cr-2E. KönigF. PaulsenA. EddingtonA. LeschbrandSchubert-Soldern    
 
KURT GEISSLER
Über Lehren vom Wesen des Seins
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 "A = A  ist ohne Zweifel ein logisch richtiger Satz und insofern er das ist, ist seine Bedeutung die:  wenn A  gesetzt ist, so ist  A  gesetzt. Es entstehen hierbei die zwei Fragen: Ist denn  A  gesetzt? - und inwiefern und warum ist  A  gesetzt, wenn es gesetzt ist - oder, wie hängt jenes Wesen und dieses So überhaupt zusammen? Setzet:  A  in obigem Sinn bedeute Ich und habe also seinen bestimmten Gehalt, so hieße der Satz zuförderst: Ich bin Ich: oder wenn ich gesetzt bin, so bin ich gesetzt. Aber weil des Satzes Subjekt das absolute Subjekt, das Subjekt schlechthin ist, so wird in diesem einzigen Fall, mit der Form des Satzes zugleich sein innerer Inhalt gesetzt: Ich bin gesetzt, weil ich mich gesetzt habe.  Ich bin, weil ich bin." 

Sein oder nicht sein, das ist die Frage! Würden wir in diesem bekannten Dichterwort dafür sagen: Leben oder nicht leben? Oder: Existieren oder nicht existieren? Bei dieser zweiten Ersetzung denkt mancher schon etwas weitergehendes. Dasein oder nicht dasein? Bedeutet das ganz dasselbe? Wirklich sein oder nicht wirklich sein? Bestehen oder nicht bestehen? Man merkt, daß die Wörter doch nicht ganz gleich gebraucht werden können, wenn auch die Sprache des gewöhnlichen Lebens große Freiheit läßt. Soll der Philosoph sich einer genau scheidenden Wortdefinition bedienen? Gewiß nur, wenn er damit auch die Begriffe genau unterscheidet!

Hier stehen wir vor einer Frage, die nicht mit wenigen Worten erledigt ist. Die Philosophen sind nicht einig im Sprachgebrauch, heute nicht und waren es auch früher nicht; sie sind nicht einig in der Auslegung des wohl allgemeinsten Wortes Sein, in ihren Lehren vom Wesen des Seins. Nachdem der Begriff des Seins lange in ziemlich eindeutiger Weise gefaßt wurde und auch heute noch, wie wir sehen werden, von manchen so gefaßt wird, zeigt sich andererseits das Bestreben, das Sein zu zerspalten, es in mehreren, ja vielen, wesentlich verschiedenen Arten darzustellen und aufzufassen. Es mag dies mit der Vermehrung unseres Wissens und einem tieferen Eindringen in das Wesen der Sachen zusammenhängen, welches die Neuzeit zeigt; ein Beispiel wird für uns die Auffassung des Endlichen und Unendlichen als wesentlich Verschiedenem innerhalb derselben Mannigfaltigkeiten sein. Jedenfalls ist es nicht leicht, auch für den Philosophen nicht, sich von Wiederholungen früher schon aufgestellter Lehren fernzuhalten und Begriffe in einem Sinne zu gebrauchen, der bekannt erscheint und doch neu ist und der darum den irreführt, welcher die neuen Lehren erst kennen lernen soll. Die Schwierigkeit ist darum so groß, weil ein Grundbegriff wie der vom Sein nicht mit einfacheren Begriffen, mit einfacheren Worten umschrieben und definiert werden kann. Immer wieder steckt in allen Definitionen in allen besonders gewählten Ausdrücken das einfache Sein, das "ist". Es  ist  wirklich, es  ist  richtig, es  ist  wahr, es  ist  unwahr, es  ist  Schein, es  ist  Tatsache, es  ist  Unsinn, es  ist  überhaupt nicht - wer wollte hier ohne weiteres die Bedeutung des "ist" scharf verstehen und unterscheiden können? Darf man so ohne weiteres sagen, das "ist" sei bei allen diesen Sätzchen dasselbe, es stecke in allen ein einfaches, ein - um eine unschöne Wortbildung zu gebrauchen: - schlechtsinniges Sein? Oder ist nicht vielmehr jedes einzelne Wörtchen "ist" ganz charakteristisch gefärbt durch den Sinn des Sätzschens selbst?

Wir werden das Bedürfnis empfinden, uns zunächst einen kurzen Überblick darüber zu verschaffen, wie die bekannteren Philosophen und philosophischen Schulen das Sein darstellten oder auffaßten, um die neuesten Versuche in diesem schwierigen Gebiet, dem Zentrum der Metaphysik, zu beurteilen.

