J. CohnB. KernL. KühnP. Stern | |||
Friedrich Heinrich Jacobi [5/5]
Dritter Abschnitt Die Lehre vom Schönen Eine einigermaßen systematische, ja auch nur über die gelegentliche Bemerkung, über den bloß vergleichenden Hinweis hinausreichende Lehre vom Schönen findet sich nicht bei JACOBI. Auf den ersten Blick möchte das denjenigen wundernehmen, der an die zeitweilg wenigstens doppelt gerichtete Interessenenergie JACOBIs sich erinnert und es für selbstverständlich hält, beim philosophierenden Dichter auch Aufschlüsse über das Wesen seiner Kunst anzutreffen. Das Verhältnis dieser Persönlichkeit kann aber nur gewinnen, wenn der innere Grund deutlich wird, warum der Philosoph JACOBI kein Bedürfnis hatte, den Künstler, der er selber bis zu einem gewissen Grad war, und dessen Kunst ausdrücklich sich zum Problem zu machen. Man kann ganz allgemein sagen: Zum Beruf des Kunstphilosophen kann zweierlei die Voraussetzung sein. Einmal das unterschiedslose, eigentlich systematische Interesse des objektiven Forschers an der Totalität der wissenschaftlichen Einsicht. Für einen solchen Forscher ist das weite und beziehungsreiche Tatsachengebiet der Kunst und der Kunsturteile unausschließbar aus dem Zusammenhang seiner erkenntnistheoretischen Probleme. Außerdem aber neigt zum Beruf des Ästhetikers der Künstler, dessen logisches Bewußtsein und Bedürfnis gleichzeitig stark genug ist, um sich aus dem Lebensinteresse heraus, das ihn mit seiner Kunst verbindet, Klarheit über die Natur der Kunsttatsachen erarbeiten zu wollen. Für ihn wird geradezu jene Menschheitsfrage nach dem Sinn des Daseins zur Frage nach dem Sinn der Kunst, von der er seine Daseinsberechtigung herleiten möchte. Der systematische Denker und der grübelnde Künstler sind auf solche Weise die eigentlichen Kunsttheoretiker, und in ihrer Ergänzung, auf ihrem Ausgleich beruth der Fortschritt der Kunstphilosophie. Keines von beiden war JACOBI. Sowohl zum leidenschaftslosen, allgerechten Forscher, wie zum reinen Künstler war er verdoren; und nicht darum, weil er als Philosoph zu leidenschaftlich und als Künstler zu reflektiert gewesen wäre, sondern darum, weil sein stärkstes Lebensinteresse weder in der Richtung der nüchternen und abstrakten Forschung, noch auch in der des künstlerischen Sichauslebens lag. JACOBIs Lebenszentrum ruhte in seinen moralischen Interessen, oder, um sogleich auf den bewegenden Mittelpunkt dieses Interesses zu zielen: in seinem religiösen Bedürfnis. Ein bloßes Gefühlsbedürfnis, wie es das der Religion in den jüngeren Jahren eines ideenliebenden Mannes zu sein pflegt, verschwistert sich gern mit einer gewissen lyrischen und wohl auch epischen Schwärmerei; und wo diesem Umstand zufällig einige Begabung der Phantasie, der Rede und der Gestaltung begegnet, da läßt sich unschwer begreifen, daß jede aus solchen Gefühlen erwachsene, innere Spannung des Gemüts sich in Gedichten, in lyrischen Selbstbekenntnissen, oder in epischen Schilderungen entlädt. Von dieser Art, halb confessions [Bekenntnisse - wp], halb beschaulich-lehrhafte Darstellungen, sind die beiden Romane JACOBIs. Von dieser Art sind auch späterhin noch alle diejenigen Stellen in seinen Schriften, wo das Gefühl und das Gemütspathos des Schriftstellers über den Beweisgang und die logische Evidenz der Urteile den Sieg davonträgt und die philosophische Deduktion in einen frei improvisierten, nicht selten registergewaltigen und sprachprächtigen Dithyrambus [Versform - wp] ausklingt. Denn JACOBI ist in seinem Temperament zeitlebens ein Jüngling