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HANS G. FURTH
Denken und Sprache

Funktion der SpracheDer Gruß vor der Flagge, die Freude an Musik, das Sichversammeln am Tisch zu einer Mahlzeit, der Titel bei einem Namen... sie alle haben symbolischen Charakter.

Wissen selbst kann ebensowenig wie Denken beobachtet werden, da es per definitionem ein innerer Vorgang oder Zustand ist. Gibt es irgendein Kriterium, das inhärent mit Denken verbunden und gleichzeitig objektiv beobachtbar ist? Es gibt eine Art von Wissen, die mit objektiven Symbolen verknüpft ist, das heißt, mit Zeichen, die von der wissenden Person hervorgebracht werden oder hervorgebracht werden können und sich indirekt über das wissende Individuum auf den bezeichneten Gegenstand beziehen.

Eine andere Art von Wissen ist mit Stichworten oder Stimuli verbunden, die von außen gegeben werden und sich direkt auf den bezeichneten Gegenstand beziehen. Diese zweite Art von Zeichen wird Signal genannt. Verhalten, das mit Signalen, im Unterschied zum Verhalten, das mit Symbolen verknüpft ist, scheint nicht die dazwischenliegende Vermittlung eines wissenden Organismus zu erfordern.

Die Gegenwart eines Signals, z.B. der Gestalt eines sich bewegenden Objekts, wird nur in direkter Verbindung mit der Reaktion, die es hervorruft, festgestellt, z.B. Angstreaktionen bei bestimmten Tieren. Die Gegenwart eines Symbols aber - wie etwa eine Zeichnung oder eine geschriebene Botschaft - kann ohne eine bestimmte äußere Reaktion erkannt werden. Ein Symbol allein beweist, daß in einem lebendigen Organismus ein Zustand des Wissens besteht. Welches Ereignis ein Symbol auch immer bezeichnen mag, diese Relation kommt nur durch die Vermittlung eines wissenden Individuums zustande. Symbole sind im menschlichen Leben im Überfluß vorhanden. Wenn man das Symbol und die symbolischen Aktivitäten des Menschen insgesamt untersuchen möchte, muß man den besonderen Wissensmodus erkennen, der menschliches Symbolverhalten charakterisiert.

Die Grundlage jeglicher lebendigen Erfahrung, der fundamentale psychologische Akt im Prozeß der Anpassung oder des Lernens ist das, was JAMES die Empfindung der "Identität" oder Gleichheit nannte. Durch Erfahrung zu lernen, selbst im einfachsten Lebensmodus, heißt, in ähnlicher Weise auf ähnliche Reizarten zu reagieren; ein Ereignis, auf das reagiert wird, nicht als völlig neu, sondern als in mancher Hinsicht vertraut zu empfinden. Die Identitätsreaktion liegt ebenso Instinktverhaltensmustern zugrunde wie dem Reizersatz beim konditionierten Lernen und allen Arten von Verhaltensgeneralisierungen. Sie ist auch die Wurzel jeglichen Wissens. JAMES nenn diese Empfindung für Gleichheit "den eigentlichen Träger und Rückhalt unseres Denkens". Und er fügt hinzu, daß dieser Gleichheitssinn nur auf die Ansicht über die Geistesstruktur zutrifft.
    "Wir philosophieren nicht, sondern wir psychologisieren. Das heißt, es kümmert uns nicht, ob es bei den Dingen eine wirkliche Gleichheit gibt oder nicht oder ob sich der Geist in dieser Annahme täuscht oder nicht ... Ohne die psychologische Empfindung für Identität könnte aus der äußeren Welt Gleichheit auf uns niederregnen, und wir wären um nichts klüger."
Es ist faszinierend festzustellen, daß die wesentlichsten Merkmale der intellektuellen Struktur nach PIAGET in enger Beziehung zu diesem Begriff der Gleichheit stehen. Für PIAGET ist die allererste Manifestation der sich entwickelnden Intelligenz die Objekt-"Konstanz", die Fähigkeit, auf Dinge, die bekanntermaßen außerhalb sind, als beständig und gleich zu reagieren; die ersten Anzeichen für logische Operationen werden durch Urteile über die "Erhaltung" festgestellt, wobei es um die Identität des Objektes in einer bestimmten Hinsicht gegenüber wahrnehmbaren Veränderungen in anderer Beziehung geht; und das Kennzeichen des ausgereiften logischen Denkens ist die "Reversibilität" (Beschaffenheit), die Fähigkeit, jeden Zustand an einem Kontinuum von Möglichkeiten hypothetisch als potentiell jedem anderen Zustand gleich zu betrachten und zu demselben Zustand zurückzukehren, von dem die bestimmte Operation ausging.

