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(1856-1938) [mit NS-Vergangenheit] Die Lehre vom richtigen Recht [ 2 / 2 ]
Das erste Buch Begriff des richtigen Rechts Erster Abschnitt Richtiges Recht und gesetztes Recht I. Der Begriff der Richtigkeit eines Rechts Diese Untersuchungen setzen den Begriff des Rechtes voraus. Es sind zwei Merkmale, die ihn bestimmen: das Recht beansprucht es, selbstherrlich anzugeben, wer ihm untersteht; und es will unverletzbar sein, solange es gilt. Wenn über die Formel, in der jener Begriff zu fassen wäre, nocht nicht völlige Einstimmigkeit vorhanden ist, so mag dieses hier aus sich beruhen bleiben. Wir lassen für diesmal auch das Problem beiseite: Was unter dem Gelten einer rechtlichen Norm zu verstehen ist? Und nehmen die Frage nicht auf: Ob sich der Zwangsanspruch des Rechtsbefehles als solcher begründen läßt? So kommt es bei den jetzigen Betrachtungen weder auf eine formale Klärung des Rechtsbegriffs, noch auf die Deduktion des Rechtszwangs für sich an. Die dermalige Nachforschung gilt dem Inhalt des Rechts. Nicht jede äußere Regelung, welche die formale Eigenschaft einer rechtlichen besitzt, ist darum allein schon dem Inhalt nach richtig. Es gibt auch inhaltlich unrichtiges Recht; und die nun zu lösende Frage ist diese: Wie sich der mögliche Willensinhalt, der in rechtlichen Anordnungen zutage treten kann, in allgemein geltender Weise nach dem Merkmal der Richtigkeit zerteilen läßt? Richtiges Recht ist ein besonders geartetes Recht. Die Unterscheidung von beiden Arten eines möglichen Rechtsinhaltes ist nur innerhalb des Rechtsbegriffes zu vollziehen. Es darf nicht etwa dahin aufgenommen werden, daß das positive Recht das rechtlich beherrschte Gebiet vollständig ausfülle und ein richtiges Recht ihm als Schatten oder auch als Lichtgestalt gegenüber stehe. Es ist überhaupt schief, hier das Bild eines räumlichen Verhältnisses hineinzubringen; während es sich um eine logische Einteilung dreht. Das gesetzte Recht zerteilt sich nach der sachlichen Beschaffenheit seines Inhaltes in zwei Klassen: Es ist entweder richtig oder nicht; und richtiges Recht ist ein positives Recht, dessen Willensinhalt die Eigenschaft der Richtigkeit besitzt. Danach verhält sich richtiges und gesetztes Recht zu einander, wie Einzelart zur Gattung. Es kann daher für das erstere niemals darauf ankommen, konkrete Normen aufzustellen, die bloß für jenes selbst beständen und nicht die Absicht hätten, positives Recht abzugeben. Auf dieses letztere läuft es auf jeden Fall hinaus. Ob freilich gewisse Rechtssätze gerade jetzt in Geltung stehen, oder ob sie der Geschichte angehören und für uns antiquiert sind, oder endlich, ob sie als Gesetzentwürfe oder als Programme auftreten: das ist für unsere Erörterung ohne Belang. Die gemachte Unterscheidung bezieht sich auf alle drei Möglichkeiten: auf das bestehende, das veraltete, das gewünschte Recht. Es ist nicht die besondere geschichtliche Lage, welche für die Abteilung in richtiges und unrichtiges Recht von Bedeutung wäre, namentlich ist der Gegensatz keineswegs der, daß das gesetzte Recht das daseiende oder vielleicht gewesene, und das richtige Recht in seinem Begriff mit demjenigen des angestrebten Rechtes identisch sei. Endlich erinnern wir nochmals daran, daß es ungerechtfertigt sein würde, unsere Teilung in die Art der Entstehung zu setzen; so daß positives Recht durch Zwangsgewalt gesetzt, richtiges Recht etwa durch die Vernunft ersonnen würde. Es ist das Werden des gesetzten Rechts ein Vorgang, dessen Betrachtung für die Erwägung dieser Stelle gleichgültig ist. Das Recht wird und wächst unter empirischen Bedingungen und bildet sich in geschichtlichem Gang durch historisch gegebene Faktoren. Das ist eine Sache für sich. Aber der Inhalt dessen, was sich so als gesetztes Recht bildet, dieser Inhalt wird nun nach dem Merkmal der Richtigkeit geprüft und bestimmt. Dort ist es die Verfolgung der Genesis, hier das systematisch richtende Urteil; und beides ist wohl zu trennen. Fassen wir das Ergebnis zusammen. Das richtige Recht steht nicht außerhalb des gesetzten Rechtes als irgendeine Norm mit nichtrechtlichen Anforderungen; es ist begrifflich nicht identisch mit angestrebtem Recht gegenüber einem geschichtlich gewordenen; seine Eigentümlichkeit liegt nicht in einer besonders gearteten tatsächlichen Herkunft. Das richtige Recht ist gesetztes Recht, dessen Inhalt besondere sachliche Eigenschaften hat; es bezieht sich auf alles Recht, auf das gewesene, daseiende, kommende; es bedeutet eine kritische Abwägung eines geschichtlich erwachsenden Rechtsinhalts, indem es diesen als richtig oder als unberechtigt systematisch abteilt. - Insoweit sagte schon ANSELM FEUERBACH zutreffend: Es gilt die Bearbeitung der positiven Rechtswissenschaft; also darf bei ihr über dem "Positiven" nicht das "Rechtliche", über dem "Rechtlichen" nicht das "Positive" übersehen werden. Den grundlegenden Gegensatz von richtig und unrichtig besitzen wir; auch für das Recht. Jede Kritik einer rechtlichen Einrichtung erläutert dieses. Und der radikale Skeptiker, der die gemachte Gegenüberstellung leugnen wollte, müßte ja sagen, wenn er vor sich selbst klar sein will: daß der Begriff des richtigen Inhaltes eines Rechtes keine sachliche Berechtigung habe; womit in unvermeidlich fehlerhaftem Kreisen die formale Möglichkeit, den Nachweis einer sachlichen Berechtigung (behauptend oder leugenend) überhaupt zu erbringen, bereits zugestanden wäre. Das ist aber in seiner Beziehung auf rechtliche Fragen dasselbe, wie der Begriff der Richtigkeit eines Rechtes überhaupt. Daher kann sich ein methodisch zulässiger Zweifel begründetermaßen immer nur auf ein besonderes Anwenden der grundlegenden Zerfällung bei einem bestimmten Rechtsinhalt beziehen; gar nicht aber auf die für jede Forschung notwendig vorausgesetzte Einteilung der Richtigkeit oder