Wortbildung u. WortbedeutungKinderspracheWortbedeutungen beim Kinde | ||||
Unbestimmter Wortgebrauch
Bei Gegenüberstellung solcher Sätze, die dem Wortlaute nach sich durchaus sich widersprechen, aber doch im jeweiligen Zusammenhange richtig verstanden ihren guten Sinn haben, springt wohl jedermann die Vieldeutigkeit der fraglichen Ausdrücke in die Augen. Das wirkliche Vorhandensein der Dreiecke mit einer Winkelsumme von zwei Rechten ist ein anderes als das des Regenbogen, und ein anderes als das eines Stuhles. Und wenn ein philosophischer Idealist nur dem "Ding an sich" eigentliche und wirkliche Existenz zuspricht, der wahrgenommenen Körperwelt aber als "Erscheinung" nur ein Sein in unserer Vorstellung anweist, so muß er diese Worte natürlich in völlig anderem Sinne gebrauchen, als wenn ers ie auf ZEUS oder auf abstrakte Gebilde oder auf Sinnestäuschungen oder auf Halluzinationen bezieht. Trotzdem wird bei Untersuchungen und Debatten über die Existenz gewisser Erscheinungen die Bedeutung des Seinsbegriffes kaum jemals vorher besprochen und festgestellt. Man verfolge den tatsächlichen Verlauf von dergleichen Streitigkeiten: ob es eine Seele, einen Gott, einen Teufel gäbe; ob Kräfte, Atome, ein "Ding an sich" tatsächlich vorhanden seien; ob man Geistern und spiritistischen Manifestationen Realität zusprechen dürfe; ob imaginäre Zahlen oder Differentiale wirklich existieren usf. Immer wird man finden, daß gerade der Sinn des Seins als ganz selbstverständlich und unzweideutig klar vorausgesetzt wird. Bedenkt man vollends die Rolle, welche der Seinsbegriff allezeit in der Philosophie gespielt hat vom reinen Sein der Eleaten an bis zur modernen Erkenntnistheorie; denkt man etwa an die jahrhundertlangen Fehden der Nominalisten und Realisten über die Existenz der Allgemeinbegriffe oder an die Logik HEGELs, die ausgeht vom Sein, das identisch ist mit dem Nichts und übergeht in das Dasein und dann in das Für-sich-sein usf.; dann wird mann die Behauptung nicht übertrieben finden, daß die Worte Sein und Existieren zu den vieldeutigsten und unklarsten gehören, die wir überhaupt besitzen. Sogar die sog. Kopula "ist" hat mehrfache Bedeutung, und diese Tatsache hat selbst berühmte Logiker irregeleitet. STUART MILL schreibt in dem Kapitel seiner "Logik", das über abstrakte und konkrete Namen handelt, den seltsamen Satz: "Weiß ist der Name eines Dinges oder vielmehr von Dingen; Weiße ist der Name einer Eigenschaft oder eines Attributes dieser Dinge."Man versteht zuvörderst nicht recht, was es bedeutet, daß weiß der Name von Dingen und nicht einer Eigenschaft sein soll, aber die Erklärung liegt in den folgenden Sätzen: "Wenn wir sagen: Schnee ist weiß, Milch ist weiß, Leinwand ist weiß, so wollen wir damit nicht verstanden haben, daß Schnee, Milch oder Leinwand eine Farbe sei; wir meinen, daß sie Dinge sind, welche diese Farbe besitzen. Das Umgekehrte ist der Fall bei dem Worte Weiße. Nicht vom Schnee, sondern von der Farbe des Schnees behaupten wir, daß sie Weiße sei. Weiße ist dahre ausschließlich der Name der Farbe: weiß aber ist ein Name aller Dinge, die die Farbe haben; ein Name nicht der Eigenschaft Weiße, sondern eines jeden weißen Gegenstandes."Ich meine, daß diese ganze wunderliche und künstliche Gleichsetzung von weiß und weiße Dinge nur auf der ganz irrtümlichen Voraussetzung beruht, daß ist immer dieselbe Bedeutung hat und die Unterordnung zweier Begriffe anzeigt. Aber die Kopula spielt eine mehrfache logische Rolle und drückt ganz verschiedene Beziehungen aus. In den Sätzen:
