p-4 C. u. W. SternE. MeumannH. PaulE. MartinakH. Schmitt    
 
JAN von ROZWANDOWSKI
Wortbildung und Wortbedeutung

"Die Vorstellungen sind im allgemeinen fließende Gebilde, indem ihre Elemente durch die verschiedensten Assoziationen ununterbrochenen Verschiebungen ausgesetzt sind. Da sich nun in unmittelbarem Zusammenhang damit und im ganzen Zusammenhang des Bewußtseins die Aufmerksamkeit bald auf jene, bald auf andere Bestandteile der Vorstellung richtet, bzw sich richten kann, so können selbst die konstantesten Merkmale im Wechsel der Apperzeption gegen andere, die sich nur vorübergehend aus der ganzen Verbindung erheben, zurücktreten. Darauf beruth die Tatsache, daß der Gegenstand oft nach einem variablen, unwesentlichen Merkmal und in verschiedenen Zeiten und Orten nach verschiedenen Merkmalen benannt wird."

I. Benennung der Gegenstände (1)

1. Die Gegenstände werden nach
einem einzelnen Merkmal benannt.
Formulierung dieser Tatsache von Wundt.

Man hat längst bemerkt, daß die Benennungen der Gegenstände immer nur  eine  Seite,  ein  Merkmal der betreffenden Vorstellungen hervorheben, wobei natürlich ein solches Merkmal gewöhnlich nicht nur einem einzigen Gegenstand, sondern auch noch anderen, oft gar vielen, zukommt.  Logisch  betrachtet, ist also jede Benennung unzutreffend; denn einerseits ist sie zu eng (da der Gegenstand noch andere Merkmale hat) und andererseits zu weit (da noch andere Gegenstände dasselbe Merkmal besitzen). Berücksichtigt man noch, daß so ein einzelnes und einziges Merkmal, nach dem ein Gegenstand benannt wurde, für das Wesen desselben gar nicht das wichtigste, wirklich bezeichnende zu sein braucht und nur zu oft es nicht ist, so wird der Unterschied zwischen der logischen Betrachtungsweise der Benennung und ihrem tatsächlichen Entstehen womöglich noch augenfälliger.

So ist z. B. ein  Tischler  ein Mann, der nicht nur  Tische,  sondern auch noch viele andere Geräte und überhaupt Holzgegenstände verfertigt, und andererseits haben noch viele andere Vorstellungen dauernd oder vorübergehend irgendetwas mit einem Tisch zu tun. Ein  Weißling  bezeichnet einen Fisch, der  weiß  aussieht; aber derselbe besitzt auch noch andere Merkmale, und umgekehrt kommt die Eigenschaft der weißen Farbe noch vielen anderen Vorstellungen zu. Eine  Stiege  als Vorstellung besteht nicht nur aus dem Merkmal des  Steigens,  wozu sie dient, sondern aus manchen anderen Bestandteilen, und andererseits spielt der Vorgang des Steigens noch bei anderen Vorstellungen eine Rolle.
    Anmerkung.  Diese Tatsache wiederholt sich immer und überall, und eine Vergleichung der Benennungen desselben Gegenstandes in verschiedenen Sprachen, verwandten oder auch fremden, ist unter allen Umständen sehr lerreich. Denn erstens wirft sie oft ein überraschendes Licht auf manchen, früher etymologisch unklaren Gegenstandsnamen in irgendeiner Sprache, indem oft dieselben Gegenstände in den verschiedensten Sprachen nach denselben Merkmalen benannt werden, eine Vergleichung also beim Etymologisieren wegweisend sein kann, und zweitens zeigt dieselbe, daß die Hervorhebung des Merkmals von der momentanen Anschauung abhängt und mit der logischen Reflexion über das Wesen des Gegenstandes und seiner Bestandteile nichts zu tun hat, da sich eben oft genug herausstellt, daß derselben Gegenstand in verschiedenen Sprachen nach den verschiedensten Merkmalen benannt wurde. Ja, sehr oft zeigt sich das in verschiedenen Mundarten ein und derselben Sprache, wie z. B. dem norddeutschen  Tischler  ein süddeutscher  Schreiner  gegenübersteht, und das ist ganz natürlich; denn es gibt keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Sprache und Mundart.
Diese Tatsache wurde nun von den Sprachforschern verschiedentlich und im allgemeinen ungenügend (2) aufgefaßt, bis sie in letzter Zeit von WUNDT auf ihre psychologische Bedeutung zurückgeführt wurde. (3) WUNDT handelt darüber bekanntlich in seinem Werk über die Sprache (4) Band II, Seite 464 - 472, unter "Benennung von Gegenständen". Indem ich alles weglasse, was in diesem Zusammenhang nicht wesentlich ist, (5) will ich kurz die wichtige psychologische Formulierung WUNDTs, und zwar womöglich mit seinen eigenen Worten wiedergeben.