Unbegründetheit jenes Inhalts. Wenn sonach diese Unterscheidung grundlegend besteht, so muß sich doch auch zeigen lassen, unter welchen gleich bleibenden einheitlichen Bedingungen eines formalen Verfahrens wir einen rechtlichen Willensinhalt mit dem Prädikat des Richtigen zu versehen haben und wann nicht. Daß wir dieses tun, ist außer Zweifel; unaufhörlich wird jene Subsumierung vorgenommen. Immer wieder bringen wir den Stoff verschiedenster Rechtsfragen unter denselben Begriff des Richtigen und bejahen oder verneinen die Anwendbarkeit dieses übergeordneten Begriffs: so muß es doch auch möglich sein, sich über das, was man wirklich tut, einmal ausreichend klar zu werden; und über den allgemeinen Begriff der Richtigkeit eines Rechtsinhalts, sowie über die Unterbringung von besonderem Material unter ihn methodische Einsicht zu gewinnen. Es ist wahr: Wir haben es hier mit einer Eigentümlichkeit unserer Tage von einer gewissen Allgemeinheit zu tun. Sie dürfte die Folge eines zu lange einflußreichen Empirismus sein, dessen Eigenart darin besteht, sich über die grundlegenden Methoden weiter keine Gedanken zu machen, in deren Ausführung man den Inhalt unseres erkennenden und wollenden Bewußtseins zu einem richtigen bestimmt. Ja, es ist geradezu die Erinnerung daran weithin verloren gegangen, daß alle Wissenschaft nur die Einfügung des einzelnen in unbedingt einheitliche Methode des Bewußtseins ist. Harmlos erscheint der Begriff der Tatsache oder der des Rechten als etwas Gegebenes, - da diese doch bereits je einen in bestimmter Art verarbeiteten Bewußtseinsinhalt bedeuten. So schwindet bei vielen die Einsicht, daß nur das einheitliche Verfahren es ist, welches die Auffassung von konkretem Stoff wertvoll macht; und daß man deshalb dieses Verfahren als solches durch eigenartige Besinnung sich auch einmal deutlich machen sollte. Statt dessen bildet sich der Wirklichkeitssinn, der am einheitlich bearbeiteten Stoff nur das Material noch sieht, - die Methode nicht gewahrend, weil sie nicht selbst wieder ein Stoff ist, noch es sein kann. In solcher Art haben auch manche juristische Schriftsteller die Fähigkeit eingebüßt, daß sie einsähen, wie mit dem Begriff der Richtigkeit ein Problem aufgegeben ist und worin dieses besteht. So mag der Irrtum aufgekommen sein, als ob man dazu wieder konkrete Maßstäbe haben müßte und ein Absehen von solchen nur als ausgeführter Entwurf einer idealen Kodifikation gemeint sein könnte; oder als ob man bei prinzipiellen Systematisierungen in letzter Linie auf einen verschiedenen Entstehungsprozeß zurückkommen würde. Sie haben die Methoden der Methoden verloren, nach welcher zunächst doch einmal diejenigen Begriffe in Sicherheit und Schärfe zu erfassen sind, unter deren einheitlicher Verwendung jeder besondere Bewußtseinsinhalt in grundsätzlicher Art der Klasse des Richtigen zuzuweisen oder davon auszuschließen ist. Und doch könnte dem Juristen vom Fach das Eindringen in das hier entrollte Problem eigentlich noch am leichtesten fallen. Er ist gewohnt, mit abstrahierten Begriffen zu hantieren. Ihm ist es beispielsweise eine nötige Aufgabe, den Begriff der Dinglichkeit zu erwägen. Nun wohl, so erfasse man einmal in entsprechender Richtung des Gedankens den Begriff der Richtigkeit, der auf bestimmte Rechtsinhalte seine Anwendung finden soll. Man mache sich klar, daß es sich um eine formale Eigenschaft positiv verliehener Rechte und Pflichten handelt; und daß bei einer solchen prinzipiellen Auffassung der genannte Begriff im folgenden bestimmt werden soll. Denn das bisher Gesagte kann nur zur Verdeutlichung des Problems dienen. Die Charakterisierung eines bestimmten Rechtsinhaltes als eines richtigen bedeutet ein einheitliches Verfahren; es ist eine allgemein gültige Art und Weise des Urteilens. Sie findet Anwendung auf jede Frage, die unter gesetztem Recht steht; und sie stellt eine grundsätzliche Methode dar. Wenn wir also bestimmen wollen, was richtiges Recht ist, und wie dadurch innerhalb des gesetzten Rechts eine prinzipielle Grenze nach der formalen Art der Beurteilung gezogen werden kann, so ist von jeder versuchten Anwendung des Begriffs der Richtigkeit zunächst ganz abzusehen. Richtigkeit ist eine Eigenschaft von gewissem positiven Recht; ihr Begriff ist formal zu bestimmen. So kommen wir erneut zu der Fragestellung: Unter welchen allgemeinen Bedingungen ist bei einer besonderen rechtlichen Norm die Eigenschaft des sachlich Richtigen vorhanden? Das Recht als Zwangsversuch zum Richtigen.
Dieser Zug nach einem richtigen Inhalt seiner Normen ist nun dem Recht nichts Nebensächliches; so daß er nach beliebigem Vorsatz beim einen Recht da wäre und bei einem andern fehlen könnte oder auch innerhalb einer rechtlichen Ordnung nach Gefallen befolgt oder abgelehnt zu werden vermöchte: sondern er ist mit dem Bestand des Rechts selbst gegeben. JHERING hat das Wort gebraucht, daß das Recht die Politik der Gewalt sei; auszuüben von einem weitsichtigen, durch die Erfahrung belehrten Machthaber:
