C. u. W. SternE. MeumannH. PaulE. MartinakH. Schmitt | ||||
Wortbildung und Wortbedeutung
I. Benennung der Gegenstände (1) 1. Die Gegenstände werden nach einem einzelnen Merkmal benannt. Formulierung dieser Tatsache von Wundt. So ist z. B. ein Tischler ein Mann, der nicht nur Tische, sondern auch noch viele andere Geräte und überhaupt Holzgegenstände verfertigt, und andererseits haben noch viele andere Vorstellungen dauernd oder vorübergehend irgendetwas mit einem Tisch zu tun. Ein Weißling bezeichnet einen Fisch, der weiß aussieht; aber derselbe besitzt auch noch andere Merkmale, und umgekehrt kommt die Eigenschaft der weißen Farbe noch vielen anderen Vorstellungen zu. Eine Stiege als Vorstellung besteht nicht nur aus dem Merkmal des Steigens, wozu sie dient, sondern aus manchen anderen Bestandteilen, und andererseits spielt der Vorgang des Steigens noch bei anderen Vorstellungen eine Rolle.
Jede Benennung von Gegenständen pflegt nach einem einzelnen Merkmal zu geschehen. Da das Merkmal im psychologischen Sinne nie eine selbständige Vorstellung, sondern entweder irgendeinen Bestandteil einer Vorstellung oder ein allgemeines Verhältnis zwischen verschiedenen Vorstellungen bezeichnet, so besteht also das Wesen der Benennung in der Hervorhebung eines dem Gegenstand zukommenden Merkmals. Nun schließt dieser Vorgang die gleichzeitige Vergegenwärtigung anderer Elemente der gleichen Vorstellung natürlich nicht aus; im Gegenteil: dieselben sind notwendig mit eingeschlossen (sonst würde ja der Name nicht die betreffende Vorstellung in ihrer Totalität ausdrücken). Der obige Satz besagt also nur, daß unter allen Bestandteilen der Vorstellung eines Gegenstandes jeweils einem eine derart vorherrschende Bedeutung zukommt, daß er die Benennung bestimmt. Nun ist es von vornherein klar, daß diese Eigentümlichkeit der Benennung nicht in den Gegenständen, sondern nur im benennenden Subjekt ihren Grund haben kann. Und zwar beruth das auf zwei Eigenschaften des menschlichen Bewußtseins, auf der Einheit und auf der Enge der Apperzeption. Ob sich die apperzipierte Vorstellung aus vielen oder aus wenigen Bestandteilen zusammensetzt, ob sie einem einzigen Sinnesgebiet angehört oder eine Komplikation von Empfindungen verschiedener Sinne ist, das ist natürlich von den Objekten abhängig. Daß aber die Vorstellung des Gegenstandes überhaupt als ein einheitliches Ganzes aufgefaßt wird, und daß zugleich unter den verschiedenen Elementen derselben nur ein Teil deutlicher aufgefaßt wird, das hängt nur von den beiden erwähnten Eigenschaften der Apperzeption, ihrer Einheit und Enge, ab. Dem entspricht nun die Einheit und die Enge der Benennung, wie die oben gegebenen Beispiele und beliebige andere klar zeigen. Bezeichnet man den deutlicher apperzipierten Bestandteil als das dominierende Merkmal, so läßt sich demnach jede zusammengesetztere Gegenstandsvorstellung als ein Verschmelzungsprodukt mehrerer Komponenten betrachten, von denen eine dominiert und für die Apperzeption des Gegenstandes bestimmender ist als die anderen, die in ihrer Verschmelzung mit demselben die ganze Vorstellung des Gegenstandes bilden. Im Augenblick der Benennung verschmilzt also das Lautbild (der Name, Wort) mit dem dominierenden Element zu einer festen Komplikation, mit der alle übrigen konstanten und variablen Elemente der Vorstellung als