Jede Benennung von Gegenständen pflegt nach  einem einzelnen Merkmal  zu geschehen. Da das Merkmal im psychologischen Sinne nie eine selbständige Vorstellung, sondern entweder irgendeinen Bestandteil einer Vorstellung oder ein allgemeines Verhältnis zwischen verschiedenen Vorstellungen bezeichnet, so besteht also das Wesen der Benennung in der  Hervorhebung eines dem Gegenstand zukommenden Merkmals.  Nun schließt dieser Vorgang die gleichzeitige Vergegenwärtigung anderer Elemente der gleichen Vorstellung natürlich nicht aus; im Gegenteil: dieselben sind notwendig mit eingeschlossen (sonst würde ja der Name nicht die betreffende Vorstellung in ihrer  Totalität  ausdrücken). Der obige Satz besagt also nur, daß unter allen Bestandteilen der Vorstellung eines Gegenstandes jeweils  einem  eine derart vorherrschende Bedeutung zukommt, daß er die Benennung bestimmt. Nun ist es von vornherein klar, daß diese Eigentümlichkeit der Benennung nicht in den Gegenständen, sondern  nur im benennenden Subjekt  ihren Grund haben kann. Und zwar beruth das auf  zwei  Eigenschaften des menschlichen Bewußtseins, auf der  Einheit  und auf der  Enge der Apperzeption Ob sich die apperzipierte Vorstellung aus vielen oder aus wenigen Bestandteilen zusammensetzt, ob sie einem einzigen Sinnesgebiet angehört oder eine Komplikation von Empfindungen verschiedener Sinne ist, das ist natürlich von den Objekten abhängig. Daß aber die Vorstellung des Gegenstandes überhaupt als ein  einheitliches Ganzes  aufgefaßt wird, und daß zugleich unter den verschiedenen Elementen derselben  nur ein Teil deutlicher  aufgefaßt wird, das hängt nur von den beiden erwähnten Eigenschaften der  Apperzeption,  ihrer Einheit und Enge, ab. Dem entspricht nun  die Einheit und die Enge der Benennung,  wie die oben gegebenen Beispiele und beliebige andere klar zeigen.

Bezeichnet man den deutlicher apperzipierten Bestandteil als das  dominierende  Merkmal, so läßt sich demnach jede zusammengesetztere Gegenstandsvorstellung als ein Verschmelzungsprodukt mehrerer Komponenten betrachten, von denen eine dominiert und für die Apperzeption des Gegenstandes bestimmender ist als die anderen, die in ihrer Verschmelzung mit demselben die  ganze  Vorstellung des Gegenstandes bilden. Im Augenblick der Benennung verschmilzt also das Lautbild (der Name, Wort) mit dem dominierenden Element zu einer festen Komplikation, mit der alle übrigen konstanten und variablen Elemente der Vorstellung als relativ dunklere assoziiert werden. Bezeichnet man das Lautbild mit  n,  das dominierende Element mit  δ,  die konstanten Elemente mit  A  und die variablen mit  X,  so läßt sich demnach die Konstitution einer solchen Benennungskomplikation bei ihrem Entstehen durch die Formel  n δ (A. X)  darstellen, wobei die Klammer die in der Apperzeption relativ dunkleren, zurücktretenden Bestandteile andeutet.

Hierbei ist noch wohl zu beachten, daß die Vorstellungen im allgemeinen fließende Gebilde sind, indem ihre Elemente durch die verschiedensten Assoziationen ununterbrochenen Verschiebungen ausgesetzt sind. Da sich nun in unmittelbarem Zusammenhang damit und im ganzen Zusammenhang des Bewußtseins die Aufmerksamkeit bald auf jene, bald auf andere Bestandteile der Vorstellung richtet, bzw sich richten kann, so können selbst die konstantesten Merkmale im Wechsel der Apperzeption gegen andere, die sich nur vorübergehend aus der ganzen Verbindung erheben, zurücktreten. Darauf beruth die Tatsache, daß der Gegenstand oft nach einem variablen, unwesentlichen Merkmal und in verschiedenen Zeiten und Orten nach verschiedenen Merkmalen benannt wird.


2. Notwendige Ergänzung der
psychologischen Formulierung Wundts.
Das Gesetz der Zweigliedrigkeit.

Mit der hiermit wiedergegebenen WUNDTschen Auseinandersetzung ist aber das Wesen der Benennung von Gegenständen noch nicht erschöpft.

Sprachliche Tatsachen belehren uns nämlich ganz deutlich, daß bei einer Benennung  nicht nur das dominierende Merkmal, sondern noch etwas anderes  zum Ausdruck kommt. Denn das erstere ist ja doch nur im  Grundelement  des Wortes enthalten, und das Wort hat noch ein sogenanntes  formatives Element.  Und wir wissen, daß sich im allgemeinen jedes indogermanische Wort aus diesen beiden Elementen zusammensetzt, aus der sogenannten Wurzel und dem sogenannten Stammsuffix. (6) Besteht also eine Benennung aus zwei deutlich unterscheidbaren, wenn auch ein Ganzes bildenden Wortbestandteilen, so muß diesem formalsprachlichen Verhältnis ein analoges sinnsprachliches, das heißt psychisches, entsprechen. Und es entsteht demnach die Frage: entweder entspricht die Wurzel dem dominierenden Merkmal  δ  und das  Stammsuffix  den relativ dunkler apperzipierten sonstigen Bestandteilen der Vorstellung (dem Glied  A. X  der WUNDTschen Formel), oder aber die WUNDTsche Formel ist falsch.

