Die Grenzen Gegenstand der Erkenntnis Definition | |||
Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft [7/7] XIII. DIE WERTINDIFFERENTE INDIVIDUALITÄT Der Gedanke an die Übertragung der Wertgesichtspunkte auf Wirklichkeiten, die nicht selbst Kulturvorgänge sind, wohl aber die historische Kultur beeinflussen und daher auch durch ihre Individualität wichtig werden, führt uns auf das, was über den zweiten oben erwähnten Einwand zu sagen ist. Kann man auch ohne Kulturwerte eine Wirklichkeit individualisierend behandeln? Ehe wir jedoch diese Frage beantworten, müssen wir uns darüber klar werden, wie sie allein gestellt werden darf, wenn die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung für die Einteilung der Wissenschaften sein soll. Da wir über Wortbedeutungen, die aus dem vorwissenschaftlichen Leben stammen und ferner über wissenschaftliche Begriffe verfügen, so können wir selbstverständlich von jeder beliebigen Wirklichkeit durch eine bestimmte Kombination von Begriffselementen eine Darstellung entwerfen, die nur auf sie paßt, also von ihr einen Begriff mit individuellem Inhalt bilden. Es hängt das ganz von unserer Willkür ab. Wir werden es zwar nur dann tun, wenn uns das betreffende Objekt in irgendeiner Weise "interessant" oder "wichtig" ist und das bedeutet, daß es zu Werten in Beziehung steht oder daß ein verständlicher Sinn an ihm haftet. Aber es ist zweifellos, daß wir auch völlig gleichgültige, sinnfreie Gegenstände ihrer Individualität nach schildern können, wenn wir es eben wollen. Der Willensakt macht dann diese Individualität "wichtig" und stellt so die Wertbeziehung her. An der Möglichkeit individualisierender Darstellung ohne Beziehung auf Kulturwerte ist also nicht zu zweifeln. Aber das allein hat für die Einteilung der Wissenschaften noch keine Bedeutung. Denn solche individuellen Begriffe sind vollkommen willkürlich gebildet und das gilt nicht nur für die Fälle, in denen wir die Individualität allein deswegen dargestellt haben, weil wir es wollten, sondern auch für die Fälle, in denen sich, wegen der Verknüpfung mit den von uns gewerteten Werten, ohne unsere ausdrückliche Absicht individuelle Begriffe der betreffenden Objekte bildeten. Jeder kennt Wirklichkeiten in ihrer Individualität wegen der praktischen Bedeutung, die sie für ihn haben, und das hat mit wissenschaftlicher Begriffsbildung nichts zu tun. Die Frage darf daher nur so gestellt werden, ob eine wissenschaftliche Darstellung nur denkbar ist, die nicht von allgemeinen Wertgesichtspunkten der Kultur geleitet wird. Doch auch diese Frage ist noch nicht bestimmt genug. Es ist hier nämlich unter wissenschaftlicher Darstellung nur das zu verstehen, was in sich selbst zum wissenschaftlichen Abschluß kommen kann, also nicht etwa bloß Material zur weiteren wissenschaftlichen Bearbeitung liefert. Wir haben ja von vornherein darauf hingewiesen, daß der Prozeß, durch den das Material gefunden wird, bei einer logischen Gliederung der Wissenschaften aus dem Spiel bleiben muß uns daher ist der Begriff des wissenschaftlichen Abschlusses hier in einem logisch strengen Sinn zu nehmen. Es gibt nämlich Forscher, die sich bisweilen mit Ergebnissen begnügen, welche für jede einen Abschluß erstrebende wissenschaftliche Arbeit nur als weiter zu bearbeitendes Material anzusehen sind, und es ist von vornherein klar, daß die Wissenschaftslehre zu einer systematischen Gliederung der Wissenschaften nie kommen wird, wenn sie das, was auch als bloße Materialsammlung gelten kann, mit abgeschlossener wissenschaftlicher Begriffsbildung ohne Beziehung auf allgemeine Kulturwerte möglich ist, so muß die Antwort verneinend lauten. An Beispielen läßt sich das am leichtesten zeigen. Wir erwähnten bereits früher, daß man bei der Geographie zweifelhaft sein kann, ob sie zu den Naturwissenschaften oder den Kulturwissenschaften gehört. (1) So wie sie faktisch betrieben wird, stellt sie meist ein Gemisch der beiden Arten von Begriffsbildung dar. Aber begrifflich können wir ihre Bestandteile scharf gegeneinander abgrenzen. Wird die Erdoberfläche als Schauplatz der Kulturentwicklung angesehen, so übertragen sich die Wertgesichtspunkte von der Kultur auf die für ihre Entstehung notwendigen und sie in ihrem Werdegang beeinflussenden geographischen Bedingungen und die Erdoberfläche wird dann wegen des mit ihr verknüpften kulturwissenschaftlichen Interesses durch ihre Individualität wesentlich. Die individualisierende Begriffsbildung der Geographie ist also in diesem Fall durch allgemeine Kulturwerte geleitet und fügt sich mindestens ebensogut wie die historische Biologie in den Rahmen unseres Schemas ein. Außerdem werden dieselben Objekte wichtig, wenn es gilt, allgemeine Theorien zu bilden, die man nicht geographisch, sondern geologisch nennt. Hier liegen dann generalisierende Begriffsbildungen vor und die einzelnen Formationen