Wenn man die Geschichte der Philosophie durchläuft, so hat man leicht den Eindruck, als wiederhole sich vieles in ganz ähnlicher Weise, als sprächen die Alten über das Sein an einigen Stellen geradeso wie die Allerneuesten. Aber dieser Eindruck ist doch oft eine Täuschung, die aus der Vielseitigkeit der Auffassung des Wortes "Sein" entspringt. Wir müssen uns ein wenig in den ganzen Bildungszustand versetzen, der die Gebildeten jener Zeiten beherrschte, namentlich den Grad ihrer natur- und geisteswissenschaftlichen Kenntnisse berücksichtigen, um zu verstehen, daß sie oft etwas ganz anderes meinten, als die Neueren, welche dieselben Wörter gebrauchten.

Die alten Griechen wie überhaupt die älteren Völker vertieften sich in einer gewissen, uns naiv erscheinenden Weise in das Sein der Welt, wie sie sich ihnen bot. Sie sahen aber diese Welt nicht mit unseren naturwissenschaftlich-kritischen Augen und sie vermuteten oft, so wie sie Götter in der Natur zu spüren glaubten, einen tiefliegenden Grund in der Welt. Wir können das wohl am besten mitempfinden, wenn wir an unsere Jugendzeit denken, in der wir, mit Ahnungen über die vielen Kenntnisse erfüllt, die man aus der Natur gewinnen kann, diese direkt mit solchen Ahnungen zu durchsetzen suchten, als steckten sie darin und nicht in uns. Die Selbstbetrachtung kommt immer erst spät, die kritische Prüfung unserer eigenen Wörter und Begriffe kommt bei uns etwas früher, weil unser grammatischer und naturwissenschaftlicher Unterricht das bald mit sich bringt. Anders in den ältesten Zeiten bei den größten Geistern, die damals nachdachten.

Der Philosoph als solcher frägt nach dem Warum, begnügt sich nicht mit dem Wie; auch Kinder, deren Geist lebhaft erwacht, fragen unaufhörlich: "Warum" und phantasieren rasch, ähnlich wie die ältesten Philosophen. Die ionischen Naturphilosophen suchten den Grund für die Vielheit der Welt noch kindlich in einem besonders wichtigen Stoff, wie Luft oder Wasser, die Pythagoreer erkannten die Wichtigkeit der Größenverhältnisse für die Welt, wie sie ist und erhoben die Zahl und das Maß über alles, doch nur so, wie es in der materiellen Welt steckt und erscheint. Aber auch das erschien bei weiterem Nachdenken zu verwickelt für einen emsig gesuchten allgemeinen Urgrund der ganzen Welt und die Eleaten kamen auf den Gedanken, daß alles als Gemeinsames besitzt die Eigenschaft, daß es "ist". Aber vieles ist nicht mehr, es ist gewesen, es ist nicht. Der Wechsel in der Welt führt bei dieser Stufe der Betrachtung auf das Gegenteil des Seins; man erkannte diesen Gedanken als höchst wichtig, begriff aber nicht, wie man vom Sein zum Nichtsein kommen könnte und leugnete schließlich das sogenannte Werden, man stritt es ab als widerspruchsvoll; das Werden könne ja weder sein noch nicht sein und dies beides hielt man nun einmal für das Wichtige und glaubte kein Drittes neben dieses Ja und Nein stellen zu dürfen. Daß das Werden auch ein Sein hat, existiert, daran dachte man nicht oder ließ es nicht zu. Man vermochte das Vorhandensein der Zeit in seiner Seinsart nicht als etwas Besonderes, Berechtigtes zu begreifen. Es entstanden aus einer solchen Lehre die vielbewunderten Probleme des ZENO. Diese haben bis zur Gegenwart ihren Wert nicht eingebüßte. Warum? Sie betreffen zum Teil das Rein-Räumliche und Zahlenmäßige (nicht so das Problem vom fliegenden Pfeil, das darum auch am leichtesten aufgeklärt wird).
    Man hat in der Geometrie und überhaupt der Mathematik in viel späteren Zeiten sich aus den Schwierigkeiten des einfachen Sines von mathematischen Einzelvorstellungen, z. B. von endlichen und unendlich kleinen Größen, durch eine Art Werden, durch Hereinziehung des "Augenblicks" retten wollen. Den Differentialquotienten, den LEIBNIZ zum Teil als Verhältnis von wirklich unendlich kleinen Größen erklären wollte, hat NEWTON als den Wert fassen wollen, den das Verhältnis der Größen habe, nicht während sie immer kleiner werden, nicht vor dem Verschwinden, auch nicht nach dem Verschwinden, sondern im Augenblick des Verschwindens. Wenn diese Auffassung auch großen Einfluß auf den heute vielgebrauchten sogenannten Grenzbegriff in der Mathematik hatte, so ist hiermit doch nicht endgültig das Wesen eines solchen Verhältnisses erschöpft und es ist das Streben berechtigt, doch wieder dieses "Werden" aus einem Gebiet zu entfernen, indem man vielleicht mit einer anderen Art des Seins auskommen kann.
Die Lebendigkeit der Welt ließ sich als etwas Wirkliches gar nicht leugnen und entbehren, wenn auch das Sein und Nichtsein galt, für HERAKLIT war das Werden das Wesen der Dinge, es sollte nun "alles fließen", bis EMPEDOKLES in eklektischer Weise dem Sein auch sein Recht gab und es in dem Stoff annahm, dem die Kraft Bewegung verleiht. Wie sehr EMPEDOKLES das Sein vom Werden trennt, geht aus seinen Versen hervor:
    "Von dem, das nicht gewesen, zu werden etwas, ist unmöglich, Und daß, was ist, vergehe, untunlich und ausausführbar; Denn es wird immer bestehen, wohin man es auch immer stürze."
Wie nahe auch EMPEDOKLES mit seiner "Mischung aus Freundschaft und Streit" und seinen "vier Elementen" den naiven Naturphilosophen, dem HERAKLIT und den Eleaten steht, so versuchen doch gelegentlich Philosophen aus einer viel gereifteren Zeit seine "Ansichten vorzubereiten" durch viel verwickeltere Auffassungen über das Sein. (1)

