbindungen doppelt schmerzlich, die Masse von Schulden, die während dreiundzwanzig Jahren stets sich wiederholenden und immer wieder zu Wasser werdenden Aussichten, aus einem unbesoldeten ein besoldeter Beamter zu werden, hätten vielleich auch einem stärkeren Charakter das Trachten nach Geld zur Gewohnheit gemacht. Seine Praxis als Jurist war unbedeutend, desto größer sein Name als Mitglied des Parlaments (seit 1584), und als Schriftsteller, seit er, von MONTAIGNE angeregt, seine literarischen und moralischen  Essays  (1597) herausgegeben hatte, die, (unzählige Mal aufgelegt, allmählich von zehn zu acht und fünfzig anwuchsen und) in den lateinischen Ausgaben  sermones fideles  heißen. Die Strenge, mit der man es getadelt hat, daß BACON, als sein Gönner Graf ESSEX fiel, als Beistand des Anklägers fungierte und nachher dem Publikum einen die Königin rechtfertigenden Bericht des Prozesses vorlegte, erscheint dem als ungerecht, welcher weiß wie sich BACON abgemüht hat, den Grafen zur Vernunft, die Königin zur Milde zu stimmen und dabei bedenkt, daß er was ihm die Monarchin auftrug, kraft seines Amtes tun mußte. Erst mit der Thronbesteigung JAKOBs, mit dem die beiderseitige Hochachtung vor gelehrtem Wissen ihn eng verbad, änderte sich BACONs Lage. Mit sechs Ämtern und drei Titeln hat ihn nacheinander die Huld seines Königs beschenkt. Als er Großsiegelbewahrer, Lord Kanzler, Baron von Verulam, Viscount von St. Albans geworden war, brach die Katastrophe herein. Bei der Anklage wegen Annahme von Geschenken erklärte er sich schuldig, wurde aller Ämter enthoben, ja für einige Tage eingekerkert. "Nie war ein Urteil gerechter," sagt er später, "und doch hat England vor mir noch nie einen so redlichen Lord Kanzler gehabt." Alle späteren Anerbietungen, in das öffentliche Leben zurückzukehren, hat er abgelehnt und ist in ländlicher Zurückgezogenheit, nur mit der Wissenschaft beschäftigt, am 9. April 1626 gestorben. In diese Zeit der Zurückgezogenheit fällt zwar nicht die Abfassung, aber die Herausgabe der meisten seiner Werke. So erschienen die 1612 vollendeten  Cogitata et visa  im Jahre 1620 als (zwölf Mal umgeschriebenes)  Novum Organon,  so das 1603 verfaßte "Advancement of learning" sehr erweitert im Jahr 1623 als  De dignitate et augmentis scientiarum.  Nach seinem Tod kam die  Sylva sylvarum s. historia naturalis  (1664 Frankfurt) heraus. Außerdem gab GRUTER eine Sammlung heraus, welche die "Cogitata et visa, Descriptio globi intellectualis, Thema coeli, de fluxu et refluxu maris, de principiis et originibus s. Parmenidis et Telesii philosophia" und eine Menge kleiner Aufsätz unter dem Gesamttitl  Impetus philosophici  enthält. Wie überhaupt BACON im Ausland eher anerkannt war, als bei seinen Landsleuten, so erschien auch die erste Gesamtausgabe seiner Werke lateinisch in Frankfurt am Main (1665). Später begann erst die, fast zur Vergötterung steigende Verehrung, von der man in England höchstens hinsichtlich seines Charakters zurückkommt. Unter den englischen Ausgaben kann als erste die von 1740 London, mit dem Leben von MALLET, als neueste von SPEDDING, ELLIS und HEATH (London 1857 - 1859) genannt werden, an die sich die Briefsammlung von SPEDDING anschließt.