Sehen wir uns zunächst die oben gegebenen Beispiele  Tischler, Weißling, Stiege  näher an! Die betreffenden Vorstellungen wurden nach den momentan dominierenden Merkmalen  (Tisch, weiß, steigen)  benannt - das ist ja ganz klar. Wenn dem aber so ist, so müssen doch auch alle anderen Bestandteile dieser Vorstellungen irgendwie bezeichnet sein, und das kann natürlich nur in den Wortbestandteilen  -ler, -ling, -e  stattfinden. Denn ebenso wie erst die innige Verschmelzung dieser Suffixe mit den "Wurzeln"  Tisch, weiß, stieg  die betreffenden Wörter als bedeutungsvolle Gebilde konstituiert, ist auch die jeweilige Vorstellung in ihrer Totalität nur und erst durch die Verschmelzung des dominierenden Merkmals mit dem ganzen Rest gegeben.

Damit wäre die oben aufgestellte Frage in dem Sinne beantwortet, daß das Grundelement des Wortes dem dominierenden Merkmal, das Suffixelement aber - worauf es hier eigentlich ankommt - dem ganzen, relativ dunkler apperzipierten Rest der Vorstellung entspricht. Aber man wendet sofort ein: dieser ganze Rest der Vorstellung, das heißt alle anderen Bestandteile außer dem momentan dominierenden sind doch, wenn auch relativ dunkler apperzipiert, irgendwie konkret und nicht eine bloße Beziehung; ein Suffix aber als solches hat keine konkrete Bedeutung. Also ist die WUNDTsche Formel auf das, was er Benennung eines Gegenstandes nennt, das heißt auf ein mit irgendeinem Suffix gebildetes Simplex (Substantiv) nicht anwendbar. Bedenkt man aber, daß Suffixe im allgemeinen ursprünglich selbständige Wörter gewesen sind (darüber mehr weiter unten) so eröffnet sich der Weg, auf dem wir den Tatsachen gerecht werden können.

Vor allem konstatieren wir, daß die sprachliche Benennung eines Gegenstandes zwar einheitlich, aber zugleich  zweigliedrig  ist. Also ist die Gegenüberstellung des Symbols  n  dem Symbol  δ (A. X)  in der WUNDTschen Formel entschieden falsch: auch das Wort ist deutlich ein aus einem dominierenden Element und einem "dunkleren" Rest zusammengeschmolzenes Produkt.

Zweitens konstatieren wir, daß die Suffixe rein abstrakte Bedeutung haben, die aber allerdings aus einer früheren konkreten sich entwickelt hat. Also ist die WUNDTsche Formel auch deswegen falsch, weil sie  verschiedene  Entwicklungsphasen, eine  spätere sprachliche und eine frühere psychische gleichsetzt. 

Daraus folgt:

Die sogenannte Wurzel (7) ist der sprachliche Ausdruck des dominierenden Elementes, das sogenannte Stammsuffix derjenige der sonstigen Bestandteile der Vorstellung in ihrer weiteren Entwicklung. Also ist jedes Simplex ein zweigliedriges Ganzes.

Die eigentliche psychisch-sprachliche Bedeutung dieses Gesetzes der Zweigliedrigkeit wird sich im weiteren Verlauf der Untersuchung ergeben.
    Anmerkung.  An dieser fundamentalen Tatsache der Zweigliedrigkeit jeder einfachen Benennung eines Gegenstandes geht WUNDT gleichgültig vorüber. Denn, wenn er Bd. II, Seite 464 sagt: "Gegenstände können, wie uns die kategoriale Verwandlung der Begriffe zeigt, benannt werden, indem bestimmte, zuvor schon benannte Eigenschaften oder Zustände derselben mittels einer bloßen Veränderung der Wortform auf jene übertragen werden. Dabei wird dann durch die Bildung der substantivischen Wortfrom immer zugleich ein materialer Bedeutungswandel herbeigeführt. Dies ist dadurch bedingt, daß der Gegenstand neben der Eigenschaft oder der Tätigkeit, nach der er benannt ist, auch andere Merkmale besitzt, die nun zu jenem Hauptmerkmal assoziiert werden"; - so ist das nur eine Umschreibung der Tatsache der Substantivableitung, um die er sich weiter nicht kümmert. Daß WUNDT sich damit begnügte, zu konstatieren, daß Gegenstände in historischer Zeit nach ihren einzelnen Eigenschaften oder Zuständen benannt werden, wobei eine kategoriale Verwandlung der Begriffe stattfindet, die sich eben in der Bildung eines Substantivs aus einem Adjektiv oder Verbum offenbar, ist deswegen auffallend, weil es doch auch Benennungen der Gegenstände in Fülle gibt, die nach einem einzelnen  gegenständlichen  Bestandteil der betreffenden Vorstellung benannt werden, wobei also  keine kategoriale Verwandlung  des Begriffs stattfindet und sprachlich  trotzdem  ein sogenanntes Suffix antritt  (Tischler, Fischer). 