In bin versucht, PIAGETs Erkenntnis in bezug auf die Intelligenz mit dem revolutionären Standpunkt FREUDs im Hinblick auf die menschliche Motivation zu vergleichen. FREUD hat ein für alle Mal den liebevoll gehegten Traum der Menschheit zerstört, daß sie im allgemeinen von Vernunft - groß geschrieben - geleitet sei; er zeigte, daß der größte Teil der menschlichen Motivation eher eine Karikatur von Vernunft und Unvernunft, indem er die Anomalität normaler und Normalität abnormer machte.

Auch PIAGET zerstörte den idealistischen Traum einer gebrauchsfertigen Intelligenz und überbrückte die Extreme, indem er auf die funktionale Ähnlichkeit des Wissens in allen seinen Stadien und auf die spezifischen strukturellen Veränderungen hinwies, die das Denken in dem sich entwickelnden Individuum charakterisieren. Gleichzeitig wurde durch seine Theorie die Notwendigkeit beseitigt, bei der Differenzierung von Arten des Denkens eine unwissenschaftliche Diskontinuität befürchten zu müssen. Er stellte den Beginn des charakteristisch menschlichen oder intelligenten Denkens in den frühen Entwicklungsstadien fest, die für Kleinkinder und Tiere typisch sind.

PIAGET suchte die Grundlage intelligenten Denkens nicht in Begriffen, die aus Vorstellungen, die von Gegenständen hervorgerufen werden, sondern in der fast nicht wahrnehmbaren "wissenden" Reaktion des einjährigen Kleinkindes gegenüber Gegenständen.

PIAGET ist der Ansicht, daß er bei sorgfältiger Beobachtung aus dem Suchverhalten von Kleinkindern auf einer bestimmten Altersstufe den Übergang von einem Verhaltenstyp zu einem anderen folgern darf. Früheres Verhalten kann durch sensomotorische Reaktionen auf Ereignisse in der Umgebung erklärt werden, aber die neue Verhaltensweise, die in der Übergangsphase auftritt, zeigt, daß das objektive Reizereignis in ein bekanntes Ereignis transformiert worden ist. Das Verhalten ist dann nicht mehr nur eine Reaktion auf objektive Reize, sondern wird allmählich durch bekannte Reize oder Wissen gesteuert.

Was bedeutet Wissen auf der Schwelle zur Intelligenz? Es steht mit der eigentlichen Grundlage allen Wissens, nämlich der Empfindung für Identität im Zusammenhang. Das Kind hat eine Phase erreicht, in der Gegenstände fortdauern, auch wenn sie den Sinnen momentan nicht mehr gegenwärtig sind. Mit anderen Worten, die Objekte nehmen Bestand an und werden als dieselben betrachtet, auch wenn sie nicht augenblicklich vorhanden sind. Eine solche - wenn auch bescheidene - Leistung, die weit davon entfernt ist, angeboren oder objektiv gegeben zu sein, ist das Werk des denkenden Kindes, die erste Frucht des Wissens, auf das sich alles weitere Wissen aufbaut. PIAGET nennt diesen Wendepunkt "die Entstehung von Objekten" oder "Objektkonstanz".