der Flüsse, Meere, Gebirge usw., die für die Geschichte der Kultur durch ihre Eigenart und Individualität wesentlich sind, kommen nur als Gattungsexemplare in Betracht. Drittens gibt es nun aber in der Geographie allerdings auch individualisierende Darstellungen bestimmter Teile der Erdoberfläche, die in keinem Zusamenhang mit der Kultur stehen und diese scheinen in unserem Schema nicht unterzubringen zu sein. Solange ihnen jedoch jede Beziehung zur Geschichte im weitesten Sinne des Wortes oder jede Beziehung zur generalisierenden Theorien fehlt, wird man in ihnen nur Materialsammlungen erblicken dürfen, die gemacht sind, weil die Feststellung dieser Tatsachen einmal geschichtlich oder naturwissenschaftlich wichtig werden kann. Der Wille, Material zu sammeln, macht dann die betreffenden Objekte "wichtig" und stellt die Wertbeziehung her durch welche die Individualität wesentlich wird. Solche Darstellungen aber wollen wir in eine Gliederung der Wissenschaften, die an ihren Aufgaben und Zielen orientiert ist, gar nicht einordnen. Sie können daher unseren methodologischen Hauptgegensatz, der sich nur auf den Abschluß der Untersuchung bezieht, auch nicht in Frage stellen. Dasselbe gilt von allen Darstellungen, die individualisieren und bei denen trotzdem eine Beziehung ihrer Objekte auf Kulturwerte gänzlich zu fehlen scheint. Ihr Vorhandensein ist auf den Umstand zurückzuführen, daß die dargestellten Objekte aus irgendwelchen Gründen besonders auffallend sind und dadurch, wie alles Auffallende, das Interesse aller Menschen erregen. Hiermit ist dann die Wertbeziehung gegeben und daraus versteht man, daß das Bedürfnis, ein Objekt auch in seiner Individualität kennenzulernen, sich geltend macht, obwohl es für Kulturwerte keine Bedeutung hat. In sich geschlossene Wissenschaft ist das jedoch nicht, ja, solange jede Beziehung zu naturwissenschaftlichen Theorien fehlt, sind solche rein tatsächlichen Kenntnisse überhaupt nicht zur ausgeführten Wissenschaft zu rechnen. Zu den Objekten, deren Individualität uns trotz der mangelnden Kulturbedeutung interessiert, gehört z. B. der Mond. Daher darf seine Darstellung als Beispiel bei einer logischen Gliederung der Wissenschaften nur mit Vorsicht gebraucht werden. In gewisser Hinsicht kommt er als Material für die Bildung allgemeiner Theorien von Weltkörpern in Betracht, denn es gibt nicht nur diesen einen Mond, sondern auch andere Planeten haben "Monde". Oft aber wird er in der Tat auch in seiner Individualität dargestellt und das geschieht dann, ohne daß ein kulturwissenschaftlicher Gesichtspunkt vorhanden ist. Eine solche Darstellung ist entweder auf ein Interesse an unserem "guten Mond" zurückzuführen, der als Individuum im Leben der meisten Menschen "eine Rolle spielt" und dann ist dieses Interesse und die daraus entstehende Wertbeziehung wieder unwissenschaftlich. Oder es liegt, wie in den detaillierten Mondkarten, ebenso wie in gewissen geographischen Darstellungen, lediglich ein wissenschaftliches Material vor, das noch der weiteren begrifflichen Verarbeitung harrt und nur der Gedanke an diese Verarbeitung hat die Individualität des Mondes wichtig gemacht. Dann kennen wir bereits die Gründe, aus denen solche Darstellungen sich nicht in eine unserer Gruppen einordnen lassen. Diese Beispiele müssen genügen, um das Prinzip klarzulegen, auf das es ankommt. Es ist im Grunde eine Binsenwahrheit, daß man sich um die Individualität der Objekte nicht kümmert, wenn sie nicht wichtig oder interessant sind, also zu Werten in keiner Beziehung stehen. Wissenschaftlich aber kann die individualisierende Darstellung nur genannt werden, wenn es allgemeine Werte oder Kulturwerte sind, die sie leiten. Wo diese allgemeinen Werte fehlen, haben die Objekte nur als Gattungsexemplare eine wissenschaftliche Bedeutung. Endlich kann die Wertbeziehung durch den Gedanken an eine spätere wissenschaftliche Bearbeitung hergestellt werden und so eine individualisierende Darstellung entstehen, die jedoch beim Fehlen jeder Beziehung auf allgemeine Kulturwerte nur als Materialsammlung zu betrachten ist. Eine bloße Tatsachenfeststellung ist für sich allein noch keine Wissenschaft. Findet man diesen Begriff von Wissenschaft zu eng, so möge man bedenken, daß ohne einen Begriff, der die bloße Vorarbeit und Materialsammlung beiseite läßt, eine systematisch gegliederte Wissenschaftslehre überhaupt nicht möglich ist. Wissenschaftliches Leben ist ja selbst geschichtliches Leben und geht, gerade nach unserer Theorie, in kein System allgemeiner Begriffe restlos ein, sobald seine ganze Mannigfaltigkeit in Betracht kommt. Welch außerordentliches Interesse nehmen z. B. viele Menschen an der Gestaltung des Nordpols. Ist dieses Interesse wissenschaftlich? Bei den meisten Menschen gewiß nicht. Kommt für wissenschaftliche Menschen die individuelle Gestaltung der Pole nur als Material für