Und es kann uns gerade das Beispiel einer Bearbeitung mit einem kühnen vorläufigen Sprung hineinversetzen in Auffassungen des Seins im neunzehnten Jahrhundert. LOMMATSCH beginnt den Abschnitt "Vom Sein, Werden und Dasein" (Seite 43) mit den Worten: "Die Untersuchung der Dinge, welche der Philosophie unserer Zeit eigentümlich ist, hat, seit KANT zuerst schärfer das  Sein ansich  oder das  Sein schlechthin  vom  Sein in besonderer Beziehung  oder dem  Dasein  unterschied, auch die Frage nicht von sich abweisen können, ob es ein Werden von dem, was ist, also ein ursprüngliches Werden geben könne oder nicht." LOMMATSCH will hier dem EMPEDOKLES (siehe die obigen Verse) völlig recht geben, führt aber zur Begründung gleich einen Rekurs in das Unendlich und den starken Glauben des Geistes ansich und seine  Realität  an. Wenn ein Werden dem Sein vorausgehe, so setze dies einen früheren Zustand des Seins voraus, wofür wieder ein Werden gesucht werde usw.; und wenn auch der Verstand nicht wisse, wie weit er gehen solle, so sei es doch in der Realität der Denktätigkeit begründet. Denn es gibt selbst keinen Zweifel, der nicht wenigstens auf den Glauben an die Realität des Zweifels gegründet wäre (Seite 43). Selbst für den Satz:
    "Aus nichts wird nichts" gelte: "Das, was der menschliche Verstand sich schafft, sind Gedanken, der Gedanke des Nichts also auch, welchen der Mensch zu denken vermag, ist nicht etwa selbst ein Nichts, sondern er ist ein Etwas, er ist ein geistiges Erzeugnis, er ist, was er ist, er ist Gedanke; somit geht hier nicht aus dem Nichts, sondern aus dem Denken, also aus Etwas ein Etwas, ein Ding der Gedanken hervor." "Der Gedanke des Nichts enstand nicht aus dem absoluten Nichts, sondern aus einem relativen, aus einem  minder Dasein  oder minder sich Kundgeben (Seite 46)"; "es könnte leicht gewagt werden, wie von einzelnen Denkern Raum und Zeit nur als Formen der sinnlichen Anschauung betrachtet worden sind, ebenso das leere Nichts nur als Form des Verstande gelten zu lassen."
Man sieht, der Herausgeber ist bei seinem Nachweis für EMPEDOKLES ganz in die Zeit nach KANT geraten, aber man hört auch, wie man damals Arten des Seins unterschied.  Das Sein ansich  soll durchaus nur absolut sein, nämlich "was von aller äußeren Beziehung frei auf sich selbst beruth;" (Seite 48)  "das Dasein ist ja  seinem Wesen nach, welches nur da, d. h. in besondere Verhältnisse gefaßt(modifiziert) ist usw."

