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GEORG SIMMEL
Die Objektivität des Geldes

Geld - die Abstraktion der Werte
Geld - der ideale Wertmesser
Geld - das absolute Mittel
Gemeinheit des Geldes
Jede Kulturstufe weist eine besondere Proportion zwischen symbolischer und unmittelbar realistischer Behandlung ihrer Interessen auf.

Die Diskussion über das Wesen des Geldes wird allenthalben von der Frage durchzogen: ob das Geld, um seine Dienste des Messens, Tauschens, Darstellens von Werten zu leisten, selbst ein Wert sei und sein müsse, oder ob es für diese genüge, wenn es, ohne eigenen Substanzwert, ein bloßes Zeichen und Symbol wäre, wie eine Rechenmarke, die Werte vertritt, ohne ihnen wesensgleich zu sein.

Die ganze sachliche und historische Erörterung dieser, in die letzten Tiefen der Geld- und Wertlehre hinunterreichenden Frage würde sich erübrigen, wenn ein oft hervorgehobener logischer Grund sie von vornherein entschiede. Ein Meßmittel, so sagt man, muß von derselben Art sein, wie der Gegenstand, den es mißt: ein Maß für Längen muß lang sein, ein Maß für Gewichte muß schwer sein, ein Maß für Rauminhalte muß räumlich ausgedehnt sein. Ein Maß für Werte muß deshalb wertvoll sein. So beziehungslos zwei Dinge, die ich aneinander messe, auch in allen ihren sonstigen Bestimmungen sein mögen - in Hinsicht derjenigen Qualität, in der ich sie vergleiche, müssen sie übereinstimmen. Alle quantitative und zahlenmäßige Gleichheit oder Ungleichheit, die ich zwischen zwei Objekten aussage, wäre sinnlos, wenn sie nicht die relativen Quantitäten einer und derselben Qualität beträfe.

Ja, diese Übereinstimmung in der Qualität darf nicht einmal eine allzu allgemeine sein; man kann z.B. die Schönheit einer Architektur nicht der Schönheit eines Menschen gleich oder ungleich groß setzen, obgleich in beiden doch die einheitliche Qualität "Schönheit" ist, sondern nur die speziellen architektonischen oder die speziellen menschlichen Schönheiten ergeben je untereinander die Möglichkeit des Vergleichs. Wenn man aber doch eine Vergleichbarkeit, bei völligem Mangel jeder gemeinsamen Eigenschaft, in der Reaktion erblicken wollte, die das empfindende Subjekt an die Gegenstände knüpft; wenn die Schönheit des Gebäudes und die Schönheit des Menschen vergleichbar sein sollen nach dem Maß von Beglückung, das wir bei der Betrachtung des einen und der des anderen empfinden: so würde auch hier, unter abweichendem Scheine, eine Gleichheit von Qualitäten ausgesprochen sein. Denn die Gleichheit der Wirkung, an demselben Subjekt hervortretend, bedeutet unmittelbar die Gleichheit der Objekte in der hier fraglichen Beziehung.

Zwei völlig verschiedene Erscheinungen, die demselben Subjekte die gleiche Freude bereiten, haben unter aller ihrer Verschiedenheit eine Gleichheit der Kraft oder des Verhältnisses zu jenem Subjekt, wie ein Windstoß und eine menschliche Hand, wenn sie beide einen Baumzweig brechen, unter aller Unvergleichbarkeit ihrer Qualitäten, dennoch eine Gleichheit der Energie beweisen. So mag der Geldstoff und alles, dessen Wert man mit ihm mißt, einander ganz unähnlich sein, aber in dem Punkte, daß beide Wert haben, müssen sie übereinstimmen; und selbst wenn der Wert überhaupt nichts anderes ist, als ein subjektives Fühlen, mit dem wir auf die Eindrücke der Dinge antworten, so muß wenigstens diejenige - wenngleich nicht isolierbare - Qualität, durch welche sie überhaupt sozusagen auf den Wertsinn der Menschen wirken, bei beiden dieselbe sein. So soll wegen der Tatsache, daß es mit Werten verglichen wird, d.h. in eine quantitative Gleichung mit ihnen eintritt, das Geld die Wertqualität nicht entbehren können.

