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RICHARD SCHUBERT-SOLDERN
Über den Begriff des Seins
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"Der dogmatischste Begriff, ich möchte sagen das Bollwerk des Dogmatismus ist der Begriff des Seins. Fast jeder Philosoph hat sich seinen Begriff des Seins konstruiert, an diesem alles Übrige gemessen und das nicht Entsprechende als Nichtseiendes oder wenigstens philosophisch Wertloses ausgeschieden. Sich zu fragen: woher hast du das Recht, das Sein auf gewisse Eigenschaften zu beschränken, fiel keinem ein."

"Es gibt wohl alle möglichen Arten des Bewußtseins vom stärksten bis zum schwächsten, aber ein Mittelding zwischen Bewußtsein und Unbewußtsein ist ein Unding und undenkbar, wenn es etwas anderes bedeuten soll, als ein sehr schwaches Bewußtsein."

Die Philosophen aller Richtungen kommen heutzutage darin überein, segnend oder verdammend bei KANT anzufangen, denn es hat sich die Überzeugung Bahn gebrochen, daß vor allen übrigen philosphischen Disziplinen die  Erkenntnistheorie  ihren positiven oder negativen Abschluß finden muß; der eigentliche Gründer derselben aber ist KANT. So ist das Philosophenheer in zwei Lager geteilt: für und gegen KANT. Doch gar viele, die von KANT ausgegangen sind, sind weit über ihn hinausgeschritten und ebensoviele, die mit der Opposition gegen KANT angefangen haben, waren Schritt für Schritt genötigt, ihm Konzessionen zu machen und beides geschah oft unbewußter Weise. Es wird daher schwer fallen, die beiden Lager scharf zu trennen und Kantianer und Antikantianer zu heißen, ist heutzutage eine sehr ungenügende Charakteristik. Daher ist auch jene erkenntnistheoretische Richtung, die ich hier namhaft machen möchte, weder als KANT-freundlich noch gegnerisch zu bezeichnen, obschon und weil sie ihm in positiver und negativer Beziehung gar viel zu verdanken hat. Sie hat keinen Namen und mit Recht: nomina sunt odiosa [Namen erregen Ärgernis - wp], sie werden zu leicht zum Losungswort und Prinzip einer Partei, das aus falsch verstandenen Ehrgefühl auch gegen die Wahrheit und oft sich dunkel meldende bessere Erkenntnis aufrecht gehalten wird.  Ihr  Losungswort ist die Verwerfung eines jeden von alleinherrschenden Prinzipien ausgehenden Systems, der Rückgang zum unmittelbar Gegebenen und seiner genauen Zergliederung. Dabei ist sie sich bewußt, daß das, was die Naturwissenschaften, wenigstens die materialistischen Vertreter derselben uns als ursprünglich gegeben aufdrängen wollten, schon ein Produkt der Zergliederung und Reflexion ist. Diese Gedanken ringen sich auf verschiedene Weise, an den verschiedensten Orten in mehr oder minder vollständiger und klarer Gestalt zum Licht empor, gar oft freilich noch von Vorurteilen und althergebrachten Begriffen halb erstickt. Die Träger dieser Gedanken gehören den verschiedensten Systemen an, denn alle System sind in Auflösung begriffen, zur vollen Klarheit ihrer Konsequenzen sind freilich nur wenige gelangt. Wenn ich als Vertreter jener Richtung LANGE nenne, so will ich damit durchaus nicht eine vollständige Billigung aller seiner Grundgedanken aussprechen, sondern nur betonen, daß er nach KANT der Erste wahr, der die Unhaltbarkeit alles Dogmatismus wieder klar erkannt und ausgesprochen hatte. Es hat zwar von LANGE und nach KANT Philosophen gegeben, welche die Erfahrung als den einzig berechtigten Ausgangspunkt der Philosophie anerkannten, allein das hinderte sie nicht, ein System, gemischt aus Dogmatismus und Erfahrung, aufzubauen. Zu ihnen gehört BENEKE. Er fragte nicht: sind meine Ansichten in der Erfahrung begründet, sondern er war im Voraus überzeugt, daß sich ihre Begründung in der Erfahrung finden müsse und er fand sie auch in  seiner  Erfahrung.