Das folgt mit Notwendigkeit aus dem Zwangscharakter der Rechtsordnung. Das Recht will sich nach seinem geschichtlichen Auftreten die von ihm Beherrschten autokratisch unterstellen. Wer ihm untertan ist, unter welchen Bedingungen dieser in den Verband eintreten mag oder es ihm gestattet wird, aus einem solchen auszuscheiden, das bestimmt das Recht selbst. Es ist dieser selbstherrliche Anspruch des Geltens, mit dem es überall im sozialen Leben erscheint. Aber das Recht stößt auch mit diesem Geltungsanspruch auf eine grundsätzliche Anzweiflung und radikale Gegnerschaft; und muß sich die skeptische Frage nach dem Recht der von ihm beanspruchten Zwangsgewalt gefallen lassen. Und da er gibt nun die rechtsphilosophische Untersuchung, daß die Anwendung des Rechtszwangs als solchen, unangesehen des aufzunehmenden Inhaltes, deshalb allgemein begründet erscheint: weil das Recht die notwendige Bedingung ist, um das soziale Leben der Menschen gesetzmäßig auszugestalten. (Wirtschaft und Recht, § 96). Aus dieser Deduktion folgt unausweichlich der allgemeine Sinn jedes Rechtsinhaltes in der vorhin genannten Richtung. Wenn das Recht keine andere Daseinsberechtigung besitzt, als die Bedingung gür eine gesetzmäßig geartete Gesellschaft zu sein, so würde es sich selbst in einem nicht aufhebbaren Widerspruch ertöten, wenn es grundsätzlich von der ihm ehern vorgeschriebenen Richtung für seinen Willensinhalt abweichen möchte. So kann es nicht anders sein, als daß jede rechtliche Anordnung, sofern sie sich, eben als rechtliche, ihrem Grundgedanken erfolgreich entspricht, in die Gesetzmäßigkeit des Wollens, in den Zug nach dem Richtigen einfügt. Diesen notwendigen Grundzug teilt das Recht das Recht schließlich mit allen Daten des Bewußtseins. In jeder Wahrnehmung, die man als Erfassen einer Erscheinung feststellt, liegt bereits die Richtung des Gedankens auf das Ganze der Erkenntnis. Denn die bloße Wahrnehmung für sich gibt noch kein Wissen. Indem man aber wissen und sagen will - so konkret gefaßt, wie möglich - wie ein Gegenstand ist, so liegt in diesem Sein das Streben nach Wahrheit; liegt der Gedanke, daß jene Einzelheit in der Einheit der Natur erfaßt wird, was die festgestellt Wahrnehmung zu einem Versuch der Erkenntnis des Richtigen stempelt. Und was noch näher liegt: in jeder sittlichen Lehre und aller religiösen Betrachtung steckt als wesentlich immer der Wunsch, das Richtige zu lehren und zu empfinden. Und das künstlerische Gestalten ließe sich hier endlich im gleichen Sinn anführen. Überall ist bei dem nicht endenden Wechsel der einzelnen Anweisungen, der verschiedenen Auffassungen und Bestrebungen dieser eine Gedanke stets in formaler Gleichheit und Allgemeingültigkeit zu beobachten. So ergibt sich für den immanenten Gedanken allen Rechts eine Parallele zu jenen anderen Geistesphänomenen; wenngleich die Begründung in einem eigenen Beweisgang ausgeführt werden mußte. Demnach läßt sich das Verhältnis des positiven und des richtigen Rechts auch dahin wiedergeben: Alles gesetzte Recht ist ein Versuch, richtiges Recht zu sein. Vielleicht möchte hier einer einwenden, daß diese so bestimmte Absicht doch wohl auch einmal fehlen könnte; daß es Machthaber und Staatszustände gegeben habe, bei denen man eine Befolgung des genannten Gedankes nicht gut zu finden imstande sein würde. - Aber ein persönlicher Mißbraucht hebt den in der Sache notwendig gelegenen Zielpunkt keineswegs auf. Wenn Quacksalber und schwindelhafte Heilkünstler das Vertrauen anderer betrügerisch ausbeuteten, so ändert das nichts daran, daß in der Berufung auf ihre Wissenschaft und Kunst in objektiver Hinsicht das Ziel einer richtigen Erkenntnis doch wieder gelegen war. So mag es wohl auch einmal geschehen, daß unbeschämte Beutegier oder kynische [hündische - wp] Despotie, sie es eines Tyrannen oder eines Volkshaufens, das Instrument des Rechts für sich in bloß subjektiver Weise ausnutzten: aber das hebt den objektiv auf das Richtige hinleitenden Gedanken der rechtlichen Ordnung selbst nicht auf. Das geschieht auch nicht durch die Möglichkeit, daß einmal ein Recht den richtigen Inhalt in seinen Normen irriger Weise so ganz verfehlt, daß sich das wesentlich innewohnende Streben nach richtiger Regelung kaum noch erkennen läßt. Auch beim einzelnen Menschen kann die geistige Umnachtung so stark werden, die Vergleichungsfähigkeit mit den Bewußtseinsinhalten anderer Menschen (das Merkmal der Zurechnungsfähigkeit) sich so sehr verlieren, daß es schwer fällt, in so einem verstumpften Wesen den Menschen wieder zu sehen; und doch bleibt als charakteristisches Merkmal der Menschheit die Vernunft und die Fähigkeit des Objektivierens bestehen. Entsprechend muß auch trotz der Möglichkeit roher und vielleicht vertierter sozialer Zusände der Zug zum Richtigen als notwendiges Kriterium vom menschlichen Gemeinschaftsleben festgehalten werden. Es können dem gegenüber wohl Einzelerscheinungen in der Geschichte als zurückgebliebene und unentwickelte beobachtet werden; aber niemals sind sie imstande, das Streben der rechtlichen Ordnung im Fortschreiten zum Richtigen als allgemeingültiges Merkmal allen Rechtsinhaltes zu streichen. Denn das folgt aus der einheitlichen Aufgabe, unter der das Anwenden der rechtlichen Zwangsordnung allein eine Daseinsberechtigung in Anspruch nehmen darf. Freilich ist es nur das Streben in der genannten Richtung als solches, das als Grundzug des Rechtsinhaltes notwendig ist: Ob es überall glückt, das steht dahin. Eine rechtliche Ordnung kann den rechten Weg verfehlen. Es vermag ihr zu begegnen, daß sie in ihren Anordnungen den unvermeidlichen Grundgedanken verschleiert; sie irrt sich dann selbst über ihr Endziel, von dessen richtiger Erfassung später noch die Rede sein soll. Und es kehrt hundertfältig wieder, daß sie in ihren besonderen Normen dem Gesetz des richtigen Wollens nicht nachkommt. Dieser leidige Zwiespalt zwischen dem festen Ziel und dem kärglich erreichten Standpunkt bedarf noch eines näheren Wortes. Summum ius, summa iniuria. Der zuletzt genannte Kontrast zwischen der Grundabsicht des Rechts und ihrer nur teilweisen Erfüllung tritt als Problem überall hervor. Er ist nicht über das Rechtsgebiet zerstreut zu finden, so daß er sich in einem Punkt zeigte und an anderer Stelle zu vermissen wäre. Sein Vorkommen ist als Frage mit dem Auftreten des Rechts und dessen wesentlicher Eigenart notwendig gegeben. Dies folgt unausweichlich aus der Eigenschaft der rechtlichen Ordnung als eines besonderen und bedingten Mittels. Die rechtliche Regelung ist ein Gebot von Menschen, das von außen her dem Angeredeten mit einem Zwangsanspruch gegenüber tritt. So kann diese äußere Ordnung niemals das unbedingte Gesetz für den Unterworfenen sein. Das