Wie hier von LOMMATSCH so ist auch gewiß von HEGEL zuviel behautet worden, wenn er geschichtlich die Lehre der Eleaten, des HERAKLIT und der Atomisten als eine Betätigung der Kategorien des  Seins, Werdens und Fürsichseins  darstellen will; aber freilich tritt bei den letzteren das Sein der Atome als ein unabhängiges, als ein Fürsichsein auf. Wie sonderbar substantiell das Nichts, der leere Raum als das Nichtseiende aufgefaßt wurde, geht aus dem Ausspruch DEMOKRITs hervor, wonach das Nichts ebenso real sei wie das Sein. Es neigte sich schon das Denken der Zeit zum Erkennen des Seins der Gedanken; der nous des ANAXAGORAS sollte sogar ordnend zu den schon vorhandenen Dingen getreten sein und Anstoß zum  zweckvollen Dasein  gegeben haben.

Mit einem raschen Sprung geriet man bei den Sophisten in die Ableugnung allen Naturseins, selbst das Sein des Guten und Schlechten sollte sich ganz nach der  subjektiven Meinung  der Menschen richten, die jenes nach Belieben festsetzen könnte. SOKRATES suchte das wahre Sein in der  objektiven Feststellung  der für alle Menschen  gültigen  Begriffe und PLATO gar verlieh allen möglichen Begriffen eine  selbständige Existenz  als Ideen; in der Begriffseinheit liege das Wahre. Er wird einerseits von dem Megarensern (EUKLID, dem Schüler des SOKRATES) beeinflußt, wonach nur das  Sichselbstgleiche, das Gute  eine wirkliche Existenz hat, das Wechselnde aber nur scheinbar existiert; aber doch sprach er auch davon (im Sophisten), man müsse dem Nichtseienden so gut wie einer falschen Meinung  eine Art von Existenz  beilegen. ARISTOTELES konnte mit einem gewissen Recht von ihm sagen (Metaphysik III, 3), er setze für jede Klasse des Seienden eine Idee. Aber aus anderen Aussprüchen des PLATO (Republik X), wonach das Sinnliche ihm nicht das Seiende, sondern  ein dem Seienden Ähnliches  ist, sieht man, daß er mit dem Begriff des Seienden immer noch in der Weise der älteren Philosophen die Vorstellung einer für sich bestehenden Welt verband. Im Gegensatz dazu spricht sich ARISTOTELES als dem höheren Sein abgewandt aus, er eifert gegen PLATOs verewigte Sinnendinge, trifft aber damit nur die zu weitgehende Erhebung aller einzelnen Sinnendinge zu besonderen Ideen. Seine später in anderem Sinne oft benutzte Unterscheidung von potenziellem und aktuellem Sein, von Stoff und Form scheint ein neues Sein, das  mögliche Sein  aufzustellen, das die Materie aus dem Nichtseienden (das sie bei PLATO ist) herausreissen soll. Der unterschiedslose Stoff gelangt durch die Form zur Wirklichkeit, wird zum  tode ti  [bestimmtes Dieses - wp] Alles ist aus  Stoff und Form  zusammengesetzt und nur dadurch  Wirkliches.  Das Potentiell-Unendliche, die Möglichkeit immer noch weiter zu gehen, erkennt er an, das Aktual-Unendliche leugnet er.

Eine Art von  Seinsmonismus  [alles Sein aus einem Grund - wp] tritt bei den Stoikern hervor.

Gott und die Welt sind ihrem Wesen nach dasselbe; von einer Seite betrachtet, erscheint es als Materie, von der anderen als Gott; die Welt also, das  zoon  besteht nicht für sich, sondern wird von Gott durchdrungen und beherrscht; auch der Neuplatonismus will möglichst die Verschiedenheit aufheben, aber hier zwischen Erkennen und Erkanntem; die Seele soll ekstatisch im Einzigen, Guten aufgehen und dadurch das Höchste schauen. Dieses Höchste soll gar  über dem Sein  stehen (PLOTIN), aus ihm geht das Übrige durch Ausströmung (Emanation) hervor, so daß eine Art von  Stufenverhältnis des Seienden  entsteht, die Vernunft ist die erste, dann folgt die Weltseele und zu unterst als das Unbestimmte, ja dadurch Nichtseiende die Materie. Die Seelen stehen zwischen dem Höheren und Niedrigeren, der Vernunft und dem Sinnlichen und sollen sich durch mystisches Schauen dem  Höchsten  zuwenden. In der christlichen Scholastik führen Nominalismus und Realismus zu keinen neuen Resultaten, der erstere erkennt nur das Einzelexistierende an und will nur Vorstellen und sinnliches Wahrnehmen statt Denken gelten lassen; der letztere erklärt, dem PLATO ähnlich, die Universalia als real, ante res [der Sache - wp]. Schließlich gelangt man wieder zu einer Annahme vom  Zusammenfallen des Denkens und des Seins. 

