ra-2van CalkerBöhm-BawerkA. VoigtG. SchmollerR. StolzmannI. Kornfeld    
 
RUDOLF STAMMLER
(1856-1938)
[mit NS-Vergangenheit]
Wirtschaft und Recht
[2/2]

"Die Flut der ökonomischen Phänomene türmt sich unserer Tage als soziale Naturgewalt mit unabänderlichen Gesetzen auf: Richte dich nach ihnen, o Mensch, mit deinem Instrument und dem ordnenden Werk, das du jener errichtest! Der Damm, der das Bächlein lenkte, taugt nicht für die Großflut des Stromes - das Recht, das dem handwerksmäßigen Kleinbetrieb regelnd zur Seite stand, frommt nimmermehr als Leiter einer sozialisierten Wirtschaft, als führende Norm der stetig wachsenden und allzeit sich stärker ausdehnenden Phänomene des Großbetriebes."

"Der allgemeinen Gesetzmäßigkeit können wir nicht ausweichen. Die Wirtschaft befiehlt, das Recht hat ihr zu folgen - das ist das Grundgesetz des sozialen Lebens, das allgemeine Gesetz der Menschengeschichte. Wenn die ökonomischen Phänomene die Kollektivierung der Produktionsmittel fordern, so bleibt von der Frage, ob diese Umgestaltung erfreulich ist oder nicht, nach der Lehre der materialistischen Geschichtsauffassung gar nichts mehr übrig. Wir können es nicht ändern, daß bei Frost und Hunger der Mensch schließlich umkommt; man muß sich dem zwingenden Gebot des Naturgesetzes fügen. Ob das Eintreffen des Sozialismus  zweckmäßig  sei, ist für den Marxisten ganz falsch gefragt: - Es ist  notwendig." 

Erstes Buch
Stand der Frage

Erster Abschnitt
S o z i a l e r   M a t e r i a l i s m u s

Der Materialismus ist die erste, die niedrigste, aber
aber auch vergleichsweise festeste Stufe der Philosophie.

- F. A. Lange, Geschichte des Materialismus

6

Seine Grundgedanken sind in kurzer Zusammenfassung diese: Der Mensch ist ein mit sozialen Instinkten ausgerüstetes Lebewesen; mit Trieben versehen, die ihn zu einer andauernden Geselligkeit mit seinesgleichen bewegen; - welchen sozialen Antrieben er folgt, um den Kampf ums Dasein und den Streit gegen verderbliche Naturgewalten besser führen oder überhaupt ihn aufnehmen zu können.

Die bestimmende Grundlage alles gesellschaftlichen Daseins von Menschen ist die gemeinsame Produktion ihres Lebens, die vereinte Beschaffung der zur Existenz nötigen Mittel und die zusammenstimmende Hervorbringung nützlicher und den Menschen erhebender Güter. Von der besonderen Art, in der sie zur Erhaltung und Förderung ihres Lebens zusammenwirken, von der jeweilgen sozialökonomischen Produktionsweise ist darum die Art und Weise des Zusammenschlusses, die Gesellschaftsordnung, abhängig und notwendig bedingt.

Das Recht eines Volkes, als regelnde Form des Zusammenlebens und Zusammenwirkens, ist nichts als ein Instrument im Kampf ums Dasein, der verbunden und zusammenstimmend geführt werden soll. Darum kann es gar nicht anders sein, als daß das Recht der sozialen Wirtschaft gegenüber in die zweite Linie tritt. Es ist abhängig, gehorchend, dienend; und muß es sein, weil es sonst allen Sinn verlieren würde. Die gesellschaftliche Wirtschaft ist das Bestimmende und Befehlende; sie ist als Materie des sozialen Lebens das wahrhaft Reale, die wirkliche Substanz desselben. Und von der Besonderheit wirtschaftlicher Verhältnisse ist diejenige der rechtlichen Ordnung in bedingter Abhängigkeit befangen.

Wenn daher in der sozialen Wirtschaft eines Menschenkreises bedeutsame Veränderungen vor sich gehen, so machen diese eine entsprechende Umänderung der seitherigen Rechtsordnung nötig; wesentlich geänderte wirtschaftliche Verhältnisse bedingten notwendig eine parallel gehende Reform des geltenden Rechts. Und da das Recht von der materialistischen Geschichtsauffassung als ein akzessorisches Instrument in dem gemeinsamen Kampf um das Dasein aufgefaßt wird, und dasselbe nur eine geregelte Beherrschung der wirtschaftlichen Verhältnisse ermöglichen soll, so ist eine festgestellte Veränderung in der rechtlichen Organisation nur erklärlich und bestimbar als Folge von Metamorphosen der sozialen Wirtschaft, welche jene Rechtsänderung notwendig machten.

So kann man nach der Theorie des sozialen Materialismus aus Umgestaltungen der sozialen Wirtschaft, als der Materie des menschlichen Gesellschaftslebens, auf demnächstige entsprechende Umgestaltungen der rechtlichen Form schließen, als von bestimmenden Gründen auf notwendige Folgen. Und wiederum umgekehrt kann bei jeder Umformung einer Rechtsordnung, die wir im Laufe der Geschichte wahrnehmen, nach dem angeführten Grundsatz auf vorausgegangene Veränderungen in der sozialen Wirtschaft ein sicherer Schluß gezogen werden.

Hieraus ergibt sich der besprochenen Lehre die Gesetzmäßigkeit des in der Menschengeschichte sich abrollenden sozialen Lebens. Dabei ist stets der entwicklungsgeschichtliche Standpunkt festzuhalten. Die wirtschaftlichen Unterlagen der Gesellschaftsordnungen sind niemals als feste und starr bleibende Zustände aufzufassen, sondern in einem stetigen Fluß begriffen. Klima, Bodenbeschaffenheit und sonstige Eigenschaften eines Landes kommen nur durch die Tatsache produzierender und austauschender Wirtschaft für die Bestimmung eines Rechtes in Betracht: die Sonne HOMERs lächelt auch uns; aber Rechts- und Staatszustände sind in den gleichen Ländern ganz andere geworden, denn, sagt die materialistische Geschichtsauffassung, die soziale Wirtschaft hat sich dort ganz und gar geändert, wie sie sich ja stets und notwendig in einem unaufhörlichen Wechsel befindet. Diese Bewegung kann in naturwissenschaftlicher Methode verfolgt und erkannt werden. Die Erforschung des gesetzlichen Entwicklungsgangs der ökonomischen Phänomene bildet also die erste und grundlegene sozialwissenschaftliche Arbeit. Auf ihrer Basis kann man, in Ausführung des vorhin Gesagten, notwendige Änderungen der fraglichen Rechtsordnung erkennen.

Dieses ist sogar soweit für die Zukunft möglich, als sich auch hier mit einiger Sicherheit eine gesetzliche Tendenz in der kommenden Entwicklung ökonomischer Erscheinungen konstatieren läßt. Soweit solche Tendenzen der sozialen Entwicklung vorausgesehen und dargetan werden können, ist auch eine Voraussage entsprechender notwendiger Rechtsänderungen möglich, selbst wenn deren Notwendigkeit zur Zeit noch nicht in vollem Umfang bestände. Denn die Ausgestaltung wirtschaftlicher Phänomene zeitigt soziale Konflikte zwischen ihnen und der bestehenden Rechtsordnung. Diese Widersprüche erfordern früher oder später in unabwendbarer Dringlichkeit ihre Lösung und machen nach dem allgemeinen Gesetz des sozialen Lebens die der geänderten Wirtschaft korrespondierende Umformung des Rechts notwendig.

Die Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens  der Menschen ist nach der Lehre des sozialen Materialismus eine  Gesetzmäßigkeit der ökonomischen Phänomene.  Diese, die sich in einem Inbegriff der sozialen Wirtschaft zusammenschließen, entwickeln sich in naturgesetzlicher Art. Sie erhalten ihren Ausbau, zeigen Bewegungen, erleiden Veränderungen, gehen unter - alles in einem nach naturwissenschaftlicher Methode zu erforschenden Prozesse. In ihrer Totalität bilden sie die Materie des sozialen Daseins der Menschen; in ihrem Leben und Vergehen stellen sie deren Bewegungen dar. In den für sie geltenden Gesetzen faßt sich die Gesetzmäßigkeit des menschlichen Gesellschaftslebens zusammen:  mehr und anderes gibt es als soziale Gesetzmäßigkeit nicht. 

Der eherne Gang der ökonomischen Phänomene ist demjenigen anderer Naturgebilde gleichwertig. Die gesetzmäßige Entwicklung wirtschaftlicher Verhältnisse mag man beklagen: sie aufhalten oder sie anders gestalten, geht über menschliches Können. es ist ein naturnotwendiger Prozeß, in welchem die ökonomischen Erscheinungen wachsen und aufgehen, zur Blüte gelangen und sterben, - es sind gesetzmäßige Vorgänge, welche menschliche Erkenntnis in wissenschaftliche Systeme wohl einbegreifen kann.

Nur unverstandene Elementargewalten, wie der Natur so des sozialen Lebens, sind es, die dämonisch verderben und schreckhaft vernichten. Sie sind in ihrer Gesetzmäßigkeit erst erkannt, so vermag der Mensch vielem Schaden Bringenden auszuweichen, ja bis zu einem gewissen Grad der lenkende Herrscher über die blinden Mächte naturnotwendig waltender Bewegungen in der Entwicklung ökonomischer Phänomene zu werden. Wenn freilich sich einer dem gesetzmäßig vorgeschriebenen Gang von wirtschaftlichen Erscheinungen im Hemmungsversuch in den Weg stellt, den werden sie erdrückend zermalmen; jedoch wer den unabwendbaren entwicklungsgeschichtlichen Lauf in den Bewegungen einer Sozialwirtschaft erkannt hat, vermag begünstigend, helfend, leitend zur Seite zu treten und nach seinem Sinn heilsam einzugreifen.

Indem dieses letztere für das soziale Leben vornehmlich durch die regelnde Ordnung rechtlicher Organisation zu geschehen habe, so ergibt sich dem sozialen Materialisten die unabwendbare Gebundenheit, das naturnotwendige Vasallenverhältnis des Rechts zur Wirtschaft. Jede Gesellschaftsform - so lautet sein Ausdruck - hat ihr eigenes Recht. Es ist ihm eine unentrinnbare Notwendigkeit, daß eine bestimmte Rechtsordnung durch eine ihr widersprechende Entwicklung der Sozialwirtschaft vernichtet wird, daß der feste Gang und die sichere Tendenz im Voranschreiten ökonomischer Phänomene ein gewisses neues Recht unerläßlich hervorbringt. Denn das Recht ist nichts, als ein menschlicher Versuch, die sonst wilden und ungezügelten Kräfte sozialer Produktion zu lenken und zu leiten: Setzt es sich mit ihnen in einen Zwiespalt, so wird es von ihnen zertreten werden; will es lebenskräftig bleiben und weiter bestehen, so muß es  notwendig  der gesetzmäßigen Entwicklung wirtschaftlicher Verhältnisse folgen und sich ihr anpassen.


7

Die  materialistische  Geschichtsauffassung stellt sich selbst in einen bewußten Gegensatz zur  ideologischen  Betrachtung der Menschengeschichte, das ist der Meinung von selbständig entstehenden und wirkenden Ideen. Dabei leugnet der materialistische Historiker keineswegs das Auftreten idealer Ziele in menschlichen Vorstellungen und Bestrebungen, noch auch die Tatsache, daß Rechtsänderungen im Namen der Gerechtigkeit gefordert und ererbte Institutionen bald als gut oder böse beurteilt werden: aber er stellt in Abrede, daß die menschlichen Vorstellungen über Recht und Gerechtigkeit eine  selbständige  Existenz in einer abgegrenzten Welt für sich hätten, mit eigener Entstehung in einer zweiten und abgesonderten Kausalreihe; und er behauptet, daß nicht die Ideen die wahren Ursachen im gesellschaftlichen Leben seien, sondern daß sie als Widerschein bestimmter Sozialwirtschaft jeweils erst entständen.

1. In Übereinstimmung mit der theoretischen Grundmeinung des Materialismus bestreitet die materialistische Geschichtsauffassung, daß es  zwei  verschiedene Erfahrungen,  zwei  getrennte Erkenntniswelten gibt. Es bieten sich unserer Erkenntnis nicht zwei selbständige Reihen von Phänomenen dar, in zwei gesonderten Gebieten zu begreifende Tatsachen; und das Kausalitätsgesetz, das für die wissenschaftliche Auffassung von der Natur jede Erscheinung als notwendige Folge einer vorausgehenden anderen Erscheinung begreift, kann nicht in  zweierlei  Reihen auftreten, die parallel nebeneinander herliefen, und von denen die eine Reihe für die physischen Erscheinungen, die andere für die - alsdann doch nicht recht klar gedachte - Einheit der Ideen Geltung hätte.

Allein dies ist noch nicht dasjenige, was den Materialismus auszeichnet. Daß alle unsere objektive Erkenntnis  eine  ist, daß nur  eine  Ordnung der Gesetze eines von uns einzusehenden Geschehens im Weltall möglich ist, das hat kein Geringerer als KANT in einem eindringlichen Ausbau platonischer Grundgedanken zum erschöpfend klaren Ausdruck gebracht.

"Es ist nur  eine  Erfahrung, in welcher alle Wahrnehmungen als im durchgängigen und gesetzmäßigen Zusammenhang vorgestellt werden; ebenso wir nur  ein  Raum und  eine  Zeit ist, in welcher alle Formen der Erscheinung und jedes Verhältnis des Seins oder Nichtseins stattfinden. Wenn man von verschiedenen Erfahrungen spricht, so sind es nur soviele Wahrnehmungen, sofern solche zu einer und derselben allgemeinen Erfahrung gehören." (6)

"Wir könnten auch sagen - so erläutert dies NATORP in einer trefflichen Paraphrase (7) -: es ist nur  eine  gegenständliche Wahrheit, nur  eine  Objektivität unserer Erkenntnis. Das ist ja überhaupt der Begriff des "Gegenstandes": die notwendige Einheit, in der alle auf ihn bezogene Erscheinung sich zusammenfassen soll. Die Einheit des Gegenstandes wird aber konstituiert durch die Einheit des Gesetzes, Bedingungen derselben sind die Einheit der Zeit wie des Raums. Diese Einheit der Natur, identisch mit der der "Erfahrung", darf nicht bloß als "regulative" Maxime, sondern als "konstitutiver" Grundsatz der Wissenschaft ausgesprochen werden. Wissenschaft, Erkenntnis des Gegenstandes besteht nur kraft dieser Voraussetzung. Irgendeine Aufstellung, vollends eine Methode, welche diesen Grundatz ignoriert, stellt sich damit außerhalb der Wissenschaft."

materia.html Darum entfernt sich auch die materialistische Geschichtsauffassung grundsätzlich noch gar nicht in eine eigenartige Sonderstellung, wenn sie das soziale Leben der Menschen in  einer  Einheit begreifen und ergründen will; so daß es nur eine  einheitliche  Art sozialer Phänomene und nur  eine  formal gleichartige Möglichkeit ihrer Entstehung und Wirkungen gibt. Diese Grundauffassung des gesellschaftlichen Lebens der Menschen bedarf freilich sehr der kritischen Untersuchung und Klarlegung; liefert jedoch keineswegs notwendig einen  sozialen Materialismus.  Dies geschieht erst

2. Durch Einschiebung der Meinung, daß auch für das soziale Leben  Materie  (soziale Wirtschaft) und  Bewegung  (der ökonomischen Phänomene) als das betrachtet werden könne, was  allein wahrhaft  ist und geschieht; daß dagegen soziale Ideen, Vorstellungen und Wünsche als bloße erscheinende Abbilder zu erachten seien,  gesetzmäßig  abhängig von der sozialen Materie, das ist der gesellschaftlichen Wirtschaft und deren realen Veränderungen.

Nach der materialistischen Sozialphilosophie gibt es keine andere Gesetzmäßigkeit für menschliches Gesellschaftsleben, als diejenige Sozialwirtschaft, als der Materie des sozialen Zusammenlebens der menschen. Die soziale Wirtschaft ist das alleinig Reale im sozialen Leben; ihre Bewegungsgesetze sind die einzigen Wahrheiten auf diesem Gebiet. Alles was sonst neben diesen Realitäten der ökonomischen Phänomene erscheint, wie vor allem Ansichten über die gesetzmäßige Berechtigung bestimmter sozialer Bestrebungen, ist nur Reflex, sind lediglich Spiegelbilder, die als selbständige Gegenstände anzunehmen eine wissenschaftliche Täuschung bedeutet.