Recht, als ein Mittel im Dienst menschlicher Zwecke, bedarf zu seiner Begründung des Ausweises, daß es ein richtiges Mittel zu einem rechten Zweck sei. Dieser Nachweis spaltet sich in zweierlei Erwägung. Er hat einmal auf eine Deduktioin des Rechtszwangs für sich zu gehen; also darzutun, daß die selbstherrliche Regelung, welche dem Begriff des Rechts entspricht, als solche ein unentbehrliches Mittel zur sozialen Gesetzmäßigkeit ist. Dann erst kann auf eine Begründung der Richtigkeit des Inhalts von besonderen Normen eingegangen werden. Wenn man also weiter nichts hat, als den Umstand, daß eine Satzung die Eigenschaft einer rechtlichen Regel besitzt, so kann hieraus allein ein Schluß auf einen richtigen Inhalt dieses Rechtswillens noch gar nicht gezogen werden. Es bedarf allemal noch der kritischen Prüfung, um über die letzte Frage in das Klare zu kommen. Es ist diese Scheidung der Fragestellung, welche in dem viel berufenen Spruch des TERENTIUS in der Überschrift dieses Absatzes zum Ausdruck kommt. Man kann ihn kurz dahin wiedergeben: Das Recht als höchstes Gesetz ist das größte Unrecht. Es ist eine Bedingung und nicht das Ziel; ein Mittel und nicht der Endzweck. Wer eine besondere rechtliche Norm mit bestimmtem Inhalt bedingungslos behaupten und verfechten will, bloß weil sie eine rechtliche ist, verfällt einem sachlich unrichtigen Wollen. Der genannte Zwiespalt war gewiß auch seither keinem Juristen ganz verborgen. Trotzdem dürfte seine schärfere Hervorhebung und deutliche Betonung vor allem für die Durchführung der technischen Rechtslehre von Nutzen sein können. Denn diese geht ansich nur auf die Klarlegung und treffende Anwendung des gesetzten Rechts, wie es da ist. Weil nun aber ein tatsächlich bestehender Rechtsinhalt keineswegs immer mit den Anforderungen eines richtigen rechtlichen Wollens übereinstimmt, sei es auch nur nach dunklem persönlichen Empfinden, so hat sich häufig in der technisch juristischen Deduktion schon das Verfahren gezeigt, den Beweis für dasjenige, was tatsächlich von der Rechtsordnung gewollt worden ist, durch Erwägungen dessen zu erbringen, was richtiger Weise von ihr hätte gewollt werden sollen; man handelte in seiner Art nach der Anweisung des PROKULUS: Non spectandum est quid Romae factum est, quam quid fieri debeat (D. I 18, 12). Da man das Richtige gern im Recht gesehen hätte, so mußte, nach jenen, das Recht auch wirklich das Richtige bestimmt haben. Die Einsicht in den Begriff und das Amt des richtigen Rechtes ist geeignet, von jenen Fehlgängen uns fern zu halten. Wir wissen, daß die technische Rechtslehre eine eigene und selbständige Aufgabe hat, indem sie durch scharfe und sichere Erkenntnis des wirklichen Inhaltes von geltendem Recht die notwendige Unterlage für dessen Durcharbeitung auf richtigen Inhalt hin liefert. Jenes erste soll zuvörderst als subjektives Wollen der Recht setzenden Gewalt unverfälscht uns zum Bewußtsein gebracht werden: Ob es sich dann als richtig deduzieren läßt, ist eine andere Frage. Wie diese zu beantworten sei, muß überall mit kühler Objektivität aufgenommen und entschieden werden. Der Jurist soll lernen, eine vorhandene sachliche Unrichtigkeit von geltendem Recht sine ira et studio [ohne Zorn und Parteilichkeit - wp] zu beobachten; und der technischen Bedingtheit der zuerst ihm gewordenen Aufgabe in Klarheit eingedenk zu sein. Es sind eben zwei gesonderte Fragen und verschiedene Gedankengänge, die er jeweils zu durchwandern hat. Jede Norm eines gesetzten Rechts (der Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) muß nach der Methode der theoretischen Rechtslehre bestimmt werden, wenn sie ihrem grundsätzlichen Wollen, das Richtige anzugeben, Genüge tun soll. Der juristische Empirismus ist anderer Ansicht. Ihm schwebt es vor, als ob das zuletzt genannte Ziel durch die technische Rechtslehre erreicht werden könnte. Er hat das in verschiedener Weise versucht. Es ist auf eine Induktion aus empirischen rechtlichen Tatbeständen hingewiesen worden, durch die man zur Gewinnung allgemeiner Rechtswahrheiten gelangen könne. - Allein durch eine Nebeneinanderstellung und analytische Vergleichung vieler Willensinhalte, wie die rechtlichen es sind, kann doch höchstens ein Durchschnitt dessen festgelegt werden, was wirklich einmal gewollt gewesen. Ob dieses tatsächlich dagewesene Wollen in seinem Inhalt richtig ist, folgt aus jener Zusammenstellung noch gar nicht. Man könnte mit demselben Recht den Begriff der juristischen Person dadurch bestimmen wollen, daß man eine Induktion aus empirischen rechtlichen Büchern vornähme. Von anderer Seite ist gemeint worden, daß aus der Erforschung des geschichtlichen Ganges eines gewordenen Rechtes her sich zeigen lassen werde, ob bestehende rechtliche Satzungen die Berechtigung des Weitergeltens haben und wie sie, bei Verneinung dieser Frage, sachlich auszubilden oder zu ersetzen seien. - Dabei ist zu beachten, daß der Gegensatz von richtigem und unrichtigem Rechtsinhalt in allgemeingültiger Weise vorausgesetzt ist. Denn es wird dort angenommen, daß für jedes Recht ein Punkt der Entwicklung eintrete, an dem das einfache Weiterbestehen einen nicht berechtigten Zustand hervorrufen müsse, und eine Abänderung begründetermaßen geboten sei. Damit ist aber alles zugegeben, was hier zum Zweck einer sachdienlichen Fragestellung zugrunde gelegt wurde. Woran wird nun eingesehen, ob das überkommene Recht in seinem Inhalt in Zukunft nicht mehr richtig sein kann? Da dieses als eine allgemeine Frage für alles Recht auftritt, so muß es auch allgemeingültig für das soziale Leben überhaupt beantwortet werden: fällt mithin aus dem Rahmen einer bloß technischen Rechtslehre heraus. Nun findet sich der Einwand, daß die Zielpunkte des praktischen Verhaltens innerhalb des Bereiches der möglichen Entwicklung des Gegebenen darüber belehre, welche Entwicklung möglich sei und