die Bildung allgemeiner Theorien in Betracht? Auf solche Fragen kann die Logik sich nicht einlassen und Beispiele solcher Art sollten daher auch nicht als logische Argumente benutzt werden. Es fehlt ihnen die allgemeine typische Bedeutung, die ihre Erörterung methodologisch fruchtbar macht. Eine Theorie der Wissenschaft, die ein System bilden will, darf nur hoffen, die Haupt- und Grund formen der Wissenschaften einordnen zu können. Selbst dann aber, wennn man sich sträuben sollte, die hier und da vorkommenden individualisierenden Darstellungen, für welche sich ein allgemeiner Wertgesichtspunkt als leitend nicht nachweisen läßt, nur als Vorarbeiten anzuerkennen, können diese Ausnahmefälle doch nichts gegen einen Versuch beweisen, der von vornherein erklärt hat, daß den Linien, die er zur Orientierung ziehen will, ebensowenig eine Wirklichkeit genau entspricht, wie den Linien, welche sich der Geograph zur Orientierung auf unserer Erdkugel gezogen denkt. Deswegen verlieren solche Linien durchaus nicht ihren Wert und durch diese oder jene vereinzelte Ausnahme wird daran nichts besonders geändert, daß durch die Begriffe der generalisierenden Naturwissenschaften und der individualisierenden Kulturwissenschaften die zwei Haupttendenzen der empirisch wissenschaftlichen Arbeit sowohl logisch als auch sachlich in viel tiefer gehender Weise charakterisiert sind als durch die übliche Gegenüberstellung der Naturwissenschaften und der Geisteswissenschaften, die völlig nichtssagend geworden ist, seitdem das Wort "Geist" seine alte prägnante Bedeutung verloren und eine neue allgemein anerkannte Bedeutung im Unterschied von der des Seelischen oder Psychischen noch nicht wiedergewonnen hat. Mehr kann in diesem Versuch, der auf eine eingehendere logische Erörterung der Detailprobleme verzichten muß, nicht erreicht werden. DIE OBJEKTIVITÄT DER KULTURGESCHICHTE Von den erwähnten Einwänden bleibt daher jetzt nur noch einer übrig. Er betrifft den Begriff der "objektiven" Darstellung der Kultur durch die Geschichte und führt schließlich zu einer bisher absichtlich zurückgedrängten Frage, die ich berühren muß, weil von ihrer Beantwortung für viele vielleicht mehr als von irgendetwas anderem die Entscheidung über das Verhältnis der Naturwissenschaften zu den Kulturwissenschaften abhängt. Auch ist ihre Erörterung zur weiteren Rechtfertigung des Ausdrucks "Kulturwissenschaften" wünschenswert. Wenn Werte es sind, welche die Auswahl des historischen Stoffes und damit alle historische Begriffsbildung leiten, ist dann - so kann und muß man fragen - die Willkür in den Geschichtswissenschaften jemals auszuschließen? Allerdings, die Objektivität der Spezialuntersuchungen wird dadurch, soweit diese sich auf die tatsächlich allgemeine Anerkennung ihrer leitenden Werte berufen können und sich ferner streng an die theoretische Wertbeziehung halten, nicht berührt, aber es liegt hier doch in der Tat, was nicht übersehen werden darf, eine Objektivität von eigentümlicher Art vor, die besonders einen Vergleich mit der Objektivität der generalisierenden Naturwissenschaften nicht auszuhalten scheint. Eine wertbeziehende Darstellung gilt immer nur für einen bestimmten Kreis von Menschen, welche die leitenden Werte, wenn auch nicht direkt werten, so doch als Werte verstehen und dabei anerkennen, daß es sich um mehr als rein individuelle Wertungen handelt. Eine Übereinstimmung hierin mag mit Rücksicht auf einen verhältnismäßig sehr großen Kreis von Menschen zu erzielen sein. In Europa wird man gewiß, wo man überhaupt geschichtswissenschaftliche Werke liest, die früher genannten Kulturwerte, die an Religion, Kirche, Recht, Staat, Wissenschaft, Sprache, Literatur, Kunst, wirtschaftlichen Organisationen usw. haften, als Werte verstehen und es daher nicht als Willkür ansehen, wenn diese Werte die Auswahl des Wesentlichen leiten, also die geschichtliche Darstellung auf das beschränken, was mit Rücksicht auf sie wichtig oder bedeutsam ist. Aber falls die Objektivität einer wertbeziehenden Darstellung immer nur für einen mehr oder weniger großen Kreis von Kulturmenschen besteht, so ist sie eine geschichtlich beschränkte Objektivität, und so wenig das vom spezial wissenschaftlichen Gesichtspunkt aus zu bedeuten haben mag, so sehr kann man unter allgemeinen philosophischen Perspektiven und auch vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus darin einen wissenschaftlichen Mangel erblicken. Beschränkt man sich nämlich prinzipiell auf die faktisch allgemeine Anerkennung der Kulturwerte, ohne irgendwie nach ihrer Geltung zu fragen, so muß man es für möglich, ja als Historiker gerade für wahrscheinlich halten, daß das Fundament der Geschichtswissenschaft ebenso, wie es entstanden ist, auch wieder vergehen wird und damit haftet dann den historischen Darstellungen, die das Wesentliche vom Unwesentlichen scheiden, ein Charakter