Das gesamte geistige Leben eines Volkes ist nach der materialistischen Geschichtsauffassung weiter nichts, als ein von der Materie der betreffenden Gesellschaft, der sozialen Wirtschaft derselben, hervorgebrachter und abhängiger Widerschein dieser sozialen Wirtschaft. Wie dem Materialisten seit DEMOKRIT die Materie die allein wahre Substanz, die Seele nur abhängiger Schein ist, und er die psychischen Vorgänge im Menschen aus Bewegungen der Materie ableiten und erklären will, so wird dieses vom sozialen Materialismus auf das Gesellschaftsgebiet dahin übertragen, daß nur das wirtschaftliche Zusammenwirken als reale Substanz des menschlichen Gemeinschaftslebens zu behandeln sei, daß sich aus der besonderen Art der ökonomischen Verhältnisse die Äußerungen psychischen Lebens erklären und entsprechend bestimmen, und daher die einzig mögliche Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens in der Erkenntnis gesetzmäßiger Bewegungen der ökonomischen Phänomene zu finden sei.

In diesem Sinne bezeichnen die sozialen Materialisten alle geistigen Gesamtanschauungen, die einer gewissen Kulturepoche eigen sind, als einen "Überbau" der betreffenden gesellschaftlichen Wirtschaft. Sie tun es in der eben besprochenen Meinung, daß die soziale Wirtschaft das einzig Reale in Bezug auf das soziale Leben ist, welches allein wissenschaftlich erkannt werden kann: Die sozialen Bewußtseinserscheinungen sind, wie schon angegeben, nur Reflexwirkungen der wirtschaftlichen Verhältnisse, aus diesen hervorgegangen und von ihnen bedingt. Sind die ökonomischen Phänomene in ihren gesetzmäßigen Bewegungen erkannt, so sind damit zugleich schon die psychischen Abbilder der entsprechenden sozialen Ideen wissenschaftlich erklärt; denn die Art des übereinstimmenden Denkens und des danach vorgehenden, scheinbar freien, Handelns ist in dem Sinne von der sozialen Wirtschaft abhängig, daß jene nur der äußere Schein der allein wahren Substanz, der Materie des sozialen Lebens im Sinne der Sozialwirtschaft ist.

Dieses findet seine Anwendung ebensowohl für Moral und Religion, wie für Kunst und Wissenschaft und für die unmittelbaren Anschauungen und Bestrebungen, die auf Erhaltung oder Abänderung einer Gesellschaftsordnung gehen.

Anders sind die Auffassungen über dasjenige, was erlaubt oder was schlecht ist beim nomadisierenden Hirtenvolk, das nur die gemeinsame Ausnutzung der Weideplätze kennt, als sie der Bauer hat und hegt, der auf abgegrenztem Privateigentum sitzt; verschieden von ihnen ist die Moral des handeltreibenden Großkaufmanns, des kleinbürgerlichen Handwerkers, der plündernden Raubritter. Die religiösen Vorstellungen eines Jäger- und Fischervolkes sind mit Notwendigkeit ganz unähnlich denen, die in fortgeschrittenen Gemeinwesen mit Warenproduktion und freiem Gewerbe und Verkehr herrschen. Und erst bei höher entwickelten wirtschaftlichen Verhältnissen vermögen Kunst und Wissenschaft zur Blüte zu gelangen; mit dem Aufsteigen oder Sinken jener müssen die letzteren in einer abhängigen Parallele gehen.

In dieser Weise lehrt der soziale Materialismus, daß die gemeinsamen Geisteserscheinungen in der Menschengeschichte nichts als widergespiegelte Abbilder der wirtschaftlichen Verhältnisse sind. Nur die letzteren sind wahre Realitäten des sozialen Lebens; jene anderen aber bedeuten bloß unselbständige Erscheinungen, in denen die substantiellen Objekte des Gesellschaftslebens, die ökonomischen Phänomene, zu einem gewissen Ausdruck gelangen. Nimmt man aber, so meint die materialistische Geschichtsauffassung, die Ideen als eigene und selbständige Dinge, von besonderem Bestand für sich, so unterliegt man einer Täuschung. Wie der Regenbogen keine besonderes selbständiges Wesen ist, sondern nur ein Reflex, aus Bewegungen der Materie zu erklären, so hält es der soziale Materialist mit den im Völkerleben auftauchenden Ideen, wie den in obigen Beispielen genannten. Man mag immer der Entstehung und der Bedeutung sozialer Vorstellungen nachgehen, das Aufkommen, die Einflüsse, den Niedergang von Ideen in der Geschichte beobachten: aber man muß sich stets bewußt sein, daß  damit  die  eigentlich wahren Gegenstände  der sozialwissenschaftlichen Betrachtung und die  wirklichen Gesetze  der geschichtlichen Bewegungen  nicht  wiedergegeben und erkannt sind. Indem man von  Ideen  handelte, hat man  bloß von Spiegelbildern  geredet, nicht aber von den  realen Objekten,  deren Reflex jene Ideen waren.

Wer wirklich wissenschaftlich das menschliche Gesellschaftsleben erforschen und dessen Gesetzmäßigkeit darlegen will, der mag die sozialen Ideen, als die Reflexwirkungen, welche die wahren sozialen Substanzen in den menschlichen Köpfen bewirken, als Mittel benutzen; aber er darf sie, nach der besprochenen Lehre, nicht hypostasieren [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] und ihnen eine selbständige Existenz und eigene Gesetzmäßigkeit zuschreiben. Ihre Benutzung als heuristische Maxime ist gestattet; doch nur, soweit sie zu den realen Phänomenen des sozialen Lebens und zur wahren Gesetzmäßigkeit dasselbe hinführt: zu den sozialwirtschaftlichen Erscheinungen und den Entwicklungsgesetzen derselben.

Vor allem ergibt sich danach als Lehre des sozialen Materialismus, daß die besondere Gestalt eines menschlichen Gemeinwesens, die Form einer bestimmten Gesellschaft ganz notwendig  nur  von der Wirtschaft dieser sozialen Gemeinschaft bedingt und abhängig ist. Denn da nach der materialistischen Geschichtsauffassung alle Ideen von Gerechtigkeit nur Spiegelbilder der wahren Realitäten ökonomischer Zustände sind und eine eigene selbständige Existenz gar nicht besitzen, so sind auch alle Rechtsänderungen, die im Namen der sozialen Gerechtigkeit gefordert oder durchgesetzt werden,  in Wahrheit  durch die unterliegenden Wirtschaftsverhältnisse bewirkt worden, für welche die angenommene Formel der sozialen Gerechtigkeit  nur ein anderer Ausdruck  ist; so zwar, daß die Wirtschaft die Realität, die Idee dagegen nur ein reflektiertes Abbild derselben ist.

Darum sind auch - fährt die genannte Lehre fort - die Meinungen darüber, was  sozial gerecht  sei, allezeit so außerordentlich verschieden; und zwar verschieden nicht nur nach Völkern, sondern innerhalb derselben nach Ständen und Klassen. Denn jene Meinungen spiegeln nur die wahre und reale Unterlage der betreffenden sozialwirtschaftlichen Verhältnisse ab. Diese aber sind in der angegebenen Art verschieden, wonach die Differenzen in den erwähntenn Meinungen über Gerechtigkeit für die materialistische Geschichtsauffassung selbstverständlich sind.

Nicht eigenartige und selbständige Bewegungen in einem besonderen, zweiten Reich der Ideen sind es, die als die wahren Bestimmungsgründe rechtlicher Änderungen betrachtet werden dürfen, sondern Bewegungen in dem einer wissenschaftlichen Erkenntnis allein zugänglichen Gebieten der sozialen Materie, der sozialen Wirtschaft; - das ist ein Grundgedanke des sozialen Materialismus, den er auch dahin formulieren zu dürfen glaubt: Nicht fortschreitende Einsicht in eine mögliche Gerechtigkeit bei der Gestaltzung des sozialen Lebens der Menschen vermag zu einer gesetzmäßigen Art des letzteren zu führen; sondern diese wird durch Klassenkämpfe bestimmt, als Ausfluß ökonomischer Phänomene, soweit nur die geschriebene Menschengeschichte zurückreicht.

Daß auf die Ausbildung und Gestaltung des Rechts religiöse Vorstellungen und sittliche Ideen ihren Einfluß haben, kann also auch nach der materialistischen Geschichtsauffassung ruhig stehen bleiben. Aber es sind dieses nicht Faktoren, die aus einer eigenartigen und selbständigen Welt stammen, welche von der materiellen Welt der Art nach geschieden wäre und ihre eigenen kausalen Entwicklungsgänge besäße; sondern jene Ideen gehen in ihrer Entstehung auf die materielle Grundlage des sozialen Lebens zurück und sind in ihrer Besonderheit durch die Art und Weise jener materiellen Basis notwendig bedingt. Sofern das Recht unmittelbar durch Ideen bestimmt wird, ist es innerhalb des einheitlichen Kausalzusammenhanges aller Gegenstände unserer Erkenntnis bestimmt worden, und zwar durch etwas, was selbst wieder von der Materie des gesellschaftlichen Daseins der Menschen abhängig ist.

Eine andere Art von Gesetzmäßigkeit des menschlichen Gesellschaftslebens, als die der wissenschaftlich erkannten Bewegungen wirtschaftlicher Erscheinungen und ihnen entsprechender Klassenkämpfe, gibt es nach der Lehre des sozialen Materialismus nicht. Dies ist die letzte und oberste Einsicht, meint er, die uns in einheitlicher und methodisch allgemeingültiger Weise in das soziale Dasein der Menschen zu tun vergönnt ist.


8

Aus obiger Darstellung geht hervor, daß nichts verkehrter sein würde, denn die Theorie der materialistischen Geschichtsauffassung als eine gewisse Abart des  Historismus,  insbesondere der geschichtlichen Rechtsschule zu erachten (8)

Allerdings lehr auch die letztgenannte Richtung, daß das Recht  in seinem Wesen  als  ein Naturprodukt  aufzufassen sei, dessen Entstehung sich in einem notwendigen Prozeß vollzieht, - nicht durch eine selbständige Idee des Gesetzgeberns bestimmt, sondern ohne freie menschliche Tat in kausal notwendigem Geschehen. Aber die historische Juristenschule faßte - soweit sie überhaupt  Theorie  in interessierender Weise enthielt - das Recht als  eine gemeinsame Überzeugung  auf, die in einem wissenschaftlich nicht näher zu begreifenden und auseinander zu legenden Verfahren der nationale Geist des Volkes bewirkt. Die gemeinsame Überzeugung dessen, was als Recht zu gelten hat, das  ist  nach dieser Lehre  das Recht;  Spruch des Gesetzgebers oder gewohnheitsmäßige Übung ist nur Betätigung dieser Überzeugung, nur Konstatierung, nicht Konstituierung von Recht.

Diese Dogmatik der historischen Rechtsschule gründet sich mithin auf die Vorstellung eines rätselhaften psychischen Gesamtphänomens, dessen Bestand und Wirken man in der Welt der Erfahrung verspürt, während es selbst in grundsätzlicher Unerforschlichkeit über selbiger schwebt. Sie bedeutet daher in dieser dualistischen Grundauffassung das gerade Gegenteil der materialistischen Geschichtsphilosophie, welche das Recht ausschließlich von Bewegungen der Materie des sozialen Lebens, von der gesetzmäßigen Entwicklung der ökonomischen Phänomene in Abhängigkeit bringt und irgendwelche selbständige Einwirkung psychischer Faktoren ausdrücklich und scharf ablehnt.

In der Tendenz wissenschaftlicher Ergründung des Gesellschaftslebens der Menschen steht der soziale Materialismus weit über dem mystischen Spiritualismus der historischen Schule, deren romantische Grundstimmung einer philosophischen Zergliederung wissenschaftlich verwendeter Grundbegriffe unbehaglich gegenübersteht. Sie reagierte gegen einen unhaltbaren Freiheitsbegriff altvergangener, vorkritischer Zeit, nach welchem der Gesetzgeber in kausal freier Willkür vorgehen und in einen sonst gesetzmäßig sich abrollenden Kausalzusammenhang sozialer Ereignisse in ursächlich unabhängigem Bestimmen eingreifen kann. Aber sie setzte nichts an die Stelle, als die subjektive Meinung, daß alle Neuschöpfung auf dem Gebiet des Rechts auf Regungen des Volksgeistes zurückführt, der nun selber in seiner Herkunft wie seinem Wesen wissenschaftlich nicht erkennbar ist. Wie konnte es da anders kommen, als daß die Schüler jener eigentümlichen philosophischen Sekte auf dem Rechtsgebiet, - da sie zwar an den Volksgeist im alten Sinne nicht mehr glaubten, den Ergebnissen der Lehre aber in gefühlsmäßiger Sympathie zuneigten, - von  philosophischer  Grundlegung des Rechts  gar nichts mehr  übrig behielten!

Die materialistische Geschichtsauffassung aber geht unmittelbar auf fundamentale Theorie, auf Einsicht in die innere Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens der Menschen. Sie vertritt auch für das gesellschaftliche Menschendasein das Prinzip einer durchgängigen Kausalverknüpfung sozialer Erscheinungen nach Gesetzen eines universellen Mechanismus; sie gründet auf dem Enthusiasmus für die solches im einzelnen erforschende Wissenschaft und erkennt nichts als wahr an, was nicht nach jenem Prinzip empirisch aufgewiesen werden kann. Sie fordert für jede gesetzmäßige Erfassung sozialer Vorgänge die Rückführung derselben auf die von ihr zur Basis genommene Gesetzmäßigkeit der ökonomischen Phänomene. Sie verläßt sich bei der Erforschung der sozialen Menschengeschichte mitnichten auf den viel berufenen "historischen Sinn", zumeist doch nur eine verdächtige Fähigkeit, sich in die Mängel vergangener Zeiten kongenial hineinzuversenken und die Schwächen und Fehler verstorbener Menschen und deren vielfach geringwertige Motive recht wahrheitsgetreu nachzuempfinden (eine verspätete Detektivarbeit!), - sondern fordert eine methodische Erklärung der geschichtlichen Entwicklung unter grundsätzlicher Durchführung des einheitlichen Gesichtspunktes der sozialen Gesetzmäßigkeit, die wir als die des sozialen Materialismus genannt und erläutert haben.

So ist ihre Lehre ihrem Sinne nach eine philosophische Grundanschauung vom sozialen Leben der Menschen nach seiner letzten inneren Gesetzmäßigkeit. Und während ihr nach dem Angeführten die Kennzeichnung des  Materialismus  allerdings vollauf zukommt und sie dieses Beiwort in aller Konsequenz zu führen hat, so wäre sie ansich vielleicht besser als  Sozialphilosophie,  denn als Geschichtsauffassung bezeichnet worden. -

Die materialistische Geschichtsauffassung ist nicht als ein System des  Fatalismus  gemeint.

Jedenfalls nicht in dem Sinne einer  unerforschlichen  Notwendigkeit des Fatums, in der aller Gang der Geschichte in fester, doch unerkennbarer Bahn vorgezeichneit ist. Die Meinung HOMERs, nach der jedem Menschen des Lebens Ziel in unverrückbarer Weise und unbedingt vorgesteckt ist, ohne daß es ihm möglich wäre, den Schleier vom unausweichlichen Gang der Ereignisse zu lüften, findet sich freilich bei unaufgeklärten Menschen überall; wie sie der Kindheit des Verstandes entspringt, so begleitet sie die in einem solchen Zustand befindlichen Leute in den verschiedensten Zeiten und durch die mannigfachsten Umgebungen, den ALLAH ergebenen Mohammedaner so gut, wie den nieder gebildeten Mann in westeuropäischen Landen. Aber mit der Philosophie des Materialismus hat sie nichts zu tun. Diese geht von einem durchgängigen Grundsatz der Kausalität aus; sie fußt auf dem Satz  non datur fatum  [Es gibt kein Schicksal. - wp] und gründet auf dem Prinzip, daß keine Naturnotwendigkeit eine blinde, sondern eine bedingte, mithin  verständliche  Notwendigkeit ist. Letztere ist zu begreifen aus ihrer Bedingung: Die Wirkung ist nach ihrer Ursache notwendig; und es läßt sich diese Notwendigkeit aus der Ursache verstehen. Deshalb ist die Tendenz der materialistischen Geschichtsauffassung einem Fatalismus nach dieser Richtung hin durchaus entgegengesetzt. Sie will die gesetzmäßige Notwendigkeit der ökonomischen Phänomene nach dem Kausalitätsgesetz begreifen und darin die allgemeingültige Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens darlegen. Sie unterscheidet sich von der fatalistischen Weltanschauung in gleicher Weise, wie der wissenschaftliche Naturforscher, der in bakteriologischen Untersuchungen die gesetzmäßige Erregung von Krankheiten begreifen will, vom gemeinen Aberglauben in feindlicher Lösung sich entfernt, der in dumpfer Ergebenheit ein Ende erwartet, dessen ursächliche Einzelbedingungen er verstandesmäßig nicht einsehen zu können glaubt.