Der dogmatischste Begriff, ich möchte sagen das Bollwerk des Dogmatismus ist der Begriff des Seins. Fast jeder Philosoph hat sich seinen Begriff des Seins konstruiert, an diesem alles Übrige gemessen und das nicht Entsprechende als Nichtseiendes oder wenigstens philosophisch Wertloses ausgeschieden. Sich zu fragen: woher hast du das Recht, das Sein auf gewisse Eigenschaften zu beschränken, fiel keinem ein. Die eleatischen Spukgestalten des Nichtseienden bildeten sich schattenhaft am Begriff des Seins ab und man merkte gar nicht, daß sie ihn so vollständig verdunkelten, daß er ganz unter ihnen verschwand. Was ist das Seiende? das ist die Hauptfrage des Dogmatismus. Ist es Gott, die Materie und ihre Kraft, die Substanz, das Ding ansich? Und ist das, was ich fühle und empfinde, ein Nichts, ein Schein? Und was ist dann dieser Schein, dieses Nichts? Kann etwas an und für sich ein Schein sein oder nicht sein? Das wäre eine contradictio in ajecto [Widerspruch in sich - wp]: ein Etwas, das nur scheinbar oder nicht ist. Und ein Sein, das nicht seiend ist, ist genau dasselbe wie ein viereckiger Kreis. Es kann sich also gewiß nicht darum handeln, ob etwas, das ich wahrnehme, vorstelle oder als Begriff denke, ist, d. h. als solches besteht, sondern nur darum, ob ich einem "Etwas" die richtige Seinsart beilege. Nur im Hinblick darauf kann ich sagen, etwas bestehe nicht, d. h.  als diese bestimmte Seinsart,  wobei doch vorausgesetzt ist, daß ihm eine andere Seinsart zukomme. Ein Bewußtseinsinhalt kann  nicht  bestehen als Wahrnehmung, dann besteht er aber sicher als Vorstellung oder Begriff an einer Vorstellung. Um mich kurz auszudrücken:  seiend ist alles, nichtseiend nur etwas in Bezug auf etwas.

Was heißt dann aber das absolute Sein? Soll es jenes Sein heißen, das durch Nichts beschränkt ist, so ist es eben identisch mit jenem obersten Gattungsbegriff des Seins, der alle Seinsarten in sich faßt. Soll es aber im Gegenteil ein bestimmtes Sein mit bestimmten Eigenschaften bedeuten, dann ist es identisch mit einer Seinsart innerhalb jenes Gattungsbegriffes. Damit ist man aber nicht zufrieden, man will ein Sein haben, das gegenüber allem übrigen Sein, wenn man dieses schon zugesteht, ein Sein  kat exochen  [schlechthin - wp] ist, das wahre, das vollkommene Sein. Damit hat man sich schon vom erkenntnistheoretischen Boden entfernt und befindet sich auf dem Boden der Wertschätzungen. In der Erkenntnistheorie hat das Seiende weder verschiedene Grade noch Werte seines Seins, hier kann nur die Seinsart festgestellt werden und eine Art hat nicht ein stärkeres oder wertvolleres Sein, als die übrigen, sondern nur ein verschiedenes. Mit anderen Worten: die Wertschätzung ist eine Seinsart innerhalb des obersten Gattungsbegriffes "Sein", aber sie vermag keine Seinsart zu einer anderen zu machen.

Wahrnehmung, Vorstellung und Begriff bleiben das, was sie sind, mögen sie in irgendeiner Beziehung wertvoll sein oder nicht. Die Welt der Werte hat ihren Platz innerhalb der Erkenntnis, aber sie darf der Erkenntnis nicht ihren Platz anweisen wollen. Es hat gewiss seine Berechtigung, den Versuch zu machen, die Welt nach ihrem Wert zu erfassen, oder vielmehr zuerst zu untersuchen, ob es im Begriff des Normalmenschen, also des Gattungsbegriffes Mensch Eigenschaften gibt, welche zum Maßstab des Wertes für die Welt dienen könnten, nur dürften dieselben nicht zum Maßstab der Erkenntnis gemacht werden.