    Diese Nichtbeachtung der Zweigliedrigkeit jeder einfachen Benennung ist in ihren weiteren Konsequenzen verhängnisvoll geworden für die ganze Auffassung und Darstellung der Wort- und Satzbildung überhaupt, sowie für die Darlegung der Bedeutungsvorgänge aller sprachlichen Gebilde, indem trotz der tiefsinnigen Beleuchtung der sprachlichen Tatsachen im allgemeinen und im einzelnen denselben in der WUNDTschen Darstellung doch eigentlich der innere Zusammenhang abgeht.

II. Allgemeines Verhältnis eines sogenannten Simplex
als Benennung Gegenstandes zum Kompositum.


1. Ein sogenanntes Simplex ist prinzipiell
mit einem Kompositum identisch.

Wenn wir z. B. das Polnische mit dem Deutschen vergleichen, so sehen wir, daß deutschen zusammengesetzten Substantiven im Polnischen regelmäßig einfach Simplicia entsprechen, daß demnach die Rolle, welche im Deutschen zweite Kompositionsglieder einnehmen, im Polnischen Stammsuffixe haben. Zum Beispiel:  Neu-land: now-ina, Grün-kraut: zielen-ina, Wind-mühle: wiatr-ak; Schutz-mann (Wach-mann): straz-ak, Holz-hacker: drw-al, Brand-stätte: pogorzel-isko, Weiß-fisch: biat-ucha,  und lassen sich dergleichen Entsprechungen zu Hunderten und Tausenden sowohl aus verschiedenen indogermanischen Sprachen, als auch aus verschiedenen Dialekten und Epochen derselben Sprache (wie z. B.  Weißfisch  neben  Weißling)  anführen. (8)

Was bedeutet nun diese Tatsache? Ein gewisser Unterschied in der Apperzeption der betreffenden Objekte wird ja sicher dieser Verschiedenheit zugrunde liegen, und wir werden noch darauf zu sprechen kommen, aber andererseits dürfte es klar sein, daß es keinen  prinzipiellen  Unterschied in der Konstitution dieser Benennungen geben kann. Und den gibt es auch sicher nicht.

Wenn wir die Tatsache mit der anderen, oben erörterten, daß nämlich die Stammsuffixe sprachliche Exponenten der nicht dominierenden (9) Bestandteile der Gegenstandsvorstellungen sind, kombinieren, so folgt daraus, daß die Stammsuffixe, da sie eben ursprünglich einmal eine konkrete Bedeutung gehabt haben müssen, nichts anderes sind als zweite Kompositionsglieder. Erhärtend tritt die von der indogermanischen Sprachwissenschaft nachgewiesene Tatsache, daß die etymologisch klaren, das heißt in ihrer Entwicklung verfolgbaren, Stammsuffixe ursprünglich selbständige Wörter gewesen sind. (10)

Wir können also sagen und müssen es sogar:  Ein mit einem sogenannten Stammsuffix gebildetes sogenanntes Simplex ist in seinem Bildungsprinzip mit einem sogenannten Kompositum absolut identisch. Der ganze Unterschied ist nur ein relativer, entwicklungsgeschichtlicher. 

Daraus folgt ferner, daß das erste, determinierende Kompositionsglied entwicklungsgeschichtlich mit der sogenannten Wurzel eines Simplex und das zweite, determinierte Glied mit dem sogenannten Stammsuffix identisch ist. Wenn wir nun damit die Konstitution der Vorstellung selbst im Augenblick der Benennung, wie sie von WUNDT klargelegt und kurz mit der Formel  [n] δ (A. X)  symbolisiert wurde, vergleichen, so ergibt sich daraus nicht nur, daß auch statt  n  ein zweigliedriges Symbol zu setzen ist - denn das haben wir schon oben konstatiert -, sondern, was wichtiger ist, folgendes: das psychologische Symbol  δ (A. X)  ist eigentlich weder einem Simplex noch einem Kompositum adäquat. Denn in einem sozusagen noch ganz lebensfrischen Kompositum werden beide Glieder allerdings suksessiv, aber gleich klar apperzipiert, wie das ihre sprachliche Beschaffenheit (z. B.  Windmühle, Weißfisch)  ganz deutlich zeigt, da sie eben beide nacheinander ausgesprochen werden. Also ist das erste Glied nur relativ dominierend, insofern es eben an erster Stelle steht und stärker betont ist. Und in einem suffixalen Simplex ist das zweite Glied schon derartig abgeblaßt, daß es nicht mehr in seiner ursprünglichen konkreten Bedeutung, sondern nur als Gattungs- oder Beziehungsexponent apperzipiert wird, sofern man dieses Glied noch als etwas relativ selbständiges auffaßt. (11) daraus folgt, daß der psychische Teil der WUNDTschen Formel ungefähr nur einer entwicklungsgeschichtlichen Zwischenstufe zwischen einem noch ganz deutlichen Kompositum und einem suffixalen Simplex entspricht. Vgl. unten IV, 4.

Das Resultat vorstehender Erörterungen können wir so zusammenfassen:

1. Jede fertig gewordene Benennung eines Gegenstandes ist im Prinzip ein einheitliches, zweigliedriges Gebilde, dessen erstes Glied relativ dominierend ist, in dem aber sukzessiv auch das zweite Glied klar apperzipiert wird.