Wie die neuere, mit CARTESIUS beginnende Philosophie versuchte, sich wieder auf einen unabhängigen Standpunkt zu stellen, ist allgemein bekannt, es genügt, Weniges über die Auffassung des Seins anzuführen. Alles sollen wir uns zweifelnd hinwegdenken können, nur das Denken selbst nicht, es ist evident gewiß, es ist eine  Substanz.  Aber die Idee des Unendlichen in diesem Denken könne nur durch etwas wirklich Unendliches hervorgebracht sein, daraus gehe die wirkliche Existenz Gottes hervor. Er ist in  höchstem Sinne Substanz,  da er zu seiner Existenz keines anderen bedarf. Es existieren aber auch Dinge, die für ihre Existenz nur der Hilfe Gotte bedürfen: der Geist  (das Denken)  und die Körper  (das Ausgedehnte)  zerfallen freilich in völliger Verschiedenheit und haben nur eine Berührung (Geist und Körper in der Zirbeldrüse). Nur der göttliche Wille vermag diesen Dualismus zu überwinden. GEULINX erfindet die "gelegentlichen Ursachen", bei denen Gott die Übereinstimmung von körperlicher und seelischer Tätigkeit bewirkt und MALEBRANCHE will die wunderbare Tatsache, daß wir geistig seiende Ideen von materiellen Dingen haben, dadurch erklären, daß wir  in der absoluten Substanz,  in Gott die Außenwelt schauen, da beide Teile mit Gott als Drittem verbunden sind. SPINOZA hebt den Widerspruch mehrerer Substanzen auf, indem er nur Gott als die unendliche sein läßt. Da bei SPINOZA noch der Drang, das eigentliche Sein zu ergründen, die wichtigste metaphysische Frage, im Vordergrund steht, während dann bald der Unterschied von Realismus und Idealismus, die Frage nach Körper und Geist, ja nach dem Sein der einzelnen Seele und des Leibes das Wichtige ist, so erscheint es richtig, etwas näher auf SPINOZA einzugehen. Er versteht (2)
    "unter Substanz das, was in sich ist und durch sich vorgestellt wird, d. h. das, dessen Vorstellung nicht der Vorstellung eines anderen Gegenstandes bedarf, von welcher sie gebildet werden muß." "Unter Gott (Def. 6) verstehe ich das unbedingt unendliche Wesen, d. h. die Substanz, welche aus unendlich vielen Attributen besteht, von denen jedes eine ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt." Dabei ist (Def. 4) "Attribut das, was der  Verstand  von der Substanz als das  erfaßt,  was ihr Wesen ausmacht." "Zur Natur des Substanz (Lehrsatz 7) gehört  das Dasein." 
Das Dasein selbst wird nicht erklärt, vielmehr (in Def. 1) die Ursache als das bezeichnet, dessen Wesen das Dasein einschließt oder dessen Natur als Daseiend vorgestellt werden kann; und es wird in Lehrsatz 7 "bewiesen", indem es heißt: "die Substanz wird deshalb die Ursache von sich sein d. h. ihr Wesen enthält notwendig das Dasein". Das  Endlichsein ist für ihn eine teilweise Verneinung,  jedes Substanz ist unendlich. Je mehr  Realität oder Sein  eine Sache habe, umso mehr Attribute kämen ihr zu (Lehrsatz 9). Das Wesen der von Gott hervorgebrachten Dinge schließt das Dasein derselben nicht ein (Lehrsatz 24); denn das, dessen Natur dieses Dasein einschließt, sei Ursache seiner selbst (nach Def. 1), Gott sei also auch Ursache, daß die Dinge fortfahren zu sein (causa essendi [Seinsgrund - wp]). Der Mensch denkt (II A 2) und das Denken ist ein Attribut Gottes (L 1); aber Geist und Materie sind nur Attribute, werden vom Verstand als das erfaßt, was das Wesen der Substanz ausmacht. Die endlichen begrenzten Einzeldinge haben  kein selbständiges Sein,  sondern gehören nur zur produktiven Tätigkeit der Substanz. Gott ist die wirkende Ursache nicht bloß vom Dasein, sondern auch vom Wesen der Dinge (I. Lehrsatz 25), Vollkommenheit und Qualität ist ihm ein und dasselbe (II. Def. 6), nämlich (IV, Vorrede) das Wesen jeder Sache, sofern sie in bestimmter Weise existiert und wirkt. SPINOZA vermag nicht das einzelne aus dem allgemeinen Sein abzuleiten, es führen bei ihm die Betrachtungen des einzelnen wie die Fußstapfen in die Höhle des Löwen hinein, in das Absolute, aber nicht heraus. Auch die folgenden Philosophien vermögen solche Ableitung, so einen Zusammenhang nicht zu geben, der Zwiespalt des Geistigen und Körperlichen beschäftigt sie unauhörlich; die Anfänge der neueren Philosophie seit CARTESIUS erlauben nicht mehr den Gegensatz dieser beiden Gebiete zu leugnen, die  Realisten  beachten besonders die Deutlichkeit der sinnlichen Erfahrungen und suchen das  Geistige mit in das Materielle  einzuordnen,  den Idealisten  erscheinen die geistigen Erfahrungen als die ersten und wichtigsten, sie ordnen die Erfahrungen von der materiellen Welt ihnen unter oder fassen sie gar auch als ein niedrigeres Geistiges.