an, der es bedenklich erscheinen läßt, sie überhaupt als "Wahrheiten" zu bezeichnen. Eine wissenschaftliche Wahrheit muß zu dem, was theoretisch gilt, auch ohne daß es gewußt wird, ein bestimmtes Verhältnis haben, d. h. ihm mehr oder weniger nahe stehen. Ohne diese Voraussetzung hat es keinen Sinn mehr, von Wahrheit zu reden. Sieht man nun grundsätzlich von der Geltung der Kulturwerte ab, welche die historische Darstellung leiten, so kommt als wahr in der Geschichte nur noch das rein Tatsächliche in Betracht. Alle historischen Begriffe dagegen gelten dann nur für eine bestimmte Zeit und das heißt, sie gelten als Wahrheiten überhaupt nicht, denn sie haben zu dem, was absolut oder zeitlos gilt, kein bestimmtes Verhältnis. (2) Freilich werden ja auch die Begriffe der generalisierenden Naturwissenschaften, welche die eine Generation von Forschern gebildet hat, von der nächsten Generation wieder modifiziert oder ganz aufgelöst und auch diese Generation muß es sich gefallen lassen, daß man ihre Begriffe durch neue ersetzt. Es ist daher noch kein Einwand gegen die Wissenschaftlichkeit der Geschichte, daß sie immer wieder von neuem geschrieben werden müsse, denn dieses Schicksal teilt sie mit allen Wissenschaften. Aber von den Naturgesetzen nehmen wir doch an, daß sie unbedingt gelten, selbst wenn noch keines uns bekannt sein sollte und daher dürfen wir voraussetzen, daß die verschiedenen Begriffe der generalisierenden Wissenschaften einer absolut gültigen Wahrheit mehr oder weniger nahe stehen, während die geschichtlichen Darstellungen überhaupt kein Verhältnis zu einer absoluten Wahrheit besitzen, solange die leitenden Prinzipien ihrer Begriffsbildung lediglich die Werte der faktischen Wertungen sind, die kommen und gehen wie die Wellen im Meer. Abgesehen von den bloßen Tatsachen, gibt es dann so viel verschiedene historische Wahrheiten, als es verschiedene Kulturkreise gibt und jede dieser Wahrheiten ist, soweit sie die Auswahl des Wesentlichen betrifft, in gleicher Weise gültig oder ungültig. Damit scheint die Möglichkeit eines geschichtswissenschaftlichen Fortschritts, ja der Begriff der historischen Wahrheit, soweit er sich nicht auf das rein Tatsächliche bezieht, überhaupt aufgehoben. Müssen wir also nicht die Geltung von übergeschichtlichen Werten und durch sie konstituierte Sinngebilde voraussetzen, denen die faktisch anerkannten geschichtlichen Kulturwerte wenigstens näher oder ferner stehen? Wird nicht erst dadurch die Objektivität der Geschichte der der Naturwissenschaft ebenbürtig? Das Problem, das hier zugrunde liegt, tritt auch dann zutage, wenn man an den Versuch denkt, die Ergebnisse der geschichtlichen Einzeluntersuchungen zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufassen und so eine Universalgeschichte im strengen Sinne des Wortes zustande zu bringen, welche die Entwicklung der gesamten Menschheit darstellt. Die Menschheitsgeschichte wird sich bei einer Beschränkung auf die rein faktische Anerkennung der Werte immer nur vom Standpunkt eines besonderen Kulturkreises aus schreiben lassen und daher niemals sowohl von allen Menschen als auch für alle Menschen in dem Sinne gültig oder auch nur "verständlich" sein, daß alle Menschen ihre leitenden Werte als Werte anerkennen. Es gibt also keine "Weltgeschichte" von empirischer Objektivität, denn eine solche müßte nicht nur von der Menschheit, soweit sie bekannt ist, handeln, sondern auch das für alle Menschen Wesentliche in sich aufnehmen und das kann sie nicht. Auf dem universal-historischen Standpunkt besitzt der Historiker keine empirisch allgemeinen und faktisch überall anerkannten Kulturwerte mehr. Universalgeschichte ist also nur aufgrund von leitenden Werten zu schreiben, für die eine Geltung behauptet wird, welche über die rein faktische Anerkennung im Prinzip hinausgeht. Das heißt nicht, daß der Universalhistoriker ein inhaltlich genau bestimmtes Wertsystem braucht, dessen Geltung er selbst zu begründen vermag, aber er muß voraussetzen, daß irgendwelche Werte absolut gelten, und daß daher die von ihm seiner wertbeziehenden Darstellung zugrunde gelegten Werte nicht ohne jede Beziehung zum absolut Gültigen sind, denn nur dann kann er anderen Menschen zumuten, das, was er als wesentlich in seine Darstellung aufnimmt, auch als bedeutsam für das, was absolut gilt, anzuerkennen. Schließlich hängt noch etwas anderes mit der Frage nach der Geltung der Kulturwerte auf das engste zusammen. Ich habe auf den Mangel an Einheitlichkeit und systematischer Gliederung der Kulturwissenschaften hingewiesen im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, die insbesondere, soweit sie Körperwissenschaften sind, in der Mechanik eine feste Basis besitzen. Daß die Psychologie für die Kulturwissenschaften zur Grundlegung nicht dienen kann, haben wir ebenfalls gesehen. Gibt es nun darum aber nichts anderes, das