Vor diesem Wendepunkt übt ein glitzerndes Spielzeug eine starke Anziehungskraft auf das Kind aus, aber in dem Moment, wenn es aus seinem Blickfeld entfernt wird, scheint aus dem Verhalten des Kindes hervorzugehen, daß gleichzeitig auch das Spielzeug aus seiner Vorstellung verschwunden ist. Anders verhält es sich nach diesem Wendepunkt. Die aktive Suche des Kindes nach dem versteckten Objekt weist darauf hin, daß das Spielzeug nun ein wesentlicher Bestandteil seines Verhaltens geworden ist, daß eine innere Repräsentation des Spielzeugs besteht, die das Verhalten des Kindes steuert, so daß wir jetzt auf das Kind den Satz "Es weiß, daß es Spielzeug gibt" anwenden können; vorher hätten wir nur behaupten können, daß es auf das Spielzeug reagiert.

WERNER und KAPLAN betonen diesen Unterschied zwischen "Handlung mit Dingen" und "Betrachtung von Dingen" und fügen hinzu, daß eine Voraussetzung für symbolische Aktivität eine Entwicklungsphase ist, in der Gegenstände als beständig und "draußen" betrachtet werden und nicht als Objekte, auf die ein Organismus nur reagiert, um irgendein biologisches Bedürfnis zu befriedigen.

Schon auf diesem Niveau können wir einige Charakteristika des Denkens aufzeigen, die für alle zukünftigen Manifestationen dieser Aktivität typisch sein werden. Erstens bedeutet Objektkonstanz einen umfassenden Zustand und nicht ein einzelnes Ereignis. Denken muß immer als ein verallgemeinerter Verhaltensmodus betrachtet werden und darf nicht als eine einfache Anhäufung von einzelnen Elementen oder Verbindungen begriffen werden. Daher würde die Feststellung, daß ein Kleinkind isoliert das Objekt "Flasche", aber nicht Objekte von anderen ebenso vertrauten Dingen gebildet hätte, genauso sinnlos sein wie die Behauptung, daß in dem Verhalten eines Individuums eine vereinzelte ausgereifte Vorstellung manifest werden könnte.

Diese Folgerung führt zu der zweiten Beobachtung, daß nämlich Denken immer mit einer inneren organisierten Struktur im Zusammenhang steht. Die beste Art, das Denken zu beschreiben, ist eine Darstellung der Charakteristika dieser inneren Struktur. So kann man annehmen, daß die Beständigkeit von Objekten, die als "draußen" erkannt wurden, entsprechend zur Beständigkeit eines Ich führen müßte, das von anderen Objekten unterschieden ist. Die Struktur der Objektbeständigkeit erfordert als entsprechendes Gegenstück die Entstehung eines dauerhaften Ich.

Die dritte und letzte Überlegung bezieht sich auf Denken als Aktivität, als interne Aktion, der das sensomotorische Schema der vorangegangenen Phase entspricht und die gewöhnlich in Verbindung oder Begleitung von beobachtbaren organischen Ereignissen stattfindet. Es ist begreiflich, daß ein Kind, wenn es ein Spielzeug erkennt, eine bestimmte Greifbewegung macht, wodurch es sich auf eine angemessene Reaktion auf das Objekt vorbereitet.

Mit dem Enstehen der Objektkonstanz können solche Greifbewegungen immer noch vorhanden sein, sie können sogar ein inhärenter Bestandteil des kindlichen Denkens sein - denn es wäre für ein zweijähriges Kind unnatürlich, wenn es das Wort "Hand" verstünde, ohne gleichzeitig sichtbar seine eigenen Hände zu bewegen. Es scheint daher vernünftig, sensomotorische Schemata und Denkprozesse als funktional gleich zu betrachten, da es sich bei beiden um Handlungen - die eine äußerlich beobachtbar, die andere nur ableitbar - handelt.