geblieben. Aber die Kunst, die bei seiner ersten Berühung mit GOETHE in ihm wie ein ursprünglicher Quell aufzusprudeln schien, vermochte doch viel zu wenig über den von einem Erkenntnisdrang und religiösen Zweifeln unablässig bewegten Geist des jungen Pietisten, als daß ihr Problem in ihm mehr, als nebensächliche Bedeutung hätte erlangen mögen. Weder sein Lebens- noch sein Erkenntnistrieb bedurfte ihrer als Zweck. Als Mittel allein, und wegen der zufälligen Beziehung eines natürlichen Talents der Rede zu ihr, konnte ihm die Kunst und ihre kosmische Weltansicht nützlich sein und gelegentlich als bequemes Beispiel für eine Sache dienen, für die ein Beweis aus Begriffen unbequemer und der Aufwallung seines Gemüts zu langwierig gewesen wäre. Wo daher JACOBI über Kunst und Kunstwert redet, da handelt es sich der Natur der Sache nach für ihn meist um bloße Exemplifikation [Verbeispielung - wp] theoretischer und ethischer Denkresultate, um ausdrückliche Parerga [Zusätze - wp] zur Erkenntnis-, Sitten- oder Religionslehre. Das Wahre, Gute und Schöne führt JACOBI als ererbtes Schlagwort seines aufgeklärten Jahrhunderts im Mund. Und da es nicht gut angeht, im Schlagwort zwar die drei Begriffe gleichberechtigt nebeneinander zu nennen, in der Praxis aber beständig nur von den beiden ersten zu handeln, so ist es in den Schriften JACOBIs nicht selten wie ein plötzliches Sichererinnern an die Pflicht der vollkommenen Repräsentation, wenn an irgendeinem passenden Gedankenende der Kunst und der Idee der Schönheit Erwähnung geschieht. "Was die Vernunft wahrhaft ist: das Vermögen der Voraussetzung des ansich Wahren, Guten und Schönen", (204) das ist für JACOBI die natürliche Basis seiner ästhetischen Ansicht. An einer anderen Stelle verrät JACOBI durch die Reihenfolge, in der er die Begriffe anordnet, notorisch die Wertordnung, in der sie für ihn stehen:
Im Großen und Ganzen und in vielen Einzelheiten ordnen sich JACOBIs ästhetische Ansichten durchaus dem unter, was KANT in der Kritik der Urteilskraft gelehrt hat. Von der Annahme dieser Lehre hält JACOBI auch nicht die Überzeugung zurück, daß das "Vermögen des Schönen" sich durchaus in nichts vom Vermögen des Wahren oder Guten unterscheidet, dem Wesen nach, während KANT doch unzweideutig das irrationale Bedürfnis des ästhetischen Gefühls aus der Reihe der objektiven Vernunfttatsachen auszusondern sich bemühte. Im Gegenteil. JACOBI benutzt die Gelegenheit mit der ihm eigentümlichen Anpassungskraft zu einer Verschmelzung seiner Auffassung mit der KANTs, gegen die der kritische Philosoph freilich mancherlei einzuwenden hätte. (206) JACOBI aber erklärt:
Da ist nun freilich KANTs "Kritik der Urteilskraft" auf den Kopf gestellt; aber doch: nur dies, wie immer bei JACOBI; und es bleibt der Schein einer weitgehenden Übereinstimmung bestehen, und mehr als das, weil an der inneren Ordnung, der gegenseitigen Beziehung der Teile, nichts geändert wird und in vieler Hinsicht daher im Einzelnen Geist und Geschmacksrichtung der ästhetischen Anschauungen übereinstimmt. In seiner einzigen, dem Kunstproblem, oder eigentlich sehr viel eingeschränkter, der Poesie gewidmeten Abhandlung: "Alexis und vom goldenen Zeitalter" (208), hat JACOBI ausführlicher zu erklären unternommen, wie er sich das Zustandekommen eines objektiv schönen Gegenstandes aus dem Zusammenwirken der Ideen denkt. Um aber dies wiederzugeben, dazu ist die Voraussetzung, zu erläutern, in welchem Sinn JACOBI das Wort Idee genommen zu wissen wünscht. Im allgemeinen und kurz läßt sich sagen: er