relativ dunklere assoziiert werden. Bezeichnet man das Lautbild mit n, das dominierende Element mit δ, die konstanten Elemente mit A und die variablen mit X, so läßt sich demnach die Konstitution einer solchen Benennungskomplikation bei ihrem Entstehen durch die Formel n δ (A. X) darstellen, wobei die Klammer die in der Apperzeption relativ dunkleren, zurücktretenden Bestandteile andeutet. Hierbei ist noch wohl zu beachten, daß die Vorstellungen im allgemeinen fließende Gebilde sind, indem ihre Elemente durch die verschiedensten Assoziationen ununterbrochenen Verschiebungen ausgesetzt sind. Da sich nun in unmittelbarem Zusammenhang damit und im ganzen Zusammenhang des Bewußtseins die Aufmerksamkeit bald auf jene, bald auf andere Bestandteile der Vorstellung richtet, bzw sich richten kann, so können selbst die konstantesten Merkmale im Wechsel der Apperzeption gegen andere, die sich nur vorübergehend aus der ganzen Verbindung erheben, zurücktreten. Darauf beruth die Tatsache, daß der Gegenstand oft nach einem variablen, unwesentlichen Merkmal und in verschiedenen Zeiten und Orten nach verschiedenen Merkmalen benannt wird. psychologischen Formulierung Wundts. Das Gesetz der Zweigliedrigkeit. Mit der hiermit wiedergegebenen WUNDTschen Auseinandersetzung ist aber das Wesen der Benennung von Gegenständen noch nicht erschöpft. Sprachliche Tatsachen belehren uns nämlich ganz deutlich, daß bei einer Benennung nicht nur das dominierende Merkmal, sondern noch etwas anderes zum Ausdruck kommt. Denn das erstere ist ja doch nur im Grundelement des Wortes enthalten, und das Wort hat noch ein sogenanntes formatives Element. Und wir wissen, daß sich im allgemeinen jedes indogermanische Wort aus diesen beiden Elementen zusammensetzt, aus der sogenannten Wurzel und dem sogenannten Stammsuffix. (6) Besteht also eine Benennung aus zwei deutlich unterscheidbaren, wenn auch ein Ganzes bildenden Wortbestandteilen, so muß diesem formalsprachlichen Verhältnis ein analoges sinnsprachliches, das heißt psychisches, entsprechen. Und es entsteht demnach die Frage: entweder entspricht die Wurzel dem dominierenden Merkmal δ und das Stammsuffix den relativ dunkler apperzipierten sonstigen Bestandteilen der Vorstellung (dem Glied A. X der WUNDTschen Formel), oder aber die WUNDTsche Formel ist falsch. Sehen wir uns zunächst die oben gegebenen Beispiele Tischler, Weißling, Stiege näher an! Die betreffenden Vorstellungen wurden nach den momentan dominierenden Merkmalen (Tisch, weiß, steigen) benannt - das ist ja ganz klar. Wenn dem aber so ist, so müssen doch auch alle anderen Bestandteile dieser Vorstellungen irgendwie bezeichnet sein, und das kann natürlich nur in den Wortbestandteilen -ler, -ling, -e stattfinden. Denn ebenso wie erst die innige Verschmelzung dieser Suffixe mit den "Wurzeln" Tisch, weiß, stieg die betreffenden Wörter als bedeutungsvolle Gebilde konstituiert, ist auch die jeweilige Vorstellung in ihrer Totalität nur und erst durch die Verschmelzung des dominierenden Merkmals mit dem ganzen Rest gegeben. Damit wäre die oben aufgestellte Frage in dem Sinne beantwortet, daß das Grundelement des Wortes dem dominierenden Merkmal, das Suffixelement aber - worauf es hier eigentlich ankommt - dem ganzen, relativ dunkler apperzipierten Rest der Vorstellung entspricht. Aber man wendet sofort ein: dieser ganze