Sobald das Kind die Phase des beständigen Universums erreicht hat, das sein eigenes Ich als dauerhaften Bestandteil enthält, verläuft sein Denkentwicklung am auffälligsten in bezug auf seine symbolische oder repräsentationale Aktivität. PIAGET faßt unter der symbolischen Funktion einen weiten Bereich von kindlichen Betätigungen wie Nachahmung, Vorstellung, Spiel, Träume und Sprache zusammen.

Die symbolische Funktion ist derjenige besondere Aspekt des denkenden Individuums, der die Bildung von Symbolen zur Folge hat. Unter Symbol haben wir, zumindest vom Standpunkt der Person, die es erfährt, ein objektives oder äußeres Ereignis zu verstehen. Dieses symbolische Ereignis bezieht sich direkt auf das denkende Individuum und indirekt auf das objektive Ereignis, welches durch das Symbol signifikativ bezeichnet wird.

Wenn PIAGET betont, daß die gleichbleibende Wahrnehmung eines momentan vorhandenen Objekts das Resultat eines inneren Denkvorganges sei, so überrascht es nicht, daß er - sogar noch ausdrücklicher - dieselbe Aussage über die Vorstellung macht, die geistig erfahren wird. Er weist die allgemeine Ansicht zurück, daß eine visuelle Vorstellung im Sinne eines passiv empfangenen Bildes aufzufassen sei, er sieht eher eine Verbindung mit aktiver, verzögerter Nachahmung.

Kinder nehmen die Funktionsweise der Objekte in ihrer Umgebung wahr und möchten dann, wenn das Original nicht anwesend ist, funktionale Aspekte dieses Objekts nachahmen. Sie imitieren etwas die Mutter, wie sie den Fußboden fegt, oder die Bewegung von Autos oder Lieder, die sie gehört haben. Eine solche Aktivität ist keine papageienhafte Wiedergabe, sondern die Verkörperung einer inneren Transformation, mit der das Kind auf diese Ereignisse reagiert.

Unter diesem Blickwinkel ist verzögerte Imitation eine beobachtbare symbolische Tätigkeit, die gewissermaßen den Bereich des bekannten Objekts erweitert, indem sie seine Identität und Dauer in Zeit und Raum ausdehnt. Nachahmung ist also das erste echte Symbol; sie wird von einem wissenden Individuum hervorgebracht, ist objektiv vorhanden und stellt für sich allein ein Objekt als schon bekanntes dar.

Nach PIAGET ist eine Vorstellung, sei sie kinästhetisch (auf körperlicher Bewegung beruhend), visuell oder anderer Art, eine verkleinerte Nachahmung. Sie ist der Ausgangspunkt für eine ähnliche Aktivität wie diejenige, die sich in äußerer Nachahmung zeigt, ist aber auf eine innere Erfahrung begrenzt. Vorstellung hat eine ähnliche Funktion wie die Nachahmung, ist aber freier und leichter verfügbar, da sie nicht an grobe Muskelbewegungen gebunden ist. Ihr Vorhandensein kann in einer anderen Person nicht direkt festgestellt werden, sondern wird aus der sich entwickelnden räumlichen Orientierung des Kindes, aus Zeichnungen, Gedächtnisleistung und anderen Verhaltensweisen abgeleitet, von denen angenommen werden kann, daß sie aktiv durch einen inneren Zustand des Wissens gesteuert werden. Auch die Vorstellung ist, soweit sie von dem wissenden Individuum erfahren oder reflektiv beschrieben wird, ein Symbol, das seinen Gegenstand mittels des wissenden Individuums repräsentiert.

Die Erfahrung des Träumens steht eindeutig im Zusammenhang mit Vorstellungen. Die symbolische Bewegung von Träumen konnte nur für FREUDs Zeitgenossen eine überraschende Entdeckung sein, da sie von der damals vorherrschenden "rationalen" Betrachtung der menschlichen Intelligenz durchdrungen waren. Nach dieser Ansicht waren Vorstellungen photo-ähnliche Kopien sensorischer Eindrücke, die mit rationalem Bewußtsein zu betrachten waren. Nach PIAGETs Meinung ist Denken eine Tätigkeit, die an sich außerhalb der Bewußtheit liegt. Die inneren Ereignisse, deren man sich manchmal bewußt wird, sind keine Denkprozesse, sondern die Produkte des Denkens, d.h. Symbole. Diese Symbole können in Form von Vorstellungen oder Worten auftreten.