Dieser Überlegungsreihe stelle ich eine andere mit abweichendem Resultat gegenüber. Wir können allerdings in dem obigen Beispiel die Kraft des Windes, der den Baumzweig bricht, mit der der Hand, die dasselbe tut, nur insofern vergleichen, als diese Kraft in beiden qualitativ gleich vorhanden ist. Allein wir können die Kraft des Windes auch an der Dicke des Zweiges messen, den er geknickt hat. Zwar drückt der geknickte Zweig nicht an und für sich schon das Energiequantum des Windes in demselben Sinne aus, wie der Kraftaufwand der Hand es ausdrücken mag; allein das Stärkeverhältnis zwischen zwei Windstößen und damit die relative Stärke des einzelnen ist wohl daran zu messen, daß der eine einen Zweig zerbrochen hat, den der andere noch nicht verletzen konnte.

Und ganz entscheidend scheint mir das folgende Beispiel: Die ungleichartigsten Objekte, die wir überhaupt kennen, die Pole des Weltbildes, die aufeinander zu reduzieren weder der Metaphysik noch der Naturwissenschaft gelungen ist - sind materielle Bewegungen und Bewußtseinserscheinungen. Die reine Extensität der einen, die reine Intensität der anderen haben bisher keinen Punkt entdecken lassen, der allgemein überzeugend als ihre Einheit gälte. Dennoch kann der Psychophysiker nach den Änderungen der äußeren Bewegungen, die als Reize unsere Sinnesapparate treffen, die relativen Stärkeänderungen der bewußten Empfindungen messen.

Indem also zwischen den Quanten des einen und denen des anderen Faktors ein konstantes Verhältnis besteht, bestimmen die Größen des einen die relativen Größen des anderen, ohne daß irgend eine qualitative Beziehung oder Gleichheit zwischen ihnen zu existieren braucht. Damit ist das logische Prinzip durchbrochen, das die Fähigkeit des Geldes, Werte zu messen, von der Tatsache seines eigenen Wertes abhängig zu machen schien. Das ist freilich richtig: vergleichen kann man die Quanten verschiedener Objekte nur, wenn sie von einer und derselben Qualität sind; wo also das Messen nur durch unmittelbare Gleichung zwischen zwei Quanten geschehen kann, da setzt es Qualitätsgleichheit voraus. Wo aber eine Änderung, eine Differenz oder das Verhältnis je zweier Quanten gemessen werden soll, da genügt es, daß die Proportionen der messenden Substanzen sich in denen der gemessenen spiegeln, um diese völlig zu bestimmen, ohne daß zwischen den Substanzen selbst irgend eine Wesensgleichheit zu bestehen brauchte. Es lassen sich also nicht zwei Dinge gleich setzen, die qualitativ verschieden sind, wohl aber zwei Proportionen zwischen je zwei qualitativ verschiedenen Dingen.

Wie stark die Tendenz ist, Geld überhaupt und Ware überhaupt ohne weiteres als einander entsprechend zu behandeln, zeigt eine Erscheinung wie die folgende, die an mehr als einer Stelle aufgetreten ist. Wenn ein roher Stamm eine eine naturale Tauscheinheit hat und in Verkehr mit einem höher entwickelten, Metallgeld besitzenden Nachbarn tritt, so wird häufig die naturale Einheit als gleichwertig der Münzeinheit dieses letzteren behandelt.

So setzten die alten Iren, als sie in Beziehung zu den Römern traten, ihre Werteinheit, die Kuh, gleich einer Unze Silber; die wilden Bergstämme in Annam, die nur Naturaltausch treiben, haben den Büffel als Grundwert, und bei ihrem Verkehr mit den kultivierteren Bewohnern der Ebene wird die Werteinheit dieser, eine Silberstange von bestimmter Größe, gleich einem Büffel gewertet. Derselbe Grundzug ist bei einem wilden Volksstamm nahe Laos wirksam: diese treiben nur Tauschhandel, ihre Einheit ist die eiserne Hacke. Aber sie waschen Flußgold aus, das sie den Nachbarstämmen verkaufen und das der einzige Gegenstand ist, den sie wägen. Dazu haben sie kein anderes Mittel als das Maiskorn; und nun verkaufen sie je ein Maiskorn Gold für je eine Hacke!

Da die Wareneinheit des Naturaltausches ebenso die Wertidee des ganzen Objektkreises versinnlicht oder vertritt, wie die Geldeinheit die des Münzkomplexes, so ist diese Formulierung: Eins gegen Eins - nur die naiv ausgedrückte Äquivalenz der fraglichen Gesamtheiten. Man darf wohl annehmen, daß das Verhältnis der Einheiten als mindestens symbolische Darstellung des Verhältnisses der Ganzheiten empfunden wird.