Rest der Vorstellung, das heißt alle anderen Bestandteile außer dem momentan dominierenden sind doch, wenn auch relativ dunkler apperzipiert, irgendwie konkret und nicht eine bloße Beziehung; ein Suffix aber als solches hat keine konkrete Bedeutung. Also ist die WUNDTsche Formel auf das, was er Benennung eines Gegenstandes nennt, das heißt auf ein mit irgendeinem Suffix gebildetes Simplex (Substantiv) nicht anwendbar. Bedenkt man aber, daß Suffixe im allgemeinen ursprünglich selbständige Wörter gewesen sind (darüber mehr weiter unten) so eröffnet sich der Weg, auf dem wir den Tatsachen gerecht werden können. Vor allem konstatieren wir, daß die sprachliche Benennung eines Gegenstandes zwar einheitlich, aber zugleich zweigliedrig ist. Also ist die Gegenüberstellung des Symbols n dem Symbol δ (A. X) in der WUNDTschen Formel entschieden falsch: auch das Wort ist deutlich ein aus einem dominierenden Element und einem "dunkleren" Rest zusammengeschmolzenes Produkt. Zweitens konstatieren wir, daß die Suffixe rein abstrakte Bedeutung haben, die aber allerdings aus einer früheren konkreten sich entwickelt hat. Also ist die WUNDTsche Formel auch deswegen falsch, weil sie verschiedene Entwicklungsphasen, eine spätere sprachliche und eine frühere psychische gleichsetzt. Daraus folgt: Die sogenannte Wurzel (7) ist der sprachliche Ausdruck des dominierenden Elementes, das sogenannte Stammsuffix derjenige der sonstigen Bestandteile der Vorstellung in ihrer weiteren Entwicklung. Also ist jedes Simplex ein zweigliedriges Ganzes. Die eigentliche psychisch-sprachliche Bedeutung dieses Gesetzes der Zweigliedrigkeit wird sich im weiteren Verlauf der Untersuchung ergeben.
Diese Nichtbeachtung der Zweigliedrigkeit jeder einfachen Benennung ist in ihren weiteren Konsequenzen verhängnisvoll geworden für die ganze Auffassung und Darstellung der Wort- und Satzbildung überhaupt, sowie für die Darlegung der Bedeutungsvorgänge aller sprachlichen Gebilde, indem trotz der tiefsinnigen Beleuchtung der sprachlichen Tatsachen im allgemeinen und im einzelnen denselben in der WUNDTschen Darstellung doch eigentlich der innere Zusammenhang abgeht. als Benennung Gegenstandes zum Kompositum. 1. Ein sogenanntes Simplex ist prinzipiell mit einem Kompositum identisch. Wenn wir z. B. das Polnische mit dem Deutschen vergleichen, so sehen wir, daß deutschen zusammengesetzten Substantiven im Polnischen regelmäßig einfach Simplicia entsprechen, daß demnach die Rolle, welche im Deutschen zweite Kompositionsglieder einnehmen, im Polnischen Stammsuffixe haben. Zum Beispiel: Neu-land: now-ina, Grün-kraut: zielen-ina, Wind-mühle: wiatr-ak; Schutz-mann (Wach-mann): straz-ak, Holz-hacker: drw-al, Brand-stätte: pogorzel-isko, Weiß-fisch: biat-ucha, und lassen sich dergleichen Entsprechungen zu Hunderten und Tausenden sowohl aus verschiedenen indogermanischen Sprachen, als auch aus verschiedenen Dialekten und Epochen derselben Sprache (wie z. B. Weißfisch neben Weißling) anführen. (8) Was bedeutet nun diese Tatsache? Ein gewisser Unterschied in der Apperzeption der betreffenden Objekte wird ja sicher dieser Verschiedenheit zugrunde liegen, und wir werden noch darauf zu sprechen kommen, aber andererseits dürfte es klar sein, daß es keinen prinzipiellen Unterschied in der Konstitution dieser Benennungen geben kann. Und den gibt es auch