2. Schon dem in Cambridge studierenden Jüngling stand es fest, daß der Zustand sämtlicher Wissenschaften ein trauriger, und daß er selbst berufen sei, zur Besserung desselben beizutragen. Wie wenig er diese "Instauratio magna" während seiner juristischen und politischen Arbeiten aus den Augen verloren hat, beweist unter anderem der Titel "Temporis partus maximus", den er einer Jugenschrift vorgesetzt hat. Je älter er wurde, desto mehr sah er ein, daß einem Versuch der Restauration der Nachweis vorausgehen müsse, daß die gegenwärtige Wissenschaft wirklich mangelhaft ist. Diesen Nachweis gibt nun das  advancement of learning  das in seiner erweiterten Gestalt als "De dignitate et augmentis scientiarum" eben darum als  Erster Teil  des großen Werkes bezeichnet wird. Damit nirgends eine Lücke bleibe, muß zuerst in einer enzyklopädischen Übersicht das ganze Gebiet des Wissens (globus intellectualis) dargelegt, dann aber zweitens bei jeder Wissenschaft gezeigt werden, was sie noch zu wünschen übrig lasse. Die menschliche Wissenschaft (so genannt im Gegensatz zu der von Gott geoffenbarten Theologie) wird am Besten nach den drei Grundvermögen der menschlichen Seele Gedächtnis, Phantasie und Vernunft in Geschichte, Poesie und Philosophie eingeteilt. Die  Geschichte  zerfällt in eigentliche und in Naturgeschichte. Zu jener, der  historia civilis,  ist auch die Kirchengeschichte, die Literaturgeschichte, die uns noch ganz fehlt, endlich die Geschichte der Philosophie zu rechnen. Die  historia naturalis  wieder erzählt, wie die Natur wirkt sowohl dort wo sie frei ist, als dort wo sie irrt, endlich da, wo sie gezwungen handelt. Schon in erster Beziehung ist unsere Kenntnis sehr lückenhaft, viel mehr aber noch hinsichtlich des Zweiten und Dritten, der Monstra und Artefacta. Die  Poesie  wird von BACON in erzählende (d. h. epische), dramatische und parabolische (d. h. Lehr-)Poesie geteilt; die letztere stellt er am Höchsten und führt als Beispiele derselben die Mythen vom  Pan, Perseus  und  Dionysos  an, die er zu deuten versucht. (Eine verwandte Aufgabe stellt er sich in der der Universität Cambridge zugeeigneten Schrift: De sapientia veterum)

3. Mit dem dritten Buch der Schrift "De dignitate et augmentis scientarium" geht BACON zur  Philosophie  über. Nach ihren Objekten zerfällt sie in die Lehre von Gott, der Natur und dem Menschen; allen dreien aber liegt als gemeinschaftliches Fundament die philosophia prima zugrunde, die nicht wie das, was man bisher so nannte, ein Gemisch theologischer, physikalischer und logischer Sätze sein, sondern die eigentlich transzendenten, d. h. über alle besonderen Sphären hinausgehenden, darum in allen geltenden, Begriffe und Axiome entwickeln und zeigen muß, was  ens  und  non-ens,  was möglich und unmöglich usw. und warum manche Axiome, die man bloß für mathematische hält, in der Politik ganz dieselbe Gültigkeit haben. Die angegebenen drei Teile der Philosophie vergleicht er mit optischen Erscheinungen: unser Wissen von Gott gleicht dem, durch Hineintreten in ein anderes Medium, gebrochenen, unser Wissen von der Natur dem direkten, unser Wissen von uns dem reflektierten Strahl. Eben darum muß die  natürliche Theologie  sich genügen lassen, die Gründe für den  Atheismus  zu widerlegen. Weil man in der gegenwärtigen Theologie mehr wollte, die Wahrheit der Dogmen beweisen, deswegen ist bei ihr nicht, wie bei den anderen Wissenschaften, Mangel, sondern vielmehr der Überfluß zu bedauern. Der heidnische Gedanke, daß die Welt nicht Werk, sondern Abbild Gottes sei, der hat dazu verführt, aus der Beschaffenheit der Welt Rückschlüsse auf das Wesen Gottes zu machen und Philosophie und Glauben so zu vermischen, daß jene phantastisch, dieser häretisch wurde. Im Gegensatz zu dieser Vermischung verlangt BACON stets, daß man dem Glauben gebe was des Glaubens, dem Wissen dagegen was sein ist, d. h. das durch Wahrnehmung und Vernunft gefundene. In jenes Gebiet hat die Vernunft nicht hineinzureden, in dieses der Glaube nicht. Wer in den Glaubenslehren etwas findet, was der Vernunft widerspricht, wird darüber nicht erschrecken. Ein größerer Widerspruch, als er zwischen den Lehren des Christentums