Nach LOCKE ist uns die Substanz, welche in uns durch die Sinne die Ideen hervorbringt, unbekannt, aber sie wirken auf die tabula rasa, die Seele und diese ist wahrscheinlich auch in materieller Weise zu fassen. HUME  leugnet  auch noch die Richtigkeit einer  Annahme einer Substanz  und damit auch die des  Ich,  was nur ein Komplex aufeinander folgender Vorstellungen  sein  soll das Buch  systéme de la nature  ließ nur noch das Materielle und die Bewegung existieren, Denken und Wollen sind Modifikationen körperlicher Organe. In der durch LEIBNIZ begründeten neueren idealistischen Richtung gehört die Materie als verworrene Vorstellung zum Geistigen, das Wesen der Substanz ist die tätige Kraft wie die eines gespannten Bogens, es  gibt  unzählig viele, sämtlich unter sich verschiedene  Monaden,  die stets tätig sind als vorstellende  Wesen verschiedenen Ranges.  Geist und Körper, die so verschieden sind, können wie überhaupt die Monaden nicht in Wechselwirkung stehen, die prästabilisierte Harmonie soll das Wunder der gegenseitigen Beziehung aller Vorgänge in den Monaden, die scheinbare Wechselwirkung besorgt haben. Bei BERKELEY "sind" nur noch unsere Empfindungen, der Schluß auf anderes, materiell Bestehendes ist falsch, Gott bringt die Empfindungen in uns hervor; in ihm sind sie schon als Urbilder vorhanden.

KANT untersucht mit der Schärfe des Kritizismus die vielen Irrungen und Widersprüche, die sich in den metaphysischen Betrachtungen vom Seienden ergeben haben sollen, er läßt auch noch das  Ding ansich existieren,  welches durch seine Einwirkung den Inhalt der Erkenntnis veranlaßt, während das Ich ganz und gar die Form gibt. Die Dinge der uns bekannten Welt sind nicht die Dinge ansich, aber sie  sind,  sie haben  empirische Realität,  aber transzendentale Idealität. Er interessiert sich für das Ding ansich gar nicht weiter, weil wir ja nichts von ihm weiter wissen könnten, destomehr aber für die Formen der Erkenntnis. Auch daß wir überhaupt von der Realität, von Wirklichkeit, vom Sein sprechen, ist bedingt durch die Formen unseres Denkens, die Kategorien; die Zeit spielt bei der Formung der empirisch-realen Welt als Anschauungsform eine große Rolle. Der Gegensatz von real und ideal bezieht sich auf unsere Erkenntnis, nur dieses Sein interessiert ihn weiter, nachdem er einmal das  Sein des Dings ansich  zwar behauptet hat, aber nichts weiter darüber will aussagen können. Wie die Zeit mitwirkt zur Bildung der empirischen Realität, sagt uns das "Schema", das Schema der Wirklichkeit ist das Dasein des Gegenstandes in einer bestimmten Zeit, die Kategorien der Modalität sagen, ob und wie ein Gegenstand zur Zeit gehört.  Das Reale  wird  im Gegensatz zur Negation gefaßt  und Limitation, das  Wirkliche  als Begriff im Gegensatz zur Möglichkeit' (Unmöglichkeit) und Notwendigkeit (Zufälligkeit). Man setzt im kategorischen Urteil das Ding als ein Beharrendes, um überhaupt verschiedene Zustände daran zu begreifen. Recht treffend heißt es in einer neueren Darstellung der kantischen Lehren (3).
    "Es ist also nicht die Vorstellung überhaupt, nicht der seelische Prozeß bloß als solcher, der für KANT das Sein in der naiven metaphysischen Auffassung verdrängt, sondern das Vorstellen der Erfahrung und Wissenschaft; nicht einfach das Bewußtseinsbild des Gegenstandes tritt an die Stelle des Gegenstandes, sondern sein intellekturell geprüftes Bild, das theoretisch gültige Bewußtsein, das jede Einzelheit erst akzeptiert, wenn er sie als notwendig begreift." - "Aber ebensosehr fehlt in ihr (dieser theoretischen Philosophie), so sehr sie eine Philosophie der Objektivität ist, das eigentliche Problem des Seins überhaupt, das lyrisch gestimmte Philosophen im tiefsten erregt. In SPINOZA, der alle Dinge in die Substanz, d. h. in das absolute Sein auflösen will, ist ein unstillbarer Durst nach Sein, er perhorresziert [lehnt ab - wp] alle qualitative, singuläre Bestimmtheit, weil sie Verneinung des absoluten Seins ist. Für SCHOPENHAUER umgekehrt ist  das Sein als solches das Böse und Unerträgliche. Beiden ist das Sein ein Wertbegriff.  KANT aber kennt weder eine Leidenschaft dafür usw."
 Die Vernunftideen haben für KANT ein Sein eigentümlicher Art,  sie sind gewiß und wahr  durch innere Erfahrung;  im Sittengesetze, im "Du kannst, denn du sollst!" steckt ein unmittelbares Vorhandensein,  es ist, denn es ist eine wirkliche Macht,  wenn auch die Kritik der reinen Vernunft auf die spekulativen Beweise für Unsterblichkeit, Dasein Gottes als unmöglich verzichtet.