gebraucht das Wort im Sinn einer überlieferten Platon-Auslegung. Die Ideen sind "die treuen Abdrücke der wirklichen Dinge", oder wohl richtiger ausgedrückt, die Ideen sind die Urbilder der Dinge, die, auf eine im letzten Grund wunderbare Weise in unserem Geist erzeugt, für unser empirisch-psychologisches Erleben erst aus Anlaß der wirklichen Dinge im Bewußtsein auftauchen und so als Wirkungen, als Abdrücke erscheinen, während sie in Wahrheit die Ursachen unserer Fähigkeit zur sinnlichen und geistigen Wahrnehmung überhaupt sind. Ideen in diesem allgemeinen und keineswegs kritisch sehr klar gestellten Sinn sind so gleicherweise die Konstitutiven für die Sinnenwelt, insofern sie für uns da ist, wie auch für die Welt der Erkenntnis, der Wahrheit und der sittlich-religiösen Gesetzgebung. Eben deshalb gibt es Ideen nicht nur von wirklichen, sondern auch von möglichen Dingen, das heißt von solchen Dingen, die nicht als die erfahrungs- und tatsachenmäßigen Verursacher der Ideen-Erinnerung (ganz platonisch) angesprochen werden können.
Diese möglichst genaue "Annäherung von Ideen im Kopf" ist nicht bewirkt durch die Gesetze der bloßen Assoziation, ist also wenigstens keineswegs empirisch-psychologisch gemeint; vielmehr wirft JACOBI sogleich die Frage auf:
Dies ist das erste. Bemerkenswert ist sodann bei dieser Erklärung des Kunstphänomens der Umstand, daß JACOBI dem Verstand die ganze, ausführende Arbeit nach der Konzeption der "schönen Idee" (als eben der Summe aus jener Annäherung vieler Ideen) sowohl im produktiven Verfahren des Künstlers, wie im reproduktiven Verhalten des Kunst genießenden Beschauers zuschiebt. In diesem nicht unwesentlichen Moment einer gewissen Nüchternheit der Beurteilung ästhetischer Prozesse unterscheidet sich JACOBI einmal vorteilhaft von der vollkommenen Gefühlsschwärmerei der vorkantischen Schönheitslehre (soweit sie nicht die Nützlichkeit zum Prinzip erwählt hatte), wie auch vom genialen Unwesen der nachfichteschen, ästhetischen Romantik. Das Geltenlassen der funktionellen Gesetze des gesamten Erfahrungs- und Begriffsvermögens auch im Bereich der scheinbar ausschließlichen Gefühlswelt des Schönen zeigt den Denker JACOBI auch hier zumindest ebenso kritisch hoch über dem Durchschnitt seiner philosophischen Zeitgenossen, wie ihn die metaphysische Verschwommenheit seines ästhetischen Grundprinzips hinter KANT zurückbleiben läßt. Wie in vielen Fällen, so darf auch hier der Abstand an kritischem Vermögen, der ihn von KANT trennt, nicht vergessen machen, daß er trotz alledem vor fast allen andern KANT am nächsten steht. Wie im Guten so im Schlimmen. Denn dies ist das Dritte: JACOBI teilt mit KANT, als ein Sohn der gleichen Zeit, Kultur und Erziehung, die im tiefsten Grund eine durchaus unkünstlerische und kunstmißverständliche Bevorzugung und ernst gemeinte Rangordnung einer höchsten, gegenüber der übrigen Reihe untergeordneter Künste. Die heillose Kunstvergessenheit der Aufklärungsepoche liebte nicht die Schönheit, sondern vielmehr die Wahrheit. Und die Wahrheit fühlt sich zwischen Pinsel, Meißel und Musikschlüsseln doch schließlich niemals so wohl, wie unter dem sprachlichen Ausdruck und Begriff. Darum ist es für JACOBI, wie für KANT und alle ähnlichen Geister dieser Zeit, eine ausgemachte und triumphierende Sache,