2. Jede durch ein suffixales Simplex ausgedrückte Benennung eines Gegenstandes ist ein in der Regel nicht nur einheitlich, sondern auch eingliedrig apperzipiertes Gebilde, dessen zweites Glied nur perzipiert wird, und wenn es sich gegebenenfalls zur Apperzeption erheben kann, so hat dasselbe doch keine konkrete Bedeutung.

3. An der Schaffung einer Benennung ist sowohl ein analytisches Gesetz der Zweigliedrigkeit wie ein synthetisches Einheitsgesetz tätig. Das erstere offenbart sich in der Zusammengesetztheit der Benennung aus zwei Gliedern, das zweite in ihrer Einheitlichkeit.
    Anmerkung.  Was ich hier noch hinzuzufügen habe, versteht sich für den Fachmann eigentlich von selbst. Aber teils mit Rücksicht auf den Anfänger, teils um etwaigen Einwänden vorzubeugen, halte ich es für geraten, folgendes zu sagen.

    Der Satz, daß alle Stammsuffixe ursprünglich selbständige Wörter gewesen sind, oder anders ausgedrückt, daß jedes indogermanische Wort im Prinzip ein Kompositum ist, gilt natürlich nur  cum grano salis  [mit einer Brise Salz - wp] Und zwar:

    a) Die allermeisten suffixalen Nomina waren nie in der Sprache als Komposita vorhanden. Denn sobald aufgrund einer gewissen Anzahl von Zusammensetzungen, deren zweite Glieder nach und nach in ihrer ursprünglichen Bedeutung verdunkelt wurden, ein suffixaler Typus entstanden ist, wirkt er als Must vorbildlich, und es werden danach immer neue Bildungen geschaffen, in denen also die frühere Entwicklung des Typus nur sozusagen ideell steckt. Die ganze Tatsache der Suffixbildung und Suffixausbreitung beruth darauf, daß oft wiederholgte psychische Vorgänge mit der Zeit ganz automatisch verlaufen.

    b) sehr oft entstehen sekundärerweise neue Suffixtypen. Der gewöhnlichste Fall ist der, daß aufgrund einer Wurzel mehrmals nacheinander suffixale Benennungen geschaffen werden, wodurch oft neue einheitliche Suffixe entstehen, die eventuelle vorbildlich werden können. So wurde z. B. aufgrund von  schreiben  mit dem Suffix  er  ein  Schreiber  geschaffen, von diesem wieder eine neue suffixale Benennung  Schreiberei;  da das Wort aber ebensogut auf  schreiben  bezogen werden konnte, und es solche Fälle sehr viele gibt, so erwuchs ein neues Suffix  -rei,  das wir z. B. in  Schweinerei  sehen. So ist auch das  -ler  und  -ling  in  Tischler  und  Weißling, Jüngling  sekundäre entstanden aufgrund von Ableitungen mit  -er  und  -ing  von Stämmen mit  l- Suffixen.

    Es kann auch vorkommen, daß eine ganze Anzahl von Nomina scheinbar dasselbe Suffix besitzt, was aber nur ein zufälliges Zusammentreffen ist. Beispielsweise scheinen die Wörter  Junker, Adler, Acker, Vater, Kerker, Messer  und viele andere mit dem gewöhnlichen Suffix  -er  (ahd.  -ari)  gebildet zu sein, während in Wirklichkeit es keins ist:  Junker  aus mhd.  junc-herre  = junger Herr,  Adler  aus  adel-ar  = Edelaar,  Acker  (got.  akrs)  aus urgerm.  akraz  = agros,  Vater  aus ältestem urgerm.  faper  = patep,  Kerker  aus lat.  carcer, Messer  aus ahd.  mezziras, mezzi-rahs  = Speiseschwert bzw. -messer.

    c) Wenn also auch jedes Suffix im allgemeinen ursprünglich ein selbständiges Wort gewesen ist, so muß man doch im Auge behalten, 1. daß sich dieser Satz nur auch nicht durch irgendwelche sekundäre Vorgänge neugebildete Suffixe bezieht und man in der Regel von keinem alten, etymologisch dunklen Suffix sagen kann, ob es ursprünglich ist; 2. daß sich dieser Satz, auch wenn es sich um ein nachweisbar klares Suffix handelt, nicht auf ein beliebiges damit gebildetes Wort bezieht, sondern nur auf die älteste Schicht, wobei man aber kaum je sicher sein kann, die wirklich ursprünglichen, vorbildlichen Fälle vor sich zu haben.

2. Verhältnis der Simplicia und
Komposita zu den Wortgruppen

Daß alle Komposita prinzipiell nichts anderes sind als eine innige Einung zweier Wortformen, die in derselben Gestalt auch außerhalb dieser Verbindung vorkommen, also kurz aus zwei wirklichen Wörtern, steht ganz fest. Wir können das Verhältnis wieder klar machen, indem wir uns an das Deutsche und Polnische wenden. Den deutschen Komposita, die mehr okkasionell gebildet werden, in der Regel aber auch vielen festen entsprechen im Polnischen Wortgruppen, in welchen anstelle des ersten Gliedes ein Adjektiv, Genitiv oder eine präpositionale Wendung erscheint, z. B.  Wand-uhr: zegar scienny  (Adj.),  Baum-rinde : kora drzewa  (G.) oder  drzewna  (Adj.),  Trink-wasser : woda do picia (zum Trinken), Eck-haus : dom na rogu  (an der Ecke) oder  narozni  (Adj.),  Schlepp-kleid : suknia z ogonem  (mit einer Schleppe) usw. ohne Ende, wobei man nicht nur verschiedene indogermanische Sprachen, sondern auch verschiedene Epochen und Dialekte derselben Sprache vergleichen kann; ja, sogar die Sprache  eines  Menschen reicht aus; denn es wird nicht nur  Trinkwasser  gesprochen, sondern auch  Wasser zum Trinken, Kleid mit einer Schleppe  neben  Schleppkleid  usw.

