tb-2p-4    
 
GILBERT RYLE
Kategorienverwechslung

Ursprung der Kategorienverwechslung Der Durchschnittssteuerzahler - ein Gespenst, das überall und nirgends ist.

| E i n l e i t u n g |

Die folgenden Untersuchungen könnten mit gewissen Vorbehalten als eine Theorie des Geistes oder der Seele bezeichnet werden. Sie liefern aber keine bisher unbekannten Tatsachen über die Seele. Wir besitzen schon eine Fülle von Informationen, die weder aus philosophischen Überlegungen hervorgegangen sind noch durch sie hinfällig gemacht werden. Die philosophischen Überlegungen, aus denen dieses Buch besteht, sollen unsere Kenntnisse vom Geist oder der Seele nicht vermehren, sondern die logische Geographie dieses Wissens berichtigen.

Lehrer und Prüfer, Richter und Kritiker, Geschichtsschreiber und Romansschriftsteller, Beichtväter und Unteroffiziere, Unternehmer, Angestellte und Geschäftsteilhaber, Eltern, Liebende, Freunde und Feinde, sie alle wissen gut genug, wie ihre täglichen Fragen über die Eigenschaften und den Verstand eines Menschen, mit dem sie zu tun haben, zu beantworten sind.

Sie können seine Leistungen bewerten, seinen Fortschritt abschätzen, seine Worte und Taten begreifen, seine Motive durchschauen und seine Witze verstehen. Wenn sie irregehen, können sie ihre Irrtümer richtigstellen. Ja, sie können auf diejenigen, mit denen sie zu tun haben, durch Kritik oder Beispiel, durch Bestrafung, Bestechung oder Belehrung, mit Spott oder schönen Worten vorsätzlich einwirken und schließlich ihre Methoden im Lichte der erzielten Erfolge abändern.

Sowohl zur Beschreibung des Geistes anderer wie auch zur Aufstellung von Vorschriften für ihn machen sie mit größerer oder geringerer Geschicklichkeit von Begriffen für geistige Fähigkeiten und Tätigkeiten Gebrauch. Sie haben gelernt, wie man in konkreten Situationen Wörter anwendet wie: "sorgfältig", "dumm", "logisch", "unaufmerksam", "originell", "eitel", "methodisch", "leichtgläubig", "witzig", "beherrscht" und tausend andere, die geistige oder seelische Verhaltensweisen beschreiben.

Es besteht aber ein großer Unterschied zwischen der Fähigkeit, solche Begriffe anzuwenden, und der Fähigkeit, ihre Beziehungen miteinander oder mit Begriffen anderer Art ans Licht zu bringen. Viele Leute können  mit  diesen Begriffen, aber nicht  über  sie Sinnvolles sagen; sie wissen durch den täglichen Gebrauch, wie sie mit diesen Begriffen umgehen müssen, zumindest innerhalb der üblichen Grenzen, aber sie können nicht die logischen Regeln formulieren, die den Gebrauch dieser Begriffe bestimmen. Sie sind wie Leute, die sich wohl in ihrem eigenen Ort auskennen, aber nicht imstande sind, eine Landkarte davon anzufertigen oder zu lesen, geschweige denn eine Landkarte der Gegend oder des Kontinents, in dem ihr Ort liegt.

Für gewisse Zwecke ist es aber notwendig, die logischen Verbindungen zwischen jenen Begriffen zu bestimmen, die wir ganz gut anwenden können. Es ist immer schon ein wichtiger Teil der Aufgabe eines Philosophen gewesen, diese Arbeit für die Begriffe der Vermögen, Tätigkeiten und Zustände des Geistes oder der Seele zu leisten. Erkenntnistheorie, Logik, Ethik, Politik und Ästhetik sind das Ergebnis der Untersuchungen auf diesem Gebiet.