Das Spielen, die typische Kindheitsbeschäftigung, kann als die Anwendung eines unbekannten Objekts im Dienste eines bekannten Objektes betrachtet werden. Kinder nehmen sich etwa einen Stift und zwei Aschenbecher und benutzen den Stift als Auto und die Aschenbecher als Häuserblöcke. Spielen ist also eine symbolische Tätigkeit oder ein Symbol, dem das denkende Kind seine Bedeutung gibt. Um das Spielen zu verstehen, muß man es als das Produkt des symbolischen Denkens betrachten.

Das spontane Bedürfnis und die Freude, die Kinder durch ihr Spielen manifestieren, ist nur ein weiteres Beispiel für unzählige andere Tätigkeiten in allen Altersstufen, die völlig unverständlich wären, wenn man nicht - nach SUSANNE LANGER - das Bedürfnis nach Wissen und Symbolisieren als universales Charakteristikum des menschlichen Verhaltens postulieren würde.
    "Wenn unsere grundsätzlichen Bedürfnisse wirklich - nur in sehr viel verfeinerter Form - die gleichen wie die niederer Lebewesen wären, hätten wir eine realistischere Sprache entwickeln müssen, als es tatsächlich der Fall ist. Wenn unser Geist nur zum Registrieren und Senden eingerichtet wäre, wie es das Gleichnis der Telefonvermittlung symbolisiert, müßten wir uns eigentlich ganz anders verhalten, als wir es in Wirklichkeit tun.

    Sicherlich war kein Lernprozeß der Anlaß für die Menschen, an die Magie zu glauben; aber Wortzauberei ist unter primitiven Völkern allgemeiner Brauch und ebenso auch Ersatzhandlungen, wobei die stellvertretende Figur einfach ein Symbol für das gewünschte Opfer ist. Ein anderes merkwürdiges, universales Phänomen ist das Ritual. Es ist offensichtlich symbolisch, außer in Fällen, wo es auf ein konkretes Ereignis abzielt, und dann kann es als eine gemeinschaftliche Form der Zauberei betrachtet werden.

    Nun sind aber alle magischen und rituelle Bräuche hoffnungslos ungeeignet zur Bewahrung oder Verbesserung des Lebens. Meine Katze würde darüber die Nase rümpfen und sich abwenden. Diese Zaubereien und Rituale aber als mißglückte Versuche, die Natur zu beherrschen, als Resultat falscher Synapsen oder querliegender Leitungen im Gehirn zu betrachten, schiene mir doch das rationalste aller Tiere zu tief im Sumpf des Irrtums zu belassen.

    Wenn ein "Wilder" in seiner Unkenntnis der Physik um einen Berg herumtanzt, damit er seine Höhlen öffne, müssen wir mit Beschämung zugeben, daß keine Ratte im Labyrinth eines Psychologen mit derart offenkundig untauglichen Methoden versuchen würde, eine Tür zu öffnen. Auch sollten solche Experimente angesichts ihres Versagens dann nicht für tausende von Jahren fortgeführt werden; selbst Schwachsinnige sollten das eher begreifen." (1)
Inmitten dieser Vielzahl von symbolischen Tätigkeiten, die sich über den gesamten Bereich des Verhaltens einschließlich seiner sozialen und emotionalen Bestandteile ausdehnen - diese Aspekte werden hier aber aus Gründen des Raumes und der größeren Klarheit ausgelassen -, findet auch das Erlernen und die Verwendung der Sprache statt. Auch Sprache ist ein Symbol und als Symbolsystem erwirbt das heranwachsende Kind sie in lebendigem Kontakt mit seiner sprachlichen Umgebung, ähnlich wie es die Begriffe von Raum, Zeit und Kausalität durch Berührung mit seiner physischen Umgebung lernt.