Ferner sehen wir, daß viele feste Komposita im Deutschen sich auf den ersten Blick als eine syntaktische Gruppe zeigen: so alle Genitivkomposita wie  Donnerstag,  viele Adjektivkomposita wie z. B.  Bösewicht,  und dasselbe kommt überall vor.

Und überhaupt stellen die indogermanischen Nominalkomposita (12) zwei Typen dar: a) ist das erste determinierende Glied eine (Nominal-)Form, die auch außerhalb dieser Verbindung vorkommen kann; b) ist das erste Glied ein Stamm; aber es unterliegt keinem Zweifel, daß das eben nur vom Standpunkt der historische bekannten Formen ein "Stamm" ist. In der Zeit, wo dieser dann so produktive Typus (besonders der Typus mit einem  o- Stamm) sich bildete, müssen solche Formen eben keine  Stämme",  sondern Wörter, bzw. Wortformen gewesen sein. Vgl. im allgemeinen jetzt BRUGMANN, Berichte der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 1900, Seite 359f; "Kurze vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen, Seite 287f.

Mit Bezug darauf, daß oben den Komposita Gruppen gleichgestellt wurden, in denen das dem determinierenden Kompositionsglied entsprechende eine präpositionale Wendung ist (zum Trinken, mit einer Schleppe usw.), ist gegen einen etwaigen Einwand, daß es  solche Komposita  doch nicht gäbe, folgendes zu bemerken. Erstens sind jetzige präpositionale Wendungen meistens Kontinuationen früherer einfacher Kasus (der Nomina und Infinitive), während die Sprachen, welche wie das Deutsche die Zusammensetzung als lebendiges Wortbildungsmittel kennen, eben noch den älteren Kompositionstypus verwenden; und demnach behaupten wir zweitens nicht, daß diese Komposita aus solchen  heutigen  Gruppen entstanden sind. Ebenso ist es ja mit den sogenannten Stammkomposita im Vergleich mit den Kasuskomposita in den indogermanischen Sprachen im allgemeinen. Der Typus  demo-geron  muß in einer Zeit entstanden sein, da solche "Stamm"-Formen als Wörter, bzw. Wortformen fungierten; aber kein einziger historischer "Kasus" tritt in dieser Gestalt auf, und demnach behaupten wir nicht, daß  demogeron  z. B. aus einem historisch möglichen  demoygeron  enstanden ist.

Wir können also sagen:
    Eine als Einheit apperzipierte Wortgruppen ist entwicklungsgeschichtlich eine Vorstufe eines festen Kompositums oder anders gesagt, ein Kompositum ist im Prinzip mit einer Wortgruppe identisch. 
Dieser allgemein ausgedrückte Satz bedarf einer näheren Erörterung.

a. Vor allem ist hervorzuheben, daß eine wirklich eine gewisse Einheit bildende Gruppe, auch wenn sie scheinbar aus mehreren Wörtern besteht, immer  zweigliedrig  ist. Fälle wie die heutigen Gruppen  Wasser zum Trinken, Federmesser mit Korkenzieher  usw.; zeigen nur, daß jedes Glied eventuell wieder zweigliedrig benannt werden kann usw., aber die Tatsache der Untergliederungen ändert nichts an der Hauptgliederung:  A.  das eine Hauptglied  Federmesser  ist selbst wieder  einmal  gegliedert;  B.  das zweite Hauptglied  mit Korkenzieher  ist selbst wieder zweimal gegliedert:  a. mit; b. Korkenzieher; a1 Kork-, b1 -zieher.  Daß ein aus mehreren Teilen bestehendes Kompositum, deren es im Deutschen ja viele gibt, ein zweigliedriges Ganzes ist, obwohl die beiden Glieder noch weiter gegliedert sein können, und obwohl die Gliederung eventuelle variiert, bezweifelt ja niemand, z. B.  das Alt-neuhochdeutsche  mit den Untergliedern  neu-hochtdeutsche, hoch-deutsche  usw., und der Fall ist ja im Grunde genommen identisch. Später werden wir noch auf diese Vorgänge in einem anderen Zusammenhang zurückkommen.