Einige dieser Untersuchungen sind innerhalb ihrer Grenzen beträchtlich vorangekommen, aber es gehört zur These dieses Buches, daß in den drei Jahrhunderten seit dem Beginn des naturwissenschaftlichen Zeitalters die logischen Kategorien zur Einordnung der Begriffe der geistigen Vermögen und Tätigkeiten falsch ausgewählt wurden. DESCARTES hinterließ als eines seiner einflußreichen philosophischen Verhältnisse einen Mythos, der noch immer die Geographie dieses Bereichs verfälscht.

Ein Mythos ist natürlich kein Märchen. Er ist die Darstellung von Tatsachen, die zu einer bestimmten Kategorie gehören, in einer zu einer andern Kategorie gehörigen Ausdrucksweise. Wenn man einen Mythos zerstört, leugnet man daher keine Tatsachen, sondern stellt sie um. Eben das soll hier versucht werden.

Die Bestimmung der logischen Geographie von Begriffen ist die Erhellung der Logik jener Sätze, in denen sie verwendet werden, also das Aufzeigen davon, mit welchen anderen Sätzen sie vereinbar und mit welchen sie unvereinbar sind, welche Sätze aus ihnen folgen und aus welchen sie folgen. Ein logischer Typus oder eine Kategorie, zu der ein Begriff gehört, ist die Klasse der logisch richtigen Verwendungen des Begriffs. Die Hauptargumente dieses Buches sollen daher zeigen, warum gewisse Arten von Verwendungen der Begriffe von geistigen Vermögen und Vorgängen Verstöße gegen logische Regeln sind.

Ich verwende Beweise der Form der  reductio ad absurdum  (Nachweis eines inneren Widerspruchs), sowohl um die vom cartesischen Mythos stillschweigend empfohlenen Verwendungen auszuschalten als auch um anzuzeigen, zu welchen logischen Typen die entsprechenden Begriffe eigentlich gehören. Ich betrachte es jedoch als zulässig, gelegentlich auch Argumente von geringerer Strenge zu verwenden, besonders dann, wenn es zweckdienlich erscheint, den Leser zu beschwichtigen oder einzugewöhnen.

Philosophie besteht darin, Kategoriengewohnheiten durch Kategoriendisziplin zu ersetzen. Wenn also versöhnende Überredung den Schmerz der Trennung von eingefleischten intellektuellen Gewohnheiten lindert, dann stützt sie zwar nicht die strengen Beweise, aber sie kann doch den Widerstand gegen sie vermindern.

Einige Leser werden vielleicht denken, der Ton dieses Buches sei unnötigerweise polemisch. Vielleicht beruhigt es sie zu hören, daß ich den Annahmen, gegen die ich am heftigsten zu Felde ziehe, eins selbst zum Opfer gefallen bin. Ich versuche hier hauptsächlich, gewisse Ordnungsmängel aus meinem eigenen System zu entfernen. Erst in zweiter Linie hoffe ich, andern Theoretikern beim Erkennen unserer Krankheit zu helfen und mit meiner Medizin zu nützen.


Die offizielle Lehre

So verbreitet unter Fachleuten und sogar unter Laien eine gewisse Theorie über das Wesen und die Stellung des Geistes, daß sie wohl als die offizielle Doktrin angesprochen werden kann. Die Mehrzahl der Philosophen, Psychologen und Religionslehrer bekennt sich, mit unwesentlichen Vorbehalten, zu ihren Hauptartikeln. Freilich räumen sie das Bestehen gewisser theoretischer Schwierigkeiten ein, neigen aber doch zu der Annahme, diese könnten ohne größere Abänderungen im Aufbau der Theorie behoben werden. Es soll hier gezeigt werden, daß die Kernprinzipien dieser Lehre unhaltbar sind und all dem widersprechen, was wir vom Geist oder der Seele wissen, solange wir keine Theorie darüber aufstellen.