Das sprachliche Symbol ist insofern einzigartig, als es eine gebrauchsfertige systematische symbolische Repräsentation der gesellschaftlichen Erfahrung liefert, die als universales Mittel zu sozialer Kommunikation dienen kann. Die Aneignung und Verwendung des sprachlichen wie auch jeden anderen Symbols ist das Produkt oder die Manifestation des wissenden Kindes, und die Bedeutung - oder das durch das Symbol bezeichnete Ding - können wir nicht durch unser Wörterbuch, sondern durch die Denkstruktur des sprechenden Kindes erschließen.

Bei seiner Beschreibung der Intelligenzstruktur des heranwachsenden Kindes zwischen 1,5 und 5 Jahren verwendet PIAGET die symbolische Tätigkeit einschließlich der Sprache, um auf diese Art Rückschlüsse vom Verhalten auf die innere Struktur zu ziehen. Er betont, daß grundlegende Vorstellungen wie Zeit, Kausalität, räumliche Orientierung und die Anordnung von Objekten Schritt für Schritt begriffen werden, und zwar auf einem niedrigeren Niveau als echte Begriffe, da die geistigen Prozesse noch zu eng mit dem durch Wahrnehmung oder Vorstellung gegebenen Objekt verknüpft sind.

Das Denken des Kindes in dieser Phase ist dadurch gekennzeichnet, daß das Kind vollkommen seinem gegenwärtigen Zustand verhaftet ist. Das typische Vorschulkind lebt ganz in der Gegenwart. Es differenziert nicht deutlich zwischen Erfahrungen oder verbindet eine Erfahrung mit einer anderen. Es fragt nicht nach Gründen und nimmt die unmittelbar gegebene Wirklichkeit für bare Münze. PIAGET hat diese Haltung des unkritischen Mit-sich-selbst -Beschäftigtseins den Terminus "egozentrisch" geprägt. Es ist deutlich, daß diese Haltung nichts mit der gewöhnlichen Bedeutung dieses Wortes als Synonym für Egoismus zu tun hat.

Vier oder fünf Jahre nach den ersten Anzeichen symbolischen Denkens beginnt das Kind, logische Operationen und logische Begriffe zu manifestieren.

Mit dem Beginn der operationalen Intelligenz hat die Denktätigkeit gewissermaßen eine vollständige Wendung vollzogen. Auf der früheren sensomotorischen Stufe war sei mit praktischer Tätigkeit verquickt und fast gar nicht davon differenziert; auf dem operationalen Niveau aber ist sie wenn sie auch die Charakteristika menschlicher Tätigkeit beibehält, nicht mehr formal an eine äußere Tätigkeit gebunden.

Diese Umwandlung des Denkens findet nicht wie physiologische Veränderungen während der Pubertät in einem bestimmten begrenzten Zeitraum statt. Es läuft vielmehr eine konstante, fast nicht wahrzunehmende Entwicklung ab von den ersten sensomotorischen Reflexen bis zu einem Verhalten, welches das voll ausgeprägte Verständnis logischer Begriffe beweist.

Es ist natürlich so, daß logisches Denken sogar bei Erwachsenen ein relativ seltenes Ereignis ist und daß der überwiegende Teil des Denkens von sensomotorischer oder symbolischer, durch das Ich motivierter Aktivität durchdrungen ist. Die Beobachtung, daß Sprache zum Ausdruck logischer Aktivität verwendet werden kann und wir uns häufig auf diese oder jene Art sprachlich betätigen, sollte uns nicht zu dem Glauben verleiten, daß der größte Teil dieser Tätigkeit auch durch operationales Denken gesteuert wird.