und der Vernunft stattfindet, ist kaum denkbar - (so im Fragment de scientia humana, besonders aber in den nach seinem Tod erschienen Paradoxa christiana) - ein Widerspruch mehr oder weniger macht, wenn man einmal den Entschluß gefaßt hat zu glauben, keinen Unterschied. Es ist wie mit dem, der einmal eingewilligt hat an einem Spiel teilzunehmen und nun natürlich allen auch noch so seltsamen Regeln desselben sich unterwerfen muß. Wie den Wissenden jene Widersprüche mit der Vernunft, weil sie nur im Gebiet des Glaubens auftreten, nicht turbieren, so braucht umgekehrt der Glaube von der Wissenschaft nichts zu fürchten; vielleicht die eben erst gekostete nicht aber die ausgeschöpfte Wissenschaft kann von Gott ableiten. Weiß doch, wer die Wissenschaft ganz überschaut, daß das Gebiet des Glaubens ein völlig von dem seinen getrenntes, nur seinen eigenen Gesetzen gehorchendes ist und wird also den Glauben nie angreifen. - Während die Theologie hier ganz verschwindet, gewinnt dagegen der zweite Teil der Philosophie,  die Naturphilosophie  (natural philosophy) eine umso größere Ausdehnung. Dieselbe wird zunächst in spekulative und operative eingeteilt, deren erstere die Naturgesetze kennen, die zweite sie benutzen lehrt. Jede derselben zerfällt wieder in zwei Teile, so daß der Physik als ihre praktische Anwendung die Mechanik, der Metaphysik dagegen die natürliche Magie entspricht. Unter Metaphysik ist also durchaus nicht, wie bisher, die philosophia prima zu verstehen, sondern der Teil (nur) der Naturphilosophie, welcher, während die Physik die materiellen und bewegenden Ursachen betrachtet, vielmehr die Formen und Zwecke ins Auge faßt. (Darum muß der weltbekannte Satz BACONs, daß die Teleologie einer unfruchtbaren Jungfrau gleiche, auf die Physik beschränkt, auf seine Metaphysik nicht ausgedehnt werden. Übrigens kann daran erinnert werden, daß schon einige Scholastiker gerade so getrennt hatten.) Damit geht ein zweiter Unterschied Hand in Hand, daß nämlich die Physik es mit den konkreten Erscheinungen, dagegen die Metaphysik mit dem Abstrakten und Konstanten zu tun habe. Eine Beschränkung erleidet dieser Gegensatz, indem innerhalb der Physik ein unterer, der Naturgeschichte näherer und ein oberer, der Metaphysik zugewandter, Teil unterschieden werden muß, von denen jener die konkreten Dinge oder Substanzen, dieser dagegen ihre Naturen oder Eigenschaften, d. h. das Abstraktere in ihnen, wie die Hauptzustände (schematismi) der Materie und Hauptformen der Bewegung, betrachtet. Schon die Physik läßt in ihrer gegenwärtigen Gestalt vieles vermissen, wie z. B. die Astronomie ein Gemisch bloßer Beschreibung (d. h. Geschichte) und allerlei mathematischer Hypothesen ist, welche alle ganz gleich gut zu den Erscheinungen passen, anstatt daß sie physikalische, d. h. aus dem Wesen der Himmelskörper folgende, Erklärungen geben und so zu einer lebendigen Astronoime werden müßte, an die sich eine gesunde Astrologie anschließen könnte. Und nun gar die Metaphysik! Diese ist ganz und gar ein Desiderat; denn was den einen Teil ihrer Aufgabe betrifft, die Zweckursachen, so hat man diese zwar berücksichtigt, aber in der Physik, wodurch diese verdorben wurde. Und wieder hat man geglaubt, an den wirkenden Ursachen, welche der Physiker findet, auch schon dieselben zugrunde liegenden Formen zu haben und sich mit physikalischen Erklärungen begnügt, als gäben diese schon metaphysische Erkenntnis. Kurz, eine Metaphysik, ohne welche man u. a. keine Theorie des Lichts haben kann, muß erst geschaffen werden. Als einen Anhang zur Physik, weil sie eine bloße Hilfswissenschaft ist, behandelt BACON die Mathematik; in einer Weise, welche zeigt, wie sehr im dieses Gebiet verschlossen war. -