Die offizielle Lehre stammt hauptsächlich von DESCARTES und lautet ungefähr so: Jedes menschliche Wesen, mit der möglichen Ausnahme von Schwachsinnigen und kleinen Kindern, hat sowohl einen Körper als auch einen Geist. Einige ziehen wohl vor zu sagen, jedes menschliche Wesen sei sowohl Körper wie Geist. Körper und Geist sind gewöhnlich zusammengespannt, aber nach dem Tode des Körpers kann der Geist möglicherweise allein fortbestehen und seine Funktionen ausüben.

Menschliche Körper existieren im Raum und sind den mechanischen Kausalgesetzen unterworfen, welche alle Körper im Raum beherrschen. Körperliche Vorgänge und Zustände können von äußeren Beobachtern wahrgenommen werden. Ja, das körperlich Leben eines Menschen ist so sehr eine öffentliche Angelegenheit wie das Leben der Tiere und Reptilien, sogar wie der Lebenslauf von Bäumen, Kristallen und Planeten.

Aber der Geist ist nicht im Raum, und sein Tun ist nicht den Gesetzen der Mechanik unterworfen. Andere Beobachter können nicht Zeugen dessen sein, was in jemandes Geist vorgeht; seine Vorgänge sind privat. Nur ich selbst kann von den Zuständen und Vorgängen meines eigenen Geistes direkt Kenntnis nehmen. Ein Mensch durchlebt also zwei parallele Lebensläufe, deren einer aus dem besteht, was in seinem Körper vorgeht oder diesem zustößt. Der erste ist öffentlich, der zweite privat. Die Ereignisse im ersten Lebenslauf sind Ereignisse in der physikalischen Welt, die im zweiten Ereignisse in der physikalischen Welt, die im zweiten Ereignisse in der Welt des Geistes.

Es ist eine Streitfrage, ob jemand alle oder nur einige Ereignisse seiner eigenen privaten Geschichte unmittelbar beobachtet oder beobachten kann; aber gemäß der offiziellen Lehre hat jedermann unmittelbare und unanfechtbare Kenntnis wenigstens von einigen dieser Ereignisse. Durch die Bewußtheit, die Selbstbewußtheit und die Introspektion hat man direkte und authentische Kenntnis der gegenwärtigen seelischen und geistigen Zustände und Vorgänge. Jemand mag über gleichzeitige und parallele Vorfälle in der physikalischen Welt mehr oder weniger im Ungewissen sein, aber wenigstens nicht über einen Teil dessen, was augenblicklich seinen Geist beschäftigt.

Es ist üblich, diese Spaltung in zwei Lebensgeschichten und in zwei Welten so auszudrücken: die Dinge und Ereignisse, die zur physikalischen Welt gehören, einschließlich seines eigenen Körpers, sind dem Menschen äußerlich, die Vorgänge in seinem Geiste dagegen innerlich. Der Gegensatz zwischen äußerlich und innerlich soll natürlich metaphorisch verstanden werden, da ja der Geist etwas Unräumliches ist und daher nicht als im Innern von etwas anderem befindlich beschrieben werden kann noch als etwas, in dessen Innerem sich gewisse Vorgänge abspielen. Aber diesen guten Vorsätzen wird man nur allzu oft untreu.

Gewissen Theoretiker verlieren sich in Spekulationen über das Problem, wie gewisse Reize, deren physische Ursprünge sich viele Meter oder Kilometer weit von der Haut einer Person befinden, psychische Reaktionen im Innern des Schädels hervorrufen können, oder wie Entschlüsse, die im Innern ihres Gehirnes gefaßt wurden, Bewegungen ihrer Gliedmaßen auslösen können.

Aber auch eine metaphorische Auslegung von  innen  und  außen  kann nicht über die theoretischen Schwierigkeiten des Problems hinweghelfen, wie der menschliche Geist und Körper einander wechselseitig beeinflußen. Was der Geist will, das führen die Beine, die Arme und die Zunge aus; was der Geist wahrnimmt, das hängt davon ab, wie Auge und Ohr affiziert werden; ein Lächeln oder eine Grimasse verraten die Stimmung, in der sich der Geist befindet, und körperliche Züchtigungen, so hofft man, führen zur moralischen Besserung des Gezüchtigten.