ebenso, welche Richtungen der möglichen Entwicklungen zu befördern, welche zu bekämpfen seien. - Aber hierbei ist wieder einmal der zu bearbeitende Stoff mit der bestimmenden Methode verwechselt. Die konkreten Zielpunkte, die in der Entwicklung auftauchen mögen, sind freilich empirisch bedingt; sie werden aus besonderen sozialen Phänomenen her geboren, deren genaueste Erkenntnis und Klarstellung selbstverständlich gefordert werden muß. Und es vollzieht sich diese Entwicklung, nach ihrer empirischen Betrachtung, allerdings in einem Kreislauf des sozialen Lebens, für dessen nähere Beschreibung auf eine andere Erörterung verwiesen werden muß (Wirtschaft und Recht, § 58). Jedoch die Erteilung des Prädikates "richtig" an empirisch erstehende Einzelziele, sie bedeutet ein allgemeingültiges Verfahren. Dieses findet bei jedem nur denkbaren Rechtsstoff und in aller rechtlichen Entwicklung unbedingt statt, und stellt sich als eine formale Methode dar, deren Eigenart von den bedingten Besonderheiten dieser oder jener Rechtsordnung unabhängig ist. Sobald man sich also klar machen wird, daß der Gegenstand der Untersuchung dieses formale Verfahren ist, in welchem die Verleihung des Charakters der Richtigkeit an geschichtlich bestimmten Rechtsinhalt geschieht, so ist damit die Einsicht erlangt, daß der Gang unserer Untersuchung ein anderer sein muß, als bloß den Sinn und die Bedeutung einer gewissen Rechtsordnung zu zergliedern und wiederum systematisch darzustellen. Die Einheit des richtigen Rechts. In der rechtsphilosophischen Literatur der neueren Zeit findet sich zuweilen eine etwas vulgäre Anlehnung an die Entwicklungslehre der Naturbeschreibung. Der hierbei unterliegende Unterschied von einem Recht, wie es überliefert ist und einem vollkommeneren Recht, zu dem jenes fortzubilden ist, kommt aber damit nicht zutreffend zum Ausdruck. Der Gedanke der Entwicklung vermag mit Nutzen nur auf das Ganze der sozialen Geschichte in Eigenart Anwendung zu finden; nicht aber für eine technisch abgeschlossene Rechtsordnung, für deren richtende Erwägung er eine trügerische Analogie abgeben würde. Er ist aber auch unzulänglich, um die hier gestellten Aufgaben auch nur in der Fragestellung aufzunehmen. Denn es ist ein Irrtum, wenn man die Scheidung von gesetztem und richtigem Recht nur für die Frage der Fortbildung des gewordenen Rechts zu benutzen gedenkt. Das ist bloß die eine Möglichkeit der Anwendung. Vor allem kommt es auch darauf an, die Einsicht des richtigen Rechts bei der Ausführung des bürgerlichen Verkehrs, wie bei der öffentlichen Verwaltung, bei der juristischen Beratung und der gerichtlichen Aburteilung zu verwerten. Gerade in unseren Tagen schickt sich die Gesetzgebung an, auf das letztere ein besonderes und stärkeres Gewicht zu legen. Es kommt nicht nur darauf an, das Aufstellen oder das Bewahren gewisser positiver Einrichtungen zu erwägen, also dahin, ob sie als Normen im Ganzen berechtigt und haltbar seien; sondern auch ihre Anwendung im besonderen Fall. Und dieses wieder nach der Seite des Bestehens eines einzelnen Rechtsverhältnisses oder nach derjenigen seines Ausführens in eigener Sachlage. So mag man das Eigentum, den Zins, die elterliche Gewalt als Institute eines gesetzten Rechts kritisch aufnehmen und angreifen oder verteidigen: aber man kann auch nach ihrer innerlich berechtigten Verwirklichung in concreto fragen. Und zusehen: ob jemand mit sachlichem Grund Eigentümer oder Schuldner oder Inhaber einer Familiengewalt werden oder bleiben solle; - oder auch prüfen; was für eine Ausübung eines bestimmten Eigentums dem Nachbarn oder dritten gegenüber begründeter Weise gestattet sei; wie viel und in welcher Art der Schuldner nach innerlich gerechtem Urteil zu leisten habe; und ob nicht bei gewissem Tun des Vaters ein unzulässiges Betätigen seines Rechtes vorliege. Aber welche Verwendung man vom Gedanken eines in der Sache kritisch begründeten Rechts - gegenüber einem, das nichts als positiv ist - mache: Immer ist es ein und derselbe Begriff des richtigen Rechts, mit wesentlich einheitlichen Merkmalen, der bloßer gesetzter Norm gegenüber steht. Wir müssen einen Augenblick verweilen, um diesen wichtigen Satz in Kürze zu illustrieren. Er bereitet in der Sache zwar keine Schwierigkeit, ist aber in Gefahr, von der Fülle des Sprachgebrauchs überwuchert zu werden. Schon bei der politischen Betrachtung, die auf ein Setzen neuen Rechts oder auf ein Besinnen über das eben Gewordene hinausläuft, zeigt sich eine große Mannigfaltigkeit der Ausdrücke für denselben einen Gedanken. Man redet von ausgleichender Gerechtigkeit, von billiger Zuteilung, von berechtigten Forderungen, moralischen Verbindlichkeiten, sozialer Ethik oder beruft sich auf Gründe des Gemeinwohls, der öffentlichen Ordnung, der allgemeinen Sittlichkeit, der gesellschaftlichen Notwendigkeit und anderes mehr. Aber alle Wendungen besagen das Gleiche: Sie bringen zum Ausdruck, daß der Inhalt des Rechts ein richtiger sein soll. Ganz besonders steigt die Zahl der Bezeichnungen des richtigen Rechts bei dessen Eintreten in den Rechtsverkehr und in die Jurisdiktion. Ich erinnere an die Fülle der Worte, die den Römern bei der Rücksichtnahme auf das Gute und Gerechte zu Gebote standen: - bonum et aequum; bona fides; aequitas; ius naturale s. naturalis ratio; boni mores s. mos; benvolentia; humanitas; pudor; pietas s. officium pietatis; iusta causa; arbitrium boni viri; iustitia; etc. Eine entsprechende Menge verschiedener Ausdrücke zeigt die heutige Rechtssprache und so auch das bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich. Aber während es für das römische Rcht kaum gelingen will, in der Auswahl der verwendeten Worte eine jeweilige Gemeinsamkeit zu finden, diese vielmehr in den erhaltenen Fragmenten der juristischen Schriften nach willkürlicher Abwechslung für den gemeinsamen Oberbegriff des sachlich