sicher nicht. Wenn wir die Tatsache mit der anderen, oben erörterten, daß nämlich die Stammsuffixe sprachliche Exponenten der nicht dominierenden (9) Bestandteile der Gegenstandsvorstellungen sind, kombinieren, so folgt daraus, daß die Stammsuffixe, da sie eben ursprünglich einmal eine konkrete Bedeutung gehabt haben müssen, nichts anderes sind als zweite Kompositionsglieder. Erhärtend tritt die von der indogermanischen Sprachwissenschaft nachgewiesene Tatsache, daß die etymologisch klaren, das heißt in ihrer Entwicklung verfolgbaren, Stammsuffixe ursprünglich selbständige Wörter gewesen sind. (10) Wir können also sagen und müssen es sogar: Ein mit einem sogenannten Stammsuffix gebildetes sogenanntes Simplex ist in seinem Bildungsprinzip mit einem sogenannten Kompositum absolut identisch. Der ganze Unterschied ist nur ein relativer, entwicklungsgeschichtlicher. Daraus folgt ferner, daß das erste, determinierende Kompositionsglied entwicklungsgeschichtlich mit der sogenannten Wurzel eines Simplex und das zweite, determinierte Glied mit dem sogenannten Stammsuffix identisch ist. Wenn wir nun damit die Konstitution der Vorstellung selbst im Augenblick der Benennung, wie sie von WUNDT klargelegt und kurz mit der Formel [n] δ (A. X) symbolisiert wurde, vergleichen, so ergibt sich daraus nicht nur, daß auch statt n ein zweigliedriges Symbol zu setzen ist - denn das haben wir schon oben konstatiert -, sondern, was wichtiger ist, folgendes: das psychologische Symbol δ (A. X) ist eigentlich weder einem Simplex noch einem Kompositum adäquat. Denn in einem sozusagen noch ganz lebensfrischen Kompositum werden beide Glieder allerdings suksessiv, aber gleich klar apperzipiert, wie das ihre sprachliche Beschaffenheit (z. B. Windmühle, Weißfisch) ganz deutlich zeigt, da sie eben beide nacheinander ausgesprochen werden. Also ist das erste Glied nur relativ dominierend, insofern es eben an erster Stelle steht und stärker betont ist. Und in einem suffixalen Simplex ist das zweite Glied schon derartig abgeblaßt, daß es nicht mehr in seiner ursprünglichen konkreten Bedeutung, sondern nur als Gattungs- oder Beziehungsexponent apperzipiert wird, sofern man dieses Glied noch als etwas relativ selbständiges auffaßt. (11) daraus folgt, daß der psychische Teil der WUNDTschen Formel ungefähr nur einer entwicklungsgeschichtlichen Zwischenstufe zwischen einem noch ganz deutlichen Kompositum und einem suffixalen Simplex entspricht. Vgl. unten IV, 4. Das Resultat vorstehender Erörterungen können wir so zusammenfassen: 1. Jede fertig gewordene Benennung eines Gegenstandes ist im Prinzip ein einheitliches, zweigliedriges Gebilde, dessen erstes Glied relativ dominierend ist, in dem aber sukzessiv auch das zweite Glied klar apperzipiert wird. 2. Jede durch ein suffixales Simplex ausgedrückte Benennung eines Gegenstandes ist ein in der Regel nicht nur einheitlich, sondern auch eingliedrig apperzipiertes Gebilde, dessen zweites Glied nur perzipiert wird, und wenn es sich gegebenenfalls zur Apperzeption erheben kann, so hat dasselbe doch keine konkrete Bedeutung. 3. An der Schaffung einer Benennung ist sowohl ein analytisches Gesetz der Zweigliedrigkeit wie ein synthetisches Einheitsgesetz tätig. Das erstere offenbart sich in der Zusammengesetztheit der Benennung aus zwei Gliedern, das zweite in ihrer Einheitlichkeit.