Die beschränkte Aufnahmefähigkeit unseres Bewußtseins einerseits, die kraftsparende Zweckmäßigkeit seiner Verwendung andererseits bewirkt, daß von den unzähligen Seiten und Bestimmungen eines Interesseobjekts immer nur eine geringe Zahl wirklich beachtet werden. Den verschiedenen Gesichtspunkten, von denen die Auswahl und Rangierung der bewußtwerdenden Momente ausgeht, entspricht es, daß diese letzteren in eine systematische Stufenfolge gegliedert werden können; dieselbe beginnt damit, daß von einer Reihe von Erscheinungen nur dasjenige, was ihnen allen gemeinsam ist, beachtet wird, an jeder nur die Grundlage, die sie mit den anderen teilt, ins Bewußtsein tritt; das entgegengesetztet Endglied der Skala bezeichnet es, wenn an jeder Erscheinung gerade nur das zum Bewußtsein kommt, was sie von jeder anderen unterscheidet, das absolut Individuelle, während das Allgemeine und Fundamentale unter der Schwelle des Bewußtseins bleibt. Zwischen diesen beiden Extremen bewegen sich in den mannigfaltigen Abstufungen die Punkte, an welche sich, als an Seiten der Gesamterscheinungen, das höchste Bewußtsein heftet.

Ganz durchschnittlich kann man nun sagen, daß theoretische Interessen das Bewußtsein mehr auf die Gemeinsamkeiten, praktische mehr auf die Individualität der Dinge hinweisen werden. Dem metaphysisch interessierten Denker verschwinden oft genug die individuellen Differenzen der Dinge als unwesentlich, bis er etwa an so allgemeinen Vorstellungen wie Sein oder Werden haften bleibt, die allen Dingen schlechthin gemeinsam sind. Umgekehrt verlangt das praktische Leben allenthalben, an den uns angehenden Menschen und Verhältnissen die Unterschiede, Eigenheiten, Nuancen mit schärfstem Bewußtsein aufzufassen, während die allgemein menschlichen Eigenschaften oder die gemeinsame Grundlage aller der fraglichen Verhältnisse als selbstverständlich keiner besonderen Aufmerksamkeit bedürfen, ja selbst eine solche sie sich oft nur mühsam klar machen kann.

Innerhalb des Familienlebens z.B. bauen sich die Verhältnisse der Mitglieder untereinander bewußterweise auf der Erfahrung derjenigen persönlichen Qualitäten auf, durch welche sich jeder allen anderen gegenüber unterscheidet, während der allgemeine Familiencharakter gar kein Gegenstand besonderer Beachtung für die an ihm Teilhabenden zu sein pflegt, so wenig, daß oft nur Fernerstehende denselben überhaupt zu beschreiben vermögen. Das verhindert aber nicht, daß diese allgemeine und unbewußte Grundlage dennoch psychisch wirksam wird.

Die individuellen Eigenschaften der Familienmitglieder werden tatsächlich sehr verschiedene Verhältnisse unter ihnen hervorrufen, je nachdem allgemeinen Charakter und Ton, der in der ganzen Familie herrscht; erst dieser gibt doch den freilich unbeachteten Untergrund ab, auf dem jene ihre eindeutig bestimmten Folgen entfalten können. Ganz dasselbe gilt für weitere Kreise. So sehr alle Verhältnisse zwischen Menschen überhaupt auf den besonderen Bedingungen beruhen, die jeder Einzelne hinzubringt, so kommen sie doch in ihrer bestimmten Art tatsächlich nur dadurch zustande, daß außer ihnen gewisse ganz allgemein-menschliche Tatsachen und Voraussetzungen selbstverständlich vorhanden sind und gleichsam den Generalnenner bilden, zu dem jene individuellen Differenzen als die bestimmenden Zähler treten und erst so die Totalität des Verhältnisses erzeugen.