begründeten Rechts aufzutreten scheinen, ist dieses in unserer neuen Gesetzgebung anders. Die Zahl der Wendungen, welche auf richtiges Recht verweisen, ist zwar gleichfalls eine große; aber sie werden gruppenweise in einer Übereinstimmung gebraucht, die jeweils nur wenig mit Ausnahmen durchlöchert ist. Dieser Sprachgebrauch hat es namentlich mit folgenden Bezeichnungen zu tun: Treu und Glauben für das Ausführen der schuldnerischen Leistungen; während im Familienrecht dafür entsprechend Vermeidung eines Mißbrauchs gesetzt wird. - Angemessen zumeist bei quantitativer Bestimmung, besonders der Herabsetzung einer zu zahlenden Summe oder bei Fristbestimmungen, zuweilen aber auch für die Qualität von Leistungen. - Tunlich bei der Pflicht zu einer Anzeige, Androhung, Anhörung. - Wichtiger Grund bei berechtigter Auflösung von Rechtsverhältnissen; verständige Würdigung des Falles für Anfechtung einer irrigen Willenserklärung. - Interessant: Billigkeit oder Bestimmung nach billigem Ermessen, regelmäßig da verwendet, wo es sich um das Ziehen einer Grenze zwischen zwei Streitteilen handelt, die durch ein für beide ganz unbestimmtes Gebiet zu legen ist; z. B. Teilung Auslobungssmumme unter zwei Erfüllende; Ausführung einer Gemeinschaft; Grenzstreit; Auseinandersetzen von zwei Dienstbarkeiten, die das dienende Grundstück nicht zusammentragen kann; Bestimmung einer unbestimmt gebliebenen Vertragsleistung u. a. m. Während also Treu und Glauben eine berechtigte Änderung einer ansich feststehenden Leistung begründen kann (angewandt auch bei der Auslegung von Verträgen und bei der unzulässigen Verhinderung des Eintritts einer Bedingung oder eines Erfolges) , so hat man es bei Billigkeit mit einer Abgrenzung zu tun, für die im streitigen Umfang überall noch kein Anhalt gegeben ist. Dazu haben die beiden zuletzt genannten Ausdrücke wieder das gemeinsam, daß sie auf das Ausführen bestehender Rechtsverhältnisse abzielen (außer BGB 829). Wo es sich um das Begründen von solchen nach Grundsätzen des richtigen Rechts handelt, gebrauchen unsere Gesetze, anstelle der seither genannten Wendungen, vielmehr sittliche Pflicht oder sagen, daß etwas nicht gegen die guten Sitten sein dürfe. Ich kann nicht behaupten, daß diese gruppenmäßige Scheidung des Sprachgebrauchs den Redaktoren deutlich gewesen ist; es scheint sogar, daß das Gegenteil anzunehmen ist und der Sprachgebrauch mehr ohne Bewußtsein gewirkt hat. Jedenfalls ist es aber seither nicht zum Bewußtsein gebracht worden, daß alle mannigfaltigen Ausdrücke sich in der Sache auf einen einheitlichen Begriff zurückziehen: auf den des richtigen Rechts. Das liegt notwendig in dem Sinne der Rechtsbestimmungen, deren wichtigste Vertreter soeben angeführt wurden. Denn wir müssen fragen: Auf welche methodische Art des Urteilens verweisen die einzelnen Ausdrücke, die wir nannten? Und dann gibt es in jedem jener Fälle keine andere Antwort, als daß der Bürger, der Berater, der Richter zusehen und bestimmen sollen, welche Norm die richtige Anweisung für die streitige Frage gebe. Daß das Gesetz hierbei verschiedene sprachliche Wendungen einführt, erklärt sich nun hinlänglich daraus, daß es damit in die Klassifizierung der möglichen Zweifelspunkte schon eingetreten ist. Aber sie alle bleiben einzelne Bewährungen eines einheitlichen Grundgedankens, der in formaler Allgemeinheit sie umfaßt. - Was wäre denn die Folge, wenn man sich dieser notwendigen Synthesis verschließen möchte? Wenn der Bedienstete einseitig kündigen darf, sobald ein wichtiger Grund vorliegt, so kann das doch nichts anderes heißen, als: sobald nach gerechter und guter Bestimmung das Ende des Dienstverhältnisses sich rechtfertigt; - falls der Mieter nach Treu und Glauben die Mietsache zurückzugeben hat, so wird wiederkehren, daß seine Pflicht in guter und gerechter Weise zu bestimmen ist; - und so in jedem weiteren der vorhin angeführten Fälle. So ist also das Urteilen mit der ars boni et aequi [Das Recht ist die Wissenschaft des Guten und Gerechten - wp] das Bestimmen von rechtlichen Streitfragen nach Normen, die das sachlich Berechtigte angeben, die - für den besonderen Fall - inhaltlich richtig sind. Es sind einzelne und verschiedene Anwendungen des Begriffs vom richtigen Recht, dagegen nicht selbst wieder grundsätzlich verschiedene Methoden für sachlich begründetes Urteilen in rechtlichen Fragen. So sagt PAPINIANUS unbefangen und ganz zutreffend: Generaliter observari convenit bonae fidei iudicium non recipere praestationem, quae contra bonos mores desideretur. Erinnert man sich nun, daß die Richtigkeit eines Rechtsinhaltes nur eine formale Eigenschaft von bestimmten Recht ist, so ist es wiederum sicher, daß die logische Feststellung, ob diese Eigenschaft einer konkreten Norm zukomme oder nicht, nur in einem einheitlichen Verfahren geschehen kann. Und das ist es, was sich volkstümlich auch wohl so ausdrückt: Es kann in jeder Frage immer nur Eines das Richtige sein. Hieraus erhellt sich, daß alle Schwierigkeit in unserer Lehre in den Begriff des Richtigen verlegt wird. Die einzelnen Aufgaben, welche vor allem die neuzeitliche Gesetzgebung mit verschiedenen sprachlichen Wendungen für die abgeteilten Gruppen der Rechtsfragen stellt, können eine jede, für sich isoliert, nicht gelöst werden. Sie müssen sich auf den Oberbegriff zurückziehen, dessen besondere Ausführung sie darstellen. Gelingt es, diesen Begriff des richtigen Rechts scharf herauszuschälen und in seinen Grenzen zu klären, glückt es, ihm in seiner allgemeinen Gültigkeit die rechte Methode einer überall zutreffenden Bestimmung zu geben: so wird sich auch die einzelne Anwendung seiner in der juristischen Praxis gesichert und fest durchführen. Privilegium de non evocando. (1) Welche Instanz ist nun anzurufen, um in geordnetem Verfahren das begründete Urteil über das Vorhandensein oder Fehlen der Eigenschaft des