Man kann nun noch einwenden, daß man auch erkenntnistheoretisch wenigstens der Ursache ein stärkeres und wertvolleres Sein zuschreiben müsse als der Wirkung. Die Wirkung hängt ja doch von der Ursache ab, ist ohne sie gar nicht denkbar. Aber hier herrscht dasselbe Verhältnis, wie oben bei der Welt der Werte. Das Ursachesein hat seinen Platz innerhalb der Erkenntniswelt, es macht aber keine Seinsart zu einer anderen. Es kann ein Einteilungsgrund innerhalb einer Seinsart sein, ändert aber niemals die Seinsart selbst ab. Die Welt der Kausalität ist so wie die Welt der Werte eine Welt für sich innerhalb der Erkenntnis. Jede Wissenschaft spielt ihre Rolle innerhalb dieser drei sich durchdringenden Welten: sie hat die Seinsart ihrer Gegenstände festzustellen, ihr kausales Verhältnis und ihren Wert für den Menschen; alles bestimmt sich hier gegenseitig, ohne sich aufzuheben.

Aus dem Vorangehenden folgt: Das Seiende ist nie Eigenschaft, die Frage nach einer Ursache des Seins ist unstatthaft, ebenso die Frage der Zulässigkeit der Unterscheidung zwischen Scheinwelt und Seinswelt.

Die Eigenschaft ist stets ein logischer Teil des Ganzen; der oberste Gattungsbegriff des Seins ist Alles, das Ganze kat exochen, das also nicht mehr Teil eines Ganzen sein kann, ohne sich selbst zu widersprechen. Das Sein ist nicht Eigenschaft eines Dinges, sondern seine logische Voraussetzung. Indem ich logisch ein Ding setze, ist das Sein im selben Akt mitgesetzt; ihm ein Sein als Eigenschaft beilegen wollen, heißt von einem Etwas, das nicht ist, behaupten, daß es seiend ist: also zwei Widersprüche ineinander begehen.

Die Frage nach der Ursache alles Seienden ist unstatthaft, denn das, was Ursache alles Seienden ist, müßte vom Seienden unterschieden, also nicht seiend sein, was absurd ist. Man könnte zwar sagen, das Seiende sei die Ursache seiner selbst, das hieße aber in einem Atemzug dasselbe als Verschiedenes setzen. Ist das Seiende als Ursache und das Seiende als Wirkung ununterscheidbar, so kann ich sie auch nicht als Ursache und Wirkung unterscheiden, kann ich aber das Letztere, dann sind sie zwei Arten von Seiendem, nicht aber der Inbegriff des Seienden selbst.

Geht man davon aus, daß auch die Welt der Erscheinungen ein Sein ist, so kann die Welt des Seins im engeren Sinne die Begründung ihrer Unterscheidung nur darin finden, daß sie als wertvoller oder als Ursache der Welt der Erscheinung gedacht wird; beide zusammen sind dann der Inbegriff des Seienden und ihre Seinsart und gegenwärtiges Verhältnis kann wissenschaftlich bestimmt werden. Soll aber alles, was gegeben ist, Erscheinung sein, dann ist die Frage, ob es noch etwas logisch außerhalb der Erscheinung Seiendes, ihr "zugrunde Liegendes" gibt, unstatthaft: denn mit dieser Frage ist die Erscheinungswelt als "Alles, was gegeben ist" geleugnet und in der Frage liegt zugleich die Antwort. Mit anderen Worten: ist alles Erscheinung, dann fällt die genannte Frage samt ihrer Prüfung in die Erscheinungswelt, leugnet man das, dann hat man sich selbst schon auf einen Standpunkt außerhalb der Erscheinung gestellt und nicht "alles was gegeben ist", ist Erscheinung. So ist mit dem Wort "Sein" noch gar nichts Bestimmtes gesagt. Seine Bestimmtheit erhält es erst durch den Inhalt. Durch die Verwechslung des inhaltlich bestimmten Seins mit dem inhaltlosen Sein sind die größten Verwirrungen innerhalb der Philosophie entstanden. Ich hielt es daher für notwendig, die möglichen Bedeutungen des Wortes "Sein" zu prüfen, ehe ich an die Kritik des Begriffes Sein bei BENEKE ging.