Aber die tatsächlichen Zusammenhänge zwischen den Vorfällen der privaten und jenen der öffentlichen Geschichte bleiben rätselhaft, da sie definitionsgemäß zu keiner der beiden Ereignisreihen gehören können. Sie können nicht unter den Ereignissen erscheinen, die jemand in der Autobiographie seines Innenlebens beschreibt, aber ebensowenig unter denen, die in der von einem anderen verfaßten Lebensgeschichte seiner öffentlichen Karriere erzählt werden. Sie können weder mit Hilfe von Introspektion noch von Laboratoriumsversuchen in Augenschein genommen werden. Sie sind theoretische Federbälle, die die Physiologen immer wieder zu den Psychologen und diese zu jenen zurückschlagen.

Dieser halbmetaphorischen Vorstellung von zwei parallelen Lebensbahnen eines Menschen liegt eine scheinbar tiefere und philosophische Annahme zugrunde: daß es zwei verschiedene Arten von Existenz oder Sein gibt. Was existiert oder geschieht, kann entweder das Sein physischer oder das Sein geistiger Existenz haben. So ähnlich wie Münzen entweder Kopf oder Zahl zeigen, so wie Lebewesen entweder männlich oder weiblich sind, so, nimmt man an, gehört manches zum physischen, anderes zum psychischen Sein. Es ist eine notwendige Eigenschaft dessen, was ein physisches Sein, in Raum und Zeit zu existieren; es ist eine notwendige Eigenschaft dessen, was ein geistiges Sein hat, sich in der Zeit, aber nicht im Raum zu befinden. Was physisch existiert, setzt sich aus Materie zusammen oder ist doch eine Funktion der Materie; was geistige Existenz hat, besteht aus Bewußtsein oder ist doch eine Funktion des Bewußtseins.

Es besteht also ein polarer Gegensatz zwischen Geist und Materie, ein Gegensatz, der oft folgendermaßen erklärt wird: Materielle Gegenstände befinden sich in einem gemeinsamen Feld, das  Raum  heißt, und was einem Körper in einem Teil des Raumes zustößt, hängt mechanisch mit dem zusammen, was anderen Körpern in anderen Teilen des Raumes zustößt. Geistige Ereignisse dagegen spielen sich in isolierten Feldern ab, die wir  Geister  nennen, und mit Ausnahme, möglicherweise, der Telepathie gibt es keine direkte Kausalverknüpfung zwischen dem, was sich in einem Geist, und dem, was sich in einem andern abspielt.

Der Geist eines Menschen kann nur auf dem Umweg über die öffentliche physikalische Welt auf den eines anderen einwirken. Der Geist ist sein eigener Ort, und in seinem Innern führt jeder von uns das Leben eines ROBINSON CRUSOE des Geistes. Wir können die Körper anderer Leute sehen, hören und anstoßen, aber für die geistigen Vorgänge in anderen sind wir unheilbar blind und taub und ohne Einfluß auf sie.

Welche Art von Wissen kann man nun über die Tätigkeit des Geistes erwerben? Einerseits hat der offiziellen Lehre gemäß jeder Mensch unmittelbares Wissen der denkbar besten Art von den Vorgängen seiner eigenen Seele. Geistige Zustände und Vorgänge sind (oder sind normalerweise) bewußt, und das Bewußtsein, das sie erhellt, kann keine Täuschungen verursachen und läßt keinen Raum für Zweifel. Die gegenwärtigen Gedanken, Gefühle und Willensakte eines Menschen, seine Wahrnehmungen, Erinnerungen und Vorstellungen sind ihrer Natur zufolge  phosphoreszierend;  ihre Existenz wie ihr Wesen geben sich ihrem Eigner unweigerlich zu erkennen. Das Innenleben ist ein Bewußtseinsstrom solcher Art, daß es absurd wäre anzunehmen, der Geist, dessen Leben dieser Strom ausmacht, bemerkte nicht, was auf ihm dahintreibt.