Richtigen in einem Rechtsinhalt zu sprechen? Es liegt nahe, dafür nach fremder Hilfe sich umzuschauen; und von andern anerkannten Disziplinen sich den Bescheid über das sachliche Recht eines Rechtes zu erbitten. Aber alles, was in dieser Absicht angegangen worden ist, hat sich als ungeeignet und sachlich nicht zuständig erwiesen. Zurückstehende Religionen lieben es, die Berechtigung staatlicher Aktionen, wie die Begründung rechtlicher Normen auf eine unmittelbare Ermächtigung oder Anordnung der Götter zu gründen. Auch dem orientalischen Monotheismus ist dieses geläufig. Leviticus [3. Buch Mose] und Deuteronomium [5. Buch Mose] bieten besonders eindringliche Beispiele. Und die Suren des Koran stellen ihre ausgeführten Rechtseinrichtungen als göttliche Gesetze auf, die ALLAH als Gesetzgeber selber verfaßt habe. - Das wird nun heute in unserem Bereich schwerlich eine ganz übereinstimmende Nachfolge finden. Das richtige Recht tritt dem gesetzten nicht als eine selbständige fremde Ordnung entgegen, die deshalb von dritter Seite Deckung und Rückhalt empfangen müßte. Es hat ja selbst nur formale Bedeutung; und gibt überall nur an, ob bestimmtes Recht in seinem Inhalt mit dem eigenen Grundgedanken im Einklang steht. Darum bietet sich als einziger Weg, der zu dem hier gewünschten Ergebnis führt, die kritische Besinnung auf das gesetzmäßige Ziel der rechtlichen Ordnung und die Bestimmung der einzelnen Rechtserscheinungen nach jenem. Und diese Arbeit kann für die Beantwortung der Frage: Welcher rechtliche Inhalt im bestimmten Fall richtig ist, niemals gespart werden. Man hat letzteres tun zu dürfen geglaubt, indem als entscheidende Stelle für die Lösung jener Aufgabe die anständig und gerecht denkenden Menschen lediglich Auskunft. Denn auf die selbstverständlich dann weiter folgende Frage: Welche Leute diese Eigenschaft hätten, und woran zu erkennen wäre, ob die so ausfindig gemachten Menschen im streitigen Fall auch wirklich anständig und gerecht dächten, gibt es keine befriedigende Erwiderung. In der Tat ist gar nicht abzusehen, wozu das Mittelding der denkenden Leute überhaupt gebraucht wird. Ob jemand prüft: Was richtig denkende Menschen sagen würden, oder aber: Was richtig ist, - das ist doch ein und dasselbe. Mithin ist der Glaube zu vermeiden, als ob man die zuletzt formulierte Frage mit der anderen Fassung ihrer selbst sachlich auch nur im geringsten gelöst hätte. Andererseits darf nicht angenommen werden, daß sich dieses durch eine Bezugnahme auf die guten Sitten verbessern ließe; mit welchem Ausdruck, wie oben bemerkt, von den Gesetzen zuweilen das Aufsuchen von richtigem Recht für den Einzelfall geboten wird. Es wäre eine plumpe Auffassung,als wenn das gesetzte Recht damit auf einen feststehenden konventionellen Brauch als oberherrliche Instanz Bezug genommen hätte; so daß eine Schlechtigkeit, die noch nicht durch eine entgegenstehende bessere Übung von längerer Zeit widerlegt werden kann, ruhig passieren müßte: Ein Pressen des Buchstabens, der den richtig wollenden Sinn des darüber bestimmenden Rechtes ganz verkehren würde. Nach diesem kann die genannte Sprechweise in ihren einzelnen Verwendungen mit Fug nur besagen, daß nicht ein Verhalten rechtlich zu billigen sei, welches zur Sitte erhoben nicht gut ist. Es ist also im gewählten Ausdruck die rechte Methode bereits angedeutet; mehr aber auch von ihm nicht besagt, als daß nur solche Rechtsfolgen zuzulassen seien, die eine allgemeine Durchführung in Übereinstimmung mit einem guten sozialen Leben vertragen. Als Hilfsmittel denkt man sich das fragliche Verhalten wiederholt und findet nun, daß es in seiner Verallgemeinerung mit dem Gemeinschaftsleben und seiner obersten Idee nicht vereinbar ist. Es wird also ein konkretes rechtliches Vorgehen wieder am Grundgesetz der Rechtsordnung überhaupt geprüft und nach diesem richtend bestimmt; keineswegs aber bloß vor das Forum wirklicher Gebräuche gezogen, die als eigene Subjekte von außen her gewalttätig in das Rechtsleben eingriffen. Das Wort von den guten Sitten ist für eine andere Meinung unbeweisend. Es ist in einem geschichtlichen Zusammenhang aus alten Zeiten her zu uns gekommen. Schon die griechische Ethik gebrauchte es zuweilen; und den von PAULUS zitierten Satz des MENANDER von den chremata [Güter - wp], die durch schlechten Umgang verdorben werden, kennt alle Welt. Die Römer besaßen es gleichfalls und prägten es juristisch richtig aus. Kein schönerer Ausdruck hierfür, als der berühmte Spruch des PAPINIUS: "Quae facta laedunt pietatem existimationem verecundiam nostram et, ut generaliter dixerim, contra bonos mores fiunt, nec facere nos posse credendum est." - Mit der Rezeption des römischen Rechtes kam unser Ausdruck nach Deutschland; und wurde bald vielfältig verschieden übersetzt. Das Pfälzer Landrecht von 1610 sagte, daß die Kontrakte nicht wider gute sitten, unerbar, betrüglich seind, ... daraus sünde, schand und ärgernis erfolgen; - im revidierten Landrecht des Herzogtums Preussen von 1695 findet sich: "Man ist aber in Summa alle die Verträge, die wider Gott, sein heiliges Wort oder gute Sitte seynd, zu halten nicht schuldig;" - und das bayerische Landrecht von 1756 verordnet: "Die Konvention hat nicht statt ... in Sachen, welche entweder gegen die Natur oder gegen Ehrbarkeit, Gesetz und Ordnung gehen." - Auch die neueren Gesetzgebungen zeigen genügende Mannigfaltigkeit der Sprechweise. So sagt für stipulationes turpes s. contra bonos mores: das preußische Allgemeine Landrecht Handlungen, welche die Ehrbarkeit beleidigen, der Code civil cause illicite ... contraire aux bonnes moeurs ou á l'ordre public (im badischen Landrecht zurückübersetzt mit der Sittlichkeit entgegen oder der Staatsordnung zuwider), das österreichische Gesetzbuch unerlaubt das schweizereische Obligationenrecht Verträge auf widerrechtliche oder unsittliche Leistung. - Und