Auch BENEKE bedient sich des Wortes "Sein" bald im Sinne einer freilich unsagbaren Seinsart, bald im Sinne des obersten Gattungsbegriffes Sein, bald im Sinne bekannter Seinsarten, ohne jemals streng zu unterscheiden. Dadurch gelangt er zu Schlüssen, die falsch sein müssen, weil der Mittelbegriff jedesmal in einer anderen Bedeutung genommen wird. So sagt er vom Idealismus, er erkenne nur das Vorstellen und nicht das Sein an; und widerlegt diesen Satz dadurch, daß er aus dem Begriff des Seins, den wir besitzen, schließt, daß auch demselben wenigstens in den Elementen eine Anschauung entsprechen müsse; da wir keinen Begriff erdichten können, dessen Elemente wenigstens nicht auf Anschauung beruhen. (1) Prüfen wir diesen Schluß näher. Wenn der Idealismus nur das Vorstellen und nicht das Sein anerkennt, so kann dieses Sein nur eine bestimmte Seinsart sein, denn das Vorstellen ist doch auch ein Sein und der oberste Gattungsbegriff des Seins umfaßt sie beide. Was ist denn aber jenes Sein kat exochen, dem gegenüber alles andere nur ein solches und solches ist? Da es nicht der oberste Gattungsbegriff des Seins ist, so muß es sich doch von den übrigen Seinsarten unterscheiden lassen, widrigenfalls es mit ihnen zusammenfällt oder nur ein leeres Wort ist. Diesen Unterschied anzugeben oder zu veranschaulichen, wird aber wohl keinem Philosophen möglich sein.

Der Begriff des Seins aber, den wir besitzen, kann entweder der oberste Gattungsbegriff oder der Begriff einer Seinsart sein. Im ersten Fall kann zwar ohne Bedenken zugegeben werden, daß ihm eine Anschauung entsprechen müsse, aber dieselbe kann eine Vorstellung im Sinne des subjektivsten Idealismus sein, ohne daß dieser Begrif des Seins unmöglich wird, denn er ist an keine bestimmte Gattung des Seins gebunden. Soll er aber der Begriff einer Seinsart sein, dann muß dieselbe näher bestimmt werden können, denn von einer völlig unbestimmten Seinsart kann doch nicht behauptet werden, daß wir sie besitzen, wenn nicht das bloße Wort derselben gemeint ist. Ist der Begriff gehörig determiniert, dann werden sich auch die Elemente desselben, aus denen er hervorgegangen ist, in der Anschauung, d. h. der Wahrnehmung finden, der selbst aber kann trotzdem, seiner Seinsart nach, den reinen Phantasiebegriffen angehören. Man sieht, daß der Begriff des Seins in so unbestimmter Weise gebraucht ist, daß man aus ihm machen kann, was man will. Dieselbe Verwechslung ist es, wenn BENEKE behauptet: Philosophen sowohl als Nichtphilosophen stimmten im gewöhnlichen Lebensverkehr in ihrem Begriff des Seins überein. Es falle niemandem ein, zuerst zu untersuchen, ob er denselben Begriff mit dem Wort Sein verbinde wie ein anderer (2).

Derjenige menschliche Begriff aber des Seins, in welchem alle von vornherein übereinstimmen müssen, ist ja doch der oberste Gattungsbegriff für alles Vorhandene, der ohne Tautologie gar nicht näher bestimmt werden kann. In ihm stimmen freilich alle Menschen überein, denn sonst müßte sich ein Unterschied in der Auffassung konstatieren lassen; dieser Unterschied aber würde den obersten Gattungsbegriff des Seins in seine Seinsarten auflösen und ihn  zerstören.  Mit  diesem  allgemein-menschlichen Begriff des Seins ist aber nichts anzufangen, weil er in seiner Inhaltslosigkeit und Leerheit für alles paßt. In den einzelnen Seinsarten aber kann eine solche Übereinstimmung durchaus nicht angenommen werden. Stimmt man auch in der Regel überein, ob etwas Wahrnehmung, Vorstellung oder Begriff ist, so kann doch schon hier hin vielen Fällen Streit entstehen, in welche dieser Seinsarten ein Gegebenes einzureihen ist. Noch mehr ist das natürlich bei anderen, weniger fundamental verschiedenen Seinsarten der Fall, bis zum Individuellsten und Konkretesten hinab, in welchem dagegen ebenfalls eine allgemeine Übereinstimmung angenommen werden muß, weil eine Bezeichnung des Unterschiedes in der Auffassung hier nie das Individuum, sondern das an ihm enthaltene Allgemeine betrifft.