Aber es will die materialistische Geschichtsauffassung auch gar nicht in dem Sinne fatalistisch sein, daß sie die wissenschaftlich erkannte Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung ökonomischer Phänomene als unabwendbares Schicksal für jede einzelne menschliche Gesellschaft hinnehmen wollte, welches man zu tragen hätte, ohne sich irgendwie zu rühren, und dem gegenüber man überhaupt etwas hilfreich zu leisten gar nicht imstande ist.

Es ist zuzugeben, daß sie sich in ihren Schlüssen zu diesem Ergebnis hätte wenden können. Vielleicht ersteht noch einmal ein sozialer Denker, der der Anregung eines PLETHO und SPINOZA folgt und die Lehren dieser Fatalisten auf das soziale Gebiet konsequent überträgt. Die materialistische Geschichtsauffassung hat es nicht getan.

Ihre Vertreter sind der Meinung, daß durch Operation und heilende Mittel ein Kranker, der nach physiologischen gesetzen hätte sterben müssen, am Leben erhalten werden kann; und daß der Geburtshelfer, in Kenntnis der hier waltenden Naturgesetze, gar vieles zu tun vermag, um ein lebenskräftiges Kind zur Welt zu befördern, wo sonst ein solches mit fehlender Vitalität geboren worden wäre. Die materialistische Geschichtsauffassung nimmt allgemein an, daß der Mensch imstande ist, wissenschaftlich erkannte Naturgesetze  seinen Zwecken  dienstbar zu machen. Sie beruft sich auf die vulgäre Erfahrung des alltäglichen Lebens; und hält die Möglichkeit einer  zweckmäßigen  Benutzung von Naturgesetzen für eine so ausgemachte sache, daß ENGELS sogar von der Lenkung wissenschaftlich erkannter ökonomischer Phänomene mittels einer sozialistischen Gesellschaftsordnung meint: "Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit;" (9) - ein Satz von besserem äußeren Klingen, als klarem sachlichen Gehalt.

Denn dies ist freilich von jedem sozialen Materialisten konsequent festzuhalten, daß alle zweckverfolgende Regelung des Zusammenlebens von der gesetzmäßigen Entwicklung ökonomischer Phänomene ausnahmslos abhängig und in ihrer Sonderart von jener notwendig bedingt ist; so daß von vornherein unklar bleibt, wie dieses Grundgesetz  notwendig  bestimmender ökonomischer Phänomene an einem gewissen Einzelpunkt menschheitlicher Entwicklung - hier: bei der supponierten Einführung der sozialistischen Produktionsweise - plötzlich außer Kraft treten sollte.

Sieht man jedoch von diesem einzelnen Zweifelsbedenken ab, so verbleibt als Fundamentalmeinung des sozialen Materialismus in der zuletzt besprochenen Hinsicht diese: daß die Menschen imstande sind, gesetzmäßig erkannte Bewegungen ökonomischer Phänomene sich in zweckmäßiger Art sich nutzbar zu machen, ohne daß durch ein ehernes und unerforschliche Fatum ein prinzipielles Hindernis vorläge; daß aber das Medium des Rechts in seinem besonderen Vorgehen durch die betreffenden ökonomischen Phänomene notwendig bestimmt wird. Es ist abhängig und notwendig bedingt, wie die Tätigkeit des Arztes durch die wissenschaftlich erkannten Gesetze des menschlichen Lebens notwendig bestimmt wird. Bei diesem Verhältnisse kommt die rechtliche Regelung im Rang erst an zweiter Stelle; sie hat sich nach dem gesetzmäßigen Entwicklungsgang der wirtschaftlichen Erscheinungen unerläßlich zu richten und dieser sich folgsam anzupassen: Eine eigene und selbständige Gesetzmäßigkeit gibt es aber, nach der Meinung der materialistischen Geschichtsphilosophie, für sie nicht.


9

Die materialistische Geschichtsauffassung führt als sozialphilosophische Grundlegung auf KARL MARX zurück.

Es ist zwar auch vor ihm gelegentlich schon betont worden, wie die Ausgestaltung des Rechts von der unterliegenden Wirtschaft bedeutsam abhängig sei, und man hatte bereits in früheren zeiten nicht selten hervorgehoben, daß die Eigenart eines wirtschaftlichen Lebens von starkem Einfluß auf Ideen und Meinungen und auf den Stand von Kunst und Wissenschaft sein müsse.

Aber um eine solche kleinere Betrachtung handelt es sich bei der materialistischen Geschichtsauffassung, als einer Sozialphilosophie, gar nicht. Diese will eine objektiv richtige Methode bedeuten, nach welcher das in der Geschichte sich ständig entwickelnde soziale Leben der Menschen in wissenschaftlich begründeter Weise untersucht und begriffen werden soll. Darum liegt in ihrem Prinzip der notwendige Gedanke von einer durchgängigen Gesetzmäßigkeit und einem unbedingt einheitlichen formalen Verfahren bei der Auffassung sozialgeschichtlicher Ereignisse. Es kann nach ihr nicht mehr davon die Rede sein, daß  unter anderem  das Recht  auch  von der Wirtschaft abhängig ist; - sondern es sind alle Einzeläußerungen des gesellschaftlichen Daseins der Menschen, und so auch die rechtliche Form desselben und die staatliche Organisation im besonderen im letzten Grund  ausschließlich  durch Bewegungen der sozialen Wirtschaft bedingt und bestimmt.

Auch der überzeugte Anhänger der rationalen Psychologie kann zugeben, daß die Gemütsverfassung vom körperlichen Befinden nicht unabhängig sei, und daß dieses auf jene Einfluß ausübt. Aber die Grenze zum Materialismus hin wird erst dann überschritten, wenn jene Nachgabe in das wissenschaftliche Postulat sich wandelt, daß Materie die allein wahre Substanz sei, Seele nur abhängiger Schein. So genügt auch das Zugeständnis, daß man bei rechtlichen Umänderungen wirtschaftliche Momente  auch  in Betracht ziehen muß, wenn jene in ihrem kausalen Werden erschöpfend erklärt und begriffen werden sollen, noch gar nicht, um eine Übereinstimmung mit dem sozialen Materialismus herbeizuführen. Dieser letztere tritt erst dann hervor, wenn zum Prinzip genommen wird, daß außer der gesetzmäßigen Entwicklung der ökonomischen Phänomene keine andere höhere Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens des Menschen sei.

Dieser Grundgedanke, welcher das materialistische Prinzip überall erst in das soziale Leben hineinträgt, dürfte aber  vor  MARX von niemandem in bewußter Klarheit erfaßt und geäußert worden sein. Daß er, der von HEGEL ursprünglich ausgegangen war, in der Ausbildung seiner fundmentalen Gedankenreihe durch LUDWIG FEUERBACH angeregt und gerichtet worden ist, dies ist von marxistischer Seite bereitwillig zugesatnden worden. Ein persönlicher Prioritätsstreit über das erste Aufbringen des sozialen Materialismus ist aber für die systematische Erkenntnis sachlich umso mehr gleichgültig, als zweifellos innerhalb des letzten halben Jahrhunderts die genannte Theorie eigentlich ausschließlich an MARX angeknüpft hat. (10)

Allerdinge hat MARX niemals eine genügende Ausführung seiner Sozialphilosophie veröffentlicht und überhaupt keine systematische Darlegung und kritische Begründung der materialistischen Geschichtsauffassung geliefert. Sie tritt bei ihm immer nur innerhalb anderer Untersuchungen und literartischer Arbeiten hervor; und trägt auch innerlich stets den Charakter des gelegentlich Hingeworfenen. Am eindringlichsten hat er die hier in Frage stehenden Gedanken im Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie formuliert; (11) nächst dem in seiner Polemik gegen PROUDHON; (12) und überhaupt hier und da in seinen kleineren Schriften. (13) Am wenigsten finden sich prinzipielle Ausführungen des sozialen Materialismus im "Kapital". Dieses Hauptwerk des genannten Autors zielt in seiner letzten Absicht auf eine Analyse unserer heute bestehenden Wirtschaftsordnung ab. Seine Ergebnisse haben mit der Deduktion einer grundlegenden Sozialphilosophie ansich gar nichts zu tun; weshalb auch die Meinung ganz verkehrt ist, als habe MARX seinen Sozialismus auf seine Durchforschung der kapitalistischen Produktionsweise, etwa auf den angeblich ungerechten Mehrwert des Unternehmers gegründet, während er ihn in der Tat - wie alsbald noch darzutun sein wird - auf der materialistischen Geschichtsauffassung aufbaut. Wer also die von MARX erhaltenen Ergebnisse seiner analytischen Durchforschung der heutigen Wirtschaftsordnung mit einer  anderen  grundsätzlichen Anschauung vom sozialen Leben zusammenbringt, als der materialistischen Sozialphilosophie, der verfehlt die wahre Meinung und politische Schlußfolgerung jenes Denkers. Dabei ist es selbstverständlich, daß sich auch im "Kapital" eine Reihe von Einzelanwendungen der marxistischen Sozialphilosophie findet; worunter besonders die Ableitung der Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit aus ökonomischen Bedingungen hervorgehoben werden mag. (14)

Derjenige Schriftsteller, welcher am meisten zur Verbreitung der neuen Lehre beigetragen hat, ist FRIEDRICH ENGELS. Er hat ihre Grundgedanken, nach seiner Mitteilung, zum Teil gemeinsam mit MARX ausgearbeitet; dann aber in einigen neuen Wendungen und mannigfachen konkreten Ausführungen aus der sozialen Geschichte sie selbständig vertreten und bei zahlreichen Anlässen vorgestellt. Vor allem hat er durch den erfolgreichen Schlag gegen die unter DÜHRINGs Führung in den siebziger Jahren dieses Jahrhunderts sich sammelnde Schar unklarer und eklektischer Sozialisten in Deutschland alle anderen sozialistischen Richtungen fast völlig verdrängt und derjenigen, welche sich auf die materialistische Geschichtsauffassung stützt und als Einzelanwendung für unsere Zeit aus dieser sich ableitet, zum alleinigen Sieg verholfen. (15)

So kann man die Darstellung von ENGELS als die vollendetste und als die authentische Wiedergabe der Prinzipien des sozialen Materialismus behandeln. Seine Ausführungen dringen am weitesten in dme Versuch einer allgemeingültigen Theorie des sozialen Lebens und einer grundlegenden Methode der Sozialwissenschaft vor; in ihnen spiegelt sich der Vorzug der materialistischen Geschichtsauffassung, als einer auf Klarlegung der obersten Gesetzmäßigkeit des gesellschaftlichen Menschendaseins gerichteten Bestrebung ebenso klar wieder, wie alle Schwächen derselben, die aus Mangel an kritischer Untersuchung der verwendeten Grundbegriffe fließen, dortselbst typisch hervortreten.

Von den nachmaligen Anhängern und literarischen Vertretern des sozialen Materialismus hat keiner die beiden Vorgänger erreicht oder gar übertroffen. Sie alle geben nur Wiederholungen der von jenen gelehrten Sätze. Und nur selten findet sich ein Versuch, einen Zweifel, der sich gegen die gleichförmige Tradition richtet, zum Ausdruck zu bringen oder denselben in gegenseitiger Erörterung und vorurteilsloser Untersuchung zu heben und zu erledigen. (16)

Die gesamte Signatur der marxistischen Literatur läßt sich in der hier interessierenden Richtung dahin bezeichnen, daß sie sich mit wenigen, mehr aphoristisch hingeworfenen Grundgedanken begnügt. Es kommt ihr weniger auf eine theoretische Ausführung ihrer Prinzipien an, und leider noch weniger auf eine kritische Fundierung derselben, als vielmehr auf die einzelne praktische Nutzanwendung der axiomatisch aufgestellten Leitsätze bei der Prüfung des geschichtlichen und des werdenden sozialen Lebens. Und während sie in eigentümlicher Sorglosigkeit schwierige Kategorien der Sozialphilosophie einsetzt, ohne mit deren begrifflicher Klarlegung und erkenntniskritischer Bedeutung sich aufzuhalten, so hat sie ihre Tätigkeit auf die Einzelbeobahtung des Gesellschaftslebens der Menschen konzentreiert, das sie jenen höchst summarisch angenommenen Begriffen in einheitlicher Methode zu unterwerfen sucht. (17) So ist allmählich in ihr ein quantitativ ausgedehntes Material erwachsen, dessen wissenschaftliche Bedeutung vollständig und ausnahmslos von der Möglichkeit abhängig ist, das untergelegte theoretische Fundament und die angenommene philosophische Methode der Geschichtsforschung als Wahrheit und oberste Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens aufrechtzuerhalten. Danach rechtfertigt es sich, wenn wir unsere Betrachtung in einem strengen Festhalten des Grundgedankens sozialphilosophischer Erwägung nur auf das Prinzip des sozialen Materialismus und nicht schon auf seine versuchte Einzelanwendung richten. Und ich erinnere nur im Vorbeigehen wiederholend daran, daß es sich bei der letzteren ebensowohl um die Abhängigkeit der Religion und der Moral, wie der Kunst und Wissenschaft vom Wirtschaftsleben handelt; vor allem aber um die Bedingtheit der Bildung sozialer Vorstellungen und Ideen über Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit von ökonomischen Momenten, wie überhaupt um die maßgebliche Bestimmung des gesamten Rechtssystems durch die soziale Wirtschaft.


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Die bedeutsamste Einzelanwendung der materialistischen Geschichtsauffassung ist  der moderne deutsche Sozialismus. 

Es wird nachgerade allgemein als bekannt vorausgesetzt werden dürfen, daß es nicht gelungen ist, unter dem so viel gebrauchten Schlagwort vom "Sozialismus" überhaupt einen einheitlichen Begriff sozialer Theorien und Bestrebungen unterzubringen. Nach beiden Seiten hin - der theoretischen Erwägung wie der praktischen Reformarbeit - fassen sich vielmehr die verschiedenartigsten Richtungen darunter: Sowohl hinsichtlich der theoretischen Begründung von der Notwendigkeit einer radikalen Umänderung der überlieferten Rechtsordnung überhaupt, als auch in Bezug auf die Meinungen über die Art und Weise einer solchen Metamorphose. Man hat sich beispielsweise daran gewöhnt, ebensowohl SAINT SIMON und FOURIER, wie LASSALLE und RODBERTUS, oder PROUDHON und LOUIS BLANC jeweils als Sozialisten zu kennzeichnen; und doch weisen die Lehren dieser Männer nach den beiden genannten Richtungen hin keine prinzipielle Übereinstimmung und keinen einheitlichen Grundgedanken auf. Denn sie motivieren ihre Reformvorschläge in ganz verschiedener, theoretisch meist recht kümmerlicher Art; und gehen in diesen Vorschlägen, was das Verhältnis des Individuums zur Gesamtheit anlangt, weit, ja feindlich auseinander. Christliche Lehre, psychologische Beschaffenheit des menschlichen Trieblebens, soziale Gerechtigkeit, Glückl möglichst vieler, und manche andere prinzipielle Auffassung von Ziel und letzter Aufgabe der menschlichen Gesellschaft treten hier auf. Und in den als Mittel eingeführten praktischen Vorschlägen liegt bei jenen Autoren keineswegs der Gedanke eines  kommunistischen  Zusammenlebens in irgendeiner Übereinstimmung unter ihnen zugrunde; gar manche derselben (besonders energisch PROUDHON) verwerfen sogar jede Anlehnung hieran; und selbst die Verstaatlichung der Produktionsmittel ist durchaus nicht in allen Fällen ein notwendiger Bestandteil der einzelnen Lehre, welche sie fordert, - geschweige denn, daß jene Maßregel den ungeteilten Beifall aller angedeuteten Systeme genießt. Das bloße Moment aber, daß alle diese Richtungen in einer  radikalen  Weise eine Abänderung der überlieferten Gesellschaftsordnung erstreben, kann unmöglich genügen: die Aufhebung der Zunftverfassung, die Beseitigung von Sklaverei und Leibeigenschaft war gewiß eine radikale Maßregel gegenüber dem ererbten Recht, aber niemand spricht hier von "sozialistischer" Reform; und die Lehre des Anarchismus ist wahrlich nicht minder radikal gegenüber der bestehenden Gesellschaft, als die davon mit Fug geschiedenen sozialistischen Ziele.