Schließlich ist folgerichtiges logisches Denken, wie LANGER so entschieden aufgezeigt hat, nur ein Endproduk der sich entwickelnden menschlichen Intelligenz. Der größere Anteil des Denkens erreicht niemals das Stadium der Folgerichtigkeit und bleibt in PIAGETs und FREUDs Sinn symbolisch. Auf diesen besonderen Aspekt der menschlichen Verstandestätigkeit geht PIAGET nicht ausführlicher ein. Es ist ausreichend zu erwähnen, daß es zahllose Beispiele ausgereifter menschlicher Tätigkeit gibt, die nicht in dem Sinne logisch sind, daß sie in logischer Sprache ausgedrückt werden könnten, die aber ohne Zweifel ein Ausdruck ausgeprägten Denkens oder entwickelter Intelligenz sind.

Es geht dabei um künstlerische Werke in ihrer ganzen Vielfältigkeit, um Musik, Dichtung, die schönen Künste, Tanzen etc. Rituelle, religiöse, kontemplative und moralische Handlungen sind weitere Tätigkeiten, die nicht erschöpfend durch logische Argumentation erklärt werden können.

Alle menschliche Aktivitäten, seien sie sozialer, emotionaler oder moralischer Art, sind vom Denken durchdrungen. Man kann in allen diesen Bereichen entsprechend dem augenblicklichen Zustand des intellektuellen Wachstums eine Entwicklungs- und eine Reifestufe erkennen. Es ist insofern gerechtfertigt, diese über das Logische hinausgehenden Aktivitäten symbolisch zu nennen, als sie eine innere intellektuelle Steuerung repräsentieren. Darüber hinaus muß man die Bedeutung dieser Tätigkeiten in dem Denkstadium suchen, auf das sie sich beziehen.

Symbolische Aktivität oder ein symbolisches Ereignis kann - wie bei einigen sozialen Gewohnheiten - vollkommen bewußt und klar erkannt sein oder sie können der sich verhaltenden Person verborgen sein und sich erst allmählich und durch besondere Methoden dem geübten Auge des Psychoanalytikers offenbaren. Der Gruß vor der Flagge, die Freude an Musik, das Sichversammeln am Tisch zu einer Mahlzeit, der Titel bei einem Namen und eine endlose Vielzahl von äußerlich sichtbaren Verhaltensweisen, Ereignissen und Objekten, sie alle haben durch die Tatsache, daß sie von einer denkenden Person ausgehen und sich auf sie zurückbeziehen, symbolischen Charakter.

Spiel, Träume, Nachahmung und Vorstellungen gehören in eine ähnliche Kategorie von Symbolen und, da sie in einer früheren Entwicklungsphase auftreten, sonderte PIAGET sie ab, um die Entwicklung der Intelligenz während der Kindheit in der "symbolischen" Phase zwischen 1,5 und 6 bis 8 Jahren darzustellen.

Je nach der Funktion, der die Intelligenz dient, kann man symbolische Ereignisse als an einem Kontinuum verteilt betrachten, dessen Extreme Nachaußen- und Nachinnengerichtetheit sind. Die bizarre Verschrobenheit eines Schizophrenen ist symbolisch und bezieht sich auf seine höchst privaten individuellen Erfahrungen, während der Buchstabe als mathematisches Symbol ein allgemeines konventionelles Symbol ist, das sich auf eine bestimmmte Zahl bezieht, die jedem bekannt ist, der dieses Symbol kennt. Wenn die wissende Reaktion auf durch subjektive, durch das Ich motivierte Haltungen verzerrt würde, würde das Wissen um als unreif und falsch betrachtet werden.

Das besondere Charakteristikum logischen und begrifflichen Denkens ist, wie PIAGET aufzeigt, seine Tendenz zum intellektuellen Verständnis der Realität, ohne durch symbolische Begleiterscheinungen oder eine ichbezogene Haltung verzerrt zu sein. Daher geht die Reifung logischen Denkens parallel mit der fortschreitenden Befreiung des Denkens von seiner symbolischen Manifestation.