nachdem man sich in der Kommission für unser bürgerliches Gesetzbuch zur Aufnahme einer Übersetzung von boni mores [die guten Sitten - wp] entschlossen, schwebten diese eine Zeit lang in Gefahr, aus ihrem ererbten Pluralis in die Einzahl verbracht zu werden. Ein Unglück wäre es auch nicht gewesen. Überschauen wir das Gesagte, so ist die zufällige Ausdrucksweise der guten Sitten, die sich in den Gesetzen zuweilen findet, ein ansich gleichgültiges Wort, aus dessen Silben und Buchstaben nicht das Geringste für den hier notwendigen Maßstab zu folgern ist. Das Gebot, daß nicht gegen die guten Sitten verstoßen werden dürfe, bedeutet nur eine Anwendung der allgemeinen Möglichkeit, daß richtiges Recht als Norm des Urteilens genommen werden soll. Und zum andern ist es unzulässig, die Entscheidung über das Vorliegen von sachlich berechtigtem Rechtsinhalt aus dem Gebiet des gesetzten Rechts hinauszutragen und einem fremden Herrn hier: den guten Sitten, übergeben zu wollen. Das Aufsuchen und Feststellen des richtigen Rechts muß nach der grundlegenden Gesetzmäßigkeit der rechtlichen Ordnung überhaupt für den angezweifelten Fall geschehen. Denn nicht eine Norm von eigenem Stoff in im besonderen empirischen Bestand will das richtige Recht sein, sondern nur ein Recht mit bestimmter formaler Eigenschaft. Gute Sitten oder Treu und Glauben oder andere solche Wendungen besagen nicht eine Regel, die außerhalb des Rechts ein Dasein führte, ich weiß nicht, was für eins: Sie sind vorhanden, wenn ein gewisses Recht in seinem Inhalt die formale Qualität des Richtigen hat. Wohl kann man einen Satz, der ihnen entspricht, die vornehmere Norm mit Fug heißen; jedoch nicht anders, als wie ein scharfsinniger Mensch einem beschränkten vorzuziehen ist. Und so ist die nach Treu und Glauben oder nach den guten Sitten, allgemein: nach richtigen Grundsätzen bestimmte Norm wieder nur ein besonders geeigenschaftetes Recht. Ein Beispiel: Die meisten früheren Gesetze gaben dem Pächter das Recht, einen Nachlaß am Pachtzins zu verlangen, wenn durch außerordentliche Unglücksfälle die Fruchtgewinnung in beträchtlichem Maße geschmälert war. Von diesem Recht des Pächters sagen die Motive zum Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, daß es ein des rechtlichen Fundamentes entbehrendes, bloß auf Billigkeit beruhendes Recht sei. Das ist nicht verständlich. Vom technischen Standpunkt aus wird jenes Remissionsrecht entweder gesetzlich zugesprochen oder verneint und hat danach sein rechtliches Fundament oder nicht; nach theoretischer Erwägung ist der jeweilige Rechtsentscheid entweder sachlich begründet oder unhaltbar, - und bedeutet im ersten Fall nichts anderes, denn richtiges Recht. Der grundsätzliche Fehler liegt dort in der verborgenen Meinung, als ob es neben dem gesetzten Recht und außerhalb seiner gedacht, noch irgendeine stofflich eigenartige Norm gebe; eine unbekannte Größe, die nun auf den Namen Billigkeit getauft wird. Solches hängt mit dem schon erwähnten Zug zum beschränkten Empirismus zusammen. Wer freilich nichts kennt und sieht, als empirisch zusammengeballte Dinge, wem es schwer fällt, die Eigenschaft vom Objekt, die Methode vom Stoff zu trennen und eine formale Lehrart ansich als eigenen Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung zu begreifen: Der konnte leicht in den Irrtum verfallen, als ob das richtige Recht, und die im Gesetzbuch verschieden benannten Anwendungen desselben, auch wieder selbständige Größen einer merkwürdigen Erfahrung sein müßten, moralische Undinge von einer, sozusagen, körperlichen Existenz. Unsere Ausführung wird, wie ich hoffe, diese mißverständliche Auslegung beseitigen: Richtiges Recht ist ein gesetztes Recht, dessen Inhalt besonders geartet ist. Seine Eigenart ist in diesem Werk zu bestimmen; aus der Grundidee der rechtlichen Ordnung her, ohne alles Evokationsrecht eines usurpierenden Tyrannen. Man kann es auch dahin ausdrücken: das Urteil über die sachliche Richtigkeit eines gewissen Rechtsinhalt darf nicht von außen her herangetragen werden, sondern ist lediglich der dem Recht immanenten Gesetzmäßigkeit zu entnehmen. Es ist also weder das richtige Recht außerhalb des Inhaltes von gesetztem Recht fertig zu machen; noch auch hat eine andere Disziplin in jenen Willensinhalt maßgeblich einzugreifen und ihn nach ihren auswärtigen Gesetzen zu regieren. Es ist immer und lediglich eine Frage der Rechtslehre selbst. Man kann als richtiges Recht nur ein besonders bearbeitetes gesetztes Recht vorstellen; und es ist dessen Bearbeitung nach Erwägungen vorzunehmen, die bloß auf die Übereinstimmung von konkretem Rechtsinhalt mit dem Endzweck des Rechts selbst ihre Aufmerksamkeit lenken. Zu lange schon hat man versucht, von einem fernen a priori aus in das Reich des Rechts hineinzukommen und dessen Gebiet mit Kriegern eines anderen Stammes zu erobern: Statt dessen soll dort, wenn unser Plan gelingt, das eigene Grundgesetz bloß walten. Aber die Tafeln, die es trugen, sind verloren; ihr Inhalt liegt verborgen. Es wird nötig sein, tief nachzugraben. Wie immer jedoch es ausfallen möge, das Eine soll festgehalten werden, ohne Weichen und Nachgeben: Es darf nicht eine fremde Macht dem Land gebieten. Keine Gewalt mag den Inhalt der Normen bestimmen, die nicht im Recht eingeboren ist; - kein Urteil soll ergehen, was hier richtig sein soll, es sei denn nach dem eigenen Gesetz für das Recht. Aber müssen dabei nicht wenigstens für die Sittlichkeit gewisse Ausnahmen gemacht werden? Wird nicht für die uns gestellte Aufgabe dasjenige unmittelbar maßgeblich, was eine oft gehörte Redeweise die jeweilige ethische Anschauung nennt? - Ist denn nicht der Inhalt von richtigem Recht aus der sittlichen Lehre zu entnehmen? Wir verneinen das bedingungslos.
1) Der Territorialherr verbietet dem Untertanen den Kaiser als erste gerichtliche Instanz anzurufen. - wp |