FICHTE macht aus dem Kritizismus einen sehr weitgehenden Idealismus, obgleich er ihn auch als kritisch und die eigentliche Vollendung, den eigentlichen Sinn des kantischen Kritizismus betrachtet. Wie jedem selbständigen Denker auffällig ist, daß KANT das Sein zwar kategorisch als Denkeigenschaft des Geistes hinstellt, aber doch ein Ding ansich, unabhängig vom Denken sein läßt, so wirft FICHTE das Sein dieses Dings außer dem Ich ganz fort und beginnt bereits eine Art von konstruierender Philosophie, indem das Ich ein Sein hat und nun sein eigenes  Sein setzt  und als Gegenteil dazu das Nichtich  setzt,  damit also in Wahrheit nicht aus dem großen allgemeinen Ich herausgeht. Charakteristisch ist eine Stelle (4):
    "A = A ist ohne Zweifel ein logisch richtiger Satz und insofern er das ist, ist seine Bedeutung die:  wenn A  gesetzt ist, so ist  A  gesetzt. Es entstehen hierbei die zwei Fragen: Ist denn  A  gesetzt? - und inwiefern und warum ist  A  gesetzt, wenn es gesetzt ist - oder, wie hängt jenes Wesen und dieses So überhaupt zusammen? Setzet:  A  in obigem Sinn bedeute Ich und habe also seinen bestimmten Gehalt, so hieße der Satz zuförderst: Ich bin Ich: oder wenn ich gesetzt bin, so bin ich gesetzt. Aber weil des Satzes Subjekt das absolute Subjekt, das Subjekt schlechthin ist, so wird in diesem einzigen Fall, mit der Form des Satzes zugleich sein innerer Inhalt gesetzt: Ich bin gesetzt, weil ich mich gesetzt habe.  Ich bin, weil ich bin." 
SCHELLING als Schüler FICHTEs schließt sich zuerst eng an diesen an, verändert aber allmählich und immer mehr seinen Standpunkt. Der Natur räumt er eine Selbständigkeit des Seins ein, es soll nicht nur die Harmonie ein auf die Natur übertragener Gedanke sein; die  Natur  faßt er dann organisch, als eine Art von erloschenem Geist auf. Es soll ursprünglich eine (!) Tätigkeit sein, welche in der Welt ohne Bewußtsein und im Geist mit Bewußtsein tätig ist. Das  Denken und Sein  faßt er immer mehr als  identisch  (Identitätsphilosophie). Schließlich gelangt er dahin, die Vernunft für das Absolute zu erklären, es soll kein einzelnes Sein, kein einzelnes Ding ansich existieren. Er erklärt seine Methode selbst für Konstruktion, nämlich nachzuweisen, wie im einzelnen sich immer das Absolute zeigt und ausdrückt. In seiner letzten Periode aber will SCHELLING die Entwicklung der Welt als eine Entwicklung Gottes lehren, den er nicht mehr bloß pantheistisch faßt, sondern sich in Potenzen des Seins entwickeln läßt, dem  - A,  das noch nicht ist, aber  sein kann,  doch auch Ansichsein genannt werden kann oder Subjekt des Seins, dem  + A,  die Vereinigung des Subjektiven und Objektiven des Seins, den Geist. Es soll gezeigt werden, wie durch Spannung die Potenzen sich entwickeln, vom  - A  aus, das als Seiendes gesetzt wird. Bei HEGEL wird das Reale und Ideale, welches sich in den früheren Lehren SCHELLINGs noch gegenübersteht, unter das Absolute geordnet, aber das  Absolute ist Entwicklung,  nicht eine Art von totem Sein; die Wissenschaft soll alles im Zusammenhang begreifen, das Sein soll schließlich auf der obersten Stufe nicht mehr Gegenstand des Denkens sein, sondern das Denken selbst soll dies sein. Man sieht, wie immer noch der Begriff des äußeren Seins vorkommt, wenn auch bekämpft wird. Man muß HEGELs eigene Worte hören, um zu verstehen, wie sich diese Art von Konstruieren der Philosophie einbildet aus dem Nichts ohne Voraussetzungen entwickeln zu können. Er sagt (5):