Ein Kind, das meint, daß sich die Flüssigkeitsmenge mit der äußeren Erscheinungsform des Behälters verändert, beweist, daß der Begriff "Menge" für sein Verständnis immer noch an ein Bild gebunden ist. Wenn das operationale Stadium erreicht ist, mag dieses Bild immer noch vorhanden sein, aber es beherrscht das intellektuelle Verständnis nicht mehr, d.h. das Kind weiß, daß die Flüssigkeitsmenge nicht von dem äußeren Bild des Behälters abhängig ist.

Hieraus scheint zu folgen, daß das Symbol nicht den Übergang vom prä-operationalen zum operationalen Denken erklären kann. Dasselbe Symbol, ob es nun eine bildliche Vorstellung oder ein verbaler Ausdruck ist, kann dem denkenden Individuum im prä-operationalen und im operationalen Stadium verfügbar sein und auch verwendet werden.

Im ersten Stadium bindet das Symbol das logische Denken an seine eigene subjektive und verzerrende Existenz. Aus diesem Grunde ist es sinnvoll zu behaupten, daß während der prä-operationalen Phase das Denken "in Symbolen", "in Bildern" oder "in Worten" stattfinde.

In der operationalen Phase können diese Symbole oder Worte zwar noch vorhanden sein, aber ihre Existenz ist jetzt nur eine begleitende, nicht aber eine irreleitende Determinante des Denkens. Aber selbst die Ungebundenheit der logischen Operationen von ihrer Basis entsteht nicht auf einmal. PIAGET unterscheidet die konkret -operationale Phase von der formal -operationalen Phase. Das letztere Stadium ist nicht so sehr durch größere Freiheit von symbolischer Verformung als vielmehr durch größere Flexibilität bei der Koordinierung logischer Operationen gekennzeichnet. Dadurch wird es dem Individuum möglich, verschiedene Standpunkte gleichzeitig zu sehen und wechselseitig aufeinander bezogene logische Operationen in Betracht zu ziehen.

In bezug auf das logische Denken ist das Symbol schon durch die Funktion der Intelligenz nach außen gerichtet. In anderen Bereichen menschlicher Tätigkeit hat Intelligenz nicht die Funktion, subjektive und individuelle Erfahrung zu minimalisieren, sondern nur sie zu lenken. Daher erwartet man bei den nicht rein logischen Tätigkeiten der emotionalen, sozialen, religiösen oder künstlerischen Sphäre nicht eine ähnliche Freiheit oder Unabhängigkeit der Intelligenz vom Vehikel des Symbols.

Ganz ohne Zweifel geht es hierbei um Intelligenz, aber sie äußert sich durch das Medium des Symbols, d.h. sie ist teilweise davon abhängig, ohne aber dabei noch nicht voll entwickelt zu sein, wie es beim logischen Denken der Fall wäre.

Beim logischen Denken spielt es keine Rolle, durch welches Symbol ein Begriff dargestellt wird: z.B. ein Quadrat kann eine bildliche Vorstellung, ein Wort oder eine Bewegung sein. Der Begriff des Quadrates hängt nicht wesentlich von einem dieser Symbole ab. Wenn das der Fall wäre, würde die Operation immer noch teilweise sensomotorisch und daher unentwickelt sein.

In der kreativen Kunst wird durch die Intelligenz ein symbolisches Medium in die Darstellung eines inneren Zustands des Wissens oder Fühlens umgewandelt. Hier spielt es offenbar eine Rolle, ob die Darstellung durch das visuelle, sprachliche oder musikalische Medium erfolgt. Im künstlerischen - im Gegensatz zum logischen - Denken liegt das Kennzeichen der Reife nicht in seiner weniger abstrakten Gebundenheit an die symbolische Basis.
LITERATUR - Hans G. Furth, Denkprozesse ohne Sprache, Düsseldorf 1972
    Anmerkungen
  1. Susanne Langer, Philosophy in a new key. A study in the symbolism of reason, rite, and art. New York 1964, Seite 41f