vielleicht an ihre Stelle zu treten vermöchte? In gewisser Hinsicht müssen wir diese Frage verneinen, denn grundlegende Disziplinen, wie die Mechanik eine ist, kann es nur für die Wissenschaften geben, die generalisierend oder naturwissenschaftlich verfahren und deren Gesamtgebiet von einem System insich zusammenhängender Begriffe umfaßt wird. Die allgemeinste Wissenschaft ist dann insofern "grundlegend", als sie, wie die Mechanik in den Körperwissenschaften, in der angegebenen Weise für die Begriffsbildung auf den verschiedenen Gebieten auch inhaltlich bedeutsam wird. Das geschichtliche Leben aber läßt sich ja gerade nicht in ein System bringen und deshalb ist für die Kulturwissenschaften, soweit sie historisch verfahren, auch keine grundlegende Wissenschaft von der Art, wie es die Mechanik ist, denkbar. Trotzdem jedoch fehlt ihnen darum, wie ich glaube, die Möglichkeit, sich im Lauf der Zeit immer mehr zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzuschließen, durchaus nicht, sondern der Begriff der Kultur, der ihre Objekte bestimmt und, soweit sie historisch verfahren, ihnen das leitende Prinzip der Begriffsbildung liefert, kann ihnen schließlich auch den einheitlichen Zusammenhang verleihen. Aber das setzt freilich voraus, daß wir einen Begriff von Kultur nicht nur nach seiner formalen Seite hin als des Inbegriffes der faktisch allgemein anerkannten Werte, sondern auch mit Rücksicht auf den Gehalt und den systematischen Zusammenhang dieser Werte besitzen. Von einer empirisch allgemeinen Anerkennung eines solchen Kulturwertsystems kann jedoch wiederum nicht die Rede sein und damit kommen wir von neuem zur Frage nach der Geltung der Kulturwerte, die ihnen, abgesehen von ihrer faktischen Wertung, gebührt. So führt uns also die Frage nach der Objektivität der Geschichte der Begriff der Universalgeschichte und der Begriff eines Systems der empirischen Kulturwissenschaften über das empirisch Gegebene der faktischen Wertungen hinaus und wir müssen in der Tat, wenn auch nicht die Existenz einer definitiv bereits erreichten Kenntnis von dem, was als Wert gilt, so doch die Geltung objektiver Werte und die Möglichkeit voraussetzen, daß wir uns ihrer Kenntnis wenigstens immer mehr annähern können. Ein prinzipieller Fortschritt in den Kulturwissenschaften mit Rücksicht auf ihre Objektivität, ihre Universalität und ihren systematischen Zusammenhang ist vom Fortschritt in der Herausbildung eines objektiven und systematisch gegliederten Begriffes der Kultur und das heißt von der Annäherung an ein Wertbewußtsein abhängig, dem ein System gültiger Werte zugrunde liegt. Kurz, die Einheit und Objektivität der Kulturwissenschaften ist bedingt von der Einheit und Objektivität unseres Kulturbegriffes und diese wiederum von der Einheit und Objektivität der Werte, die wir werten. Ich bin mir vollkommen bewußt, daß, indem ich diese Konsequenz ziehe, ich auf nichts weniger als allgemeine Zustimmung rechnen darf, ja, wenn es wirklich eine Konsequenz ist, so wird man meinen, daß gerade durch sie der problematische Charakter eines systematischen Abschlusses der kulturwissenschaftlichen Arbeit auf das deutlichste zutage trete. Denn so sehr auch das Verständnis für die Bedeutung der Wertprobleme zunimmt, dahin geht heute fast allgemein noch die Überzeugung, daß Aussagen über mehr als subjektive Wertgeltungen mit der Wissenschaftlichkeit unvereinbar sind, weil sie sich objektiv nicht begründen lassen. Noch einmal sei deshalb mit Nachdruck hervorgehoben: die Objektivität einer historischen Spezial untersuchung wird durch den Umstand, daß ein Kulturwert den leitenden Gesichtspunkt für die Auswahl des Wesentlichen abgibt, in keiner Weise bedroht, denn der Historiker kann sich auf die allgemeine Anerkennung des Wertes, der den Sinn seiner Objekte konstituiert, als auf ein Faktum berufen und er erreicht dadurch das höchste Maß empirischer Objektivität, das einer empirischen Wissenschaft überhaupt zu erreichen möglich ist. Geht man jedoch über die Spezialuntersuchungen hinaus, so entstehen in der Tat Schwierigkeiten und man kann fragen: wenn die Gesamtheit der Kulturwissenschaften ihrer Gliederung und ihrem Zusammenhang nach von einem System von Kulturwerten abhängig sein soll, heißt das nicht, sie auf einen Komplex individueller Wünsche und Meinungen basieren? Ich darf hoffen, in Kürze eine in jeder Hinsicht befriedigende Antwort auf diese Bedenken zu geben, denn das Verhältnis der Wissenschaft zur Geltung und Systematik der Werte enthält schwierige Probleme (3), die weit über die Frage nach einer Gliederung der empirischen Wissenschaften hinausführen, aber ich wollte doch zeigen, worin allerdings die unumgängliche Voraussetzung besteht, wenn man für die Kulturwissenschaften "Objektivität" im mehr als rein empirischen Sinne in Anspruch nimmt. Dem unbedingt allgemeingültigen Gesetz der Natur, das die