Ganz dasselbe psychologische Verhältnis könnte nun bezüglich der Geldpreise obwalten. Die Gleichsetzung zwischen dem Werte einer Ware und dem Werte einer Geldsumme bedeutet keine Gleichung zwischen einfachen Faktoren, sondern eine Proportion, d.h. die Gleichheit zweier Brüche, deren Nenner einerseits die Summe aller Waren, andererseits die Summes alles Geldes - beides natürlich noch erheblicher Determinationen bedürftig - eines bestimmten Wirtschaftskreises ist. Als Gleichung kommt sie dadurch zustande, daß diese beiden Summen aus praktischen Gründen a priori als einander äquivalent gesetzt werden; oder genauer: das praktische Verhältnis, in dem wir beide Kategorien handhaben, spiegelt sich im theoretischen Bewußtsein in der Form einer Äquivalenz. Allein da dies die allgemeine Begründung aller Gleichungen zwischen einzelnen Waren und einzelnen Preisen ist, so kommt sie nicht zum Bewußtsein, sondern bildet zu jenen allein interessierenden und deshalb allein bewußten Einzelgliedern den unbewußt mitwirkenden Faktor, ohne den jene überhaupt nicht die Möglichkeit einer Beziehung hätten.

Man kann die verschiedenen Kulturschichten danach charakterisieren, inwieweit und an welchen Punkten sie zu den Gegenständen ihrer Interessen ein unmittelbares Verhältnis haben, und wo andererseits sie sich der Vermittlung von Symbolen bedienen. Ob z.B. die religiösen Bedürfnisse durch symbolische Dienste und Formeln erfüllt werden oder durch ein unmittelbares Sich-Hinwenden des Individuums zu seinem Gott; ob die Achtung der Menschen für einander sich in einem festgesetzten, die gegenseitigen Positionen durch bestimmte Zeremonien andeutenden Schematismus offenbart oder in der formfreien Höflichkeit, Ergebenheit und Respekt; ob Käufe, Zusagen, Verträge durch einfache Verlautbarung ihres Inhaltes vollzogen werden, oder ob sie durch ein äußeres Symbol feierlicher Handlungen erst legalisiert und zuverlässig gemacht werden; ob das theoretische Erkennen sich unmittelbar an die sinnliche Wirklichkeit wendet, oder sich mit der Vertretung derselben durch allgemeine Begriffe und metaphysische oder mythologische Sinnbilder zu tun macht - das gehört zu den tiefgreifendsten Unterschieden der Lebensrichtungen.

Diese Unterschiede aber sind natürlich nicht starr; die innere Geschichte der Menschheit zeigt vielmehr ein fortwährendes Auf- und Absteigen zwischen ihnen; auf der einen Seite wächst die Symbolisierung der Realitäten, zugleich aber werden, als Gegenbewegung, stetig Symbole aufgelöst und auf ihr ursprüngliches Substrat reduziert. Ich führe ein ganz singuläres Beispiel an.

Die sexuellen Dinge standen schon lange unter der Verhüllung durch Zucht und Scham, während die Worte, die sie bezeichneten, noch völlig ungeniert gebraucht wurden; erst in den letzten Jahrhunderten ist das Wort unter dieselben Kautelen (Vorbehalte) gestellt - das Symbol rückte in die Gefühlsbedeutung der Realität ein. Nun aber bahnt sich in der allerneuesten Zeit wieder eine Lösung dieser Verbindung an. Die naturalistische Kunstrichtung hat auf die Undifferenziertheit und Unfreiheit des Empfindens hingewiesen, das an das Wort, also an ein bloßes, zu künstlerischen Zwecken verwandtes Symbol, dieselben Empfindungen knüpfe, wie an die Sache selbst; die Darstellung des Unanständigen sei noch keine unanständige Darstellung, und man müsse die Realitätsempfindungen von der symbolischen Welt lösen, in der jede Kunst, auch die naturalistische, sich bewege.

Vielleicht in Zusammenhang hiermit kommt eine allgemeine größere Freiheit der gebildeten Stände im Besprechen heikler Objekte auf; wo objektive und reine Gesinnung vorausgesetzt wird, ist mancherlei früher Verbotenes auszusprechen erlaubt - die Schamempfindung ist eben wieder ausschließlicher der Sache zugewandt und läßt das Wort, als ein bloßes Symbol ihrer, wieder freier. So schwankt, auf den engsten wie auf den weitesten Gebieten, das Verhältnis zwischen Realität und Symbol, und man möchte fast glauben - so wenig solche Allgemeinheiten ihre Beweislast auf sich nehmen können - daß entweder jede Kulturstufe (und schließlich jede Nation, jeder Kreis, jedes Individuum) eine besondere Proportion zwischen symbolischer und unmittelbar realistischer Behandlung ihrer Interessen aufweist; oder daß gerade diese Proportion im Ganzen beharrt und nur die Gegenstände, an denen sie sich darstellt, dem Wechsel unterliegen.