b. Zweitens ist folgende sehr wichtige Tatsache zu beachten. In Gruppen, wie die oben als ideelle Vorstufen der festen Komposita angeführten, steht das determinierende Glied  hinter  dem determinierten; dagegen ist die Stellung in einem festen Kompositum (wenn auch nur gelegentlich gebrauchten) die  umgekehrte.  Dies bedeutet: dasjenige Glied einer freien, momentanen Gruppe, das irgendwie näher bestimmt werden soll, steht im allgemeinen zuerst im Blickpunkt der Aufmerksamkeit, und dann erst tritt das bestimmende Glied in den Blickpunkt, oder kurz gesagt, wenn wir das Verhältnis der beiden schon ausgesprochen Glieder bezeichnen wollen, ist das determinierte Glied dominierend. In einem wirklichen Kompositum verhält sich die Sache umgekehrt, und offenbar eben  darin  tritt die festere Einigung zu einem Begriff zutage. Das Hervorheben des ursprünglichen Nebengliedes zum Hauptglied ist das eigentliche Moment, in dem ein Kompositum (und überhaupt  das Wort,  wie wir noch später ausführen werden) zustande kommt.
    Anmerkung.  Wenn man beobachtet hat, daß die attributiven Wörter (einfaches Adjektiv, Zahlwort, adjektivisches Pronomen und der attributive Genitiv) seit urindogermanischer Zeit gewöhnlich  vor  dem Substantiv steht (vgl. BRUGMANN, Kurze vergleichende Grammatik etc., § 932), so ändert das nichts an dem oben aufgestellten Grundprinzip. Erstens bilden diese attributiven Wörter im Vergleich mit anderen Ergänzungen des Substantivs zweifellos eine engere Einheit mit demselben, wie ja auch viele solche Gruppen, z. B.  rechte Hand, linke Seite  (in allen indogermanischen Sprachen dieselbe Stellung) usw. oder die Numeralia + Substantiva tatsächlich ständige begriffliche Einheiten bilden. Zweitens ist eben diese Stellung nicht obligatorische, und man sieht deutlich, daß die Anfangsstellung des Attributs eine engere Einheit bezeichnet als die Gruppe mit nachgestelltem Attribut (z. B. kann man das gut beobachten an der Stellung der Adjektiva im Slavischen: polnisch regelmäßig  prawa reka  = rechte Hand,  prawa strona  = rechte Seite, aber gewöhnliche  czlowiek praw  = rechtschaffener Mensch). Drittens wirkt natürlich auch die Ordnung der Glieder vorbildlich: weil man sich in vielen Fällen an eine Stellung gewöhnt hat, so wird dieselbe automatisch weiter verwendet. Viertens ist zu beobachten, daß sowohl die eine wie die andere Stellung durch besondere Gründe geändert werden kann, wenn nämlich das eine oder andere Glied durch besondere momentane Bedingungen psychische hervorgehoben wird. Und endlich muß man im Auge behalten, daß, wenn in einer Sprache die eine, in einer anderen die andere Stellung habituell oder gar obligatorische ist (z. B. im Deutschen obligatorisch Possessiv + Substantiv:  mein  Haus, im Lateinischen gewöhnlich umgekehrt:  domus mea),  worin eben die entwicklungsgeschichtlichen Unterschiede in der Apperzeption liegen, die natürlich im ganzen Zusammenhang der Bewußtseinstatsachen des betreffenden Volkes in der betreffenden Zeit begründet sind. Natürlich wirkte die regelmäßige Stellung vorbildlich, so daß sie eventuelle ganz unverrückbar wurde; aber daß dieselbe eben regelmäßig auftrat, hängt mit der Art und Weise des Apperzipierens zusammen. Schließlich ist zu bemerken, daß im einzelnen Fall, und zwar wo man es mit einem toten Text zu tun hat, zu sagen, inwieweit eine Gruppe eine enge Einheit bildete, sehr oft unmöglich ist: d. h. man soll nicht nach heutigen und eigentlich nach individuellen Apperzeptionsbedingungen diejenigen eines anderen ("Anderen" individuell, ethnisch und zeitlich) beurteilen und eventuell auf diese Weise Einwände gegen den obigen Satz erheben.
c. Der Satz, daß ein Kompositum grundsätzlich mit einer eine apperzeptive Einheit bildenden Gruppe identisch ist, gilt mit derselben Restriktion wie der Satz von der Identität eines suffixalen Simplex und eines Kompositums. Denn ebenso wie suffixale Bildungstypen wirken auch Kompositionstypen vorbildlich, wenn sie überhaupt psychisch automatisiert worden sind. So verbreitete sich in den indogermanischen Sprachen besonders der Typus der Komposita mit einem  o- Stamm als erstes Glied, z. B.  psycho-pompos  trotz  psyche  usw. Also die meisten solcher Komposita sind von allem Anfang an als Komposita da, was aber natürlich nicht heißen will, daß der betreffende Begriff in der Seele überhaupt keine Vorentwicklung hatte; denn das ist unmöglich. Siehe darüber weiter unten. d. Wenn man also mit dem hier und oben geäußerten Vorbehalt behaupten muß, daß sich ein suffixales Simplex aus einem Kompositum, und ein Kompositum aus einer Wortgruppe entwickelt hat, so darf man aber nicht die umgekehrte Reihenfolge als zwingend annehmen. Suffixales Simplex, Kompositum, einheitliche Wortgruppe (13) sind Hauptphasen einer zwingenden Entwicklung nur in aufsteigender Folge. Dagegen ist die umgekehrte Folge nur  möglich.  