Die Gottheit, die nach JACOBIs Überzeugung beim Zustandekommen der schönen Idee "die Hand im Spiel hat", ist in der Tat Appolon, der Delphier, nicht Dionysos; Apollon, der die Flöte von sich wirft, weil sie ihm das Antlitz verunstaltet, oder vielmehr weil sie ihn an der weissagenden Rede, an der Offenbarung der Erkenntnis und der Wahrheit verhindert. Der offenbarende Lehrgesang über Gott und sein Wesen wäre höchste Kunst und höchste Wissenschaft zugleich; am Ende auch die höchse sittliche Tat: im Meer der Religion gehen alle die getrennten Ströme menschlier Vernunftoffenbarung unter. Der Klassiker einer solchen Poesie war doch KLOPSTOCK, - nicht GOETHE. KANT war gewiß kein Künstler; JACOBI war weder ein Künstler, noch ein unbeirrbar kritischer Kopf. Wo er Gott gewinnen konnte, da gab er die Kunst ebenso unbedenklich, wie die Mühe kritischer Wahrheitsordnung preis. Trotzdem rückt ihn ein angeborener Instinkt für das Künstlerisch-Wirkliche, ein Tropen echten Künstlerbluts und ein Bruchteil vom Realismus GOETHEs diesem im echten Verständnis für die Kunstaufgaben fast näher als SCHILLER, den die doppelte Gefahr des eigenen Intellektualismus und des KANT-Studiums bedrohte. Und wenn ihn auch hier mit HAMANN die Schätzung des Wortes, als Ausdrucksmittel religiöser Offenbarung zu einer gefährlichen Einseitigkeit fortriß, so steckte doch zuviel Humanismus, allgemeines Bildungsinteresse und HERDERscher Sinn für "die Stimmen der Völker" unausrottbar in ihm, als daß er am Ende, wie jener, die Bibel als das einzige Kunst- und Weisheitswerk zu nehmen sich hätte entschließen und wünschen können, daß neben diesem Buch alles sonstige Menschenwerk und Kunstwollen, als eitel Allotria [Albernheit - wp], beiseitegestellt werden möge. Zuletzt ist JACOBIs Bemerkung, "daß die Philosophie der Poesie viel zu verdanken hat" (214) auch in diesem Zusammenhang eine, wie Schlaglicht wirkende, Bestätigung für die Tatsache, die wir schon öfter zu beobachten Gelegenheit hatten; nämlich für die Meinung JACOBIs, daß das Zusammenwirken aller unserer Vernunfttätigkeit fließend ist und daß wir ebensowenig imstande sind, einen Gedanken zu fassen und Gedanken zu Urteilen und zu Schlüssen zu verknüpfen, ohne elementaren Beistand des künstlerischen Vermögens; wie auch umgekehrt kein schönes Bild in Worten oder Werken zustandekommen könnte, ohne die verständige Arbeit des Begriffsvermögens und aller theoretischer und willensmäßiger Funktionen: Alle künstlerischen Anschauungen sind blind, ohne Begriffe. Aber auch die Begriffe sind leer ohne eine künstlerische Anschauung. Bedeutsam erweitert sich KANTs Erklärung in solcher Näher jacobischer Gedanken; und es deuten sich Probleme an, die JACOBI keineswegs gelöst, die er jedoch vielleicht dringender erlebt hat als KANT, und von denen er die Überzeugung besaß, daß sie durch die drei Kritiken nicht erledigt waren. Und noch eins weiter: Alle Formen menschlicher Vernunftwirkungen können sich gegenseitig zum Objekt werden. "Alles ist Gegenstand der Philosophie" (215), sagt JACOBI; und er sagt es in einem Atem mit den Worten vom Sonnenaufgang der Poesie und der klingenden Memnonsäule der Wissenschaft. Erkennen und Handeln, Wissenschaft und Tugend sind, wenn man sie nur unter einer bestimmten Wirkungsweise der Vernunft anschauen und erzeugt denken will, Formungen eines allumfassenden Kunstwillens, der sich am deutlichsten immer wieder in dem Umstand verrät, daß er das begriffsmäßige Regel- und Grammatikwesen nicht dulden mag. Alle großen Taten der Menschheit, all die tafelzerbrechenden Lebenswirkungen der Heroen sind "solche Lizenzen hoher Poesie". (216)