Vielleicht aber kann man sogar etwas spezieller bestimmen, daß ein besonders augenfälliges Hervortreten von Symbolik ebenso sehr primitiven und naiven, wie sehr hochentwickelten und komplizierten Kulturzuständen eigen ist; und daß, auf die Objekte hin angesehen, die aufwärtsschreitende Entwicklung uns auf dem Gebiete des Erkennens immer mehr von Symbolen befreit, sie uns aber auf praktischen immer notwendiger macht. Gegenüber der nebelhaften Symbolistik mythologischer Weltanschauungen zeigt die moderne eine gar nicht vergleichliche Unmittelbarkeit im Ergreifen der Objekte; dagegen bringt die extensive und intensive Anhäufung der Lebensmomente es mit sich, daß wir viel mehr mit Zusammenfassungen, Verdichtungen und Vertretungen in ihrer symbolischen Form operieren müssen, als es in den einfacheren und engeren Verhältnissen nötig war: die Symbolik, die auf den niederen Lebensstufen so oft Umweg und Kraftvergeudung ist, dient auf höheren gerade einer die Dinge beherrschenden Zweckmäßigkeit und Kraftersparnis.

Man mag hier etwa an die diplomatische Technik denken, sowohl im internationalen wie im parteipolitischen Sinne. Sicher ist es das Verhältnis der realen Machtquanten, das über den Ausgang des Interessengegensatzes entscheidet. Aber diese messen sich eben nicht mehr unmittelbar, d.h. in physischem Kampfe, aneinander, sondern werden durch bloße Vorstellungen vertreten. Hinter dem Repräsentanten jeder Kollektivmacht steht in verdichteter potenzieller Form die reale Kraft seiner Partei, und genau nach dem Maße dieser ist seine Stimme wirksam und kann sein Interesse sich durchsetzen. Er selbst ist gleichsam das Symbol dieser Macht; die intellektuellen Bewegungen zwischen den Repräsentanten der verschiedenen Machtgruppen symbolisieren den Verlauf, den der reale Kampf genommen hätte, derart, daß der Unterlegene sich in das Resultat jener genau so fügt, als wäre er in diesem besiegt.

Ich erinnere z.B. an die Verhandlungen zwischen Arbeitern und Arbeitgebern zur Vermeidung eines drohenden Streikes. Hier pflegt jede Partei genau nur bis zu dem Punkte nachzugeben, bis zu dem, ihrer Abschätzung der Kräfte nach, auf der wirklich ausbrechende Streik sie zwingen würde. Man vermeidet die ultima ratio, indem man ihr Ergebnis in zusammenfassenden Vorstellungen antizipiert. Wäre diese Vertretung und Messung der realen Kräfte durch bloße Vorstellungen immer mit Sicherheit möglich, so könnte überhaupt jeder Kampf erspart werden.

Jener utopische Vorschlag: künftige Kriege durch eine Partie Schach zwischen den Feldherrn zu entscheiden - ist deshalb so absurd, weil der Ausgang einer Schachpartie gar keinen Anhalt dafür gibt, welches der Ausgang des Waffenkampfes gewesen wäre, und also diesen nicht mit gültigem Erfolge versinnbildlichen und vertreten kann; wogegen etwa ein Kriegsspiel, in dem alle Heeresmassen, alle Chancen, alle Intelligenz der Führung einen vollständigen symbolischen Ausdruck fände, unter der unmöglichen Voraussetzung seiner Herstellbarkeit allerdings den physischen Kampf unnötig machen könnte.

Die Fülle der Momente - der Kräfte, Substanzen und Ereignisse -, mit denen das vorgeschrittene Leben zu arbeiten hat, drängt auf eine Verdichtung desselben in umfassenden Symbolen, mit denen man nun rechnet, sicher, daß dasselbe Resultat sich ergibt, wie wenn man mit der ganzen Breite der Einzelheiten operiert hätte; so daß das Resultat ohne weiteres für diese Einzelheiten gültig, auf sie anwendbar ist. Das muß in dem Maße möglicher werden, in dem die Quantitätsbeziehungen der Dinge sich gleichsam selbständig machen.