Zwar scheinen die unlängst von FREUD angeführten Phänomene das Vorhandensein von Nebenflüssen anzudeuten, deren Lauf ihrem Eigentümer verborgen ist. Leute werden von Trieben bewegt, deren Existenz sie heftigst ableugnen; manche ihrer Gedanken sind ganz anders als die, die sie sich eingestehen; und manches, was sie zu wollen glauben, wollen sie eigentlich gar nicht. Ihre eigene Unaufrichtigkeit foppt sie fortwährend, und sie verstehen es, gewisse Tatsachen ihre Psyche betreffend zu übersehen, die ihnen nach der offiziellen Lehre in die Augen springen müßten. Die Verfechter der offiziellen Lehre behaupten jedoch im allgemeinen, ein Mensch befinde sich, zumindest in normalen Umständen, in unmittelbarer und authentischer Erfassung des gegenwärtigen Zustands und der gegenwärtigen Vorgänge in seinem Geist.

Man wird nicht nur fortgesetzt mit diesen angeblich unmittelbaren Bewußtseinsdaten beliefert, sondern es wird allgemein angenommen, man sei imstande, hie und da eine besondere Art von Wahrnehmung auszuüben, nämlich innere Wahrnehmung oder Introspektion. Man kann einen (nichtoptischen)  Blick  auf das werfen, was im Geiste vorgeht. Man kann nichtnur mit seinem Gesichtssinn eine Blume betrachten und unter die Lupe nehmen oder mit dem Gehörssinn dem Klang einer Glocke lauschen und die verschiedenen Töne unterscheiden; man kann auch ohne Benutzung eines Sinnesorgans reflektiv oder introspektiv die laufenden Vorfälle des Innenlebens belauern.

Diese Selbstbeobachtung ist, so heißt es, ebenfalls gegen Täuschung, Verwirrung und allen Zweifel gefeit. Die Berichte einer Psyche über ihre eigenen Angelegenheiten haben eine Gewißheit an sich, die der höchsten Gewißheit weit überlegen ist, die ein Bericht über Vorfälle in der physikalischen Welt haben kann. Sinneswahrnehmung kann irrig oder verworren sein, Bewußtsein und Introspektion nicht.

Andererseits hat ein Mensch keinen wie immer gearteten unmittelbaren Zugang zu den Ereignissen des Innenlebens eines andern. Er kann bestenfalls problematische Schlüsse auf dem beobachteten körperlichen Verhalten eines anderen auf dessen Geisteszustände ziehen, die, wie er nach Analogie zum Benehmen seines eigenen Körpers annimmt, von solchem Verhalten angezeigt werden. Unmittelbarer Zugang zu den Vorgängen in einer Psyche ist das Vorrecht dieser Psyche selbst; ohne solchen bevorrechteten Zugang müssen die Vorgänge im Geiste eines Menschen vor jedem anderen verborgen bleiben. Denn ihren vermeintlichen Schlüssen aus einem Verhalten, das dem eigenen ähnlich ist, auf den eigenen Erlebnissen ähnliche geistige Vorgänge fehlt jede Möglichkeit direkter Bestätigung durch Beobachtung.

Daher ist es nicht unnatürlich, daß die Anhänger der offiziellen Lehre es schwer finden, einer bestimmten Konsequenz aus ihren Prämissen zu widerstehen, nämlich der, daß sie keinen guten Grund haben, an die Existenz eines andern als ihres eigenen Geistes zu glauben. Sogar wenn sie den Glauben vorziehen, an andere Körper seien Geister angespannt, die den ihren nicht unähnlich sind, so können sie doch nicht behaupten, deren individuelle Merkmale oder was sie tun und leiden entdecken zu können. Nach dieser Theorie ist absolute Einsamkeit das unausweichliche Geschick der Seele. Nur unsere Körper können einander finden.