Der Satz, daß alle Stammsuffixe ursprünglich selbständige Wörter gewesen sind, oder anders ausgedrückt, daß jedes indogermanische Wort im Prinzip ein Kompositum ist, gilt natürlich nur cum grano salis [mit einer Brise Salz - wp] Und zwar: a) Die allermeisten suffixalen Nomina waren nie in der Sprache als Komposita vorhanden. Denn sobald aufgrund einer gewissen Anzahl von Zusammensetzungen, deren zweite Glieder nach und nach in ihrer ursprünglichen Bedeutung verdunkelt wurden, ein suffixaler Typus entstanden ist, wirkt er als Must vorbildlich, und es werden danach immer neue Bildungen geschaffen, in denen also die frühere Entwicklung des Typus nur sozusagen ideell steckt. Die ganze Tatsache der Suffixbildung und Suffixausbreitung beruth darauf, daß oft wiederholgte psychische Vorgänge mit der Zeit ganz automatisch verlaufen. b) sehr oft entstehen sekundärerweise neue Suffixtypen. Der gewöhnlichste Fall ist der, daß aufgrund einer Wurzel mehrmals nacheinander suffixale Benennungen geschaffen werden, wodurch oft neue einheitliche Suffixe entstehen, die eventuelle vorbildlich werden können. So wurde z. B. aufgrund von schreiben mit dem Suffix er ein Schreiber geschaffen, von diesem wieder eine neue suffixale Benennung Schreiberei; da das Wort aber ebensogut auf schreiben bezogen werden konnte, und es solche Fälle sehr viele gibt, so erwuchs ein neues Suffix -rei, das wir z. B. in Schweinerei sehen. So ist auch das -ler und -ling in Tischler und Weißling, Jüngling sekundäre entstanden aufgrund von Ableitungen mit -er und -ing von Stämmen mit l- Suffixen. Es kann auch vorkommen, daß eine ganze Anzahl von Nomina scheinbar dasselbe Suffix besitzt, was aber nur ein zufälliges Zusammentreffen ist. Beispielsweise scheinen die Wörter Junker, Adler, Acker, Vater, Kerker, Messer und viele andere mit dem gewöhnlichen Suffix -er (ahd. -ari) gebildet zu sein, während in Wirklichkeit es keins ist: Junker aus mhd. junc-herre = junger Herr, Adler aus adel-ar = Edelaar, Acker (got. akrs) aus urgerm. akraz = agros, Vater aus ältestem urgerm. faper = patep, Kerker aus lat. carcer, Messer aus ahd. mezziras, mezzi-rahs = Speiseschwert bzw. -messer. c) Wenn also auch jedes Suffix im allgemeinen ursprünglich ein selbständiges Wort gewesen ist, so muß man doch im Auge behalten, 1. daß sich dieser Satz nur auch nicht durch irgendwelche sekundäre Vorgänge neugebildete Suffixe bezieht und man in der Regel von keinem alten, etymologisch dunklen Suffix sagen kann, ob es ursprünglich ist; 2. daß sich dieser Satz, auch wenn es sich um ein nachweisbar klares Suffix handelt, nicht auf ein beliebiges damit gebildetes Wort bezieht, sondern nur auf die älteste Schicht, wobei man aber kaum je sicher sein kann, die wirklich ursprünglichen, vorbildlichen Fälle vor sich zu haben. Komposita zu den Wortgruppen Daß alle Komposita prinzipiell nichts anderes sind als eine innige Einung zweier Wortformen, die in derselben Gestalt auch außerhalb dieser Verbindung vorkommen, also kurz aus zwei wirklichen Wörtern, steht ganz fest. Wir können das Verhältnis wieder klar machen, indem wir uns an das Deutsche und Polnische wenden. Den deutschen Komposita, die mehr okkasionell gebildet werden, in der Regel aber auch vielen festen entsprechen im Polnischen Wortgruppen, in welchen anstelle des ersten Gliedes ein Adjektiv, Genitiv oder eine präpositionale Wendung erscheint, z. B. Wand-uhr: zegar scienny (Adj.), Baum-rinde : kora drzewa (G.) oder drzewna (Adj.), Trink-wasser : woda do picia (zum Trinken), Eck-haus : dom na rogu (an der Ecke) oder narozni (Adj.), Schlepp-kleid : suknia z ogonem (mit einer Schleppe) usw. ohne Ende, wobei man nicht nur verschiedene indogermanische Sprachen, sondern auch verschiedene Epochen und Dialekte derselben Sprache vergleichen kann; ja, sogar die Sprache eines Menschen reicht aus; denn es wird nicht nur Trinkwasser gesprochen, sondern auch Wasser zum Trinken, Kleid mit einer Schleppe neben Schleppkleid usw. Ferner sehen wir, daß viele feste Komposita im Deutschen sich auf den ersten Blick als eine syntaktische Gruppe zeigen: so alle Genitivkomposita