Angesichts der großen Vieldeutigkeit des sprachlichen Ausdrucks erscheint die Frage nicht unberechtigt, wie denn eine Verständigung überhaupt möglich sei. Woher weiß der Hörer im bestimmten Einzelfalle, welche von den denkbaren, oft zahlreichen Bedeutungen eines Wortes der Redende zum Ausdruck habe bringen wollen? Für die gröbere Polysemie (Vieldeutigkeit) ist die Antwort nicht schwer: Es ist schon das Milieu, indem ein Wort fällt, dann aber vor allem der Zusammenhang der Rede, der für die richtige Auffassung die nötige Richtlinie gibt. Oft genügt die Kenntnis des allgemeinsten Gedankenkreises, in dem ein Wort zur Verwendung kommt, oder allein das Bewußtsein, von welcher Person oder unter welchen äußeren Umständen es gebraucht wird, um ein unmittelbar richtiges Verständnis zu bewirken. Es ist selbstverständlich, daß das Wort Ehe im Munde eines Anthropologen etwas anderes besagt als im Mund eines Priesters. Und jeder erzeugt ganz unwillkürlich andere Vorstellungen, wenn das Wort Operation in einer chirurgischen Klinik, auf einem Manöverfeld oder in einer mathematischen Lehrstunde ertönt; oder das Wort "Fuchs" in einer Reitbahn, auf der Jagd oder unter Studenten. Oft ist schon die Beifügung von ein oder zwei Attributen oder die Bildung eines einfachen Satzes für die richtige Deutung eines Wortsinnes völlig ausreichend. Man vergleiche: ein beschriebenes Blatt, ein liberales Blatt und ein verwelktes Blatt; ein tödlicher Stich und ein DÜRERscher Stich; das Sprengen einer Straße und das Sprengen eines Felsens; eine Ausschußsitzung und Ausschußware. Die Wortbedeutungen bedingen sich gegenseitig und schränken einander ein. Und es ist ebenso richtig zu sagen, daß der Sinn der gebrauchten einzelnen Ausdrücke vom Sinn des ganzen Satzes abhängig sei, wie daß der Sinn des Satzes von der Bedeutung der gebrauchten Worte abhänge. Man vergleiche die Sätze:
Insofern heißt "Worte verstehen" soviel wie: ihren Sinn aus dem Zusammenhang erschließen oder erraten. Und dazu bedarf es immer eines gewissen Entgegenkommens: man muß die Ausführungen eines Redners oder Autors auch in seinem Geiste verstehen wollen. Die Kunst aber, unzweideutig klar zu sprechen oder zu schreiben, besteht darin, Wörter und Wendungen so zueinander zu fügen, daß sie sich gegenseitig eindeutig machen, daß sie den Hörer oder Leser zwingen, , jeden Ausdruck nur im gewollten Sinn aufzufassen, ohne daß eine Überlegung oder ein Wahlakt zwischen den verschiedenen Sonderbedeutungen eines Wortes nötig wäre. In Dichtungen und bei rechnerischen Leistungen, kurz überall da, wo es weniger darauf ankommt, Einsichten zu vermitteln, als die Phantasie anzuregen und auf den Willen zu wirken, bildet der unbestimmte Wortgebrauch die Regel, und die Vieldeutigkeit der Worte spielt keine störende Rolle. Dasselbe gilt auch im allgemeinen von der Sprache des Alltags. Hierdurch verführt, meinen dann freilich viele, sie könnten auch dann Grenzgebiete und Untergrenzen der Worte außer acht lassen, wenn es sich darum handelt, Erkenntnisse zu vermitteln und Sätze zu formulieren, die wenigstens annähernd Urteile im Sinne der Logik sein sollen. In solchen Fällen kann man von einem verworrenen Wortgebrauch reden und ihn ausdrücklich dem unbestimmten gegenüberstellen. Es ist das jener Wortgebrauch, bei dem der Sprechende zwar bestimmte Aussagen machen will und solche auch zu machen glaubt, tatsächlich aber ununterbrochen die engeren Wortbedeutungen verwechselt und unklar zwischen den verschiedenen Wortgrenzen hin und her schwankt. Logisch Ungeschulte sind naturgemäß an die Tatsache gewöhnt, daß für ihre Zwecke der unbestimmte Wortgebrauch ausreicht: sie meinen dabei die Sprache völlig zu beherrschen und haben keine Vorstellung von den Schwierigkeiten einer exakten und folgerichtigen Ausdrucksweise. Indem sie die Sprache als Verständigungsmittel überschätzen, huldigen sie dem naiven Glauben, als müsse jeder beim Hören ihrer Worte denselben vagen Komplex von Vorstellungen erzeugen, der ihnen beim Gebrauch der fraglichen Ausdrücke zufällig durchs Bewußtsein zog. Für diese ist, falls sie einmal exakt reden wolen oder sollen, der verworrene Wortgebrauch durchaus der natürliche; er ist aber auch bis in alle Kreise der wissenschaftlich Gebildeten in Übung. Es wird wenig Aufsätze in Wochenschriften, wenig Leitartikel in Tagesblättern, wenig Reden in Parlamenten und Versammlungen geben, die nicht zahlreiche Beispiele für