4. Das vierte Buch der Schrift "De dignitate et augmentis scientarium" macht den Übergang zum letzten Teil der Philosophie, zur  Lehre vom Menschen.  Dieselbe ist, je nachdem sie den Menschen außerhalb oder in der Gesellschaft betrachtet, eine Lehre vom Menschen oder vom Bürger. Die erstere, die  philosophia humana,  enthält teils die Wissenschaften, die seinen Leib, teils die, welche seine Seele betreffen. Beiden aber muß die Lehre von der Natur und Person des ganzen Menschen vorausgeschickt werden und dem Band (foedus) jener beiden, was alles unter keine jener Abteilungen paßt. Den Leib betreffen die Medizin, ferner die Schönheits-, Kraft- und Lustlehre (Cosmetica, Athletica, Voluptaria). Zur letzteren werden auch die schönen Künste, mit Ausnahme der Poesie, gerechnet. Die Lehre von der Seele muß die vernünftige oder menschliche Seele ( das  spiraculum)  der theologischen Betrachtung überlassen, sich auf die Untersuchungen über die tierische Seele beschränken, diese aber nicht logisch als  actus,  sondern physikalisch als durch Wärme sehr verdünnten Körper, d. h. ganz wie TELESIUS fassen. Ihre Haupteigenschaften hat man ziemlich genau untersucht, doch liegt ein Punkt noch sehr im Argen: das Verhältnis der spontanen Bewegungen zur Empfindung, so wie der Unterschied dieser letzteren von der bloßen Perzeption, die auch dem Empfindungslosen zukommt. Als Anhang zu den Tätigkeiten der Seele werden ihre ganz unvermittelten Perzeptionen und Wirkungsweisen, die  divinatio  und  fascinatio  betrachtet werden müssen. Die Betätigung der Seelentätigkeiten und die Objekte derselben untersucht die  Logik  (Buch V und VI) und  Ethik  (Buch VII). Jene betrachtet das Erkennen und das Verhalten zur Wahrheit, so daß sie die Anweisung zum Erfinden, Beurteilen, Behalten und Mitteilen gibt, also alles enthält was der Dialektik, Mnemonik, Grammatik und Rhetorik angehört, freilich noch viel mehr enthalten müßte. Die Ethik wieder, welche den Geist betrachtet wie er Wille ist oder auf das Gute, d. h. das Nützliche geht, zerfällt in die Lehre vom Musterbild oder vom Guten und die von der Leitung und Kultur des Willens (Georgica animi). Nicht nur das individuell Gute (bonum suitatis), sondern auch das was der Gemeinschaft frommt, ist schon in der Ethik zu betrachten, weil die sittliche Kultur darin besteht, daß der Mensch nicht nur sich, sondern auch für andere lebe, etwas was die Alten bei ihrer Verherrlichung des spekulativen Lebens verkannt haben. Eine ausführliche Darstellung der Ethik hat BACON nicht gegeben. Zerstreute Bemerkungen auch über die Fundamente derselben finden sich in seinen Essays. Seine Betrachtungen über Selbstliebe und Liebe zur Gesellschaft, über Triebe und Leidenschaften, über die Beherrschung der letzteren usw. zeigen den gemäßigten, allen Extremen abholden Sinn des gebildeten Weltmannes. Ein Greuel sind ihm alle Streitigkeiten, welche durch die Religion, das Band des Friedens, veranlaßt werden. Er nennt dies: die eine Tafel des Gesetzes gegen die andere stoßen und darüber daß wir Christen sind vergessen, daß wir Menschen sein sollen. Den zweiten Teil der Lehre vom Menschen, den letzten der Philosophie, bildet die  Politik  (philosophia civilis), welche das achte Buch enthält. Von ihren Gegenständen, dem geselligen, geschäftlichen und staatlichen Leben, pflegt man die ersten beiden gar nicht, das letztere nur vom Standpunkt weltunkundiger Philosophen oder dem der Juristen zu betrachten, die beide, nur aus entgegengesetzten Gründen, dazu nicht taugen. Der Staatsmann wird hier das entscheidende Wort sprechen. Einem König gegenüber wie der, an den er schreibt, will BACON sich mit Winken begnügen und gibt ein Menge von Aphorismen, unter welchen die wichtigsten sind, daß der Staat nicht nur Sicherheitsanstalt für Privatrechte sei, sondern daß zum Wohl der Bürger auch Religion, Sittlichkeit, ehrenvolle Stellung zum Ausland usw. gehöre. Praktische Ratschläge über das Zustandekommen und Anwenden der Gesetze schließen sich daran. Da der Inhalt der Theologie als geoffenbart ganz außerhalb des Gebietes der Philosophie lag, so betreffen die Untersuchungen des neunten Buches, in dem er sich sehr heftig gegen die erklärt, die wie PARACELSUS und die Kabbalisten aus der Bibel Philosophie lernen oder wieder die Bibel philosophisch erklären wollen, nur die Form, in welcher die Glaubenswahrheiten vorzutragen sind. Hier vermißt er all das, was in späterer Zeit Apologetik [Rechtfertigung - wp], Irenik [Friedenslehre - wp] und Biblische Theologie genannt worden ist. Zuletzt stellt er alle seine Desiderate als einen  novus orbis scientiarum  [neue wissenschaftliche Welt - wp] zusammen.