wie Donnerstag, viele Adjektivkomposita wie z. B. Bösewicht, und dasselbe kommt überall vor. Und überhaupt stellen die indogermanischen Nominalkomposita (12) zwei Typen dar: a) ist das erste determinierende Glied eine (Nominal-)Form, die auch außerhalb dieser Verbindung vorkommen kann; b) ist das erste Glied ein Stamm; aber es unterliegt keinem Zweifel, daß das eben nur vom Standpunkt der historische bekannten Formen ein "Stamm" ist. In der Zeit, wo dieser dann so produktive Typus (besonders der Typus mit einem o- Stamm) sich bildete, müssen solche Formen eben keine Stämme", sondern Wörter, bzw. Wortformen gewesen sein. Vgl. im allgemeinen jetzt BRUGMANN, Berichte der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 1900, Seite 359f; "Kurze vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen, Seite 287f. Mit Bezug darauf, daß oben den Komposita Gruppen gleichgestellt wurden, in denen das dem determinierenden Kompositionsglied entsprechende eine präpositionale Wendung ist (zum Trinken, mit einer Schleppe usw.), ist gegen einen etwaigen Einwand, daß es solche Komposita doch nicht gäbe, folgendes zu bemerken. Erstens sind jetzige präpositionale Wendungen meistens Kontinuationen früherer einfacher Kasus (der Nomina und Infinitive), während die Sprachen, welche wie das Deutsche die Zusammensetzung als lebendiges Wortbildungsmittel kennen, eben noch den älteren Kompositionstypus verwenden; und demnach behaupten wir zweitens nicht, daß diese Komposita aus solchen heutigen Gruppen entstanden sind. Ebenso ist es ja mit den sogenannten Stammkomposita im Vergleich mit den Kasuskomposita in den indogermanischen Sprachen im allgemeinen. Der Typus demo-geron muß in einer Zeit entstanden sein, da solche "Stamm"-Formen als Wörter, bzw. Wortformen fungierten; aber kein einziger historischer "Kasus" tritt in dieser Gestalt auf, und demnach behaupten wir nicht, daß demogeron z. B. aus einem historisch möglichen demoygeron enstanden ist. Wir können also sagen:
a. Vor allem ist hervorzuheben, daß eine wirklich eine gewisse Einheit bildende Gruppe, auch wenn sie scheinbar aus mehreren Wörtern besteht, immer zweigliedrig ist. Fälle wie die heutigen Gruppen Wasser zum Trinken, Federmesser mit Korkenzieher usw.; zeigen nur, daß jedes Glied eventuell wieder zweigliedrig benannt werden kann usw., aber die Tatsache der Untergliederungen ändert nichts an der Hauptgliederung: A. das eine Hauptglied Federmesser ist selbst wieder einmal gegliedert; B. das zweite Hauptglied mit Korkenzieher ist selbst wieder zweimal gegliedert: a. mit; b. Korkenzieher; a1 Kork-, b1 -zieher. Daß ein aus mehreren Teilen bestehendes Kompositum, deren es im Deutschen ja viele gibt, ein zweigliedriges Ganzes ist, obwohl die beiden Glieder noch weiter gegliedert sein können, und obwohl die Gliederung eventuelle variiert, bezweifelt ja niemand, z. B. das Alt-neuhochdeutsche mit den Untergliedern neu-hochtdeutsche, hoch-deutsche usw., und der Fall ist ja im Grunde genommen identisch. Später werden wir noch auf diese Vorgänge in einem anderen Zusammenhang zurückkommen. b. Zweitens ist folgende sehr wichtige Tatsache zu beachten. In Gruppen, wie die oben als ideelle Vorstufen der festen Komposita angeführten, steht das determinierende Glied hinter dem determinierten; dagegen ist die Stellung in einem festen Kompositum (wenn auch nur gelegentlich gebrauchten) die umgekehrte. Dies bedeutet: dasjenige Glied einer freien, momentanen Gruppe, das irgendwie näher bestimmt werden soll, steht im allgemeinen zuerst im Blickpunkt der Aufmerksamkeit, und dann erst tritt das bestimmende Glied in den Blickpunkt, oder kurz gesagt, wenn wir das Verhältnis der beiden schon ausgesprochen Glieder bezeichnen wollen, ist das determinierte Glied dominierend. In einem wirklichen Kompositum verhält sich die Sache umgekehrt, und offenbar eben darin tritt die festere Einigung zu einem Begriff zutage. Das Hervorheben des ursprünglichen Nebengliedes zum Hauptglied ist das eigentliche Moment, in dem ein Kompositum (und überhaupt das Wort, wie wir noch später ausführen werden) zustande kommt.