Die fortschreitende Differenzierung unseres Vorstellens bringt es mit sich, daß die Frage des Wieviel eine gewisse psychologische Trennung von der Frage des Was erfährt - so wunderlich dies auch in logischer Hinsicht erscheint. In der Bildung der Zahlen geschieht dies zuerst am erfolgreichsten, indem aus den so und so vielen Dingen das So und Soviel herausgehoben und zu eigenen Begriffen verselbständigt wird. Je feststehender die Begriffe ihrem qualitativen Inhalt nach werden, desto mehr richtet sich das Interesse auf ihre quantitativen Verhältnisse, und schließlich hat man es für das Ideal des Erkennens erklärt, alle qualitativen Bestimmtheiten der Wirklichkeit in rein quantitative aufzulösen.

Diese Aussonderung und Betonung der Quantität erleichtert die symbolische Behandlung der Dinge: denn da die inhaltlich verschiedensten doch eben in quantitativer Hinsichten übereinstimmen können, so vermögen derartige Beziehungen, Bestimmtheiten, Bewegungen des einen in gültiges Bild für eben dieselben an einem anderen abzugeben; einfachste Beispiele sind etwa die Rechenmarken, die uns zahlenmäßige Bestimmungen beliebiger Objekte beweisend veranschaulichen, oder das Fensterthermometer, das uns das Mehr oder Weniger zu erwartender Wärmeempfindungen in den Zahlen der Grade anzeigt.

Diese Ermöglichung von Symbolen durch die psychologische Herausforderung des Quantitativen aus den Dingen, die uns heute freilich sehr selbstverständlich erscheint, ist eine Geistestat von außerordentlichen Folgen. Auch die Möglichkeit des Geldes geht auf sie zurück, insofern es, von aller Qualität des Wertes absehend, das reine Quantum desselben in numerischer Form darstellt. Einen ganz bezeichnenden Übergang von dem qualitativ bestimmbaren zu dem quantitativ symbolischen Ausdruck bietet ein Bericht aus dem alten Rußland.

Dort hätten zuerst Marderfelle als Tauschmittel gegolten. Im Laufe des Verkehrs aber hätte die Größe und die Schönheit der einzelnen Felle allen Einfluß auf ihre Tauschkraft verloren, jedes hätte schlechtweg nur für eines und jedem anderen gleiches gegolten. Die daraus folgende alleinige Bedeutung ihrer Zahl hätte bewirkt, daß, als der Verkehr sich steigerte, man einfach die Zipfel der Felle als Geld verwendete, bis schließlich Lederstückchen, die wahrscheinlich von der Regierung gestempelt wurden, als Tauschmittel kursierten. Hier ist es sehr deutlich, wie die Reduzierung auf den rein quantitativen Gesichtspunkt die Symbolisierung des Wertes trägt, auf der erst die ganz reine Verwirklichung des Geldes ruht.

Es scheint dagegen, als ob ein von vornherein nur ideales Geld höheren wirtschaftlichen Anforderungen nicht genügte, trotzdem der Mangel an Beziehung zu allen unmittelbaren Werten - der die zu allen gleichartige Beziehung involviert - es zu besonders weiter Verbreitung eignet. Die merkwürdige Ausdehnung des Kaurigeldes, das seit 1000 Jahren in einem großen Teile Afrikas, früher im Gebiete des indischen Ozeans, prähistorisch in Europa galt, wäre kaum möglich gewesen, wenn es nicht so rein ideal wäre. Auf den tieferen Wirtschaftsstufen finden sich die äußersten Gegensätze der Geldwerte zusammen; es begegnet einerseits ein so absolut wertkonkretes Geld, wie das Rindergeld oder die Baumwollstoffe, die auf den Philippinen als Großgeld kursierten, andererseits ein so absolut ideales, wie das Kaurigeld, wie das Geld aus der Rinde des Maulbeerbaums, das MARCO POLO in China entdeckte, wie die Porzellanstücke mit chinesischen Schriftzeichen, die in Siam galten.