Als notwendige Folge aus diesem allgemeinen Schema ergibt sich eine besondere Art der Auslegung der alltäglichen Begriffe geistiger und seelischer Vermögen und Fähigkeiten. Die Tätigkeits-, Haupt- und Eigenschaftswörter, mit deren Hilfe wir gewöhnlich die Intelligenz, den Charakter und die höheren Verrichtungen unserer Mitmenschen beschreiben, müssen nun als die Beziehungen von Vorfällen in ihren Geheimbiographien betrachtet werden oder aber als Bezeichungen der Tendenz zu solchen Vorfällen.

Wenn wir von jemandem sagen, daß er etwas weiß, glaubt oder errät, daß er etwas erhofft, fürchtet, vorhat oder wünscht, daß er dieses plant oder daß ihn jenes belustigt, dann, so wird behauptet, bezeichnen diese Zeitwörter den Vorfall besonderer Veränderungen in seinem uns verborgenen Bewußtseinsstrom. Nur sein eigener bevorrechteter Zugang zu diesem Strom in direkter Erkenntnis oder Introspektion kann authentisch bezeugen, daß diese Geistestätigkeitswörter richtig oder unrichtig angewendet wurden.

Der Zuschauer, ob nun Lehrer, Kritiker oder Freund, kann sich niemals vergewissern, daß seine Bemerkungen auch nur die leiseste Spur der Wahrheit tragen. Und doch fanden es Philosophen gerade deshalb notwendig, ihre Theorien über das Wesen und die Stellung des Geistes zu verfassen, weil wir alle tatsächlich wissen, wie solche Bemerkungen zu machen sind, weil wir sie gewöhnlich richtig machen und weil wir sie berichtigen können, wenn sie sich als falsch oder fehlerhaft erweisen.

Sie fanden, daß Begriffe für geistiges und seelisches Verhalten regelmäßig und mit Erfolg verwendet werden, und so suchten sie mit Recht die logische Geographie dieser Begriffe festzulegen. Aber die logische Geographie dieser Begriffe, die sie offiziell befürworteten, hätte zur Folge, daß es in unseren Behauptungen und Vorschriften über das Innenleben anderer keine regelmäßige und erfolgreiche Verwendung von Begriffen für geistiges Verhalten geben könnte.


Die Absurdität der offiziellen Lehre

So lautet kurz die offizielle Lehre. Ich werde oft mit absichtlicher Geringschätzung von ihr als dem "Dogma vom Gespenst in der Maschine" sprechen. Ich hoffe zu zeigen, daß sie ganz und gar falsch ist, nicht nur in Einzelheiten, sondern grundsätzlich. Sie ist nicht nur eine Ansammlung einzelner Fehler. Sie besteht aus einem einzigen großen Irrtum, einem Irrtum von ganz besonderer Art, nämlich einer Kategorienverwechslung. Sie stellt die Tatsachen des Geisteslebens so dar, als gehörten sie zu einem bestimmten logischen Typ oder einer Kategorie (oder zu einer Reihe von Typen oder Kategorien), während sie in Wirklichkeit zu einer andern gehören.

Das Dogma ist daher ein philosophischer Mythos. Wenn ich also im weiteren Sinn versuchen werden, diesen Mythos zu vernichten, wird man mich wahrscheinlich dahin mißverstehen, daß ich wohlbekannte Tatsachen des menschlichen Geisteslebens abstreiten wolle, und meine Verteidigung, ich wolle nur die Logik der Geistestätigkeitsbegriffe richtigstellen, wird wahrscheinlich als eine bloße Ausflucht abgetan werden.