Endlich würde es auch nicht zutreffend sein, wollte man als sozialistische solche Bestrebungen bezeichnen, welche auf  Gleichheit  der einzelnen Menschen bei der Regelung der sozialen Wirtschaft gehen. Denn wenn man dieses als  quantiativ gleiche Zwangszuteilung  äußerer Güter an die einzelnen fassen wollte, so umfaßt es nur einen Teil dessen, was in fest eingebürgerter Bezeichnung als Sozialismus allgemein angenommen worden ist; sobald jedoch mit jenem nur eine  qualitative Gleichartigkeit  der Genossen gemeint wäre, so haben dies die es verfolgenden sozialistischen Richtungen mit freiheitlichen Rechtsbestrebungen und mit anarchistischen Erwägungen gemeinsam.

Es ist eine unlöslische Aufgabe, zu denjenigen sozialen Richtungen, welche im Laufe dieses Jahrhunderts den Beinamen der  sozialistischen  sich in allgemein üblicher Sprechweise errungen haben, einen einheitlichen sachlichen Begriff zu finden. Man hat sich daran gewöhnt, für verschiedene politische Strömungen, die sich in radikaler Art gegen geschichtlich überlieferte Verschiedenheiten der Menschen in deren sozialem Leben wenden, jeweils als sozialistische Bestrebungen zu bezeicnen. Nun aber, da sich der Sprachgebrauch in dieser Hinsicht verhärtet hat, und man eine größere Anzahl politisch radikaler Systeme mit demselben Beiwort  Sozialismus  gekennzeichnet hat, müht man sich ganz vergebens, für sie alle einen sachlich einheitlichen Gesamtbegriffe zu finden, von welchem jedes einzelne nur eine besondere Abart darstellt. Das ist unmöglich. Die verschiedenen Bestrebungen, die man nach und nach jeweils  sozialistische  genannt hat, hängen nur im Wort zusammen, nicht aber in der Sache.

Es gibt also keinen geschlossenen Begriff des Sozialismus und keine gegenständlich abgegrenzte Bestimmung desselben. Man bezeichnet mit dem Wort  Sozialismus  verschiedene  einzelne  Soziallehren, welche den Versuch einer allgemeingültigen Sozialphilosophie geben und es unternehmen, auf dem Grund dieser entsprechende durchgreifende Reformen zu deduzieren. Aber ihre Philosophie und ihre Praxis stimmt in keinem einheitlichen Prinzip zusammen, nach dem man sachlich einen festen Begriff einer  sozialistischen  Umformung der Gesellschaft geben könnte. (18)

Diese Zersplitterung geht sogar immer weiter. Von der dadurch geschaffenen zwanglosen Freiheit der Terminologie hat man in neueren Zeiten nicht nur durch feste Prägung der Ausdrücke vom Staatssozialismus, Kathedersozialismus und evangelisch-christilichen Sozialismus besonderen Gebrauch gemacht, sondern es werden in der sozialen Literatur beständig weitere Versuche unternommen, den hergebrachten Worten einen neuen Sinn zu verleihen. (19)

Wohl aber ist neuerdings in den Ländern westeuropäischer Gesittung eine besondere sozialistische Richtung auf den Plan getreten, welche in verhältnismäßig kurzer Zeit zu ganz außerordentlicher Bedeutung angewachsen ist und vor allem in Deutschland alle anderen Systeme des Sozialismus fast gänzlich verdrängt hat: der  marxistische  Sozialismus, den wir wegen seiner grundsätzlich verschiedenen Lehre in der sozialen Theorie wie der politischen Taktik gegenüber früheren Sozialisten auch als  modernen  Sozialismus bezeichnen.

Allerdings wird sein Ziel auch von anderen sozialistischen Richtungen geteilt: Es ist  die Kollektivierung der Produktionsmittel,  die Überführung aller zur sozialen Wirtschaft nötigen Werkzeuge irgendwelcher Art, vor allem des gesamten Grund und Bodens in das Eigentum der Gesellschaft, welche die ökonomische Produktion und den vereinten Kampf um das Dasein dann in planmäßiger Organisation von großen Zentralpunkten aus zu leiten hätte, eine Sondereigentum an Produktionsmitteln und eine freie produktive Arbeit des einzelnen auf seine eigene Verantwortung allerdings weiterhin nicht zulassen würde.

Das Eigentümliche des modernen Sozialismus im marxistischen Sinne ist aber seine Deduktion aus der Theorie des sozialen Materialismus. Er selbst nennt sich gerne den  wissenschaftlichen  Sozialismus; und meint damit einen nach naturwissenschaftlicher Methode begründeten, der sich auf die Sozialphilosophie der materialistischen Geschichtsauffassung stützt und die konkrete Anwendung dieser letzteren für die sozialen Zustände unserer Tage darstellt.

Der Gedankengang dieser Deduktion ist der folgende:

1. Die soziale Wirtschaft der Neuzeit ist zum größten Teil schon  sozialisiert  und wird dieses immer mehr.  Das heißt:  die Produktion erfolgt in planmäßig organisierter Weise innerhalb ökonomischer Einheiten, in denen Menschen zu gemeinsamer Arbeit für einheitliche Ziele zusammengefaßt werden. Es sind dies die Fabriken, Bergwerke, der Großgrundbesitz, die Firmen des Großhandels und die mächtigen wirtschaftlichen Unternehmungen jeglichen Großbetriebes überhaupt. Diese ökonomischen Einheiten schwellen im einzelnen stetig an und verringern sich zugleich an Zahl, indem die kleineren von den größeren aufgesogen werden und verschwinden. So hat sich die soziale Wirtschaft unserer Tage gegen die Zustände seit dem Ende des Mittelalters wesentlich verändert: An die Stelle des handwerksmäßigen und des Kleinbetriebes überhaupt ist in weitem und stetig anwachsendem Umfang der planmäßige Großbetrieb, die kapitalistische Produktionsweise, die Herstellung von Waren im Vorrat durch organisierte zusammenstimmende Arbeit vieler getreten. Dadurch sind die ökonomischen Phänomene, welche noch im vorigen Jahrhundert überwogen, gänzlich umgewandelt; sie haben anderen ökonomischen Erscheinungen Platz gemacht, die sich in ihrer Eigenart der sozialisierten Wirtschaft immer mehr ausdehnen und erstarken.

Über dieser wirtschaftlichen Grundlage schwebt nun aber noch immer die altüberkommene Rechtsordnung längst vergangener Zeiten. Sie hat zu ihrem Kern das Privateigentum des Arbeiters an den Produktionsmitteln und danach ein selbstverständliches Privateigentum an den von ihm selbst (vielleicht mit seinen Familienangehörigen oder wenigen und vorübergehenden Gehilfen) hergestellten Objekten. Dieses Privateigentumsordnung  paßt nicht mehr  zu der wesentlich geänderten, der sozialisierten Wirtschaft, die in der geschilderten Richtung immer weiter gehen und schließlich völlig sozialisiert sein wird.

Es entsteht  ein sozialer Konflikt  zwischen der geänderten Wirtschaft und dem stehengebliebenen Recht. Im Mittelalter bestand private Produktion und private Aneignung; heute dagegen sozialisierte Produktion und trotzdem Privateigentum an den Produkten. Hier klafft ein Widerspruch zwischen Produktionsweise und Aneignungsweise. Das alte Privateigentum an den Produkten beruhte darauf, daß der Eigentümer diese selbst erschaffen hat. Heute aber liefert in sozialisierter Produktion jeder nur einen kleinen Anteil zu jedem Produkt; jeder für seine Person immer nur eine bestimmte Einzelleistung, vielfach nur ein und denselben Handgriff: Von der Stecknadel bis zur Dampfmaschine gibt es kein Erzeugnis menschlicher Arbeit, das in einem solchen sozialisierten Betrieb hergestellt wird, von dem nur irgendeiner sagen könnte - das ist  mein  Produkt, das habe  ich  gemacht!

Die wirtschaftlichen Verhältnisse bedingen die Gestaltung der Rechtsordnung. Für die letztere gibt es keine  selbständigen  bestimmenden Gründe, die von der sozialen Wirtschaft unabhängig wären; soziale Ideen und Bestrebungen sind nur Ausfluß und Widerschein von wirtschaftlichen Verhältnissen. Wenn die ökonomischen Phänomene wesentlich andere geworden sind und früheren wirtschaftlichen Erscheinungen nicht mehr entsprechen, so fordern  sie  auch ein neues Recht. Die bestehende Eigentumsordnung ist  nicht ungerecht,  gemessen an einem ewig unveränderlichen Idealrecht, - sie ist  wirtschaftlich veraltet.  Die wissenschaftliche Erkenntnis der ökonomischen Phänomene lehrt, daß deren Wesen in Widerspruch mit dem geltenden Recht steht, welches auf eigener Produktion mit eigenen Werkzeugen fußte, zu einer sozialisierten Wirtschaft jedoch nicht harmonisch stimmen will.

Das ist der unbehagliche Zustand der heutigen Zeit.

Der soziale Konflikt, der zwischen Wirtschaft und Recht jetzt besteht, zeigt sich namentlich in den industriellen und kommerziellen Krisen der Neuzeit. Sie sind in ihrer ziemlich regelmäßigen Wiederkehr - seit den zwanziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts durchschnittlich etwa alle fünfzehn Jahre - ein Symptom des inneren gesellschaftlichen Widerspruches, mit dem wir leben.

Die sozialisierte Wirtschaft produziert ungeheure Massen von Waren; und sie ist in ihrer planmäßigen Organisierung einer unbegrenzten Ausdehnung in dieser Hinsicht fähig; wenigstens sehen wir zur Zeit keine Grenze, an der man damit sicher anlangen wird. Aber die geltende Rechtsordnung verlangt, daß die Waren, die in das Privateigentum des kapitalistischen Unternehmers geflossen sind, erst wieder zu Geld gemacht werden, ehe weiter produziert werden kann. Die wirtschaftliche Art unserer Produktion in ökonomischen Einheiten teilt jeder dieser letzteren eine bestimmte Warensorte zu; so daß ein Austausch und ein Ausgleich zwischen den einzelnen Produktionszentren stattfinden muß. Jeder einzelne Fabrikant, der ausschließlich  in seinen  Waren säße, und wären sie berghoch aufgeschichtet, würde ein elendes und kümmerliches Leben führen, wenn er nicht jene Waren gegen andere austauschte. Die ganze Art der Warenproduktion im großen, dergestalt, daß jede wirtschaftliche Einheit nur eine bestimmte Sorte hervorbringt, hat gar keinen Sinn, wenn nicht ein austauschender Verkehr wäre.

Nun findet die  sozialisiert Produktion  unter Aufbietung  aller oder doch möglichst vieler  Arbeitskräft statt; die  private Aneignung  der produzierten Waren aber geschieht nur von den  wenigen  Unternehmern, denen die großen Produktionsstätten gehören. So kommt es, daß die Massenproduktion von Waren schneller vorwärts geht, als der Austausch folgen kann. Es entsteht eine Überproduktion, welche die wirtschaftliche Krise hervorruft. (20)

Die sozialisierte Wirtschaft der neuen Zeit strebt nach steter und, soviel wir sehen, unbegrenzter Ausdehnung der Produktion; es liegt in ihr als naturgesetzlicher Zug die Kraft der Ausdehnung. An jeder ihr zugehörigen Einzelerscheinung kann man es beobachten; da, wie erwähnt, ein jeder Produzent angespornt wird, in seinem Unternehmen die Produktion auf das Äußerste anzuspornen, weil ihm sonst der gewisse Untergang droht.

In dieser Tendenz und Kraft einer schrankenlosen Expansion ist die Natur der heutigen ökonomischen Phänomene enthüllt und wissenschaftlich eingesehen. 

Umgekehrt ist dem Privateigentum von einzelnen Unternehmern an Produktionsmitteln und produzierten Waren eine  allgemein  schrankenlose Ausdehnung der Produktion ganz zuwider. Denn je mehr im Ganzen einer sozialen Wirtschaft produziert wird, umso schwieriger wird es für den einzelnen Unternehmer, seine Waren abzusetzen. Und da die Rechtsordnung beim Festhalten am genannten Privateigentum grundsätzlich darauf beharren muß, daß erst ein austauschender Umsatz stattgefunden hat, ehe die Produktion mit Nutzen weiter gehen kann, so erhellt sich daraus, daß der beschriebene Widerspruch zwischen Wirtschaft und Recht ganz unauflöslich ist und nur durch das bedingungslose Nachgeben eines von ihnen beseitigt werden kann. Die Triebkraft und Richtung der sozialisierten wirtschaftlichen Produktion, die auf eine ungemessene Ausdehnung derselben geht, kann mit derjenigen der bestehenden Privateigentumsordnung, die eine Beschränkung der Produktion und eine Vermeidung der Überproduktion wünschen muß, unmöglich in Einklang gebracht werden: Für beide ist auf die Dauer kein Raum nebeneinander, so wenig, wie das Brett des KARNEADES im Schiffbruch - einer wird ertrinken und nur der andere vermag sich zu retten.

Sobald aber der Marxist einen solchen in Güte nicht löslichen Konflikt zwischen Wirtschaft und Recht deutlich und sicher erkennt, so ist es ihm selbstverständlich, daß das Recht nachgeben muß - zufolge der allgemeinen Gesetzlichkeit des sozialen Lebens. denn für ihn, den Anhänger der materialistischen Geschichtsauffassung, gibt es keine andere soziale Gesetzmäßigkeit, als eine solche der ökonomischen Phänomene. Diese sind ihm, wie oben ausgeführt, als Materie des sozialen Lebens das einzig Reale und Wahre; sie bedeuten ihm  soziale Naturgebilde,  deren Wesen und Entwicklungsgesetze man naturwissenschaftlich zu studieren und einzusehen hat. Das Recht aber ist nichts anderes als ein menschlich gefertigtes Instrument; ein Werkzeug, das zur zweckmäßigen Leitung der den ökonomischen Phänomenen innewohnenden Naturkräfte dienen mag, das also ganz und gar von diesen letzteren abhängig ist, sich nach ihnen richten muß und durch sie notwendig bedingt wird.

Die ökonomischen Phänomene sind, nach dieser Lehre, von Natur; - die rechtliche Regelung aber ist ein daneben getretenes Hilfsmittel der Menschen. Die Naturgewalt und die notwendige Gesetzmäßigkeit jener besteht ganz selbständig für sich; und ihre wissenschaftlich erkannten Gesetze vermögen als solche durch Menschenhand so wenig geändert zu werden, wie irgendein sonstiges gesetzmäßiges Walten der Mutter Natur. Nur das ist möglich, daß sich der Mensch nach einer gewonnenen Einsicht in das elementare Treiben der ökonomischen Mächte in geeigneter Weise nach dem unabänderlichen naturgesetzlichen Gang derselben richtet und es nicht bei einem blinden Wüten wirtschaftlicher Naturgewalten beläßt, sondern diese, wie andere Kräfte der Natur, für seine Zwecke in seinen Dienst nimmt.