Eine gewisse funktionelle Entwicklung über jene wertkonkreten Geldarten hinaus ist dort angebahnt, wo zwar Naturalartikel, aber solche die zugleich besonders Exportartikel sind, zu Tauschmitteln werden: Tabak in Virginia, Reis in Carolina, Klippfisch in Neufundland, Tee in China, Pelze in Massachusetts. Beim Exportartikel ist der Wert einigermaßen aus der Unmittelbarkeit psychologisch herausgerückt, die bei der Binnen-Konsumtion der Geldware stattfindet. Allein die glücklichste Mitte zwischen abstrakten Geldarten, wie die angeführten, und dem Konsumtivgeld stellt doch das Schmuckgeld, also Gold und Silber, dar, indem es weder so launenhaft und sinnlos wie jene, noch so grob und singulär wie dieses ist. Dies ist offenbar der Träger, der das Geld zugleich am leichtesten und am festesten zu seiner Symbolwerdung leitet; das Stadium dieser Bindung muß es passieren, um zu dem Maximum seiner Leistungsfähigkeit zu gelangen, und es scheint, daß es für absehbare Zeiten nicht gänzlich aus ihm heraustreten kann.

Wenn sekundäre Symbole - wie man sie im Unterschied gegen die naive Symbolistik naiver Geisteszustände nennen kann - immer mehr die unmittelbaren Greifbarkeiten von Dingen und Werten für die Praxis ersetzen, so ist damit die Bedeutung des Intellekts für die Lebensführung außerordentlich gesteigert. Sobald das Leben nicht mehr zwischen sinnlichen Einzelheiten verläuft, sondern sich durch Abstraktionen, Durchschnitte, Zusammenfassungen bestimmen läßt, so wird insbesondere in den Beziehungen der Menschen untereinander der schnellere und genauere Vollzug der Abstraktionsprozesse einen erheblichen Vorsprung verleihen.

Wenn da, wo in roheren Zeiten die öffentliche Ordnung nur durch physische Gewalt hergestellt werden konnte, heute das bloße Erscheinung eines Beamten dazu gehört; wenn die bloße Namensunterschrift uns äußerlich und innerlich bedingungslos bindet; wenn unter feinfühligen Menschen ein leise andeutendes Wort oder eine Miene hinreicht, ihr Verhältnis dauernd festzustellen, das sich unter tieferstehenden erst auf lange Auseinandersetzungen oder praktische Handlungsweisen ergibt; wenn man uns durch eine Berechnung auf dem Papiere zu Opfern bringen kann, die dem Unverständigen nur durch die reale Einwirkung der betreffenden Faktoren abgezwungen werden - so ist diese Bedeutung symbolischer Dinge und Taten offenbar nur bei sehr gesteigerter Intellektualität möglich, nur bei dem Vorhandensein einer so selbständigen geistigen Kraft, daß sie des Eintretens unmittelbarer Einzelheiten nicht bedarf.

Ich habe dies ausgeführt, um die Einordnung des Geldes auch in diese Strömung der Kultur einleuchtend zu machen. Das immer wirkungsvoller werdende Prinzip der Ersparnis an Kräften und Substanzen führt zu immer ausgedehnterem Verfahren mit Vertretungen und Symbolen, welche mit demjenigen, was sie vertreten, gar keine inhaltliche Verwandtschaft haben; so daß es durchaus in derselben Richtung liegt, wenn die Operationen mit Werten sich an einem Symbol vollziehen, das mehr und mehr die materielle Beziehung zu den definitiven Realitäten seines Gebietes einbüßt und bloß Symbol wird.

Diese Lebensform setzt nicht nur eine außerordentliche Vermehrung der psychischen Prozesse voraus - wie komplizierte psychologische Vorbedingungen fordert etwa nur die Deckung von Banknoten durch Barreserve! - sondern auch eine Erhöhung derselben, eine prinzipielle Wendung der Kultur zur Intellektualität. Daß das Leben im wesentlichen auf den Intellekt gestellt ist und dieser als die praktisch wertvollste unter den psychischen Energien gilt - das pflegt mit dem Durchdringen der Geldwirtschaft Hand in Hand zu gehen; wie denn auch innerhalb des Handelsgebietes, insbesondere wo reine Geldgeschäfte in Frage stehen, zweifellos der Intellekt im Besitz der Souveränität ist. Die Steigerung der intellektuellen, abstrahierenden Fähigkeiten charakterisiert die Zeit, in der das Geld immer mehr zum reinen Symbol und gegen seinen Eigenwert gleichgültig wird.
LITERATUR - Georg Simmel, Philosophie des Geldes, Frankfurt/Main 1989