5. Wenn diese Umschau über den ganzen Wissenskreis gezeigt hat, daß sein Zustand nicht sehr glänzend, so entsteht die Frage: warum so? Ein Hauptgrund ist BACON die sklavische Abhängigkeit von den Alten. In fast wörtlicher Übereinstimmung mit BRUNO (Cena delle ceneri, Seite 132) sagt er, daß die Erhrfurcht vor dem Alter uns dahin bringen müsse, unsere Zeit über alles zu setzen, denn sie ist um Jahrtausende älter, als die der sogenannten Alten und ist in ihrem längeren Leben durch Erfahrungen und Erfindungen aller Art gereifter. Mit TELESIUS, den er as den größten unter den neueren Philosophen bezeichnet, weist BACON oft auf die drei großen Erfindungen des Schießpulvers, der Magnetnadel und der Buchdruckerkunst hin, durch welche die Gegenwart solchen Vorsprung vor der Vergangenheit habe. Da dem Altertum mit diesen und anderen Erfindungen auch alle gemeinnützigen Anwendungen derselben fremd waren, so ist es erklärlich, daß dort der selbstsüchtige Gesichtspunkt festgehalten wurde, daß die Philosophie nur um des Genusses-zu-wissen willen da sei. Die verständig gewordene Menschheit denkt nicht so epikureisch, sie setzt als Maßstab der Philosophie die Gemeinnützigkeit, die praktische Anwendbarkeit. Die Aussattung des Lebens mit Bequemlichkeiten aller Art ist ihr Ziel (so u. a. im Valerius Terminus, Seite 223, ed. ELLIS). Dazu kommt, daß man vom Altertum nicht einmal die Lehren entlehnt hat, die es am meisten verdient hätten. PLATO, namentlich aber der neidische ARISTOTELES, der wie die türkischen Kaiser sicher zu herrschen nur glaubte, wenn alle Prätendenten des Throns getötet wurden, sond vom Schicksal begünstigt, fast allein zu uns gelangt, ein Beweis, daß auch auf dem Strom der Zeit die leichte Ware fortgetragen wird, die gewichtige zu Boden sinkt. Hätte man, anstatt dieser beiden, von denen der Erstere wegen seiner Vorliebe für Theologie und Politik die Physik vernachlässigt, der Zweite wegen seines Eifers für Logik sie verdirbt, indem er die Welt aus Kategorien ableitet, den DEMOKRIT, EMPEDOKLES und andere Naturphilosophen zu Lehrern genommen, welche alles aus wirkenden Ursachen, nichts teleologisch wie jene beiden, erklärten, so stünde es besser. Denn, da jede gemeinnützige Praxis sich zuletzt auf Beherrschung der Natur zurückführen läßt, die, seit sie der Mensch durch seinen Fall verlor, nur durch Benutzen, darum aber Erkennen, ihrer Gesetze möglich ist, so muß die Naturphilosophie als der Hauptteil der Philosophie angesehen und auf ihre Anwendung vor allem hingearbeitet werden. Dies aber ließ der Einfluß des ARISTOTELES nicht zu, indem es durch ihn zu einem fast stehenden Axiom wurde, daß das einzig wissenschaftliche Verfahren das syllogistische sei. Zwar wird in der Logik des ARISTOTELES und der Scholastiker neben dem Syllogismus auch die Induktion angeführt; abgesehen davon aber, daß ihr eine untergeordnete Stellung angewiesen wird, ist auch diejenige Induktion, welche sie meinen, eine ganz untergeordnete, ja kindische, indem sie darin besteht, daß einzelne Beispiele gesammelt werden, was doch allerhöchstens zu einer Vermutung, nie zu einem Wissen, bringt. Für die Scholastiker, die durch ihr Denken nichts Neues gefunden, höchstens das Alte zerlegt haben, war das syllogistische Verfahren, das nur dem schon Bekannten alles subsumiert, das nicht Erfindungen, sondern nur Worte macht und dem am  regnum hominis  [Reich des Menschen - wp] wenig, am  munus professorium  [professionellen Gehabe - wp] sehr viel zu liegen scheint, ausreichend. Anders in der Gegenwart. Die Zeit, deren Eigentümlichkeit ist, täglich neues Gemeinnütziges zu erfinden, bedarf einer neuen Logik, durch welche jene Erfindungen aufhören, wie bisher, ein Geschenk des Zufalls zu sein, als die Erfindungskust die erste Stelle einnimmt.