diesen verworrenen Wortgebrauch lieferten. Man redet vom "Liberalismus" und meint bald eine abstrakte politische Lehre, dann wieder eine oder mehrere nur historisch zu begreifende Parteien oder ihre Führer. Die Einheit des Wortes verleitet dazu und erleichtert es, den "Liberalismus" verschiedener Zeiten und Völker wesensgleich zu setzen, und so bezieht man Aussagen, die den Liberalismus von 1848 treffen, auf den heutigen und solche, die für den deutschen einen Sinn haben, auf den französischen; wodurch es natürlich unmöglich wird, sowohl vom liberalen wie vom gegnerischen Standpunkte aus alles Wünschenswertes zu beweisen oder zu widerlegen. Hier ist der Boden, wo alle Arten von Trugschlüssen üppig gedeihen. Wer freilich nur die in den schulmäßigen Darstellungen der Logik gewöhnlich gegebenen rohen Beispiele für die "quaternio terminorum" (1) im Auge hat, wird kaum geneigt sein anzunehmen, daß ein sehr großer, vielleicht die größere Zahl aller Schlüsse nur durch die Vieldeutigkeit des sprachlichen Ausdrucks möglich wird. Wer aber den Blick sich schärft und seine Aufmerksamkeit darauf einstellt, wird allenthalben feine und rohe, bewußte und unbewußte Trugschlüsse feststellen können. Mit naiver Unklarheit und Denkunfähigkeitv vereinigen sich oft noch Rechthaberei und Überzeugungswut, um die natürlichen Unvollkommenheiten der Sprache zur Erschleichung von Behauptungen und Durchführung von Scheinbeweisen auszubeuten. Nicht auf Grund einer bestimmten Wortbedeutung wird eine Behauptung auf gestellt, sondern um der Behauptung willen wird die Bedeutung eines Wortes künstlich eingeschränkt oder erweitert. Zumal bei Deduktionen, die die Rettung irgendeines Prinzips bezwecken, werden im freudigen Drange der Beweisführung die Wortgrenzen je nach Bedürfnis bald hierhin, bald dorthin geschoben. Man verfolge etwa den Gang einer Abhanglung von der Art, ob Wunder mögliche seien. Da wird zunächst die Bedeutung des Wortes Wunder sehr weit gefaßt: es wird alles darunter verstanden, was sich nicht erklären läßt. Und da man eine Kausalreihe nicht ins Unendliche verfolgen kann, ist natürlich in einer Hinsicht jede Naturerscheinung ein Wunder. Ist aber einmal die Prämisse von der Existenz der Wunder anerkannt, dann wird plötzlich unter dem fraglischen Worte ein Ereignis verstanden, das gegen die Regelmäßigkeit der Naturgesetze verstößt, und es wird die Fiktion aufrecht erhalten, als seien auch diese Wunder schon zugegeben. Die Verwandlung einer Apfelblüte in einen Apfel ist "wunderbar" und geschieht doch täglich, also ist das Wunder möglich, daß der Apfelbaum Kirschen trägt. Dergleichen Deduktionen werden aber tausendfältig täglich und stündlich geübt und ebensooft überzeugt entgegengenommen. Und daß es selbst in der Wissenschaft oft nicht anders zugeht - welcher Unbefangene möchte dies leugnen? Der Wortwert Nach alledem ist es auch selbstverständlich, daß Vieldeutigkeit, zumal die feinere, die Quelle zahlloser Streitigkeiten und Mißverständnisse bildet. Aber so allgemein diese Binsenwahrheit auch in der Theorie zugegeben wird: in der Praxis werden aus ihr die Folgerungen nicht gezogen. Täglich, stündlich streitet man nur um Worte. Es ist wirklich staunenswert, wie selten bei Meinungsverschiedenheiten die Gegner auf die vom anderen beliebte Abgrenzung der Wortbedeutung eingehen, wie selten ein Unterschied in der Terminologie überhaupt bemerkt wird, mag er noch so klar zutage liegen. "Jeder hat die Fehler seiner Tugenden." Dieser Ausspruch der GEORGE SAND gilt auch von der Sprache. Polysemie (Vieldeutigkeit) ist sicherlich ein Zeichen für Blühen und Wachstum der Sprache; sie ist ein Zeichen für die Regsamkeit und Anpassungsfähigkeit des Volksgeistes. Aber sie bleibt deshalb doch die Quelle zahlloser Irrtümer und ewiger Mißverständnisse. Faßt man nur die Zwecke der Erkenntnis und ihrer Vermittlung ins Auge, so erscheint die Sprache als ein sehr unvollkommenes Werkzeug. Aber freilich: die Sprache ist auch nicht allein um der