Zuerst muß der Ausdruck  Kategorienverwechslung  erklärt werden. Ich tue das mit Hilfe einer Reihe von Beispielen.

Ein Ausländer kommt zum erstenmal nach Oxford oder Cambridge, und man zeigt ihm eine Reihe von Colleges, Bibliotheken, Sportplätzen, Museen, Laboratorien und Verwaltungsgebäuden. Nach einiger Zeit fragt er:
"Aber wo ist denn die Universität? Ich weiß jetzt, wo die Mitglieder eines College wohnen, wo die Verwaltung untergebracht ist, wo die Wissenschafler ihre Versuche machen und so weiter. Aber warum zeigt man mir nicht die Universität, wo die Mitglieder eurer Universität wohnen und arbeiten?"
Dann muß man ihm erklären, daß die Universität nicht noch eine weitere ähnliche Institution ist, ein weiteres Gegenstück zu den Colleges, Laboratorien und Verwaltungsgebäuden, die er schon gesehen hat. Die Universität ist einfach die Art und Weise, in der alles das organisiert ist, was er schon gesehen hat. Wenn man das alles gesehen und die Art und Weise der Zusammenarbeit verstanden hat, dann hat man die Universität gesehen.

Der Irrtum des Ausländers lag in seiner unschuldigen Annahme, es sei richtig, vom Christ-Church -College, von der Bodleian Bibliothek, vom Ashmolean Museum und  außerdem  von der Universität zu sprechen, also von  der Universität  so zu sprechen, als bezeichneten die Worte  die Universität  ein weiteres Mitglied der Klasse, zu der jene anderen obenerwähnten Einheiten auch gehören. Er reihte die Universität irrtümlich in dieselbe Kategorie ein, zu der diese anderen Institutionen gehören.

Denselben Irrtum beginge zum Beispiel ein Kind, dem man beim Vorbeimarschieren einer Division verschiedene Bataillone, Batterien, Schwadronen usw. gezeigt hat und das nun wissen will, wann die Division vorbeimarschieren werde. Es würde glauben, die Division wäre ein Gegenstück zu den Einheiten, die es schon gesehen hat, ihnen teilweise ähnlich und teilweise unähnlich. Man würde ihm seinen Irrtum klarmachen, indem man ihm sagt, es habe die Division vorbeimarschieren sehen, als es die Bataillone, Batterien und Geschwader vorbeimarschieren sah. Die Parade war nicht eine Parade von Bataillonen, Batterien, Schwadronen  und  einer Division; es war die Parade der Bataillone, Batterien und Schwadronen  einer  Division.

Noch ein Beispiel. Ein Südseeinsulaner sieht seinem ersten Fußballspiel zu. Man erklärt ihm die Funktion des Torwarts, der Stürmer, Verteidiger, des Schiedrichters usw. Nach einer Weile sagt er:
"Aber da ist doch niemand, der den berühmten Mannschaftsgeist beisteuert. Ich sehe, wer angreift, wer verteidigt, wer die Verbindung herstellt usw.; aber wessen Rolle ist es, den Mannschaftsgeist zu liefern?"
Und wieder müßten wir erklären, daß er nach der falschen Kategorie eines Dinges Ausschau halte. Der Mannschaftsgeist ist nicht noch eine Fußballoperation wie das Toreschießen, das Einwerfen usw. Er ist, ungefähr gesprochen, die Begeisterung, mit der alle besonderen Aufgaben des Fußballspiels ausgeführt werden, und eine Aufgabe begeistert ausführen heißt nicht, zwei Aufgaben ausführen. Gewiß, Mannschaftsgeist zeigen ist nicht dasselbe wie ein Tor schießen oder einwerfen. Aber es ist auch nicht ein drittes Ding, von dem wir sagen könnten, der Mittelstürmer habe zuerst eingeworfen  und dann  Mannschaftsgeist gezeigt, oder der Verteidiger werde jetzt  entweder  köpfen  oder  Mannschaftsgeist zeigen.