6. Zu dieser neuen Logik geben nun die Grundzüge die  cogitata et visa  vom Jahre 1607, in erweiterter Gestalt das  Novum Organon,  welches darum als  Zweiter Teil  des großen Werks zum globus intellectualis als dem ersten hinzutritt. Nach dem so eben Erörterten kann es nicht Wunder nehmen, wenn als das Ziel das Verständnis der Natur (interpretatio naturae) angegeben wird. Wie bei jeder, so ist auch bei dieser Interpretation das Hineintragen zu vermeiden; darum sind vor allem alle Antizipationen wegzulassen. Auf sie bezieht sich der Zweifel, mit dem nach BACON angefangen werden soll und der eben deswegen gar nicht mit dem der Skeptiker des Altertums verglichen werden kann. Weder gründet er sich auf Mißtrauen gegen Wahrnehmung und Vernunft, denn BACON vertraut beiden, noch auch dehnt er sich so weit aus, wie dort, denn anstatt des Skeptischen: Nichts wird gewußt, sagt BACON: bis jetzt wird sehr wenig gewußt, noch endlich beruhigt er sich bei der Akatalepsie [Unbegreiflichkeit - wp], sondern er sucht vielmehr die Eukatalepsie [richtiges Festhalten - wp]. Er wird es nicht müde, die zu tadeln welche, weil sie etwas nicht erkannt haben, sogleich, durch eine  malitiosa circumscriptio  [bösartige Begrenzung - wp], der Vernunft die Fähigkeit des Erkennens absprechen. Auch mit dem absoluten Zweifel des DESCARTES darf der BACONsche nicht zusammengestellt werden, da sich der letztere nur auf die irrigen vorgefaßten Meinungen, auf das was er  idola  nennt, bezieht, durchaus aber nicht so weit geht, das Dasein der Sinnenwelt, Gottes usw. in Frage zu stellen. Dieser  idola  werden nun erst drei, später vier Arten unterschieden: die welche in allen Menschen herrschen, weil sie in der Menschen Art gegründet zu sein scheinen, können deswegen  idola tribus  heißen; die Vorurteile wieder, die in den Schranken der eigenen Individualität, die BACON oft mit der Höhle des PLATO vergleicht, ihren Grund haben, nennt er eben darum  idola specus;  im Verkehr mit Menschen untereinander entwickelt sich eine dritte Art von Vorurteilen, die  idola fori;  endlich kommt dazu eine vierte, die Fiktionen nämlich und falschen Theorien, welche uns beherrschen weil sie Mode sind, die  idola theatri.  Da der zweiten Art unzählige sind, so verzichtet BACON darauf, auch nur die hauptsächlichsten namhaft zu machen. Anders bei den übrigen: und den  idolis tribus  wird besonders die Neigung, überall Gleichmäßigkeit vorauszusetzen, ferner die, aus Finalursachen zu erklären, unter den  idolis fori  vor allem das Vorurteil gerügt, daß man in den Worten mehr sieht als Spielmarken, welche anstatt der dinge gelten; ein Vorurteil aus dem eine Menge von Irrtümern, z. B. alle antinominalistischen Sätze, entstehen. Die falschen Modetheorien endlich, die  idola theatri,  sind der Wissenschaft am verderblichsten geworden. Man kann sie auf die Hauptformen der sophistischen, empirischen und abergläubigen Theorie zurückführen, von denen die erst sich durch worte und allgemein herrschende Vorstellungen, die zweite durch unvollständige und nicht gehörig geprüfte Erfahrungen, die dritte durch Hineinmengen theologischer Ansichten fesseln läßt.

7. Die Reinigung des Geistes von den Idolen ist nur der negative Teil dessen, wozu das neue Organon anleiten will und BACON selbst vergleicht sie oft mit dem Reinemachen einer Tenne. Als positive Ergänzung tritt die Anweisung hinzu, wie man zu wahrer und gemeinnütziger Erkenntnis gelangt. Sie bildet den Inhalt des zweiten Buches, während das erste besonders die Idole betraf. In einem richtigen Verfahren lassen sich zwei Stufen unterscheiden: Zuerst müssen aus der Erfahrung die Axiome abgeleitet werden, dann aber muß von den gefundenen Axiomen zu neuen Erfahrungen übergegangen werden. Ausgangspunkt also ist die Erfahrung, d. h. der allein richtige Weg ist die Induktion. Nur muß man nicht, wie das gewöhnlich geschieht, sich damit begnügen, diejenigen Fälle (instantiae) zusammenzustellen, die für etwas sprechen, sondern mit derselben Genauigkeit muß man die Fälle registrieren, die das Gegenteil dartun (instantiae negatirae, exclusivae), also allen den Fällen, wo Licht und Wärme zusammen vorkommen, die entgegenstellen, wo sie nicht vereinigt sind, gerade wie man in einem Prozeß Belastungs- und Entlastungszeugen vernimmt. Endlich aber müssen auch die Fälle zusammengestellt werden, wo mit Mehrung oder Minderung des Lichts eine gleiche der Wärme und wieder, wo nicht, eintritt. So genau nun auch diese Instanzentafeln eingerichtet sein mögen, so ist klar, daß eine absolute Vollständigkeit unmöglich erreicht wird und es entsteht nun die Frage, wie trotz dem der induktive Weg eine Sicherheit gewähren kann? Nur dadurch, daß einzelne Fälle, wenn auch sehr selten, den Vorzug haben vor anderen, die sehr häufig vorkommen. Den geraden Gegensatz gegen diese werden die, sehr häufig vorkommenden, Zufälligkeiten oder "Possen" der Natur bilden, die der Beachtung gar nicht wert sind. Jene Prärogative, d. h. der qualitative Vorzug, gewisser Instanzen wird nun von BACON sehr genau betrachtet und auf siebenundzwanzig Hauptarten zurückgeführt, welche nach der ihm eigentümlichen Weise mit Namen bezeichnet werden, die, wenn auch seltsam, ihm als die prägnantesten erscheinen. Unter ihnen kommt die  instantia crucis  (englisch: Fingerpost) vor, so genannt, weil sie, wie der Wegweiser am Kreuzweg, auf die Lösung anderer Aufgaben hinweist. Da eine solche Rangordnung nur ein Produkt des abwägenden Verstandes ist, so hat BACON Recht, wenn er den von ihm beschriebenen Empirismus dem gewöhnlichen als  experientia literata  entegengestellt. Ebenso aber auch dem Ableiten aus bloßen Hypothesen. Nicht wie die Ameisen nur sammeln, nicht wie die Spinne aus sich selbst die Fäden ziehn, sondern wie die Biene aus dem gesammelten Honig machen soll der wahre Empirismus, d. h. die Philosophie. Eine Modifikation früherer Ansichten muß man darin sehen, daß, wenn er unter den entscheidenden Instanzen die anführt, welche durch Parallelismus und Analogie mit anderen eine besondere Wichtigkeit bekommen, hier Sätze durchgenommen werden, welche BACON früher der  philosophia prima  zugewiesen hatte, so daß also diese letztere zu verschwinden scheint. Unter den für die Naturwissenschaft fruchtbaren Analogien wird nicht nur der aristotelische Gegensatz zwischen dem Oben und Unten der Pflanzen und dem der Menschen angeführt, sondern auch die Analogie zwischen Spiegeln und Sehen, zwischen Widerhallen und Hören.