So ist der Begriff des Seins der vielsinnigste, den es geben kann, er hat so viele Bedeutungen, als es Unterschiede innerhalb der Totalität des Seienden gibt. BENEKE aber verwechselt diesen leeren Seinsbegriff mit jener von ihm unbestimmt gedachten Seinsart, welche als die Ursache aller anderen ihm das eigentliche Sein bedeutet.


Das Seelensein

Die notwendige Folge voriger Unterscheidung ist, daß wie für KANT so auch für BENEKE die Welt in das Sein der Erscheinung und das Sein ansich zerfällt, mit dem wesentlichen Unterschied, daß nach BENEKEs Ansicht im Gegensatz zu KANT die innere Wahrnehmung das Sein ansich erfaßt. Die äußere Wahrnehmung aber bietet das Sein in seiner Erscheinung, hinter welcher (zeitlich) als ihre Ursache das Sein an sich steckt. BENEKE polemisierte gegen den inneren Sinn der kantischen Auffassung, der in nichts anderem als in Begriffen bestehe, die aus den gegebenen inneren Wahrnehmungen selbst, ohne etwas Fremdartiges hinzuzubringen, sich entwickeln. So ist ursprünglich das Vorstellen (Fühlen, Begehren, usw.) nicht als vorgestelltes, d. h. nicht mit dem Begriff Vorstellen, sondern als solches, also ansich gegeben. Der Begriff aber, durch den es erfaßt wird, entsteht nur durch Verstärkung des Gemeinsamen in den verschiedenen Vorstellungen (Gefühlen) etc., ist also selbst vom Vorstellen nicht verschieden. Er ist gewissermaßen nur eine Reproduktion des Vorstellens ansich. (3) Aber seine Polemik trifft KANTs Ansicht nicht an der Wurzel und seine eigene Erklärung des Vorgangs geht nicht weit genug. Für KANT ist eben dieses vor dem Begriff gegebene Vorstellen nicht mehr ansich Sein, sondern Erscheinung, ja es ist nur in einer solchen Weise gegeben, daß es in den Begriff und die zeitliche und räumliche Auffassungsweise hineinpaßt. BENEKE hätte also nachweisen müssen, daß dieses neben seinem Begriff gegebene Vorstellen schon ein Sein ansich ist und der Begriff außerdem nichts Fremdartiges hinzubringt; dieses Letztere hätte vielleicht auch KANT insofern zugestanden, als der Begriff zu seinem Inhalt (der aber schon Erscheinung ist) nichts Neues hinzufügt. Aber BENEKE konnte das nicht begriffliche Vorstellen (Fühlen) gar nicht als ein Sein ansich nachweisen, weil er gar kein Kriterium für diese ganz unbestimmte Seinsart haben konnte. BENEKE erkannte ganz richtig, daß, wenn nur Erscheinungen bestünden, man gar nicht behaupten konnte, daß es ein Sein ansich gebe; er schloß daher: haben wir einen Begriff des Seins, so muß er auch für uns erreichbar sein, verwechselte aber dabei diesen allgemein gegebenen obersten Gattungsbegriff des Seins mit der bestimmten Seinsart des Seins ansich, die nicht nur noch unbestimmt, sondern auch im Widerspruch mit sich selbst unbestimmbar war. (4) Er sträubte sich eben, jenen Schritt weiter zu tun, nach welchem, wenn alles Erscheinung sein soll, auch der Schluß auf ein Sein ansich, was Form und Inhalt anbelangt, in die Erscheinung fallen muß. Damit hört dann allerdings Erscheinung und Ding ansich auf, denn es gibt nichts mehr, was erscheinen könnte. Daß jener Beweis: daß das sogenannte Seelensein ein Sein ansich sei, ungenügend ist, beweist: daß er mit eben demselben Recht auf das sogenannte "Sein außer uns" angewendet werden kann. Wie der Begriff des Vorstellens sich aus dem Vorstellen selbst entwickelt, so entwickelt sich ja auch der Begriff eines Vorgestellten (eines Pferdes, Steines) aus ihm selbst heraus, ohne etwas Neues zum Inhalt hinzuzufügen. Auch beim äußeren Sein sind die Begriffe ihm selbst entnommen und treten nicht als etwas Fremdes zu ihm hinzu.