generalisierenden Wissenschaften suchen, muß dann der unbedingt allgemeingültige Wert entsprechen, den unsere Kulturgüter als Träger individueller Sinngebilde mehr oder weniger realisieren und wenigstens die Alternative, vor die wir so gestellt sind, kann dadurch klar werden. Wer Kultur wissenschaft treiben will im höchsten Sinne des Wortes, so daß er die Auswahl des Wesentlichen als schlechthin gültig zu rechtfertigen unternimmt, wird auf die Notwendigkeit geführt, sich auf seine leitenden Kulturwerte zu besinnen und ihre Geltung zu begründen. Das Arbeiten mit unbegründeten Wertsetzungen würde in der Tat der Wissenschaft widersprechen. So gibt es schließlich, d. h. zwar nicht vom spezialwissenschaftlichen, wohl aber vom universalhistorischen Standpunkt aus, von dem sich alle historischen Einzeldarstellungen zu einem einheitlichen Ganzen einer Gesamtgeschichte aller Kulturentwicklung zusammenfassen lassen müssen, keine Geschichtswissenschaft ohne Geschichtsphilosophie. (4) Will man dagegen von jeder Wertgeltung beim wissenschaftlichen Denken absehen und der Kulturwelt überhaupt keine andere Bedeutung zusprechen als irgendwelchen beliebigen anderen Vorgängen, so müssen uns vom philosophischen und auch vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus die wenigen bekannten Jahrtausende menschlicher Entwicklung, die doch nur in relativ kleinen Nuancen einer sich relativ gleichbleibenden Menschennatur besteht, ebenso unwesentlich erscheinen wie die Unterschiede der Steine auf der Landstraße oder der Ähren in einem Kornfeld. Daß wir die Welt der Geschichte als sinnvoll und verständlich ansehen, beruth dann nur darauf, daß wir in den ephemeren Wertungen eines begrenzten Kulturkreises befangen sind und historische Wissenschaft, die über Spezialuntersuchungen bestimmter Kulturkreise hinausgeht, gäbe es dann überhaupt nicht. Dieses Entweder-Oder wenigstens sollte man sich klarmachen. Doch möchte ich noch einen Schritt weitergehen. Wenn ich hier von einer Alternative spreche, so ist das nicht so gemeint, als ob nun der wissenschaftliche Mensch den zweiten, wertfreien Standpunkt als den rein naturwissenschaftlichen einnehmen und ihn zugleich zu einer durchführbaren naturwissenschaftlichen "Weltanschauung" erweitern könnte, die sich durch eine größere Voraussetzungslosigkeit vorteilhaft vom kulturwissenschaftlichen Standpunkt unterscheiden würde, weil sie eben keinen Wertmaßstab als gültig vorauszusetzen braucht. Der Naturalismus glaubt zwar wohl, daß das möglich ist, aber das ist nichts als eine Selbsttäuschung. Gewiß kann vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus alle Wirklichkeit, also auch die ganze Kultur, als sinnfreie Natur angesehen werden und die Suspendierung jedes Wertgesichtspunktes ist innerhalb einer solchen Betrachtung nicht nur möglich, sondern notwendig. Darf dieser Standpunkt aber als der einzig berechtigte philosophische Standpunkt gelten, so daß jede historische Begriffsbildung von ihm als willkürlich erscheint? Bedeutet nicht vielmehr das Absehen von jeder Wertgeltung innerhalb der Naturwissenschaft gerade eine prinzipielle Beschränkung auf die naturwissenschaftliche Spezial forschung und ist deswegen nicht die Ergänzung durch eine universale Betrachtung in der Philosophie ein auch theoretisch notwendige Forderung? Ich glaube, es gibt ein Stück der Geschichte, für welches sogar die Naturwissenschaft die von uns entwickelten logischen Prinzipien der Bearbeitung wohl als wissenschaftlich wird anerkennen müssen und zugeben, daß es sich dabei um sehr viel mehr als ein willkürliches Arrangement willkürlich aufgegriffener Tatsachen handelt, das nur für den gilt, der in den Wertungen eines historischen Kulturkreises befangen ist. Dieser Teil der Geschichte ist nichts anderes als die Geschichte der Naturwissenschaft selbst. Auch die Naturwissenschaft ist doch ein sinnvolles historisches Kulturprodukt. Das mag sie selber als Spezialwissenschaft ignorieren. Richtet sie aber ihren Blick auch auf sich selbst und nicht nur auf die Naturobjekte, kann sie dann leugnen, daß ihr eine historische Entwicklung im angegebenen Sinne vorangegangen ist, die notwendig in ihrem einmaligen und individuellen Verlauf unter dem Gesichtspunkt eines Wert maßstabes von objektiver Geltung betrachtet werden muß, nämlich des theoretischen Wertes der wissenschaftlichen Wahrheit, auf den wir die Ereignisse zu beziehen haben, um in ihnen das für die Geschichte der Naturwissenschaft Wesentliche vom Unwesentlichen zu sondern? Erkennt sie aber eine historische Wissenschaft in diesem Sinne für diesen Teil der Kulturentwicklung an, wie käme sie dazu, die Geschichte der anderen Teile nicht als Wissenschaft gelten zu lassen? Hat es die Menschheit nur auf naturwissenschaftlichem Gebiet zu Kulturgütern gebracht, an denen gültige Werte haften? Es fehlt der Naturwissenschaft, die von allen