Alle echten Genies sind, in irgendeinem Sinn, immer Asketen oder Selbstüberwinder gewesen. Umgekehrt erkennt man am nüchternen Kopf, den weder der Enthusiasmus der Wahrheit, noch der Tugend oder der Schönheit zu ergreifen vermag, deutlich den Mangel jeglichen Genies, und damit, im Hinblick auf den Philosophen, jenen bezeichnenden Mangel jeder systembildenden Kraft, welcher das Wesen inferiorer [untergeordneter - wp] Denker negativ charakterisiert. Für JACOBI war der Typus dieser Art von Philosophen zu seiner Zeit MOSES MENDELSSOHN und danach versteht sich erst durchaus die Charakteristik, die er von diesem seinem literarischen Gegner gibt:
Ursprünglich, wie alle Vernunftäußerung, ursprünglich daher, wie Wahrheit und Tugendsinn, ist auch die Schönheit. Ebenso wie die gute Tat nur gemacht wird durch einen guten Mann, so wird auch "das Gefühl des Schönen unmittelbar aus dem Schönen geschöpft", und "ein Mann von Geschmack ist der, welcher das Schöne unmittelbar empfindet." (221) "Das Schöne hat mit allem Ursprünglichen das gemein, daß es ohne Merkmal erkannt wird. Es ist und zeigt sich; es kann gewiesen, aber nicht bewiesen werden." (222) Aus Sätzen von so allgemeiner Bedeutung und solcher, bloß beiläufiger, geistreich hingeworfener Aphoristik ließe sich trotzdem kaum ein klares Bild von JACOBIs sachlicher Meinung zusammenstellen, wenn nicht auch hier der Umstand zu Hilfe käme, der, an manchen anderen Orten übel empfunden, an dieser Stelle doppelt willkommen scheint: der Umstand nämlich, daß JACOBIs Gedankenlinien sich eng um ihren gemeinsamen Mittelpunkt anordnen, und daß dieser Mittelpunkt, der alle Linien auf das Innigste untereinander in Beziehung setzt, genau bekannt und von allen Seiten her erörtert ist. Hält man vor Augen, daß die Vernunft die einzige Vermittlerin des absolut Gewissen und Wirklichen im Bewußtsein und der Instinkt dasselbe im Wurzelgefühl alles Bewußten, im Daseinsgefühl ist, und ferner, daß weder Vernunft noch Instinkt anders, als im vernünftigen Individuum gemeinsam in Wirkung zu treten vermögen, so erklärt sich auch der scheinbare Widerspruch, der sich in JACOBIs Andeutungen einer objektiven Lehre vom Schönen anzukündigen scheint. Denn die für das Schicksal der neueren Ästhetik entscheidende Frage, ob das Schöne als eine objektive, substanzielle, und damit irgendwie metaphysisch zu begründende Eigenschaft der Dinge, oder ob es eine bloß subjektive Form der Beurteilung, ein psychologisch, oder sonstwie zu erklärendes, subjektives Moment des Geschmacks sei, diese von KANT zugunsten der Subjektivität aller Geschmacksurteile entschiedene Frage scheint durch JACOBI aufs Neue der engegengesetzten Lösung zuzudrängen. Denn ein Gefühl des Schönen, das aus dem Schönen schöpfen muß, scheint gegenüber einer dinghaften Objektivität des Schönen von nur sekundärer Qualität. Diese Auslegung beruth jedoch auf einem Irrtum. In Wahrheit fühlt sich JACOBI mit KANT auch in dieser Sache in Übereinstimmung. Denn zunächst zumindest liegt die Betonung auf dem Charakter der Ursprünglichkeit und der Unbeweisbarkeit des Schönen. Ein objektiv Schönes im Sinne eines tatsächlich und dinghaft Erfahrbaren müßte beweisbar sein, wie jede andere, quantitative oder qualitative Eigenschaft der Dinge. Und von der anderen Seite her versteht JACOBI unter dem Ursprünglichen niemals und nirgends etwas anderes, als jene Quelle alles Erfahrbaren selber, jene triebartige Elementarform allen Lebens, die, wo immer sie auch in Erscheinung tritt, durch den Prozeß der Individuation Leben bildend und Einzelwesen formend sich verkündet. Dieser ursprüngliche Lebenstrieb aber ist schlechterdings gebunden an die individuierten Erscheinungen