Wohltätig ist des Feuers Macht, - doch wenn der Mensch versucht, das Zähmen und Bewachen mit dürrem Holz und Stroh zu vollführen, so verkennt er dasjenige, was die Gesetzmäßigkeit jener Naturgewalt fordert und wird das Gegenteil seiner Absicht erreichen. Wer den verheerenden Lauf des Bergstroms in tauenden Frühjahr erschaut, der weiß, daß der quer gezogene Deich des Unterlandes, der ein leises und schwaches Rinnsal aufzuhalten vermöchte, die Fluren vor jäher und gewaltiger Überschwemmung nicht schützen kann; sondern daß man planmäßig an der Quelle beginnen muß, um durch eine berechnende Regulierung des auszumauernden Bettes dem Streben nach einem wilderen Ausbrechen des mächtig schwellenden Wassers in richtiger, wissenschaftlich begründeter Weise entgegenzutreten, die Kräfte der Natur zu leiten und friedlich zu führen, anstatt sie wüst zu entwickeln und dann ganz ungenügend eindämmen zu wollen.

So stellt sich der marxistische Sozialist die Notwendigkeit der Umwandlung unserer Gesellschaftsordnung vor. Er fordert sie nicht, um zu einer moralisch guten Ordnung zu gelangen oder zu einem Himmel auf Erden: sie ist ihm ein notwendiges Gebot der elementar wirkenden Naturmächte ökonomischer Phänomene. Die Privateigentumsordnung ist für ihn nicht unsittlich und ungerecht, sondern ein technisch ungeeignetes Mittel; und in diesem Sinne allerdings gleich welkem Gras und dürrem Herbstlaub im Frühling.

Solange der murmelnde Bach eines gering produzierenden Kleinbetriebes behaglich dahinfloß, da konnte der niedere Damm, den der Eigentümer eines kleinen Gutes selber aufgerichtet hat, das rieselnde Wasser in einem geordneten Fluß erhalten und es sogar nützlich im Dienst von blühenden Auen verwerten; - jetzt ist es zu einem starken Strom gewachsen, immer mächtiger rast er dahin, er paßt nicht mehr in das alte Bett. Weithin strebt das Gewässer sich verderblich zu ergießen, die alten Deiche und Siele können es nicht mehr stauen; ohnmächtig ist die Wehr, die die mageren Wellen dereinst geordnet erhielt, vergebens der Versuch, mit ihr die Wucht unermeßlicher Massen zu bannen.

Die Natur fordert ihr Recht. Wer sich ihrem Walten in dessen sicherem Wesen zuwider verhält, den verfehlten Versuch wohl erneut,  gegen  die natürliche Entwicklung zu gehen und diese in seine kleinen Schranken zu pressen, den wird sie zermalmend vernichten. So türmt sich die Flut der ökonomischen Phänomene unserer Tage als soziale Naturgewalt mit unabänderlichen Gesetzen auf: Richte dich nach ihnen, o Mensch, mit deinem Instrument und dem ordnenden Werk, das du jener errichtest! Der Damm, der das Bächlein lenkte, taugt nicht für die Großflut des Stromes - das Recht, das dem handwerksmäßigen Kleinbetrieb regelnd zur Seite stand, frommt nimmermehr als Leiter einer sozialisierten Wirtschaft, als führende Norm der stetig wachsenden und allzeit sich stärker ausdehnenden Phänomene des Großbetriebes.

Das alte Recht ist veraltet. Es fällt nicht aufgrund moralischer Schlechtigkeit, die ihm eignete; es muß den Platz räumen, weil die sozialisierte Wirtschaft es gebieterisch verlangt. Es steht im unversöhnlichen Konflikt mit den ökonomischen Phänomenen unserer Tage, denen es hemmend widerspricht. Sie allein, sie fordern, daß es stirbt. So  muß  es fallen, es  wird  fallen, - spricht der moderne Sozialist!

2. Aber die wissenschaftliche Erkenntnis der naturgesetzlichen Entwicklung unserer ökonomischen Phänomene weist zugleich den Weg und das Ziel, auf welches sie hindrängen, und das naturnotwendig erreicht werden wird: Die neue Rechtsordnung.

Der Grundcharakter der modernen Industrie ist das  planmäßige  und  zentral organisierte  Zusammenwirken von Menschen in direkter Verwendung des einzelnen zu einer bestimmten, ihm zugewiesenen Teilarbeit, die in berechneter Weise mit der der anderen sich zu einem Ganzen zusammenfügt. Innerhalb der einzelnen ökonomischen Einheiten, die in ihrer Bedeutung oben angegeben wurden, ist das bewundernswürdig durchgeführt. (21)

Mit dieser Tendenz steht die Anarchie der Produktion  im Ganzen  im vollen Widerspruch. Während innerhalb der einzelnen Unternehmung das planmäßig berechnete Schaffen und die Leitung der Produktion in zentraler Art vor sich geht, so vollführt sich das Ganze der sozialen Wirtschaft in planloser Weise. Jede einzelne Unternehmung wirft auf den Markt, was und wieviel ihr gut dünkt. Und dies führt nun ebensowohl eine Vergeudung von Arbeitsmaterial und Arbeitskräften herbei, als es ein wesentliches Moment zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Krisen ist, von denen oben die Rede war.

Das gesetzmäßige Wesen der heutigen ökonomischen Phänomene widerspricht demnach ebenso unversöhnlich dem Eigentum einzelner Privater an den Produktionsmitteln, wie es der Anarchie in der ökonomischen Produktion des Ganzen der Sozialwirtschaft zuwiderläuft. Die Versenkung in das Grundgesetz der modernen Wirtschaft und ihrer einzelnen Phänomene führt den Sozialisten zu der Erkenntnis, daß die Triebkraft der natürlichen Lebenselemente unserer wirtschaftlichen Verhältnisse auf eine Vernichtung der beiden genannten Eigentümlichkeiten unseres sozialen Lebens - des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Anarchie in der Gesamtproduktion - hingeht.

Das naturgesetzliche Bestreben der neuzeitlichen ökonomischen Phänomene, sich in das Ungemessene auszudehnen, verlangt daher - eben in naturnotwendiger Art -, daß jene beiden Eigentümlichkeiten beseitigt werden. Und wenn im Privateigentum ein veraltetes Positivum menschlicher Einrichtungen vorliegt, das zu streichen und zu beseitigen ist, so ist in der Anarchie der Produktion ein Vakuum gegeben, das durch geeignete positive Maßnahmen zu erfüllen ist.

Dies kann nicht anders geschehen, als daß durch soziale Gesamtheiten die Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum genommen werden, und die soziale Wirtschaft  als Ganzes  in einer planmäßig organisierten Weise unter zentraler Leitung erfolgt.

So erhalten wir als positives Ziel des Anhängers der materialistischen Geschichtsauffassung, der der vorstehenden Einzelanwendung derselben zustimmt, die Kollektivierung der Produktionsmittel im oben näher angeführten Sinn: - nicht als ein zu schaffendes Ideal, als eine frei sich bildende Gesellschaft, welche der Freiheit, Gleichheit, Brüderlickeit huldige; sondern als naturnotwendiges Ergebnis der Entwicklung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse.

Die gesetzmäßige Entwicklng der heutigen ökonomischen Phänomene, das ist die Gesetzmäßigkeit unseres sozialen Lebens überhaupt, treibt notwendig auf eine Aufhebung der Anarchie in der sozialen Produktionsweise als Ganzes, auf eine Verwirklichung und Durchführung des Wesens der schon eingeführten und sich ständig ausbreitenden sozialisierten Wirtschaft: auf die sozialistische Gesellschaftsordnung der hier geschilderten Art.


11

Es ist sonach ein schwerer Irrtum, anzunehmen, daß der moderne Sozialismus, der auf der Lehre von MARX gründet, das Eigentum  abschaffen  will, und daß dieses fallen soll, weil es in sich eine  ungerechte  Einrichtung involviert, wenn der eine viel, der andere wenig oder gar nichts sein Eigen nennen kann. Ein  Soll,  als einen selbständigen Bestimmungsgrund für eine gesellschaftliche Regelung, der  einer eigenen Gesetzmäßigkeit  unterliegt, gibt es für den sozialen Materialisten überhaupt nicht; sondern  nur  die Notwendigkeit einer naturgesetzlich sich vollziehenden wirtschaftlichen Entwicklung, auf die man sich einrichten und nach welcher man sich richten kann - notwendig abhängig und bedingt von ihr.

Der Marxismus macht nicht etwa den  Vorschlag,  die Produktionsmittel den Unternehmern gegen Entschädigung oder ohne solche abzunehmen und dann kommunistisch zu produzieren; er behauptet diese Kollektivierung als  eine Notwendigkeit,  die in jedem Fall sicher eintreten  wird.  Nicht weil die sozialistische Gesellschaft ein gerechter und freier Idealzustand von absoluter Geltung für die Menschheit sei, so soll sie proklamiert werden; sondern weil die ökonomische Produktionsweise der neuen Zeit es gebieterisch erfordern wird, so wird sie kommen. Darum ist es auch falsch, wenn man geglaubt hat, daß MARX seinen Sozialismus auf seine Lehre vom Mehrwert in der kapitalistischen Produktionsweise gestützt hätte; etwa dahin, daß er meint: Weil der Kapitalist den Lohnarbeiter mit Sicherheit ausbeutet und ihn mehr arbeiten läßt, als der Lohnzahlung entspricht, deshalb sie der Gewinn des Unternehmens in seiner Eigenschaft als "Mehrwert" unsittlich und verdient es, abgeschafft zu werden; was nun bloß durch den sozialistischen Staat geschehen kann. MARX liegt dieser Gedanke ganz fern. Und alle erwähnenswerten Anhänger von ihm haben sich hierüber niemals im Schwanken befunden. (22)

In ganz gleicher Weise verfehlt den Grundgedanken des Marxismus, wer dessen sozialistische Doktrin auf das kränkelnde Gefühl mangelnder Gleichheit in der sozialen Stellung der Menschen stützen und daraus die Forderung eines sozialistischen Staates herleiten will. (23) Und auch LANGE spricht von einem ganz anderen Sozialismus, als dem marxistischen, wenn er dessen Begründung letztlich darin findet, daß der vierte Stand von der Kultur, die er wesentlich erzeugen hilft, sich ausgeschlossen sieht; so daß nun der Vorschlag eines sozialistischen oder gar kommunistischen Gemeinwesens zur Abstellung jenes Übels auftritt. (24)

Der Marxismus  fordert  nichts; er  konstatiert  und will die sozialen Vorgänge nach naturwissenschaftlicher Art und Methode erkennen. Er geht mitnichten davon aus, daß es eine Ungerechtigkeit ist, wenn der eine Mensch über mehr und bessere Güter dieses Lebens zu verfügen hat, als ein anderer; er entwirft nicht ein ideales Staatsgebilde, in welchem eine brüderliche Gerechtigkeit herrscht. Sondern er beobachtet kühl den Gang der ökonomischen Phänomene. Diese verraten ihm, wie er sagt, daß die heutige Gesellschaftsordnung mit der sozialistischen schwanger geht und die letztere naturnotwendig gebären muß; ihm, dem erkennenden Sozialisten, verbleibt nichts, als auf die sicher eintretende Notwendigkeit der sozialen Umgestaltung, aufgrund der gewonnenen Einsicht des Kommenden, geeignet sich und andere vorzubereiten und dann hilfreichen Beistand zu leisten.

Man fragt sich häufig: ob denn der sozialistische Staat sich nicht als eine unerträglihe Zwangsanstalt darstellen würde; und ob der Kommunismus nicht deshalb ganz unzweckmäßig sein müßte, weil bei fehlendem eigenem Interesse jedes einzelnen keiner sich genügend abmühen und dann die Produktion zurückgehen würde. Man zweifelt auch daran, daß in zweckentsprechender Weise eine gut funktionierende Zentralleitung der Produktion, und vor allem der Erziehung und der Berufswahl des einzelnen sich einrichten läßt. Für den Marxisten bestehen diese Zweifel nicht, weil die dabei unterliegende Fragestellung ihm überhaupt nichts bedeutet. Nach seiner Theorie gibt es kein Erschaffen eines guten oder ungerechten Staatswesens; sondern nur die Möglichkeit, nach naturgesetzlich weiter treibenden ökonomischen Phänomenen sich zu richten und einer kommenden Naturnotwendigkeit der sozialen Entwicklung sich anzupassen. Für ihn steht der Wile, die bestehende Eigentumsordnung aufrechtzuerhalten auf einer Linie etwa mit einem Gesetzesvorschlag dahin, daß die Erde nicht weiter abkühlen darf. Beschließt immerhin, würde er sagen, die Ihr im vollen Herbst jetzt erntet, daß diese Euch so freundliche Jahreszeit ewig dauern soll: Der Winter wird doch kommen; und wer das weiß, der wird sich bei rechter Zeit darauf einrichten.

Ob das in einem festen Naturprozeß sich ausreifende Kind dereinst kräftiger, gesünder, schöner und besser als die Mutter sein wird - wer kann es wissen? Für den modernen Sozialisten kann es in keinem Fall entscheidend sein. Er  fordert  nicht die sozialistische Gesellschaftsordnung, sondern er  erwartet  sie. Sie  muß  kommen, denn die soziale Wirtschaft unserer und der nächstkommenden Zeit, die man wissenschaftlich erkennt,  die  fordert es. Und wenn diese Forderung der sozialen Wirtschaft in einen gedrückten und menschenunwüridgen Zustand hineinführen würde: Der allgemeinen Gesetzmäßigkeit können wir nicht ausweichen. Die Wirtschaft befiehlt, das Recht hat ihr zu folgen - das ist das Grundgesetz des sozialen Lebens, das allgemeine Gesetz der Menschengeschichte. Wenn die ökonomischen Phänomene die Kollektivierung der Produktionsmittel fordern, so bleibt von der Frage, ob diese Umgestaltung erfreulich ist oder nicht, nach der Lehre der materialistischen Geschichtsauffassung gar nichts mehr übrig. Wir können es nicht ändern, daß bei Frost und Hunger der Mensch schließlich umkommt; man muß sich dem zwingenden Gebot des Naturgesetzes fügen. Ob das Eintreffen des Sozialismus  zweckmäßig  sei, ist für den Marxisten ganz falsch gefragt: - Es ist  notwendig. 

Es klingt etwas an die Stimmung des  Egmont  an.
    "Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts als, mutig gefaßt, die Zügel festzuhalten, und bald rechts bald links vom Stein hier, vom Sturz da, die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam."
Allein die materialistische Geschichtsauffassung nimmt den notwendigen Gang der sozialen Geschichte, wie oben schon von uns bemerkt, nicht in einem wirklich fatalistischen Grundzug. Ihr letzter Gedanke ist nicht ein unabänerlich beschließendes Schicksal, dessen unerforschlicher Machtspruch von vornherein unweigerlich feststeht: Ihre Meinung geht auf gesetzmäßiges Walten sozialer Naturmächte, die der Mensch zu erkennen hat, um dann danach zielbewußt vorzugehen. Ihr Bild ist für das letztere die Tätigkeit  des Geburtshelfers.  Der ideal entworfene Staat ist für den auf dem Boden der materialistischen Geschichtsauffassung stehenden Sozialisten ein Homunculus, gleicht dem Machen eines Menschen in der Retorte. Die sozialistische Gesellschaft aber ist im Mutterleib der jetzigen enthalten; sie reift heran und drängt dann zu neuem eigenen Leben, - so sorge man bei Zeiten dafür, sagt der Marxist, daß ein gesundes und lebenskräftiges Kind zur Welt komme; man erleichtere den Akt der Geburt, man helfe, begünstige!

Wie das Kind dann später zu nähren und zu kleiden ist, wie es erzogen, geleietet und ausgebildet werden muß, das kann derjenige nicht wissen, dem die Rolle des Geburtshelfers zugefallen ist. MARX hat sich niemals näher mit den entsprechenden Fragen für die naturgesetzlich kommende sozialistische Gesellschaft befaßt und gar nicht irgendwann einmal von der Organisation und der Lenkung der alsdann eingetretenen sozialistischen Produktionsweise gesprochen; noch auch von der Art der Konsumtion und der Verteilung der Produkte an die Genossen. Ebenso kann und muß der Marxist, solange er streng auf dem Boden der materialistischen Geschichtsauffassung verbleibt, ganz folgerichtig jede Einzelauskunft über den sozialistischen Zukunftsstaat ablehnen. Seine Aufgabe ist nicht der Entwurf des Organisationsplans einer  zu schaffenden  Gesellschaft, sondern nur  die Vorbereitung  auf ein  notwendig eintretendes  soziales Ereignis.