8. Die möglichst vollständige Aufzählung der wichtigsten Instanzen gibt nun den Stoff (darum oft  sylva  genannt), dieser heißt ihm auch  historia,  so daß also, ganz wie bei den italienischen Naturphilosophen, die Geschichte zur Grundlage der Wissenschaft wird. Eine möglichst vollständige  historia naturalis  sollte sich als  dritter Teil  seines großen Werks der enzyklopädischen Übersicht und dem Novum Organon anschließen. Nur Bruchstücke einer solchen hat er gegeben. Die historia ventorum und historia vitae et mortis sind ausführliche Abhandlungen, die historia densi et rari, historia sympathiae et antipatheae rerum, historia sulphuris mercurii et salis, sind nur Inhaltsangaben von dergleichen. Er gibt mehr als vierzig solcher historiae an, die geschrieben werden müßten. Seine, erst später ins Lateinische übersetzte, Sylva sylvarum, so genannt, weil hier die (historiae oder sylvae genannten) Materialiensammlungen zu  einer  Sammlung verbunden wurden, zeigen BACON als fleißigen Kompilator, der, ohne sie immer zu nennen, als Hauptquellen die Probleme des ARISTOTELES, die Naturgeschichte des PLINIUS, ACOSTAs  Historia natural y moral de las Indias,  PORTAs Magia naturalis, CARDANs Schriften "De subtilitate rerum" und "De varietate rerum", SCALIGERs Exerzitien über CARDAN, SENDYs Reisen und andere Werke exzerpiert. Überhaupt schöpft er fast nur aus Büchern; wie schlecht es mit seinen eigenen Experimenten aussieht, darauf haben LASSON, LIEBIG u. a. ein grelles Licht geworfen und was er als von ihm selber gesehen erzählt, zeigt wie wenig er Einbildung und Wahrnehmung zu unterscheiden vermochte. Mit Absicht vermeidet er in dieser Materialiensammlung jeden Anschein einer systematischen Ordnung, denn die Zusammenstellung von je hundert Erfahrungen zu einer Centurie wird man doch nicht so nennen und geht, nachdem eine Menge von teils vereinzelten (solitary) teils kombinierten (consort) Erfahrungen hinsichtlich der Töne aufgezählt waren, zu solchen über, welche die Farben der Metalloxyde, dann zu solchen, welche die Verlängerung des Lebens betreffen usw. Diese Materialien aber geben nur den Stoff, aus welchem die Biene den Honig machen sollte und BACON sucht, da er die  interpretatio  der ganzen Natur als etwas ansehen gelernt hat, was über die Kräfte eines Menschen geht, wenigstens an einem Beispiel zu zeigen, wie er sich diese, höchste, Aufgabe der Naturphilosophie denkt.