der Subjekte; und deswegen kann eine ursprüngliche Schönheit niemals irgendwo anders angetroffen werden, als im subjektiven Bewußtsein, in den Geschmacksideen vernünftiger Subjekte. (223) Nun hat es sich aber erst vor kurzem erwiesen, daß der Zusammenschluß jener Ideen, die durch den Charakter ihrer inneren Beziehungen das Schöne konstituieren, allein erwirkt werden kann durch "die unbekannte Kraft des Enthusiasmus", die auch den HOMER singen lehrte. Wohl also ist alle Schönheit allein im Urteil der vernünftigen Subjekte; aber die vernünftigen Subjekte sind alle beschlossen in der Wirkung jenes ersten, elementaren und absoluten Urtriebs, der hier die unbekannte Kraft, anderswo der göttliche Instinkt und zuletzt immer irgendwie so genannt wird, daß seine Bezeichnung in die Perspektive einer spekulativen Religionsphilosophie hinausläuft. Die Gottheit, deren offenbarende Gewißheitsvermittlerin für JACOBI die Vernunft ist, ist am Ende auch die Veranlassung des Urphänomens der Schönheit, wohl subjektiv erfaßt und nur im subjektiven Geschmacksurteil formulierbar, aber doch objektiv vorausgesetzt, wie alles "ursprüngliche Leben". "Wie ein Gesicht schön wird dadurch, daß es Seele, so die Welt dadurch, daß sie einen Gott durchscheinen läßt." (224); so faßt JACOBI den Sinn seiner Meinung in einem schönen Vergleich zusammen. In gewisser Hinsicht möchte man also JACOBI mit Recht auch in diesem Punkt seiner Lehre als den Vermittler zwischen zwei Zeitaltern, zwischen einer untergehenden, realistischen Metaphysik und einer kritischen, wahrhaft anthropozentrischen Problemstellung ansehen. Übrigens verharrt JACOBI nun in der Konsequenz dieser zuletzt erwähnten Gedanken. Die Schönheit ist, wie Wahrheit und Güte, die Offenbarung einer göttlichen Liebe, von den Menschen aufgefaßt in Ahnung und Glauben. "Wir können nichts Schönes wahrnehmen, ohne daß der Gedanke zumindest dunkel in uns entsteht: Liebe hat es geschaffen und Wohlwollen. Schönheit und blindes Ungefähr widersprechen sich." (225) Und diese Liebe hat in jeder Art ihrer Äußerung erzieherischen Wert. Freilich nicht im Sinne einer Erziehung zu künstlerischer Kultur. Eine Kunst um ihrer selbst willen gibt es für JACOBI nicht. Sondern jene Liebe, sofern sie sich in Schönheit kundtut, ist auch dann
Unter diesem Gesichtspunkt unterscheidet sich auch in der Kunst das göttliche vom menschlichen Werk, das Naturschöne im weitesten Sinn des Wortes, vom Kunstschönen. Denn während die Natur und das Schöne aus göttlicher Bildung erscheint, wie die kosmische Repräsentation einer ursprünglichen, großartig- einfachen Uride in höchster, einmaliger und unwiederholbarer, in göttlich-persönlicher Ausprägung,
Im menschlichen Künstler ist niemals, wie in der gottdurchleuchteten Natur, Form und Stoff, Kunstwille und Dingschöpfung in Eins gegossen. Es fehlt dem Menschen an einem schöpferischen Vermögen, das durchaus konstitutiv, nicht diskursiv wäre. Im Menschen ist nur ein Nacheinander der Ideen und ihre Ineinsschauung bedarf schon der "unbekannten Kraft". Immerhin, diese Kraft wirkt sich im Künstler aus; und insofern ist in ihm zumindest auf Augenblicke die Kraft der Form, die es vermag, die disjecta membra [versprengten Glieder - wp] des Bloß-Stofflichen aus dem Formlosen zur Gestalt zu zwingen; wobei allerdings der Stoff als solcher gegeben sein muß. Eine Schöpfung im menschlichen Sinn also beschränkt sich von vornherein auf die Herausführung des bedeutungsentlegenen Stofflichen zum Bedeutenden der Gestalt durch die Vermittlung der Formidee.