1) "Gegenstände" im weiteren psychologischen Sinn, also auch lebende Wesen umfassend. 2) Daß sie aber zum Teil doch der Wahrheit näher waren als WUNDT, wird sich unten bei der Erörterung des Satzes zeigen. 3) Ich kann und will dabei nicht verfolgen, inwiewiet die Tatsache auch auf Seiten der Psychologen erst von WUNDT klar aufgefaßt wurde. 4) WILHELM WUNDT, Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetzt von Sprache, Mythus und Sitte. Erster Band: Die Sprache. Leipzig 1900 (in zwei Teilen). 5) Ich meine dasjenige, was WUNDT auf Seite 464f über die primäre und sekundäre Benennung sagt, sowie seine Bemerkungen auf Seite 472 über die Wurzeln. 6) Hierbei bemerke ich erstens, daß die sogenannten Wurzelnomina im allgemeinen nur scheinbar kein Suffix haben, siehe darüber unten III., und zweitens, daß ich in diesem Zusammenhang nur den Wortstamm ohne die Kasusendungen im Auge habe. Jedes Substantiv kommt allerdings in Wirklichkeit mit sehr wenigen Ausnahmen (Vokative und einige Klassen der Nominative) nur mit einer Kasusendung vor und bildet mit derselben ein einheitliches Ganzes; aber wir sind berechtigt, auch den Stamm für sich zu betrachten. Siehe darüber unten VIII. 7) Natürlich beziehungsweise "Stamm", kurz dasjenige, was man oft als den eigentlichen Träger der Wortbedeutung bezeichnet. 8) Man wolle auch die paar Beispiele nicht etwa als mein induktives Beweismaterial betrachten; denn es sind wirklich nur Beispiele. Die Bitte richtet sich übrigens natürlich nur an Anfänger. 9) Bzw. der erst nach den dominierenden in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit tretenden; natürlich bezieht sich das nur auf den Augenblick, wo die Benennung zustande kommt. 10) So ist z. B. das -ach in den vielen Fluß- und Bachnamen (Salzach, Schwarzach, Eisenach usw.) aus mhd. ahe = Wasser (lat. aqua) entstanden; -bold in Trunkenbold, Saufbold usw. ist den Eigennamen mit -bold (Humbold) nachgebildet, in denen bold ursprünglich die unbetonte Form (im Mhd. bolt) des Adjektivs bald ist (frühere Bedeutung: kühn, schnell). Ähnlich war schaft in Wirtschaft, Freundschaft usw. ursprünglich ein selbständiges Wort mit der Bedeutung Beschaffenheit (zu schaffen); tum in Reichtum usw. aus ahd. tuom = Verhältnis, Stand, Würde usw. 11) Daß das aber geschieht, zeigt vor allem die Tatsache, daß nach vorhandenen suffixalen Typen neue Wörter gebildet werden. 12) In den Verbalkompositis herrscht der Stammtypus (eventuell mit dem Stamm eines Verbalnomens), was - erwägt man alles - recht verständlich ist. 13) Das heißt also natürlich als Bildungstypen, nicht als einzelne Wörter. |