9. Was BACON dem  vierten Teil  seines großen Werkes als Aufgabe zuweist, ist eigentlich das Werk selbst, eben die interpretatio naturae, deren Notwendigkeit im ersten, Methode im zweiten, Ausgangspunkt im dritten Teil festgestellt worden war. Hier handelt es sich zunächst darum, das Ziel dieser Naturerklärung zu fixieren, eine Aufgabe, die so nahe mit der methodologischen zusammenhängt, daß ihre Beantwortung im Neuen Organon versucht wird. Als dieses Ziel wird wiederholt angegeben, daß die den Erscheinungen zugrunde liegenden Formen erkannt werden sollen. Da das nun [unter 3] als die Aufgabe der Metaphysik bezeichnet war, so ist also die Aufgabe: die dort vermißte Metaphysik aufzustellen. Der Weg dahin führt durch die Physik, die sich an die Naturgeschichte anknüpfend in ihrem oberen Teils mit den abstrakten Naturen oder Eigenschaften der Körper, wie Hitze, Kälte, Dichtigkeit usw. beschäftigt. Aber auch bei ihnen hat sich die aufsteigende Induktion nicht zu beruhigen, sondern fortzugehen zum Aufsuchen der Formen dieser Qualitäten. Mit dem Wort Form, das BACON den Scholastikern entlehnt, verbindet er einen ganz anderen Sinn als sie. Ihm ist Form der, allerdings zunächst verborgene, aber durchaus nicht unerkennbare, tiefere Grund der sich manifestierenden Erscheinungen und Eigenschaften. Daher fällt ihm die Form bald mit der wahren Differenz oder wesentlichen Eigenschaft, bald mit der erzeugenden Natur der Dinge, bald mit dem den Erscheinungen zugrunde liegenden Gesetze zusammen, so daß ihm Suchen der Formen und der letzten Axiome zum Synonym wird. Sehr früh hat BACON darauf hingewiesen, daß dieser letzte Grund der physikalischen Eigenschaften ganz besonders in der verschiedenen Konfiguration der kleinsten Teilchen (den Schematismen) der Materie und den verschiedenen Bewegungen liegen möge. Sollte er je die Hoffnung gehabt haben, daß ihm selbst die Reduktion aller von der Physik betrachteten Naturen auf diese, ihnen zugrunde liegenden  naturae naturantes  gelingen werde, so hat er diese stolze Hoffnung bald mit der viel bescheideneren vertauscht, daß er an einem Beispiel diese Reduktion zeigen könne. Dies ist die Wärme, die in ihrem tiefsten Grund nichts sein soll, als eine zitternde Bewegung der kleinsten materiellen Teilchen, so daß also Bewegung die Form der Wärme ist. Hinsichtlich der Wärme wird dies wiederholt und ganz entschieden ausgesprochen. Andeutungen, daß es hinsichtlich anderer physikalischer Eigenschaften sich ebenso verhalte, kommen bei ihm vor; sie berechtigen aber höchstens zu sagen, er habe gewünscht, nicht: er habe gesagt, daß sich alle physikalischen Eigenschaften auf das zurückführen ließen, was man heute Molekularbewegung nennt. Dagegen ein anderes, was man nach heutiger Ansicht für untrennbar hält von solcher Neigung, Vorliebe für die Anwendung der Mathematik auf die Physik, findet sich bei ihm gar nicht. Im Gegenteil, wie ARISTOTELES wegen seiner teleologischen Ansicht den Pythagoreern, so wirft BACON den Mathematikern vor, daß sie die Physik verderben, weil diese es mit dem Qualitativen zu tun habe. Diese Nichtachtung der Mathematik ist einer der Gründe, warum er die ungeheueren Entdeckungen seiner Zeit so wenig würdigte.

10. Aber auch das Finden der zugrunde liegenden Formen ist noch nicht das Letzte. Das liegt vielmehr in der auf solches Erkennen gestützten Naturbeherrschung. Die Erkenntnis der primitiven Formen setzt instand, neue sekundäre Qualitäten erscheinen zu lassen. Wer den Grund aller Eigenschaften des Goldes erkannt hätte, wäre imstande alle seine Eigenschaften zusammen erscheinen zu lassen und dann hätte er Gold. Der letzte Zweck allen Wissens ist Macht über die Natur und deswegen zielt es eigentlich auf das Hervorbringen von Artefakten. Auch bei diesen ist ein Repertorium dessen, was bereits erfunden ist, Vorbedingung dazu, daß man das zu Erfindende erkenne. Darum teilt sich die letzte Aufgabe in eine doppelte und BACON kann als  fünften Teil  seines großen Werks ein Register des schon Erfundenen, als  sechsten  Wink zu neuen Erfindungen angeben. Was er hier geleistet hat, von dem gesteht er selbst, es sei äußerst gering. Für uns ist das wichtigste der durchgeführte praktische Gesichtspunkt, der ihn nicht abschreckt auch wo er ihn dahin bring, die Wissenschaft banausisch, die Poesie prosaisch zu behandeln. Glaubt er doch den Mythen des Altertums einen großen Dienst zu erweisen, wenn er sie in oft sehr frostige Allegorien physikalischer und moralischer Lehren verwandelt. Gemeinnützigkeit, Förderung der menschlichen Bequemlichkeit, dieser letzte Zweck allen menschlichen Tuns und Treibens wird am Sichersten erreicht durch Naturerkenntnis, denn Wissen ist Macht.
LITERATUR - Johann Eduard Erdmann - Bacon in Grundriß der Geschichte der Philosophie Berlin 1869