Das sittliche Genie und das poetische berühren sich. Einen Augenblick schillern auch hier wieder JACOBIs Äußerungen in romantischem Glanz. Aber unter Berufung auf die gleichen Gründe der Ablehnung, die auf sittlichem Gebiet das ironische Genie vom frommen scharf unterscheidet, setzt auch hier JACOBI eine deutliche Grenze fest zwischen sich und denen, die die Gedanken der neuen Zeit verwirren und mißdeuten:
Das Gefühl des Erhabenen ist so allerdings die nächste und offenkundigste Brücke vom Genuß des Schönen zum Genuß der Gottheit, denn es verknüpft gewissermaßen die ästhetische Empfänglichkeit der menschlichen Natur, auf dem Gipfel ihrer Erziehung zur Vollkommenheit des Lebensgefühls, mit der religiösen. Der Übergang von der Kunstlehre zur Religionslehre ist gemacht. Da aber einleuchtet, daß im Gefühl des Erhabenen die Gottheit selber an unsere Sinne pocht, und da vom Wesen des Göttlichen vor allem der Charakter der sittlichen Vollendung und Zwecksetzung unablöslich ist, so fließen an diesem Punkt die Qualitäten der Schönheit, Güte und Wahrheit in Eins zusammen mit der Wirkung der Gefühlserzeugung des Erhabenen im vernünftigen Individuum. "Sine bonitate nulla majestas" [Wo keine wahre Erhabenheit ist, gibt es keine Majestät. - wp], (236) das ist der höchste, erkenntnismäßige Inhalt dieses Gefüls. In unmittelbarer Reflexion dieses Gefühls, gegenüber der höchsten Vorstellung von persönlicher Wirklichkeit, auf das menschliche Individuum erwächst aber auch die Forderung an das Wesen der vernünftigen Person im Menschen: Ein allweiser, allgütiger und in Schönheit wirkender Gott verlangt diesen dreifachen Ausdruck seines Wesens auch von den sterblichen Naturen, die nach seinem Bild geschaffen, und seiner Vollkommenheit zuzustreben ausersehen sind. Daher muß sich dem nach Wahrheit und Sittlichkeit ringenden Menschen notwendig das Gebot aufdrängen, in all seinem Denken, Fühlen und Wollen als sittliche Persönlichkeit gleichzeitig auch schöne Persönlichkeit zu sein; den harmonischen Ausgleich aller Triebe und Wirkungen als den Grundton seiner gebildeten Natur festzuhalten und zu verstärken. Auf dem Übergang vom Schönen zum Heiligen steht neben dem Gefühlsphänomen des Erhabenen die Forderung der schönen Seele. Nirgends findet sich bei JACOBI eine direkte Bezugnahme auf SCHILLER und dessen "ästhetische Erziehung". Aber der Sache nach ist an keiner anderen Stelle im System der jacobischen Philosophie eine solche verwandtschaftliche Nähe ihrer Gedanken gegenüber denen des deutschen Klassizismus zu bemerken, als hier. Und diese Übereinstimmung erstreckt sich - was übrigens ja nicht überraschen kann - bis auf die Gemeinsamkeit des klassischen Ideals. Auch für JACOBI ist es ein Genuß, den hohen Sinn der Alten zu preisen, "daß bei ihnen Gutes und Schönes unzertrennlich, in einem Gefühl, Begriff und Wort verknüpft gewesen" ist. - "Wir nennen eine Seele schön und schöner, wenn sie leicht und leichter durch ihre Hülle dringt, überall Seele offenbar macht." (237) Aus diesem Standpunkt fließt, was an hundert Stellen der jacobischen Schriften in wechselnder Sprache und mit wechselnden Absichten über das Wirken der Person, vor allem der praktisch-sittlichen, geurteilt wird (238), und überall aufs Genaueste mit SCHILLERs Denkungsart übereinstimmt, auch im Hinblick