Wertgeltungen absieht, nur auf naturwissenschaftlichem Gebiet zu Kulturgütern gebracht, jeder Gesichtspunkt, um diese Frage zu entscheiden und wir haben daher von seiten der Naturwissenschaft im Kampf für eine historische Auffassung der Dinge und das Recht der Geschichte nichts zu fürchten. Der historisch-kulturwissenschaftliche Gesichtspunkt ist vielmehr dem naturwissenschaftlichen durchaus übergeordnet, weil er der bei weitem umfassendere ist. Nicht nur die Naturwissenschaft ist ein historisches Produkt der Kulturmenschheit, sondern auch die "Natur" selbst im logischen oder formalen Sinne ist nichts anderes als ein theoretisches Kulturgut, eine gültige, d. h. objektive wertvolle Auffassung der Wirklichkeit durch den menschlichen Intellekt und die absolute Geltung des daran haftenden Wertes wie des von ihm konstituierten Sinngebildes muß gerade die Naturwissenschaft immer voraussetzen. Freilich, es gibt noch einen anderen "Standpunkt" und den könnte man dann vielleicht den "philosophischen" nennen und glauben, daß er gar nichts voraussetzt. NIETZSCHE hat eine kleine Fabel erfunden, die illustrieren soll, "wie kläglich, wie schattenhaft und flüchtig, wie zwecklos und beliebig sich der menschliche Intellekt innerhalb der Natur ausnimmt". Diese Fabel aber lautet folgendermaßen: "In irgendeinem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigstes und verlogenste Minute der Weltgeschichte: aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn und die klugen Tiere mußten sterben." So sind wir, wird man glauben, der Anerkennung jeder Wertgeltung glücklich entronnen, wie es dem wissenschaftlichen Menschen ziemt. Dieser Standpunkt ist, wenn man will, in der Tat konsequent, aber seine Konsequenz vernichtet dann die Objektivität jeder Wissenschaft, also die von Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft in gleichem Maße und weil dieser "Standpunkt" nur nach einer langen naturwissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Entwicklungsreihe gewonnen werden konnte, also selbst nichts als ein Teil der "verlogensten Minute" der Weltgeschichte ist, so ist seine "Konsequenz" zugleich die größte aller Inkonsequenzen oder ein sinnloser Versuch des wissenschaftlichen Menschen, über seinen eigenen Schatten zu springen. Gerade der wissenschaftliche Mensch muß die Geltung der theoretischen Werte als absolut voraussetzen, wenn er nicht aufhören will, ein wissenschaftlicher Mensch zu sein. Der Geschichte den Charakter als Wissenschaft abzusprechen, weil sie, um das Bedeutungsvolle vom Bedeutungslosen zu scheiden, einer Beziehung auf Kulturwerte bedarf, scheint daher nichts als ein leere und negativer Dogmatismus zu sein. Die mehr als individuelle Bedeutung des Kulturlebens, aus dem er selbst hervorgegangen ist, setzt vielmehr jeder Mensch, der irgendeine Wissenschaft treibt, implizit voraus und es wäre die größte Willkür, eine einzelne Reihe, wie etwa den Teil der intellektuellen Entwicklung, den wir die Naturwissenschaft nennen, aus der gesamten Kulturentwicklung loslösen zu wollen und ihm allein eine objektive Bedeutung mit Rücksicht auf die theoretischen Werte zuzuschreiben. Die Besinnung auf ein umfassendes System von objektiven Kulturwerten kann daher nicht gut als eine sinnlose Aufgabe bezeichnet werden. Freilich ist keine Philosophie imstande, ein solches System aus bloßen Begriffen zu konstruieren. Sie bedarf vielmehr für seine inhaltliche Bestimmung der engsten Fühlung mit den geschichtlichen Kulturwissenschaften selbst und sie kann nur hoffen, sich im Historischen dem Überhistorischen anzunähern, d. h. ein System der Kulturwerte, das auf Geltung Anspruch erhebt, kann nur am sinnvollen geschichtlichen Leben gefunden und aus ihm allmählich herausgearbeitet werden, indem man die Frage stellt, welche allgemeinen und formalen Werte der inhaltlichen und fortwährend wechselnden Mannigfaltigkeit des historischen Kulturlebens und seiner individuellen Sinngebilde zugrunde liegen und worin also die Wertvoraussetzungen der Kultur überhaupt bestehen, die zu erhalten und zu fördern, wir alle bemüht sind. Ein näheres Eingehen auf das Wesen dieser Arbeit, welche der Philosophie zufällt, würde jedoch unseren Versuch einer Gliederung der empirischen Wissenschaften weit überschreiten. Nur auf ein Ziel sollte hier hingewiesen werden (5) Mit Rücksicht auf die empirische Objektivität der Kulturwissenschaften, auf die wir uns bei einer Gliederung der empirischen Wissenschaften beschränken dürfen, genügt die Erinnerung: an objektive Werte, deren Geltung die Voraussetzung für das Streben der Philosophie ebenso wie für die Arbeit in den Kulturwissenschaften selbst bildet, glauben wir im Grunde alle, auch wenn wir uns vielleicht unter dem Einfluß der wissenschaftlichen Mode einbilden, es nicht zu tun, denn: "Ohne ein Ideal über sich zu haben, kann der Mensch im geistigen Sinn des