Das kann auf den ersten Blick widerspruchsvoll erscheinen; aber es ist es nicht. Denn sowohl eine Wortbildungsgruppe als ein Kompositum können sich eben auch noch anders entwickeln, d. h. eine Wortbildungsgruppe kann a) ein festes Kompositum und ein Kompositum a) ein suffixales Simplex werden; aber daneben können beide b) auf ein Glied reduziert werden, z. B.  Knecht  aus  leibeigener Knecht, Gatte  aus  Ehegatte, Feder  aus  Schreibfeder.  Diesen Fall werden wir aber in einem anderen Zusammenhang betrachten.
    Anmerkung.  Natürlich kann ein Wort auf allen drei Entwicklungsphasen stehend auch verschwinden, und zwar -was ebenso natürlich - in absteigender Häufigkeit: den Schwund einer okkasionellen Gruppe bemerkt man in der Sprache überhaupt nicht, und andererseits ist der Schwund eines Simplex, d. h. eines formal-inhaltlichen Individuums die Regel. All das hängt von den Bedingungen der Entwicklung neuer Begriffe ab, wie dieselben in der ununterbrochenen Entwicklung des menschlichen Bewußtseins gegeben sind.
e. Auch okkasionell angewendete Gruppen, oder zwar habituell verwendete, aber nicht zu einem gewöhnlichen Kompositum zusammengeschmolzene, bilden - also eventuell nur momentan, soweit von okkasionellen Gruppen die Rede ist - eine apperzeptive Einheit. Abgesehen von Betonungsverhältnissen, sieht man das ganz deutlich daraus, daß sie jederzeit unter gewissen Bedingungen eine  enge  apperzeptive Einheit bilden können, was sich in der Tatsache offenbart, daß sie oft Grundlagen neuer Wörter werden, z. B.  eigenhändig : eigene Hand, langweilig : lange Weile, einseitig  und dgl.
LITERATUR: Jan von Rozwadowski, Wortbildung und Wortbedeutung [eine Untersuchung ihrer Grundgesetze] Heidelberg 1904
    Anmerkungen
    1) "Gegenstände" im weiteren psychologischen Sinn, also auch lebende Wesen umfassend.
    2) Daß sie aber zum Teil doch der Wahrheit näher waren als WUNDT, wird sich unten bei der Erörterung des Satzes zeigen.
    3) Ich kann und will dabei nicht verfolgen, inwiewiet die Tatsache auch auf Seiten der Psychologen erst von WUNDT klar aufgefaßt wurde.
    4) WILHELM WUNDT, Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetzt von Sprache, Mythus und Sitte. Erster Band: Die Sprache. Leipzig 1900 (in zwei Teilen).
    5) Ich meine dasjenige, was WUNDT auf Seite 464f über die primäre und sekundäre Benennung sagt, sowie seine Bemerkungen auf Seite 472 über die Wurzeln.
    6) Hierbei bemerke ich erstens, daß die sogenannten Wurzelnomina im allgemeinen nur scheinbar kein Suffix haben, siehe darüber unten III., und zweitens, daß ich in diesem Zusammenhang nur den Wortstamm ohne die Kasusendungen im Auge habe. Jedes Substantiv kommt allerdings in Wirklichkeit mit sehr wenigen Ausnahmen (Vokative und einige Klassen der Nominative) nur mit einer Kasusendung vor und bildet mit derselben ein einheitliches Ganzes; aber wir sind berechtigt, auch den Stamm für sich zu betrachten. Siehe darüber unten VIII.
    7) Natürlich beziehungsweise "Stamm", kurz dasjenige, was man oft als den eigentlichen Träger der Wortbedeutung bezeichnet.
    8) Man wolle auch die paar Beispiele nicht etwa als mein induktives Beweismaterial betrachten; denn es sind wirklich nur  Beispiele.  Die Bitte richtet sich übrigens natürlich nur an Anfänger.
    9) Bzw. der erst  nach  den dominierenden in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit tretenden; natürlich bezieht sich das nur auf den Augenblick, wo die Benennung zustande kommt.
    10) So ist z. B. das  -ach  in den vielen Fluß- und Bachnamen  (Salzach, Schwarzach, Eisenach  usw.) aus mhd.  ahe  = Wasser (lat. aqua) entstanden;  -bold  in  Trunkenbold, Saufbold  usw. ist den Eigennamen mit  -bold   (Humbold)  nachgebildet, in denen  bold  ursprünglich die unbetonte Form (im Mhd.  bolt)  des Adjektivs  bald  ist (frühere Bedeutung:  kühn, schnell).  Ähnlich war  schaft  in  Wirtschaft, Freundschaft  usw. ursprünglich ein selbständiges Wort mit der Bedeutung  Beschaffenheit  (zu  schaffen);   tum  in  Reichtum  usw. aus ahd.  tuom  =  Verhältnis, Stand, Würde  usw.
    11) Daß das aber geschieht, zeigt vor allem die Tatsache, daß nach vorhandenen suffixalen Typen neue Wörter gebildet werden.
    12) In den Verbalkompositis herrscht der Stammtypus (eventuell mit dem Stamm eines Verbalnomens), was - erwägt man alles - recht verständlich ist.
    13) Das heißt also natürlich als Bildungstypen, nicht als einzelne Wörter.