Diese Beispiele von Kategorienverwechslung haben etwas gemeinsam, was wir uns einprägen müssen. Die Irrtümer wurden von Leuten begangen, die nicht wußten, wie die Begriffe  Universität,   Division  und  Mannschaftsgeist  zu handhaben sind. Die Schwierigkeiten erwuchsen aus ihrer Unfähigkeit, gewisse Wörter richtig zu verwenden.

Die philosophisch interessanten Kategorienverwechslungen werden aber von Leuten begangen, die vollkommen entscheiden können, wie Begriffe zumindest in Umständen, in denen sie vertraut sind, zu verwenden sind, die aber doch im Laufe abstrakter Gedankengänge dazu neigen, diese Begriffe in Kategorien einzureihen zu denen sie nicht gehören.

Ein Beispiel eines Irrtums dieser Art wäre die folgende Geschichte. Ein Politikstudent hat die Hauptunterschiede zwischen der englischen, französischen und amerikanischen Verfassung gelernt und auch die Unterschiede und Zusammenhänge zwischen dem Kabinett, dem Parlament, den verschiedenen Ministerien, der Richterschaft und der englischen Staatskirche. Aber er gerät noch immer in Verlegenheit, wenn er nach den Zusammenhängen zwischen der englischen Staatskirche, dem Innenministerium und der Verfassung Englands gefragt wird. Denn während die Kirche und das Innenministerium Institutionen sind, ist die Verfassung nicht eine weitere Institution im selben Sinn dieses Hauptworts.

Daher können inter-institutionelle Beziehungen, deren Bestehen zwischen Kirche und Innenministerium einerseits und der englischen Verfassung andererseits man behaupten oder leugnen könnte. "Die englische Verfassung" ist nicht ein Ausdruck desselben logischen Typs wie "das Innenministerium" oder "die englische Staatskirche". Ähnlich kann Müller ein Verwandter, ein Freund, ein Bekannter oder ein Feind von Meier sein; aber er kann in keiner dieser Beziehungen zu einem Durchschnittszahler werden, aber er ist verdutzt, wenn er gefragt wird, warum er ihm nicht, wie etwa dem Meier, auf der Straße begegnen kann.

Solange sich der Politikstudent die englische Verfassung nach dem Muster der anderen Institutionen vorstellt, wird er versucht sein, sie als eine rätselhaft-okkulte Institution zu beschreiben; und solange Müller den Durchschnittssteuerzahler als einen Mitbürger betrachtet, solange wird er ihn sich als einen schattenhaften und substanzlosen Mann denken, ein Gespenst, das überall und nirgends ist.

Das Ziel meines Angriffs ist, zu zeigen, daß der Ursprung der Theorie des menschlichen Doppellebens eine Familie von Kategorienverwechslungen ist. Die Darstellung eines Menschen als eines Gespenstes, das auf unbegreifliche Art in einer Maschine verschanzt ist, leitet sich von folgendem Argument ab. Unleugbarerweise können die Gedanken, Gefühle und Zweckhandlungen einer Person nicht ausschließlich in der Sprache der Physik, Chemie oder Physiologie beschrieben werden. Also müssen sie in einer Parallelsprache beschrieben werden.

So wie der menschliche Körper eine mannigfaltige, organisierte Einheit ist, so muß auch der menschliche Geist eine mannigfaltige, organisierte Einheit sein, wenngleich er aus einem Stoff ganz anderer Art gemacht und völlig anders gebaut ist. Anders ausgedrückt, wie der menschliche Körper, so wie jedes andere Klümpchen Materie, ein Feld von Ursachen und Wirkungen ist, so muß auch der menschliche Geist ein Feld von Ursachen und Wirkungen sein, wenn auch (Gott sei Dank) nicht von mechanischen Ursachen und Wirkungen.
LITERATUR - Gilbert Ryle, Der Begriff des Geistes, Stuttgart 1969