cr-2Josef Mitterers Nondualismus    
 
HEINZ von FOERSTER
Wo ist die Realität?

"Es ist eine primitive Denkform, daß Dinge entweder existieren oder nicht existieren; und die Vorstellung von einer Kategorie von Dingen, die Existenz besitzen, ergibt sich daraus, daß wir unser Wissen in einem entsprechenden Denkrahmen zwingen."

H. v. F.: "Wie ich diesen "Tractatus logico philosophicus" zum erstenmal gelesen habe, war ich völlig hingerissen. Ich hab also fast den ganzen Tractatus auswendig gekonnt. Hab aber niemanden gefunden, mit dem ich darüber reden kann. Wenn bei uns zuhause irgendwelche philosophischen Sätze gesprochen worden sind, hab ich gesagt: "Nein, so geht das nicht. Ludwig Wittgenstein sagt: Proposition 5.2 ... so und so und so ist der Fall" und meine armen Eltern haben gesagt: "Was machen wir mit diesem armen Buben? Der ist völlig brainwashed von WITTGENSTEIN. Können wir jemanden finden, der ihm da hilft, aus dieser Falle herauszukommen? Im Gegenteil: Ich bin in diese Falle immer tiefer und tiefer hineingerutscht.

Was ich sehe und was, glaube ich, in ihren Fragenkomplex eintaucht ist, daß Wissenschaft oder scientia auf lateinisch, in diesen 2000 Jahren seit ARISTOTELES bis 2000 einen unerhörten Erfolg gehabt hat und auf was zieht sich scientia zurück? Das indo-europäische Urwort für scientia ist ein Wort, das heißt: sky und das ist in science und in scientia und in Schizophrenie. Das ist das Wort für "trennen" und eben Systemics ist genau eine parallele Entwicklung nur das Gegenteil von science ist integriert. Also wenn sie heute bedenken diese ganze Systemtheorie und die Systemforscher, die sowohl in der Kunst, als auch in der Wissenschaft auftauchen. Ich würde das nur nicht mehr Wissenschaft nennen, ich würde das eben Systemics nennen. Die heutige Wissenschaft ist übergegangen in eine Haltung, die zusammenzieht ... eine Systemics ... also von science to systemics sehe ich die heutigen Schritte.

Ich habe erkannt, im Lauf meines Lebens, je mehr ich mich mit der Physik beschäftigte, daß ich eigentlich ein Meta-Physiker bin. Und damit hab ich mich dann mehr und mehr gespielt. Und wenn Sie mich fragen: Ja, lieber Heinz von Foerster, was ist ein Meta-Physiker", dann sage ich folgendes: "Es gibt unter den Fragen, die wir stellen, über die Welt, gibt es solche, die man beantworten kann. "Heinz von Foerster, wie alt sind Sie?" Das kann man nachschlagen in Katalogen: 1911 geboren, also er ist 90. Oder man kann Fragen fragen, die nicht beantwortet werden können: "Heinz von Foerster, sag einmal: Wie ist das Weltall entstanden?" Da kann ich eine von den 35 verschiedenen Theorien sagen. Und ich frage einen Sternkundigen, da sagt er: "Da war doch dieser Big Bang vor zwanzig Millionen Jahren". Oder ich frage einen braven Katholiken, sagt er: "Jeder weiß, wie das entstanden ist. Da hat Gott die Welt erschaffen und nach 7 Tagen war er müde und hat eine Pause gemacht. Das war der Sonntag. Also, da gibt es verschiedene, sehr interessante Thesen, wie das Weltall entstanden ist. Das heißt: es gibt deswegen soviele Hypothesen, weil die Frage nicht beantwortbar ist. So kommt es nur darauf an, wie interessant ist die Geschichte, die der erfindet, wie das Weltall entstanden ist.

I: Da ist man natürlich ganz nah bei der Kunst. Wenn es darum geht, eine gute Geschichte zu erfinden.

H. v. F.: Ja.

I: ... also eine poetische Geschichte.

H. v. F.: Ja. Genau. Genau. Das ist die Sache. Es besteht ein Zweikampf oder ein Dreikampf oder ein Zehnkampf between den verschiedenen Poeten. Wer erfindet eine lustige amüsante und interessante Geschichte, von der jeder sofort glaubt: "D a s muß es gewesen sein."

I: Aber Herr von Foerster, die Wissenschaft, ja gerade Ihre eigene Forschung, das sind doch nicht nur Erfindungen oder schöne Geschichten. Das beruth doch auf Mathematik, auf Zahlen, auf Beweisbarkeit, auf wissenschaftlich unbezweifelbaren Daten.


Heinz von Förster
  H. v. F.: Na ja..., aber es gibt jetzt schon so viele Daten, daß man gar nicht mehr alle in seine Geschichte hineinbringen kann und da werden dann künstliche Daten erfunden. Das sind zum Beispiel Partikel, Teilchen. Da werden dann Teilchen erfunden, die das machen, was wir nicht verstehen. Meiner Meinung nach sind Teilchen immer Lösungen von Problemen, die wir andererseits nicht lösen können. Also Erfindungen, um gewisse Probleme erklären zu können. Das sind Teilchen.

I: Jetzt muß ich dumm fragen ...

H. v. F.: Ja, das versteh ich ... Lassen Sie mich das ein bisserl besser erklären.

I: Ja...

H. v. F.: Sagen wir, es ist eine Lücke in meiner Theorie. Da kann ich nicht mehr drüberspringen. Da sind dann neue Teilchen, die entweder grün oder gelb oder sprechen und ich weiß nicht, was alles machen ... die ersetzen das Loch in meiner Theorie. So behaupte ich: Jedes Teilchen, das wir heute in der Physik haben, ist die Beantwortung einer Frage, die wir nicht beantworten können.

I: Aber das ist doch schrecklich! Wie kann man denn auf der Grundlage einer Theorie, die Löcher hat, also auf so einem anscheinend wackligen Fundament, Maschinensysteme, weltweit sich ausdehnende Maschinensysteme, quasi ins Unendliche wachsen lassen.

H. v. F.: Ja.

I.: Ist denn das nicht riskant oder gefährlich?

H. v. F.: Ja. In diesem weltweit funktionierenden Maschinensystem sind alle Aussagen richtig. Und das ist natürlich das, was man gerne haben möchte. Und warum sind die richtig? Weil sie sich alle von anderen Aussagen ableiten lassen.

I: Wo führt das hin? Wie geht das denn weiter?

H. v. F.: Immer weiter ableiten.

I: Ja, aber es gibt doch irgendwo Grenzen.

H. v. F.: Eben nicht. Das ist das Schöne. Da kann man immer wieder weiter.

I: ... in der Logik.

H. v. F.: Yes. Genau.

I: ... aber in der Realität?

H. v. F.: Wo ist die Realität? Wo haben Sie die?
QUELLE: Das Netz, Lutz Dammbeck, SWR 2003