    "Der Anfang der absoluten Wissenschaft muß selbst absoluter Anfang sein, er darf nichts voraussetzen." "Der Anfang ist also das reine Sein", "Sein, sonst nichts, ohne alle weitere Bestimmung und Erfüllung". (Seite 12) "Es ist nichts vorhanden als das reine Sein als Anfang. In dieser Bestimmung: als Anfang,  ist  die reine Unmittelbarkeit' etwas Konkreteres und es kann analytisch entwickelt werden, was in ihm unmittelbar enthalten ist, um zu sehen, wohin dies weiter führe." Dann soll von diesem reinen Sein als Anfang die Bestimmung des Seins wieder fortgelassen werden: "Es ist somit nichts vorhanden als der Anfang selbst und es ist zu sehen, was er ist. Es ist noch nichts und es soll etwas werden. Der Anfang ist nicht das reine Nichts, sondern  ein Nichts, von dem etwas ausgehen soll; es ist zugleich das Sein schon in ihm enthalten.  Der Anfang enthält also beides, Sein und Nichts; es ist die Einheit von Sein und Nichts; - oder ist Nichtsein, das zugleich Sein und Sein, das zugleich Nichtsein ist". Dann wird das Sein in drei Bestimmungen gesetzt, Qualität, Quantität, Maß. Es entsteht das Dasein,  "es ist das Dasein  (Seite 29) der reale Unterschied von Sein und Nichts, ein Etwas und ein Anderes". "Es ist eine Täuschung, daß wir den Unterschied bloß auf das Sein oder Nichtsein hinausschieben, ob ich die hundert Taler habe oder nicht habe. Diese Täuschung beruth auf der einseitigen Abstraktion, die das  bestimmte Dasein,  das in solchen Beispielen immer vorhanden ist, wegläßt und bloß das Sein und Nichtsein festhält." HEGEL glaubt das Werden so entwickeln zu können (Seite 32): "Das  Werden ist das Bestehen des Seins  so sehr als des Nichtsseins." Vom Dasein kommt er auf das  "Sein für  anderes." Das Dasein soll in anderes übergegangen sein. "Das Dasein verschwindet also nicht in seinem Nichtdasein, in seinem Anderen; denn dieses ist das Andere seiner selbst; und das Nichtdasein ist selbst Dasein. Das Dasein erhält sich in seinem Nichtdasein, es ist wesentlich eins mit ihm und wesentlich nicht eins mit ihm. Das Dasein steht also in Beziehung auf sein Anderssein;  es ist nicht rein sein Anderssein ... es ist Seinfüranderes." 
Dies zu hören hat für uns auch insofern Wert, als wir daran lernen, daß man mit solchen Redensarten wie: "es ist  nicht rein  sein Anderssein" nichts Neues zurechtkonstruieren darf, ebenso seine weiteren Entwicklungen, wie, daß das Wesen in sich gebrochenes Sein sein soll oder das Sein als Scheinen in sich selbst. Wir finden eher genießbar, wenn nach ihm die Objektivität nicht das Sein überhaupt ist, sondern ein bestimmtes, freilich begrifflich bestimmtes Sein und das Erkennen ein Sichwiederfinden des Begriffs in der Objektivität, aber wir werden abgeschreckt, die Seinsarten auseinander zurechtkonstruieren zu wollen, so sehr wir auch den Drang anerkennen müssen, Vermittlungen, einen Zusammenhang zu suchen.
LITERATUR - Kurt Geissler, Über Lehren vom Wesen des Seins, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 29, Leipzig 1905
    Anmerkungen
    1) Die Weisheit des Empedokles, philosophisch bearbeitet von B. C. LOMMATSCH, Berlin 1830
    2) SPINOZA, Ethik I; Definition 3
    3) GEORG SIMMEL, Kant, 16 Vorlesungen, gehalten an der Universität Berlin, Seite 75
    4) J. G. FICHTE, Über den Begriff der Wissenschaftslehre, Jena und Leipzig 1798, Seite 43
    5) F. W. G. HEGEL, Wissenschaft der Logik I, Die objektive Logik, Nürnberg 1812, Erstes Buch: Das Sein, Seite 7