Wissenschaft willen da. Sie ist aus praktischen Bedürfnissen erwachsen und dient ihnen heute auch noch in erster Linie; wohl paßt sie sich mehr und mehr feineren und höheren Zwecken an, aber zu ihnen gehören nicht bloß wissenschaftliche, sondern auch künstlerische. Poesie aber und Redekunst verlangt von den Wörtern andere Eigenschaften, als daß sie unzweideutige und scharfumrissene Begriffe darstellen. Und so ist es nur verständlich, daß das Werkzeug, das den Bedürfnissen des Alltags in ausgezeichneter Weise dient, das auch gleichzeitig mannigfachen anderen Zwecken in ausreichender Weise genügt, unmöglich auch noch den Ansprüchen einer verwickelten Denkarbeit gewachsen sein kann, wie sie doch nur von einem sehr kleinen Bruchteil des Menschengeschlechts betrieben wird. Aber seltsam ist es, daß so wenige diese Tatsache beachten und Folgerungen für die Praxis aus ihr zu ziehen vermögen. Nur aus dem Doppelcharakter der Aussage und der Trägheit des Gefühlswertes ist die Erbitterung und Hartnäckigkeit zu verstehen, mit der vielfach der Streit um den Namen, der Kampf ums Wort geführt wird. Käme es nur auf den begrifflichen Inhalt der Wörter und auf Feststellung objektiver Tatsachen und unzweideutige Verständigung an, so wäre die Benennung eine sehr gleichgültige Sache. Warum sollte man sich nicht ebensogut dieser wie jener Terminologie, dieser oder jener Wortabgrenzung anbequemen? Was liegt am Namen? "Name ist Schall und Rauch!" Aber am Worte haften auch Werte. Und so ist der Streit ums Wort auch dann ein Kampf um den Wert, wenn scheinbar nur vom begrifflichen Inhalt geredet wird. Wortstreitigkeiten, wie die angeführten über Revolution und Evolution, über Dilettantismus und Naturalismus usf., laufen größtenteils auf eine mehr oder minder heimlich oder mehr oder minder unbewußte Einschmuggelung und Erschleichung von Lob und Tadel hinaus. Man denke an Sätze wie: "Architektur ist keine Kunst", "Theologie ist keine Wissenschaft", "Sozialismus ist eine Religion, aber kein politisches Programm", "LESSING war kein Dichter" usf. Man kann sie bejahen, man kann sie verneinen, wie man will - je nach dem Sinn, den man den in Rede stehenden Wörtern unterlegt. Kämen nur die objektiven Urteile in Frage, so wäre die Verständigung leicht. Aber "Kunst" und "Dichter" sind auch Wertprädikate - und so wird die Hartnäckigkeit verständlich, mit der man sich nur auf eine Benennung versteift. Im übrigen streitet man ja selten genug um reine Erkenntnisse und Einsichten, man kämpft um "Überzeugungen". Und ein tiefer Grund, daß diese Kämpfe ebenso unvermeidlich wie erfolglos sind, liegt ja gerade darin, daß Urteile und Beurteilungen auf das innigste verwachsen sind; so daß man an einer Behauptung wohl dieses und jenes, nicht aber alles widerlegen oder beweisen kann. Unsere politischen und religiösen Glaubenssätze, unsere Kulturideale und Lebensanschauungen sind stets komplizierte Gewebe von Urteilen und Beurteilungen; sie sind hier das Ergebnis objektiver Einsichten und Erfahrungen, dort wurzeln sie in unserem Charakter und Temperament, im individuellen Geschmack, in unausrottbaren Sympathien und Antipathien. Insofern aber eine Überzeugung aus dem Kern der Persönlichkeit fließt, ist es sinnlos, sie mit Gründen anzufechten; ebenso sinnlos wie jemanden mit Gründen eine leidenschaftliche Liebe oder physischen Hunger aus- oder einreden zu wollen. Freilich vermeidet man heutzutage gern die Erörterung letzter Fragen, man diskutiert nicht über Pessimismus und Optimismus oder darüber, welches die beste Staatsform sei, oder ob die Kultur das Glück fördere oder zerstöre. Aber doch liegen die stillschweigen gegebenen Antworten solcher Fragen als Voraussetzungen Tausenden von Sätzen zugrunde, über die wir ernstlich debattieren. "BISMARCKs Politik war die einzig richtige" - oder "sie war doch im Grunde genommen verfehlt" - welch falsche Voraussetzungen schließen doch dergleichen Sätze ein: wie aussichtslos die Hoffnung auf eine Verständigung! |