auf die gemeinsame Polemik gegen KANT im Punkt des ethischen Rigorismus. Doch davon war früher an seinem Ort die Rede. (239) Zuletzt ist eben weder die theoretische, noch die sittlich-ästhetische Seite in der menschlichen Vernunftperson die am meisten betonte oder zu betonende; sondern diese Eigenschaften alle müssen, je gründlicher, desto besser, zu leichten und immer leichteren Äußerungsformen der Grundnatur alles Vernünftigen werden, das heißt der Religion. Die Schönheit der Natur und die Schönheit der Seele treffen im Grunde in ihrer innersten Natur, darin zusammen, daß sie einen Gott durchscheinen lassen. Und wieder ist es ein Wort des mystischen Poeten, das diesen Übergang von der Schönheit zur Heiligkeit, auch im Sinne JACOBIs, am besten zum Ausdruck bringt: Die Gottes Strahl durchleucht in ihres Leibes Höhle. LITERATUR: Friedrich Alfred Schmid-Noerr, Friedrich Heinrich Jacobi, Heidelberg 1908
204) Werke II, Seite 10f 205) Werke III, Seite 318 206) Vgl. u. a. die Kantbriefe der Königlich Preußischen Akademie, Bd. X (I der Briefe), Kant an Marcus Herz vom April 1786, Seite 419. 207) Werke II, Seite 61f 208) Werke VI, Seite 463f 209) Werke VI, Seite 522 210) vgl. dazu Werke VI, Seite 520-524 211) Werke VI, Seite 526 212) Werke VI, Seite 523 213) Werke VI, Seite 524 214) Werke VI, Seite 528 215) Werke VI, Seite 528 216) vgl. Werke V, Seite 111 217) Werke V, Seite 123 218) Werke VI, Seite 157 219) Werke VI, Seite 157 220) siehe Werke IV, Abteilung II, Seite 211 221) vgl. Werke VI, Seite 162 222) Werke VI, Seite 162. Vgl. dazu Werke III, Seite 317: "Wie das Schöne im reinen Gefühl der von ihm eingeflößten Bewunderung und Liebe ohne Merkmale erkannt wird: Das Schöne unmittelbar nur an seiner Schönheit; so - im reinen Gefühl der Achtung, der Hochachtung und Ehrfurcht das Gute unmittelbar nur am Guten. Beide aber: das Gute und Schöne, setzen das Wahre voraus ..." usw. 223) Vgl. dazu u. a. Werke II, Seite 253: "Die Form, welche ihre (der Kunstwerke) Einheit ausmacht, wohnt in der Seele des Künstlers, der sie erfand, oder des Kenners, der sie beurteilt, nicht in ihr selbst. In ihr selbst ist sie ohne wesentlichen Zusammenhang, wie der roheste Klumpen." Schärfer läßt sich der kantische Standpunkt kaum formulieren. 224) Werke VI, Seite 153 225) Werke VI, Seite 93 226) Werke VI, Seite 93 227) Werke II, Seite 210 228) Werke VI, Seite 160 229) vgl. Werke II, Seite 520 230) den 19. Februar 1808; vgl. Briefwechsel, Bd. II, Seite 406 231) vgl. Briefwechsel, Bd. I, Seite 232f 232) vgl. den oben erwähnten Brief 233) Werke VI, Seite 221f 234) Vgl. den Brief an Kobell 235) JACOBI an LAVATER, Briefwechsel, Bd. I, Seite 339 236) Vgl. Briefwechsel, Bd. III, Seite 402 237) Werke V, Seite 419 238) vgl. u. a. Werke V, Seite 87, 100, 182, 193 239) Auch von der notwendigen Einschränkung, die im Hinblick auf diesen Punkt der Übereinstimmung mit SCHILLER gemacht werden muß. Man mag sich jedoch immerhin gegenwärtig halten, daß, bei aller Kompliziertheit der verschiedenen Persönlichkeiten, doch bei beiden das künstlerische Interesse das zeitweilig stärker betonte (bei SCHILLER überhaupt das stärkere), das ethische Interesse aber das eigentlich und durchgehends grundbetonte war, woraus sich auch die Modifikation im beiderseitigen Verhalten KANT gegenüber erläutert. |