Wehe der Mutter, die es bei Zeiten versäumt, auf den Zustand ihrer Schwangerschaft acht zu haben und auf die kommende Geburt sich vorzubereiten! Dreimal wehe über solche, die es unternehmen, dem jungen keimenden Leben in seinem naturgemäßen Vorwärtsdrängen quacksalbernd entgegenzuarbeiten und den notwendigen Austritt aus der Mutter Schoß freventlich hintanhalten zu wollen! - nichts kann der marxistische Sozialist vom Standpunkt seiner sozialwissenschaftlichen Erkenntnis aus schärfer verurteilen. Doch steht es freilich nicht anders, falls jemand versuchen wollte, das Kind zur Welt zu bringen, bevor es genügend zur Reife gelangt ist. Dieses zu bewirken, liegt außerhalb menschlicher Macht: - ganz ebenso ist es mit der kommenden Gesellschaft. Nichts kann, gerade nach der Meinung des modernen Sozialisten, schädlicher, nichts verderblicher sein und allem Naturgesetz schärfer widersprechen, als ein Versuch, durch eine gewaltsame Revolution ein sozialistisches Gemeinwesen plötzlich erschaffen zu wollen. Die Entwicklung der ökonomischen Phänomene führt uns, seiner Ansicht nach, zu dem Punkt, wo die Umgestaltung  zur Notwendigkeit  wird; bevor wir dahin gelangt sind,  braucht  man nicht sowohl durch Revolution jenes Ziel nicht zu erreichen, sondern  kann es gar nicht. 

Man muß die Pflanze behüten und bewachen, aber darf nicht zerstörend gewaltsam die Knospe aufbrechen: dann wird sie in ruhiger Sicherheit, den Gesetzen der allwaltenden Natur gehorchend, leicht sich selbst erschließen. So reift auch die sozialistische Gesellschaft heran, nimmt man das Bild nicht zu genau, so kann man in schulgerechter Anwendung der materialistischen Geschichtsauffassung allerdings sagen: Wir wachsen in jene hinein.

Der marxistische Sozialist verwirft also den Gedanken, daß durch einen gewaltsamen Umsturz die jetzige Gesellschaftsordnung vernichtet und durch ein Dekret gewalttätiger Machthaber an der Spitze aufrührerischer Volksmassen das sozialistische Gemeinwesen eingeführt werden soll. Und zwar meint er nicht sowohl, daß sich die Überzeugung von der Vortrefflichkeit und Gerechtigkeit der Kollektivierung der Produktionsmittel überall in weiterer Aufklärung verbreiten und schließlich alle oder doch weitaus die meisten Menschen beherrschen wird; sondern er gründet die Notwendigkeit einer abwartenden und nur vorbereitenden Haltung auf die von ihm angegebene wissenschaftliche Erkenntnis des gesetzmäßigen Entwicklungsganges der ökonomischen Phänomene. Allerdings nennt er sein Bestreben  revolutionär.  Aber es ist das nur  in übertragener Weise  gemeint (25): Der Marxist will die Köpfe revolutionieren,  das heißt  in den Gemütern der Volksgenossen  die materialistische Geschichtsauffassung in allen ihren Konsequenzen einbürgern und durchführen. - 

Über diese theoretische Begründung des modernen Sozialismus auf der Basis der materialistischen Geschichtsauffassung herrscht weithin Unklarheit und Nichtwissen. Der Marxismus hat sich heute zur Leitung der mächtigsten sozialen Bewegung aufgeschwungen. Aber über seine Theorie und seine Ziele im praktischen Vorgehen dürften nur ganz wenige gründlich unterrichtet sein. Das gilt nicht im mindesten von solchen, welche der von ihm geführten Bewegung zweifelnd oder feindlich gegenüberstehen und dies innerhalb der praktischen politischen Kämpfe zum Ausdruck bringen. Verhielte sich das anders, so wäre es ganz unerklärlich, wie man überall da, wo der moderne Sozialismus bekämpft werden soll, auf eine Grundmeinung seiner Gegner stößt, welche von demjenigen, was er stelbst zur theoretischen Unterlage nimmt und folgerichtig zu bewähren sucht, ganz und gar verschieden ist. Auch wenn wir das Schelten mancher politischen Praxis gebührendermaßen außer acht lassen und von dem zur Sache Geredeten die gröbsten Mißverständnisse und Entstellungen gegnerischer Ansichten beiseite tun, (26) so finden wir ganz durchgängig in den öffentlichen polemischen Auslassungen über diese Frage, daß keiner den andern objektiv recht versteht.

Bürger und Sozialisten reden heftig aufeinander los; jeder will den andern treffen, möchte die Hörer für sich gewinnen, den Gegner widerlegen. Aber sie reden aneinander vorbei. Sie sprechen von ganz verschiedenen Grundauffassungen des sozialen Lebens. Keiner trifft das, was der andere gemeint hat.

Laßt uns ihr streitendes Zwiegespräch einmal belauschen!


12

Der Bürger.  Welch ein verkehrter Plan, dieser sozialistische Zukunftsstaat! Wenn Ihr einen solchen verwirklicht, so werdet Ihr ein Gemeinwesen einrichten, das nicht besser als ein Zuchthaus ist. Niemand wird mehr freie Selbstbestimmung über sicht, über seine Habe und sein Heim besitzen. Es werden lauter Sklaven einer allmächtigen Gesellschaft sein, die über den einzelnen nach schrankenlosem Belieben verfügt.

Der Sozialist.  Die wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich dahin gestaltet, daß eine stets wachsende Anzahl von Menschen schon heute jene freie Selbstbestimmung, die Ihr nennt, verloren hat. Die Tendenz dieser unabänderlichen Entwicklung geht dahin, sie immer zahlreicheren Existenzen zur rauben. Unsere Wirtschaft sozialisiert sich in einem ehernen Naturprozeß immer mehr.  Das Wesen unserer naturgesetzlich unaufhaltsam weiter treibenden ökonomischen Phänomene bedingt in sicherer Notwendigkeit, daß die Anarchie der Produktion aufhört. 

Der Bürger.  Wie soll dieses je ersprießlich durchgeführt werden? Wenn die Verantwortung des einzelnen für sich und seine Angehörigen schwindet, so wird Unfleiß und Sorglosigkeit herrschen, eine unerhörte Vergeudung von Material und Produkten eintreten, und sich niemand mehr um Verbesserungen und Fortschritt bemühen. Wir würden in einem interesselosen Dasein verharren, etwa wie die Südsee-Insulaner. Es wäre die Blütezeit der Faulen und Energielosen und Liederlichen; die in höchst ungerechter Weise die Minderheit der Tüchtigen und Gewissenhaften ausbeuten möchte. Euer Vorhaben geht gegen die menschliche Natur: Man darf keine Anstrengung des Menschen erwarten, wenn der Ansporn fehlt, der nur in einer gesunden Begünstigung der Eigenliebe eines jeden liegen kann.

Der Sozialist.  Die Durchschnittseigenschaft der Menschen, die Ihr menschliche Natur nennt, ist in ihrer Sonderart nur der Reflex der wirtschaftlichen Verhältnisse und in ihrer eigentümlichen Besonderheit völlig von diesem Nährboden abhängig.  Ändert die soziale Umgebung, das "milieu", und Ihr verändert mit einem Schlag die Sitten, die Gewohnheiten, die Leidenschaften und die seelischen Empfindungen der Menschen.  In einer sozialen Wirtschaft, die sich prinzipiell auf dem Egoismus der einzelnen aufbaut, geschieht natürlich kaum etwas Großes, das von jener Triebfeder ganz unabhängig wäre. Aber menschliche Ideen und Beweggründe sind nur Wirkung und Widerschein ökonomischer Phänomene; wenn dieses sich so geändert haben werden, wie wir es in seinem sicheren Verlauf im Voraus erkennen, wenn das wirtschaftliche Leben ganz und gar sozialisiert sein wird, und alle gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Menschen leben, jenen entsprechend gestaltet sind: so ist es eine sichere Notwendigkeit, daß sich menschliches Empfinden und Tun den sich frei entfaltenden Produktivkräften in spielender Lenkung derselben anschließt und den sozialistisch gewordenen ökonomischen Phänomenen parallel gehen wird.

Der Bürger.  Das könnt Ihr nicht beweisen, daß die Menschen jemals eine solche Umformung der menschlichen Natur zustande bringen können. Es sind dies philanthropische Träume, für deren Realisierung sich die einzelnen weder als Bildner noch als zu Bildende jemals eignen werden. Den egoistischen Grundzug im Wesen jedes einzelnen werdet Ihr nie ausmerzen. Und wenn Ihr Euren sozialistischen Staat wirklich zustande bringen würdet, so müßte er wegen der psychologischen Unmöglichkeit seiner Durchführung wieder fallen und zugrunde gehen.

Der Sozialist.  Wir haben keine Wahl.  In letzter Linie entscheiden nicht die Menschen in angeblicher Freiheit, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse, die stärker sind, als jene.  Sollten sich die Menschen wirklich ganz unfähig erweisen - wofür kein Grund vorliegt -, in eine sozialistische Gesellschaft einzutreten, so würde das Menschengeschlecht zugrunde gehen oder doch alles Kulturleben verlieren. Der naturnotwendige Gang der ökonomischen Phänomene aber läßt sich nicht aufhalten. Diese machen die Sozialisierung der Gesellschaft  unabweislich notwendig;  - erziehen wir darum die Menschen zu Sozialisten: Daß wir bei der jetzigen Gesellschaftsordung stehen bleiben, das duldet die wirtschaftliche Entwicklung nicht, die allein in dieser Frage souverän ist.

Der Bürger.  Und was wäre gewonnen, wenn man es zuwege brächte, den Zukunftsstaat zu schaffen und durchzuführen? Bei gleicher Ertragsteilung würden nach zuverlässiger Berechnung auf jeden nur jährlich 842 Mark entfallen. Das aber nur in der heutigen Gesellschaft, da jeder gezwungen ist, mit Anspannung aller seiner Kräfte zu schaffen und sich als nützliches Glied des Gemeinwesens zu erweisen. Im sozialistischen Staat, wo sich niemand für sich selbst unmittelbar zu mühen hat, wird wegen der sicher zu erwartenden Unterproduktion geradezu Not eintreten. Auch rein technisch kann man die Schaffung einer derartigen Gesellschaftsordnung nicht befürworten.

Der Sozialist.  Die jetzige Not kommt nur daher, daß sich eine veraltete Rechtsordnung der ungehemmten Tätigkeit wirtschaftlicher Produktivkräfte hindernd in den Weg stellt.  Diese ökonomischen Kräfte sind einer ungemessenen Entwicklung fähig, sobald das Hindernis des Privateigentums an den Produktionsmitteln beseitigt ist.  Wer die ungeheure Expansionskraft unserer ökonomischen Phänomene in ihrem naturgesetzlichen Walten wissenschaftlich erkannt hat, der weiß auch, daß sie in einem unaufhaltsamen Vorgehen die erwähnten Fesseln des Privateigentums sicher sprengen werden. Und dann kann die Produktion ins Ungemessene gehen: Der Tisch ist für alle gedeckt.

Der Bürger.  Es ist ja ganz unmöglich, von einem einzigen Zentralpunkt aus in einem großen und entwickelten Gemeinwesen alles zu leiten; genau und zweifelsohne zu überschauen, welche Bedürfnisse zu befriedigen sind, was für welche auftreten werden, und was in der gesellschaftlichen Produktion vorherzusehen ist. Die Schöpfung eines sozialistischen Staates würde bald nach der Gründung desselben auf unübersteigbare Hindernisse in jener Richtung stoßen; und sie würde solche auch darin bieten, daß die rechte Ausbildung und Beschäftigung des einzelnen durch zwangsweise Anordnungen staatlicher Beamten stets unvollkommen und verderblich wirken muß. Welch ein ungeheures Beamtenheer würde dieser Zukunftsstaat erfordern. Gebt mir ein Bild davon, wie Ihr Euch das sozialistische Gemeinwesen, das Ihr vorschlagt, überhaupt denkt.

Der Sozialist.  Wir erkennen deutlich, wie die naturgesetzliche Entwicklung der ökonomischen Phänomene dahin drängt, daß die gesamte Wirtschaft der zivilisierten Völker sozialisiert werden wird. Diese Tendenz des gesetzmäßígen Vorwärtsschreiten unserer Sozialökonomie ist außer Zweifel. Wir begünstigen diesen naturnotwendige Entwicklung, weil es ein Unding ist, dem was die Natur sonst mit elementarer Gewalt bewirken wird, sich entgegenzustemmen; und weil es ein Unrecht ist, der gesetzmäßigen Forderung der Weltgeschichte gegenüber untätig zu bleiben.  So treffen wir Fürsorge, daß dann, wenn die ökonomischen Phänomene die Umgestaltung der Gesellschaft den Menschen notwendig machen, im zielbewußten Proletariat tüchtige Leute da sind, welche die notwendige Reform gut vollziehen.  In welcher einzelnen Weise das demnächst geschehen wird, kann niemand wissen; ebensowenig, wie die Einzelheiten der Zukunft irgendjemand voraussagen kann. Die unausweichliche Richtung im ganzen sehen wir ein: Wir erkennen, daß die heutige Gesellschaft zugunsten der sozialistischen abdanken muß, die sie selbst in einem notwendigen Gang gebiert; was für Augen und Glieder das Kind haben wird, das jetzt im Mutterleib ist, und ob es vielleicht rote Haare besitzen mag, das können wir nicht wissen.

Der Bürger.  Es ist also auf eine Vernichtung unserer altererbten Kultur abgesehen! Ihr wollt die Familie auflösen und die freie Liebe einführen, den Menschen ihre Kinder nehmen und diese in eine ausschließlich staatliche Erziehung bringen; und eine Rechtsordnung aufstellen, in der eine öde und unfruchtbare Gleichheit aller zutage gefördert wird. Das ist aber gar kein idealer Zustand, der sich in diesem Entwurf Eurer Staatsverfassung darstellt.

Der Sozialist.  Die wirtschaftlichen Verhältnisse haben das Familienleben des Proletariers vernichtet, als sie Frau und Kinder, vom häuslichen Herd weg, auf die Arbeitsstätte, dem Mann gleich, beriefen;; sie lösen auch weiterhin die Bande der Familie alter Zeiten, die auf anderer ökonomischer Grundlage gebildet war. Es sind die wirtschaftlichen Erscheinungen der Neuzeit, welche eine andere Gesellschaftsordnung fordern.  Die Arbeiterklasse hat keine Ideale zu verwirklichen; sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoß der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben. 

Der Bürger.  Diese Neuschöpfung eines ganz anders gearteten Staatswesens würde eine blutige Revolution bedeuten. Ihr predigt den gewaltsamen Umsturz; auch wenn Ihr das leugnet. Denn Ihr wollt eine Gesellschaftsverfassung einführen, der die meisten von uns widerstreben; so ist die notwendige Folge Eurer Lehre und Eures Strebens der Bürgerkrieg und brutale Gewalt.

Der Sozialist.  Die Gewalt ist reaktionär und kulturfeindlich. Wir revolutionieren die Köpfe; wir befreien sie von den ideologischen Vorurteilen und zeigen dem denkenden Proletariat, wie die gesetzmäßige Entwicklung unseres sozialen Lebens sich notwendig vollziehen muß, und welche Aufgaben hieraus jenem erwachsen.  Es ist ein naturnotwendiger wirtschaftlicher Prozeß, daß die heutige Gesellschaft zugrunde geht und von der sozialistischen abgelöst wird. 


13

Man sieht, sie verstehen sich nicht!

Der erste spricht von einem Staat, der  gemacht werden soll,  der andere von einer Art des menschlichen Gesellschaftslebens, das  notwendig kommen wird;  - auf dessen gesetzmäßiges Eintreffen man sich für jetzt nur einzurichten hat.

Jener meint, daß von einem idealen Staatswesen die Rede ist, das nach den Ideen des Guten und Gerechten in unbedingter Vollkommenheit auszusinnen und als Ziel zu verfolgen wäre; und dann bekämpft er diesen Zukunftsstaat als unausführbare Utopie. Der moderne Sozialist handelt dagegen nur von einer empirisch erwachsenden Notwendigkeit, nach der unter den neuzeitlichen Verhältnissen der kapitalistischen Sozialwirtschaft die Kollektivierung der Produktionsmittel sicher kommen wird.

So setzt jeder beim andern diejenige theoretische Grundlage voraus, von der er selbst ausgeht. Gerade diese Fundamente sind jedoch ganz verschieden. Sie gehen von zwei sich völlig widersprechenden Auffassungen des sozialen Lebens aus; und tummeln sich in getrennten Elementen.