Wortes nicht aufrecht gehen." Die Werte aber, aus denen dieses Ideal besteht, "werden entdeckt und gleich wie die Sterne am Himmel treten sie nach und nach mitdem Fortschritt der Kultur in den Gesichtskreis des Menschen. Es sind nicht alte Werte, nicht neue Werte, es sind die Werte". Ich führe diese schönen Worte RIEHLs (6) umso lieber an, als niemand beim Verfasser des "philosophischen Kritizismus" eine unwissenschaftliche Schwärmerei voraussetzen wird. Sollen wir nun etwa das, was wir brauchen, um im geistigen Sinne aufrecht zu gehen, beiseite lassen, wenn wir Wissenschaft treiben? Ich denke, das wird kein Verständiger von uns verlangen. Anmerkungen 1) Vgl. oben und OTTO GRAF, Vom Begriff der Geographie im Verhältnis zu Geschichte und Naturwissenschaft, 1925 2) Das ist die notwendige Konsequenz des Standpunktes der "historischen Schule", wie ihn mit großer Klarheit ERICH ROTHACKER in seiner "Logik und Systematik der Geisteswissenschaften", 1926 vertritt. Das Buch ist mir erst während des Druckes bekannt geworden. 3) Den Versuch einer erkenntnistheoretischen Grundlegung der im folgenden ausgesprochenen Überzeugung enthält meine Schrift über den "Gegenstand der Erkenntnis", 1892, vierte und fünfte Auflage 1921. Ich glaube, dort gezeigt zuhaben, daß die Annahme objektiv gültiger oder "transzendenter" Werte aus rein logischen Gründen unvermeidlich ist. Vgl. auch mein Buch "Allgemeine Grundlegung der Philosophie, welches als erster Teil eines "Systems der Philosophie" 1921 erschienen ist. 4) Vom Begriff und der Methode einer solchen philosophischen Disziplin kann hier nicht weiter die Rede sein. Diese Schrift beschränkt sich auf die Gliederung der empirischen Wissenschaften. Für eine philosophische Behandlung der Geschichte muß ich auf meine Probleme der Geschichtsphilosophie, 3. Auflage 1924 und meinen geschichtsphilosophischen Versuch "Kant als Philosophi der modernen Kultur", 1924 verweisen. Bemerken möchte ich mit Rücksicht auf kritische Einwände an dieser Stelle nur, daß ich die Aufgaben der Geschichtsphilosophie nicht allein in einer Geschichts logik sehe und daher nicht zu den Vertretern einer bloß "formalen" Geschichtsphilosophie gezählt werden sollte. ERNST TROELTSCH hat sich mehrfach in dankenswerter Weise mit meinen geschichtsphilosophischen Ansichten auseinandergesetzt (Moderne Geschichtsphilosophie, Theologische Rundschau VI, 1904, und Gesammelte Schriften II, 1913. Ferner "Über Maßstäbe zur Beurteilung historischer Dinge", 1916 und "Über den Begriff einer historischen Dialektik, Windelband, Rickert und Hegel", 1919, Historische Zeitschrift, 3. Folge, 23. Bd.) Soweit diese Darlegungen meine Geschichts philosophie betreffen, scheinen sie mir einseitig. Gewiß stelle ich in der Geschichtslogik die formalen Gesichtspunkte voran, aber auch ich zweifle nicht an der "gegenständlichen Besonderheit des historischen Lebens" und lehne eine materiale Geschichtsphilosophie nicht ab. Vielmehr habe ich (Grenzen, 3. und 4. Auflage, Seite 362 - 465) ausführlich zu zeigen versucht, wie die formale Struktur der historischen Methode mit den materialen Besonderheiten des geschichtlichen Kulturlebens notwendig zusammenhängt. An den dabei entwickelten Begriff des historischen Zentrums müßte eine Kritik meiner Geschichtsphilosophie vor allem anknüpfen. Geschichts metaphysik im alten Sinne scheint mir freilich als Wissenschaft nicht möglich, aber ich halte trotzdem die Annahe eines dritten Reiches (außer der empirischen Realität der Sinnenwelt und den irrealen, geltenden Werten) für unentbehrlich und auf dem Grund meines Begriffs vom Weltall dürften alle die Forderungen zu erfüllen sein, die TROELTSCH mit Recht an eine materiale Philosophie der Geschichte stellt. Mit der heute beliebten Versicherung, es gäbe eine übersinnliche Welt und wir brauchten Metaphysik, ist es, wie TROELTSCH selber weiß, nicht getan. Wissenschaftlich gefördert werden wir nur, wenn es gelingt, das Gebiet des Metaphysischen auch streng begrifflich zu bestimmen. Geschichts metaphysik braucht zeitliches reales Sein. Läßt sich eine übersinnliche Welt zeitlich fassen? Gibt es einen anderen Weg, um über die Sinnenwelt hinauszukommen, als den, der über die zeitlose Geltung von Werten und die von ihnen konstituierten Sinngebilde führt? Sind die Ziele der Metaphysik ohne eine Philosophie der Werte erreichbar? Bleiben wir nicht gerade ohne Reflexion auf die Werte des Kulturlebens und seinen inhaltlich erfüllten, individuellen Sinn, den wir verstehen, im "Formalen" stecken? 5) Näheres darüber in meinem Buch "Die Philosophie des Lebens", Darstellung und Kritik der philosophischen Modeströmungen unserer Zeit", 1920, zweite Auflage 1922 und in dem schon erwähnten ersten Teil meines "Systems der Philosophie", 1921. 6) ALOIS RIEHL, Friedrich Nietzsche, Frommans Klassiker der Philosophie, Bd. 6, 1897, dritte Auflage 1901, Seite 170 |