Außerdem liegt in der Art und Weise, wie BENEKE das Problem des sogenannten Seelenseins behandelt, eine ungerechtfertigte Isolierung desselben. Das "Seelensein" als Vorstellen, Fühlen, Begehren, Wollen wird vollständig getrennt vom Vorgestellten, Gefühlten etc. behandelt, als ob ein Vorstellen ohne Inhalt, ein Fühlen ohne Ursache und Gegenstand möglich oder überhaupt nur vorstellbar wäre. Das Vorstellen oder Wahrnehmen eines Tisches ist eben die Vorstellung oder Wahrnehmung des Tisches selbst, nur ist hier eben derselbe Inhalt in anderer Beziehung gedacht. Das Vorstellen ist als Tätigkeit gedacht, d. h. der Vorstellungsinhalt als abhängig von gewissen vor ihm vorhandenen Faktoren oder allgemeiner: Bewußtseinsinhalten. Der Tisch, abhängig gedacht von gewissen psychologischen Vorbedingungen, ist eben das  Vorstellen  des Tisches, eventuell sein Wahrnehmen. Bei der  Vorstellung  des Tisches ist derselbe Inhalt nicht als abhängig von anderen gedacht, sondern im logischen (also nicht kausalen) Verhältnis zu anderen, d. h. im Verhältnis der Identität und Verschiedenheit seines Inhalts zu anderen. Ein Vorstellen als solches kann aber niemals Bewußtseinsinhalt sein, es kann nur ein Inhalt in solcher Beziehung zu andern gedacht werden, daß er dadurch zu einem Vorgestellten wird. Ein Vorstellen ohne Inhalt ist eine Beziehung ohne Beziehungsglieder, ein Land ohne Erdboden.