 Darum  hat der Kampf mit geistigen Waffen gegenseitig noch nichts helfen wollen. Weder im Guten noch Schlimmen hat er zu wirken vermocht. Die Gegner fanden sich gar nicht; sie trafen sich nicht und konnten sich nicht treffen. Es war der Kampf des Bären mit dem Haifisch.

Wer den modernen Sozialisten verstehen will, muß auch auf dessen Gedankengang eingehen. Es ist ja nicht nötig, daß jeder den ersten Teil des eben genannten Satzes erfüllt. Wer sich insbesondere auf  Spezialstudien  auf dem Gebiet der Wissenschaft des sozialen Lebens der Menschen grundsätzlich beschränken will und sich beispielsweise auf eine geschichtliche Sonderforschung zurückzuziehen beliebt, hat vorderhand nicht nötig, um diese mächtigste aller unserer sozialen Bewegungen, - die  auf das Ganze  unseres gesellschaftlichen Daseins geht - sich seinerseits persönlich zu bekümmern. Ich spreche vielmehr nur von demjenigen, dem die moderne sozialistische Bewegung einiges Interesse abzugewinnen vermag, der darüber nachdenken und sich dabei selbständig ein Urteil bilden will. Wem dies erwünscht scheint, dem kann freilich die Kenntnisnahme der Theorie, welche die erwähnte Bewegung in unseren Tagen leitet, durchaus nicht erspart werden; und jemand, der nun gar hierüber mitreden und seine Ansicht davon irgendwie kundgeben will, von dem darf man mit Fug verlangen, daß er die Meinung gegen die er so eifrig loszieht, auch in ihrem wirklichen Sinn erforscht. So aber ist es ganz unleidlich, daß jemand, der von Kollektivierung der Produktionsmittel und von Beseitigung der sozialen Klassen und Stände unseres historischen Herkommens hört, bei sich zu Rate darüber geht: wie wohl einer auf diese Bestrebung gekommen sein mag; und dann gegen dasjenige loszieht, was ihm als angenommene theoretische Grundlage in seinem persönlichen Meinen erschienen ist.

Nur durch ein derartiges unzulässiges Vorgehen erklärt es sich, daß immer wieder von einem kommunistischen Staatsideal, als der angeblichen Grundmeinung des modernen Sozialismus geredet wird; und daß das stets wiederholte Bemühen auftritt, gegen jene vorgegebene ideale Rechtsordnung, welche die Marxisten zu erschaffen versuchten, ethische und technische Einzelbedenken vorzubringen. Wir zeigten, daß dies eine unrichtige Unterstellung ist. (27)

Ich bestreite dabei nicht, daß sich in der jetzt sehr angeschwollenen sozialistischen Flut eine starke idealistische Unterströmung findet. Schon bei einzelnen hervorragenderen Vertretern des Marxismus schimmert auch in ihren theoretischen Auslassungen über den vielleicht mühsam angequälten sozialen Materialismus der ideale Zug, das Ziel und Streben  nach sozialer Gerechtigkeit,  hindurch. In der breiten Masse vollends tritt dieser unversöhnliche Widerspruch im der materialistischen Geschichtsauffassung von MARX an allen Ecken und Enden scharf genug zutage. Es mag dem Geschichtsschreiber in kommenden Zeiten eine anziehende Aufgabe sein: das Zerbröckeln und Zerteilen der in diesen Tagen äußerlich so ausgedehnten sozialistischen Partei Deutschlands in seinen Gründen zu erforschen. Dann wird er aber nicht bei feindlichem Druck und zwangsweise Verfolgung, noch auch bei persönlicher Gegnerschaft und subjektiver Eifersucht von Führern, oder bei anderen kleinen Äußerlichkeiten stehen bleiben dürfen; dann muß das schärfste Augenmerk auf den klaffenden Zwiespalt fallen, der sich im Schoß der Bewegung zwischen der leitenden Theorie materialistischer Sozialphilosophie und zwischen dem dadurch nur zeitweise niedergehaltenen Zug nach einer guten und gerechten Ausgestaltung des sozialen Lebens aufgetan. (28)

Doch wir sind in Gefahr, vom Thema unseres Werkes abzuschweifen. Wir haben es weder mit dem Sozialismus als solchem, noch mit den politischen Strömungen unserer Tage ansich zu tun. Es ist uns eine vorübergehende Berührung dieser Fragen nur dadurch aufgenötigt worden, daß der moderne Sozialismus als eine Einzelanwendung der behandelten materialistischen Sozialphilosophie aufgetreten ist. An und für sich haben die politischen Richtungen, welche im Lauf der Geschichte als sozialistische bezeichnet worden sind, mit der materialistischen Geschichtsauffassung nichts zu schaffen. Daher bleiben alle die, die der letzteren fern stehen, überhaupt außerhalb unserer Betrachtung. Der marxistische Sozialismus, der einzige, der nach mancherlei Kämpfen heute in Deutschland bemerkenswert vertreten wird, konnte als wichtigste praktische Folgerung aus dem sozialen Materialismus für die wirtschaftlichen Zustände unserer Tage mit Stillschweigen nicht übergangen werden; in der besonderen Gestalt, die er durch den Marxismus erhalten hat, erscheint er zur Jllustrierung der genannten Sozialphilosophie ganz besonders geeignet.

Es ist also nicht der Sozialismus, den wir behandeln; sondern die dem modernen Sozialismus zugrunde liegende soziale Theorie, welche hier untersucht und erörtert werden soll. Jener kann überhaupt keine  Sozialphilosophie  bedeuten. Er kann immer nur die besondere Anwendung einer solchen sein. Am wenigsten aber tritt der marxistische Sozialismus mit dem Anspruch auf, eine allgemeingültige Rechtsordnung dergestalt zu liefern, daß sie für alle Zeiten und Völker berechtigt und möglich wäre.

Als sich vor einger Zeit (ich weiß nicht, ob mit Recht) das Gerücht verbreitete, daß die Isländer ihre Heimat zu verlassen und nach Amerika auszuwandern beabsichtigten, so wurde der Vorschlag laut, das Land den marxistischen Führern der Sozialisten zur Verwirklichung ihres Zukunftsstaates zu überlassen. - Nichts kann den Grundgedanken des Marxismus mehr verfehlen, als dieser Vorschlag es tat. Er mochte die  Phalanstére  des FOURIER treffen; dem marxistischen Sozialismus, der die Kollektivierung der Produktionsmittel als notwendiges Ergebnis einer naturgesetzlichen Entwicklung bestimmter ökonomischer Phänomene erwartet, begegnet er überhaupt nicht.

Wer also über den modernen Sozialismus urteilen und sprechen will, muß auf dessen theoretische Grundlage, auf die materialistische Geschichtsauffassung, zurückgehen; oder aber er wird den Sinn, in welchem jener aufgestellt ist, ganz und gar verfehlen. Noch herrscht aber in der Führung der sozialistischen Bewegung der soziale Materialismus; er wird bewußt festgehalten und allenthalben soviel wie möglich durchzuführen gesucht. Vor allem geht nach außen hin die ganze Bewegung geschlossen vor: In dem Programm, das sie sich gegeben hat, und in ihrem Streit mit den Gegnern fußt sie auf der materialistischen Sozialphilosophie als ihrer letzten Grundlage; zu ihr kehrt sie immerdar, als dem festen Halt und den Wurzeln ihrer Kraft zurück; und alle ihre Deduktionen sind aus der materialistischen Geschichtsauffassung als ihrer allgemeingültigen Methode zur gesetzmäßigen Erforschung des sozialen Lebens der Menschen hergeleitet.

Es steht zu hoffen, daß diese Erkenntnis einer in sich doch einfachen und geschichtlich zweifellosen Tatsache endlich Gemeingut aller wird, denen eine sozialphilosophische Erkenntnis und eine gesetzmäßige Erwägung der sozialen Frage am Herzen liegt. Dann wird man auch die verbrauchten Argumente beiseite legen, die dem materialistischen Gegner gegenüber gar nicht am Platz sind.

Es genügt nicht,  "die Ansprüche  des Sozialismus als zu weitgehend und mit der menschlichen Natur unvereinaber zurückzuweisen;" (29) - denn der soziale Materialist beruft sich dem gegenüber auf die naturgesetzlich zwingende Kraft der ökonomischen Phänomene, der gegenüber man nur die Wahl hat, entweder unterzugehen oder sich nach ihnen zu richten und - weil sie, wie er sagt, die sozialistische Wirtschaft unerläßlich fordern - die Produktionsmittel zu kollektivieren. Und man wird ganz auf die Forderung von einer genauen Ausmalung des Zukunftsstaates in dieser Lage des Streites verzichten müssen; - denn der Marxist weist dies ebenso zurück, wie den Wunsch, daß man das Wetter in der zukünftigen Gesellschaft vorhersagen kann. (30)

Schließlich kann ich aber auch dem Vorgehen derjenigen nicht zustimmen, welche teilweise und anscheinend auf die materialistische Geschichtsauffassung eingehen und diese gerade benutzen wollen, um die sozialistische Bewegung zum Schweigen zu bringen. Sie meinen, daß bei der Annahme, die ökonomischen Phänomene besorgten von sich aus den Gang der Weltgeschichte, eine auf Erlangung derzeitiger politischer Macht gerichtete Strömung eine  contradictio in adjecto  [Widerspruch in sich - wp] bedeutet. Wenn es richtig ist, schreibt LUJO BRENTANO (31), daß nach dem Wort von MARX "eine Gesellschaftsformation nie untergeht, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist und neuere höhere Produktionsverhältnisse nie an die Stellen treten, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet sind," dann kann eine Partei, welche die Ziele der sozialdemokratischen verfolgt, nur innerhalb der bestehenden Ordnung dahin streben, die materiellen Existenzbedingungen umzugestalten; ein politischer Triumph über die bestehende Ordnung würde sie in die Lage bringen, ihren Sieg wegen der fehlenden Vorbedingungen bestenfalls wieder preisgeben zu müssen.

Allerdings haben die Vertreter des Marxismus diesem Einwand gegenüber nichts Rechtes vorzubringen gewußt. Die naheliegende Replik BERNSTEINs, (32) daß die Erlangung der politischen Macht durch das Proletariat nicht eher erfolgen  kann,  bis die Entwicklung der ökonomischen Phänomene die notwendige Umgestaltung zur Reife gebracht habe, ist keineswegs durchschlagend. In dieser Weise ist die Möglichkeit, in der bestehenden Gesellschaftsordnung zur politischen Herrschaft zu gelangen und der im sozialen Leben ausschlaggebende Faktor zu werden, nicht notwendig identisch mit der Entwicklung  aller  Produktivkräfte der jetzigen Sozialwirtschaft; es ist denkbar und mit der Theorie der materialistischen Geschichtsauffassung völlig vereinbar, daß die  überwiegende  Entwicklung der ökonomischen Phänomene in gewisser Richtung eine  maßgebliche  Bedeutung des Proletariats herbeigeführt hätte, obgleich die  ausnahmslose  Entwicklung der Bedingungen für die neue sozialistische Produktionsweise noch  nicht vollendet  wäre.

Andererseits ist bei BRENTANO außer acht gelassen, daß die von ihm hypothetisch angenommene Erlangung der politischen Macht durch das Proletariat gar nicht notwendig die  sofortige  Umwandlung der kapitalistischen Produktionsweise in eine sozialistische im Sinn der materialistischen Geschichtsauffassung mit sich führen muß. Nach der materialistischen Sozialphilosophie besteht die Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens in einer naturgesetzlichen Entwicklung der ökonomischen Phänomene. Indem diese zu erkennen ist und eingesehen werden kann, so ergibt sich daraus für menschliches Streben die Aufgabe, sich nach einem sicheren und gesetzmäßigen Gang in der Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu richten und einzurichten. Indem nun der wissenschaftliche Beobachter der ökonomischen Erscheinungen für deren kommenden Gang eine gewisse Tendenz konstatiert, so erhält er für die Jetztzeit die besondere Aufgabe, sich auf die  notwendig  bevorstehenden Ereignisse  vorzubereiten.  Wer für den Winter Kohlen einfährt, handelt nicht unlogisch, wenn er nach genügender Füllung des Kellers erklärt: Nun warte ich den Winter ab; ich beginne nicht gleich mit dem Verbrennen, sondern suche mich auf die kommende rauhe Jahreszeit nun in einer anderen Richtung noch besser zu rüsten.

Die wesentlichen Punkte in der Theorie der materialistischen Geschichtsauffassung sind: Naturgesetzliche Entwicklung der wirtschaftlichen Phänomene; und alleinige Realität und alleinige Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens in jener. Infolge davon notwendige Bedingtheit der Rechtsordnung als eines Instrumentes und Hilfsmittels vom gesetzmäßig unerbittlichen Gang der Erscheinungen sozialer Wirtschaft. Wer sich den maßgeblichen Einfluß auf die Herstellung und Benutzung von Instrumenten sichert, mit denen der Mensch die Fährlichkeiten natürlicher Ereignisse ohne Schaden bestehen will, der handelt damit nicht gegen seine Lehre, daß jene Ereignisse nach festen Naturgesetzen geschehen und an und für sich in ihrer gesetzmäßigen Eigenschaft nicht abwendbar sind. So erkennt der Marxist, wie er sagt, daß die wirtschaftliche Entwicklung unaufhaltsam zur Sozialisierung der gesellschaftlichen Wirtschaft, vor allem zur Kollektivierung der Produktionsmittel drängt und diese schließlich  mit Notwendigkeit  eintreten lassen wird.

Indem der marxistische Sozialist in diesem Sinne die kommende Zeit erfaßt und ihm die Zukunft nach seiner wissenschaftlichen Überzeugung kein verschlossenes Buch bedeutet, sondern in der Gesamttendenz ihrer Art geläufig ist: so sucht er sich auf das, was er in sicherem Eintreffen zu sehen glaubt, tunlichst und bestens vorzubereiten. Der Klassenkampf - ein notwendiges Abbild und unvermeidlicher Widerschein der heutigen wirtschaftlichen Verhältnisse - ist dem modernen Sozialisten ein Mittel, um alle Unterschiede  dereinst  beseitigen zu können. Er bedeudet ihm die Vorbereitung für den Augenblick, da die naturgesetzliche Entwicklung der ökonomischen Phänomene die Kollektivierung der Produktionsmittel  notwendig  macht. Diese Vorbereitung freilich ist nach seiner Meinung in zielbewußter Weise  zu bewirken,  - andernfalls hätte ja die Umsetzung seines Gedankens in  Parteibestrebungen  und in einen  von Menschen durchzuführenden  Klassenkampf keinen Sinn. Mit einer solchen Meinung will er das denkende Proletariat geistig und ethisch tüchtig erhalten und es in beiderlei Hinsicht möglichst fördern und heben. In dieser seiner Überzeugung kann er auch sehr wohl nach dem politischen Einfluß der Arbeiterklasse streben, - eben um die Vorbereitung auf die späterhin notwendige Umgestaltung besser betreiben zu können. (33)

Der erwähnte Einwand BRENTANOs, der aus der materialistischen Philosophie den Schluß ziehen wollte, daß wegen der notwendigen Abhängigkeit des Rechts von der Wirtschaft Fortschritte  nur für die letztere  angestrebt werden könnten, widrigenfalls man inkonsequent werden würde, ist also nicht begründet. Die soziale Wirtschaft entwickelt sich nach jener Lehre überhaupt  naturgesetzlich.  Man hat sich  danach  für das Kommende einzurichten; hat die Entwicklung zu begünstigen und sich für den eintretenden Geburtsakt bereit zu halten. Wenn diese  präparatorische  Tätigkeit für den erst noch zu erreichenden Punkt der Entwicklung, da die kapitalistische Produktionsweise in ihr Gegenteil, die sozialistische, umschlägt, durch die politische Macht des Proletariats in der jetzigen Gesellschaft stärker und besser vorgenommen werden kann, so ist diese politische Herrschaft gerade nach der Lehre von MARX zu erstreben - eben um der besseren Vorbereitung willen, der Vorbereitung auf das genannte,  demnächst notwendige,  Ereignis (34). -

Es gibt nur zwei Möglichkeiten einer Gegenrede gegen den modernen Sozialismus, welche überhaupt einen logisch geschlossenen Sinn besitzen und konsequenterweise einen formalen Wert beanspruchen können:

Entweder,  man zeigt, daß die  naturgesetzliche  Entwicklung der ökonomischen Phänomene unserer Zeit im  einzelnen  eine  andere  ist, als die Marxisten sie angeben; man leugnet, daß das Wesen und die Tendenz unserer Wirtschaft und Produktionsweise die sei, sich zu sozialisieren, und daß  deshalb  die Kollektivierung der Produktionsmittel nicht unvermeidlich notwendig ist. Wer dies tut, der nimmt die Grundgedanken des sozialen Materialismus als richtig hin und will nur dartun, daß dessen Anwendung auf unsere sozialen Zustände nicht unvermeidlich zum Sozialismus hindrängt.

Oder,  es wird die Lehre der materialistischen Geschichtsauffassung als begründetes Fundament der Sozialphilosophie in Zweifel gezogen und kritisch erörtert. Das letztere Verfahren ist ansich zweifellos das allein berechtigte. Man muß bis zu dem Punkt zurückgehen, wo sich die Ansichten wirklich spalten: das ist bis zur Scheidung des sozialen Materialismus vom sozialen Idealismus.

Hängt eine Gesellschaftsordnung wirklich  notwendig  von der Entwicklunng der ökonomischen Phänomene ab; und wie steht es mit dieser  gesetzmäßigen Bedingtheit  im besonderen?

Das ist unser Thema. Wenn wir ihm folgen wollen, so wird man zunächst zu fragen geneigt sein: inwieweit seiner Erörterung und Durchführung durch Auslassungen von literarischen Gegner der materialistischen Geschichtsauffassung bereits präjudiziert ist?

Ich lege das vorhandene Material kurz vor.
LITERATUR Rudolf Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung, Leipzig 1896
    Anmerkungen
    6) KANT, Kritik der reinen Vernunft, erste Ausgabe, 1781, Seite 110
    7) PAUL NATORP, Einleitung in die Psychologie, 1888, Seite 74f
    8) MARX selbst hat sich in der "Rheinischen Zeitung" in scharfen Ausdrücken gegen die geschichliche Juristenschule erklärt. (Beilage zur Nr. 221 vom 9. August 1842: Das philosophische Manifest der historischen Rechtsschule). Der Artikel enthält aber sachlich nichts Bemerkenswertes.
    9) ENGELS, Entwicklung des Sozialismus etc. Seite 46, Anm. 15; Anti-Dühring, zweite Ausgabe, Seite 271.
    10) Ein solcher persönlicher Prioritätsstreit ist in gelegentlichen Äußerungen von Anhängern PROUDHONs erhoben worden, ohne daß die darauf zielenden Behauptungen aus der weiten Flucht unsteter Gedanken PROUDHONs derart sicher hätten dargelegt werden können, daß die im Text gekennzeichnete prinzipielle Bedeutung des sozialen Materialismus von PROUDHON klar und scharf erkannt worden wäre. - Dasselbe gilt von LAVERGNE-PEGUILHEN (siehe WEBB, Die britische Genossenschaftsbewegung, Vorwort von BRENTANO, 1893) und nicht minder von LOUIS BLANC (siehe ADLER, Die Grundlagen der Marxschen Kritik der bestehenden Volkswirtschaft, 1887, Seite 214f, bes. 220 - 225); sowie von gleichartigen Gedanken bei STEIN, Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreich, in der ersten Auflage (1842). - Auch das von MARX selbst gelobte Buch von WILHELM SCHULZ, Die Bewegung der Produktion; eine geschichtlich-statistische Abhandlung zur Grundlegung einer neuen Wissenschaft des Staates und der Gesellschaft (1843) liefert nichts Wesentliches; seine Einzelausführung bereitet nach dem Programm der Einleitung eine starke Enttäuschung; (vgl. Seite 75: "Die Bewegung der Produktion läßt sich  als Entfaltung  erkennen"; u. a. m.) - - - Vgl. noch STAUDINGER, *Die sittliche Frage eine soziale Frage, Philosophische Monatshefte, Bd. 29, 1893, Seite 40.
    11) MARX, Zur Kritik der politischen Ökonomie (1859), Vorwort, bes. Seite V. Daselbst auch einige Mitteilungen über den Gang seiner "politisch-ökonomischen" Studien. - Ferner eine Notiz über ein Manuskript aus 1845/46, welches die erste Darlegung der materialistischen Geschichtsauffassung enthalten soll, aber nicht veröffentlicht worden ist. Vgl. darüber ENGELS, Ludwig Feuerbach (1888), Seite V. Vermutlich wird sich dort auch die später festgehaltene technische Bezeichnung der neuen Lehre zum erstenmal finden.
    12) "Misére de la philosophie - Réponse à la philosophie de la misére de M. Proudhon" (1847); deutsch von BERNSTEIN und KAUTSKY, zweite Auflage (1892).
    13) Hier ist vor allem "Das kommunistische Manifest" zu nennen, 1847/48 von MARX und ENGELS verfaßt; zweite Auflage 1872, seitdem oft. - Außerdem kommt in Betracht: Briefe an ARNOLD RUGE in den Deutsch-französischen Jahrbüchern (1844), Seite 17f, 22f, 36f. - - - "Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik. Gegen Bruno Bauer und Konsorten" (1845), bes. Seite 42f - "Lohnarbeit und Kapital", Sonderabdruck aus der Neuen Rheinischen Zeitung von 1849, neu hrsg. 1891. - "Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 - 1850", gleichfalls aus der Neuen Rheinishen Zeitung von 1850, neu hrsg. 1895. - "Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte", aus der Monatsschrift: Die Revolution von 1852, dritte Ausgabe 1885.
    14) Andere Beispiele: Das Kapital, vierte Ausgabe, Seite 45, 51, 126, 132, 134, 335 u. v. a. m. - Vgl. auch BARTH, Die Geschichtsphilosophie Hegels etc. (1890), Seite 43 - 47. WERYHO, Marx als Philosoph, 1894, bes. Seite 24
    15) ENGELS, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, 1878, zweite Ausgabe, 1886; - vgl. dazu BERNSTEIN in "Neue Zeit", Bd. XIII - Hieraus drei Kapitel in der Sonderausgabe unter dem Titel: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, seit 1882 häufig ausgegeben. - Siehe ferner ENGELS, Über historischen Materialismus in "Neue Zeit", Bd. XI - Von seinen sonstigen Schriften gehören namentlich hierher: die oben zitierte Abhandlung über Ludwig Feuerbach; und das Buch "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates", 1884.
    16) Dahin gehört die Polemik zwischen ERNST und MEHRING in "Neue Zeit", Bd. XII - Ich verweise auch auf BONNIER, Das Fouriersche Prinzip der Anziehung, wobei er ein harmonisches Zusammenstimmen der "Theorie der universellen Einheit" mit der marxistischen Geschichtsphilosophie darzulegen sucht. - Endlich neuestens JAURÉS gegen LAFARGUE in "Neue Zeit" Bd. XIII, Seite 545f, 577f.
    17) Wer sich über die im Text charakterisierte Literatur des Marxismus zu unterrichten wünscht, findet ein reichhaltiges Material in dem anerkannten Organ desselben:  Die Neue Zeit,  Revue des geistigen und öffentlichen Lebens. Seit 1882 jährlich 1 Band, seit 1891 jährlich 2 Bände.
    18) Vgl. hierzu auch die Äußerungen von LAVELEYE, Le socialisme contemporain, 1881. Deutsch von JASPER 1895.
    19) Bemerkenswerte Versuche in dieser Richtung namentlich bei DIETZEL in seinem Buch über RODBERTUS und in der Zeitschrift für Literatur und Geschichte der Staatswissenschaften I, 1893, Seite 1f: Beiträge zur Geschichte des Sozialismus und Kommunismus; daselbst weitere Verweisungen.
    20) Es liegt außerhalb unserer Aufgabe, den Handelskrisen nach ihrer Art und Verursachung im einzelnen zu folgen. Es kommt in diesem Zusammenhang nur auf die Auffassung an, welche der moderne Sozialist davon hegt. Ich schalte als Note die anschauliche Schilderung von ENGELS, Entwicklung des Sozialismus etc., Seite 38 ein: "Der Verkehr stockt, die Märkte sind überfüllt, die Produkte liegen da, ebenso massenhaft wie unabsetzbar, das bare Geld wird unsichtbar, der Kredit verschwindet, die Fabriken stehen still, die arbeitenden Massen ermangeln der Lebensmittel, weil sie zu viel Lebensmittel produziert haben, Bankrott folgt auf Bankrott, Zwangsverkauf auf Zwangsverkauf. Jahrelang dauert die Stockung, Produktivkräfte wie Produkte werden massenhaft vergeudet und zerstört, bis die aufgehäuften Warenmassen unter größerer oder geringerer Entwertung endlich abfließen, bis Produktion und Austausch allmählich wieder in Gang kommen. Nach und nach beschleunigt sich die Gangart, fällt in Trab, der industrielle Trab geht über in Galopp, und dieser steigert sich wieder bis zur zügellosen Karriere einer vollständigen industriellen, kommerziellen, kreditlichen und spekulativen  Steeplechase  [Hindernislauf - wp] um endlich nach den halsbrechendsten Sprüngen wieder anzulaangen - im Graben des Krachs."
    21) Eine anmutende Schilderung aus der neuesten Zeit nach unmittelbar erlebtem Eindruck bei GÖHRE, Drei Monate Fabrikarbeiter (1891), Seite 40f
    22) Man sehe z. B. ENGELS, im Vorwort der Übersetzung von "Elend der Philosophie", Seite IX: "Marx hat nie seine kommunistische Forderung hierauf [sc. daß der Mehrwert unserem sittlichen Gefühl widerspricht] begründet, sondern auf den notwendigen, sich vor unseren Augen täglich mehr und mehr vollziehenden Zusammenbruch der kapitalistischen Produktionsweise; er sagt nur, daß der Mehrwert aus unbezahlter Arbeit besteht, was eine einfache Tatsache ist." - Sehr präzise und Gut: SCHMIDT, Die Durchschnittsprofitrate auf Grundlage des Marxschen Wertgesetzes (1889), Seite 110f. - Vgl. auch KAUTSKY in  Neue Zeit,  Bd. III, Seite 282
    23) So in typischer Weise besonders KUNOWSKI, Wird die Sozialdemokratie siegen? (1891), namentlich Seite 46, 49f, 55, 61, 250.
    24) F. A. LANGE, Die Arbeiterfrage, 1894, in den einführenden Kapiteln.
    25) Damit haben sie freilich Schwierigkeiten, weil nun "revolutionär" in zweierlei Bedeutung gebraucht wird: a) für  gewaltsamen  Umsturz einer Rechtsordnung von unten her (im Gegensatz zum Staatsstreich); das ist der hergebrachte Sprachgebrauch b) Für die Revolutionierung der überkommenen Auffassung vom menschlichen Gesellschaftsleben, für Festsetzung und Betätigung er materialistischen Geschichtsauffassung. - - - Das Gibt nun häufigen Anlaß zu mißverständlichem und unfruchtbarem Wortstreit. - - - Dazu kommen noch andere originale Bedeutungen des angeführten Wortes bei anderen Schriftstellern. Besonders bemerkenswert LASSALLE in seinem Gegensatz von Reform und Revolution: Jene, wenn die Verhältnisse sich inhaltlich überlebt hätten und nun eine notwendige Umänderung ihrer einträte; die letztere, falls ohne jene sachliche Vorbedingung eingegriffen würde. So daß beides sowohl friedlich, als auch blutig geschehen könnte.
    26) Die Zeit hat nun doch etwas klärend gewirkt und den hier fraglichen Streit von Mißverständnissen und Entstellungen im einzelnen gereinigt. So z. B. darin, als ob der Sozialismus auf  eine Teilung  der vorhandenen Vermögen nach gleichen Quoten hinauslaufe; - oder umgekehrt, daß auf Seiten deren, die an  die Notwendigkeit  der Kollektivierung der Produktionsmittel nicht zu glauben vermögen, nichts als bewußte Schlechtigkeit und eigennütziges Beharren gegen bessere Einsicht und Überzeugung zu finden sei.
    27) Als Quellen für die Lehre des marxistischen Sozialismus sind alle Schriften und Bücher zu verwerten, die in Anm. 11 bis 17 aufgeführt sind.
    28) Dabei ist ein Rückfall in Projekte  utopischen  Charakters seltener. Im weiten Umfang geschieht es von BEBEL, Die Frau und der Sozialismus (seit 1879); das Buch ist darum für die Erkenntnis der sozialphilosophischen Grundlage des modernen Sozialismus von geringem Wert. - Eigenartig ist: KÖHLER, Der sozialdemokratische Staat, Grundzüge einer mutmaßlich ersten Form sozialdemokratischer Gesellschaftsverfassung (1891). Enthält eines so krasse Reaktion zugunsten der Malerei eines Zukunftsstaates, daß selbst BEBEL das Buch als nicht schulgerecht ablehnte: Neue Zeit, Bd. X, Seite 87. - - - Wohl aber finden sich in der modernen sozialistischen Literatur unaufhörlich Argumentationen ethischen Charakters, bei denen in augenfällig dunklem Empfinden auf  die  soziale Gerechtigkeit, als oberstes entscheidendes Prinzip, hingedeutet wird. Jeder Leser dieser Schriften und Zeitschriften wird auch bei nur gelegentlicher Kenntnisnahme davon Beispiele in reicher Menge finden. - - - Immer aber sind es nur gelegentlich wieder aufgetauchte und mehr unwillkürlich hingeworfene Reminiszenzen. Sobald die besprochene Richtung offiziell zu Wort kommt, wird stets auf den sozialen Materialismus als fsten Obersatz zurückgegangen und  nur  aus diesem her Begründung und Folgerung im einzelnen zugelassen. - Auch läßt sich leicht beobachten, daß jeder ihrer Anhänger, wenn man auf seinen idealistischen Rückfall ihn aufmerksam macht, stutzig wird und ernst auf die ihm nötig erscheinende Konkordanz mit der marxistischen Grundlehre sinnt. - - - Sollte aber, wie neuerdings gelegentlich geschehen, ein in der Diskussion in die Enge getriebener neuzeitlicher Sozialist bewußtermaßen versichern, daß  er  die materialistische Geschichtsauffassung  überwunden  habe, so ist das nichts als ein elender Augenblicksbehelf.  Worauf  wollte er sein Ziel  der Kollektivierung der Produktionsmittel  denn sonst gründen?
    29) ADOLF WAGNER. Lehr- und Handbuch der politischen Ökonomie I, 1893, Seite 11 und 14f. - Siehe denselben, Das neue sozialdemokratische Programm, 1892
    30) So LIEBKNECHT auf dem sozialistischen Parteitag zu Halle / Saale 1890. - Der Vergleich ist in sich nicht glücklich. Gerade vom marxistischen Standpunkt aus müßte es heißen: Prophezeiung derjenigen technischen Maßnahmen, die man zum Schutz gegen die Unbilden der Witterung dereinst notwendig treffen wird.
    31) Vorwort zu WEBB, Britische Genossenschaftsbewegung, Anm. 10, Seite V
    32) BERNSTEIN in "Neue Zeit", Bd. XI, Seite 745
    33) Sehr unvorsichtigerweise ist von diesem zuwartenden Standpunkt ENGELS, Entwicklung des Sozialismus etc. abgegangen: Seite 45: "... die Möglichkeit ist jetzt zum erstenmal da, aber sie  ist  da". Das war im Jahr 1878! - Siehe dagegen KAUTSKY in "Neue Zeit", Bd. I, Seite 537f.: "..  wenn nicht alles trügt,  ist diese Stufe (sc. der Herrschaftsorganisation, die Periode des Rassen- oder Klassenkampfes]  nahe daran,  überschritten zu werden." - BERNSTEIN in "Neue Zeit", Bd. XI, Seite 716. - Vgl. auch VOLLMAR in "Neue Zeit", Bd. XI, Seite 206f
    34) Der gleiche Gedanke findet sich auch von Vertretern christlich-sozialer Richtung analog gelegentlich ausgeführt. Vgl. z. B. RADE, in Christliche Welt 1891, Nr. 33: "... Hat der Sozialismus als Wirtschaftsordnung Zukunft, so liegt alles daran, daß die, die ihn in das Leben einführen, Christen sind."