Doch BENEKE bleibt bei diesem in seinem Ansich erfaßten Seelensein nicht stehen. Schon daß er es Seelensein und Seelentätigkeit nennt, deutet darauf hin, daß noch hinter diesem Sein ein anderes stecken soll. Wäre er dabei stehen geblieben, dann hätte es keine Seele gegeben, sondern nur ein Aus-dem- und In-das-Bewußtsein-treten von Seelentätigkeiten. Aber diese Seelentätigkeiten mußten doch ihre Ursachen haben und ein Band, das sie vereinigte. Diese Ursachen sollten nun die Vermögen und Reize sein. Die Vermögen sind ein zielloses (wenn man das sagen kann) Streben, die erst durch ihre Erfüllung mit Reizen Ziel und Bewußtsein erhalten und so zu bewußten Seelentätigkeiten werden. Die einmal erfüllt gewesenen Vermögen können aber durch gegenseitige Ausgleichung, d. h. Mitteilung von zurückgebliebenen Reizelementen (Spuren) sich gegenseitig ohne Vermittlung von Reizen zum Bewußtsein wecken. (5) So ist die Seele gleichsam ein Organismus von Vermögen, der durch Reize, die von Außen kommen, gespeist wird. Ich will nun hier, den psychologischen Wert dieser Vermögenstheorie außer Acht lassend, nur ihren erkenntnistheoretischen in Betracht ziehen. Zunächst leuchtet ein, daß damit die Ansicherkenntnis des inneren Seins illusorisch geworden ist. Denn das Vorstellen, Fühlen, Wollen etc., überhaupt die Seelentätigkeiten sind jetzt nicht die letzten Ursachen des Seins, sondern hinter ihnen stecken noch die Vermögen und das Seelensein ist in ein bewußtes und unbewußtes zerfallen. Ebenso ist auch die äußere Welt dadurch zur Erscheinung geworden, denn wir erkennen sie nur insofern, als sie sich durch ihre Einwirkung (Reize) auf unsere Vermögen kundgibt (Wirkungserkenntnis). Erkenntnistheoreitsch aber ist damit nichts gewonnen. Ein unmittelbare Erkenntnis der Vermögen und Reize ist nach BENEKE selbst nicht möglich. (6) Die Vermögen wie die Kräfte sind als verborgene Ursachen erschlossen. Aber auch als solche sind sie weder nach ihrer Seinsart im Allgemeinen, noch nach ihrem Inhalt im Besonderen bestimmt. Sie können nicht wahrgenommen, also auch nicht vorgestellt werden, auch nicht Begriffe sein, denn es fehlt ihnen, nach BENEKE selbst, die ihnen entsprechende Anschauung; ja sie dürfen gar nicht Begriffe sein, denn nur die Vermögensklassen sind Abstrakta, nicht aber die einzelnen Vermögen selbst. (7) Da sie also weder wahrgenommen, noch vorgestellt, noch als Begriffe aufgefaßt werden können, so haben sie eine vollständig unausdrückbare oder eigentlich undenkbare Seinsart. Ihren bestimmten Inhalt aber will BENEKE auf eine höchst bemerkenswerte Weise bestimmen: dadurch nämlich, daß von den bewußten Zuständen, welche zugleich die unbewußten Kräfte und Vermögen in sich haben, dasjenige abgezogen wird, was der Ausbildung zum Bewußtsein oder der Erregung angehört, bleibe das Unbewußte übrig. (8) Aber wie soll ich dieses das Bewußtsein Erregende erkennen? Es sei mir eine Wahrnehmung des inneren Seelensein, etwa ein Gefühl gegeben  A;  dieses ist zusammengesetzt aus dem unbewußten Vermögen  α  und aus der Erregung  β,  welche das Vermögen erfüllt, ins Bewußtsein gerufen hat; nun sind aber  α  und  β  zu gleicher Zeit ins Bewußtsein getreten. Nach dem früher oder später Ins- Bewußtsein-treten könnte ich ja ohnehin weder  α  noch  β  erkennen. Denn es könnte ebensowohl zuerst  α  ins Bewußtsein treten und dann  β  oder umgekehrt; so daß die Zeit des Ins-Bewußtsein-tretens kein Kriterium abgeben kann. Daher müßte mir  α  oder  β,  noch bevor es in  A  bewußt wird, also im unbewußten Zustand bewußt gewesen sein, soll ich eines von ihnen in  A  überhaupt unterscheiden können, was absurd ist. Oder welches Kriterium besitzt  α  oder  β  im bewußten  A,  daß das eine das Erregende, das andere das zum Bewußtsein Erregte gewesen sei? BENEKE hat diese Schwierigkeit gefühlt. Er läßt daher das Bewußtsein ursprünglich nur eine angeborene Anlage in den Empfindungen sein, welche erst durch Verstärkung der Anlage bei gleichartiger Ansammlung zum tatsächlichen Bewußtsein wird (9); dadurch ist ihm die Möglichkeit geboten, durch Vergleichung der Steigerungen des Bewußtseins innerhalb des Bewußtseins, nach gleichen Gesetzen auch die Steigerung aus dem Unbewußtsein zum Bewußtsein zu erklären. (10) Die Anlage zum Bewußtsein aber, kann man dagegen einwenden, ist ein ebensolches Abstraktum wie das Vermögen selbst. Ist die Anlage noch kein Bewußtsein, dann ist ganz unerklärlich, wie durch Verstärkung der Anlage eines Unbewußten ein Bewußtes entstehen soll. Ist die Anlage aber schon ein Bewußtsein, dann ist die Entstehung des Bewußten aus dem Unbewußten gar nicht erklärt. Damit fällt auch die Möglichkeit, aus der Steigerung des Bewußten zu noch größerer Stärke des Bewußtseins auf eine Entwicklung des Unbewußten zum Bewußtsein zu schließen, da Analogie nur zwischen gleichartigen Gliedern, niemals aber zwischen toto genere [auf jede Art - wp] verschiedenen bestehen kann. Es wurde diese Analogie für BENEKE auch nur möglich, weil er die "Anlage" zu einem Zwitterding zwischen Bewußtsein und Unbewußtsein gemacht hatte, so daß eine Analogie nach beiden Seiten hin, nach dem Bewußten und Unbewußten, zulässig schien. Es gibt aber wohl alle möglichen Arten des Bewußtseins vom stärksten bis zum schwächsten, aber ein Mittelding zwischen Bewußtsein und Unbewußtsein ist ein Unding und undenkbar, wenn es etwas anderes bedeuten soll, als ein sehr schwaches Bewußtsein. Überhaupt kann beim Schluß aus einem Bewußtsein auf ein Unbewußtes letzterem das Sein nicht wie eine Eigenschaft zugeschrieben werden. Nur eine bestimmte Seinsart gibt eine Berechtigung auf den obersten Gattungsbegrif des Seins; dieser selbst kann nie Prädikat oder Eigenschaft sein, da er stets eine bestimmte Seinsart voraussetzt. Also auch das Unbewußte muß in einer Seinsart der Wahrnehmung, Vorstellung des Abstraktums erschlossen sein. Aber eine solche Seinsart kann nur in ihrem Unbewußtsein erschlossen, nicht unmittelbar erfaßt sein, d. h. sie besteht nicht vor ihrem Erschlossensein. Was nun eine erschlossene Vorstellung oder Abstraktion ist, ist ansich klar. Anders verhält es sich mit der erschlossenen Wahrnehmung; durch das bloße Erschließen wird das Erschlossene gewiß nicht wahrgenommen; das Erschließen kann also nur die Bedeutung haben, daß nach Analogie anderer bewußter Vorgänge im fraglichen Falle, eine analoge Wahrnehmung hätte eintreten müssen, wenn nicht ein anderer Faktor (Bewußtseinsinhalt) sie verhindert hätte. Wenn ich im Schlaf, ohne es zu wissen, einen Gegenstand vom Tisch werfe und nachher diese Reihe von Wahrnehmungen erschließe, so kann ich nur behaupten, daß: wären nicht gewisse noch im Bewußtsein gelegene Tatsachen (die Schlaf genannt werden) vorhergegangen und nachgefolgt, so hätten jene Wahrnehmungen, die nicht eingetreten sind, eintreten müssen. So kann das Unbewußte, als nur aus dem Bewußtsein erschließbar, keine anderen Seinsarten, als das Bewußte für sich in Anspruch nehmen. Wir haben also bisher gesehen, daß BENEKE, von der unbestimmbaren und daher auch undenkbaren Seinsart des Seins ansich ausgehend, dieselbe im Seelensein unmittelbar gegeben fand, aber nur um dasselbe sofort als Teilung in ein unbewußtes, ursächliches und bewußtes phänomenales Sein als Sein ansich illusorisch zu machen und sich außerdem noch in Widerspruch in Bezug auf das Verhältnis dieser beiden Seinsarten zu verwickeln, welche ihre Wirkung auch auf seine Auffassung des Außenseins nicht verleugnen können, wie wir im Folgenden sehen werden.
LITERATUR - Richard Schubert-Soldern, Über den Begriff des Seins [mit besonderer Berücksichtigung Benekes], Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 6, Leipzig 1882
    Anmerkungen
    1) FRIEDRICH EDUARD BENEKE, Metaphysik und Religionsphilosophie, Berlin 1840, Seite 65f; Seele und Leib, Göttingen 1826, Seite 37f
    2) BENEKE, Seele und Leib, Seite 11f
    3) BENEKE, Metaphysik, Seite 71
    4) BENEKE, Seele und Leib, Seite 41
    5) BENEKE, Metaphysik, Seite 181
    6) BENEKE, Metaphysik, Seite 181
    7) BENEKE, Metaphysik, Seite 312
    8) BENEKE, Metaphysik, Seite 181
    9) BENEKE, Lehrbuch der Psychologie, Seite 41, § 57
    10) BENEKE, Lehrbuch der Psychologie, Seite 65, § 87


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